STATEMENT - eigenen Schulbuch
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<strong>STATEMENT</strong><br />
Olaf Köller<br />
Olaf Köller, Dr., geb. 1963, ist Professor für Empirische Bildungsforschung an der Humboldt-Universität zu<br />
Berlin und Direktor des von den Ländern der Bundesrepublik Deutschland eingerichteten Instituts zur Qualitätsentwicklung<br />
im Bildungswesen (IQB). Psychologiestudium bis 1991, bis 1996 am Institut für die Pädagogik<br />
der Naturwissenschaften in Kiel, 1996-2002 am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin tätig.<br />
2002-04 Lehrstuhl für Psychologie an der Universität Erlangen-Nürnberg. Seit 2004 Stiftungsprofessor an<br />
der Humboldt-Universität zu Berlin.<br />
Ich freue mich, dass das Interesse an der Arbeit des Instituts zur<br />
Qualitätsentwicklung im Bildungswesen so groß ist. Den Titel<br />
dieses Vortrages „Was macht eine gute Schule besser?“ möchte<br />
ich ändern in die Frage „Was macht Unterricht eigentlich<br />
besser?“ Ich habe diese Änderung des Titels bewusst vorgenommen,<br />
weil wir aus der Bildungsforschung wissen, dass die<br />
Kerninstanzen für erfolgreiche Lernprozesse weniger in schulorganisatorischen<br />
Variablen liegen, sondern in Unterrichtsvariablen.<br />
Ob eine Schule erfolgreich ist im Hinblick auf die<br />
Unterricht gemacht wurde. Das IQB ist also primär mit der<br />
Frage befasst, ob Klassen einen erfolgreichen Unterricht umgesetzt<br />
haben. Ich werde abschließen mit möglichen unerwünschten<br />
Folgen der nationalen Bildungsstandards, beispielsweise,<br />
ob und inwieweit solche Vorgaben dazu führen, dass<br />
Unterricht auf das Training hin zum Test reduziert wird.<br />
Welche Bedeutung hat der Unterricht? Ganz wichtig in PISA<br />
war für mich, dass die Autoren den Schul- und vor allem den<br />
Aus dem mittelmäßig bis schlechten Abschneiden deutscher Schülerinnen und Schüler in internationalen<br />
Vergleichsstudien wie TIMSS und PISA haben die 16 Kultusministerinnen und Kultusminister der<br />
deutschen Bundesländer unerwartbar schnell Konsequenzen gezogen, zum Beispiel mit der Einigung<br />
auf die Einführung so genannter nationaler Bildungsstandards. Diese festzulegen und mit einem Aufgabenpool<br />
zu untermauern, vor allem auch im Hinblick auf die regelmäßige Überprüfung und Kontrolle<br />
der Standards, hat die Kultusministerkonferenz eigens ein wissenschaftliches Institut gegründet, das<br />
Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) an der Humboldt-Universität zu Berlin.<br />
Dessen Leiter, Professor Dr. OLAF KÖLLER, stellte sich auf dem „forum bildung“ der Frage: „WAS MACHT<br />
EINE GUTE SCHULE BESSER, HERR KÖLLER? – KRITERIEN FÜR EINE BEURTEILUNG VON SCHULQUALITÄT“.<br />
Optimierung von Lernprozessen oder von Wissenserwerb, liegt<br />
primär daran, wie professionell und erfolgreich im Unterricht<br />
selbst agiert wird. Natürlich spielen die Schulleitung und Schulprogramme<br />
eine zusätzliche Rolle, aber es sind genuine Variablen<br />
des Unterrichts, die primär Lernprozesse fördern bzw. auch<br />
behindern. Darauf werde ich gleich zu sprechen kommen.<br />
Ich will danach kurz in Anlehnung an Hilbert Meyer referieren,<br />
was wir aus den letzten 50 Jahren Unterrichtsforschung wissen.<br />
Denn wenn wir heute über guten Unterricht diskutieren, ist<br />
es bemerkenswert, dass wir vieles seit mindestens 35 Jahren<br />
kennen. Jakob Kounin hat 1970 in einer Publikation aus unterrichtspsychologischer<br />
und allgemein didaktischer Perspektive<br />
formuliert, was guter Unterricht ist – viel weiter sind wir heute<br />
eigentlich auch nicht. Anschließend möchte ich darüber berichten,<br />
womit wir in Berlin beschäftigt sind, nämlich weniger<br />
damit, zu untersuchen, wie man Unterricht optimieren kann,<br />
