Unvollständigkeitserleben bei Menschen mit Zwängen
Unvollständigkeitserleben bei Menschen mit Zwängen
Unvollständigkeitserleben bei Menschen mit Zwängen
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Unvollständigkeitserleben<br />
<strong>bei</strong> <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> Zwängen<br />
PD Dr. phil. Dipl.-Psych. Willi Ecker<br />
PD Dr. W. Ecker
Unvollständigkeitserleben <strong>bei</strong> <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> Zwängen<br />
• Einleitung<br />
• Phänomenologie des Unvollständigkeitserlebens<br />
Selbstbezogenes Unvollständigkeitserleben<br />
„Nicht-genau-richtig-Erleben“<br />
• Allgemeine Schlussfolgerungen für Diagnostik und Behandlung<br />
• Therapeutische Implikationen für den Umgang <strong>mit</strong><br />
selbstbezogenem Unvollständigkeitserleben<br />
„Nicht-genau-richtig-Erleben“<br />
• Fazit<br />
PD Dr. W. Ecker
Heterogenität der Zwangsstörung<br />
• große Vielfalt von Symptominhalten, so dass sich die Zwänge<br />
verschiedener Betroffener nicht notwendigerweise überlappen<br />
• z.B. Waschzwänge, die Angst vor Ansteckung reduzieren, oder<br />
gotteslästerliche Zwangsgedanken, die durch Gebetsrituale „wieder<br />
gut gemacht“ bzw. „neutralisiert“ werden<br />
• aber: Zwänge sind nicht nur hinsichtlich der Symptom“themen“,<br />
sondern auch im Hinblick auf die Motive zur ihrer Ausführung<br />
heterogen!<br />
McKay et al., 2004; De Mathis et al., 2006; Leckman et al., 2007; Bloch et al., 2008; Abramowitz et al., 2008<br />
PD Dr. W. Ecker
Die Zwangsstörung als Angststörung<br />
• „Wenn ich mir nicht die Hände wasche, werde ich durch Übertragen<br />
schlimmer Krankheiten (Risikoüberschätzung) am Tod anderer<br />
<strong>Menschen</strong> schuldig (übertriebene Verantwortlichkeit).“<br />
• ginge es stets um ängstigende Katastrophenbefürchtungen (Ansteckung<br />
<strong>mit</strong> Bakterien <strong>bei</strong> Waschzwängen/ Brand durch Anlassen<br />
des Herds <strong>bei</strong> Kontrollzwängen/ zukünftiges Schmoren in der Hölle<br />
<strong>bei</strong> gotteslästerlichen Zwangsgedanken), würde sich eine<br />
gesonderte Erfassung von Zwangsmotiven erübrigen<br />
Salkovskis & McGuire, 2003; Taylor et al., 2006; Calamari et al., 2006<br />
PD Dr. W. Ecker
Konzeptualisierung als Angststörung zu eng?<br />
• 40 % der Zwangspatienten geben <strong>bei</strong> Unterlassung ihrer Rituale<br />
keine Katastrophenbefürchtungen, sondern ausschließlich<br />
Unbehagen an<br />
• angstbezogene gedankliche Verzerrungen (Überverantwortlichkeit,<br />
Gefahrenüberschätzung etc.) stehen nur <strong>bei</strong> etwa der Hälfte der<br />
untersuchten Zwangspatienten im Vordergrund<br />
Tolin et al., 2001; OCCWG, 2005; Calamari et al., 2006; Taylor et al., 2006; Zaudig, 2010<br />
PD Dr. W. Ecker
mögliche Zwangsmotive<br />
• z.B. <strong>bei</strong> Waschzwängen: Reduktion von Ansteckungsbefürchtungen<br />
Reduktion von Ekelgefühlen<br />
Reduktion von Unvollständigkeitserleben<br />
Kombination dieser Faktoren<br />
• <strong>bei</strong> zwanghaftem Horten Vermeidung von Trauer<br />
• Vermeidung von Schuldgefühlen<br />
• Reduktion nur schwer zu beschreibenden, diffusen Unbehagens<br />
• Reduktion von Angst nicht einziges Zwangsmotiv!<br />
Tallis, 1996; Shafran et al., 1996; Ecker & Gönner, 2006; Cherian & Frost, 2007; Olatunji et al., 2007; Cougle et al., 2007<br />
PD Dr. W. Ecker
gleiches Zwangsverhalten – unterschiedliche Zwangsmotive<br />
• Beispiel Symmetriezwänge:<br />
a) Katastrophenbefürchtungen <strong>mit</strong> magischem Denken („wenn<br />
meine Fingergelenke rechts spontan knacken, muss ich sie links<br />
auch knacken lassen, sonst könnten meine Eltern verunfallen“)<br />
b) Abbau von „Nicht-genau-richtig-Erleben“ („ich muss auf der<br />
anderen Seite bewusst ‚nachknacken’, weil es sich sonst nicht<br />
richtig anfühlt“)<br />
Ecker & Gönner, 2006; Hoffmann & Hofmann, 2008<br />
