Bausteine des Lebens
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50 Innovate! 2/07 Biotechnologie<br />
<strong>Bausteine</strong><br />
<strong>des</strong> <strong>Lebens</strong><br />
Die genetische Information aller Lebewesen<br />
wird mit nur vier <strong>Bausteine</strong>n<br />
gespeichert. Entscheidend für die individuellen<br />
Unterschiede ist allein deren<br />
Abfolge und Anzahl.<br />
Text: SILKE WEDEKIND Fotos: TEK IMAGE-SPL-AGENTUR FOCUS<br />
Wie viele Lebewesen gibt es wirklich in den Weltmeeren?<br />
Wird ein Medikament bei einem bestimmten<br />
Patienten helfen – oder kommt es bei der Therapie<br />
zu unerwünschten Nebenwirkun gen? Wie<br />
nah sind wir mit dem Neandertaler verwandt? Und mit dem Rhesusaffen?<br />
Ist ein Patient etwa resistent für bestimmte Arzneimittel?<br />
Antworten auf solche Fragen sind heute einfacher möglich, als noch<br />
vor wenigen Jahren: Die Technik der DNA-Sequenzierung liefert in<br />
vielen Bereichen der Medizin und Biologie neue Erkenntnisse.<br />
Zu den größten Überraschungen gehört die mit dieser Methode<br />
gemachte Entdeckung, dass die marine Artenzahl weitaus größer ist,<br />
als bislang angenommen wurde. Wie die DNA-Analysen enthüllten,<br />
sollen es zehn- bis hundertmal mehr Organismen sein. Die meisten<br />
dieser Arten sind unbekannt und spielen wahrscheinlich als Teil der<br />
„Rare Biosphere“ eine wichtige Rolle in der marinen Umwelt.<br />
Das universelle Molekül, das alle Erbinformationen eines Lebewesens<br />
enthält, ist die Desoxyribonukleinsäure (DNA). Die DNA<br />
setzt sich aus zwei Strängen zusammen, die umeinander gewunden<br />
sind. Jeder Strang dieser Doppelhelix besteht aus einer Abfolge von<br />
nur vier chemisch verschiedenen <strong>Bausteine</strong>n, den Nukleotiden, die<br />
sich im Aufbau durch die Basen Adenin, Thymin, Guanin und<br />
Cytosin unterscheiden. Bis vor etwa 30 Jahren konzentrierte sich<br />
die Molekulargenetik auf die Untersuchung der Erbinformation<br />
von Bakterien und Bakteriophagen. Der Grund dafür, dass sich nur<br />
wenige Forscher mit höheren Organismen beschäftigten, liegt vor<br />
allem in der Größe <strong>des</strong> Erbguts der Pfl anzen und Tiere. „Mit rund<br />
3,4 Milliarden Basenpaaren ist das Genom eines Säugetiers um<br />
etwa das Tausendfache größer als ein Bakteriengenom“, sagt
Die <strong>Bausteine</strong> der DNA:<br />
Adenin (A), Thymin (T), Guanin<br />
(G), Cytosin (C). Die Basen<br />
bilden im Erbgutstrang stabile<br />
Paare aus. A paart sich immer<br />
mit T und G immer mit C.<br />
DNA-Sequenzierung 2/07 Innovate! 51<br />
ADENIN<br />
CYTOSIN<br />
GUANIN<br />
THYMIN<br />
Computer artwork: K. Seddon & T. Evans - SPL - Agentur Focus
52 Innovate! 2/07 Biotechnologie<br />
Dr. Bernhard Korn, verantwortlich für die Genom- und Proteomforschung<br />
am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg.<br />
Zudem kodiert die Säugetier-DNA nur zum geringen Prozentsatz<br />
konkrete Erbinformationen. Zwischen den 20 000 bis 30 000 Genen<br />
liegen informationsleere Abschnitte mit sich wiederholenden<br />
Basenfolgen, die die Identifi zierung der Gene sehr erschweren.<br />
Mittlerweile entwickelten sich die Technologien, mit denen DNA-<br />
Sequenzen analysiert werden können, erheblich weiter. „Wir forschen<br />
inzwischen mit einem System der zweiten Generation, das Sequenzen<br />
von 200 bis 300 Basenpaaren Länge erfassen kann und dabei mit<br />
einer über 99,5-prozentigen Genauigkeit arbeitet“, erklärt Korn.<br />
Mithilfe dieser Sequenzierungstechnologie fanden Mitchell L.<br />
