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Predigt vom 26. August

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<strong>Predigt</strong> am <strong>26.</strong>8.2012, 12.S.n.Tr.<br />

Apg 3,1-10<br />

Liebe Gemeinde,<br />

Manchmal stehen wir auf<br />

Stehen wir zur Auferstehung auf<br />

Mitten am Tage<br />

So beginnt ein Ostergedicht von Marie Luise Kaschnitz,<br />

eine der großen Dichterinnen des letzten Jahrhunderts.<br />

Manchmal stehen wir auf<br />

Stehen wir zur Auferstehung auf<br />

Mitten am Tage<br />

Für die Dichterin kann Ostern, kann Auferstehung an 365<br />

Tagen im Jahr geschehen.<br />

Und es geschieht. Manchmal. Mitten am Tag.<br />

Und es geschah – auch damals, zur neunten Stunde,<br />

mitten am Tag, um drei Uhr mittags, zur Gebetszeit. Ich<br />

lese den <strong>Predigt</strong>text für heute: Apostelgeschichte 3,1-10<br />

Auferstehung. Mitten am Tag. Nach Jahrzehnten der<br />

Lähmung.<br />

Eine Wundergeschichte. Eine wunderbare Geschichte.<br />

Eine Geschichte von Heil und Heilung. Eine Erzählung<br />

von menschlicher Nähe und Begegnung, wie sie schöner<br />

kaum sein könnte.<br />

1


Einige Aspekte dieser Wunder-vollen Begegnung will<br />

ich herausgreifen.<br />

Da ist einer lahm.Von Mutterleibe an. Konkret bedeutet<br />

das: Nie auf eigenen Füßen stehen. Nie alleine von Ort zu<br />

Ort zu kommen. Immer abhängig sein, im Mutterleib und<br />

dann jahrzehntelang. Der Mann kennt es nicht anders.<br />

Und der Vorteil ist: Er kann seine Behinderung in bare<br />

Münze umwandeln. Jeden Tag wird er ‚zur Schönen’<br />

getragen. Leider nicht zu einer schönen Frau, nein nur<br />

zur Tempeltür, die diesen Namen trägt. Dort ist sein<br />

Platz. Jeder kennt ihn. Und sicher sind die Einnahmen<br />

nicht schlecht. Wir kennen das ja auch: Als Kirchgänger<br />

oder Tempelgänger fällt es einem schwer, an einem<br />

Bettler einfach vorbeizugehen. Da regt sich doch das<br />

Gewissen.<br />

‚ Es wurde ein Mann herbeigetragen, lahm von<br />

Mutterleibe; den setzte man täglich vor die Tür, die da<br />

heißt die Schöne, damit er um Almosen bettelte bei<br />

denen, die in den Tempel gingen.<br />

So sitzt er also Tag für Tag und hat sich vermutlich mit<br />

seinem Schicksal arrangiert. Es ist nicht zu erwarten,<br />

dass noch mal eine neue Wendung in sein Leben kommt.<br />

Auch als er die Jesusjünger Petrus und Johannes von<br />

weitem kommen sieht, denkt er nicht im Geringsten<br />

daran, dass sie an seiner Situation etwas ändern könnten.<br />

Er erhofft einfach ein paar Geldstücke. Und offenbar<br />

schaut er auch nicht zu ihnen auf, als sie dann vor ihm<br />

stehen.<br />

Als er nun Petrus und Johannes sah, wie sie in den<br />

Tempel hineingehen wollten, bat er um ein Almosen.’<br />

2


Interessant finde ich für unsereins den Aspekt der<br />

Gewohnheit: Es ist wohl menschlich und oft auch<br />

sinnvoll, sich mit seiner Situation zu arrangieren. Aber es<br />

kann auch sein, dass wir uns mal ZU häuslich einrichten.<br />

Dass wir meinen, es lässt sich eh nichts ändern. Dass wir<br />

sagen: jetzt läufts eben vollends so durch. Dann leben wir<br />

– oft mehr schlecht als recht - mit unseren inneren<br />

Beschränktheiten, mit unseren Defiziten, die wir<br />

manchmal schon mit der Muttermilch eingesogen haben,<br />

mit unseren Gewohnheiten, die wir einfach weiterführen,<br />

weil wir’s eben immer schon so gemacht haben.<br />

Das KANN dienlich und gut sein. Das kann uns aber<br />

auch Leben und Lebendigkeit nehmen. Das ist für mich<br />

EINE Spur in dem Text. Dass wir wieder genauer<br />

hinschauen: wo ist das Gewohnte sinnvoll und wo täte es<br />

gut, endlich mal etwas zu ändern. Wenigstens damit zu<br />

