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Gutachten als PDF-Download - Borderline Europe

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22<br />

1.2 Das staatliche Gesundheitssystem<br />

Erst 1998 wurde mit dem so genannten Turco-Napolitano Gesetz Nr. 40, Art. 34 (Legge 6 marzo<br />

1998, n. 40) das Thema gesundheitliche Versorgung von Ausländern eingebracht. 72 In Art. 34 ist<br />

das Einschreiben in den nationalen Gesundheitsdienst für sich regulär 73 in Italien aufhaltende<br />

Ausländer vorgesehen.<br />

Die Einführung des „Sicherheitspakets“ 74 2009 führte aufgrund der im Vorfeld des Erlassens von der<br />

Regierung diskutierten Sicherheitsfragen zu großen Verunsicherungen: Vorgesehen war die<br />

verpflichtende Denunzierung von Ausländern, die sich ggf. irregulär im Staatsgebiet aufhalten und<br />

eine ärztliche Versorgung benötigten. Diese Klausel wurde dann zwar im Gesetz nicht<br />

aufgenommen, führte aber aufgrund der langen Diskussion darüber bei Ärzten, Pflegepersonal und<br />

Migranten (Asylsuchende, Schutzberechtigte, sonstige Migranten) zu großen Ängsten, da die<br />

illegale Einreise (<strong>als</strong>o jede Einreise über See z.B.) mit der Einführung des „Sicherheitspaktes“ <strong>als</strong><br />

Straftat gilt und damit die Ankommenden erst einmal „Straftäter“ sind. 75<br />

Asylsuchende, die über eine Bestätigung der erstmaligen Registrierung ihres Asylgesuchs verfügen,<br />

haben Anrecht auf freie staatliche Gesundheitsversorgung während des Asylverfahrens. Der<br />

Zugang ist mit einem Versicherungsausweis und der Registrierung im nationalen Gesundheitsdienst<br />

(tessera sanitaria) gewährleistet.<br />

Folgende Hürden der Gesundheitsversorgung für Asylsuchende und Schutzberechtigte bestehen:<br />

a) Erwerb der Gesundheitskarte: diese gibt es nur bei regulärem Wohnsitz, was schon viele<br />

Asylsuchende und Schutzberechtigte ausschließt, da sie diesen nicht haben;<br />

b) Zahlung des "Tickets" (Praxisgebühr, deutlich höher <strong>als</strong> in Deutschland);<br />

c) Kulturelle und sprachliche Verständigungsschwierigkeiten;<br />

d) Mangelnde Aufklärung der Asylsuchenden und Schutzberechtigten über ihre Rechte;<br />

e) Mangelnde psychosoziale Versorgung und Traumabehandlung.<br />

Eine genaue Erläuterung dieser Problematiken finden sind in den Antworten zu den Fragen 7, 9 und<br />

10.<br />

1.3 Lebensunterhalt<br />

In Italien gibt es kein Sozialhilfesystem. Asylsuchende und Schutzberechtigte, die nicht mehr in<br />

einer staatlichen Unterkunft leben, haben keinen Anspruch auf Unterkunft, Nahrung, Kleidung,<br />

Taschengeld oder sonstige materielle Leistungen.<br />

Auch die Aussage des Bundesamtes, der italienische Gesetzgeber stelle eine Ausgleichzahlung zur<br />

Verfügung, deren Höhe dem Bundesamt jedoch nicht bekannt sei, wenn aufgrund mangelnder<br />

Plätze keine Unterkunft für den Asylsuchenden gewährt werden könne, muss nach den Interviews in<br />

Rom im Oktober 2012 zumindest in seiner Anwendung widersprochen werden. Dass diese<br />

Regelung auf dem Papier existiert, ist zwar unstrittig, allerdings ist sie bisher noch in keinem<br />

einzigen Fall zur Anwendung gekommen. UNHCR, SPRAR und Innenministerium haben 2012 ein<br />

juristisches Handbuch für die Fürsorge bei Asylsuchenden herausgeben, in dem deutlich steht, dass<br />

der Gesetzgeber im gesetzvertretenden Dekret D.Lgs 140/05 zwar vorsieht, bei Nichtaufnahme in<br />

einem SPRAR oder in einem CARA dem Asylsuchenden (und nur diesem) durch die Präfekturen<br />

eine finanzielle Leistung zukommen zu lassen, bis er einen Platz gefunden hat, und dass die Höhe<br />

72<br />

Medici senza Frontiere, Oriti, Angela: “Accesso alle cure degli stranieri presenti in Italia”, S. 3.<br />

http://www.stranieriinitalia.it/briguglio/immigrazione-e-asilo/2007/agosto/oriti-accesso-sanita%27.html, 2007.<br />

73<br />

Ebda.: Zu diesem Gesetzt gibt es einen erklärenden Runderlass vom 24.03.2000, Nr.5, dort steht unter<br />

Punkt Ia) erklärend, wer zu den sich regulär aufhaltenden Ausländern gehört:<br />

http://gazzette.comune.jesi.an.it/2000/126/5.htm. Regulär bedeutet: Aufenthaltserlaubnis zu Arbeitszwecken,<br />

aufgrund selbständiger Arbeit, aus familiären Gründen, aufgrund politischen Asyls, zum Zwecke der<br />

Durchführung des Asylverfahrens, aus humanitären Gründen, zu Adoptionszwecken, zum Zwecke der<br />

Erlangung der Staatsbürgerschaft.<br />

74<br />

“Pacchetto sicurezza”, legge n. 94 del 2009, nel Testo Unico sull’immigrazione: Gesetz Nr. 94 vom<br />

15.07.2009, so genanntes "Sicherheitspaket". Das Gesetz stellt eine Modifizierung des "Testo Unico<br />

sull'Immigrazione" dar, dem bis dato geltenden gesetzvertretenden Dekret zur Migration, D.Lgs 289/98.<br />

75<br />

Giunti, Sara: “L'accesso ai servizi sanitari degli immigrati in Italia. Analisi delle problematiche attraverso la<br />

metodologia della growth diagnostic,” VII, 1, http://www.juragentium.org/topics/global/it/giunti.htm, 2011. Stellt<br />

der ankommende Bootsflüchtling sofort einen Asylantrag, gilt der Straftatbestand damit <strong>als</strong> erledigt.

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