Predigt vom 6. Januar
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<strong>Predigt</strong>text an Epiphanias, <strong>6.</strong>1.2013:<br />
Jes 60, 1-6<br />
Liebe Gemeinde,<br />
Vorfreude ist die schönste Freude, heißt es. Wir haben sie<br />
gerade erst hinter uns, die Vorfreude aufs Weihnachtsfest,<br />
und nun liegt das Fest mit seinen Höhepunkten und<br />
Herausforderungen schon hinter uns. So schnell ist es<br />
wieder gegangen!<br />
Vorfreude. Eigentlich sind wir gerade überhaupt nicht<br />
vorfreudig gestimmt, eher ein bisschen wehmütig und mit<br />
einem Bein noch im alten Jahr.<br />
Mitten in unsere „sinkende Spannungskurve“ hinein blitzt<br />
der heutige <strong>Predigt</strong>text, der uns wieder in Spannung<br />
versetzen will. Hören Sie selbst. Ich lese aus Jesaja 60, 1-6:<br />
1 Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt,<br />
und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über dir!<br />
2 Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und<br />
Dunkel die Völker; aber über dir geht auf der HERR,<br />
und seine Herrlichkeit erscheint über dir.<br />
3 Und die Heiden werden zu deinem Lichte ziehen und<br />
die Könige zum Glanz, der über dir aufgeht.<br />
4 Hebe deine Augen auf und sieh umher: Diese sind<br />
alle versammelt und kommen zu dir. Deine Söhne<br />
werden von ferne kommen und deine Töchter auf dem<br />
Arme hergetragen werden.<br />
5 Dann wirst du deine Lust sehen und vor Freude<br />
strahlen, und dein Herz wird erbeben und weit<br />
werden, wenn sich die Schätze der Völker am Meer zu<br />
dir kehren und der Reichtum der Völker zu dir<br />
kommt.<br />
1
6 Denn die Menge der Kamele wird dich bedecken, die<br />
jungen Kamele aus Midian und Efa. Sie werden aus<br />
Saba alle kommen, Gold und Weihrauch bringen und<br />
des HERRN Lob verkündigen.<br />
Mache dich auf und werde Licht! Diese schönen Worte<br />
sind uns sehr vertraut. Sie sind uns auch erst vor<br />
wenigen Wochen begegnet: als Wochenspruch in der<br />
Adventszeit.<br />
Welche Bewandtnis hat es damit, dass wir sie heute als<br />
<strong>Predigt</strong>text hören? Das hat zwei Gründe:<br />
Zum einen feiern wir heute Epiphanias, das Fest der<br />
Erscheinung. Wir feiern, dass Gott nicht nur als kleines<br />
Kind auf die Welt gekommen ist, theologisch<br />
gesprochen in die „Niedrigkeit“, sondern, dass er<br />
gleichzeitig sein Gottsein, seine Macht und, theologisch<br />
ausgedrückt, seine „Herrlichkeit“ mitgebracht hat.<br />
Was ist diese Herrlichkeit?<br />
Nun, die Herrlichkeit Gottes ist die Seite seines Seins,<br />
die uns Menschen unbegreiflich ist, sein Geheimnis und<br />
seine Heiligkeit, seine Größe und weltumspannende<br />
Kraft. Bei der Erzählung der Wüstenwanderung in den<br />
fünf Büchern Mose wird diese Herrlichkeit sehr<br />
eindrücklich dargestellt, nämlich als „leuchtende<br />
Wolke“, die anzeigt, wo sich Gott gerade befindet. Diese<br />
Leuchtwolke führt das Volk Israel ins gelobte Land,<br />
indem sie beständig vor ihm herzieht: bei Tag als<br />
Wolkensäule und bei Nacht als Feuersäule.<br />
Denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des<br />
HERRN geht auf über dir.<br />
Wenn Jesaja also von der Herrlichkeit Gottes schreibt,<br />
die über uns aufgeht, dann meint er ein Phänomen, das<br />
wie die Leuchtwolke anzeigt: Gott ist in unserer Welt<br />
aber gleichzeitig weit über unsere Welt hinaus. Er<br />
überblickt sie und ordnet sie.<br />
2
Gott, der uns so in seiner Göttlichkeit gegenüber tritt,<br />
verlangt nicht unser Lob und unsere Anbetung, wie es<br />
ein feudaler Herrscher tun würde. Nein, seine Größe und<br />
Herrlichkeit sind aus sich selbst heraus so ergreifend und<br />
erfüllend, dass wir gar nicht anders können, als ihn zu<br />
loben.<br />
Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt,<br />
