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STATEMENT - eigenen Schulbuch

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Wer dauerhaft tun muss, was er nicht will, wird krank, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.<br />

Genau das scheint bei Lehrkräften sowie Schülerinnen und Schülern der Fall zu sein. Schule ist der pure<br />

Stress: Lehrer klagen über mangelnde Unterstützung vonseiten der Kollegen und Eltern, schwierige<br />

Schüler und übergroße Arbeitsbelastung, über Burn-out schon nach kurzer Zeit im Schuldienst, Schüler<br />

monieren desinteressierte Lehrerinnen und Lehrer und langweiligen Unterricht. Unter dem Motto<br />

„VORSICHT: SCHULE GEFÄHRDET IHRE GESUNDHEIT – KRANKMACHER SCHULE?“ diskutierten über die<br />

aktuelle Situation: Professor Dr. UWE SCHAARSCHMIDT vom Institut für Psychologie der Universität<br />

Potsdam, CORDULA MEYER, Redakteurin des Wochenmagazins „Der Spiegel“, RONALD MEKA, Bereichsleiter<br />

Wissenschaft und Bildung, Public Management von der Kienbaum Management + Consultants GmbH,<br />

und Dr. LUDWIG ECKINGER, Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE).<br />

Uwe Schaarschmidt<br />

Uwe Schaarschmidt, Dipl.-Psych. (1968, Humboldt Universität, Berlin), Dr. rer. nat. (1973, ebenda), habil.<br />

(1980, ebenda). Er ist Professor für Psychologie und hat den Lehrstuhl für Persönlichkeits- und Differenzielle<br />

Psychologie an der Universität Potsdam inne. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Erforschung von Persönlichkeit,<br />

Arbeit und Gesundheit unter differenziellem Aspekt, Leistungs- und Persönlichkeitsdiagnostik. Er hat<br />

die Potsdamer Studie erarbeitet (Web: www.psych.uni-potsdam.de/people/schaarschmidt).<br />

Ronald Meka<br />

Ronald Meka, Studium der Verwaltungswissenschaften an der Universität Konstanz. Abschluss als Dipl.-<br />

Verwaltungswissenschaftler. Bereichsleiter Wissenschaft und Bildung, Geschäftsgebiet Public Management<br />

bei der Kienbaum Management + Consultants GmbH. Umfassende Beratungserfahrung bei der Reform von<br />

Kultusressorts und der Wissenschaftspolitik sowie im Schulwesen.<br />

<strong>STATEMENT</strong><br />

Uwe Schaarschmidt<br />

In den bisherigen Arbeiten zur Potsdamer Lehrerstudie stand<br />

die gründliche Analyse der Beanspruchungsverhältnisse im<br />

Zentrum. Als Beanspruchungsindikatoren dienten uns Einzelmerkmale<br />

und komplexe Muster des arbeitsbezogenen Verhaltens<br />

und Erlebens. Letztere differenzieren wir nach den<br />

Mustern G (Gesundheit) und S (Schonung) sowie den Risikomustern<br />

A (Selbstüberforderung) und B (Burn-out). Die Musterbestimmung<br />

liefert ein geeignetes Raster, um Beanspruchungssituationen<br />

für Individuen und Gruppen zu kennzeichnen und<br />

Veränderungsbedarf auszuweisen. Im Weiteren geht es nun um<br />

eine praxiswirksame Umsetzung. Auf welche Schlussfolgerungen<br />

es uns dabei ankommt, in welche Richtung vor allem<br />

Veränderungen angestrebt werden sollten, sei in folgenden vier<br />

Punkten zusammengefasst:<br />

1. Einflussnahme auf die Rahmenbedingungen des Berufs<br />

Nicht zuletzt gibt der berufsübergreifende Vergleich zu erkennen,<br />

dass für die Lehrerschaft eine besonders problematische<br />

Beanspruchungssituation besteht. Für sie liegt der höchste<br />

Anteil der Risikomuster vor. Die Besonderheiten auf der Ebene<br />

der einzelnen Merkmale charakterisieren die Lehrerproblematik<br />

noch genauer: So ist hervorzuheben, dass hoher Verausgabungsbereitschaft<br />

und eingeschränkter Distanzierungsfähigkeit<br />

geringe Ausprägungen in der subjektiven Bedeutsamkeit der<br />

Arbeit und im beruflichen Ehrgeiz gegenüberstehen. Wir sehen<br />

74


Schaarschmidt: Krankmacher Blindtext Schule?<br />

Cordula Meyer<br />

Cordula Meyer, geb. 1971 in Bremervörde. 1991-96 Studium der Kommunikationswissenschaft, Politischen<br />

Wissenschaft und des Journalismus an der University of Arizona, Tucson/USA und der Universität Hamburg.<br />

Nach Stationen bei der „Hamburger Morgenpost“ und Stipendiatsaufenthalt in Pennsylvania/USA für den<br />

„Philadelphia Inquirer“ seit 1999 Redakteurin beim Hamburger Wochenmagazin „Der Spiegel“. Dort zahlreiche<br />

Reportagen und Auslandsberichterstattungen, Beiträge zu Bildung und Bildungspolitik, u. a. die<br />

Bildungstitelgeschichte „Klassenkrampf“.<br />

Ludwig Eckinger<br />

Ludwig Eckinger, Dr. phil., geb. 1944 in Aigen am Inn. Studierte an der Pädagogischen Hochschule in<br />

Regensburg. Ab 1972 Lehrer an der Hauptschule in Regensburg. Es folgte ein Aufbaustudium der Politischen<br />

Wissenschaften an der Universität Regensburg. Promotion 1979. Seit dem Wintersemester 1979/80 Lehrbeauftragter<br />

für Pädagogik und Psychologie an der Universität Regensburg; 1982-84 Rektor der Grundschule<br />

Saal an der Donau. Ab 1990 Leiter des Referats Hochschule und Lehrerbildung, seit 1993 Bundesvorsitzender<br />