rechnen, dass Veränderung möglich ist. Das ist ja oft<br />

schon der erste Schritt. Es MUSS und SOLL nicht immer<br />

alles beim alten bleiben. .<br />

‚Das Leben ist schön – du musst nur dabei sein.’ Lese ich<br />

auf einer Postkarte. Und darunter vier Mädchen mit<br />

Sommerkleidern, die barfuß und mit den Armen<br />

untergehakt vergnügt durch den Regen laufen. Schön<br />

finde ich an dieser Karte besonders, wie da in Wort und<br />

Bild ausgedrückt ist, dass wir eigentlich oft nichts<br />

anderes tun müssen als unsere Haltung zu verändern zu<br />

dem was ist: Statt sich zu ärgern, dass man nicht raus<br />

kann bei dem Regen: Einfach rausgehen, am liebsten<br />

tatsächlich barfuß und den frischen Regen auf der Haut<br />

und an den Füßen spüren und genießen. Das war’s schon.<br />

Da ist schon neues Leben ins Leben gekommen.<br />

3


Veränderung, mehr Lebendigkeit – auch in ganz kleinen<br />

alltäglichen Dingen ist das möglich. Der Lahme rechnet<br />

wohl nicht mehr damit - verständlicherweise. Rechnen<br />

wir noch damit ? Schön wär’s.<br />

Und dann wird der Lahme überrascht. Plötzlich bleiben<br />

die zwei Jesus-Leute vor ihm stehen, ohne aber Geld zu<br />

geben. Sondern – was geschieht ?<br />

‚Petrus blickte ihn an mit Johannes und sprach: Sieh uns<br />

an’<br />

Das ist ja spannend ! Blickkontakt statt Geld. Sich in die<br />

Augen schauen statt Almosen. Vielleicht haben wir das<br />

auch schon mal versucht: Mit Bettelnden in Kontakt zu<br />

kommen, in ein Gespräch. Da ist dann oft dieses blöde<br />

Gefälle von oben nach unten, aber immerhin, es entsteht<br />

manchmal ein Gespräch und eben ein Blick von Mensch<br />

zu Mensch.<br />

‚Und er sah sie an und wartete darauf, dass er etwas von<br />

ihnen empfinge’<br />

Hier kommt für mich das Thema Kommunikation ganz<br />

stark hinein. Wie begegne ich anderen ? Auf Augenhöhe<br />

? Mit Blickkontakt ? Mit offenen Augen und Sinnen für<br />

das, was den anderen grade bewegt ? In den Augen eines<br />

anderen mitsamt den Fältchen drumrum lässt sich ja oft<br />

wunderbar lesen. Und dass in meinen Augen gelesen<br />

wird – auch damit muss und darf ich rechnen. Vor jedem<br />

Wort drückt der Blickkontakt viel aus. Das kann sehr<br />

schön sein – z.B. wenn ein Augenaufschlag oder ein<br />

Lächeln dazu kommen. Das kann aber auch weh tun.<br />

‚Wenn Blick töten könnten’ wäre’s manchmal echt<br />

gefährlich…<br />

4


Ein Mann erzählt mir von einer Gruppenübung, bei der<br />

sich die Teilnehmenden in zwei Kreisen umeinander<br />

stellen. Der innere Kreis schaut nach außen, der äußere<br />

Kreis schaut nach innen. Und dann die Aufgabe:<br />

Jeweils ein Außen- und ein Innen-Mensch schauen sich 2<br />

Minuten lang in die Augen und dann wechselt man eins<br />

weiter. Wie da die Tränen geflossen sind erzählt der<br />

Mann.<br />

Blickkontakt kann etwas sehr Persönliches sein. Und es<br />

berührt u.U. sehr, wenn man angesehen wird, mit<br />

Interesse und Freundlichkeit. Angeschaut als der oder<br />

die, die man ist.<br />

‚Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über uns und sei<br />

uns gnädig.’ In jedem Segen kommt diese Bitte vor, dass<br />

Gott uns sein Angesicht zuwenden möge, so dass er uns<br />

nicht aus den Augen verliert und wir in seinem Licht<br />

leben können.<br />

Es ist schön, wenn wir uns als Menschen auf Augenhöhe<br />

begegnen und so in die Augen schauen, dass etwas<br />

durchscheinen kann von dem leuchtenden Angesicht der<br />

Liebe.<br />

‚Und er sah sie an und wartete darauf, dass er etwas von<br />

ihnen empfinge. Petrus aber sprach: Silber und Gold<br />

habe ich nicht. Was ich aber habe, das gebe ich dir, im<br />

Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh<br />

umher.’<br />

Jetzt beginnt das völlig Neue. Noch nie hat jemand<br />

gewagt, das Unmögliche auszusprechen: ‚ Steh auf und<br />

geh umher’. Petrus tut es. Aber nicht im eigenen Namen,<br />

sondern in Vollmacht. Im Namen Jesu Christi von<br />

Nazareth, der in diesen ersten Kapiteln der<br />

Apostelgeschichte ja gerade vollends die Erde verlassen<br />

hat und seinen Geist gesandt hat.<br />

5


Die Pfingstgeschichte geht unserem <strong>Predigt</strong>text<br />

unmittelbar voraus. Geistbegabt traut Petrus sich also das<br />

bevollmächtigte Reden und Handeln zu. ‚Steh auf und<br />

geh umher’<br />

Und eh sich’s der Lahme noch überlegen kann greift<br />

Petrus seine Hand und zieht ihn hoch:<br />

‚Er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf.<br />

Sogleich wurden seine Füße und Knöchel fest.’<br />

Petrus hilft also schon auch noch handfest nach. Wer so<br />

lange gesessen hat, der braucht Unterstützung, der<br />

braucht es, erstmal aufgerichtet zu werden, den muss<br />

man eine Weile noch mit beiden Armen halten, damit die<br />

Füße gut zum Stehen kommen. Petrus tut das und es<br />

geht.<br />

Nochmal eine Übertragung für uns: Manchmal brauchen<br />

wir es, dass uns jemand sagt: Auf geht’s, jetzt versuchen<br />

wir’s mal. Du schaffst das. Ich helfe dir. Ich bleibe auf<br />

jeden Fall an deiner Seite, so lange du mich brauchst.<br />

Christus will, dass wir aufrecht stehen und gehen können.<br />

Christus will, dass wir uns nicht auf Dauer lähmen lassen<br />

von den Umständen oder den Ereignissen oder<br />

Beziehungen. Er schickt uns Menschen an die Seite –<br />

und auch wir können solche Menschen für andere sein –<br />

Menschen, die aufhelfen, die unterstützen, die einen<br />

Anstoß geben, die das vermeintlich Unmögliche für<br />

möglich halten. Jesus Christus bevollmächtigt uns dazu,<br />

einander auf diese Weise sozusagen zum ‚Entwicklungs-<br />

Helfer’ zu werden.<br />

‚Und er sprang auf, konnte gehen und stehen und ging<br />

mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte<br />

Gott’<br />

6


Ein wunderbares Bild hat man da vor Augen, wie dieser<br />

Mensch tanzt und springt und sich nicht einkriegen kann<br />

vor Freude und Dank. Und endlich ist er dabei, bei all<br />

den anderen, und kann das tun, was doch ein<br />

menschliches Grundbedürfnis ist: Die Schwelle<br />

überschreiten, Gottes Haus betreten und mit Leib und<br />

Seele Gott loben.<br />

‚Mensch, lerne tanzen, sonst wissen die Engel im<br />

Himmel nichts mit dir anzufangen’. Dieser Spruch – ich<br />

weiß nicht von wem er stammt - ist mir da wieder<br />

eingefallen. Gott loben im Tanzen, im Springen, im<br />

Drehen, im Wippen und Wiegen, das machen wir<br />

eigentlich viel zu selten.<br />

Vor der Sommerpause haben wir in der Frauenliturgie<br />

hier vor der Michaels-Kirche zu südamerikanischen<br />

Klängen getanzt – zum Teil im Kreis, zum Teil jede<br />

einfach für sich. Das war ein sehr schöner Anblick und<br />

den Tanzenden hat’s gefallen und ich glaube, Gott auch.<br />

‚Und er lief und sprang umher und lobte Gott. Und es<br />

sah ihn alles Volk umhergehen und Gott loben lief und<br />

sprang umher und lobte Gott. Sie erkannten ihn auch,<br />

dass er es war, der vor der Schönen Tür des Tempels<br />

gesessen und um Almosen gebettelt hatte; und<br />

Verwunderung und Entsetzen erfüllte sie über das, was<br />

ihm widerfahren war.’<br />

Nochmal ein spannender Aspekt zum Schluss: Die Leute<br />

sind keineswegs begeistert und freuen sich mit dem<br />

Geheilten, dem ins Leben Auferstandenen. Nein,<br />

Verwunderung und Entsetzen erfüllt sie. Verwunderung<br />

