Programmheft - 4. Sinfoniekonzert - Theater Nordhausen
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LISZT, BRAHMS UND DRAESEKE IN Doch auch andere Künstler waren in<br />
LISZTS ORPHEUS, MEPHISTO UND<br />
4 SONDERSHAUSEN<br />
diesen Tagen von Bedeutung, und sie<br />
TOTENTANZ<br />
von Juliane Hirschmann<br />
gehörten längst nicht alle der „Neudeutschen<br />
von Juliane Hirschmann<br />
5<br />
Schule“, d. h. den Verfechtern<br />
u. a. von Programmmusik, an. Von<br />
Johannes Brahms etwa, dem erklärten<br />
Gegner Liszts, für den Programmmusik<br />
keine Bedeutung hatte, spielte man im<br />
Abschlusskonzert das 2. Klavierkonzert.<br />
Brahms hatte sich einst für die Stelle<br />
des Hofkapellmeisters in Sondershausen<br />
interessiert und sich im Juni 1870<br />
bei seinem Freund und dem damaligen<br />
Hofkapellmeister Max Bruch nach den<br />
Konditionen erkundigt. Eine Bewerbung<br />
um die Nachfolge Bruchs hat er später<br />
jedoch nicht weiter verfolgt.<br />
Schließlich brachte die Hofkapelle wäh-<br />
Franz Liszt, Fotografie von Pierre Petit<br />
rend der Tonkünstlerversammlung das<br />
(1860er oder 1870er Jahre)<br />
Klavierkonzert von Felix Draeseke zur<br />
Uraufführung. Draeseke war in jungen<br />
Jahren glühender Anhänger Franz Liszts<br />
gewesen und hatte eine aufsehenerregende<br />
Artikelserie über dessen Symphonische<br />
Dichtungen verfasst. Brahms<br />
fürchtete ihn als Konkurrenz auf sinfonischem<br />
Gebiet. In Sondershausen begegneten<br />
sich Liszt und Draeseke zum<br />
letzten Mal.<br />
Vom 3. bis 6. Juni 1886 trafen sich namhafte<br />
Größen des zeitgenössischen Musiklebens<br />
in Sondershausen. Anlass war<br />
die 23. Tonkünstlerversammlung des<br />
Allgemeinen Deutschen Musikvereins<br />
(ADMV), und sie stand unter einem ganz<br />
besonderen Vorzeichen. Denn diese<br />
Versammlung des 1861 von Liszt gegründeten<br />
Musikvereins sollte zugleich eine<br />
Vorfeier sein zu Liszts 75. Geburtstag am<br />
22. Oktober. Es wurde die letzte große<br />
Ehrung für den Komponisten. Er verstarb<br />
noch vor seinem Geburtstag am 31. Juli<br />
in Bayreuth.<br />
Der Versammlungsort Sondershausen<br />
hatte Symbolcharakter. Denn die thüringische<br />
Kleinstadt war seit den 1850er<br />
Jahren zu einem wichtigen Zentrum zeitgenössischer<br />
Musik, insbesondere derjenigen<br />
Liszts geworden. Wohl aufgrund<br />
vieler persönlicher Begegnungen hatte<br />
die Hofkapelle unter dem musikalischen<br />
Leiter Eduard Stein und später unter Max<br />
Erdmannsdörfer ein besonderes Verhältnis<br />
zu dem Komponisten, der seit<br />
1856 regelmäßig von Weimar nach Sondershausen<br />
gereist kam. Vor allem aber<br />
schätzte die Kapelle seine Musik, die<br />
andernorts vielfach auf Widerspruch<br />
stieß, und führte sie immer wieder auf.<br />
Liszt äußerte sich mehrfach begeistert<br />
über die Qualität der Sondershäuser<br />
Hofkapelle.<br />
Auf dem Programm der zahlreichen<br />
Konzerte, die im Juni 1886 in Sondershausen<br />
zu hören waren, stand natürlich<br />
viel Musik von Franz Liszt, zwei Konzerte<br />