des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE).<br />

darin eine gesundheitspsychologisch bedenkliche Konstellation,<br />

äußert sich hier doch ein Erleben, wonach viel an Kraft<br />

investiert und wenig an persönlichem Gewinn erwartet wird.<br />

Bedenklich ist weiterhin, dass im Vergleich mit anderen Berufen<br />

Einschränkungen in den Widerstandsressourcen bestehen<br />

und ein deutlicher Rückgang im positiven Lebensgefühl nach<br />

den ersten Berufsjahren zu verzeichnen ist. Da die kritischen<br />

Beanspruchungsverhältnisse übergreifend für die gesamte<br />

Lehrerschaft gelten, liegt es nahe, nach den Bedingungen zu<br />

fragen, die mehr oder weniger allen Lehrern das Leben schwer<br />

machen, um vor allem dort mit Veränderungen anzusetzen. Hier<br />

kommen zunächst die Faktoren in Frage, die übereinstimmend<br />

von den Lehrern aller Regionen und Schultypen als die belastendsten<br />

hervorgehoben werden: das destruktive Verhalten<br />

durch schwierige Schüler, die Klassengröße und die Stundenanzahl.<br />

Dabei zeigt sich schon an Hand dieser drei Bedingungen,<br />

dass die belastenden Faktoren nicht isoliert zu sehen,<br />

sondern in ihrem Zusammenwirken in Rechnung zu stellen<br />

sind. So wiegt eben die große Klasse bei problematischem<br />

Schülerverhalten noch wesentlich schwerer. Und die Stundenanzahl<br />

kommt als Belastungsfaktor noch sehr viel stärker zum<br />

Tragen, wenn Disziplinlosigkeit und fehlende Lernbereitschaft<br />

die Bewältigung jeder einzelnen Stunde zu einem Kraftakt werden<br />

lassen. Kurzum: Generell gilt es, defizitäre Arbeitsbedingungen<br />

im Ganzen anzugehen, d. h., Veränderungen müssen<br />

in mehreren Bereichen zugleich ansetzen. Die Palette der<br />

dabei erforderlichen und wünschenswerten Maßnahmen ist<br />

außerordentlich breit. Aus diesem Grunde ist man sicher gut<br />

beraten, sich über die wichtigsten Zielrichtungen zu verständigen.<br />

Aus unserer Sicht sind es folgende zwei:<br />

75


Erstens ist der Überforderung der Lehrer durch eine Fülle nicht<br />

bewältigbarer erzieherischer Aufgaben entgegenzuwirken. Die<br />

Lehrer dürfen mit den komplexer und schwieriger gewordenen<br />

Anforderungen in diesem Bereich nicht allein gelassen werden.<br />

Zweitens sind gezielte Maßnahmen gefordert, die dazu angetan<br />

sind, die Identifikation mit dem Beruf und die Berufsmotivation<br />

zu unterstützen. Konkret sollte die Motivationsentwicklung<br />

darauf ausgerichtet sein, das Erleben von Sinnhaftigkeit<br />

des <strong>eigenen</strong> Tuns zu fördern und Möglichkeiten für<br />

persönliche Zielsetzung im und durch den Beruf zu schaffen.<br />

Unter dem ersten Aspekt sind unseres Erachtens vor allem folgende<br />

Maßnahmen gefordert:<br />

verstärkte Wahrnehmung der gemeinsamen Erziehungsverantwortung<br />

durch Politik, Eltern- und Lehrerschaft<br />

professionelle Hilfe über systematische Erziehungs-,<br />

Betreuungs- und Beratungstätigkeit an den Schulen durch<br />

Sozialpädagogen, Sozialarbeiter und Psychologen, Ausbau der<br />

schulpsychologischen Dienste und Erziehungsberatungsstellen<br />

qualifizierte, allen Kindern zugängliche Vorschulerziehung<br />

und deutlich mehr Möglichkeiten persönlichkeitsförderlicher<br />

Kinder- und Jugendbetreuung in der Freizeit<br />

Erweiterung der in den Lehrerberuf eingebrachten erzieherischen<br />

Kompetenzen<br />

Veränderungen in der Altersstruktur zugunsten einer Verjüngung<br />

der Lehrerschaft<br />

Bezogen auf die zweite Zielstellung kommt es uns insbesondere<br />

auf folgende Maßnahmen an:<br />

gesellschaftliche Anerkennung für die Leistungen der<br />

Lehrerschaft statt vorherrschender Pauschalkritik und Diffamierung<br />

Abbau übermäßiger Bürokratisierung und „Verrechtlichung“<br />

mehr Muße und Kontinuität für die schulische Arbeit statt<br />

ständiger Kampagnen<br />

Schaffung eines motivationsförderlichen Gratifikationsund<br />

Evaluationssystems<br />

Ermöglichen beruflicher Alternativen bei Erreichen persönlicher<br />

Belastbarkeitsgrenzen<br />

2. Gestaltung der Arbeitsbedingungen vor Ort<br />

Unsere Ergebnisse weisen aus, dass es bei aller Problematik, die<br />

sich für den Lehrerberuf im Ganzen zeigt, doch auch beachtliche<br />

Unterschiede von Schule zu Schule gibt. Und dabei kann es<br />

sich durchaus um Schulen am gleichen Ort und des gleichen<br />

Typs handeln. Es hängt offensichtlich vieles davon ab, wie der<br />

berufliche Alltag an der konkreten Schule verläuft. Damit ist<br />

zugleich gesagt, dass man nicht nur auf die Verbesserung der<br />

Rahmenbedingungen warten muss, sondern auch Möglichkeiten<br />

wirksamer Einflussnahme vor Ort bestehen.<br />

Als den entscheidenden, den Unterschied erklärenden Faktor<br />

machten wir das soziale Klima an der Schule aus. Dort, wo wir<br />

die günstigeren Beanspruchungsverhältnisse feststellten, fanden<br />

wir fast ausnahmslos auch ein gutes soziales Klima vor.<br />

Darunter sei vor allem verstanden, dass die Beziehungen im<br />

Kollegium durch Offenheit, Interesse füreinander und gegenseitige<br />

Unterstützung gekennzeichnet sind und eine Schulkultur<br />

besteht, die ein hohes Maß an Gemeinsamkeit bei der<br />

Durchsetzung schulischer Normen und Ziele aufweist. Dem daraus<br />

resultierenden Erleben sozialer Unterstützung ist offensichtlich<br />

eine sehr wichtige protektive Funktion zuzuschreiben.<br />

Es beugt dem Gefühl vor, als Einzelkämpfer auf verlassenem<br />

Posten zu stehen, das vielen Lehrern das Leben so schwer<br />

macht. U. a. zeigen auch unsere <strong>eigenen</strong> Arbeitserfahrungen,<br />

