Predigt vom Karfreitag
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<strong>Predigt</strong>text an <strong>Karfreitag</strong>, 29.3.2013<br />
Mt 27, 33-54<br />
Liebe Gemeinde,<br />
noch nicht lange ist es her, da waren wir hier zusammen, um<br />
Jesu Geburt zu feiern. Heute sind wir hier, um seinen Tod<br />
zu beweinen. An Weihnachten haben wir gesungen: „Gott<br />
wird Mensch, dir Mensch zugute. Gottes Kind, das verbindt<br />
sich mit unserm Blute.“<br />
Heute, so könnte man sagen, ist die Rechnung auf dem<br />
Tisch. Die Konsequenz des Menschseins liegt offen zutage.<br />
Wir stehen am Fuß des Kreuzes und wissen nicht, wie es<br />
uns gehen soll: Kann das möglich sein, Gott, der Herrscher<br />
der Welt, gekreuzigt?<br />
Die Muslime, denen Jesus ebenfalls als wichtiger Prophet<br />
gilt, haben Jesus ein anderes Ende zugedacht. Ohnmächtig<br />
sei er geworden und rechtzeitig <strong>vom</strong> Kreuz entrückt<br />
worden, um später wieder zu den Menschen<br />
zurückzukehren.<br />
Doch wir als Christinnen und Christen haben diesen<br />
gedanklichen Ausweg nicht. Wir müssen uns damit<br />
konfrontieren, was das heißt: Gott ist in Jesus unser Bruder<br />
geworden, mit allen Konsequenzen.<br />
Auch der Evangelist Matthäus stand vor der Aufgabe, das<br />
Unbegreifliche in Worte zu fassen, einen Bogen zu spannen<br />
durch die Ereignisse am Lebensende Jesu. Es ist ein<br />
schonungsloser Bericht entstanden, ohne Beschönigung.<br />
Hören Sie aus Matthäus 27 die Verse 33-54:<br />
33 Und als sie an die Stätte kamen mit Namen Golgatha,<br />
das heißt: Schädelstätte,<br />
34 gaben sie Jesus Wein zu trinken mit Galle vermischt;<br />
und als er’s schmeckte, wollte er nicht trinken.<br />
35 Als sie ihn aber gekreuzigt hatten, verteilten sie seine<br />
Kleider und warfen das Los darum.<br />
1
36 Und sie saßen da und bewachten ihn.<br />
37 Und oben über sein Haupt setzten sie eine Aufschrift<br />
mit der Ursache seines Todes: Dies ist Jesus, der<br />
Juden König.<br />
38 Und da wurden zwei Räuber mit ihm gekreuzigt, einer<br />
zur Rechten und einer zur Linken.<br />
39 Die aber vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten<br />
ihre Köpfe<br />
40 Und sprachen: der du den Tempel abbrichst und<br />
baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir selber, wenn du<br />
Gottes Sohn bist, und steig herab <strong>vom</strong> Kreuz!<br />
41 Desgleichen spotteten auch die Hohenpriester mit den<br />
Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen:<br />
42 Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht<br />
helfen. Ist er der König von Israel, so steige er nun<br />
<strong>vom</strong> Kreuz herab. Dann wollen wir an ihn glauben.<br />
43 Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er<br />
Gefallen an ihm hat; denn er hat gesagt: ich bin<br />
Gottes Sohn.<br />
44 Desgleichen schmähten ihn auch die Räuber, die mit<br />
ihm gekreuzigt waren.<br />
45 Und von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis<br />
über das ganze Land bis zur neunten Stunde.<br />
46 Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut: Eli, Eli,<br />
lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott,<br />
warum hast du mich verlassen?<br />