waren ganz ihm gewidmet; in dem<br />
ersten der beiden spielte das Orchester<br />
ausschließlich instrumentale Werke,<br />
darunter auch Liszts „Totentanz“.<br />
Tonkünstlerversammlung, 3.–6. Juni 1886 in Sondershausen<br />
mit Franz Liszt (2. Reihe Mitte) (Ausschnitt)<br />
„In den vielen Anregungen, die er den<br />
Nachfolgern hinterließ, ist seine Wirkung<br />
vielleicht größer als die Wagners, der ein<br />
zu vollendetes Werk gab, als dass Spätere<br />
dem noch etwas hätten hinzufügen<br />
können“ ist Arnold Schönbergs Sicht auf<br />
Franz Liszt, einen der bedeutendsten<br />
und vielseitigsten Künstler des 19. Jahrhunderts.<br />
Franz Liszt genoss schon zu<br />
Lebzeiten einen legendären Ruf als Klaviervirtuose.<br />
Als Komponist stand er an<br />
vorderster Front einer musikalischen<br />
Avantgarde, die vom Fortschritt in der<br />
Musik überzeugt war und die Musikwelt<br />
polarisierte. Es gibt kaum eine<br />
Gattung, die Liszt nicht bediente. Mehr<br />
als die Hälfte seines Schaffens nimmt<br />
die Klaviermusik ein, und mit seinen 13<br />
Symphonischen Dichtungen schuf er<br />
eine neue und folgenreiche Gattung. Zu<br />
ihrer Zeit gleichermaßen bewundert wie<br />
gescholten wurde sie zum Inbegriff der<br />
„Neudeutschen Schule“. Liszt provozierte,<br />
und das nicht allein durch seine<br />
Musik; er war ein großer Schreiber, verfasste<br />
Essays, Aufsätze und Bücher.<br />
Nach 25 Jahren als gefeierter Pianist auf<br />
den Konzertpodien Europas ließ er sich<br />
1848 in Weimar als Hofkapellmeister<br />
nieder.<br />
Die Verbindung von Musik und Literatur<br />
zieht sich wie ein roter Faden durch sein<br />
Schaffen. Liszts Gattungsbegriff „Symphonische<br />
Dichtung“ verrät, worum<br />
es ihm ging. Er wollte die Gattung der<br />
Sinfonie fortführen, jedoch in einer Verschmelzung<br />
mit der Dichtung. Die Idee,<br />
solcherart eine Synthese von Musik und<br />
Dichtung anzustreben, war radikal neu.<br />
Die Symphonische Dichtung „Orpheus“<br />
entstand als Ouvertüre zur Christoph<br />
Willibald Glucks Oper „Orpheus und Eurydike“<br />
und kam am 16. Februar 1854<br />
zum Geburtstag der Großherzogin<br />
Maria Pawlowna erstmals in Weimar zur<br />
Aufführung.<br />
Liszt griff in diesem Werk nicht die<br />
Handlung des antiken Mythos auf; für<br />
ihn war der Sänger Orpheus in erster<br />
Linie Symbol für die veredelnde und die<br />
wilden Triebe bändigende Kunst. „Heute,<br />
wie ehemals“, schreibt er in seinem<br />
programmatischen Vorwort, „ist es<br />
Orpheus, ist es die Kunst, welche ihre<br />
melodischen Wogen, ihre gewaltigen<br />
Akkorde wie ein mildes, unwiderstehliches<br />
Licht über die widerstrebenden<br />
Elemente ergießt, die sich in der Seele<br />
jedes Menschen und im Innersten jeder<br />
Gesellschaft in blutigem Kampfe befehden.“<br />
Der für seine Symphonischen<br />
Dichtungen sonst eher herbe Klangcharakter<br />
weicht hier einer weichen, fast<br />
kontemplativen Klangwelt. Die Musik<br />
entspricht so dem veredelnden und<br />
sänftigenden Orpheus. Prominentes<br />
Instrument ist die Harfe, das Instru-