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Hydrostatischer Radantrieb als alternatives Allradkonzept für ...

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<strong>Hydrostatischer</strong> Achsantrieb für Nutzfahrzeuge<br />

ein neues Konzept für Allradantrieb<br />

Dipl.-Ing. FH Gerd Rühmann<br />

Dipl.-Ing. Thomas Reiter<br />

Ing. HTL Wolfgang Greinöcker<br />

MAN Nutzfahrzeuge AG<br />

Dachauerstr. 667<br />

80995 München<br />

Der konventionelle Allradantrieb beim Nutzfahrzeug erfolgt heute durch Drehmomentverteilung<br />

im Verteilergetriebe an die zweistufig übersetzten Vorder- und Hinterachsen. Je nach<br />

Fahrzeugtyp und Einsatz werden 1gängige, 2gängige, permanent oder zuschaltbare Verteilergetriebe<br />

mit angepasster Antriebsmomentverteilung verwendet.<br />

Allradfahrzeuge haben im Vergleich zu nicht allradgetriebenen die typischen Nachteile, wie<br />

größere Fahrzeughöhe, Mehrgewicht, höherer Kraftstoffverbrauch, Ausschluss der Luftfederung<br />

und höhere Wartungskosten.<br />

Auf der IAA 2000 erfolgte die Weltpremiere des ersten Allrad-LKWs mit hydrostatisch angetriebener<br />

Vorderachse. Das Antriebsmoment wird bei diesem Fahrzeug über Radialkolben<br />

Radnabenmotore an die Vorderräder übertragen. Der hierzu notwendige Arbeitsdruck wird<br />

von einer Schrägscheibenkonstantpumpe erzeugt, die wiederum über eine am Schaltgetrieberetarderantrieb<br />

angeflanschte Stirnradstufe mit Lastschaltkupplung angetrieben wird.<br />

Entwicklungsschwerpunkt war die Systemintegration des zur Steuerung notwendigen Ventilblocks,<br />

der elektronischen Steuerung für Zu- und Abschaltung des Allradantriebes, sowie der<br />

Hydraulik-Hardwarekomponenten.<br />

Dieses <strong>Allradkonzept</strong>, bis zu einer Geschwindigkeit von 30 km/h, senkt im Vergleich zu einem<br />

4 x 4 LKW mit mechanischem Allrad, das Gewicht um 400 kg bei gleichzeitig reduziertem<br />

Kraftstoffverbrauch aufgrund geringerer Reibungsverluste.<br />

Es eröffnen sich durch diese, für Nutzfahrzeuge neue Antriebsart, Perspektiven, die über die<br />

klassische Allradverwendung hinaus gehen, z. B. Einsatz bei Fernverkehrsstrassenfahrzeugen.


1. Einleitung<br />

Die meisten Nutzfahrzeughersteller produzieren speziell für den Einsatz auf unbefestigten<br />

Straßen und im Gelände allradgetriebene Fahrzeuge.<br />

Diese Fahrzeuge haben im Gegensatz zu reinen Straßenfahrzeugen mit meist nur einer angetriebenen<br />

Achse je nach Bauart, zwei bis vier angetriebene Achsen.<br />

Für Baustellenfahrzeuge <strong>als</strong> Kipper kommen oftm<strong>als</strong> 6 x 4 Fahrzeuge oder 6 x 6 Fahrzeuge<br />

zum Einsatz.<br />

Aufgrund der Achslastverteilung von 2 x 13t an der Hinterachse und 7,5t an der Vorderachse<br />

kann man erkennen, dass der Großteil des Antriebsmomentes auf die Hinterachsen übertragen<br />

wird. Bei Bergauffahrt verändert sich dieses Verhältnis weiter zugunsten der Hinterachse.<br />

Das Zusatzantriebsmoment der Vorderachse wird nur bei besonders schwerem Gelände<br />

benötigt oder bei extremen Witterungsbedingungen.<br />

Wegen dieser relativ geringen Einschaltdauer des Allrades erscheint die Anwendung dieser<br />

Technik unwirtschaftlich. Benötigt und vom Kunden gefordert wird sie trotzdem.<br />

2. Fahrzeuge mit herkömmlichem Allradantrieb<br />

Bei der Betrachtung von Baustellenfahrzeugen bzw. Allradfahrzeugen liegt der Schluss nahe,<br />

dass die meisten Fahrzeuge mit einem sogenannten zuschaltbarem Allrad auskommen<br />

müßten und keinen permanenten Allradantrieb benötigen.<br />

Ein Blick auf die MAN-Produktionsstatistik bestätigt dies (Bild 1).<br />

Bild 1<br />

2


Von den jährlich ca. 4.000 produzierten Allradfahrzeugen bei MAN waren 9% mit permanentem<br />

