Den Untergang erst mal abgesagt - Softfair
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ILLUSTRATION: OLAF HAJEK<br />
Illustration<br />
121 x 118<br />
In den Vordergrund rückt da eine Art<br />
Notstandsparagraf im Versicherungsaufsichtsgesetz,<br />
nach dem die garantierten<br />
Leistungen bei finanzieller Schieflage des<br />
Versicherers gekürzt werden dürfen. So<br />
kann die Aufsichtsbehörde BaFin bei Insolvenzgefahr<br />
anordnen, dass Leistungen<br />
heruntergesetzt werden. Kommt es zur<br />
Insolvenz, werden Kunden von der Auffanggesellschaft<br />
Protektor übernommen.<br />
Dann sind ebenfalls Kürzungen möglich.<br />
„Das bedeutet, dass nicht ein<strong>mal</strong> die Versicherungssumme<br />
und die Garantieverzinsung<br />
wirklich sicher sind“, sagt Anlegeranwalt<br />
André Tittel, für ihn „eine staatlich<br />
gebilligte Enteignung“.<br />
Kurz nach Ausbruch der Finanzkrise hatten<br />
<strong>Untergang</strong>spropheten in Internet-<br />
Foren behauptet, der Notstandsparagraf<br />
sei kürzlich geändert worden, Versicherte<br />
müssten sich auf das Schlimmste gefasst<br />
machen. Tatsächlich gibt es ihn laut Bundesfinanzministerium<br />
seit Urzeiten. Versicherte<br />
sollten das Risiko kennen, sich aber<br />
nicht verrückt machen lassen.<br />
Die meisten haben ohnehin nicht wegen<br />
der eher niedrigen Garantien unterschrieben,<br />
sondern weil sie mit überzogenen<br />
Prognosen gelockt wurden. Die Werbe-<br />
Rechnungen seien simpel gewesen,<br />
berichtet ein Aussteiger, der in den Achtzigerjahren<br />
nebenberuflich Versicherungen<br />
vertickte: „100 Mark Monatsbeitrag bringen<br />
rund 100 Prozent Gewinn in 27 Jahren.<br />
So haben wir die Kunden gelockt.“ Aus eingezahlten<br />
32 400 Mark sollten 60 000 Mark<br />
werden. Dafür waren aber 4,3 Prozent Rendite<br />
pro Jahr nötig, nach Kosten und viel<br />
mehr als garantiert. Zu hohe Versprechungen<br />
aber provozieren Enttäuschung.<br />
„Es gibt jedes Jahr weniger, weniger,<br />
weniger“, klagt ein 47-jähriger Mann<br />
aus Mannheim über seine jährlichen<br />
Briefe von der Allianz. Versicherungs-<br />
»Kunden ärgern<br />
sich, weil sie die<br />
alten Prognosen<br />
im Kopf haben«<br />
Stefanie Kühn, Honorarberaterin<br />
berater Stefan Albers rechnete für ihn<br />
nach: Gut 22 Jahre lang lief der Vertrag.<br />
1991 hatte die Allianz ihm 30 Jahre lang<br />
3,5 Prozent Zins auf den Sparanteil<br />
garantiert. Und bisher hatte der Mann<br />
gut 91500 Euro überwiesen.<br />
In Briefen prognostizierte die Allianz<br />
per Anfang August bei vorzeitiger<br />
Kündigung eine Auszahlung von<br />
120000 Euro – das entspricht Albers<br />
Berechnungen zufolge 2,4 Prozent<br />
Rendite auf den Beitrag. Bekommt der<br />
Kunde noch Bewertungsreserven ausgezahlt,<br />
kommen gut 11000 Euro drauf,<br />
die Rendite erhöhte sich auf über drei<br />
Prozent. Die Reserven entstehen, wenn<br />
der aktuelle Marktwert der Geldanlagen<br />
über dem Wert liegt, zu dem sie in<br />
den Büchern des Versicherers stehen.<br />
Wer kündigt, hat Anspruch auf die Hälfte<br />
davon. Versicherer wollen das Geld<br />
nicht mehr ausschütten, laufen Sturm<br />
bei Berlins Politikern. Der Mannheimer<br />
will seinen Vertrag daher kündigen,<br />
bevor die Regel sich doch noch ändert.<br />
Er sieht bessere Anlagechancen: Mit<br />
dem Geld will er ein teures Immobiliendarlehen<br />
ablösen, sein Haus anschließend<br />
mit Niedrigzinsen beleihen und<br />
dann eine Eigentumswohnung kaufen.<br />
„Meine Altersvorsorge habe ich mir<br />
lukrativer vorgestellt“, sagt er.<br />
Während alle Welt über die Krise der<br />
Lebensversicherung redet, sitzen die Lebensversicherer<br />
noch auf gigantischen<br />
Bewertungsreserven. Ende 2012 waren dies<br />
gut 100 Milliarden Euro – 13 Prozent der<br />
Kapitalanlagen. Wie passen diese Reserven<br />
zu den Klagen über niedrige Zinsen?<br />
Die Lösung ist ein Treppenwitz der<br />
Finanzmathematik, sozusagen: Wenn die<br />
Zinsen allgemein sinken, werden ältere,<br />
höher verzinste Anleihen im Bestand der<br />
Lebensversicherer mehr wert. So legt der<br />
Kurs einer Anleihe mit 20 Jahren Restlaufzeit<br />
um 15 Prozent zu, wenn ihre jährliche<br />
Rendite von vier auf drei Prozent fällt. In<br />
den Büchern der Lebensversicherer stehen<br />
die Anleihen jedoch nicht zum höheren<br />
Marktwert, sondern meist zu 100 Prozent.<br />
Die Differenz ist eine stille Reserve. Steigen<br />
Kunden aus, müssen Versicherer sie daran<br />
zur Hälfte beteiligen. Allein beim Marktführer<br />
Allianz sind diese Reserven bis Ende<br />
2012 auf fast 30 Milliarden Euro gestiegen,<br />
knapp 14 Milliarden mehr als ein Jahr zuvor<br />
(siehe Tabelle Seite 88).<br />
Die Versicherer kämpfen gegen die<br />
Beteiligung der Kunden an den Reser-<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 30.9.2013 Nr. 40 87<br />
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