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Testinformationen<br />

167<br />

Sozialphobie und -angstinventar für Kinder (SPAIK) von<br />

Siebke Melfsen, Irmela Florin und Andreas Warnke<br />

(2001). [Göttingen: Hogrefe, 42 Seiten].<br />

Klaus Sarimski<br />

1. Testart<br />

Klinisch-psychologisches Fragebogenverfahren zur Beurteilung<br />

der sozialen Angst bei Kindern im Alter von<br />

8–16 Jahren<br />

2. Testmaterial und -gliederung<br />

Der Test besteht aus 26 Items, die auf einer Ratingskala<br />

nach Häufigkeit ihres Auftretens („nie oder selten“ bis<br />

„meistens oder immer“) von den Kindern und Jugendlichen<br />

selbst bewertet werden. Bei 11 Items ist eine Differenzierung<br />

der Antworten gefragt je nachdem, ob es sich<br />

um vertraute oder unbekannte Jungen und Mädchen, bzw.<br />

Erwachsene handelt, auf die sich die jeweilige Situationsbeschreibung<br />

bezieht. Ein Manual und Auswertungsbogen<br />

liegen bei.<br />

3. Grundkonzept<br />

Das Verfahren ist die deutsche Version des „Social Phobia<br />

and Anxiety Inventory for Children“ (SPAI-C), das von<br />

Beidel, Turner & Morris (1995; 1998) in den USA publiziert<br />

wurde. Es dient der Diagnostik einer Sozialphobie, d.h.<br />

einer klinisch relevanten Form der sozialen Angst, die<br />

nicht nur gegenüber Erwachsenen – wie im Kindesalter<br />

relativ häufig –, sondern auch gegenüber gleichalten Kindern<br />

auftritt. Die diagnostischen Kriterien orientieren sich<br />

dabei eng an der Definition des Störungsbildes nach<br />

DSM-IV, bzw. ICD-10. Sie ist definiert als ausgeprägte<br />

Angst, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen oder<br />

sich peinlich zu verhalten, und Neigung, solche Situationen<br />

zu vermeiden (z.B. Sprechen oder Essen in der Öffentlichkeit,<br />

Begegnung von Bekannten, Teilnahme an Parties<br />

oder anderen Treffen). Charakteristisch sind physiologische<br />

Reaktionen (starkes Herzklopfen, Schwitzen, Erröten,<br />

Schwächegefühl, Übelkeit u.a.), kognitive Reaktionen<br />

(negative Gedanken über die eigene Unzulänglichkeit) und<br />

Vermeidungstendenzen.<br />

Es liegen nur wenige veröffentlichte empirische Untersuchungen<br />

zur Häufigkeit der Sozialphobie bei Kindern<br />

vor. In der Literatur wird sie mit 1–2% angegeben. Wahrscheinlich<br />

wird die Häufigkeit der Sozialphobie aber unterschätzt,<br />

da viele der sozialen Ängste nicht als klinisch<br />

relevant erkannt werden und die Betroffenen keine Behandlung<br />

aufsuchen, bzw. ihnen keine Behandlung angeboten<br />

wird. Differentialdiagnostisch abzugrenzen sind<br />

sozialer Rückzug, Schüchternheit, Selbstunsicherheit,<br />

selektiver Mutismus und ein bereits früh erfassbarer allgemeiner<br />

Reaktionsstil, der durch Gehemmtheit, Unbehagen<br />

und Vermeidung in neuen Situationen charakterisiert ist.<br />

Die Entwicklung der Sozialphobie ist in einem integrierten<br />

kognitiv-behavioralen Modell zu verstehen. Dabei<br />

wird eine genetische Vulnerabilität angenommen, die


168 Testinformationen<br />

bei Vorliegen bestimmter Lernerfahrungen und sozialer<br />

Bedingungen dazu führt, dass soziale Situationen als bedrohlich<br />

erlebt werden und die Kinder ein unzureichendes<br />

Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten entwickeln, sich in<br />