als vielmehr damit, woran man erkennen kann, dass guter<br />
Klassenkontext als wichtige Quellen erfolgreichen Lernens und<br />
Leistens hervorgehoben haben. Das bedeutet nicht, dass andere<br />
Faktoren irrelevant wären. Selbst wenn Sie sehr guten Unterricht<br />
umsetzen, stößt das Ganze an seine Grenzen, wenn beispielsweise<br />
keine Unterstützung durch die Eltern stattfindet,<br />
also die Kooperation von Eltern und Schulen nicht funktioniert.<br />
Wenn ich in Anlehnung an PISA die Bedeutung des Unterrichts<br />
hervorhebe, dann auch um von der meines Erachtens obsoleten<br />
Strukturdebatte wegzukommen. Ich zweifle daran, dass die<br />
Diskussion um Einheitsschule vs. differenziertes Schulsystem<br />
weiterführt. Alles, was wir aus der Lernforschung wissen,<br />
spricht dafür, dass Lernerfolge nicht nennenswert auf schulorganisatorischen<br />
Faktoren, sondern auf Unterrichtsmerkmalen<br />
beruhen. Wenn wir uns anschauen, was Schulleistung vorhersagt,<br />
dann ist in der Regel die Frage Gesamtschule oder gegliedertes<br />
Schulwesen uninteressant. Es sind vielmehr die Instruktionsvariablen,<br />
die Leistung und Lernerfolge vorhersagen<br />
können. Das heißt natürlich nicht, dass so etwas wie ein<br />
22
Köller: Was macht eine gute Schule Blindtext besser?<br />
Vertrauensverhältnis zwischen Lehrern und Schülern unwichtig<br />
ist, nur: Für erfolgreiches Lernen ist eine gelingende Unterrichtsführung<br />
bedeutsamer.<br />
Folgt man dem Argument, dass der Unterricht zentral ist bzw.<br />
Unterrichtsmerkmale zentral sind für erfolgreiches Lernen,<br />
dann sind im Grunde genommen schnell die Kernvariablen ausgemacht.<br />
Hilbert Meyer hat in seinem Buch über die Lernforschung<br />
im Hinblick auf die Unterrichtsvariablen in den letzten<br />
Jahren einen wunderbaren Überblick über die wichtigen Faktoren<br />
gegeben, die ich Ihnen vorstellen möchte. Die meisten von<br />
Ihnen werden diese Faktoren kennen und auch zustimmen, dass<br />
ein erfolgreicher Unterricht zumindest einen Teil dieser Merkmale<br />
berücksichtigen muss. Klare Strukturierung des Unterrichts<br />
beispielsweise. Darunter versteht man die klare Definition<br />
der Ziele und Inhalte des Unterrichts, sodass die Schülerinnen<br />
und Schüler wissen, was Kern und Gegenstand des<br />
Unterrichts ist. Es muss auch Klarheit darüber bestehen, welche<br />
Rolle der Lehrer spielt, welche Rolle die Schüler spielen, welche<br />
Regeln im Unterricht gelten, welche Freiräume es gibt und was<br />
passiert, wenn Regeln verletzt werden.<br />
Ein weiterer wichtiger Bereich, der auch in PISA betont wurde,<br />
ist das Fördern. Das setzt erst einmal die Feststellung von<br />
Defiziten und Lernschwächen von Kindern voraus. Auf dieser<br />
Grundlage muss man den Kindern dann systematisch Freiräume<br />
anbieten, Zusatzangebote machen und innerhalb der Klassen<br />
differenzieren, damit jedes Individuum gemäß seinen Voraussetzungen<br />
lernen kann. Differenzierung innerhalb der Klasse<br />
kann sich innerhalb eines Gesamtschulsystems genauso abspielen<br />
wie im differenzierten Schulsystem, entscheidend ist der<br />
Gedanke, Schülerinnen und Schüler systematisch zu fördern.<br />
Zwei Faktoren erwähnt Meyer noch, die ebenfalls für Lernerfolge<br />
ausschlaggebend sind: intelligentes Üben und transparente<br />
Leistungserwartungen. Intelligentes Üben meint, dass Schülerinnen<br />
und Schüler sich selbstständig Inhalte erarbeiten bzw.<br />
Lernstrategien kompetent anwenden, um die an sie gestellten<br />
Aufträge bewältigen zu können. Das geschieht über passgenaue<br />
Übungsaufträge, also Aufgaben, die dem Lernstand der Schülerinnen<br />
und Schüler entsprechen. Das hört sich vielleicht banal<br />
an. Wenn wir uns aber Unterricht anschauen, so sehen wir<br />