Allrad ausgerüstet und 91% mit zuschaltbarem.<br />

Vorteile des zuschaltbaren Allrades bestehen im geringeren Gewicht und geringeren Kosten<br />

durch Entfall des Längsdifferentiales. Es wird bei Abschaltung kein Drehmoment übertragen,<br />

trotzdem drehen alle Zahnräder der Achse und die Gelenkwelle mit, so dass der Antriebswirkungsgrad<br />

deutlich ungünstiger ist, <strong>als</strong> bei 4 x 2 Fahrzeugen.<br />

Beide Getriebebauarten haben einen Straßen- und einen Geländegang.<br />

Für beide Verteilergetriebebauformen, permanent und zuschaltbar, ergeben sich folgende<br />

Nachteile:<br />

- erhebliches Fahrzeugmehrgewicht<br />

- ungünstiger Antriebswirkungsgrad, bedeutet höherer Treibstoffverbrauch auch bei<br />

abgeschalteter Vorderachse<br />

- Zuschaltung des Allrades nur bei Stillstand bzw. Langsamfahrt, das bedeutet Unterbrechung<br />

der dynamischen Fahrt.<br />

All dies war Grund genug, eine neue, bessere Allradtechnik zu entwickeln.<br />

Als beste geeignete Alternative zeigte sich ein hydraulischer Antrieb, in Form einer hydrostatisch<br />

angetriebenen Vorderachse. Dieses System wurde mit dem Entwicklungspartner Fa.<br />

Poclain Hydrauliks entwickelt.<br />

3


3. <strong>Hydrostatischer</strong> Allradantrieb<br />

3.1 Technische Merkmale<br />

Bild 2 zeigt die klassische Anordnung von Verteilergetriebe, Achsen und Gelenkwellen.<br />

Bild 2<br />

Der hydrostatische Allradantrieb weist folgende technische Merkmale auf Bild 3:<br />

Bild 3<br />

4


3.2 Systembeschreibung<br />

Das Antriebsschema des Hydroallrades sieht folgendermaßen aus (Bild 4):<br />

Bild 4<br />

Es handelt sich bei dem System um einen geschlossenen Kreislauf, der mit dem mechanischen<br />

Antrieb des Nutzfahrzeuges gekoppelt wird.<br />

Das System besteht aus einem Hochdruck- und einem Niederdruckkreis. Hochdruck heißt<br />

ca. 450 bar und Niederdruck ca. 30 bar.<br />

5


Die an den Radnaben angeordneten Hydromotore werden über die am Getriebe Retarderantrieb<br />

angeflanschte Schrägscheibenkonstantpumpe angetrieben.<br />

Geschaltet wird das System mit einem druckluftgesteuerten Ventilblock, der zwischen Pumpe<br />

und Radnabenmotoren sitzt.<br />

Zum Niederdruckkreis gehört die vom Motornebenabtrieb angetriebene Speisepumpe, der<br />

Ölkühler und der Öltank.<br />

Gesteuert wird das System von der Zentralelektronik.<br />

Wenn das System nicht eingeschaltet ist, sind die Radnabenmotore abgekoppelt. Die Kolben<br />

der Radnabenmotore werden mit Federn eingezogen.<br />

In diesem Zustand ist der Ventilblock zum Tank hin geöffnet, so dass ein geringer Ölstrom<br />

mit einem geringen Druck von der Speisepumpe umgewälzt wird.<br />

Beim Einschaltvorgang wird über die Elektronik mit einem Magnetschaltventil der Ventilblock<br />

in Bypass geschaltet, d. h. die Speisepumpe baut einen Druck von 30bar auf. Dann erfolgt<br />

die Einkupplung der Konstantpumpe und zuletzt wird im Ventilblock der Bypass geschlossen.<br />

Die Pumpe fördert nun Öl zu den Radnabenmotoren und erzeugt dort das benötigte Drehmoment.<br />

Eine Regelung des Ölstromes bei unterschiedlichen Fahrgeschwindigkeiten ist nicht notwendig.<br />

Die Pumpe dreht in einem konstanten Verhältnis zur Gelenkwellendrehzahl. Bei zunehmender<br />

Geschwindigkeit und steigender Drehzahl der Radmotoren wird ein größerer Volumenstrom<br />

von den Radmotoren abgefordert.<br />

Das System funktioniert ebenso bei Rückwärtsfahrt, es vertauschen sich Saug- und Druckleitungen<br />

des Hochdruckkreises. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit wird durch die Elektronik<br />

überwacht und schaltet bei 30 km/h ab und bei 26 km/h automatisch wieder ein.<br />

6


3.3 Systembaugruppen<br />

Die Systembaugruppen bestehen aus dem <strong>Radantrieb</strong> mit den hydrostatischen Motoren.<br />

3.3.1 <strong>Radantrieb</strong><br />

Grundsätzlich kann jede MAN-Faustachse mit dieser Antriebstechnik dargestellt werden. Die<br />