sozialen Situationen zu bewähren, und Verlegenheit und<br />

Zurückweisung befürchten. Die Aufmerksamkeit ist dann<br />

auf sozial bedrohliche Reize gerichtet, negative Gedanken<br />

über die eigene Unzulänglichkeit und Angst vor negativen<br />

Bewertungen werden bestimmend und führen zu wirklichen<br />

oder wahrgenommenen Störungen im Verhalten.<br />

4. Durchführung<br />

Der Test kann in Einzel- oder Gruppensituationen durchgeführt<br />

werden. Die Instruktion findet sich auf dem Fragebogenformular:<br />

„Gleich werden einige Gelegenheiten beschrieben,<br />

bei denen Jungen oder Mädchen manchmal<br />

aufgeregt sind oder Angst haben ... z.B. wenn man draußen<br />

mit anderen spielt, ... wenn man bei einem Theaterstück<br />

mitmacht oder vor anderen etwas aufsagt ... Überlege<br />

Dir, wie es bei Dir ist“. Die einzelnen Beschreibungen<br />

sind leicht verständlich, die Bearbeitung erfordert nicht<br />

mehr als ungefähr 20 Minuten. Die Vorgabe von geteilten<br />

Antwortalternativen (Erwachsener, vertrautes oder fremdes<br />

Kind) wird allerdings von manchen Kindern als „Geduldsprobe“<br />

erlebt.<br />

5. Auswertung<br />

Aus den Antworten des Kindes (0 = nie oder selten bis 2 =<br />

meistens oder immer) wird eine Gesamtsumme (maximal 52)<br />

gebildet. Einige Items sind unterteilt nach Alter und Vertrautheit<br />

mit der Kontaktperson; in diesen Fällen geht der<br />

Mittelwert der einzelnen Teilantworten in die Summe ein.<br />

Die Ergebnisse können mit Normtabellen verglichen werden,<br />

die getrennt für Jungen und Mädchen und für drei<br />

Altersstufen angegeben sind (Prozentrang- und T-Wertbänder).<br />

Darüberhinaus können auch die Inhaltsbereiche<br />

„Interaktionssituationen“, „Leistungssituationen“ und<br />

„kognitive und somatische Symptome“ auf der Rohwertebene<br />

differenziert ausgewertet werden. – Ein kritischer<br />

Wert, der eine Aussage darüber ermöglicht, ob eine sozialphobische<br />

Symptomatik in einem klinisch bedeutsamen<br />

Ausmaß vorliegt, wird nicht angegeben.<br />

6. Gütekriterien<br />

Die deutschsprachige Fassung des Tests wurde an einer<br />

Normalstichprobe aus verschiedenen Bundesländern eingesetzt,<br />

die 1197 Schülerinnen und Schüler umfasste. Die<br />

Itemanalyse ergab eine hinreichende Trennschärfe der<br />

Items. Die interne Konsistenz des Verfahrens ist sehr hoch<br />

(Cronbachs Alpha = .92). Die Stabilität wurde an einer<br />

Stichprobe von 87 Kindern bestimmt und erwies sich ebenfalls<br />

als hoch (Retestreliabilität: .84). In einer Faktorenanalyse<br />

ließ sich die einfaktorielle Struktur der Skala replizieren,<br />

die auch für das amerikanische Original ermittelt<br />

wurde.<br />

Itemanalyse und Untersuchungen zur Dimensionalität,<br />

Homogenität und internen Konsistenz des Fragebogens<br />

wurden auch an einer klinischen Stichprobe von 145<br />

durchgeführt, die stationär oder ambulant kinder- und<br />

jugendpsychiatrisch behandelt wurden. Es ergaben sich<br />

Kennwerte in gleicher Höhe wie in der Normalstichprobe.<br />

Die Validierung erfolgte in der Normalstichprobe an<br />

anderen Verfahren zur Beurteilung von kindlicher Angst<br />

(u.a. Angstfragebogen für Schüler, AFS; Kinder-Angst-<br />

Test, KAT). Die Ergebnisse des SPAIK korrelierten z.B. in<br />

hohem Maße mit Skalen zur Prüfungsangst oder Schulunlust<br />

in anderen Fragebögen, nicht aber mit einem allgemeinen<br />

Lehrerurteil über die Schüchternheit des individuellen<br />

Schülers. Innerhalb der klinischen Stichprobe wurde nach<br />

kinder- und jugendpsychiatrischem Diagnoseschema eine<br />

Untergliederung von drei Gruppen vorgenommen: Kinder<br />

mit der Diagnose „Sozialphobie“, Kinder mit starken sozialen<br />

Ängsten im subklinischen Bereich, Kinder ohne auffällige<br />

soziale Ängste. Signifikante Unterschiede zwischen<br />

den Mittelwerten der drei Gruppen belegen die diskriminante<br />

Validität des SPAIK.<br />

7. Kritische Beurteilung<br />

Für die diagnostische Einschätzung sozialer Ängstlichkeit<br />

sind im deutschsprachigen Raum bereits mehrere Fragebögen<br />

eingeführt. Dazu gehört der Angstfragebogen<br />

für Schüler (AFS; Wiecerkowski et al., 1974), der Kinder-<br />

Angst-Test II (K-A-T-II; Thurner & Tewes, 2000), eine<br />

deutsche Version der „Social Anxiety Scale for Childrenrevised“<br />

(SASC-R-D), die ebenfalls von Melfsen (1998)<br />

vorgelegt wurde. Auch in umfassenden Persönlichkeitsinventaren<br />