47 Einige aber, die da standen, als sie das hörten,<br />
sprachen sie: Der ruft nach Elia.<br />
48 Und sogleich lief einer von ihnen, nahm einen<br />
Schwamm und füllte ihn mit Essig und steckte ihn auf<br />
ein Rohr und gab ihm zu trinken.<br />
49 Die andern aber sprachen: Halt, lass sehen, ob Elia<br />
komme und ihm helfe!<br />
2
50 Aber Jesus schrie abermals laut und verschied.<br />
51 Und siehe, der Vorhang im Tempel riss in zwei Stücke<br />
von oben an bis unten aus.<br />
52 Und die Erde bebte und die Felsen zerrissen, und die<br />
Gräber taten sich auf und viele Leiber der<br />
entschlafenen Heiligen standen auf<br />
53 und gingen aus den Gräbern nach seiner<br />
Auferstehung und kamen in die Heilige Stadt und<br />
erschienen vielen.<br />
54 Als aber der Hauptmann und die mit ihm Jesus<br />
bewachten das Erdbeben sahen und was da geschah,<br />
erschraken sie sehr und sprachen: Wahrlich, dieser<br />
ist Gottes Sohn gewesen!<br />
Jesus erlebt nichts Gutes in seinen letzten Stunden: die<br />
Soldaten verspotten ihn. Die Religiösen provozieren ihn mit<br />
ihrem anmaßenden Gerede. Auch körperlich wird er<br />
angegangen, bekommt vergällten Wein zu trinken.<br />
Anders als in den Evangelien von Lukas oder Johannes<br />
scheint im Matthäusevangelium auch Jesus selbst keinen<br />
Sinn zu spüren in dem Schrecklichen, das er erlebt. „Mein<br />
Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ In seinem<br />
Todeskampf nimmt Jesus Zuflucht zur Sprache der<br />
Psalmen. Das kommt beinahe einem Fluch gleich, denn<br />
Psalm 22 ist voller Verzweiflung. Man kann sie körperlich<br />
spüren: Den panikartigen Versuch, im Dunkeln nach dem<br />
rettenden Strohhalm zu greifen; die Erfahrung, immer<br />
wieder ins Leere zu gehen.<br />
„Mein Gott, mein Gott!“ Jesus ist ganz unten. Er spürt, dass<br />
es nicht mehr weiter geht. Doch er hält durch, reißt nicht aus<br />
aus der menschlichen Enge. Darin erscheint er auch am<br />
Kreuz noch göttlich: Welcher Mensch wäre am Kreuz<br />
geblieben, wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, es zu<br />
verlassen?<br />
3
Zwei kurze Sätze aus dem <strong>Predigt</strong>text beleuchten dieses<br />
Geschehen, kommentieren es für uns heute:<br />
Aber Jesus schrie abermals laut und verschied.<br />
Und siehe, der Vorhang im Tempel riss in zwei Stücke<br />
von oben an bis unten aus.<br />
Kinogewohnt wie wir sind, nehmen wir die Verbindung<br />
dieser beiden Szenen ohne Verwunderung hin.<br />
In „Titanic“ stürzen Hunderte von Tellern zu Boden, als das<br />
Schiff kippt, hier reißt ein Vorhang entzwei. Vertraute<br />
Weltuntergangsszenarien. Ausgelöst durch Jesu Tod wird ja<br />
sofort die ganze Schöpfung in Aufruhr gezeigt:<br />
Und die Erde bebte und die Felsen zerrissen, und die<br />
Gräber taten sich auf und viele Leiber der<br />
entschlafenen Heiligen standen auf.<br />
Beinahe könnte uns beim Hören entgehen, dass das erste<br />
Glied in der Kette nicht dazu gehört. Der Vorhang im<br />
Tempel zerreißt nicht wegen des Erdbebens. Er wird aus<br />
einem ganz anderen Grund brüchig:<br />
Gott stirbt wie ein Mensch. Die Trennung von Gott und<br />
Mensch ist endgültig aufgehoben.<br />