PD Dr. W. Ecker
Unvollständigkeitserleben: ein uns fremdes Phänomen<br />
• sowohl für Laien als auch für Therapeuten sind Angst, Ekel, Trauer<br />
oder Schuldgefühle aus dem eigenen Erleben vertraute Emotionen<br />
• Unvollständigkeits- oder Nicht-genau-richtig-Erleben ist uns<br />
zunächst fremd<br />
PD Dr. W. Ecker
Unvollständigkeitserleben<br />
• „Unvollständigkeitsgefühl“: ein Kunstbegriff („sentiment<br />
d'incomplétude“) für schwer in Worte zu fassende, charakteristische<br />
Erlebnisqualität Zwangskranker<br />
• eigentümliche innere Erfahrung, dass eigene Handlungen,<br />
Wahrnehmungen oder Erinnerungen in quälender Weise als<br />
unvollständig, unabgeschlossen oder „nicht genau richtig“ erlebt<br />
werden, so dass ein „positives Erledigungsgefühl“ fehlt<br />
• zwei unterschiedliche Aspekte: selbstbezogenes Unvollständigkeitserleben<br />
und „Nicht-genau-richtig-Erleben“<br />
Janet, 1903; Heim & Bühler, 2003; Hoffmann & Hofmann, 2008<br />
PD Dr. W. Ecker
selbstbezogenes Unvollständigkeitserleben<br />
• verändertes Selbsterleben während bzw. un<strong>mit</strong>telbar vor/nach einer<br />
Zwangshandlung<br />
• „Unvollständigkeit bezogen auf die eigene Person“ (Betroffene<br />
fühlen sich „nicht richtig da“, von der eigenen Person entfremdet,<br />
wie in Trance, als ob sie träumen, „neben sich stehen“, sich von<br />
außen beobachten, mechanisch oder „wie Roboter“ handeln)<br />
• zwangsspezifische Ausprägungsform von Depersonalisations-<br />
(Selbstentfremdungs-) und Derealisations- (Unwirklichkeits-) erleben<br />
• im Extrem bizarre, aber dennoch klar ichdystone („ichfremde“)<br />
Erlebensweisen, z.B. „Gefühl, nicht ganz aus dem Spiegel<br />
herauszukommen“<br />
Hoffmann, 1998; Hoffmann & Hofmann, 2008, 2010<br />
PD Dr. W. Ecker
selbstbezogenes Unvollständigkeitserleben <strong>bei</strong> Kontrollzwängen<br />
• „Ich saß im Dunkeln und weinte bitterlich, weil ich nicht das Gefühl<br />
bekam, dass ich die Lampe auch wirklich ausgeknipst hatte.“<br />
• „In Wirklichkeit drehe ich nicht an den Hähnen, sondern an etwas in<br />
mir selber. Ich sehe ja, dass die Hähne in Ordnung sind, aber mein<br />
Gefühl sagt mir, dass etwas nicht in Ordnung ist, und so fange ich<br />
eben wieder <strong>mit</strong> den Hähnen an, denn an ihnen kann man ja<br />
wirklich drehen.“<br />
• „Ich habe den Knopf auf ‚aus‘ gestellt. Weiß es auch, habe aber<br />
trotzdem nicht das Gefühl, dass ich es getan habe.“<br />
Hoffmann, 1998; Hoffmann & Hofmann, 2002, 2008, 2010<br />
PD Dr. W. Ecker
selbstbezogenes Unvollständigkeitserleben und Handlungserinnerung<br />
• Betroffene „wissen“, dass es dunkel ist, der Wasserhahn zu ist oder<br />
der Knopf auf ‚aus‘ steht, aber – es nützt ihnen nichts<br />
• Erinnerungsbilder <strong>mit</strong> mangelnder persönlicher Färbung/ fehlendem<br />
„persönlichen Stempel“, d.h. Handlungserinnerung wird aufgrund<br />
„unpersönlicher Qualität“ als unabgeschlossen/ unvollständig erlebt<br />
• fehlende Integration des Selbst in die Gedächtnisrepräsentation der<br />
Handlung motiviert Handlungswiederholungen, um die Erinnerung<br />
doch noch organisch <strong>mit</strong> der eigenen Person zu verbinden<br />
• Handlungswiederholung <strong>bei</strong> fortbestehendem selbstbezogenem<br />
Unvollständigkeitserleben ---- Erinnerungsspur in gleicher Weise<br />
unvollständig wie Erinnerungsspur nach erstem<br />
Handlungsdurchgang ---- wiederholtes Scheitern <strong>bei</strong>m<br />
Handlungsabschluss wird als quälend und verwirrend erlebt ----- die<br />
Betroffenen finden schwer ein Ende<br />
Reed, 1991; Watts, 1995; Ecker, 2001; Ecker & Kraft, 2005<br />
PD Dr. W. Ecker
Selbstbezogene Unvollständigkeit: Depersonalisationserleben<br />
• Während bzw. un<strong>mit</strong>telbar vor/nach einer Zwangshandlung….<br />
• habe ich das Gefühl, nicht richtig da zu sein.<br />
• habe ich das Gefühl, neben mir zu stehen.<br />