wird dieser Merkmalsbereich systematisch<br />

erhoben („Persönlichkeitsfragebogen für Kinder zwischen<br />

9 und 14 Jahren“, PFK 9–14, VS4 = Zurückhaltung und<br />

Scheu im Sozialkontakt; Seitz & Rausche, 2004). Alle genannten<br />

Verfahren zielen auf den gleichen Altersbereich<br />

der 8- bis 16-jährigen Kinder und Jugendlichen ab. Auch<br />

die meistverwendete „Child Behavior Checklist“ (CBCL)<br />

enthält Items zu sozialen Problemen und Ängstlichkeit.<br />

Gegenüber diesen Verfahren hat der SPAIK den Vorteil,<br />

explizit auf die internationalen Kriterien der Diagnose<br />

einer Sozialphobie bezogen zu sein. Der Fragebogen zur<br />

sozialen Angst bei Kindern (SASC-R-D) und die Fragen,<br />

die im PFK 9–14 gestellt werden, sind weniger gut geeignet,<br />

soziale Scheu als Persönlichkeitsmerkmal von klinisch<br />

behandlungsbedürftigen emotionalen Störungen abzugrenzen.<br />

Der Kinder-Angst-Test ist zur Erfassung der allgemeinen<br />

Ängstlichkeit von Kindern konzipiert und nicht<br />

auf das akute emotionale Erleben in sozialen Situationen<br />

ausgerichtet, der Angstfragebogen für Schüler erfasst<br />

dagegen primär das Ausmaß sozial unsicheren Verhaltens<br />

in Schulsituationen (Prüfungsangst, Schulunlust, manifeste<br />

Angst).<br />

Mit dem SPAIK liegt somit ein Erfassungsinstrument<br />

für einen enger und klar umschriebenen Teilaspekt emotionaler<br />

Störungen mit kinder- und jugendpsychiatrischem,<br />

bzw. kinderpsychologischem Behandlungsbedarf<br />

vor. Allerdings ist zu zweifeln, ob damit wirklich Kinder mit<br />

einem spezifischen Störungsbild identifiziert werden können.<br />

Erste Erfahrungen im klinischen Alltag sprechen da-


Testinformationen<br />

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für, dass auch viele Kinder mit Störungen der Aufmerksamkeit,<br />

Aktivität und des Sozialverhaltens und Kinder<br />

mit anderen Formen von Angststörungen hohe Werte in<br />

diesem Fragebogen erreichen. Dies kann man in kinderund<br />

jugendpsychiatrischen Denkweisen als Belege für<br />

Komorbidität ansehen, macht aber die Beurteilung von<br />

Kindern, die mit emotionalen Störungen vorgestellt werden,<br />

und die Entscheidung über Therapieansatzpunkte<br />

und -ziele nicht leicht.<br />

Die Diagnose einer Sozialphobie sollte – wie allgemein<br />

die Beurteilung von emotionalen Störungen und Verhaltensauffälligkeiten<br />

– nicht auf einen einzelnen Fragebogen<br />

gestützt werden, sondern Ergebnis einer umfassenden<br />

Analyse der Symptome und ihrer Auftretensbedingungen<br />

sein. Ein Vorteil des SPAIK gegenüber anderen<br />

Inventaren zur Messung kindlicher Ängste liegt dabei in<br />

der systematischen Erfassung von Selbsteinschätzungen<br />

auf der physiologischen, kognitiven und behavioralen<br />

Ebene. Die Unterscheidung von Verhaltensmustern in verschiedenen<br />

sozialen Situationen (Interaktion, Leistungsanforderung,<br />

kognitive Symptome) stellt eine Hilfe für die<br />

Erstellung eines Behandlungsplanes dar. Somit kann das<br />

Verfahren als eine wertvolle Ergänzung des kinderpsychologischen<br />

Diagnose-Instrumentariums empfohlen werden.<br />

Literatur<br />

Beidel, D., Turner, S. & Morris, T. (1995). A new inventory<br />

to assess childhood social anxiety and phobia: The social<br />

phobia and anxiety inventory for children. Psychological<br />

Assessment, 7, 73–79.<br />

Beidel, D., Turner, S. & Morris, T. (1998). Social Phobia and<br />

Anxiety Inventory for Children. Toronto: Multi Health<br />

Systems.<br />

Melfsen, S. (1998). Die deutsche Fassung der Social Anxiety<br />

Scale for Children Revised (SASC-R-D): Psychometrische<br />

Eigenschaften und Normierung. Diagnostica, 44, 1–11.<br />

Seitz, W. & Rausche, A. (2004). Persönlichkeitsfragebogen für<br />

Kinder zwischen 9 und 14 Jahren (PFK 9–14) (4. Aufl.).<br />

Göttingen: Hogrefe.<br />

Thurner, F. & Tewes, U. (2000). Der Kinder-Angst-Test-II. Drei<br />

Fragebogen zur Erfassung der Ängstlichkeit und von Zustandsängsten<br />

bei Kindern ab 9 Jahren. Göttingen: Hogrefe.<br />

Wieczerkowski, W., Nickel, H., Janowski, A., Fittkau, B. &<br />

Rauer, W. (1974). Angstfragebogen für Schüler. Braunschweig:<br />

Westermann.<br />

Klaus Sarimski<br />

Kinderzentrum München<br />

Heiglhofstraße 63<br />

81377 München<br />

DOI: 10.1026/0012-1924.50.3.167

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