Sogin und seine Arbeitsgruppe vom Josephine Bay Paul Center in<br />
Woods Hole, Massachusetts, in einem Liter Seewasser mehr als<br />
20 000 Arten Bakterien. Zwar haben Meeresbiologen in den letzten<br />
20 Jahren viele neue Mikroorganismen entdeckt und beschrieben,<br />
und inzwischen sind mehr als eine halbe Million Arten bekannt.<br />
Nach den neusten Ergebnissen von Sogin kann man aber<br />
davon ausgehen, dass die Artenvielfalt allein unter den Mikroben<br />
die Fünf- bis Zehnmillionengrenze überschreitet.<br />
RÄTSELHAFTE „RARE BIOSPHERE“ DER OZEANE<br />
Für die Analyse der marinen Arten wurden aus jeder Wasserprobe<br />
etwa 25 000 kurze DNA-Fragmente hergestellt. Die Meeresforscher<br />
konnten so auch sehr selten vorkommende Organismen<br />
fi nden, die in Studien mit weniger empfi ndlichen<br />
Nachweismethoden von häufi gen Arten überdeckt wurden. Bislang<br />
ist die „Rare Biosphere“ der Ozeane nicht erforscht, weder<br />
gibt es eine genaue Vorstellung<br />
über ihre Artenvielfalt, noch<br />
ist bekannt, ob ihre Vertreter<br />
exklusiv an einen einzigen <strong>Lebens</strong>raum<br />
angepasst sind oder<br />
ob sie als eine Art Generalisten<br />
weltweit vorkommen. Sie<br />
könnte ein unerschöpfl iches<br />
Reservoir für genetische Innovation<br />
sein, so Mitchell L. Sogins<br />
Theorie. Mit diesem Modell<br />
ließe sich erklären, warum<br />
sich mikrobielle <strong>Lebens</strong>gemeinschaften<br />
nach Umweltkatastrophen<br />
so schnell erholen<br />
und warum je<strong>des</strong> neu analysierte<br />
Mikroben-Genom sogar<br />
beim Vergleich mit nah verwandten<br />
Arten so große genetische<br />
Unterschiede zeigt.<br />
Glossar<br />
„Die Bedeutung von DNA-<br />
Analysen in der Life Science<br />
Forschung nimmt deutlich zu,“<br />
erklärt Dr. Bernhard Korn.<br />
BASEN <strong>Bausteine</strong> der DNA: Adenin (A), Thymin (T), Guanin (G), Cytosin<br />
(C). Die Basen bilden im Erbgutstrang stabile Paare aus, A paart sich immer<br />
mit T und G immer mit C.<br />
DNA Desoxyribonucleic acid (Desoxyribonukleinsäure): die chemische<br />
Substanz, aus der das Erbgut besteht.<br />
ELEKTROPHORESE Analysemethode durch Trennung geladener Teilchen<br />
in einem elektrischen Feld.<br />
GENE Funktionsabschnitte <strong>des</strong> Erbguts, die als Bauanleitung vor allem<br />
für Proteine dienen.<br />
GENOM Die Gesamtheit aller Gene eines Organismus.<br />
NUKLEINSÄUREN Überbegriff für DNA und RNA. Kettenförmige Moleküle,<br />
deren einzelne <strong>Bausteine</strong> die Nukleotide sind.<br />
NUKLEOTIDE Die <strong>Bausteine</strong> der DNA und der RNA. Sie bestehen aus<br />
den vier Basen Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin – in der RNA wird<br />
anstelle von Thymin das Uracil eingebaut – einem Zucker- und min<strong>des</strong>tens<br />
einem Phosphatrest.<br />
PCR Polymerase Chain Reaction (Polymerasekettenreaktion). Methode<br />
zum schnellen Vervielfältigen auch extrem kleiner DNA- und RNA-Mengen.<br />
RNA Ribonucleic acid (Ribonukleinsäure). Die chemische Verbindung,<br />
aus der beispielsweise die Arbeitskopien der Gene bestehen.<br />
Neue und verbesserte Sequenzierungstechniken könnten Hinweise<br />
auf Genmutationen geben, die ihre Träger für Krebs- oder<br />
Herzerkrankungen empfänglich machen. Über die Sequenzierung<br />
von Bakterien- und Virusgenomen lassen sich Aussagen zum Verlauf<br />
einer Infektion und zum Therapieansprechen gewinnen.<br />
Zurzeit wird auch an historischem Material gearbeitet: Wissenschaftler<br />