• fühle ich mich wie in Trance.<br />
Ecker, Wilm & Gönner, in Vorbereitung<br />
PD Dr. W. Ecker
Selbstbezogene Unvollständigkeit: Selbsterleben als automatenhaft<br />
• Während bzw. un<strong>mit</strong>telbar vor/nach einer Zwangshandlung….<br />
• fühle ich mich wie ein Roboter/Automat.<br />
• komme ich mir „wie ferngesteuert“ vor.<br />
• führe ich die Handlung irgendwie „mechanisch“ aus.<br />
Ecker, Wilm & Gönner, in Vorbereitung<br />
PD Dr. W. Ecker
Selbstbezogene Unvollständigkeit: Fehlen lebendiger Gefühle<br />
• Während bzw. un<strong>mit</strong>telbar vor/nach einer Zwangshandlung….<br />
• fühle ich mich nicht richtig lebendig.<br />
• fühle ich mich innerlich leer.<br />
• kann ich mich nicht richtig spüren.<br />
Ecker, Wilm & Gönner, in Vorbereitung<br />
PD Dr. W. Ecker
Selbstbezogene Unvollständigkeit: Derealisationserleben<br />
• Während bzw. un<strong>mit</strong>telbar vor/nach einer Zwangshandlung….<br />
• sehe ich meine Umgebung wie hinter Glas.<br />
• fühle ich mich wie in einer anderen Welt.<br />
• erscheint mir meine Umgebung irreal.<br />
Ecker, Wilm & Gönner, in Vorbereitung<br />
PD Dr. W. Ecker
„Nicht-genau-richtig-Erleben“ („not just right experiences“, „NJREs“)<br />
• quälende innere Unzufriedenheit <strong>mit</strong> der eigenen Unfähigkeit, ein<br />
Gefühl der Abgeschlossenheit bezogen auf konkrete Handlungen<br />
und Wahrnehmungen zu erreichen<br />
• „Nicht-genau-richtig-Erleben <strong>mit</strong> Gefühl der „Noch-nicht-Abschließbarkeit“<br />
• kompensatorischer „Just-right“-Drang, der Handlungswiederholungen<br />
zur Erlangung eines „Genau-richtig-Gefühls“ motiviert<br />
• mehr als 50 % der Betroffenen leiden unter NJREs<br />
• Stärke der NJREs steht in positivem Zusammenhang <strong>mit</strong> der<br />
Schwere der Zwänge<br />
Hoehn-Saric & Greenberg, 1997; Szechtman & Woody, 2004; Coles et al., 2003, 2005; Summerfeldt, 2008; Ecker & Gönner, 2008<br />
PD Dr. W. Ecker
Beispiele für „Nicht-genau-richtig-Erleben“<br />
• Haar nicht „genau richtig“ in der Mitte gescheitelt<br />
• Gebetsritual hört sich nicht „genau richtig“ an<br />
• Schnürsenkel nicht <strong>mit</strong> „genau identischer“ Spannung gebunden<br />
• Bild an der Wand oder Buch unter anderen Büchern sieht nicht<br />
„genau richtig“ aus<br />
• Einstrahlwinkel des Wassers auf Haut nicht „genau richtig“<br />
• „nicht genau“ wissen, ob Wasserpfeife aus Ägypten oder Syrien<br />
(„need to know“)<br />
• Kleidungsstücke sitzen „nicht richtig“<br />
• Einrasten des Türschlosses fühlt sich „nicht richtig“ an<br />
Summerfeldt, 2004; Coles et al., 2003, 2005; Pietrefesa & Coles, 2008<br />
PD Dr. W. Ecker
Schadensvermeidung und Unvollständigkeit<br />
• zwei motivational-affektive Kernmerkmale der Zwangsstörung:<br />
„Schadensvermeidung“:<br />
ängstliche, übertriebene Vermeidung potenzieller Risiken/ Schäden;<br />
Zwängen und übrigen Angststörungen gemeinsam<br />
"Unvollständigkeit" im Sinne von Nicht-genau-richtig-Erleben:<br />
Gefühl, dass Wahrnehmungen/ Handlungen unvollständig, nicht<br />
genau richtig oder nicht abgeschlossen sind; zwangsspezifisch<br />
• Zwänge dienen entweder mehr der Abwehr von Gefahren und Angst<br />
oder mehr der Reduktion/Beseitigung von Nicht-genau-richtig-<br />
Erleben<br />
Summerfeldt et al., 2001, 2004; Summerfeldt, 2004, 2007, 2008; Ecker, Gönner & Wilm, 2010<br />
PD Dr. W. Ecker
diagnostische Erfassung von Schadensvermeidung und NJREs<br />
• “Obsessive-Compulsive Trait Core Dimensions Questionnaire”<br />
(OCTCDQ) erfasst <strong>mit</strong> 20 Items (je 10 pro Dimension) Schadensvermeidung<br />
und NJREs<br />
• verkürzte, messmethodisch optimierte deutsche 10-Item- Revision<br />
(OCTCDQ-R) <strong>mit</strong> 6 Items zu NJREs, 4 zu Schadensvermeidung<br />
Summerfeldt et al., 2001; Ecker, Gönner & Wilm, 2010<br />
PD Dr. W. Ecker
„Nicht-genau-richtig-Erleben“ I<br />