recht häufig, dass Arbeitsaufträge auf den mittelstarken<br />
Schüler abzielen. Das heißt, die mittelguten Schülerinnen und<br />
Schüler fühlen sich gut bedient, die schwachen sind überfordert<br />
und die sehr guten langweilen sich. Hier besteht in deutschen<br />
Klassenzimmern in der Tat Optimierungsbedarf. Hier hat<br />
unser differenziertes System bislang zu wenig ausgleichend<br />
gewirkt und extreme Heterogenität erzeugt. Sogar in Gymnasialklassen<br />
ist die Leistungsheterogenität immens und Differenzen<br />
zwischen Schülerinnen und Schülern korrespondieren teilweise<br />
mit dem Lernfortschritt von drei Schuljahren, das heißt,<br />
der schlechteste Schüler bräuchte drei Jahre, um den besten der<br />
Klasse einzuholen.<br />
Als letzten Faktor benennt Meyer noch die transparente Leistungserwartung,<br />
dass den Schülern also bewusst ist, was sie<br />
eigentlich können sollen. Auch das scheint mir ganz zentral<br />
zu sein.<br />
Inhaltliche Klarheit bezieht sich im Wesentlichen auf das, was<br />
man auch den roten Faden nennt. Unterricht, der die Schülerinnen<br />
und Schüler immer wieder da einholt, wo sie aktuell<br />
stehen. Sinn stiftendes Kommunizieren ist wesentlich, dies<br />
betrifft Partizipation, Gesprächskultur, Lerntagebücher,<br />
Schülerfeedback. Schülerinnen und Schüler sollen Gelegenheit<br />
haben, über das, was im Unterricht passiert, zu reflektieren,<br />
sich selbst vor Augen führen, was gewesen ist, wie der Unterricht<br />
verlaufen ist, welche Schwächen offenbar geworden sind,<br />
wo sie Erfolgserlebnisse haben.<br />
Ein anderer Punkt betrifft die genutzte Lernzeit.Wissenserwerb<br />
ist notwendigerweise an Lerngelegenheiten gebunden, und es<br />
bedarf einer gewissen Zeit, einer gewissen zugestandenen<br />
Lernzeit, damit Lernen erfolgreich ist.Wenn im Unterricht, provokant<br />
formuliert, Zeit verplempert wird mit anderen Dingen<br />
als der Behandlung des Unterrichtsstoffes, dann lernen unsere<br />
Schülerinnen und Schüler weniger.<br />
Ich entnehme Ihren Gesichtern, dass Sie bislang nichts Neues<br />
gehört haben. Neu in der Diskussion, in die auch das IQB eingebunden<br />
ist, ist allerdings die Frage: Wie können wir uns<br />
vergewissern, dass ein guter, ein qualitativ hochwertiger<br />
Unterricht im Sinne der Förderung von Wissenserwerbsprozessen<br />
stattgefunden hat?<br />
Jürgen Oelkers, Erziehungswissenschaftler an der Universität<br />
Zürich, hat im Wesentlichen fünf Maßnahmen zur Qualitätssicherung<br />
aufgeführt. Die erste ist für mich besonders wichtig:<br />
die empirische Kontrolle der Lehrmittel. Wenn ein <strong>Schulbuch</strong><br />
erst einmal genehmigt ist, findet es Eingang in die Schulen,<br />
und niemand schaut später wieder hin, ob die Inhalte noch<br />
state of the art sind oder den aktuellen Tendenzen in der Fachdidaktik<br />
und der Unterrichtsforschung entsprechen. Das führt<br />
teilweise dazu, dass an den Schulen Bücher eingesetzt werden,<br />
die gerade vor dem Hintergrund von PISA dringend einer<br />
Modernisierung bedürften. Es könnte mehr darauf geachtet<br />
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werden, dass aktuelle Materialien, die auf dem Markt verfügbar<br />
sind, in den Schulen auch verwendet werden.<br />
Die fortlaufende Qualifizierung der Lehrkräfte, zweiter Punkt<br />
bei Oelkers, spricht den ganzen Bereich der Weiterbildung an,<br />
in dem ohne Frage weiterer Optimierungsbedarf besteht, denken<br />
Sie nur an die Fragen der Teamarbeit oder der alternativen<br />
Lernformen wie Frei- und Projektarbeit.<br />
Damit möchte ich nun zum IQB und den damit verknüpften<br />
nationalen Bildungsstandards kommen. Letztere sollen auch zur<br />
Qualitätssicherung und -steigerung beitragen. Mit der Einführung<br />