um Dr. Hendrik Poinar an der McMaster-Universität<br />
in Ontario, Kanada, untersuchen die DNA von Opfern der mittelalterlichen<br />
Pest-Epidemien in Europa. Davon erhofft man sich<br />
Hinweise auf Epidemien wie HIV oder die Vogelgrippe. Vielversprechend<br />
erscheint die Technologie bei der Suche nach Angriffspunkten<br />
für Tumortherapien, die gezielt in Regulationsvorgänge<br />
bösartig entarteter Zellen eingreifen.<br />
Professor Dr. Christian Strassburg von der Medizinischen Hochschule<br />
Hannover konnte mit seiner Arbeitsgruppe nachweisen, dass<br />
Träger der Gilbert-Meulengrachtschen Erkrankung Komplikationen<br />
entwickeln, wenn sie Medikamente einnehmen, die über die Glukuronidierung<br />
verstoffwechselt werden. Dadurch wird eine Arznei chemisch<br />
so verändert, dass sie wasserlöslich wird und über die Niere<br />
oder die Galle ausgeschieden werden kann. Von dem eigentlich unkomplizierten<br />
Gilbert-Meulengracht-Syndrom sind etwa neun Prozent<br />
der Bevölkerung betroffen. Normalerweise muss es nicht behandelt<br />
werden. „Zu Problemen kommt es, wenn der Betroffene auf ein<br />
Medikament angewiesen ist, das über diesen Stoffwechselweg ausgeschieden<br />
wird“, erklärt Strassburg. Die Varianten im Erbgut, die für<br />
die Störungen der Glukuronidierung verantwortlich sind, können<br />
durch einen Gentest nachgewiesen werden. „Wir konnten in unseren<br />
Untersuchungen zeigen, dass jeder zehnte Deutsche einen veränderten<br />
Stoffwechsel aufweist, der<br />
Ursache für Nebenwirkungen<br />
von Arzneimitteln sein kann“,<br />
betont der Gastroenterologe.<br />
Manchmal lässt sich mit<br />
der Gensequenzierung das Geschichtsbild<br />
korrigieren. Bislang<br />
dachte man, dass Iren von<br />
den Kelten und Engländer von<br />
den Angelsachsen abstammen.<br />
Da sich eine erhebliche Übereinstimmung<br />
der Gene in diesen<br />
Bevölkerungsgruppen nachweisen<br />
ließ, nimmt man nun<br />
an, dass beide gleiche Vorfahren<br />
haben. Nah stehen sich<br />
auch Mensch und Rhesusaffe:<br />
Wie sich jetzt zeigte, sind 97,5<br />
Prozent seiner Gene mit denen<br />
<strong>des</strong> Menschen identisch. !<br />
Fotos: Roche / Uwe Dettmar
1944 Oswald T. Avery und<br />
Mitarbeitern gelingt der Nachweis,<br />
dass die DNA der Träger<br />
der genetischen Information<br />
ist und begründen damit die<br />
„molekulare Genetik“.<br />
Genome Sequencer 20 (GS20):<br />
Automatisiertes und ultraschnelles<br />
System zur Sequenzanalyse<br />
(Bestimmung der Abfolge<br />
von Basen in Nukleinsäuren),<br />
das auf einer innovativen<br />
Mikrotechnik basiert.<br />
1953 James D. Watson und<br />
Francis H. C. Crick klären die<br />
dreidimensionale Struktur<br />
der DNA-Doppelhelix auf und<br />
ermöglichen so wichtige Fortschritte<br />
in der Medizin.<br />
DNA-Sequenzierung 2/07 Innovate! 53<br />
Buchstaben <strong>des</strong> <strong>Lebens</strong>:<br />
Entziffern um jeden Preis?<br />
Beim ersten Mal hat es noch 13 Jahre gedauert und drei<br />
Milliarden Dollar gekostet. Inzwischen geht es deutlich<br />
schneller – und auch die Kosten sind gesunken. Als das<br />
internationale Humangenomprojekt im Jahr 1990 gegründet<br />
wurde, war das erklärte Ziel die Sequenzierung <strong>des</strong><br />
menschlichen Genoms bis 2010. Letztendlich wurde dieses<br />
Ziel früher erreicht, 2003 war das Projekt abgeschlossen,<br />
das Deutsche Humangenomprojekt beendete seine Aktivitäten<br />
2004. Die damals veröffentlichte Sequenz stammt<br />
jedoch nicht von einem einzelnen Menschen, sondern ist<br />