„Nicht-genau-richtig-Erleben“ auf der Ebene der Wahrnehmungen und<br />
Empfindungen:<br />
• Mich stört das Gefühl, dass Dinge unvollkommen sind (z.B.<br />
Besitztümer, Gedanken oder zu erledigende Aufgaben).<br />
• Ich habe ganz bestimmte Vorstellungen davon, wie Dinge aussehen<br />
oder gemacht werden müssen.<br />
Ecker, Gönner & Wilm, 2010<br />
PD Dr. W. Ecker
„Nicht-genau-richtig-Erleben“ II<br />
Drang, Handlungen durchzuführen, um ein „just right-Gefühl“ zu<br />
erreichen:<br />
• Ich muss Dinge auf eine bestimmte Art und Weise machen, sonst<br />
fühle ich mich nicht richtig wohl.<br />
• Ich verspüre einen Drang, Tätigkeiten oder Ar<strong>bei</strong>ten zu wiederholen<br />
oder in die Länge zu ziehen, bis sie sich „genau richtig“ anfühlen.<br />
• Routinetätigkeiten dauern <strong>bei</strong> mir länger als sie sollten, weil ich nicht<br />
das Gefühl bekomme, dass sie vollkommen beendet sind.<br />
• Ich vergeude viel Zeit da<strong>mit</strong>, zu versuchen, Dinge „genau richtig“<br />
hinzukriegen.<br />
Ecker, Gönner & Wilm, 2010<br />
PD Dr. W. Ecker
NJREs und Schadensvermeidung<br />
• <strong>bei</strong> der Mehrzahl der Betroffenen verbreitete Zwangsmotive<br />
• Zusammenhang <strong>mit</strong> Schwere der Zwänge nur für NJREs, nicht für<br />
Schadensvermeidung<br />
• Hypothese: Schadensvermeidung spielt vorwiegend <strong>bei</strong>m „Ingangsetzen“<br />
von Zwängen eine Rolle (z.B. Beginn Kontrollzwänge am<br />
Herd aufgrund von Angst vor Wohnungsbrand), NJREs sind dafür<br />
verantwortlich, dass Zwänge nur schwer „zum Abschluss zu<br />
bringen“ sind.<br />
• je öfter Zwänge im Streben nach „Genau-richtig-Erleben“ wiederholt<br />
werden müssen, desto stärker/ beeinträchtigender Symptomatik<br />
Ecker & Gönner, 2008<br />
PD Dr. W. Ecker
Allgemeine Schlussfolgerungen für Diagnostik und Behandlung I<br />
• Nichtberücksichtigung von Unvollständigkeitserleben in den<br />
diagnostischen Kriterien der Zwangsstörung<br />
- behindert Entwicklung diagnostischer Instrumente und<br />
Behandlungsmöglichkeiten<br />
- begünstigt vorschnelles Ausgehen von Angst als zentraler<br />
Motivdimension und Therapieabbrüche Betroffener, die sich durch<br />
Sichtweise ihrer Zwänge als Angststörung unverstanden fühlen<br />
• Selbstbeurteilungsskalen im diagnostischen Prozess als<br />
„Versprachlichungshilfen“ sinnvoll, da „Unvollständigkeitsgefühl“ und<br />
„not just right experience“ künstliche „Hilfsbegriffe“ für schwer in<br />
Worte zu fassende innere Verfassungen – Betroffene häufig erleichtert,<br />
dass diese Phänomene krankheitstypisch sind<br />
Ecker & Kraft, 2005; Lee et al., 2009; Ecker, Gönner & Wilm, 2010; Ecker, Wilm & Gönner, in Vorbereitung<br />
PD Dr. W. Ecker
Allgemeine Schlussfolgerungen für Diagnostik und Behandlung II<br />
• ggf. motivbezogene Unterschiede innerhalb eines Subtyps für<br />
therapeutischen Ansatzpunkt ausschlaggebend<br />
• Beispiel: Abhängigkeit der Behandlung von Waschzwängen davon,<br />
ob sie eine Reaktion auf ängstliche Katastrophenbefürchtungen,<br />
Ekelgefühle oder Unvollständigkeitserleben darstellen<br />
• wenn auch Differenzierung der Emotionsqualität wichtig, reichen<br />
quantitative Ratings, z.B. von 0-10, zur Abschätzung des Ausmaßes<br />
bereits erreichter Reduktion negativer Emotionen während der<br />
Exposition nicht aus („Wie geht es Ihnen gerade?“ – „8.“)<br />
• empirischer Nachweis, dass Exposition zu Habituation führt<br />
(allmählichem, „automatischem“ Rückgang der negativen Emotion<br />
über die Zeit hinweg), steht für ekel- und<br />
unvollständigkeitsmotivierte Zwänge noch aus<br />
• zusätzliche, nicht habituationsbasierte Interventionen sinnvoll<br />
Hauke, 2002; Ecker, 2005; Hoffmann & Hofmann, 2008, 2010<br />
PD Dr. W. Ecker
Therapeutische Implikationen<br />
• Therapeutischer Umgang <strong>mit</strong> selbstbezogenem<br />
Unvollständigkeitserleben<br />
• Therapeutischer Umgang <strong>mit</strong> „Nicht-genau-richtig-Erleben“<br />
