Die Zaubersprache - Hueber
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<strong>Die</strong> <strong>Zaubersprache</strong><br />
51<br />
Der Text<br />
Elias Canetti (1905–1994), der Verfasser des Textes,<br />
könnte für Menschen, die Deutsch lernen,<br />
besonders interessant sein: Er hat nämlich seine<br />
Bücher (Romane,Autobiographie) auf Deutsch<br />
geschrieben, obwohl er diese Sprache – die<br />
<strong>Zaubersprache</strong> (die <strong>Zaubersprache</strong>) seiner Eltern<br />
– erst im Alter von 8 Jahren gelernt hat. Er<br />
ist zunächst in einer Kleinstadt in Bulgarien<br />
aufgewachsen, wo vor dem ersten Weltkrieg<br />
sieben verschiedene Sprachen gesprochen wurden.<br />
Seine Eltern waren sephardische Juden,<br />
seine Muttersprache Spaniolo, eine aus dem Spanischen<br />
entstandene Sprache. 1981 erhielt<br />
Canetti den Nobelpreis für Literatur.<br />
Heute, wo in den deutschsprachigen Ländern so<br />
viele Menschen leben, deren Muttersprache nicht<br />
Deutsch ist, bekommt auch die Literatur von<br />
Nicht-Deutschen ihre besondere Bedeutung.<br />
Dem trägt der Adelbert-von-Chamisso-Preis<br />
Rechnung, der seit 1984 an deutschsprachige<br />
Autoren mit nicht deutscher Muttersprache verliehen<br />
wird.<br />
Lernwege<br />
Es lohnt sich immer, einen Blick darauf zu<br />
werfen, wie andere Menschen ihre Fremdsprachenkenntnisse<br />
erworben haben, ohne dass sie<br />
auf moderne Methoden zurückgreifen konnten<br />
oder weil sie einfach alleine lernen mussten<br />
wie Elias Canetti. Ein besonders interessanter<br />
Fall ist der deutsche Archäologe Heinrich<br />
Schliemann (1822–1890), der sich aufgrund<br />
seiner Fremdsprachenkenntnisse zunächst als<br />
Kaufmann ein riesiges Vermögen erwerben<br />
konnte, um damit archäologische Ausgrabungen<br />
zu finanzieren, von denen vor allem die Entdeckung<br />
des antiken Troja für seinen Ruhm<br />
sorgte. Schliemann hatte in seinem Schulzeugnis<br />
in Französisch die Note „zufrieden“, in<br />
Englisch „geht an“ und in Latein „befriedigte<br />
nicht“. Dann aber gelang es ihm, bis zu seinem<br />
35. Lebensjahr 15 europäische Sprachen so zu<br />
lernen, dass er sie schriftlich und mündlich<br />
beherrschte. Schliemann verzichtete weitgehend<br />
auf Sprachlehrer, er lehnte das Lernen von<br />
Grammatikregeln ab, obwohl er sich eines<br />
Wörterbuchs und einer Grammatik zum<br />
Nachschlagen bediente. Er lernte meist Texte<br />
auswendig, die er bereits in einer anderen Sprache<br />
kannte. So besuchte er oft Kirchen, wo er<br />
die Gebete oder Lesungen nachsprach. Sobald<br />
er die Anfänge hinter sich hatte, arbeitete er mit<br />
den großen literarischen Äußerungen der jeweiligen<br />
Sprache. So lernte er den gesamten<br />
Koran auf Arabisch auswendig, den er nachts<br />
auf dem Dach seines Hauses in Athen rezitierte.<br />
Während er eine Fremdsprache lernte, machte<br />
er alle Tagebucheinträge in der jeweiligen Sprache.<br />
Durch diese Lernverfahren verbesserte<br />
Schliemann sein Gedächtnis so sehr, dass er<br />
gegen Ende seines Lebens pro Tag 320 Wörter<br />
lernen und behalten konnte.<br />
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1620_00_Blaue Blume_ © Max <strong>Hueber</strong> Verlag
$<br />
Es ist leicht, Millionär zu werden<br />
52<br />
Landeskunde<br />
„Von den Reichen kann man sparen lernen“ ist<br />