dass die Entwicklung eines positiven sozialen Klimas durch<br />

Hilfe von außen mit angestoßen und befördert werden kann<br />

(über Trainingsgruppen, Gesundheits- und Qualitätszirkel,<br />

Supervision usw.). Als Dreh- und Angelpunkt erweist sich<br />

jedoch die Tätigkeit der Schulleitung. Dort, wo der Führungsstil<br />

der Leitung als kooperativ-unterstützend wahrgenommen wird,<br />

finden wir in der Regel auch intakte zwischenmenschliche<br />

Beziehungen im Kollegium vor. Und mehr noch: Es wird ganz<br />

offensichtlich auch die Wirkung belastender Faktoren des<br />

Arbeitsalltags abgepuffert. Es ist demzufolge zu erwarten, dass<br />

über die Qualifizierung der Schulleitungen in der Personalführung<br />

eine wesentliche Ressource der Beanspruchungsoptimierung<br />

und Gesundheitsförderung erschlossen werden<br />

kann. Und da die Schulleiter in dieser Hinsicht selbst großen<br />

Bedarf anmelden, sollte gezielte Unterstützung vor allem hier<br />

ansetzen.<br />

Einen zweiten wesentlichen Ansatzpunkt für Veränderungen<br />

vor Ort sehen wir in der konkreten Organisations- und<br />

Bedingungsgestaltung des schulischen Alltags. Dies ist nicht<br />

unabhängig vom bisher Gesagten, da auch dafür gemeinsames<br />

Nachdenken und Handeln Voraussetzung sind. Ohne Zweifel<br />

gibt es auf diesem Gebiet in jeder einzelnen Schule noch ungenutzte<br />

Möglichkeiten gesundheitsfördernder Einflussnahme.<br />

Dabei geht es um Fragen wie folgt: Wie ist eine beanspruchungsoptimierende<br />

Aufeinanderfolge von be- und entlastenden<br />

Anforderungen während des schulischen Arbeitsalltages zu<br />

erreichen? Wie kann der Erholungswert von Unterrichtspausen<br />

gesteigert werden? Wie lassen sich über die Arbeitsorganisation<br />

die Möglichkeiten für soziale Interaktion und gegenseitige<br />

Unterstützung in der Lehrerschaft erweitern? Wie kann das<br />

Verhältnis von Arbeit und Freizeit so gestaltet werden, dass<br />

notwendige Erholungs- und Regenerationsprozesse ungestörter<br />

ablaufen können? Nicht zuletzt gilt es hier, der besonderen<br />

Situation der Frauen Rechnung zu tragen, die der Doppelbelastung<br />

durch Arbeit und Familie ausgesetzt sind. Und gene-<br />

76


Schaarschmidt: Krankmacher Blindtext Schule?<br />

rell muss es darauf ankommen, so viel Flexibilität in den organisatorischen<br />

Abläufen zu erreichen, dass auch individuellen<br />

Unterschieden in der Belastbarkeit und im Erholungsbedürfnis<br />

entsprochen werden kann. Es geht uns um die Entwicklung und<br />

Umsetzung arbeitspsychologisch fundierter Gestaltungskonzepte.<br />

Ihnen kommt insbesondere im Hinblick auf den<br />

Ausbau der Ganztagsschule große Bedeutung zu. Nicht wenige<br />

Lehrerinnen und Lehrer befürchten, dass die Ganztagsschule<br />

„Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass bei den meisten der den Risikomustern zugehörigen<br />

Lehrer schon eine lange Entstehungs- und Leidensgeschichte vorliegt, die wenigsten<br />

von ihnen aber professionelle Hilfe in Anspruch genommen haben. Freilich bedarf es in dieser<br />

Hinsicht auch eines ausreichenden und qualifizierten Angebotes. Von wenigen Ausnahmen<br />

abgesehen, kann davon noch keine Rede sein.“<br />

eine weitere Verschärfung der schon prekären Belastungssituation<br />

mit sich bringen wird. Andererseits ergeben sich mit<br />

ihr auch Chancen für mehr Flexibilität in den schulischen<br />

Abläufen, die einer gesundheitsförderlichen Arbeitsorganisation<br />

zugute kommen könnte (z. B. mehr Möglichkeiten für<br />

Tätigkeitswechsel, für die Berücksichtigung individuell unterschiedlicher<br />

Bedürfnisse im Arbeitsablauf, für die Förderung<br />

außerunterrichtlicher Kommunikation und die deutlichere<br />

Abgrenzung von schulischer Arbeit und Freizeit). Doch bedarf<br />

es hier wissenschaftlicher Einflussnahme und Kontrolle, um<br />

sicherzustellen, dass die prinzipiell möglichen positiven Effekte<br />

in der Tat auch erreicht werden.<br />

3. Verbesserte Rekrutierung und Vorbereitung<br />

des Lehrernachwuchses<br />

Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass es dringend geboten<br />

ist, sich systematischer dem Lehrernachwuchs zuzuwenden.<br />

Auch und gerade mit Blick auf die Belastungen des Lehrerberufs<br />

gilt es zum einen, angemessene Eignungsvoraussetzungen zu<br />

sichern, und zum anderen, die Vorbereitung durch das Studium<br />

zu verbessern.<br />

Wenden wir uns zunächst der Eignungsfrage zu: Aus unseren<br />

Untersuchungsergebnissen lässt sich entnehmen, dass die Personen<br />

mit dem problematischsten Beanspruchungsmuster B,<br />

die immerhin ein Viertel der Studierenden ausmachen, ihre<br />

Eignung für den Lehrerberuf am stärksten in Frage stellen. Es<br />

sind dabei vor allem Einschränkungen in der Widerstandskraft,<br />

Defizite in der sozial-kommunikativen Kompetenz und eine<br />

generelle Beeinträchtigung des Selbstvertrauens, die mit diesem<br />

Muster verbunden sind. Klar ist, dass derartige Handicaps<br />

während der Ausbildung nicht oder kaum wettgemacht werden<br />

können. Es muss bereits vor Aufnahme des Studiums die Entsprechung<br />

von Eignungs- und Anforderungsprofil stärkere<br />

Berücksichtigung finden. Als vom Kandidaten einzubringende<br />

Basisvoraussetzungen sind neben emotionaler Stabilität und<br />

einer aktiv-offensiven Haltung den Lebensanforderungen<br />

gegenüber vor allem Stärken im sozial-kommunikativen Bereich<br />

gefordert. Und dazu zählen prosoziale Einstellung, Sensibilität<br />

und Rücksichtnahme, zugleich aber auch die Fähigkeit zur<br />

Durchsetzung und Selbstbehauptung. Freilich muss auch betont<br />

werden, dass allein über die Gewährleistung besserer Eignungsvoraussetzungen<br />