von Bildungsstandards findet derzeit ein Paradigmenwechsel<br />
in Deutschland statt, dergestalt, dass wir uns nicht<br />
mehr nur fragen, wie man Unterricht machen, Lehrbücher<br />
gestalten, Unterrichtsmaterialien aufbereiten muss, sondern<br />
dass wir uns jetzt fragen: Worin schlägt sich guter Unterricht<br />
„Damit möchte ich nun zum IQB und den damit verknüpften nationalen Bildungsstandards<br />
kommen. In der gesamten Diskussion um Bildungsstandards findet derzeit ein Paradigmenwechsel<br />
in Deutschland statt, dergestalt, dass wir uns nicht mehr nur fragen, wie man Unterricht<br />
machen, Lehrbücher gestalten, Unterrichtsmaterialien aufbereiten muss, sondern dass<br />
wir uns jetzt fragen, worin sich guter Unterricht niederschlägt. Die nationalen Bildungsstandards<br />
geben keine Vorgaben mehr dazu, wie Unterricht zu geschehen hat, sondern formulieren,<br />
was das Resultat guten Unterrichts sein sollte.“<br />
Regelmäßige Überprüfung der erreichten Leistung mit standardisierten<br />
Tests, der dritte Punkt bei Oelkers, ist das, was wir spätestens<br />
nach TIMSS Mitte der 90er Jahre in den verschiedenen<br />
Bundesländern systematisiert haben. Wir haben mittlerweile auch<br />
Belege dafür, dass bloßes Testen in Schulen so viel in Bewegung<br />
setzen, dass Lernerträge zunehmen. Der Satz „Vom vielen Wiegen<br />
wird die Sau nicht fetter“ ist, bezogen auf die regelmäßige<br />
Evaluation der Schulleistungen, nicht haltbar. Ich möchte dies<br />
am Beispiel Hamburg belegen. Dort wurde in den 1990er Jahren<br />
die Lernausgangslagenuntersuchung (LAU) bei Fünftklässlern<br />
durchgeführt mit damals sehr beunruhigenden Ergebnissen. Allein<br />
die Bereitstellung dieser Ergebnisse in der fünften Jahrgangsstufe<br />
hat so viel bewegt, dass bei einer Wiederholungsuntersuchung<br />
(jetzt nicht mehr LAU, sondern KESS) offenbar wurde, dass<br />
Hamburger Fünftklässler heute deutlich besser sind, als sie es<br />
noch 1996 waren. Da wir sicher sein können, dass sich genetisch<br />
in Hamburg so schnell nichts verändert hat und auch eklatante<br />
Zuwanderung mit Rückwirkungen auf die Eingangsselektivität<br />
nicht stattgefunden haben, hat man wohl einfach aufgrund der<br />
vorliegenden schlechten Ergebnisse zielstrebig gehandelt.<br />
Ein vierter Bereich bei Oelkers betrifft die Förderung von Risikogruppen.<br />
Hiermit sind besonders benachteiligte Migrantenkinder<br />
gemeint, aber auch sozial benachteiligte Kinder, Kinder<br />
aus bildungsfernen Familien, die zu Hause nicht das Stützsystem<br />
finden, um erfolgreich zu lernen.<br />
Und schließlich als fünfter Punkt Unterrichtshospitationen.<br />
Unterrichtshospitationen, wie wir sie beispielsweise in einigen<br />
Bundesländern im Rahmen von Schulinspektion haben, in<br />
denen geprüft oder beobachtet wird, ob Kriterien wie die oben<br />
zitierten von Hilbert Meyer im professionellen Handeln berücksichtigt<br />
werden.<br />
nieder? Die nationalen Bildungsstandards geben keine Vorgaben<br />
mehr dazu, wie Unterricht zu geschehen hat, sondern formulieren,<br />
was das Resultat guten Unterrichts sein sollte. Sie<br />
beschreiben die fachbezogenen Kompetenzen, die Schülerinnen<br />
und Schüler zu einem bestimmten Zeitpunkt ihres Bildungsganges<br />
erreicht haben sollen. Sie definieren beispielsweise, was<br />
jemand am Ende der zehnten Jahrgangsstufe in ausgewählten<br />
Fächern können soll.<br />
Die Bildungsstandards beschränken sich auf den Kernbereich<br />
eines Faches und sind dabei so formuliert, dass sie nur dann<br />
erreicht werden können, wenn sie über die gesamte Sekundarstufe<br />
I im Sinne eines Spiralcurriculums etwa, das Themen und<br />
Stoffgebiete immer wieder aufgreift und wiederholt, unterrichtet<br />
werden. Es setzt eine genaue Abstimmung zwischen den<br />
