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Die sozialistische Industrialisierung – toter Hund ... - von Helga Schultz

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schufen unter quasi militärischem Kommando zugleich jene Arbeiterklasse, die Basis<br />

der Herrschaft sein sollte. Dabei wurden alle anderen sozialen Schichten einschließlich<br />

der Bauern enteignet oder unterworfen. <strong>Die</strong> Kollektivierung der Landwirtschaft war die<br />

Kehrseite der <strong>sozialistische</strong>n <strong>Industrialisierung</strong>, die Bauernschaft stellte ihre zahlreichsten<br />

Opfer. <strong>Die</strong> <strong>sozialistische</strong> <strong>Industrialisierung</strong> enthielt ein gesellschaftspolitisches Programm,<br />

das entschieden über den Wandel der Wirtschaftszweigstruktur hinauswies:<br />

� Beschleunigtes Wirtschaftswachstum im <strong>Die</strong>nste militärischer Stärke und gesellschaftlichen<br />

Reichtums auf der Basis des Vorrangs der Produktionsmittelindustrie;<br />

� Autarkie als Mittel politischer und ökonomischer Unabhängigkeit;<br />

� Konzentration und Zentralisation <strong>von</strong> Produktion und Planung auf der Grundlage des<br />

Staatseigentums und staatlich gelenkter Genossenschaften;<br />

� Homogenisierung der Gesellschaft mit Dominanz der Industriearbeiterschaft durch<br />

Einebnung sozialer, kultureller und regionaler Unterschiede.<br />

In die ideale Sprache der kommunistischen Utopie übersetzt standen diese Ziele für die<br />

Unbesiegbarkeit der Revolution; für den Überfluß an Gütern, die jedem nach seinen Bedürfnissen<br />

zugeteilt würden; für die Unterordnung jedes Sonderinteresses unter das allgemeine<br />

Ganze; für den endlichen Sieg der Gleichheit als einzige und letzte Form irdischer<br />

Gerechtigkeit Deklariert als Erfordernis der Übergangsperiode zum Sozialismus,<br />

nahm die <strong>sozialistische</strong> <strong>Industrialisierung</strong> doch bereits die kommunistische Utopie fest<br />

in den Blick. 3 Sie war Teil der Transformation zum Sozialismus nach sowjetischem<br />

Modell. <strong>Die</strong>se Transformation wälzte nicht nur die Wirtschaftsordnung, sondern alle<br />

Institutionen der ostmitteleuropäischen Gesellschaften, ihre sozialen Strukturen und ihre<br />

Werte um. Wie könnte man sie allein mit ökonomischen Kategorien beschreiben, nur<br />

als Entgegensetzung <strong>von</strong> Planwirtschaft und Marktwirtschaft, Zentralverwaltungswirtschaft<br />

und Verkehrswirtschaft?<br />

Wenn man sich <strong>von</strong> der Fixierung auf den Systemvergleich und den in der deutschen<br />

Forschung damit verbundenen DDR-BRD-Vergleich löst, wie Michael Geyer aus der<br />

USA-Perspektive schon 1994 dringend empfahl, wird der Blick frei für andere Determinanten<br />

des Scheiterns. 4 Geyer fand sie für die DDR in der autarkistischen Industriepolitik<br />

eines Kleinstaates, der eben wegen seiner ständigen Fixierung auf den anderen deutschen<br />

Staat nicht zu einer modernisierenden Deindustrialisierung fand und daher nicht<br />

zu weltwirtschaftlicher Verflechtung kam. Nun steckte meines Erachtens genau hinter<br />

dieser autarkistischen <strong>Industrialisierung</strong> mehr als der Irrweg eines Kleinstaates, der<br />

noch immer wie Großdeutschland funktionieren wollte. Meines Erachtens war es in außerordentlich<br />

hohem Maße das Gesellschaftskonzept, das die Richtung der Wirtschafts-<br />

3 Vgl. den Artikel Sozialistische <strong>Industrialisierung</strong> <strong>von</strong> J. Roesler, in: Handbuch Wirtschaftsgeschichte,<br />

Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften 1981, 1020-1027; Artikel <strong>sozialistische</strong> <strong>Industrialisierung</strong>,<br />

in: Wörterbuch der Ökonomie des Sozialismus, Berlin: <strong>Die</strong>tz-Verlag 1969, 719-720.<br />

4 M. Geyer, Industriepolitik in der DDR. Von großindustrieller Nostalgie zum Zusammenbruch, in: J. Kocka/M.<br />

Sabrow (Hg. ), <strong>Die</strong> DDR als Geschichte. Fragen - Hypothesen - Perspektiven, Berlin: Akademie<br />

Verlag 1994, 122-134.<br />

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