PUNKT UND KREIS Michaeli 2014 -- Initiativ werden!
Zeitschrift für anthroposophische Heilpädagogik, individuelle Entwicklung und Sozialkunst Heft Nr. 37, Michaeli 2014; Schwerpunktthema: Initiativ werden!
Zeitschrift für anthroposophische Heilpädagogik, individuelle Entwicklung und Sozialkunst
Heft Nr. 37, Michaeli 2014; Schwerpunktthema: Initiativ werden!
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THEMA<br />
<strong>PUNKT</strong> und <strong>KREIS</strong><br />
Wärme verwandelt in Mitgefühl<br />
Von Johannes Denger<br />
Das ist der Anfang, der Anfang dieses Beitrags über <strong>Initiativ</strong>e. Nichts geschieht ohne Anfang, alles geschieht<br />
zwischen Anfang und Ende. Wie aber kommt es zu einem Anfang? Wie kommt Neues in die<br />
Welt? Durch Ideen, die von Menschen intuitiv erfasst und hervorgebracht <strong>werden</strong>. Nicht alle Menschen<br />
sind gleich begabt darin, Neues zu denken. Nicht jeder, der einen guten Einfall hat, ist auch fähig, diesen<br />
in die Tat umzusetzen. Wir sind unterschiedlich begabt und brauchen einander, damit wir uns ergänzen<br />
können.<br />
Der Mensch braucht für sein Handeln ein Motiv,<br />
einen Beweg-Grund. Ein Motiv, das am Anfang vieler<br />
Gründungen von Gemeinschaften, von Einrichtungen im<br />
anthroposophischen Sozialwesen stand, ist das Soziale.<br />
Was ist sozial? Man kann sozial definieren als «… die<br />
Not des Mitmenschen zum Motiv des eigenen Handelns<br />
(zu) machen.» 1 Und tatsächlich stand am Beginn von<br />
Gründungs initiativen der anthroposophischen Heilpädagogik<br />
oft ein Kind oder ein erwachsener Mensch mit Behinderung,<br />
der durch sein Sosein und seine Bedürfnisse<br />
andere Menschen intuitionsfähig machte und so als der<br />
oder die eigentliche GründerIn angesehen <strong>werden</strong> kann!<br />
Nehmen wir ein Beispiel: Karl König, der Begründer der<br />
Camphill-Bewegung, kam als junger Arzt in den Sonnenhof<br />
nach Arlesheim zu Besuch und nahm am sogenannten «Adventsgärtchen»<br />
teil, einem aus Tannengrün spiral förmig gelegten<br />
Weg zu einer großen Kerze in der Mitte des Raumes,<br />
zu der jedes Kind geht, um die eigene Kerze zu entzünden.<br />
Als König ein schwerbehindertes Kind mit Unterstützung<br />
seine Kerze entzünden sah, wurde ihm an diesem Urbild<br />
schlagartig intuitiv sein Motiv bewusst, sinngemäß etwa:<br />
Ich will diesen Kindern dabei helfen, dass sie ihr eigenes<br />
Licht leuchten lassen können!<br />
In seiner Philosophie der Freiheit unterscheidet Rudolf<br />
Steiner drei Stufen zur Verwirklichung von <strong>Initiativ</strong>e. 2<br />
Die erste ist die Fähigkeit, etwas aus der Ideenwelt aufzufassen,<br />
er nennt sie moralische Intuition. Diese Wahrnehmung<br />
ist zunächst rein geistiger Natur. Will ich die<br />
Intuition selber verstehen und mit anderen teilen können,<br />
so muss ich sie durch moralische Phantasie in eine – auch<br />
sprachlich kommunizierbare – Vorstellung umsetzen.<br />
Moralische Technik ist es drittens, was es braucht, um die<br />
intuitiv erfahrene und dann in eine Vorstellung gefasste<br />
Idee so in die Wirklichkeit zu führen, dass sie darin wirksam<br />
<strong>werden</strong> kann.<br />
Es gibt, wie gesagt, Menschen, die geeignet sind, neue<br />
Ideen zu haben, andere, die eher die Fähigkeit haben, sie<br />
umzusetzen. Hier wird Zusammenarbeit notwendig und<br />
fruchtbar. Natürlich spielt auch die Zeit eine Rolle, in der<br />
<strong>Initiativ</strong>en verwirklicht <strong>werden</strong>. In der Pionierphase der<br />
anthroposophisch-heilpädagogischen Bewegung waren die<br />
<strong>Initiativ</strong>trägerInnen wohl oft starke Einzelpersönlichkeiten,<br />
die dann Gemeinschaftsbildung angeregt haben. Heute<br />
scheint es mehr um vernetzte Gruppierungen zu gehen, die<br />
wirksam <strong>werden</strong>. Aber auch heute geht die Idee durch das<br />
Individuum, findet der Einzelne zu seiner Motivbildung.<br />
Es gibt Menschen, die geeignet<br />
sind, neue Ideen zu haben, andere,<br />
die eher die Fähigkeit haben,<br />
sie umzusetzen.<br />
Die Verwirklichung von Ideen ist allerdings nicht nur<br />
eine moralisch-technische Aufgabe, sondern vordringlich<br />
ein Problem des Willens. Rudolf Steiner beschreibt in<br />
seiner Michael-Imagination das Eisen im Blut als den Träger<br />
der <strong>Initiativ</strong>kraft und die Wirkung des Eisens im Blut<br />
als eine mikrokosmische Entsprechung zu einem makrokosmischen<br />
Vorgang in der Spätsommer-/Herbstzeit: «Die<br />
Vorgänge, die sich in jedem Blutkörperchen abspielen,<br />
wenn die Eisenverbindung hineinschießt, die ist menschlich,<br />
im ganz Kleinen, minuziös dasselbe, was sich abspielt,<br />
wenn der Meteorstein leuchtend, strahlend durch die Luft<br />
8 | michaeli <strong>2014</strong>