Kolleginnen und Kollegen, die in den verschiedenen Jahrgangsstufen<br />
unterrichten, voraus, damit die Schülerinnen und Schüler<br />
die nationalen Bildungsstandards erreichen.<br />
Wir haben mit den Bildungsstandards keine Vorgaben mehr für<br />
die einzelnen Schulformen, sondern nur noch abschlussbezogene<br />
Vorgaben. Wir haben in den Bildungsstandards etwa schulformübergreifende<br />
Vorgaben für den mittleren Abschluss. Man<br />
kann diesen an der Hauptschule, an der Realschule, an der<br />
Sekundarschule, am Gymnasium und im berufsbildenden<br />
System erwerben. Mit den Bildungsstandards definieren wir<br />
Vorgaben, die für alle Schulformen gelten, die diesen Abschluss<br />
anbieten. Dasselbe gilt für die Bildungsstandards zum Hauptschulabschluss.<br />
Im Hinblick auf die Schulevaluation ist es wichtig, dass Bildungsstandards<br />
so formuliert sind, dass wir sie operationalisieren<br />
können. Wir können also Tests entwickeln, um die<br />
24
Köller: Was macht eine gute Schule Blindtext besser?<br />
Bildungsstandards zu überprüfen. Mit dem Paradigmenwechsel<br />
weg von der Input-Orientierung hin zur Output-Orientierung<br />
geht also ein Paradigmenwechsel dahingehend einher, dass wir<br />
unsere Zielerwartungen an Unterricht und Schule beschreiben<br />
und messen können. Messen heißt, dass wir Aufgaben entwickeln,<br />
mit denen wir die Kompetenzen unserer Schülerinnen<br />
und Schüler erfassen können, die den mittleren Bildungsabschluss<br />
anstreben.<br />
Lösungswege zu reflektieren. Das ist immer noch sehr allgemein,<br />
mögen Sie als Mathematiklehrkraft einwenden. Der<br />
große Gewinn an den Bildungsstandards ist, dass man sie über<br />
konkrete Aufgaben zum Sprechen bringen kann. Beim Formulieren<br />
und der Erarbeitung der Standards wurden Aufgaben formuliert,<br />
die illustrieren, welche Erwartungen damit verknüpft<br />
sind. Es werden zukünftig auch weitere Aufgaben entwickelt,<br />
mit denen die Standards überprüft werden. – Hier einmal eine<br />
Statt eines breiten Lernzielkataloges beschränkt<br />
man sich in den Bildungsstandards auf die Beschreibung<br />
allgemeiner Kompetenzen, mehr oder weniger<br />
losgelöst von den traditionellen Stoffgebieten oder<br />
inhaltlichen Kompetenzen. Ich werde das gleich am<br />
Beispiel der Mathematik konkretisieren, aber zuvor<br />
noch ein Punkt: Bemerkenswert ist, dass wir mit<br />
den Bildungsstandards eine Vereinbarung aller 16<br />
Bundesländer haben. Das ist für eine mobile Gesellschaft<br />
unerlässlich und für die Schülerinnen und<br />
Schüler eine wirklich gute Rückversicherung. Es ist<br />
die große Stärke der Bildungsstandards, dass alle 16<br />
Länder sich verbindlich darauf geeinigt haben, in<br />
ihren Schulen dafür zu sorgen, dass diese Standards<br />
eingehalten werden. Natürlich haben sich die Bundesländer<br />
damit nicht verpflichtet, ihre Lehrpläne<br />
zu homogenisieren oder zu harmonisieren, aber<br />
eben dafür Sorge zu tragen, dass an bestimmten<br />
Stellen vergleichbare Kompetenzen, vergleichbares<br />
Wissen bei den Schülern vorhanden ist.<br />
Ich will Ihnen nun kurz am Beispiel Mathematik<br />
erläutern, worin der Paradigmenwechsel besteht.<br />
Wir haben bislang immer in Curricula, Lehrplänen und Rahmenplänen<br />
die zentralen Inhalte des Mathematikunterrichts<br />
definiert. Weiter wurde festgehalten, was in welcher Jahrgangsstufe<br />
unterrichtet wird. Jetzt haben wir eine Hinwendung<br />
zu Kompetenzen über alle Inhalte hinweg. Was sollen unsere<br />
Schüler können? Sie sollen mathematische Probleme lösen können,<br />
alltagsnahe Probleme in mathematische Modelle übertragen<br />
und lösen können. Sie sollen weiterhin mathematische Darstellungen<br />
verwenden, Kurven beispielsweise, mathematisch<br />