die kritische Beanspruchungssituation im<br />

Lehrerberuf nicht aus der Welt zu schaffen ist. Die Eignungsprüfung<br />

kann und darf nicht die gestalterische Einflussnahme<br />

auf die Berufsbedingungen ersetzen, wie sie in den vorangegangenen<br />

Punkten gefordert wurde.<br />

Ein weiterer Eignungsaspekt ist die berufsspezifische<br />

Motivation. Unseren Ergebnissen zufolge liegt hier ein besonderes<br />

Problem vor. Das lässt die Musterverteilung bei den<br />

Lehramtsstudierenden und den Referendaren erkennen. So ist<br />

neben dem B- vor allem das S-Muster von Gewicht. Letzteres ist<br />

in diesen Gruppen überhaupt am häufigsten vertreten. Lehrer<br />

müssen motivierungs-, ja begeisterungsfähig sein. Das setzt die<br />

eigene hohe Berufsmotivation voraus. Tatsache ist jedoch,<br />

dass – der Musterkonstellation zufolge – für mehr als die Hälfte<br />

des Lehrernachwuchses motivationale Defizite zu verzeichnen<br />

sind. Natürlich kann die Motivation durch eine gute Ausbildung<br />

gefördert werden. Allerdings müssen auch dafür Basisvoraussetzungen<br />

vorhanden sein. Gefragt sind junge Menschen,<br />

die mit Tatkraft und pädagogischem Optimismus (nicht zu verwechseln<br />

mit idealistischer Verklärung und Allmachtsfantasien)<br />

Erziehung und Bildung aktiv mitgestalten wollen. Um sie in<br />

größerer Zahl anzuziehen, muss der Lehrerberuf allerdings<br />

attraktiver sein, als er es gegenwärtig ist. So gesehen dienen<br />

alle Maßnahmen einer persönlichkeits- und gesundheitsförderlichen<br />

Gestaltung der beruflichen Bedingungen letztlich auch<br />

der Gewinnung eines besser motivierten Nachwuchses.<br />

Was den zweiten Punkt, die Konsequenzen für das Studium,<br />

betrifft, so geht es uns vor allem um eine Schlussfolgerung:<br />

Ohne die theoretische Ausbildung zu vernachlässigen, sollte<br />

dem Erwerb beruflicher Handlungskompetenzen mehr Gewicht<br />

gelten. Künftige Lehrer brauchen mehr situationsnahes Lernen<br />

und Trainieren, denn sie sollten schon bei Eintritt in den Beruf<br />

besser mit solchen Fähigkeiten ausgestattet sein, die ihnen die<br />

77


erfolgreiche Bewältigung berufsfeldbezogener Alltagsprobleme<br />

ermöglichen. Dazu gehört ebenfalls die Befähigung zum effektiven<br />

Selbstmanagement in Belastungssituationen. Auch dies<br />

sollte als ein wesentlicher Bestandteil der Professionalität in<br />

der Lehramtsausbildung Berücksichtigung finden. Unsere<br />

Erfahrungen mit einschlägigen Problembewältigungstrainings<br />

im Lehramtsstudium zeigen, dass in dieser Hinsicht großer<br />

Bedarf besteht und in der Tat ein Beitrag dazu geleistet werden<br />

kann, dass die künftigen Lehrer ihren beruflichen Aufgaben mit<br />

mehr Selbstvertrauen und Kompetenzerleben entgegensehen.<br />

Wir halten es für wichtig, derartige Bestandteile in die Berufsvorbereitung<br />