PD Dr. W. Ecker
iografische Entwicklung selbstbezogenen Unvollständigkeitserlebens<br />
• selbstbezogenes Unvollständigkeitserleben als zwangsspezifische<br />
Ausprägungsform von Depersonalisations- und<br />
Derealisationserleben entsteht häufig im Kontext emotional<br />
erschütternder Erfahrungen, wo<strong>bei</strong> es sich nicht um Traumata im<br />
engeren Sinne handeln muss<br />
• biografisch häufig un<strong>mit</strong>telbare Folge starker, verwirrender, „stecken<br />
bleibender“, nicht vollständig ausgedrückter Gefühle<br />
Lochner et al., 2004; Hoffmann, 1998; Ecker & Kraft, 2005; Ecker & Gönner, 2006; Hoffmann & Hofmann, 2008, 2010<br />
PD Dr. W. Ecker
Beispiel: Unvollständigkeitserleben zu Beginn des Zwangs<br />
• „Ich verstand lange Zeit nicht, was mir widerfahren war. Ich war so<br />
gedemütigt und verletzt worden, konnte aber keine innere Energie<br />
mobilisieren, um mich zur Wehr zu setzen oder um mich wieder<br />
selbst zu finden. Alles war so anders geworden, auch die Dinge des<br />
täglichen Lebens. Mein Zustand war ungefähr so: Ich war wie eine<br />
Hülle, die herumläuft, ein Roboter; mein Selbst war so klein, ich<br />
spürte mich gar nicht richtig. Mir war so, als würde ein großes Stück<br />
von mir fehlen.“<br />
Hoffmann & Hofmann, 2008<br />
PD Dr. W. Ecker
typische Auslösekonstellationen<br />
• existentielle, zutiefst verunsichernde Ereignisse, verbunden <strong>mit</strong><br />
Gefühlen von Ohnmacht, Ausgeliefertsein, Versagen, Schuld<br />
• angemessener Ausdruck entsprechender Gefühle und lösungsorientierte<br />
Verar<strong>bei</strong>tung nicht möglich (fehlende soziale Unterstützung,<br />
defizitäre innere Regulationsmechanismen)<br />
• Ereignisse am Beginn der Zwänge oft nicht erwähnt oder auch nicht<br />
erinnert, da <strong>mit</strong> ihnen verbundene negative Emotionen gemieden<br />
• nicht selten wurde das Ereignis primär nicht sprachfähig gemacht<br />
Hoffmann, 1998; Oberhummer, 2001; Hoffmann & Hofmann, 2008; Ecker & Kraft, 2005<br />
PD Dr. W. Ecker
Beispiel: Zwangsentwicklung als Reaktion auf Unvollständigkeitserleben<br />
• ausgelöst durch plötzliche, extrem demütigende fristlose Entlassung<br />
nach langjähriger Betriebszugehörigkeit:<br />
• „Ich fühlte mich plötzlich so losgerissen, ein schreckliches<br />
Schweben über dem Boden, ein Verlorensein in der Welt ohne Halt<br />
und Sicherheit. Es kam mir alles wie verschwommen vor.“<br />
• kompensatorische Suche nach Halt: Details der Außenwelt rücken<br />
ins Zentrum der Aufmerksamkeit und ermöglichen eine<br />
„Pseudokontrolle der Innenwelt“, des inneren Gefühlschaos auf<br />
einer externen „Nebenbühne“:<br />
• „Als ich dann mich kaum noch aufrecht haltend unsicheren Schrittes<br />
vor die Garagentür unseres Hauses lief, sah ich eine Fuge und dann<br />
begann der Zwang so richtig.“<br />
• Patient entwickelt Vorstellung, Fugen/andersfarbige Gehplatten/ Kanaldeckel<br />
nicht überqueren zu dürfen.<br />
Hoffmann & Hofmann, 2002, 2008, 2010<br />
PD Dr. W. Ecker
Zwei-Bühnen-Modell<br />
• Selbstbezogenes Unvollständigkeitserleben tritt im Kontext der<br />
mangelnden emotionalen Verar<strong>bei</strong>tung schwieriger biografischer<br />
Ereignisse auf.<br />
• Es wird dadurch bewältigt, dass das Problem symbolisch in der<br />
Außenwelt „dingfest gemacht“ wird<br />
• In der Folge gelingt es, durch Einhalten einfacher Zwangsregeln auf<br />
einer „Nebenbühne“ bzw. einem „Nebenkriegsschauplatz“ (z.B.<br />
Vermeiden des Tretens auf Fugen) kurzfristig ein subjektives<br />
Kontrollgefühl wiederzuerlangen.<br />
Hoffmann & Hofmann, 2008<br />
PD Dr. W. Ecker
Exposition als biografische Exploration<br />
• während der Exposition (s. Beispiel: bewusstes Treten auf Fuge) im<br />
ersten Schritt Unterstützung einer differenzierten Wahrnehmung der<br />
emotionalen Qualität<br />
• identifizierte Emotionen z.B. Angst, Unvollständigkeitserleben, Ekel ,<br />