und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über dir!<br />
Wir haben in unserem aufgeklärten Zeitalter wenige<br />
Erlebnisse, die veranschaulichen können, was da<br />
passiert.<br />
Wir haben zu Recht gelernt, Hierarchien zu misstrauen.<br />
Wir hinterfragen die Inszenierungen weltlicher Macht.<br />
Und wir lassen den Jubel und die Glorifizierung nur<br />
noch im Showbereich zu, wo sie umso merkwürdigere<br />
Blüten treiben.<br />
Doch die Herrlichkeit Gottes schafft sich selbst ihren<br />
Raum.<br />
Etwas davon haben wir vorhin gespürt, als wir Maya auf<br />
den Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des<br />
Heiligen Geistes getauft haben. Die besondere Dichte<br />
dieses Augenblicks ist nicht von Menschen gemacht. In<br />
diesem Augenblick wurden wir alle von Gottes<br />
Herrlichkeit berührt.<br />
Ein anderes Beispiel: Ich meine auch sie zu spüren,<br />
wenn der Papst zu Ostern seinen Segen „urbi et orbi“<br />
spendet: der Stadt und dem Erdkreis. Und genauso ist sie<br />
immer wieder während unserer Gottesdienste erfahrbar:<br />
in den Gebeten, in der Stille, manchmal auch bei der<br />
<strong>Predigt</strong>…<br />
Und, so denke ich, sie bricht sich auch in so manchem<br />
Wort des Dalai Lama Bahn. Ich spreche damit ein ganz<br />
heiß umkämpftes theologisches Thema an: ist der Gott,<br />
an den wir glauben, und der Gott der anderen Religionen<br />
derselbe?<br />
3
Darüber maße ich mir kein endgültiges Urteil an. Aber<br />
ich bin gewiss, dass Gott, der die ganze Welt geschaffen<br />
hat, auch verschiedene Völker und Glaubensformen<br />
anspricht und – zumindest immer wieder – auch durch<br />
sie spricht.<br />
Und damit sind wir beim zweiten Grund dafür, dass wir<br />
heute Jes 60, 1-6 als <strong>Predigt</strong>text haben:<br />
Und die Heiden werden zu deinem Lichte ziehen und<br />
die Könige zum Glanz, der über dir aufgeht.<br />
Gottes Herrlichkeit geht nicht nur für uns Christinnen<br />
und Christen auf. Sie gilt allen Menschen. Traditionell<br />
wird deshalb heute der Tag der Weltmission gefeiert,<br />
und Sie geben Ihr Opfer für die Ausbreitung des<br />
Evangeliums weltweit.<br />
Gottes Herrlichkeit bringt Licht für alle Menschen. Für<br />
mich steht das außer Frage. Gottes Liebe und<br />
Menschenfreundlichkeit waren von Anfang an nicht<br />
begrenzt auf eine kleine Menschengruppe im Nahen<br />
Osten. Sie ist auch nicht begrenzt auf die Ausdehnung<br />
der christlich geprägten Länder, die wir heute sehen.<br />
Gottes Herrlichkeit gilt allen Menschen. So wie eine<br />
Kerze, die ich in einem dunklen Raum aufstelle, den<br />
ganzen Raum ausleuchtet und nicht wie ein moderner<br />
Autoscheinwerfer einen begrenzten dynamischen<br />
Lichtkegel bildet, so leuchtet auch Gottes Herrlichkeit<br />
die ganze Welt aus.<br />
Was aber bedeutet das?<br />
Viele von uns denken nun vielleicht mit Schrecken an<br />
die Folgen der Conquista, also der Spanischen und<br />
Portugiesischen Eroberung in Lateinamerika, an die<br />
Mission mit dem Schwert, die den Indios das<br />
Menschsein absprach. Viele denken vielleicht auch an<br />
den Kulturimperialismus, den die Schwarzafrikanischen<br />
4
Stämme und Königreiche während des 19. Jahrhunderts<br />
erleben mussten.<br />
Beides waren Folgen eines religiös angeheizten<br />
Eroberungsdrangs. Sie haben die Herrlichkeit Gottes<br />
verdunkelt und verstellt, statt ihr Raum zu machen.<br />
Die brutalen Eroberungsformen, die heute noch unter der<br />
Überschrift Mission erinnert werden, sind als das zu<br />
brandmarken, was sie waren: menschen- und<br />
gottesverachtende Verhaltensweisen und Verbrechen.<br />
Und doch ist das nicht die ganze Geschichte.<br />
Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt,<br />
und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über dir!<br />
Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und<br />