ok – das ist ja auch wirklich absolut wunder-sam was da<br />

passiert ist. Aber Entsetzen ???<br />

7


Ich glaube, das Entsetzen ist eine typische Reaktion der<br />

Umwelt, wenn Menschen sich aufmachen und nachher<br />

nicht mehr dem Bild entsprechen, das man von ihnen<br />

hatte. Entsetzen ergreift einen, wenn das Gewohnte total<br />

ins Wanken kommt. Wenn der Lahme nicht mehr an<br />

seinem Platz sitzt, dann hat das auch Auswirkungen auf<br />

seine Umwelt: auf die Träger, die ihn immer brachten.<br />

Auf die Familie, für die er eine Geldeinnahme-Quelle<br />

war. Auf die Menschen, die jemanden hatten, bei dem sie<br />

mit Geld etwas für ihr Gewissen tun konnten. Und dem<br />

sie ihr Mitleid schenken konnten.<br />

Wenn ein Lahmer, im übertragenen Sinne, aufsteht und<br />

ins Tanzen kommt, sich dem Leben zuwendet, seinem<br />

ganz eigenen Leben und befreit wird aus Abhängigkeit,<br />

dann hat das Konsequenzen für das ganze Umfeld. Und<br />

da kann sich schon mal Entsetzen breit machen. Aber oft<br />

merkt auch das Umfeld im Nachhinein, wie gut es war,<br />

dass einer mal losgezogen ist und etwas Neues begonnen<br />

hat. Auch wenn am Anfang bestenfalls Verwunderung<br />

oder auch Entsetzen die Reaktion war.<br />

Keiner von uns muss sich auf eine Rolle festlegen lassen.<br />

Wenn es die Möglichkeit zum Aufbruch für den<br />

Gelähmten gibt, dann ist es sein Recht und seine große<br />

Chance, ein neues anderes Leben zu beginnen. Vielleicht<br />

hilft uns dieser Gedanke, wenn uns mal wieder Angst<br />

und Entsetzen ergreift, weil jemand – oder sogar wir<br />

selber – auf einen neuen unerwarteten Weg kommen, der<br />

nicht so vorgesehen war – sei’s in der Familie, sei’s im<br />

Freundeskreis, sei’s im Beruf.<br />

Manchmal stehen wir auf<br />

Stehen wir zur Auferstehung auf<br />

Mitten am Tage.<br />

8


Es geschieht - heute. Es geschah – damals. Im Namen<br />

Jesu Christi – damals wie heute sind wir zur<br />

Auferstehung berufen.<br />

Im Griechischen Urtext sind übrigens die Worte für das<br />

‚Aufstehen’ des Lahmen und das ‚Entsetzen’ der Leute<br />

die gleichen Worte, wie sie bei der Erzählung von der<br />

Auferstehung Jesu verwendet werden. Es gibt also diese<br />

bewusste Parallele: Die Auferstehung der Toten im<br />

Himmel hat kleine Geschwister hier auf der Erde. Die<br />

Auferstehungen nämlich, die mitten am Tage geschehen<br />

können.<br />

Tatsächlich also heute ein österlicher <strong>Predigt</strong>text, der<br />

eine wundervolle und dramatische ‚Auferstehung ins<br />

Leben’ schildert.<br />

Zum Schluss der <strong>Predigt</strong> – aber vielleicht zum Beginn<br />

von etwas Neuem - noch ein Ostertext von der Schweizer<br />

Theologin Luzia Sutter-Rehmann:<br />

Wir sind auf der Suche<br />

nach der Kraft,<br />

die uns aus den Häusern,<br />

aus den zu engen Schuhen<br />

und aus den Gräbern treibt.<br />

Aufstehen und<br />

Mich dem Leben in die Arme werfen –<br />

Nicht erst am Jüngsten Tag,<br />

nicht erst, wenn es nichts mehr kostet<br />

und niemandem mehr weh tut.<br />

9


Sich ausstrecken nach allem,<br />

was noch aussteht,<br />

und nicht nur nach dem Zugebilligten.<br />

Uns erwartet das Leben.<br />

Wann, wenn nicht jetzt.<br />

Uns erwartet das Leben. An 365 Tagen im Jahr. Heute ist<br />

einer dieser Tage. Er erwartet uns. Er hält Leben für uns<br />

bereit. Jede Menge Leben. In Fülle. AMEN.<br />

‚Wir wollen alle fröhlich sein in dieser österlichen Zeit. ‚<br />

Ein großes Halleluja für den, der uns immer wieder ins<br />

Leben ruft<br />

Nr 100, 1-3<br />

Pfarrerin Dorothee Niethammer-Schwegler<br />

10

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