Trauer oder „gemischte Gefühle“ (z.B. Angst und Wut gleichzeitig)<br />
• über so etablierte „Gefühlsbrücke“ Herstellung eines Bezugs zu<br />
relevanten biografischen Episoden („Woher kennen Sie genau<br />
dieses Gefühl?“),<br />
• im expositionsinduzierten Gefühlszustand zustandsspezifische<br />
Abrufbarkeit sonst nicht zugänglicher Erinnerungen an emotional<br />
stark aufgeladene biografische Schlüsselszenen zu Beginn der<br />
Zwangsentwicklung aufgrund „biografischer Intrusionen“ (Beispiel:<br />
vom selbstbezogenen Unvollständigkeitserleben <strong>bei</strong> Treten auf die<br />
Fuge hin zur Erinnerung an inneren Zustand nach demütigender<br />
fristloser Kündigung)<br />
Hand, 1993; Hauke, 2002; Ecker, 2005; Hoffmann & Hofmann, 2002, 2008, 2010<br />
PD Dr. W. Ecker
Exposition als biografische Exploration<br />
• über „Gefühlsbrücke“ Wiedererinnern <strong>mit</strong> hoher emotionaler<br />
Beteiligung<br />
• nach vollständigem Ausdruck zuvor „stecken gebliebener“ Gefühle<br />
werden ursprünglich auslösende Reize (z.B. Treten auf Fuge)<br />
vorübergehend als emotional wenig bedeutsam erlebt<br />
• Unvollständigkeitserleben und andere auftauchende Emotionen =<br />
durch zwangsbezogene Auslöser aktivierte Erinnerungsfragmente,<br />
die durch zustandsspezifische Abrufbarkeit zu vollständigen<br />
biografischen Episoden ergänzt werden können<br />
• über biografieorientiertes Ar<strong>bei</strong>ten in der Exposition gewonnenes<br />
Verständnis lebensgeschichtlicher Zusammenhänge entlastet<br />
erheblich und verbessert Fähigkeit zur Distanzierung vom Zwang<br />
Hand, 1993; Oberhummer, 2001; Ecker & Kraft, 2005; Hoffmann & Hofmann, 2008, 2010<br />
PD Dr. W. Ecker
Exposition <strong>mit</strong> Anleitung zur Subjektkonstituierung<br />
• subjektkonstituierende Hilfen zum "Abschütteln" der <strong>mit</strong><br />
Unvollständigkeitsgefühlen verbundenen "Depersonalisationstrance“<br />
statt nur auf Habituationsprozesse zu vertrauen<br />
• Ziel Subjektkonstituierung: wieder vollständige Präsenz des Selbst<br />
als aktive Steuerinstanz in zwangsrelevanten Situationen erreichen,<br />
z.B. durch:<br />
• Förderung vollen emotionalen Erlebens, etwa sich intensiv über<br />
Zeitverlust durch Zwänge ärgern<br />
• klare Selbstinstruktionen, die vom Zwang bislang "verschüttete"<br />
Bedürfnisse und positive Annäherungsziele betonen („ich will…)<br />
• Lernen, sich einen bewussten Situationsüberblick zu<br />
verschaffen, statt an Details zu kleben<br />
• Körperübungen zur "Erdung" und zum Erleben der<br />
Körperintegrität (Bodenkontakt, Sichaufrichten etc.), achtsamkeitsbasierte<br />
Bewegungsübungen, Körper „als eigenen“ spüren<br />
Hoffmann & Hofmann, 2008, 2010<br />
PD Dr. W. Ecker
Exposition <strong>mit</strong> Anleitung zur Subjektkonstituierung<br />
• <strong>bei</strong> Kontrollzwängen: Fokussierung auf motorisch-kinästhetische<br />
Rückmeldungen, d.h. auf das eigene Körpergefühl während der<br />
Handlungsausführung (zunächst <strong>mit</strong> geschlossenen Augen und in<br />
Zeitlupe)<br />
• Einüben zügiger, flüssiger, energischer Handlungsdurchführung<br />
(statt zwangstypischer Fragmentierung des Handlungsablaufs)<br />
• Achtsamkeitsübungen aus anderen therapeutischen Ansätzen gut<br />
integrierbar<br />
• Ziel: „vollständiges“ Selbsterleben als Handlungssubjekt <strong>bei</strong> der<br />
ersten Handlungsdurchführung, so dass sich<br />
Handlungswiederholungen erübrigen<br />
• schon während der Durchführung wird der Handlung emotional,<br />
volitional, konzentrativ und vom leiblichen Erleben her der<br />
„persönliche Stempel aufgedrückt" dies führt auch zu sichererem<br />
Handlungsgedächtnis<br />
Heidenreich & Michalak, 2004; Ecker & Kraft, 2005; Hoffmann & Hofmann, 2008<br />
PD Dr. W. Ecker
neurobiologische Basis von Nicht-genau-richtig-Erleben?<br />
• Fehlfunktion eines internen Signals, welches normalerweise<br />