kommunizieren, also Mathematik als Werkzeug in der Alltagssprache<br />
verwenden. Das Gleiche gilt für das mathematische<br />
Argumentieren, und selbstverständlich sollen sie auch mit symbolischen,<br />
formalen und technischen Elementen der Mathematik<br />
umgehen können.So sieht die Beschreibung dessen aus, was<br />
in den Bildungsstandards steht: die Beschreibung allgemeiner<br />
Kompetenzen, was Schülerinnen und Schüler können sollen.<br />
Nun können Sie zu Recht fragen: Was heißt denn das überhaupt?<br />
Das bleibt doch alles sehr vage. Probleme mathematisch<br />
lösen heißt in der Sprache der Bildungsstandards, vorgegebene<br />
und selbst formulierte Probleme zu bearbeiten, geeignete heuristische<br />
Hilfsmittel, Strategien und Prinzipien zum Problemlösen<br />
auszuwählen und anzuwenden, die Plausibilität der Ergebnisse<br />
zu überprüfen sowie die Suche von Lösungsideen und die<br />
Foto: Melchior<br />
„Die nationalen Bildungsstandards geben keine Vorgaben mehr dazu, wie Unterricht zu<br />
geschehen hat, sondern formulieren, was das Resultat guten Unterrichts sein sollte.“<br />
Olaf Köller hier neben Moderator Peter Kalb.<br />
Aufgabe aus dem Bereich „Mathematisches Argumentieren“:<br />
„Viele Autofahrer benutzen für die Fahrt von A nach B nicht die<br />
stark befahrenen Hauptstraßen, sondern einen Schleichweg.<br />
Äußern Sie sich, ob die Abkürzung eine Zeitersparnis bringt,<br />
wenn man auf dem Schleichweg durchschnittlich mit 30 Stundenkilometern<br />
und auf den Hauptstraßen durchschnittlich mit<br />
50 Stundenkilometern fahren kann.“ Dieses Aufgabenbeispiel<br />
konkretisiert, welche Erwartungen wir beispielsweise an den<br />
mittleren Abschluss im Bereich „Mathematisches Argumentieren“<br />
haben.<br />
Ich möchte am Schluss noch dazu Stellung nehmen, welche<br />
Chancen in den Bildungsstandards und in der Aufgabenentwicklung<br />
nach der eben beschriebenen Form für unser Bildungswesen<br />
liegen. Drei Bereiche sind hierbei genauer zu betrachten.<br />
Zum einen der, wie Bildungsstandards und Lehrpläne, Rahmenpläne<br />
und Curricula zusammenarbeiten können und wie nationale<br />
Bildungsstandards auch die Lehrplanarbeit vermutlich verändern<br />
werden. Zum Zweiten sind gerade für die Schul- und<br />
Unterrichtsentwicklung Fragen der Bestandsaufnahme und<br />
Standardsicherung interessant, also welche Chancen bieten die<br />
Bildungsstandards in der Evaluation, im Bildungsmonitoring.<br />
Zum Dritten, und das ist sicherlich für die anwesenden Lehrkräfte<br />
besonders wichtig: Welche Chancen sehen wir für die<br />
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Verbesserung des Unterrichts und auch für die Steigerung der<br />
diagnostischen Kompetenzen von Lehrkräften?<br />
Zunächst einmal zum Zusammenspiel von Standards und Lehrplänen.<br />
Die Bildungsstandards formulieren bewusst Zielerwartungen:<br />
Was soll am Ende der Sekundarstufe I stehen? Diese<br />
Zielformulierungen müssen in der Lehrplanarbeit auf kompatible<br />
Lehr- und Rahmenpläne runtergebrochen werden. Wie können<br />
wir Unterricht über die Jahrgangsstufen der Sekundarstufe I gestalten,<br />
dass am Ende der zehnten Jahrgangsstufe die Schülerinnen<br />
und Schüler die durch die Standards geforderten Kompetenzen<br />
beherrschen. Die Standards geben also Vorgaben für die<br />
Lehrplanarbeit. Standards werden dazu führen, dass die Lehrund<br />
Rahmenpläne der Länder zunehmend homogenisiert werden.<br />
Für die Bestandsaufnahme und Standardsicherung bieten die<br />
Bildungsstandards insofern große Chancen, als sie in Klassen<br />
und Schulen die Erträge der pädagogischen Arbeit mit länderübergreifenden<br />
Methoden messen können. Wenn die dafür<br />
eine Klasse erfolgreich, die andere weniger, worin unterscheidet<br />