zu integrieren. Dabei geht es sowohl um das Lehramtsstudium<br />

als auch um die Ausbildung der Referendare.<br />

4. Entwicklungsbemühungen der Lehrer selbst<br />

Natürlich sind auch die Lehrer selbst gefordert, über eigene<br />

Bemühungen ihre Beanspruchungssituation besser zu meistern.<br />

Auch in dieser Hinsicht gibt es mehrere Wege, die der weiteren<br />

Ausarbeitung und Förderung bedürfen.<br />

An erster Stelle steht hier die Kompetenzentwicklung. Sie ist<br />

ohne Frage die wichtigste vom Lehrer selbst zu realisierende<br />

präventive Maßnahme. Unsere Ergebnisse weisen sehr enge<br />

Zusammenhänge zwischen den individuellen Beanspruchungsmustern<br />

und den Selbsteinschätzungen der beruflichen Kompetenzen<br />

aus. Für die Risikomuster, speziell das Muster B, lassen<br />

sich hier deutliche Defizite ausmachen, das betrifft die<br />

fachliche wie auch die erzieherische Kompetenz. Es gilt demzufolge,<br />

über Kompetenzerwerb auch günstigere persönliche<br />

Beanspruchungsverhältnisse zu erreichen. Das bedarf natürlich<br />

zuallererst der <strong>eigenen</strong> Anstrengung.<br />

Kompetenzerweiterung heißt auch, aus Rückmeldungen zu lernen.<br />

Wir kommen damit nochmals auf die Aufgabe zurück, die<br />

Voraussetzungen für Evaluation und Leistungsbeurteilung zu<br />

schaffen. Dazu gehört auch die individuelle Bereitschaft, sich<br />

einer solchen Herausforderung zu stellen. Freilich ist das durch<br />

Appelle allein nicht zu schaffen. Gefordert sind hierfür ein stützender<br />

Kontext durch ein Klima des Vertrauens und eine „Rückmeldungskultur“,<br />

bei der die Bestätigung und Verstärkung des<br />

Positiven und nicht kleinliche „Beckmesserei“ im Vordergrund<br />

stehen. Ist Letzteres der Fall, führt die Evaluation leicht zu<br />

Gängelei, an der es Lehrern nun wahrlich nicht mangelt.<br />

Und schließlich geht es darum, dass jeder einzelne Lehrer aktive<br />

Bemühungen zur Erhaltung und Förderung der <strong>eigenen</strong><br />

Gesundheit unternimmt. Gemeint sind hier die selbstverantwortliche<br />

Vorsorge, bei der Erholung und Fitness die erforderliche<br />

Beachtung erfahren, die Nutzung vorbeugender und unterstützender<br />

Maßnahmen, wie sie im schulischen Kontext möglich<br />

sind (Supervision, Gesundheitszirkel, Entspannungstraining<br />

usw.), aber auch die rechtzeitige Inanspruchnahme professioneller<br />

beraterischer, betreuerischer und therapeutischer<br />

Hilfe, wenn dies angezeigt ist. Dabei besagen unsere Erfahrungen,<br />

dass es vielen Lehrern schwer fällt, die eigene<br />

Hilfsbedürftigkeit zu erkennen und im zweiten Schritt auch<br />

einschlägige Hilfe zu suchen. Offensichtlich ist es eine wichtige<br />

Aufgabe, gerade auch unter dem Aspekt psychischer Gesundheit<br />

die Fähigkeit und Bereitschaft zur Selbstreflexion und<br />

Selbstanalyse zu entwickeln. Unsere Untersuchungen haben<br />

gezeigt, dass bei den meisten der den Risikomustern zugehörigen<br />

Lehrer schon eine lange Entstehungs- und Leidensgeschichte<br />

vorliegt, die wenigsten von ihnen aber professionelle Hilfe in<br />

Anspruch genommen haben. Freilich bedarf es in dieser Hinsicht<br />

auch eines ausreichenden und qualifizierten Angebotes.<br />

Von wenigen Ausnahmen abgesehen, kann davon noch keine<br />

Rede sein. Zu fordern sind die regelmäßige arbeitsmedizinische<br />

Vorsorgeuntersuchung, aber auch ein darüber hinausreichendes<br />

regionales System der individuellen Beratung und Unterstützung.<br />

Natürlich muss klar sein, dass ein Beratungs- und<br />

Betreuungssystem Problemlösungen unterstützen, aber wesentliche<br />

Ursachen für Problementwicklungen nicht beseitigen<br />

kann. Deshalb muss der Schwerpunkt der Prävention eindeutig<br />

bei der Veränderung der Bedingungen liegen, von denen in<br />

erster Linie die Gesundheitsrisiken ausgehen.<br />

<strong>STATEMENT</strong><br />

Ronald Meka<br />

Das Thema ist es wert, länger als nur in dieser Podiumsdiskussion<br />

angesprochen zu werden. Ich möchte vorweg sagen,<br />

worüber ich nicht spreche und was Sie wahrscheinlich auch in<br />

dieser ganzen Diskussion nicht hören: Wir sprechen nicht über<br />

den Zustand der Schüler, sondern die Perspektive der Lehrer.<br />

Wir sprechen nicht über das Verhältnis zwischen Lehrern und<br />

Schülern, sondern wir sprechen, und da kann ich unmittelbar<br />

anknüpfen an das, was Herr Schaarschmidt gerade gesagt hat,<br />

über Schüler als Arbeitswelt und über die organisatorischen<br />

Implikationen und Umstände, die Sie als Lehrer – ich denke, die<br />

meisten Anwesenden sind Lehrkräfte – jeden Tag erfahren.<br />

Wenn man sich die Darstellungen von Herrn Schaarschmidt<br />

anhört, hat man den Eindruck, dass die Organisations- und<br />

Arbeitspsychologie im pädagogischen Bereich weit gehend unbekannt<br />

ist, zumindest die Entwicklungen darin in den letzten<br />

Jahren. Ich will das gleich noch ein wenig ausführen und auch<br />

erklären, warum das aus meiner Sicht in seiner Dramatik keineswegs<br />

überbetonte Ergebnis von Herrn Schaarschmidt sogar<br />

eine logische Folge der Umstände ist, unter denen Sie arbeiten.<br />

Das soll keine Ausflüchte ermöglichen, sondern einen ehrlichen<br />

Ausgangspunkt dafür schaffen, Änderungen zu überlegen.<br />

Wenn Herr Schaarschmidt seine Studie einem Unternehmen<br />

vorgelegt hätte – ich habe sie selbst leider auch erst gerade in<br />

den wesentlichen Aussagen erfahren –, hätte der Personalverantwortliche<br />

dieses Unternehmens viele Fragen zu beantworten,<br />

das sage ich Ihnen. Die Kernaussage ist ja, dass nur<br />

25 Prozent der Arbeitnehmer, hier also der Lehrkräfte, das<br />

aufweisen, was man sich wünscht, der Rest der Leute ist entweder<br />

überfordert, ausgebrannt oder nicht wirklich motiviert.<br />

78


Schaarschmidt/Meka: Krankmacher Blindtext Schule?<br />

Da es sich um erhebliche Größenordnungen handelt, muss man<br />

sich um systematische Fehler Gedanken machen, denn das<br />

Einzelschicksal und persönliche Prioritäten oder Präferenzen<br />

spielen bestimmt keine Rolle. Es ist meine feste Überzeugung,<br />

dass ein Systemfehler vorliegt, und ich will versuchen, ein paar<br />

Hinweise zu geben, was bei einer Betrachtung des Arbeitsumfelds<br />

relativ schnell nahe liegt.<br />

Das Erste, was jeder bekommt, der anfängt zu arbeiten,<br />

ist eine Aufgaben- und Tätigkeitsbeschreibung. Da steht<br />

drin, was von einem erwartet wird, zwischen den Zeilen<br />

aber auch, was man nicht tun muss. Diese negative<br />

Abgrenzung können viele Lehrerinnen und Lehrer für<br />

sich nicht machen und etwa sagen, wann Schule aufhört.<br />

Wenn man schon von vornherein als Lehrer desorientiert<br />

ist darüber, wie weit der Erziehungsauftrag<br />