Verhalten durch Produktion eines „Wissensgefühls“ („feeling of<br />
knowing“) beendet (Beeinträchtigung des normalen „Fühlwissens“)<br />
• neurobiologischer Ursprung von „falschen Alarm“ - Signalen, die<br />
Beendigung von Zwangshandlungen erschweren, noch spekulativ<br />
• Kritik: a) lerngeschichtliche Entwicklungsbedingungen von<br />
Beeinträchtigungen des Fühlwissens genauso plausibel und in der<br />
klinischen Praxis auch herauszuar<strong>bei</strong>ten; b) neurobiologische Veränderungen<br />
auch als sekundäre Folge von Lernerfahrungen<br />
möglich<br />
Rapoport, 1991; Hoehn-Saric & Greenberg, 1997; Szechtman & Woody, 2004; Coles et al., 2005<br />
PD Dr. W. Ecker
NJREs als zwangsstörungsspezifische Perfektionismusvariante<br />
• zwangsstörungsspezifische Variante von Perfektionismus im Sinne<br />
eines empfindungsbasierten bzw. sensorischen Perfektionismus<br />
• überwiegend NJRE-motivierte Betroffene perfektionistischer als<br />
überwiegend schadensvermeidungsmotivierte<br />
• Hinweise darauf, dass neben Perfektionismus zusätzliche zwanghafte<br />
Persönlichkeitszüge vorhanden, entweder im Sinne eines<br />
noch normalen, „gewissenhaften Persönlichkeitsstils“ oder auch<br />
extremisiert im Sinne einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung<br />
Frost et al., 2002; Coles et al., 2003; Summerfeldt, 2004, 2007, 2008; Ecker & Gönner, 2007<br />
PD Dr. W. Ecker
Merkmale der zwanghaften Persönlichkeitsstörung<br />
• starke Beschäftigung <strong>mit</strong> Ordnung, Perfektion, psychischer und<br />
interpersoneller Kontrolle<br />
• übermäßige Beschäftigung <strong>mit</strong> Details, Regeln, Listen, Plänen<br />
• Perfektionismus<br />
• exzessive Ar<strong>bei</strong>tsorientierung<br />
• moralische Skrupulosität<br />
• Widerwille zu delegieren, Drängen darauf, dass Andere die eigene<br />
Ar<strong>bei</strong>tsweise übernehmen sollen<br />
• Geiz<br />
• Rigidität, Halsstarrigkeit<br />
Pinto et al., 2008; Eisen et al., 2008<br />
PD Dr. W. Ecker
Verhaltenstherapie von durch NJREs motivierten Zwängen<br />
• <strong>bei</strong> Fehlen überhöhter Verantwortlichkeitsüberzeugungen oder<br />
Wahrscheinlichkeitsschätzungen kognitive Verfahren nicht indiziert<br />
• Exposition/Reaktionsverhinderung <strong>mit</strong> Ziel Habituation Methode der<br />
Wahl<br />
• bislang keine empirischen Untersuchungen, aber geringerer<br />
Therapieerfolg als <strong>bei</strong> angstmotivierten Zwängen prognostiziert<br />
• ergänzend Anleitung Betroffener zur emotionalen Distanzierung von<br />
ihren Zwängen: NJREs konsequent als Zwangsphänomene<br />
einordnen (Relabeling) und auf „falsche Botschaften des Gehirns“<br />
zurückführen (Reattribution)<br />
Foa et al., 1999; Schwartz, 1999; Coles et al., 2005; Summerfeldt, 2004, 2007, 2008<br />
PD Dr. W. Ecker
NJREs als Extremvarianten perfektionistischer Persönlichkeitszüge<br />
• NJREs häufig als ich-synton (zur Persönlichkeit gehörig) erlebt:<br />
zunächst Bewusstsein für Kosten der Zwänge schärfen, um Veränderungsmotivation<br />
zu fördern<br />
• Zwänge im Alltag Betroffener nicht selten so allgegenwärtig, dass<br />
Exposition nicht nur situationsspezifische Behandlungsstrategie,<br />
sondern umfassende Veränderung des Lebensstils<br />
• allmählicher Rückgang von NJREs <strong>bei</strong> exemplarischer Exposition<br />
bezogen auf einen Stimulus (z.B. „Ertragen“ nicht gleichgerichteter<br />
Teppichfransen) nach klinischer Erfahrung möglich<br />
• Patient muss sich dann aber für oder gegen eine umfassende<br />
Veränderung seines Lebensstils entscheiden: „Immunisierung“<br />
gegen NJREs oder weiter „Versklavung“ durch NJREs<br />
Summerfeldt, 2004, 2007, 2008<br />
PD Dr. W. Ecker
Beispiel den Alltag völlig bestimmender NJRE-basierter Zwänge<br />
• „genau richtiges“ Aufschütteln der Bettdecke nach speziellem<br />
System<br />
• Bettbezug „genau richtig“ glatt ziehen<br />