Der Vorhang im Tempel, hinter dem sich das Allerheiligste<br />
befand, der Vorhang, hinter den nur einmal im Jahr ein<br />
Mensch treten durfte, und zwar der Hohepriester. Der<br />
Vorhang, der die Heiligkeit Gottes wahrte: er gibt mit einem<br />
großen „Ratsch!“ seinen Geist auf.<br />
Kilometer weit entfernt von Golgatha werden Menschen<br />
Zeuge des Beginns einer neuen Zeit. Nicht Jesu Geburt<br />
vollendet die Menschwerdung Gottes. Es ist sein Tod.<br />
Ist das nun ein blutrünstiger, weit entfernter Gedanke? Ist es<br />
Pessimimus, Gottesvergiftung, die Freudlosigkeit einer<br />
verbiesterten Gottesauffassung?<br />
Nein. Es ist ein Spiegel unseres Menschseins.<br />
4
Haben Sie sich auch schon einmal gefragt, ob der Penner,<br />
dem sie ab und zu auf der Straße begegnen, auch einmal ein<br />
kleines, behütetes Baby war, gewiegt und geliebt von seinen<br />
Eltern? Wo hat es eigentlich angefangen mit dem Absturz?<br />
Nein, wir stellen uns den Penner nicht mit einem<br />
hoffnungsvollen Anfang vor. Das wäre zu grausam. Das<br />
würde uns Angst machen.<br />
Dabei ist das die Wahrheit: Menschen müssen viel ertragen<br />
während ihres Lebens. Den Tod naher Menschen, den<br />
Verlust von Ausbildungschancen, Arbeitslosigkeit,<br />
Trennungen, Krankheiten, Unglücksfälle. Sie müssen<br />
ertragen, enttäuscht und verraten zu werden. Das ist selten<br />
so spektakulär wie im Falle Jesu. Der Verräter küsst in der<br />
Regel nicht öffentlich. Der Schmerz aber bohrt sich tief in<br />
unsere Seele.<br />
Ich will nicht Schwarzmalen. Unser Leben ist durchwirkt<br />
von Hellem und Dunklem. Doch wie oft drehen wir uns von<br />
unseren Dunkelheiten weg. Wie oft hat der Verrat seine<br />
Ursache darin, dass wir es nicht aushalten können, auf der<br />
Verliererseite zu stehen, dass wir es uns nicht zutrauen, eine<br />
schwere Krankheit mit durchzustehen. Dass wir das Leid<br />
der Menschen, die wir lieben, meinen nicht ertragen zu<br />
können.<br />
Und plötzlich ist da dieser Jesus, der sich zu den<br />
Ausgestoßenen hält, der in seinem Leben niemals<br />
Berührungsängste hatte. Zöllner und Prostituierte hat er<br />
vorbehaltlos angesprochen. Sein großes Herz hielt er offen<br />
über jede Enttäuschung hinweg. Petrus und Judas saßen mit<br />
am Abendmahlstisch.<br />
Dieser Jesus weicht nicht aus. Er duckt sich nicht vor den<br />
religiösen Autoritäten. Er fängt keinen billigen Streit mit<br />
den Römern an. Er steigt nicht <strong>vom</strong> Kreuz.<br />
Exemplarisch lebt er das Leben der Menschen mit, die sich<br />
nicht wehren können. Exemplarisch führt er uns vor Augen,<br />
wie grausam wir Menschen unsere Welt gemacht haben.<br />
5
„Er ist zum Tode verurteilt? – Zieh ihm die Kleider aus!“,<br />
„Er ist wegen Gotteslästerung verurteilt, er hat behauptet<br />
der König der Juden zu sein? – Lasst uns noch eins<br />
draufsetzen und ihn krönen!“<br />
Brutalität ist eine häufige Antwort auf die Grausamkeit, die<br />
Menschen erleben. Es ist wie eine instinktive Abwehr:<br />
Bevor man mit dem Opfer identifiziert wird, tritt man selbst<br />
zu. Oder man schaut wenigstens weg, um nicht<br />
hineingezogen zu werden.<br />
Jesus macht dieses Spiel nicht mit. Er bleibt friedlich und<br />