aus den Gendaten verschiedener anonymer Spender zusammengesetzt.<br />
„In vielleicht zehn Jahren könnte das<br />
persönliche Genom kommen“, prognostiziert Dr. Bernhard<br />
Korn vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg.<br />
„Mit einem Preis von etwa 1000 Dollar zwar nicht<br />
ganz billig, aber doch in einem für viele bezahlbaren<br />
Rahmen“. Dann könnte jeder über seinen genetischen<br />
Code und damit sein genetisches Schicksal informiert<br />
sein – sofern er das möchte.<br />
Die individuellen Unterschiede in der Erbinformation<br />
sind klein, nur etwa ein Promille der DNA-<strong>Bausteine</strong> unterscheidet<br />
jeden Menschen von allen anderen. Auf diese<br />
Unterschiede kommt es aber an. Hier liegen die Informationen<br />
verborgen, ob ein Mensch beispielsweise an Alzheimer<br />
oder Krebs erkrankt, ob ein Medikament bei ihm<br />
wirkt oder nicht, ob er lange lebt oder wie er auf Infektionserreger<br />
reagiert, wenn er mit ihnen in Kontakt kommt.<br />
Wie diese Eigenschaften aus der Gensequenz abgelesen<br />
werden können, ist nicht vollständig aufgeklärt. Zwar<br />
kennt man einige Erkrankungen, die auf die Mutation<br />
einer einzigen Base im Erbgutstrang oder eines Gens zurückzuführen<br />
sind, in der Mehrzahl der Fälle sind aber<br />
mehrere Gene für die Ausprägung einer Eigenschaft verantwortlich.<br />
Außerdem wirken Umweltfaktoren modulierend<br />
auf das Erbgut ein.<br />
Trotzdem: Der Zusammenhang zwischen Veranlagungen<br />
und bestimmten Krankheiten wird immer deutlicher. Und<br />
damit stellen sich neue Fragen. Kann der Missbrauch genetischer<br />
Daten verhindert werden? Was passiert, wenn<br />
der Arbeitgeber, die Krankenkassen oder die <strong>Lebens</strong>versicherer<br />
Einblick in die Gendaten nehmen? Welches Recht<br />
hat der Einzelne an seinen Erbinformationen? Wird Wissen<br />
um die Information zur Bereicherung oder zur Belastung?<br />
1977 entwickelt Frederick<br />
Sanger das Kettenabbruchverfahren<br />
zur Bestimmung von DNA-<br />
Sequenzen, Kary B. Mullis<br />
entdeckt 1983 die Methode der<br />
Polymerasekettenreaktion.<br />
1990 Das Humangenomprojekt<br />
wird mit dem Ziel gegründet, das<br />
Erbgut <strong>des</strong> Menschen zu entschlüsseln.<br />
2003 ist die Sequenzierung<br />
vollständig abgeschlossen.
54 Innovate! 2/07 Biotechnologie<br />
DNA-<br />
Sequenzierung<br />
Auf dem Weg zum 1000-Dollar-Genom<br />
Einen Durchbruch für die Genomanalyse brachte die<br />
Entwicklung <strong>des</strong> sogenannten Kettenabbruchverfahrens<br />
durch den britischen Biochemiker Frederick Sanger.<br />
Diese Methode ist die Grundlage für die bis heute<br />
gängigste DNA-Analysetechnik. Auch große Sequenzierungsvorhaben,<br />
wie etwa das Humangenomprojekt, das im Jahr 1990 gestartet<br />
und 2003 abgeschlossen wurde, beruhen auf diesem Verfahren.<br />
Sanger und seine Mitarbeiter konnten mithilfe dieser<br />
Technologie 1977 zum ersten Mal ein komplettes Genom sequenzieren<br />
– das <strong>des</strong> Bakteriophagen ΦX174 mit 5386 Basenpaaren.<br />
Für seine Beiträge zur Sequenzierung von Nukleinsäuren erhielt<br />
Sanger 1980 den Nobelpreis für Chemie.<br />
Mit der auf Elektrophorese basierenden Sanger-Methode werden<br />
heute vollständige Genome sequenziert, aber auch Teilstücke<br />
Verschiedene Darstellungsweisen<br />
von DNA-Analyse-Ergebnissen durch<br />
das Genom Sequencer System.<br />
Dr. Bernhard Korn, Deutsches<br />
Krebsforschungszentrum: „In<br />
vielleicht zehn Jahren könnte das<br />
