Die sozialistische Industrialisierung – toter Hund ... - von Helga Schultz
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Das Gebot der vorrangigen Produktion <strong>von</strong> Produktionsmitteln, das seit Marx als Bedingung<br />
erweiterter Reproduktion galt, verwandelte sich dabei unversehens in den Primat<br />
der Schwerindustrie. 16 Das marxistische Zwei-Sektoren-Modell, wenn es zur<br />
Grundlage staats<strong>sozialistische</strong>r Strukturplanung wurde, hatte wohl eine Präferenz der<br />
Grundstoffindustrie, der Metallurgie und des Schwermaschinenbaus nahegelegt und die<br />
Vernachlässigung der Konsumgütererzeugung tendenziell enthalten. Hans-Jürgen Wagener<br />
hat die dogmengeschichtlichen, ökonomischen und historischen Zusammenhänge<br />
mit Bezug auf die sowjetische <strong>Industrialisierung</strong>sdebatte dargestellt. 17 Doch erst Stalin<br />
verengte den in der Politischen Ökonomie des Sozialismus als Abteilung I benannten<br />
Produktionsmittelsektor auf die Schwerindustrie. <strong>Die</strong> Begriffe wurden weithin Synonyme.<br />
18<br />
Man muß sich vergegenwärtigen, daß in der Zwischenkriegszeit die Schwerindustrie<br />
auch in der Wirtschaftspolitik der entwickelten Länder eine strategische Rolle spielte.<br />
<strong>Die</strong> Nachkriegsordnung, wie sie unter anderem im Versailler Vertrag fixiert war, sah die<br />
dauerhafte Schwächung des deutschen Militärpotentials durch die Amputation der Kohle-<br />
und Stahlproduktion vor. Für die weniger entwickelten europäischen Länder wurde<br />
eine eigene Schwerindustrie erst recht zum Schlüssel für den Ausgang aus der wirtschaftlichen<br />
Rückständigkeit und Abhängigkeit, zur Bedingung militärischer Kraft und<br />
somit zum Unterpfand der eigenen Staatlichkeit. In Polens Plan zur Entwicklung der<br />
zentralen Industrieregion (COP), der <strong>von</strong> 1936 bis 1942 konzipiert war, war die Stärkung<br />
der militärischen Verteidigungskraft vorrangig. Schwerindustrie und Rüstungsproduktion<br />
waren das doppelte und erste Ziel der nachholenden <strong>Industrialisierung</strong>. Das<br />
hielt Stalin bei der Abrechnung des ersten Fünfjahrplans seinen Gegnern in der Partei<br />
entgegen, die eine stärkere Konsumgüterproduktion forderten:<br />
Unsere Lage wäre dann mehr oder weniger der Lage des heutigen China analog, das<br />
keine eigene Schwerindustrie hat. Keine eigene Kriegsindustrie hat, und das jetzt <strong>von</strong><br />
allen, denen es nur gefällt, gerupft wird. 19<br />
<strong>Die</strong> Sowjetunion ging in den dreißiger Jahren diesen Weg der nachholenden <strong>Industrialisierung</strong><br />
so angestrengt und so erfolgreich wie kein anderes Land. Sie wurde das Staunen<br />
einer <strong>von</strong> der großen Krise gebeutelten Welt. <strong>Die</strong> Schwerindustrialisierung wurde zum<br />
sowjetischen Modell der <strong>Industrialisierung</strong>, zu einem Bestandteil des Grundgesetzes der<br />
Politischen Ökonomie des Sozialismus. <strong>Die</strong>ses Modell ersetzte fortan eine wirkliche<br />
Theorie der <strong>sozialistische</strong>n Transformation, wie Preobrashenski, der als Weggefährte<br />
16 Ders. , Bericht an den 16. Parteitag der KPdSU 1930, ebenda, 506-507.<br />
17 H. -J. Wagener, Über den Vorrang der Produktionsmittelerzeugung in der sowjetischen Strukturpolitik.<br />
Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien, 16, 1978.<br />
18 So sprach Stalin schon 1930 <strong>von</strong> Produktion <strong>von</strong> Produktionsmitteln (Schwerindustrie), und Fred Oelßner<br />
übernahm noch zwanzig Jahre später selbstverständlich die sowjetische Praxis. (J. Stalin, wie Anm.<br />
15, 506; F. Oelßner, Eine neue Etappe der marxistischen politischen Ökonomie. Über die Bedeutung<br />
des Werkes J. W. Stalins „Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR“, Berlin: <strong>Die</strong>tz Verlag<br />
1953, 85.<br />
19 J. Stalin, wie Anm. 15, 674.<br />
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