Dunkel die Völker; aber über dir geht auf der HERR,<br />
und seine Herrlichkeit erscheint über dir.<br />
Und die Heiden werden zu deinem Lichte ziehen und<br />
die Könige zum Glanz, der über dir aufgeht.<br />
Ich denke an den katholischen Priester Bartholome de<br />
Las Casas, der die Indios aus seinem Glauben heraus<br />
vor der Eroberungswut der Conquistadores zu schützen<br />
versucht.<br />
Ich denke an Johannes Zimmermann aus Gerlingen, der<br />
1848 mit der Basler Mission nach Westafrika reist, dort<br />
als Afrikaner unter Afrikanern lebt und aus diesem Geist<br />
das Evangelium verbreitet – nicht als Kulturleistung der<br />
Europäer, sondern als Gottes Wort für alle Welt.<br />
Als Studentin hatte ich 1991 Gelegenheit, bei einem<br />
Workcamp-Aufenthalt die Presbyterianische Kirche von<br />
Ghana kennenzulernen. Neben der überwältigenden<br />
Gastfreundschaft habe ich vor allem eine Glaubenstiefe<br />
erfahren, die sich in Liedern und Gebeten, in<br />
mehrstündigen Gottesdiensten und fröhlichem Tanz<br />
ausgedrückt hat. Und ich habe die positive Wirkung der<br />
Bildungsarbeit erlebt, die ursprünglich von den Basler<br />
Missionaren ausging: die Schulen und<br />
5
Berufsausbildungen, die jungen Menschen einen Weg<br />
ins Leben eröffnen. War es gut, dass Menschen den<br />
Weg auf sich genommen haben, um die Botschaft weiter<br />
zu tragen? Ich denke: ja. Heute wie damals kommt<br />
jedoch alles darauf an, wie das geschieht.<br />
Gottes Herrlichkeit leuchtet für alle Menschen. Sie ist<br />
im wahrsten Sinne des Wortes global. Wir sind dazu<br />
aufgerufen, dieser Herrlichkeit Raum zu geben, so wie<br />
wir der Ausbreitung des Lichts in einer dunklen Kirche<br />
Raum geben würden: Indem wir Hindernisse und<br />
Lichtblockaden entfernen. Hindernisse der<br />
Verständigung zum Beispiel.<br />
Wenn wir mit Menschen anderen Glaubens ins<br />
Gespräch kommen, dann sollen wir uns nicht verbiegen.<br />
Andere können uns und unseren Glauben ja nur<br />
kennenlernen, wenn wir offen und verständlich davon<br />
sprechen.<br />
Aber wir sollten darauf achten, diesen Glauben nicht<br />
wie eine Brechstange der Wahrheit mit uns zu führen<br />
und den anderen nicht zu verletzen. Sonst schaffen wir<br />
Hindernisse und errichten Lichtblockaden, statt sie<br />
abzubauen.<br />
Es gibt viele gute Gelegenheiten des Austauschs und des<br />
Kennenlernens. Ich denke zum Beispiel an die Initiative<br />
des Bezirksarbeitskreises Frauen, der seit einigen Jahren<br />
den Kontakt mit muslimischen Frauen in Waiblingen<br />
pflegt. Am 12. März wird es einen Abend zum Thema<br />
Gottesbilder geben: zum Kennenlernen und Nachfragen,<br />
zum Staunen und mit nachhause Nehmen.<br />
So leise und sanft, denke ich, so freundlich und freudvoll<br />
schafft sich auch die Herrlichkeit Gottes bei uns Raum.<br />
Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt,<br />
und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über dir!<br />
6
Kehren wir am Schluss noch einmal ganz zum Anfang<br />
zurück: Die Vorfreude ist nicht nur die schönste Freude.<br />
Die Vorfreude ist auch die Schwester der Hoffnung.<br />
Beide miteinander geben uns Energie und Ideen, jeden<br />
Tag ein Stückchen mehr auf die Herrlichkeit Gottes zu<br />
zu leben und ihr Raum zu schaffen.<br />
Das mag durch das Lächeln für die türkische<br />
Gemüsehändlerin beim Einkaufen geschehen. Oder im<br />
Gespräch mit den Nachbarskindern darüber, wo Gott<br />
wohnt. Oder bei dem kurzen Schwätzchen, wenn sich<br />
der russischstämmige Nachbar den Wagenheber ausleiht.<br />
So werden wir fast unbemerkt den Raum vergrößern, in<br />
den Gottes Licht ungehindert strahlen kann.<br />
Amen<br />
Pfarrerin Dr. Antje Fetzer<br />
Lied: EG 66, 1.2.7 Jesus ist kommen, Grund ewiger<br />
Freude<br />
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