Kunst in finstrer Zeit Er war <strong>de</strong>r Anti-Mandarin: Der Kunsthistoriker Richard Hamann gefiel sich in <strong>de</strong>r Rolle als Außenseiter <strong>de</strong>r Zunft. Im Nationalsozialismus gelang es <strong>de</strong>m Marburger Institutsleiter gera<strong>de</strong> noch, <strong>de</strong>n Kopf aus <strong>de</strong>r Schlinge zu ziehen. Im Herbst 1913 trat Richard Hamann, ein Schüler Wölfflins und Diltheys, seine 36 Jahre währen<strong>de</strong> Marburger Lehrtätigkeit an. Nach einer vorhergehen<strong>de</strong>n Professur an <strong>de</strong>r Königlichen Aka<strong>de</strong>mie in Posen (1911-1913) be<strong>de</strong>utete <strong>de</strong>r Ruf an die Philippina für <strong>de</strong>n damals Vierunddreißigjährigen das erste Ordinariat an einer traditionsreichen Hochschule. Seine Forschungen zur Ästhetik, zur italienischen Frührenaissance sowie zu Impressionismus und Mo<strong>de</strong>rne hatten ihn für diese Aufgabe qualifiziert. In Marburg setzte sich Hamann dann überwiegend mit <strong>de</strong>r mittelalterlichen Kunst in Deutschland und Frankreich auseinan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r er eine dichte Folge von Büchern und Aufsätzen widmete. Erst die Hochschul-Prosperität <strong>de</strong>r Weimarer Zeit gab <strong>de</strong>m ehrgeizigen jungen Ordinarius die Möglichkeit, das Marburger Seminar, das er über Jahrzehnte hinweg prägte, zu einer <strong>de</strong>utschlandweit führen<strong>de</strong>n Forschungs- und Ausbildungsstätte zu formen. En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r zwanziger Jahre stand die Marburger Kunstwissenschaft gera<strong>de</strong>zu großartig da. Das <strong>de</strong>m Seminar angeschlossene Bildarchiv gehörte seit langem zu <strong>de</strong>n überregional bekannten Instrumentarien <strong>de</strong>s Fachs. 1922 hatte Hamann <strong>de</strong>n Institutsverlag gegrün<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>r fortan nicht nur das renommierte Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft, son<strong>de</strong>rn auch zahlreiche Buchpublikationen hervorbrachte. Die hauseigenen, im Tauschverkehr verbreiteten Publikationen garantierten dann auch <strong>de</strong>n kräftigen Zuwachs <strong>de</strong>r kunstgeschichtlichen Bibliothek, <strong>de</strong>r die erstaunliche Zahl von mehr als tausend Neuzugängen jährlich bisweilen <strong>de</strong>utlich überschritt, eine Größenordnung, von <strong>de</strong>r das Seminar heute nur noch träumt. 1927 bezog man dann das auf Drängen Hamanns neu errichtete Jubiläums-Kunstinstitut, das in einer damals einzigartigen Konzeption sämtliche Monumentenfächer unter einem Dach vereinte. 1930 wur<strong>de</strong> schließlich das <strong>de</strong>m Seminar angeschlossene Preußische Forschungsinstitut für Kunstgeschichte eröffnet, ein glückloser Vorläufer <strong>de</strong>s Münchener Zentralinstituts, <strong>de</strong>m neben <strong>de</strong>r Verwaltung und <strong>de</strong>m Ausbau <strong>de</strong>s Fotoarchivs vor allem die Erforschung <strong>de</strong>r künstlerischen Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland oblag. Als Doppelspitze dieses Instituts wie auch <strong>de</strong>s Seminars mag Hamann in <strong>de</strong>r Rückschau als Vorläufer jener Drittmittelmanager anmuten, die in <strong>de</strong>r heutigen Hochschullandschaft so selbstverständlich erscheinen. Mit <strong>de</strong>r institutionellen Ausweitung ging eine Explosion <strong>de</strong>s Lehrkörpers einher. Allein im Jahr 1928 konnte <strong>de</strong>r Marburger Ordinarius vier Privatdozenten durch ihr Habilitationsverfahren geleiten, seinen Schüler Hermann Deckert, Hans Weigert, Kurt Steinbart und Richard Krautheimer, jenen im Hinblick auf sein wissenschaftliches Lebenswerk wohl be<strong>de</strong>utendsten