gewaltlos. Er lässt seine Peiniger sich die Zähne an ihm<br />
ausbeißen. Ihr Spott erreicht ihn nicht, und das bricht dem<br />
Spott die Spitze ab.<br />
Gewaltfreier Widerstand heißt es heute, Mahatma Gandhi<br />
hat es als Aktionsform etabliert. Gelernt könnte er es bei<br />
Jesus haben: Den anderen mit seinen eigenen Waffen ins<br />
Unrecht setzen, ihn mit seinem schlechten Gewissen oder<br />
durch das Urteil einer schließlich umgestimmten<br />
Öffentlichkeit schlagen.<br />
Und doch ist Jesus in der Beschreibung des Matthäus<br />
keineswegs der souveräne Held. Er leidet zutiefst. Doch<br />
sein größtes Leiden fügen im nicht die Menschen zu. Ganz<br />
im Herzen ringt er um seine Beziehung zu Gott. Es ist ein<br />
seelischer Kampf.<br />
Darin ist Jesus ganz Mensch. Die tiefste Nacht erleiden wir<br />
Menschen nicht körperlich. Unser Körper mag geschunden<br />
werden – solange die Seele unversehrt ist, behält der<br />
Mensch in den grausamsten Situationen seine Würde.<br />
Doch wenn die Seele angegangen wird, wenn es darum<br />
geht, einen Menschen zu verstören, ihm Selbstvertrauen und<br />
Hoffnung zu nehmen, dann bricht die dunkelste Nacht<br />
herein.<br />
6
Vor einigen Wochen lief in den Kinos ein Spielfilm über<br />
Hannah Arendt, die deutsch-jüdische Philosophin. Sie hat<br />
das Frauenkonzentrationslager überlebt. In dem Film geht<br />
es um ihre Rolle im Eichmann-Prozess Jahre nach dem 2.<br />
Weltkrieg. Ihre klare Position bezieht sie aus ihrer eigenen<br />
Lagererfahrung. Eichmann erscheint ihr zu armselig, zu<br />
banal für das Grauen, das ihm zugetraut wird. Sie hält ihn<br />
nur für eine verantwortungslose Krämerseele. Die stärksten<br />
Kräfte der Zerstörung aber vermutet sie in der<br />
Hoffnungslosigkeit der Opfer, darin, dass die ständige<br />
Erniedrigung in die Opfer selbst eindringt und sie von innen<br />
heraus zersetzt wie ein Gift.<br />
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ In<br />
Jesu verzweifeltem Schrei scheint diese Hoffnungslosigkeit<br />
auf, die einem Menschen alles nehmen kann.<br />
Am Kreuz steht Jesus mit beiden, geschundenen Beinen im<br />
Menschsein. An der Todesgrenze, in der Erfahrung von<br />
Verlassensein und Hoffnungslosigkeit wird er endgültig<br />
unser Bruder. Und der Vorhang im Tempel zerreißt.<br />
Hat Gott diesen Weg gebraucht? Musste er wirklich seinen<br />
Sohn opfern? Wenn wir mit dem Evangelisten Matthäus<br />
unter dem Kreuz stehen, erkennen wir: nicht Gott hat sich<br />
das ausgedacht, sondern er ist dabei letztlich unseren<br />
menschlichen Fußspuren gefolgt. Wir sind es, die einander<br />
verletzen und allein lassen. Wir sind es mit unseren Grenzen<br />
und grenzenlosen Wünschen. Wir mit unserer Angst vor<br />
Nähe – und Tod.<br />
Gott geht uns hinterher, bis in diese Abgründe unserer<br />
Seele, damit wir dort nicht alleine bleiben.<br />
Damit wir uns erschüttern lassen und letztlich mit dem<br />
Hauptmann unter dem Kreuz erkennen:<br />
Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn! Amen<br />
7
O Mensch, bewein dein Sünde groß. Wir hören Orgelmusik<br />
von Johann Sebastian Bach.<br />
Pfarrerin Dr. Antje Fetzer<br />
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