Gutachten als PDF-Download - Borderline Europe
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32<br />
wir <strong>als</strong> Moslems nicht essen dürfen. Wir haben nach Milch für unseren kleinen Sohn gefragt, aber<br />
es gab keine. Auch Windeln haben wir nicht bekommen. Arbeit haben wir nicht gefunden, wir hätten<br />
gerne für uns selbst gesorgt, aber es war einfach nicht möglich. Ich, X, bin krank geworden, aber<br />
der Arzt im Camp hat nur Blut abgenommen und sonst nichts gemacht. Als unser Baby krank<br />
wurde, gab es keine Medizin für ihn. Sogar die Mitarbeiter in dem Camp haben uns gesagt, wir<br />
sollten doch in andere europäische Länder gehen und dort ein besseres Leben suchen, in Italien<br />
würden wir ja sehen, dass es keine Arbeit und keine ausreichende Versorgung für uns und unser<br />
Kind gebe.“ 107<br />
Fazit: Es kann davon ausgegangen werden, dass auch in anderen Einrichtungen ähnliche Zustände<br />
wie in Crotone herrschen. In einem Interview mit dem Leiter des italienischen Flüchtlingsrats CIR,<br />
Christopher Hein, am 23.10.2012 in Rom bestätigte dieser, dass ihm die Schilderung des<br />
Flüchtlings in o.g. Protokoll nicht abwegig erscheine:<br />
„Alle CARAs sind hässlich und schrecklich. Ich verstehe nicht, warum dafür Geld<br />
ausgegeben wird, anstatt mehr in die SPRARs zu investieren.“ 108<br />
Eine EU-Delegation zeigte sich schockiert über die Verhältnisse im CARA von Salinagrande<br />
(Trapani). Medizinische Versorgung ist in vielen Zentren nicht ausreichend gewährleistet. In<br />
Großzentren wie Mineo, aber nicht nur dort, sind Zwangsprostitution und sonstige kriminelle<br />
Machenschaften an der Tagesordnung. 109 Integration wird aufgrund der oftm<strong>als</strong> ungeeigneten und<br />
abgelegenen Strukturen nicht gefördert. Vielfach werden statt Taschengeld Zigaretten an die<br />
Bewohner ausgegeben, auch an die Kleinstkinder.<br />
4) Ist davon auszugehen, dass – wie der Kläger im Hinblick auf afghanische Flüchtlinge in<br />
Crotone geschildert hat – Asylsuchende regelmäßig auch mehrere Jahre in<br />
Erstaufnahmeeinrichtungen unter den geschilderten Bedingungen verweilen müssen, ohne<br />
umverteilt zu werden?<br />
4.1 Lange Wartezeiten<br />
Der UNHCR warf den italienischen Behörden im Juli 2012 einen Verstoß gegen die EU-<br />
Aufnahmerichtlinie vor:<br />
“Es gibt eine Anzahl von Beispielen, die zeigen, dass die Aufnahme in einem CARA auf<br />
sechs Monate beschränkt ist. Es korrespondiert nicht mit der EU-Aufnahmerichtlinie, wenn das auf<br />
Asylsuchende angewandt wird, die nicht für sich selber sorgen können und noch keine<br />
Entscheidung in ihrem Verfahren erhalten haben.” 110<br />
Mineo sei das fortschrittlichste Aufnahmelager für Flüchtlinge in Europa, behauptete 2011 der<br />
damalige italienische Innenminister Maroni 111 , dorthin sollten alle Asylsuchenden aus ganz Italien<br />
konzentriert hingebracht werden. So wurden Menschen von einem Ort, in dem die Kinder vielleicht<br />
schon zur Schule gingen und in dem sie nicht in Massen untergebracht waren, nach Mineo<br />
geschafft. Diese Verlegung bedeutete erneutes langes Warten auf die Anhörung, obwohl sie in der<br />
ihnen vorher zugeteilten territorialen Asylkommission vielleicht einige Tage später angehört worden<br />
wären. Alle Integrationsversuche und –möglichkeiten, die in CARA-Unterbringungen aufgrund der<br />
sehr begrenzten Unterbringungszeit sowieso schon sehr schwierig sind, wurden damit<br />
unterbrochen, ungeachtet erlittener Traumata und mentaler Störungen. 112<br />
107<br />
Aufgezeichnet von Maria Bethke, Asylverfahrensberatung des Ev. Dekanats Gießen, 16.10.2012.<br />
108<br />
Interview mit Christopher Hein, CIR, am 23.10.2012, Rom.<br />
109<br />
Siehe die Auswahl der Berichte in Frage 3.<br />
110<br />
UNCHR: UNHCR RECOMMENDATIONS ON IMPORTANT ASPECTS OF REFUGEE PROTECTION IN<br />
ITALY, Juli 2012, S. 12.<br />
111<br />
Giornale di Sicilia, 28.02.2011: „Maroni: Mineo sia modello di eccellenza",<br />
http://www.gds.it/gds/sezioni/cronache/dettaglio/articolo/gdsid/148937/.<br />
112<br />
Sapienza, Maria Grazia, Argo Catania „C’è poco da festeggiare“, 26.10.2012,<br />
http://www.corriereimmigrazione.it/ci/2012/08/cara-di-mineo/.