denn geht und wo es sinnvolle, sogar zwingende<br />

Schnittstellen zu anderen Unterstützungseinrichtungen<br />

gibt, dann kann, ja muss die Sache ganz schief gehen,<br />

wenn man es mit problematischen oder sogar pathologischen<br />

Umständen im Klassenzimmer zu tun bekommt.<br />

Das Zweite: Es gibt heute keinen akademischen Beruf<br />

mehr, das wage ich so zu formulieren, in dem Sie so gar<br />

kein systematisches Feedback bekommen darüber, ob<br />

und wie gut Sie sind und was Sie tun können, um besser<br />

zu werden. Dieses systematische Feedback basiert<br />

natürlich auf einer gewissen Art von Leistungstransparenz.<br />

Diese Leistungstransparenz ist Ausgangspunkt<br />

dafür, gemeinsam mit den Vorgesetzten festzulegen,<br />

wie es weitergeht, wo man besser werden muss und wie<br />

das zu erreichen ist. Das sind in der Regel bei weitem<br />

nicht die Horrorszenen, die Sie jetzt vielleicht im Kopf<br />

haben. Jeder Vorgesetzte freut sich, wenn seine Mitarbeiter<br />

einen steilen Weg gehen und selber mehr Verantwortung übernehmen<br />

können. Das bedeutet, sie verbinden mit dem, was sie<br />

tun, Ziele, persönliche Ziele. Das ist ein schöner Link zu dem,<br />

was Herr Schaarschmidt schon gesagt hat: Man weiß, wie man<br />

sich persönlich bei seinen Aufgaben verortet, und man weiß<br />

auch, wofür die Organisation steht und in welchem Umfang<br />

man sich damit identifizieren möchte und kann. Im Gegensatz<br />

dazu, so wage ich die Aussage, arbeiten die meisten von Ihnen<br />

im Nirwana: Sie tun Ihre Arbeit, machen sich dabei kaputt,<br />

hören aber nie wirklich, ob Sie gut sind, was Sie verbessern<br />

können, was Sie auf die eigene Kappe nehmen wollen und welche<br />

Fehlentwicklungen eben systematisch sind, sei es eine<br />

heterogene Schülerschaft oder seien es andere Umstände, die<br />

Sie allein nicht verändern können.<br />

Wenn man eine Zielorientierung hat, dann setzt man natürlich<br />

im Rahmen der modernen Arbeitswelt Ziele, die man selber<br />

gestalten kann, und nicht solche, die man nicht gestalten kann.<br />

Dieses Austarieren fehlt in der Schule völlig und muss dazu<br />

führen, dass man im Bildungsbereich eigentlich immer für<br />

Dinge verantwortlich gemacht wird, die man nicht verantworten<br />

kann, und sich bei Dingen zurücklehnt, die man persönlich<br />

Zeichnung: Löffler<br />

in den Griff bekommen müsste. Dass vor solchem Hintergrund<br />

Burn-out-Symptome bei einem Drittel der Belegschaft festgestellt<br />

werden, ist nicht weiter verwunderlich, trotz alledem dramatisch.<br />

Also Ziele zu setzen, Identifikation und Entlastung<br />

durch Abgrenzung zu schaffen, das ist das kleine Einmaleins der<br />

Mitarbeiterführung, das kleine Einmaleins der zielorientierten<br />

Arbeitswelt, das bei Ihnen offenkundig noch weit gehend unbekannt<br />

ist.<br />

Lassen Sie mich noch auf das organisatorische Umfeld zu sprechen<br />

kommen.Wenn man nicht weiß, welche Vision Schule hat,<br />

was „gute Schule“ eigentlich ist, wo man hin will, dann wird es<br />

schon für ein Kultusministerium – ich fange mal oben an –<br />

schwer sein zu definieren, welche Prioritäten man setzt. Wir<br />

sehen im Nachklang zu PISA viel aufgeregtes Geflatter auf den<br />

Höfen der Bildung, wir sehen aber nicht, dass man den Mut<br />

hat, aus dem, was man erfahren hat, Prioritäten herauszuarbeiten<br />

und entsprechende Schlüsse zu ziehen. Man verfährt<br />

immer noch nach der guten alten Devise: „Lass 1000 Blumen<br />

blühen, dann wird schon die richtige dabei sein.“ Wenn man<br />

aber solche Prioritäten erkannt und gesetzt hat, z. B. dass<br />

Schule keine Selektionsmaschine mehr sein soll und alle mit<br />

einem qualifizierten Abschluss Schule verlassen müssen, oder<br />

ganz banale Dinge wie den Unterrichtsausfall mal als<br />

Steuerungsgröße konsequent anwendet und Schritte dagegen<br />

unternimmt, dann hätte man es leichter, Schule eindeutig zu<br />

orientieren, seine eigene Schule so zu verorten, dass sie nicht<br />

nur im Bildungssystem, sondern auch in dem lokalen Umfeld<br />

einen erheblichen Erfolgsbeitrag für die Entwicklung von Kindern<br />

leistet. Auch hierbei geht es darum, gemeinsam Ziele zu<br />

erarbeiten, im Team, nicht vereinzelt zu arbeiten, festzulegen,<br />

wer wirklich kompetent ist und wer was an Themen voran-<br />

79


treiben soll. Man wird, lassen Sie es sich gesagt sein, dabei<br />

auch nicht um das Thema Führung herumkommen. Man wird<br />

sagen müssen, wer Feedback-Gespräche qualifiziert führen soll,<br />

und festlegen müssen, was der oder die denn können muss<br />

dafür. Und der oder die muss die Lehrkräfte sehen, beobachten,<br />

anleiten und coachen können. Das kann vermutlich keine anonyme<br />

Schulaufsicht sein. Wie schafft man es also, in einer<br />

Schule ein Team zu schaffen, das nicht nach dem Unterricht<br />

auseinander stiebt, sondern sich überlegt, was sind unsere lokalen<br />

Ziele, unsere Schwierigkeiten, wie gehen wir gemeinsam<br />

bei der Entwicklung neuer Ziele vor.<br />

Auf einen Punkt gebracht: Was wir aktuell sehen, ist ein<br />

Versagen des Schulmanagements auf breiter Front. Hier gibt<br />

es viel Desorientierung, fehlende Prioritäten, fehlende Rückkopplung,<br />

fehlende Ziele und keine Leistungstransparenz.<br />

Entscheidung getroffen haben und für diesen Beruf gar nicht<br />

geeignet sind. So jemand ist natürlich schnell überfordert und<br />

gestresst und bald auch krank. Die zweite Möglichkeit betrifft<br />

die Umstände, unter denen die Lehrer arbeiten. Auch die können<br />

natürlich krank machen. Aus meiner Sicht spricht für beides<br />

viel.<br />

Meine Recherchen haben ergeben, dass sehr viele Leute aus den<br />

falschen Gründen den Beruf ergreifen. Nicht weil sie unterrichten<br />

wollen, nicht weil sie mit Kindern zu tun haben wollen,<br />

sondern aus einer Reihe fachfremder Gründe. Dazu kommen<br />

Ansprüche, alles neu und besser machen zu wollen, die Welt zu<br />

verändern usw. In der Schule hält das dann dem Praxistest nicht<br />

stand: Wenn man es dann nicht einmal fertig bekommt, dass<br />

alle Kinder sich auf ihren Platz setzen. Ich habe mit den verschiedensten<br />

Leuten gesprochen, die in Sprechstunden Lehrer<br />

„Wenn man eine Zielorientierung hat, dann setzt man natürlich im Rahmen der modernen<br />

Arbeitswelt Ziele, die man selber gestalten kann, und nicht solche, die man nicht gestalten<br />

kann. Dieses Austarieren fehlt in der Schule völlig und muss dazu führen, dass man im Bildungsbereich<br />

eigentlich immer für Dinge verantwortlich gemacht wird, die man nicht verantworten<br />

kann, und sich bei Dingen zurücklehnt, die man persönlich in den Griff bekommen müsste.“<br />