sich der Unterricht von Kollegin A und Kollegen B, was läuft wo<br />
besonders gut, was möglicherweise weniger gut, liegt es überhaupt<br />
am Unterricht oder eher an den Eingangsvoraussetzungen<br />
und so weiter. Was wir uns dabei auch erhoffen, sind Vergleiche<br />
im zeitlichen Verlauf, das heißt, dass Schulen in festen Abständen<br />
die Bildungsstandards testen, um zu sehen, ob etwas besser<br />
wird und ob die pädagogische Arbeit in Erfolge mündet.<br />
Natürlich ist mit den Bildungsstandards die Hoffnung verbunden,<br />
dass es innerhalb der Lehrerkollegien zu mehr Kooperation<br />
und fachdidaktischen Diskussionen kommt. Derzeit sind die<br />
meisten Schulen, stereotyp gesprochen, Bastionen von Einzelkämpfern.<br />
Die Lehrkraft kommt in den Unterricht, agiert 45 Minuten<br />
mit ihren Schülerinnen und Schülern und verlässt dann den<br />
Raum. War es eine gute Stunde, geht sie zufrieden in die nächste<br />
Stunde, war es ein guter Vormittag, geht sie zufrieden nach<br />
Hause. War es eine schlechte Stunde, wird der Ablauf ähnlich<br />
nur mit anderem Vorzeichen sein.<br />
Interessiert informierten sich die Besucherinnen und Besucher anhand der ausgestellten Lehrbücher und<br />
Unterrichtsmaterialien.<br />
notwendigen Aufgaben einmal da sind, wird jede Schule die<br />
Möglichkeit haben, sich an einer Landes- bzw. auch Bundesnorm<br />
zu messen, um zu sehen, wie erfolgreich sie ist. Natürlich<br />
spielen das Einzugsgebiet sowie die Klassenzusammensetzung<br />
nach wie vor eine Rolle. Eine Lehrkraft in einer Schule in einem<br />
sozialen Brennpunkt wird sich nicht mit dem Gymnasium<br />
im sozial positiv ausgelesenen Vorort messen wollen.<br />
Ganz wichtig scheint mir die Anbindung der Standards an Kompetenzmodelle<br />
und Kompetenzstufen. Jede Lehrerin, jeder Lehrer<br />
wird sehen, was die einzelnen Schüler ganz konkret können,<br />
in welchem Bereich ihre Stärken, wo die Schwächen liegen. Für<br />
die Diskussion innerhalb der Schulen ist dann auch der Vergleich<br />
mit Parallelklassen wichtig, sind Fragen zu klären, warum ist<br />
Foto: Melchior<br />
Der Austausch mit den Kolleginnen<br />
und Kollegen darüber, dass und<br />
warum ein Tag gut oder schlecht war,<br />
eine Stunde völlig schief gegangen<br />
ist, findet selten statt. Man lässt sich<br />
in Ruhe. Wenn die Idee der Bildungsstandards<br />
in den Schulen greifen soll,<br />
muss es zu Kooperationen zwischen<br />
Lehrkräften innerhalb der Jahrgänge<br />
wie über die Jahrgänge hinweg kommen,<br />
müssen gemeinsam Strategien<br />
entworfen werden, wie aus einem<br />
Prozess der inneren Entwicklung heraus<br />
Unterrichtsprozesse weiter optimiert<br />
werden können, um die vorgegebenen<br />
Standards zu erreichen.<br />
Was wird das IQB in diesem Zusammenhang<br />
leisten? Etwas Allgemeines<br />
zu dieser Einrichtung. Das IQB ist eine<br />
wissenschaftliche Einrichtung der<br />
Länder in der Bundesrepublik Deutschland.<br />
Es wird vollständig finanziert von den 16 Bundesländern<br />
nach dem so genannten Königsteiner Schlüssel. Dies heißt, dass<br />
die großen Länder mehr, die kleinen weniger aufbringen müssen.<br />
Das IQB ist ein Institut an der Humboldt-Universität in Berlin,<br />
also keine nachgeordnete KMK-Behörde. Es gibt einen klaren<br />
Auftrag, Entwicklungsarbeiten zu leisten, aber wir sind autonom<br />
in unseren Entscheidungen, wie wir das machen. Es gibt<br />
Zielvorgaben, die an die Mittelzuweisung gebunden sind, die<br />
konkrete Umsetzung bleibt unsere Sache. Das Institut hat<br />
zunächst eine Lebensdauer bis 2009, und seine Kernaufgabe<br />
wird zunächst darin bestehen, große Aufgabensammlungen zu<br />
erstellen, die dazu dienen sollen, die Standards weiter zu illustrieren,<br />