eine alte deutsche Redensart. Dem Titel nach<br />
verspricht der Text eine besondere Technik des<br />
Sparens (sparen).<br />
<strong>Die</strong> Menschen in den drei deutschsprachigen<br />
Ländern hatten immer schon ein besonderes<br />
Verhältnis zum Sparen, d.h. zum Ansammeln<br />
von Geld einerseits und zum Geizen bei den<br />
Ausgaben andererseits. Schon zum Ende des<br />
19. Jahrhunderts wurden überall so genannte<br />
Sparkassen (Sparkassen) gegründet, die es den einfachen<br />
Bürgern und den in der Industrie Tätigen<br />
ermöglichen sollten, etwas auf die Seite zu<br />
legen. Sie sollten dazu veranlasst werden, ihr<br />
Geld nicht im so genannten Sparstrumpf unter<br />
dem Kopfkissen aufzubewahren, sondern damit<br />
zu einer öffentlichen Institution zu gehen, die<br />
dafür Zinsen zahlt und das Geld wieder der<br />
Volkswirtschaft für Investitionen zuführt. <strong>Die</strong>jenigen,<br />
die das in Deutschland machten, hatten<br />
Pech. Durch die Inflation nach den beiden<br />
Weltkriegen ging alles Geld, das auf Banken<br />
oder Sparkassen war, verloren. Das führte dazu,<br />
dass viele Leute nach dem 2. Weltkrieg zwar<br />
nicht auf das Sparen verzichteten, aber ihr Geld<br />
auf die so genannten Bausparkassen (Bausparkassen)<br />
trugen und versuchten, es so bald wie<br />
möglich gegen ein Haus oder eine Wohnung<br />
umzutauschen. Durch eine Reihe von Gesetzen<br />
wurde diese Form des Sparens vom Staat kräftig<br />
gefördert. Das hat dazu geführt, dass heute alle<br />
Städte, aber auch die Dörfer mit einem Gürtel<br />
Sparverein „Schwarzer Adler“ Webseite<br />
http://members.aon.at/peterstube/Sparverein.htm<br />
Sparverein „Schwarzer Adler“<br />
Vereinssitz Gasthaus Peter’s Stüberl, Spitalgasse 3<br />
Obmann Peter Keller<br />
Kassierer Ing. Kurt Köhler<br />
Schriftführer Rudolf Stöckl<br />
Beisitzer Uwe Hobisch<br />
Bankverbindung BAWAG, Zweigstelle Alserstraße<br />
Mitgliederzahl 72 (Stand Juni 1999)<br />
Zinssatz 2,5 % (Stand Juni 1999)<br />
Neue Mitglieder jederzeit willkommen!<br />
Auskunft in Peter’s Stüberl<br />
von Neubausiedlungen umgeben sind, die aus<br />
lauter gleichen Häuschen bestehen. Das Lebensmotto<br />
vieler Menschen lautet auf Schwäbisch:<br />
Schaffen, schaffen, Häusle bauen, sterben.<br />
(Häusle: schwäbische Dialektform für Haus).<br />
Sparen gilt sogar als ein besonderer Sport. In<br />
manchen Kneipen haben so genannte Sparvereine<br />
ihren Sitz, deren Mitglieder die Stammkunden<br />
der jeweiligen Kneipe sind.<br />
Es gibt viele Familien, die täglich die Angebote<br />
der großen Supermärkte miteinander vergleichen<br />
und den Limburger Käse woanders als den<br />
Emmentaler kaufen, weil er dort billiger ist.<br />
Auch ist es üblich, immer nur gerade die Menge<br />
Frischwaren einzukaufen, die man auch sicher<br />
aufessen kann.Wer mit Deutschen einen Kaffee<br />
trinken geht, muss erleben, dass jeder seinen<br />
Kaffee selber zahlt, wenn nicht vorher gesagt<br />
wurde: „Ich lade dich ein.“<br />
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1620_00_Blaue Blume_ © Max <strong>Hueber</strong> Verlag
53<br />
Das Mädchen Sophie<br />
Wenn so eine Welle des Aufruhrs<br />
durch das Land geht,<br />
wenn es in der Luft liegt,<br />
wenn viele mitmachen,<br />
dann kann in einer letzten,<br />
gewaltigen Anstrengung<br />