Die Ursache der Probleme ist in den Kultusministerien verankert.<br />

Ich weiß, wovon ich rede, denn ich habe mit vielen Schulplanern<br />

darüber gesprochen, und viele haben mir gesagt,<br />

Bildungscontrolling sei etwas, wovor man systematisch zurückschrecke.<br />

Und natürlich muss man auch sagen, dass der eigene<br />

Gestaltungsraum der Schule alles andere als ein funktionierendes<br />

Management zur Orientierung der schul<strong>eigenen</strong> Prioritäten<br />

in einem Team mit erfahrenen Kolleginnen und Kollegen entwickelt<br />

hat.<br />

<strong>STATEMENT</strong><br />

Cordula Meyer<br />

Da ich mich erinnerte, eher darüber geschrieben zu haben, welchen<br />

Anteil die Lehrer an der Bildungsmisere haben, wunderte<br />

mich zunächst die Einladung für das Podiumsthema „Krankmacher<br />

Schule“. Bei genauerem Hinsehen allerdings ist mir klar<br />

geworden, dass das, was Lehrerinnen und Lehrer krank macht,<br />

auch dazu führt, dass ihr Unterricht nicht effektiv ist und<br />

daher die Leistungen, die ihre Schülerinnen und Schüler erbringen,<br />

nicht in Ordnung sind.<br />

Warum werden Lehrer häufiger krank als andere Berufstätige?<br />

Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen. Einmal die, dass<br />

Menschen, die den Lehrberuf wählen, vielleicht eine falsche<br />

mit Burn-out-Syndrom betreuen. Die sagen, es gibt in der<br />

Lehrerschaft viele, die depressiv strukturiert sind, die ein bisschen<br />

labil, vielleicht sogar kontaktscheu sind. Dass die in der<br />

Schule auf Schwierigkeiten stoßen, ist kein Wunder. Und dass<br />

solche Leute nachher in den Kliniken landen, auch nicht.<br />

Deshalb scheint es mir wichtig, einen vorherigen Eignungstest<br />

einzuführen, damit die Leute, die für diesen Beruf eindeutig<br />

nicht geeignet sind, gar nicht erst Lehrer werden und im<br />

Studium schon die Chance haben, sich umzuorientieren. Wenn<br />

eine oder einer erst eine lange Ausbildung absolviert und schon<br />

auf einer Planstelle in der Schule gelandet ist, bleibt im Grunde<br />

kein Ausweg mehr, von da wegzukommen. Es gibt dann im<br />

deutschen Schulsystem auch keine alternativen Bereiche mehr,<br />

in denen man vernünftig seine Ausbildung anderweitig nutzen<br />

könnte. Das wäre wichtig, Lehrermangel hin oder her. Was<br />

Untersuchungen auch bestätigen: Lehrern fehlt Routine. Auch<br />

das wird von Psychologen untermauert. Es gibt zu wenige<br />

Routinen, mit klassischen Situationen im Klassenzimmer umzugehen.<br />

Der Anspruch der Lehrer an sich selbst ist generell zu<br />

hoch. Sie wollen alles individuell regeln, haben aber im Grunde<br />

kein ausreichendes Instrumentarium zur Hand und lernen auch<br />

in der Ausbildung zu wenige Methoden der Alltagsbewältigung<br />

im Klassenzimmer.<br />

Nun zu den Umständen, die krank machen können. Am häufigsten<br />

wird genannt: Lehrer hätten zu viele schwierige Schüler, zu<br />

viele Unterrichtsstunden, zu viel Arbeit nebenher. Ich glaube<br />

80


Meka/Meyer: Krankmacher Blindtext Schule?<br />

nicht, dass das so richtig ist. Es gibt ja Internate, Landschulheime,<br />

reformierte Schulen, an denen Lehrerinnen und<br />

Lehrer erheblich mehr arbeiten als an der „normalen“ Halbtagsschule.<br />

So gesehen wäre das Arbeitsbelastungsproblem<br />

eher ein Problem schlechter Arbeitsorganisation.<br />

Ein großer Nachteil für Lehrer an<br />

der normalen Schule ist sicherlich der zum<br />

Teil bewusste Verzicht auf Teamarbeit, die<br />

Zusammenarbeit mit anderen. Wer immer<br />

alleine vor der Klasse steht und wenig<br />

Rückmeldungen von Kollegen hat, vereinsamt<br />

und macht keine effektive Arbeit. Der<br />

Rückzug hinter die Klassenzimmertür ist in<br />

keinem anderen Land so ausgeprägt wie in<br />

Deutschland. Und die Möglichkeiten, seinen<br />

Unterricht „öffentlicher“ zu machen, sind<br />

da. Da gibt es Supervision mit Videoaufzeichnungen,<br />

in denen man sehen kann, wie<br />

man im Unterricht wirkt. Ich glaube, dass<br />

der Vorteil einer sauberen Analyse des<br />

Geschehens und die Verbesserungsmöglichkeiten<br />

vor der Angst der Lehrer überwiegen<br />

sollte. Ich denke, dass die meisten erkennen<br />

werden, dass die Arbeit, die sie machen, im<br />

Prinzip ganz ordentlich ist. Warum also diese<br />

übertriebene Scheu, sich in die Karten<br />

schauen zu lassen? Das ist beispielsweise<br />

auch etwas, was Eltern unzufrieden macht.<br />

Was Lehrer auch krank machen kann, ist die<br />

fehlende Bewertung und Belohnung der<br />

Leistung. Wer sich im Klassenzimmer abrackert,<br />

hat letztlich nicht mehr davon, als wenn er die Sache<br />

ohne Ehrgeiz durchzieht. Er kriegt nicht mehr Geld, und es gibt<br />

nur wenige Aufstiegschancen. Insofern stellt sich relativ schnell<br />

die Sinnfrage. Das ist ein enormes Problem, denke ich.<br />

„Der Rückzug hinter die Klassenzimmertür ist in keinem anderen Land so ausgeprägt wie in<br />

Deutschland“ – zumindest auf der „didacta – die Bildungsmesse“ war davon nichts zu spüren<br />

(Foto: Koelnmesse).<br />

die ihnen Zeit lässt, andere Unterrichtsmethoden kennen zu<br />

lernen, damit sie sie in der Schule umsetzen können. Und, um<br />

noch einmal darauf zurückzukommen, Supervision wäre für<br />

Lehrer ganz gewiss angebracht, wobei natürlich das Finanzierungsproblem<br />

mitzubedenken wäre, denn Supervision für alle<br />

Lehrkräfte wäre natürlich teuer. Aber am Ende hätte man nicht<br />

nur gesündere Lehrer, sondern auch bessere Schulen.<br />

Nicht alle Fehler der Schule, das möchte ich schon auch noch<br />

anmerken, haben mit den Lehrern zu tun, auch wenn mein<br />

Artikel diesen Eindruck vielleicht verstärkt hat. Nur war das<br />

Thema eben auch die Frage: Welchen Anteil haben Lehrer an der<br />

„Ein großer Nachteil für Lehrer an der normalen Schule ist sicherlich der zum Teil bewusste<br />

Verzicht auf Teamarbeit, die Zusammenarbeit mit anderen. Wer immer alleine vor der Klasse<br />

steht und wenig Rückmeldungen von Kollegen hat, vereinsamt und macht keine effektive<br />

Arbeit. Der Rückzug hinter die Klassenzimmertür ist in keinem anderen Land so ausgeprägt<br />

