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berlin – brandenburg - Lilienthaler Online

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Fast 200 Dreiecks-Kilometer im Flachland<br />

Foto:Christian Barüske<br />

Drachen über Altes Lager<br />

Seit Tagen verspricht der Wetterbericht für<br />

den 17. Juni gute bis sehr gute Thermik,<br />

dazu wenig Wind und eine Wolkenbasis um<br />

2000 Meter <strong>–</strong> Dreiecksbedingungen, wie<br />

man sie nicht allzu oft im norddeutschen<br />

Flachland antrifft. Ich habe frei und fiebere<br />

einem besonderen Flugtag entgegen: Werde<br />

ich meinen persönlichen Rekord von<br />

2003 überbieten? Damals schaffte ich 189<br />

Dreiecks-Kilometer, und nur wegen eines<br />

taktischen Fehlers wurden es zum Schluss<br />

keine 200 <strong>–</strong> vielleicht diesmal?<br />

Die Vorbereitungen<br />

Am Vorabend stürzt mich ein Telefonanruf in<br />

herbe Verzweiflung: Peter kann wegen eines<br />

dienstlichen Termins nicht schleppen. Stunden<br />

später kommt zum Glück die Entwarnung: Er<br />

steht mit seinem Trike immerhin bis mittags zur<br />

Verfügung. Das muss reichen, denn schließlich<br />

wollen nur Neithard und ich mit dem Drachen<br />

auf Strecke gehen. Erwartungsvoll hebe ich<br />

gegen 11 Uhr 45 im „Exxtacy“ von der kilometerlangen<br />

Betonpiste in Altes Lager ab. Wenige<br />

Minuten später folgt Neithard mit dem „Atos“.<br />

Kleine Haufenwölkchen füllen überall den Himmel,<br />

deren Basis noch bei 1500 Höhenmetern<br />

liegt. Das sieht wunderschön und viel versprechend<br />

aus. Auch die „Gleitis“ haben tatendurstig<br />

ihre Winde aufgebaut, aber bei dem lauen<br />

Lüftchen und der begrenzten Ausklinkhöhe<br />

schaffen sie den Thermikeinstieg erst viel später.<br />

Da ist unsere UL-Schlepp-Fraktion deutlich<br />

im Vorteil.<br />

Mental und navigationsmäßig bin ich gut vorbereitet.<br />

Diesmal soll es keine nutzlosen Umwege<br />

geben wie auf meinem Dreieckkurs vor<br />

fünf Wochen, die Flugbeschränkungsgebiete<br />

liegen außerhalb der gewählten Route, und die<br />

Saufregionen, die ich aus<br />

der Thermikkarte kenne<br />

oder schon erlebt habe,<br />

will ich geschickt umfliegen.<br />

Während mein<br />

Drachen aus 400 Metern<br />

Schlepphöhe unglaublich<br />

schnell in den Himmel<br />

steigt, bietet sich mir ein<br />

großartiges Panorama.<br />

Die Sicht beträgt heute<br />

mindestens 50 Kilometer,<br />

denn in der Ferne glänzt<br />

die „Tropical-Islands“-Halle,<br />

und die ist noch ein paar<br />

Kilometer weiter entfernt.<br />

Oh Mann, was für ein Tag!<br />

Anfängliche Hindernisse<br />

Vorsichtig gleite ich mit dem Westwind an den<br />

Waldrändern des Fläming entlang, immer möglichst<br />

hoch unter den Wolken, denn die niedrige<br />

Basis erlaubt keine thermischen Experimente.<br />

Im Nu ist der dicke Sendeturm von Petkus erreicht,<br />

und die Eisenbahnlinie Berlin-Dresden<br />

rückt heran. Hier irgendwo lauert die erste<br />

Absauffalle. Und tatsächlich, die Felder sehen<br />

verdächtig grün aus und sind von kleinen Rinnsalen<br />

durchzogen. Schon nervt das Vario mit<br />

endlos tiefen Tönen, sodass ich gar nicht auf<br />

den Höhenmesser schauen mag. Auch Neithard<br />

kommt in dieser Gegend in Bedrängnis<br />

und muss beinahe landen. Erst ein paar Kilometer<br />

weiter im Süden finde ich wieder Aufwind<br />

<strong>–</strong> große Entspannung. Offenbar habe ich<br />

eine Thermikreihung angeschnitten, denn jetzt<br />

geht es zügig an Luckau und dem stillgelegten<br />

Flugplatz von Alteno vorbei bis zur Dresdener<br />

Autobahn <strong>–</strong> welch ein Unterschied. An der B 87<br />

Luckau, Foto: Claus Gerhard<br />

fallen mir die ziegelroten Innenhöfe der neuen<br />

Haftanstalt von Duben ins Auge, gegen deren<br />

Bau die Einwohner vergeblich protestierten.<br />

Quasi als Ausgleich besitzen sie eine Autobahnkirche.<br />

Laut Karte beträgt mein Flugweg bisher 65 Kilometer,<br />

genug für den ersten Dreieckschenkel,<br />

denn voraus beginnt der Spreewald, touristisch<br />

zwar interessant, aber thermisch mangelhaft.<br />

Ich werfe einen Blick auf die Stadt Lübben, die<br />

jüngst den 400. Geburtstag meines musikalisch-theologischen<br />

Namensvetters (Paul Gerhardt)<br />

feierte, dann geht es trotz Gegenwind<br />

wunderbar leicht zurück nach Luckau. Hier<br />

haben heute Schüler angedroht, ihre Schule in<br />

die Luft zu sprengen. Hoffentlich nimmt das ein<br />

gutes Ende! Das blaue Loch, das sich links am<br />

Himmel auftut, will nun mit Fingerspitzengefühl<br />

bewältigt werden. Also aufdrehen bis zum<br />

Wolkenrand und mit der Geschwindigkeit des<br />

besten Gleitens nach Südwesten steuern! Gespanntes<br />

Warten in völlig ruhiger Luft. Gelingt<br />

der Thermikanschluss voraus an den Wachtelbergen?<br />

Irgendwann werde ich erlöst. Beim<br />

entspannten Kurbeln über dem Wald kann ich<br />

die Reste einer Luftwaffen-Munitions-Anstalt<br />

mit Gleisanschluss betrachten, die die Sowjets<br />

nach dem Krieg als Tanklager nutzten. Wegen<br />

der Nähe zu den umliegenden Dörfern eine beklemmende<br />

Vorstellung!<br />

Fast abgesoffen<br />

Unterwegs über der Rochauer Heide, wo<br />

neuerdings Wölfe leben, beobachte ich die<br />

Fluginstrumente genau. Der Gegenwind ist<br />

mit 5 bis 10 km/h angenehm schwach, dementsprechend<br />

gut geht es voran. Ich bin kaum<br />

3 Stunden unterwegs, und schon liegen 100<br />

Kilometer hinter mir. Das fühlt sich prächtig an<br />

<strong>–</strong> bis über Bärfang,<br />

einem winzigen Nest<br />

mitten in einer Waldschneise,<br />

der erwartete<br />

Aufwind einfach<br />

ausbleibt. Während<br />

ich krampfhaft überlege,<br />

wo die Thermik<br />

zu den tollen Wolken<br />

über mir abreißen<br />

könnte, ist der<br />

Drachen bereits auf<br />

500 Meter gesunken.<br />

Wenn jetzt kein<br />

Wunder geschieht,<br />

geht meine Reise zu<br />

Ende, aber das darf<br />

8<br />

De r Li l i e n t h a l e r 1/2009

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