in Hattstedt 2013
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Seebäder, Badesitten und Bademoden<br />
Um 1750 entdeckten englische Ärzte, dass<br />
sich das Bad im Meer positiv auf die Gesundheit<br />
auswirkt und rieten zum Bad <strong>in</strong><br />
offener See. Zu se<strong>in</strong>er Zeit war das e<strong>in</strong>e<br />
Sensation. Die Mediz<strong>in</strong>er dachten dabei<br />
mehr an entkräftete Industriearbeiter. Diese<br />
konnten sich den Luxus jedoch nicht leisten.<br />
Die oberen Zehntausend aber nutzten diese<br />
Erkenntnis. Anfangs badete nur der Adel. Es<br />
wurde Mode, sich Sommerreisen an die See<br />
zu leisten. So entstand Ende des 18. Jahrhunderts<br />
aus e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Fischerdörfchen<br />
das Seebad Brighton.<br />
Deutschland hatte noch ke<strong>in</strong> Seebad,<br />
obwohl Ärzte und Wissenschaftler allerorts<br />
längst von den Erfolgen ihrer britischen Kollegen<br />
überzeugt waren. Der Preußenkönig<br />
Friedrich II konnte vom S<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>es Seebades<br />
nicht überzeugt werden. Erst der Herzog<br />
von Mecklenburg-Schwer<strong>in</strong> engagierte sich<br />
auf Anraten se<strong>in</strong>es Arztes. So entstand, nahe<br />
der Sommerresidenz des Herzogs, 1793 das<br />
erste deutsche Seebad Heiligendamm.<br />
Was <strong>in</strong> Mecklenburg entstand wollten<br />
andere auch. Es brachte wirtschaftliche<br />
Vorteile mit sich und so entstand 1819 das<br />
erste nordfriesische Seebad <strong>in</strong> Wyk auf<br />
Föhr. Die Föhrer<br />
begrüßten diese<br />
Entwicklung. Sie<br />
erlitten vorher<br />
wirtschaftliche<br />
Not. Die Walfangzeiten<br />
waren<br />
vorbei, die<br />
napoleonische<br />
Seehandelsblockade<br />
machte<br />
ihnen das Leben<br />
zusätzlich<br />
schwer. Nach bescheidenen<br />
Anfängen<br />
florierte<br />
der Badebetrieb.<br />
Die glanzvollste Zeit begann um 1842, als<br />
der dänische König Christian VII die Insel<br />
als Sommerziel wählte. In Wyk entstanden<br />
Königshaus und –garten, also alle Bequemlichkeiten<br />
e<strong>in</strong>er Residenz. Die königlichen<br />
Hoheiten mit ihrem Hofstaat taten etwas<br />
für die Gesundheit und pflegten das gesellschaftliche<br />
Vergnügen. Im Gefolge strömte<br />
per Schiff alles auf die Insel was Rang<br />
und Namen hatte und dazugehören wollte<br />
– auch die elegante Welt.<br />
Zu der Zeit herrschten strenge Moralvorstellungen.<br />
Aus Sorge um Sitte und Moral<br />
hielten die Menschen sich an strenge Regeln.<br />
Es gab Badestrände, getrennt für Männer<br />
und für Frauen. Schirme oder Bretterzäune<br />
sorgten für zusätzlichen Sichtschutz.<br />
Zu Beg<strong>in</strong>n badeten die Gäste von kle<strong>in</strong>en<br />
Badeschiffen aus, die im flachen Wasser<br />
verankert waren. Die Badenden wurden <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>en Käfig im Rumpf des Schiffes gesteckt,<br />
Aalkasten genannt, und untergetaucht. Mit<br />
dem Nachteil, dass die Badegäste oft seekrank<br />
wurden und dickere Personen nicht<br />
h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> passten.<br />
Spätere Jahre badete man von e<strong>in</strong>er Badekab<strong>in</strong>e<br />
vom Strand aus. Wer es sich leisten<br />
konnte, ließ sich im Badekarren von<br />
e<strong>in</strong>em Reiter <strong>in</strong>s Meer ziehen. Man kleidete<br />
sich im Karren aus, an der h<strong>in</strong>teren Seite der<br />
Karren war e<strong>in</strong> zeltartiger Sichtschutz, der<br />
herabgelassen werden konnte. So konnten<br />
die Badenden für wenige M<strong>in</strong>uten ungesehen<br />
<strong>in</strong>s Wasser tauchen. Auf Anraten der<br />
Ärzte badeten die meisten Gäste nackt,<br />
man benötigte nur e<strong>in</strong> Handtuch h<strong>in</strong>terher.<br />
Eventuell blieb der Badekarren längere Zeit<br />
im Wasser stehen, der Reiter kam wieder<br />
an Land, und Badediener und Badefrauen<br />
betreuten die rollenden Stübchen. Sie achteten<br />
ferner auf die E<strong>in</strong>haltung der Badevorschriften.<br />
Bilder: Archiv Foto Ingwersen, Wyk auf Föhr<br />
Über Badende, die sich<br />
dieser Karren und Kab<strong>in</strong>en<br />
nicht bedienten berichten<br />
Beobachter von e<strong>in</strong>er „lächerlichen<br />
und unpraktischen<br />
Mummerei“. Soll<br />
heißen: die Badenden g<strong>in</strong>gen<br />
ggf. mit überlangen,<br />
Säcken ähnlichen Gewändern<br />
<strong>in</strong>s Bad. Die Stoffe<br />
waren meistens gefärbt<br />
und färbten auch auf die<br />
Haut ab. Sie wurden dicht<br />
und filzig durch die Fluten.<br />
Die von den Ärzten<br />
angestrebte gesundheitliche<br />
Wohltat durch das Wasser g<strong>in</strong>g damit<br />
verloren. Noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts<br />
herrschten diese strengen Moralvorstellungen.<br />
Um 1900 wurden vermehrt Familienbäder<br />
e<strong>in</strong>gerichtet und die Trennung zwischen<br />
Damen- und Herrenbädern aufgehoben. Familien<br />
durften geme<strong>in</strong>sam am Strand spielen<br />
und baden sowie e<strong>in</strong>e neue Art der Geselligkeit<br />
pflegen, wie z.B. die Strandgymnastik<br />
(s. Foto). Voraussetzung dafür war aber die<br />
richtige Bademode, die e<strong>in</strong>er Verordnung<br />
zu entnehmen war. Unter „richtiger“ Kleidung<br />
verstand man se<strong>in</strong>erzeit: undurchsichtige<br />
Anzüge mit Be<strong>in</strong>kleid <strong>in</strong> dunkler Farbe,<br />
bei Frauen auch gerne mit<br />
Schößchen, der Stoff durfte<br />
<strong>in</strong> nassem Zustand nicht<br />
ankleben.<br />
Die Sommerfrische für<br />
die normalen Bürger fand<br />
erst mit fortschreitender<br />
Industrialisierung statt. Die<br />
Städter suchten Erholung<br />
<strong>in</strong> den Seebädern. Da viele<br />
noch ke<strong>in</strong> Recht auf Urlaub<br />
hatten, oft nur für e<strong>in</strong> Wochenende.<br />
Aber der Sommerurlaub<br />
war nicht mehr<br />
e<strong>in</strong> Privileg der Reichen.<br />
Inge Molzen<br />
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