dieses System abgeschüttelt werden.<br />
Wenn so eine Welle des Aufruhrs<br />
durch das Land geht,<br />
wenn es in der Luft liegt,<br />
wenn viele mitmachen,<br />
dann kann in einer letzten,<br />
gewaltigen Anstrengung<br />
dieses System abgeschüttelt werden.<br />
aus einem Flugblatt der Widerstandsbewegung Weiße Rose<br />
+++ Willi Graf, 25 Jahre - hingerichtet 12.10.1943 +++ Kurt Huber,<br />
49 Jahre - hingerichtet 13.7.1943 +++ Christoph Probst, 23 Jahre<br />
- hingerichtet 22.2.1943 +++ Alexander Schmorell, 25 Jahre -<br />
hingerichtet 13.7.1943 +++ Hans Scholl, 24 Jahre - hingerichtet<br />
22.2.1943 +++ Sophie Scholl, 21 Jahre - hingerichtet 22.2.1943<br />
Graf, Huber, Probst, Schmorell und die Geschwister<br />
Scholl bildeten den Kern der Widerstandsbewegung<br />
Weiße Rose (weiße Rose). Mit<br />
Hilfe einiger Sympathisanten schrieben, druckten<br />
und verteilten sie Flugblätter gegen die<br />
nationalsozialistische Regierung. <strong>Die</strong>s war<br />
nicht nur sehr gefährlich, sondern auch praktisch<br />
schwer durchführbar; so konnte man z. B.<br />
Briefmarken in größeren Mengen nicht einfach<br />
kaufen, ohne sich verdächtig zu machen,<br />
Papier war rationiert, da Krieg war, und wie<br />
sollte man eine Druckmaschine beschaffen?<br />
Der Widerstand erforderte also nicht nur Mut,<br />
sondern auch Fantasie. <strong>Die</strong> Mitglieder von der<br />
Weißen Rose kümmerten sich auch um Häftlinge<br />
in den Konzentrationslagern, indem sie beispielsweise<br />
Kontakt zu deren Angehörigen aufnahmen<br />
oder Brot in die Lager einschmuggeln<br />
ließen.<br />
Am 18.2.1943, zu einem Zeitpunkt, als es so<br />
aussah, als könnte sich die allgemeine Stimmung<br />
langsam gegen das Naziregime richten -<br />
so war in München in bestimmten Kreisen der<br />
Hitlergruß verpönt – wurden Hans und<br />
Sophie Scholl in der Ludwig-Maximilian-Universität<br />
verhaftet. Der Hausmeister der Universität<br />
hatte sie dabei beobachtet, wie sie Flugblätter<br />
vor den Hörsälen auslegten. In den Verhören<br />
und während der Verhandlung behaupteten<br />
beide bis zuletzt, die einzig Verantwortlichen<br />
für die Flugblätter zu sein.Trotzdem wurden<br />
nach und nach alle Mitglieder der Widerstandsbewegung<br />
Weiße Rose verhaftet und hingerichtet.<br />
... die Unsicherheit, in der wir heute dauernd<br />
leben, die uns ein fröhliches Planen<br />
für den morgigen Tag verbietet und auf alle<br />
die nächsten kommenden Tage ihren<br />
Schatten wirft, bedrückt mich Tag und<br />
Nacht und verlässt mich eigentlich keine<br />
Minute ... Jedes Wort wird, bevor es<br />
gesprochen wird, von allen Seiten beleuchtet,<br />
ob kein Schimmer der Zweideutigkeit<br />
an ihm haftet. Das Vertrauen zu anderen<br />
Menschen muss dem Misstrauen und der<br />
Vorsicht weichen ...<br />
aus einem Brief von Sophie Scholl vom 7.11.1942<br />
319<br />
1620_00_Blaue Blume_ © Max <strong>Hueber</strong> Verlag
Baummieter<br />
54<br />
Bäume und Wälder waren für die Deutschen<br />
immer schon ein bedeutendes Symbol.Träume<br />
wie Ängste kommen darin zum Ausdruck. „<strong>Die</strong><br />
Deutschen suchen den Wald, in dem ihre Vorfahren<br />
gelebt haben, noch gern auf und fühlen<br />
sich eins mit den Bäumen“, schreibt Elias<br />
Canetti. In der Tradition der Liebe zu Wald und<br />
Natur steht auch die Blaue Blume der Romantik.<br />