persönliche Genom kommen.“<br />
analysiert, um beispielsweise Mutationen zu fi nden, die mit der<br />
Entstehung von Krankheiten zusammenhängen könnten. „Obwohl<br />
die Methode in den letzten Jahren permanent verbessert<br />
wurde und obwohl die Sequenzierungskosten in dieser Zeit um<br />
etwa 90 Prozent gefallen sind, stößt dieses Standardverfahren<br />
mittlerweile an seine Grenzen“, sagt Dr. Angelika Rösler vom Biotechnologie-Zentrum<br />
von Roche in Penzberg, „bislang sind die<br />
Sequenzierungen einfach noch zu langsam und zu teuer.“<br />
Der legendäre und nicht unumstrittene amerikanische Genforscher<br />
Craig Venter hat vor fünf Jahren eine Prämie für denjenigen<br />
ausgeschrieben, der die Kosten für die vollständige Sequenzierung<br />
eines menschlichen Genoms auf 1000 Dollar senkt. Um<br />
dieses Ziel zu erreichen, müssen die Geräte für die Sequenzierungen<br />
noch wesentlich leistungsfähiger werden. Parallel dazu<br />
muss sich auch die Bioinformatik weiterentwickeln, um mit den<br />
riesigen Datenmengen fertig zu werden, die bei den Sequenzierungen<br />
anfallen.<br />
Ein Schritt auf dem Weg zum „1000-Dollar-Genom“ ist inzwischen<br />
aber gemacht: Im Dezember 2006 hat Roche mit dem<br />
Genome Sequencer FLX System ein Gerät auf den Life-Science-<br />
Markt gebracht, das auf einer neuen Technologie <strong>des</strong> US-Unternehmens<br />
454 Life Sciences basiert, und mit dem Tag für Tag die<br />
Sequenzinformationen von 200 Millionen Basenpaaren gewonnen<br />
werden können. „Damit kann beispielsweise das Genom <strong>des</strong><br />
Bakteriums Escherichia coli mit seinen 4,3 Millionen DNA-Buchstaben<br />
an einem Arbeitstag vollständig entschlüsselt werden“, beschreibt<br />
Dr. Bernhard Korn vom Deutschen Krebsforschungszentrum<br />
in Heidelberg die Leistungsfähigkeit <strong>des</strong> neuen Systems.<br />
„Die in Bruchstücke zerlegte DNA wird zunächst auf kugelförmigen<br />
Mikropartikeln, den sogenannten Beads, mithilfe der Poly-
Fotos: Roche / Uwe Dettmar<br />
Mit Hilfe der Sequenzierung<br />
identifi ziert Dr. Bernhard Korn<br />
veränderte Prozesse, die für<br />
die Krankheitsentstehung, Progression<br />
und deren potentielle<br />
Heilung verantwortlich sind.<br />
merasekettenreaktion (PCR) vervielfältigt. Anschließend werden<br />
diese Beads, die in einer Emulsion schwimmen, auf eine Platte<br />
aufgetragen, die winzige Vertiefungen auf ihrer Oberfl äche hat.<br />
Und in jede dieser Vertiefungen passt nun genau ein Bead mit der<br />
daran hängenden amplifi zierten DNA“, erklärt Korn.<br />
Die eigentliche Analyse der DNA-Sequenz ist dann der nächste<br />
Schritt. Dabei dienen die zu untersuchenden DNA-Stücke auf<br />
den Beads als Vorlage, an die nun ein neuer, gegengleicher DNA-<br />
Strang angefügt wird. Die verschiedenen <strong>Bausteine</strong>, aus der die<br />
DNA aufgebaut ist, werden nach und nach einzeln zu den Beads<br />
auf die Platte gegeben und anschließend wieder schnell entfernt,<br />
damit sie sich nicht miteinander vermischen. Passt der angebotene<br />
Baustein, wird er entsprechend der Matrize eingebaut. Dieser<br />
Einbau löst über eine Enzymkaskade einen Lichtblitz aus, den ein<br />
Detektor registriert. Werden mehrere gleiche <strong>Bausteine</strong> nacheinander<br />
eingefügt, fällt das Signal entsprechend stärker aus. „Schritt<br />
für Schritt wird so die Reihenfolge der <strong>Bausteine</strong> aus der Vorlage<br />
entschlüsselt“, sagt Korn.<br />
!<br />
LINKS<br />
The Human Genome Organisation www.hugo-international.org<br />