Kunsthistoriker, <strong>de</strong>n die Philippina in ihren Annalen verzeichnet. Hamann wirkt im Rückblick als Vorläufer heutiger Forschungsmanager. Krautheimer hatte sich zuvor um eine Habilitation an <strong>de</strong>r <strong>Uni</strong>versität Bonn bemüht, fühlte sich durch die antisemitischen Äußerungen <strong>de</strong>s dortigen Ordinarius jedoch abgestoßen. Diese im universitären Milieu <strong>de</strong>r zwanziger Jahre allzu gängige Pose teilte Hamann nicht. Krautheimer, <strong>de</strong>r sich in Marburg mit einem Buch über mittelalterliche Synagogen habilitierte, folgte 1929 <strong>de</strong>r jüdische Honorarprofessor Otto Homburger sowie <strong>de</strong>r Institutsassistent Robert Freyhan, <strong>de</strong>n die nationalsozialistischen Rassenlehre als „Halbju<strong>de</strong>n“ abstempeln sollte. Den Judaica war dann auch eine unübersehbare Abteilung <strong>de</strong>r großen Ausstellung religiöser Kunst aus Hessen und Nassau gewidmet, mit <strong>de</strong>r Hamann und seine Mitarbeiter 1928 <strong>de</strong>n Jubiläumsbau für ein breiteres Publikum öffneten, und noch im Februar 1933 diskutierte man darüber, im Verlag <strong>de</strong>s Seminars eine Schrift <strong>de</strong>s jüdischen Forschers Max Grunwald über polnische Holzsynagogen herauszubringen. Wie zu erwarten, kam es dazu nicht. Seinen Erfolgen zum Trotz gefiel sich Hamann in <strong>de</strong>r Rolle <strong>de</strong>s aka<strong>de</strong>mischen Außenseiters. Seine Distanz zu <strong>de</strong>m, was Fritz K. Ringer als das <strong>de</strong>utsche „Mandarinentum“ bezeichnet hat – gemeint ist die großbürgerliche, konservativ-national gesinnte Clique <strong>de</strong>r eisern an ihrem elitären Status festhalten<strong>de</strong>n Ordinarien und Geheimräte –, war wohl schon seiner Herkunft geschul<strong>de</strong>t, hatte sich Hamann doch aus einfachen Verhältnissen hochgearbeitet. Noch als Ordinarius galt er als <strong>de</strong>r linke Kunsthistoriker lan<strong>de</strong>sweit. Er propagierte dann auch ein Prinzip, das die Mandarine seit Jahrzehnten als Bedrohung ihrer vermeintlich freiheitlich-privilegierten Existenz empfun<strong>de</strong>n hatten, nämlich die praktische Anwendbarkeit wissenschaftlicher Arbeit. Intellektuelle und manuelle Tätigkeiten griffen bei ihm und seinen Mitarbeitern vor allem dann ineinan<strong>de</strong>r, wenn es galt, die Bestän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Bildarchivs durch aufwendige Fotokampagnen zu erweitern. Die Wertschätzung manueller Arbeit und <strong>de</strong>r arbeiten<strong>de</strong>n Schichten ging Hand in Hand mit <strong>de</strong>m inneren Auftrag, diesen breiteren Kreisen im Sinne <strong>de</strong>r Volksbildung Kunstgeschichte zu vermitteln. Etliche <strong>de</strong>r Publikationen <strong>de</strong>s Marburger Verlags waren somit nicht an die aka<strong>de</strong>mischen Fachgenossen, son<strong>de</strong>rn an ein Laienpublikum gerichtet. Die kritische Distanz zum Establishment seiner Zunft zeichnete ebenso Hamanns Schriften aus. Das nationale Pathos, wie es gera<strong>de</strong> die <strong>de</strong>utsche Mediävistik bestimmte, teilten <strong>de</strong>r Marburger Wissenschaftler und seine Schüler nicht. In seinen Augen waren die <strong>de</strong>utsche Architektur und Bildhauerkunst nicht nur <strong>de</strong>r Gotik, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>r Romanik einzig unter <strong>de</strong>r Wirkung Frankreichs, gegebenenfalls noch unter <strong>de</strong>m Einfluss Italiens zu erklären. Damit Französisch o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utsch? Die Gotik – im Bild die Fensterrose <strong>de</strong>s Straßburger Münsters – wur<strong>de</strong> nationalpolitisch vereinnahmt. 36
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