Unterschiedsteile sind der Achsschenkel mit den Ölbohrungen, die Radnabe und die Radlagerung.<br />

Die Achse ist für eine max. Achslast von 9,0t ausgelegt.<br />

Der stehende Teil des Hydromotors ist auf das verzahnte Ende des Achsschenkels aufgesteckt.<br />

Der Deckel des Motors ist mit der Radnabe verschraubt. Bild 5<br />

Bild 5<br />

7


Bild 6 zeigt die so genannte Base, den stehenden Teil des Motors und den Kurvenbahnring<br />

in der Vorderansicht dargestellt. In diesem Beispiel besteht der Motor aus 8 Kolben mit hydrodynamisch<br />

gelagerten Rollen.<br />

Bild 6<br />

Bei nicht eingeschaltetem Allrad befinden sich die Kolben am unteren Todpunkt und werden<br />

mit Federn in dieser Position gehalten.<br />

Über den Stromverteiler, der mit Raddrehzahl dreht werden die Kolben mit Öl versorgt, das<br />

an der Unterseite zugeführt wird. Es erfolgt so die Steuerung von Druck- zu Saugmodus. Die<br />

Rolle des Kolbens wird bei Druck gegen die Kurvenbahn gedrückt und erzeugt so das Raddrehmoment.<br />

8


3.3.2 Pumpenantrieb Bild 7<br />

Bild 7<br />

Die andere Hauptbaugruppe ist die Stirnradstufe zum Antrieb der Pumpe. Dieses Getriebe<br />

wird dort angeflanscht, wo normalerweise der Retarderantrieb sitzt. Das heißt, dass diese<br />

Fahrzeuge nicht mit einem Retarder ausgerüstet werden können.<br />

Das Zu- und Abschalten der Pumpe erfolgt über einen Druckluftkolben auf die<br />

Lamellenkupplung.<br />

Da die Konstantpumpe und die Radnabenmotore in einem vorgegebenen Übersetzungsverhältnis<br />

miteinander arbeiten müssen, ist bei unterschiedlichen Hinterachsübersetzungen eine<br />

Drehzahlanpassung erforderlich. Diese Angleichung erfolgt an der Stirnradstufe.<br />

9


4. Wirkungsgrade und Drehmomente Bild 8<br />

Bild 8<br />

Das nächste Bild zeigt den Vergleich der Drehmomente an der Vorderachse von Hydrostat<br />

zu mechanisch angetriebener Vorderachse.<br />

Man erkennt, dass der mechanische Antrieb in den unteren Gängen ein höheres Drehmoment<br />

<strong>als</strong> der Hydrostat übertragen kann. Dies spielt in der Praxis jedoch keine Rolle, da bei<br />

einem µ von ca. 0,5 kein höheres Moment übertragen werden kann, und somit der Hydrostat<br />

vollkommen ausreicht.<br />

Das max. Moment von 15.000 Nm erreicht der Hydro-Allrad bei einem Betriebsdruck von 450<br />

bar.<br />

10


Dieses Moment (Bild 9) baut sich nach dem Einschalten sehr kurzfristig auf. Man erkennt<br />

eine Einschaltdauer von ca. 1 sec. Und die unterschiedlichen Drücke entstehen durch den<br />

jeweiligen Drehmomentbedarf der augenblicklichen Fahrzustände.<br />

Bild 9<br />

Die Wirkungsgrade des eingeschalteten hydrostatischen Allradantriebes werden bis dato nur<br />

durch Simulationsrechnung ermittelt. Die Verlustleistung in Abhängigkeit vom Drehmoment<br />

und somit der Druck des Hydromotors ist relativ konstant. Der zunehmende Leckölstrom bei<br />

steigendem Druck macht sich nur geringfügig bemerkbar.<br />

Im Prinzip ist jedoch der Wirkungsgrad im eingeschalteten Zustand nicht von großem Interesse,<br />

da die Betriebszeiten sehr kurz sind in Bezug auf die Gesamtfahrleistung. Das heißt,<br />

in der Gesamtbilanz des Kraftstoffverbrauches spielt dies keine Rolle.<br />

11


5. Zusammenfassung<br />

Mit dem nächsten Bild (Bild 10) sind die wesentlichen Bauteile des Hydroallrades mit den<br />

Einzelteilen des Radnabenmotors dargestellt: Deckel, Stromverteiler, Hydrobase und Kurvenbahnring.<br />

Auf der rechten Seite ist der Antrieb für die Pumpe und dem Ventilblock zu sehen.<br />

Bild 10<br />

12


Das Bild 11 zeigt die möglichen Anwendungsgebiete des hydrostatischen Allrades, die vom<br />

klassischen Kipper über Feuerwehrfahrzeuge, Transportmischer bis zur Sattelzugmaschine<br />

reichen.<br />

Bild 11<br />

13

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