wie in Deutschland.“<br />

Worüber auch nachzudenken sein wird, sind angemessene<br />

Unterrichtsmethoden. Bislang unterrichten die meisten Lehrer<br />

frontal, das ist die ineffektivste und gleichzeitig anstrengendste<br />

Methode für Lehrer. Sicher hilft es nicht weiter, hier<br />

und da kurze Fortbildungen einzuschieben. Lehrer brauchen<br />

insgesamt eine systematische und kontinuierliche Fortbildung,<br />

Bildungsmisere? Es geht mir nicht um einseitige Schuldzuweisung.<br />

Allerdings haben etliche Briefe, die ich erhalten habe,<br />

suggeriert, eigentlich sei doch alles in Ordnung mit Schule in<br />

81


Deutschland, man brauche irgendwie ein bisschen weniger hier,<br />

ein bisschen mehr da, ein geringeres Stundendeputat, einfachere<br />

Schüler, dann würde das alles gut gehen. So geht es eben<br />

nicht. Und über den Anteil, den Lehrer und die Qualität ihres<br />

Unterrichts an der Bildungsmisere haben, war bislang wenig<br />

geredet worden, wenn man ehrlich ist. Die Debatten gingen um<br />

Schulsysteme: Brauchen wir eine Gesamtschule, brauchen wir<br />

eine Orientierungsstufe? Wie lang soll die Grundschule sein?<br />

Dann über Arbeitszeit: In Hamburg wird jetzt ein neues Arbeitszeitmodell<br />

eingeführt. Über solche Dinge wurde ewig geredet,<br />

aber nie darüber, wie hinreichend und hinreichend gut der<br />

Unterricht ist. Das hat sich mittlerweile mit der Diskussion<br />

über die Bildungsstandards einigermaßen geändert, aber lange<br />

Zeit wurde eben über die falschen Dinge gesprochen.<br />

<strong>STATEMENT</strong><br />

Ludwig Eckinger<br />

Ich steige einmal ein in mein Kurzstatement mit einem Brief,<br />

der von uns als VBE bzw. von mir nach dem Spiegel-Artikel<br />

„Klassenkrampf“ an die Redaktion geschrieben wurde. Es ist ein<br />

sehr kurzer Brief, und ich will Ihnen gleich verraten, er ist nicht<br />

beantwortet worden. Der Text lautete:<br />

„Sehr geehrter Herr Aust, Beileid, mit dem Titel dieser Woche<br />

haben Sie die Qualitäten Ihres Archivs eindrucksleer unter Beweis<br />

gestellt. Sie haben alle angestaubten Printen zum Lehrerklischee<br />

herausgekramt und zum x-ten Aufguss freigegeben. Das<br />

Ergebnis ist erwartungsgemäß ohne jeden Geschmack.<br />

Titelk(r)ampf. Um Ihnen aus der Ideennot herauszuhelfen, wir<br />

sind da gar nicht so, lädt der VBE Sie zum Diagnosegespräch<br />

ein. Wir möchten Ihnen gerne auf die Sprünge helfen, scheuen<br />

Sie also nicht den Kontakt zur Lehrerwirklichkeit.“<br />

erst (wieder) lernen. Das sage ich sehr selbstbewusst als Vertreter<br />

von Lehrerinnen und Lehrern. Wobei es mir nicht darum<br />

geht, wieder im großen Lamento des Jammertals Schule zu versinken,<br />

was übrigens keiner will, sondern darauf hinzuweisen,<br />

was die Lehrertätigkeit bedeutet. Ich will jetzt keine Zahlen<br />

nennen, die Sie möglicherweise ohnehin alle kennen, etwa wie<br />

viele Frühpensionierungen es gibt und so weiter, sondern eher<br />

darauf hinweisen, dass Stress bei Lehrkräften durchaus kein<br />

Schicksal ist. Hierzu haben sowohl Professor Schaarschmidt als<br />

auch Cordula Meyer schon einige Punkte genannt, die ich vorbehaltlos<br />

unterstreiche. Nun müssen wir miteinander ringen<br />

und das Machbare herausholen, auch und besonders vor dem<br />

Hintergrund von PISA.<br />

Die Belastungen des Lehrerberufs sind in der Zwischenzeit ein<br />

Menetekel geworden. Ich denke, dass weder die Liebe zum<br />

Beruf noch zum Fach allein genügen, um den Job zu wählen,<br />

und plädiere deshalb dafür, dass wir vor allem die jungen Lehrerinnen<br />

und Lehrer, die wir jetzt rekrutieren müssen, ehrlich und<br />

offen aufklären sollten über die Anforderungen des Lehrerberufs.<br />

Es muss uns gelingen sicherzustellen, dass mit der Entscheidung<br />

für ein Lehramtsstudium bereits die Entscheidung<br />

für den Lehrerberuf getroffen werden kann, Polyvalenz hin oder<br />

her. Wenn jetzt darüber geredet wird, dass die Besten eines<br />

Jahrgangs für den Beruf gewonnen werden müssen, will ich darauf<br />

hinweisen, dass das Kriterium nicht alleine die Abiturnote<br />

sein kann, eher sogar nur zu einem ganz geringen Prozentsatz.<br />

Es geht vielmehr darum, die umfassende Eignung der Bewerber<br />

zu überprüfen. Da gibt es in der Zwischenzeit schon einige ganz<br />

gute Erfahrungen. So werden beispielsweise an der Universität<br />

Bamberg von einer Professorin Eignungsgespräche durchgeführt,<br />

um die Chance, dass der richtige Beruf gewählt wurde,<br />

mitzubetreuen. Notwendig für die Eignung zum Lehrer sind<br />

pädagogisch-psychologische Kompetenz, das ist völlig unstrittig,<br />

ferner eine gutes Maß an Belastbarkeit, so etwas wie<br />

„Es geht darum, dass der Lehrerberuf in der heutigen Zeit ein besonders schwieriger ist, auch<br />

ein besonders belasteter, aber – und das anzuerkennen, davon sind wir weit entfernt – auch<br />

ein besonders wichtiger Beruf. Das muss die Gesellschaft erst (wieder) lernen.“<br />

Es war unseres Erachtens notwendig, einen so scharfen Brief zu<br />

schreiben, denn auch wenn ich in Nuancen einigem zustimme,<br />

was Frau Meyer hierin geschrieben und hier gesagt hat, so wird<br />

in dem Artikel der Schwarze Peter völlig einseitig den Lehrerinnen<br />

und Lehrern Deutschlands zugeschoben. Das ist unreflektiert<br />

und auch unqualifiziert. Aber worum geht es eigentlich?<br />

Es geht darum, dass der Lehrerberuf in der heutigen Zeit<br />

ein besonders schwieriger ist, auch ein besonders belasteter,<br />

aber – und das anzuerkennen, davon sind wir weit entfernt –<br />

auch ein besonders wichtiger Beruf. Das muss die Gesellschaft<br />

Stresskompetenz und Konfliktfähigkeit. Es reicht unseres Erachtens<br />

nicht, dass die Kultusministerkonferenz jetzt ziemlich<br />

platt die Werbetrommel rührt, damit unser Beruf wieder genügend<br />

Nachwuchs bekommt, weil – ich hatte es früher schon<br />

einmal erwähnt – von den etwa 800 000 Lehrerinnen und Lehrern<br />

in den nächsten zehn Jahren etwa 400 000 in Pension<br />

gehen werden. Wir plädieren jetzt für eine pädagogische Lehrerbildung.<br />

Das ist kein weißer Schimmel, sondern meint das<br />

oben Gesagte, nämlich dass Lehrerbildung in allen Phasen der<br />

Ausbildung – in der ersten, zweiten und dritten Phase, an der<br />

82


Meyer/Eckinger: Krankmacher Blindtext Schule?<br />

Universität, im Referendariat und in der Fortbildung – dem<br />

entsprechen muss, was dieser Beruf einfordert. Da geht es<br />

natürlich auch, wie Frau Meyer gesagt hat, um Methodenvielfalt,<br />

da geht es um eine praxisrelevante und theoretisch<br />

fundierte Ausbildung. Und: Die neue Variante mit den Bachelorund<br />

Master-Studiengängen können wir nur dann akzeptieren,<br />

wenn sie ebenfalls das Berufsziel der Lehrerin/des Lehrers<br />

integriert und nicht, wie geplant, in Polyvalenzmanier in einem<br />

Fach oder in zwei Fächern ausbildet und dann mühsam versucht,<br />

die pädagogisch-psychologische Kompetenz draufzusatteln.<br />

Das geht aus unserer Sicht schief. Und nach PISA geht es<br />

darum, dass wir das beschädigte Sozialprestige und die<br />

Wertschätzung des Berufs der Lehrerin/des Lehrers in unserer<br />

Gesellschaft wiederherstellen und damit Bildung ihren wirklichen<br />

Stellenwert wieder erhält. Ich behaupte, dass das bisher<br />

nur in Sonntagsreden vorkommt und dass Bildung verwechselt<br />

wird mit herzeigbarem Image, womit nicht jene Bildung<br />

gemeint ist, die wir wollen.<br />

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