• Bettvorleger nach speziellem System schütteln<br />
• Schlafanzüge Kinder „genau richtig“ aufhängen<br />
• Bettlaken Mann 100%ig von Körperhaaren befreien<br />
• Teppichfransen 100%ig gerade ausrichten etc.<br />
• zeitaufwendige, manchmal auch <strong>bei</strong> normalem Handlungstempo<br />
durch vorgeschriebene Reihenfolgen sehr unfreie, „genau richtige“<br />
Choreographie<br />
PD Dr. W. Ecker
je nach Motivschwerpunkt unterschiedliche Expositionsvarianten<br />
• Beispiel: <strong>bei</strong> schadensvermeidendem Waschzwang vollständiger<br />
Verzicht auf Waschen für mehrere Tage (Reaktionsverhinderung) +<br />
Exposition (z.B. „bazillenverseuchte“ Türklinken anfassen); Ziel =<br />
Habituation (allmähliches Abklingen der Angst) + Entkräftung von<br />
Katastrophenbefürchtungen (z.B. Betroffener wird trotzdem nicht<br />
krank)<br />
• <strong>bei</strong> unvollständigkeitsbetontem Waschzwang maximale NJREs oft<br />
nicht durch vollständigen Verzicht auf Waschritual provoziert: z.B.<br />
Patient duscht wochenlang nicht und toleriert dies notgedrungen so<br />
lange, um aufgrund von NJREs quälend langwieriges, nur schwer<br />
abschließbares Duschritual aufzuschieben<br />
• indiziert: häufigeres Duschen, normale Duschdauer, Durchführung<br />
abweichend von „genau richtigen“ Regeln (z.B. Wasserstrahl trifft<br />
nicht im „genau richtigen“ Winkel auf den Arm).<br />
Summerfeldt, 2004, 2007, 2008; Ecker, Gönner & Wilm, 2010<br />
PD Dr. W. Ecker
Fazit 1<br />
Zwänge dienen nicht immer der Angstreduktion, sondern vielfach auch<br />
der Bewältigung von Unvollständigkeitserleben. Dieses sollte daher als<br />
charakteristische Erlebnisqualität Zwangserkrankter Eingang in die<br />
diagnostischen Kriterien der Zwangsstörung finden.<br />
PD Dr. W. Ecker
Fazit 2<br />
Selbstbezogenes Unvollständigkeitserleben und Nicht-genau-richtig-<br />
Erleben sind zwei voneinander abgrenzbare, klinisch relevante Aspekte<br />
von Unvollständigkeitserleben, die voneinander unabhängige<br />
Vorhersage<strong>bei</strong>träge zur Schwere der Zwänge liefern.<br />
PD Dr. W. Ecker
Fazit 3<br />
Auch den Betroffenen selbst fällt es schwer, diese Phänomene zu<br />
„versprachlichen“, so dass sie häufig erleichtert sind, sich in den<br />
zumeist als treffend erlebten Beispielaussagen der Fragebögen zur<br />
Erfassung dieser Erfahrungen wieder zu finden.<br />
PD Dr. W. Ecker
Fazit 4<br />
Selbstbezogenes Unvollständigkeitserleben kann als<br />
zwangsspezifische Ausprägungsform von Depersonalisations- und<br />
Derealisationserleben betrachtet werden, die sich häufig im Anschluss<br />
an emotional erschütternde Ereignisse zu Beginn der Zwangsstörung<br />
entwickelt.<br />
PD Dr. W. Ecker
Fazit 5<br />
Für durch Nicht-genau-richtig-Erleben motivierte Zwänge wird ein<br />
neurobiologischer Ursprung diskutiert. Sie werden auch als<br />
Extremvarianten zwanghaft-perfektionistischer Persönlichkeitszüge im<br />
Sinne eines sensorischen Perfektionismus verstanden.<br />
PD Dr. W. Ecker
Fazit 6<br />
Empirisch evaluierte, auf unvollständigkeitsbetonte Zwangsstörungen<br />
zugeschnittene psychotherapeutische Verfahren liegen bislang nicht<br />
vor. Klinisch brauchbar sind die Exposition <strong>mit</strong> Anleitung zur Subjektkonstituierung<br />
zum Abbau selbstbezogenen Unvollständigkeitserlebens<br />
und ein auf Habituationsprozessen basierender Expositionsansatz <strong>bei</strong><br />
durch Nicht-genau-richtig-Erleben motivierten Zwängen.<br />
PD Dr. W. Ecker
Fazit 7<br />
Alle klinischen Erfahrungen sprechen für eine Feinabstimmung der<br />
Behandlung der Zwangsstörung auf zugrunde liegende Zwangsmotive.<br />
Dies erfordert eine sorgfältige Exploration der erlebten emotionalen<br />
Qualität während der Exposition. Hierdurch wird nicht selten auch ein<br />
besseres Verständnis biografischer Entwicklungsbedingungen der<br />
Zwänge möglich.<br />
PD Dr. W. Ecker