Nach dem zweiten Weltkrieg wurden große<br />
Teile der Wälder von der Bevölkerung und den<br />
Siegermächten abgeholzt, da dringend Brennholz,<br />
aber auch Baustoff, benötigt wurden.<br />
Doch die Deutschen gründeten die „Schutzgemeinschaft<br />
Deutscher Wald“. So gelang die<br />
Wiederaufforstung schneller als der Wiederaufbau<br />
der deutschen Städte. Deutschland hat heute<br />
wieder so viele Wälder wie vor 600 Jahren.<br />
Ein Viertel der gesamten Fläche ist von Wald<br />
bedeckt.<br />
Als 1978 die ersten Meldungen über den<br />
schlechten Zustand der Wälder durch die deutsche<br />
Presse gingen, war die ganze Nation verwirrt.<br />
Es entstand der Begriff Waldsterben<br />
(Waldsterben), der sofort in aller Munde war.<br />
Wegen des bedrohten Waldes hat die ökologische<br />
Bewegung in Deutschland viel mehr Kraft<br />
gewonnen als anderswo.<br />
Eng mit der emotionalen Bindung zum Wald<br />
ist die Wanderbewegung verbunden, die sich in<br />
den Gebirgs- und Wandervereinen organisiert<br />
hat. Im Jahr 1994 wurden zwei Millionen Wanderer<br />
auf 90 000 organisierten Wanderungen<br />
registriert, die sich vorwiegend auf die Waldgebiete<br />
konzentrierten.<br />
Wo der Wald eine so große Rolle spielt, kann<br />
man auch leicht ein politisches Thema daraus<br />
machen. Als die Nationalsozialisten den zweiten<br />
Weltkrieg vorbereiteten, verglichen sie das<br />
Heer mit dem Wald. Eine gute und disziplinierte<br />
Armee war sozusagen der marschierende Wald, in<br />
dem das Individuum nichts als ein Teil des<br />
Ganzen war und dadurch auch bereit, für das<br />
Ganze zu sterben.<br />
<strong>Die</strong>s hat sich grundlegend geändert. Nach 1945<br />
fand in der deutschen Gesellschaft die Entwertung<br />
des Militärs statt. In kaum einem Land ist<br />
heute das Bedürfnis nach militaristischen Symbolen<br />
derart gering entwickelt wie in Deutschland.<br />
Gleichzeitig hat sich auch die Symbolqualität<br />
des Waldes verändert. <strong>Die</strong> Parallele Heer – Wald<br />
konnte ja nur gezogen werden, da die Wälder<br />
zu einem großen Teil Monokulturen waren und<br />
die Bäume in Reih und Glied angepflanzt<br />
worden waren. Heute weiß man, dass solche<br />
Wälder viel anfälliger für Schadstoffe und Schädlinge<br />
sind als die ursprünglichen Mischwälder.<br />
Deshalb plädieren Umweltschützer, die Forstwirtschaft<br />
sowie die Waldfreunde für artenreiche<br />
Mischwälder,Wälder aus Baumindividuen.<br />
Ein leidenschaftlicher Freund der Baumindividuen<br />
war auch der österreichische Künstler<br />
Friedensreich Hundertwasser. Er hatte die Idee,<br />
Bäume als Mieter in Wohnungen aufzunehmen<br />
und mit ihnen zusammenzuleben.<br />
Lernwege<br />
In dieser letzten Lerneinheit des Buches wurde<br />
bewusst darauf verzichtet, Erklärungen und<br />
Übungen anzubieten. Es liegt an Ihnen, die<br />
Blaue Blume des richtigen Wegs zu finden, wie<br />
Sie mit den angebotenen Materialien Ihre<br />
Deutschkenntnisse bereichern können. Bei dem<br />
Hörtext zu Friedensreich Hundertwasser ist es<br />
jedoch hilfreich, wenn Sie vor dem Hören den<br />
Text über den Künstler lesen und sich die<br />
Abbildungen und Bildunterschriften genau anschauen.<br />
Sie spiegeln die Themen wider, die im<br />
Hörtext angesprochen werden.<br />
327<br />
1620_00_Blaue Blume_ © Max <strong>Hueber</strong> Verlag