Deutsches Humangenomprojekt www.dhgp.de<br />
Nationales Genomforschungsnetz www.ngfn.de<br />
Bioethik www.1000fragen.de<br />
Deutsches Krebsforschungszentrum, Arbeitsgruppe<br />
Dr. Bernhard Korn www.dkfz.de/de/genomics_proteomics/<br />
index.html<br />
Max Planck Institut Leipzig www.eva.mpg.de/english/press/<br />
PMs_eng/neandertaler_eng.pdf<br />
DNA-Sequenzierung 2/07 Innovate! 55<br />
Dr. Manfred Baier ist seit Anfang<br />
2006 weltweit für die Entwicklung<br />
und Vermarktung<br />
der Roche-Produkte für die biologisch-medizinische<br />
Forschung<br />
verantwortlich. Diesen Bereich<br />
leitet der studierte Chemiker<br />
vom Biotechnologie-Zentrum<br />
Penzberg aus.<br />
Forschungspioniere<br />
Hightech am Standort Deutschland<br />
Innovate! Roche zählt zu den führenden Biotech-Unternehmen weltweit.<br />
Im Kerngeschäft der Diagnostik sind die Produkte für den Life Science<br />
Markt gebündelt. Was kennzeichnet dieses Geschäft ?<br />
MANFRED BAIER: Wie in anderen technologie-orientierten Bereichen<br />
auch, ist der Life Science Markt heute extrem dynamisch und schnelllebig.<br />
Deshalb müssen wir auch zukünftig mit der Vielfalt und vor<br />
allem mit der Qualität unserer Produkte dem Anspruch der Forscher,<br />
die in den unterschiedlichsten Zweigen der Naturwissenschaften tätig<br />
sind, gerecht werden. Hier hilft uns das langjährige Know-how unserer<br />
Mitarbeiter.<br />
Innovate! Was sind die besonderen Herausforderungen im Life Science<br />
Markt?<br />
BAIER: Eine der wichtigsten Voraussetzung ist, die Wunschliste der<br />
Forscher genau zu kennen. Wir verstehen uns als Pioniere und müssen<br />
<strong>des</strong>halb die Potenziale neuer Technologien für unsere Kunden früh<br />
erkennen. Dann können wir der Wissenschaft innovative Werkzeuge<br />
in die Hand geben, mit denen sie zu neuen Erkenntnissen kommt.<br />
Innovate! Woraus schöpft Roche die Innovationskraft?<br />
BAIER: Roche ist als forschen<strong>des</strong> Unternehmen stark innovationsorientiert.<br />
Neben der eigenen Forschung spielen aber auch Kooperationen<br />
und Partnerschaften eine bedeutende Rolle, um neue, zukunftsweisende<br />
Impulse aufzunehmen. Erfolgreiche Kooperationen können dann<br />
auch in einer Firmenakquisition münden. So wie kürzlich im Falle der<br />
mehrjährigen Kooperation mit dem US-Unternehmen 454 Life Sciences,<br />
das technologisch führend in der Gensequenzierung ist. Basis ist hier<br />
ein völlig neues System zur DNA-Sequenzierung. Diese Innovation ermöglicht<br />
Anwendungen, die zuvor aus technischen oder wirtschaftlichen<br />
Gründen nicht möglich waren.<br />
Innovate! Haben Sie dafür Beispiele?<br />
BAIER: Ja, vor wenigen Wochen konnte mit diesem Genom Sequencer<br />
System im Zusammenhang mit Transplantationen ein völlig neues Virus<br />
identifi ziert werden – mit keiner anderen Methode war das den Wissenschaftlern<br />
vorher möglich. Dieses System fi ndet aber auch in weniger<br />
bekannten Bereichen der Naturwissenschaften Anwendung. So beispielsweise<br />
am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in<br />
Leipzig. Hier wird das Neandertaler-Genom sequenziert. Daneben gibt<br />
es auch Beispiele aus der Meeresbiologie oder der Krebsforschung.<br />
Innovate! Sie bringen also mit Ihren Ideen die Forschung weiter?<br />
BAIER: Ein ganz klares Ja! Und umgekehrt werden wir durch neue<br />
Erkenntnisse in der weltweiten Forschung immer wieder zu neuen Produkten<br />
inspiriert. Unsere Kunden sind Pioniere der Forschung.<br />
Und wir sind es auch.