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PUNKT UND KREIS Michaeli 2014 -- Initiativ werden!

Zeitschrift für anthroposophische Heilpädagogik, individuelle Entwicklung und Sozialkunst Heft Nr. 37, Michaeli 2014; Schwerpunktthema: Initiativ werden!

Zeitschrift für anthroposophische Heilpädagogik, individuelle Entwicklung und Sozialkunst
Heft Nr. 37, Michaeli 2014; Schwerpunktthema: Initiativ werden!

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THEMA<br />

<strong>PUNKT</strong> und <strong>KREIS</strong><br />

zurückzukehren und in einer Stadt, in der dies am notwendigsten<br />

schien und auch gewollt war, eine heilpädagogische<br />

Einrichtung aufzubauen. Wir dachten an eine Schule, denn<br />

für sogenannte geistig behinderte Kinder – wir bezeichnen<br />

sie als Seelenpflegebedürftige – gab es damals noch keine<br />

Schulpflicht. Nach längerem Suchen fiel die Wahl auf das<br />

Ruhrgebiet, wo eine Gruppe von Ärzten und das damalige<br />

Kollegium der ersten Waldorfschule im Revier, der Schule<br />

in Bochum-Langendreer, großes Interesse an einer Verwirklichung<br />

unserer Ziele zeigten.
<br />

Wir begannen am 4. Februar 1964 unsere Arbeit zunächst<br />

als Tagesbildungsstätte, da es eben damals für diese<br />

Kinder noch keine Schulpflicht gab. Wir hatten einen regen<br />

Zustrom erwartet, weil Direktoren der Dortmunder Sonderschulen<br />

lebhaftes Interesse an unseren Absichten gezeigt<br />

hatten. Sie hatten so manche Kinder in ihrer schulischen<br />

Obhut, die einer anderen Förderung bedurft hätten. Aber es<br />

kamen nur drei Kinder und bald darauf zwei weitere. Wir<br />

begannen zunächst die Arbeit ohne die offizielle Anerkennung<br />

durch den Landschaftsverband Westfalen-Lippe, die<br />

wir als selbstverständlich vorausgesetzt hatten. Sie erfolgte<br />

jedoch erst ein Jahr später, was für uns bedeutete, dass wir<br />

zunächst auf eine Refinanzierung verzichten mussten.<br />

… der Untergang des Einen<br />

kann zum Aufgang<br />

des Anderen <strong>werden</strong> …<br />

PuK: Wie waren denn die äußeren Gegebenheiten?<br />

IK: Was uns fehlte, war Geld. Wir waren völlig mittellos,<br />

unser Kapital war der starke gemeinsame Wille, für all<br />

die schulisch nicht versorgten Kinder eine Entwicklungschance<br />

zu schaffen. Das Ziel war die Förderung dieser<br />

Kinder auf der Grundlage des Waldorf-Lehrplanes und<br />

der anthroposophischen Heilpädagogik.
Aber es mangelte<br />

zunächst an Allem! Wir hatten kaum ausreichend zu essen,<br />

etwa 20 Pfennig pro Person mussten am Anfang für<br />

ein Mittagessen reichen. Es gab kaum Geld für Heizöl, das<br />

wir alle fünf Wochen kauften. Aber in dieser Not kam uns<br />

auch immer wieder Hilfe zu. Eine Tüte Kaffee steckte unter<br />

der Autotürklinke, jemand schenkte uns gelegentlich samstags<br />

ein zusätzliches Brot, wir durften für längere Zeit bei<br />

einer nahegelegenen Tankstelle umsonst tanken. 1966 eröffneten<br />

mein Mann und ich dann eine ärztliche Praxis als<br />

finanzielle Grundlage des Ganzen. Auf den Fensterbrettern<br />

setzten sich täglich die schwarzen Emissionen der Indus-<br />

trie ab und wir wurden gefragt: Wieso seid Ihr bloß vom<br />

paradiesischen Tessin ins Ruhrgebiet gezogen? Mein Mann<br />

antwortete dann: «Wir sind von einem physischen in ein<br />

seelisches Paradies gekommen!»<br />

PuK: Wie kam es dann zur Begründung der Werkstätten<br />

Gottessegen 1973?<br />

Eve-Lis Damm: Die ersten Kinder wurden zu Jugendlichen<br />

und drängten hinaus ins Arbeitsleben, viele Werkstätten<br />

waren ausgebucht. Wir mussten zur Selbsthilfe<br />

greifen und wiederum wurde eine unsichtbare Führung<br />

erlebbar: Es wurde uns von einem Vorstandsmitglied der<br />

VEW ein großes Grundstück in Erbpacht angeboten. Auf<br />

diesem Grundstück standen einst die Fördertürme und das<br />

Verwaltungsgebäude der «Zeche Gottessegen». Kein Weg,<br />

kein Steg führte dahin, wir mussten über ein Schotterfeld<br />

und durch Buschgehölz steigen. Das war es, was wir vorfanden:<br />

Brachland. Nach einer segensreichen Entwicklung<br />

auch dieser <strong>Initiativ</strong>e konnten wir 2013 das 40-Jahr-Jubiläum<br />

der auf diesem Grundstück entstandenen «Werkstätten<br />

Gottessegen» feiern!<br />

PuK: Was waren Ihre inneren Motive?<br />

E-LD: Von Anfang an war die Atmosphäre durchzogen von<br />

Achtung und Verständnis für jeden Mitmenschen. In einem<br />

Vortrag Rudolf Steiners vom 21.09.1913 in Bochum, also genau<br />

100 Jahre vor diesem Jubiläum, wird ausgeführt: «Wir<br />

stehen in einem Felde modernster materieller Tätigkeit, wir<br />

gehören hauptsächlich dem äußeren Leben an. Gerade hier<br />

ist es notwendig, geistiges Streben und Fühlen zu pflegen.»<br />

Ja, diese Gesinnung lebte in uns, das wollten wir gerade hier<br />

im Ruhrgebiet tun, das äußere Leben mit dem inneren Leben<br />

verbinden, eine Stätte sollte begründet <strong>werden</strong>, in der diese<br />

Gesinnung gepflegt wird. Für diese Vision wurde uns ausgerechnet<br />

das Grundstück angeboten, das vorher eine Zeche<br />

war: Der Untergang des Einen kann zum Aufgang des Anderen<br />

<strong>werden</strong>, so wie der Tod zur Auferstehung führt.<br />

In einem Bergmannslied aus Böhmen besingen die Berg leute<br />

Erzengel Michael als ihren Schutzherrn. Es lautet: «Wenn ich<br />

komm vor meinen Ort, St. Michael, der steht schon dort. Er<br />

tut lehren mich und weisen, wie ich soll ansetzen den Schlegel<br />

und das Eisen.» Jene Männer ver richteten harte Arbeit,<br />

sie verwandelten mit «Schlegel und Eisen» Kohle zu Wärme<br />

und Licht und bereiteten somit den Boden für Kommendes,<br />

wo Menschenliebe durchs tägliche Miteinander Licht und<br />

Wärme ins Umfeld hinausstrahlen sollte.<br />

PuK: Herzliche Gratulation zum 50-jährigen Jubiläum<br />

und vielen Dank für Ihre interessanten Ausführungen.<br />

12 | michaeli <strong>2014</strong>

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