Hospiz Stern - Hospiz an der Lutter
Hospiz Stern - Hospiz an der Lutter
Hospiz Stern - Hospiz an der Lutter
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Der geistige Schmerz erzeugt ein tragisches Lebensgefühl,<br />
wo wir uns leicht in <strong>der</strong> Rolle des Opfers wie<strong>der</strong>finden. Die<br />
Frage bleibt jedoch:können wir leben, ohne uns schuldig<br />
zu fühlen bzw. schuldig zu werden? Lei<strong>der</strong> zwingt uns das<br />
Leben ja zuweilen zu bitteren Entscheidungen, die für uns<br />
und <strong>an</strong><strong>der</strong>e schmerzlich sind.<br />
Es gab und gibt – lei<strong>der</strong> auch heute noch – im Umfeld einer<br />
bestimmten Frömmigkeit und Theologie so etwas wie eine<br />
Verklärung von Schmerz und Leiden, die u. a. in den Worten<br />
gipfelt: „Dem Leidenden ist Gott beson<strong>der</strong>s nahe.“ Diese<br />
Feststellung einem Menschen buchstäblich um die Ohren<br />
zu schlagen, <strong>der</strong> sich gef<strong>an</strong>gen und gekettet <strong>an</strong> seinem<br />
Schmerz in einer Art Hölle auf Erden erlebt, k<strong>an</strong>n verheerende<br />
Folgen haben – <strong>der</strong>lei Bewertungen haben gewalttätigen<br />
Charakter und stehen niem<strong>an</strong>dem zu! Gerade bei<br />
Betroffenen, die sich in einem Zust<strong>an</strong>d starker körperlicher<br />
Schmerzen befinden, werden auch Schmerzen, die aus<br />
einem g<strong>an</strong>z <strong>an</strong><strong>der</strong>en Bereich kommen, mobilisiert: das nicht<br />
Gelungene, die Verlassenheit, die unerfüllten Wünsche und<br />
was <strong>der</strong> Lebensschmerz sonst noch so bereit hält. Das k<strong>an</strong>n<br />
heftige Gefühle von Sinnlosigkeit erzeugen, doch es steht<br />
uns nicht zu, ihnen Erklärungsmuster über den Sinn ihrer<br />
Schmerzen, ihres Leidens zu liefern. Stellt sich diese Frage, so<br />
sollte sie je<strong>der</strong> nur für sich selbst entschlüsseln, da Schmerzund<br />
Leidenszustände höchst persönlich und intim sind.<br />
Auch werden diese Zustände vielfach noch immer als Strafe<br />
Gottes erlebt. „Wofür werde ich bestraft?“, diese Frage steht<br />
häufig im Raum. Wenn sich das Gottesbild vom allmächtigen<br />
Herrschergott bis hin zum Moralisten ausgebreitet hat,<br />
ist dem nur schwer bis überhaupt nicht zu begegnen. Es<br />
h<strong>an</strong>delt sich um Erfahrungen, die in einer Tiefe <strong>an</strong>gesiedelt<br />
sind, wohin die Wege versperrt scheinen.<br />
Der Mensch ist <strong>der</strong> Lehrling, Schmerz ist sein Meister –<br />
dieses Wort von Musset erzählt uns von <strong>der</strong> Macht des<br />
Schmerzes, <strong>der</strong> Ausdruck ist unseres g<strong>an</strong>zheitlichen Wesens,<br />
<strong>der</strong> zu unserem Leben gehört und auch eine Signalfunktion<br />
hat, um immer einmal wie<strong>der</strong> auf unsere Lebensgewohnheiten,<br />
auf unseren Alltag zu schauen. Doch dies ist schwer<br />
in einer Arbeitswelt, in <strong>der</strong> die Funktionstüchtigkeit zu den<br />
höchsten Tugenden gehört und wir auch gesellschaftlich<br />
viel Anerkennung bekommen, wenn wir die Zähne zusammenbeißen,<br />
weil ein Indi<strong>an</strong>er keinen Schmerz kennt und das<br />
Sichzusammenreißen den Tapferen auszeichnet. Sicher gibt<br />
es immer einmal wie<strong>der</strong> Situationen, wo dies notwendig<br />
ist, wenn es sich jedoch zu einem Dauerzust<strong>an</strong>d etabliert,<br />
sollten wir diesen Umst<strong>an</strong>d in einer stillen Stunde einmal<br />
bedenken und uns ehrlich fragen: „Was machen wir da<br />
eigentlich mit uns, o<strong>der</strong> was lassen wir da mit uns machen?“<br />
Vorausgesetzt, wir haben diese stille Stunde überhaupt<br />
noch bzw. gönnen sie uns. Doch nie vergessen sollten wir,<br />
dass wir nur ein einziges Leben auf dieser Welt haben, dass<br />
es einmalig ist und kostbar.<br />
sus<strong>an</strong>ne hillm<strong>an</strong>n<br />
Klinikseelsorgerin a.D.<br />
Supervisorin/ München<br />
Der Mensch ist <strong>der</strong> Lehrling,<br />
Schmerz ist sein Meister.<br />
Alfred de Musset<br />
07 13