vor allem aber auch die Standards zu überprüfen.<br />
26
Köller: Was macht eine gute Schule Blindtext besser?<br />
Weitere Aufgaben beziehen sich auf die Durchführung empirischer<br />
Studien zur Normierung und Überprüfung der Bildungsstandards,<br />
die Bereitstellung von Aufgaben für die Evaluationsprogramme<br />
in den Ländern und, das ist meine Hoffnung, die Bereitstellung<br />
von Aufgaben für Schulen zum Zwecke der internen Evaluation.<br />
Das Erstellen der Aufgabensammlungen ist eine Herkulesarbeit.<br />
So wurden beispielsweise für Mathematik für den mittleren<br />
Abschluss über 1000 Aufgaben generiert, um die nationalen<br />
Bildungsstandards zu operationalisieren. Von diesen mehr als<br />
1000 Aufgaben wurden 400 gleich aussortiert, die sich als<br />
ungeeignet erwiesen, also haben wir im Moment einen Aufgabenpool<br />
von etwa 650 Aufgaben, die sich den verschiedenen<br />
Leitideen und Kompetenzen zuordnen lassen. Diese Aufgaben<br />
werden 2005 im PISA-Feldtest erprobt, ob sie wirklich geeignet<br />
sind, ob sie verstanden werden, ob sie psychometrisch geeignet<br />
sind. Im Jahre 2006 findet dann die eigentliche Normierung<br />
statt. Dann gehen wir mit diesen Aufgaben in die Schulen, erheben<br />
eine bundesweit repräsentative Stichprobe und definieren<br />
eine Leistungsmetrik ähnlich wie in PISA. Wenn wir diesen<br />
Maßstab haben, werden wir darauf gründend einen Leistungsbereich<br />
definieren, in dem unsere Schülerinnen und Schüler liegen<br />
sollten, wenn wir ihnen guten Gewissens den mittleren<br />
Abschluss verleihen, das heißt, der Standard wird dann definiert<br />
als ein Leistungsbereich in diesem Kontinuum.<br />
Ist dieser Schritt geschehen, so gelangen die Aufgaben aus dem<br />
IQB in die einzelnen Länder. Die Länder können die Aufgaben in<br />
ihren <strong>eigenen</strong> Evaluationsprogrammen einsetzen, um sich an<br />
den nationalen Bildungsstandards zu messen. Ein Teil der Aufgaben,<br />
so das langfristige Vorhaben, soll direkt für die Schulen<br />
verfügbar sein, damit auch jede Einzelschule sich ihrer <strong>eigenen</strong><br />
Erträge vergewissern kann.<br />
Es wird demnach vier Aufgabentypen geben. Zum einen solche,<br />
welche die Standards illustrieren, die im Internet interessierten<br />
Lehrkräften und der interessierten Öffentlichkeit einen Eindruck<br />
von den Bildungsstandards vermitteln. Es wird weiterhin<br />
solche Aufgaben geben, die das IQB für die zukünftige Standardüberprüfung<br />
zurückhalten wird, und solche, die es den Ländern<br />
zur Verfügung stellt. Schließlich wird es Aufgaben geben, die<br />
einzelne Schulen anfordern können. Von diesen Aufgaben versprechen<br />
wir uns eine stark impulsgebende Wirkung für den<br />
Unterricht wie auch von solchen, die zusätzlich für den Unterricht<br />
und nicht für die Testung generiert werden.<br />
Ich schließe ab mit Bemerkungen die sich auf möglicherweise<br />
unerwünschte Folgen der Bildungsstandards beziehen. Eine<br />
Befürchtung ist, dass Bildungsstandards auf die Ebene des<br />
teaching to the test reduziert werden, soll bedeuten, dass in den<br />
Wochen vor den Testungen in den Schulen die Schüler ins Trainingslager<br />
geschickt werden, um zu sichern, dass die Klasse<br />
oder Schule gut abschneidet. Weitere Befürchtungen beziehen<br />
sich (a) auf die Vereinheitlichung der Lehrpläne und Lehrmittel,<br />
(b) auf mögliche länderübergreifende zentrale Prüfungen, (c)<br />
auf die Reduzierung der schulischen Ziele und (d) auf unzumutbare<br />
Belastungen aufseiten der Lehrerkollegien durch das<br />
häufige Testen und die Schulentwicklungsmaßnahmen. Inwieweit<br />
diese Konsequenzen tatsächlich eintreten, ist für mich<br />
momentan nicht abschätzbar.<br />
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