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Untitled - Schweizerischer Werkbund

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Freunde Alfred Roth und Georg Schmidt.“ 45<br />

Kritik an den Missionaren des guten Geschmacks<br />

Daraus geht hervor: Max Bills engagierte Initiative wäre nie<br />

im umrissenen Maße zum Tragen gekommen ohne die Unterstützung<br />

des SWB-Zentralvorstandes und verschiedener,<br />

tatkräftiger Kollegen; neben den oben genannten auch Johannes<br />

Itten und Richard P. Lohse, um heute international<br />

bekannte Namen anzuführen. Ausgerechnet der Erste Vorsitzende,<br />

Hans Finsler, bezieht als „eine Art offizielles Organ<br />

des SWB“ auf der <strong>Werkbund</strong>tagung 1955 kritisch Stellung<br />

zur Auszeichnung „Die gute Form“, die indes von Jahr zu<br />

Jahr größeren Erfolg verzeichnen kann.<br />

Unter dem Titel „Der <strong>Werkbund</strong> und die Dinge“ stellt Finsler<br />

Formverliebtheit und schwelenden Formalismus fest und<br />

bezweifelt die Beurteilungsmaßstäbe für „gut und schlecht“:<br />

„Im Frühjahr mußte ich jeweils meine Unterschrift unter 250<br />

Auszeichnungen der guten Form setzen, auch wenn ich die<br />

guten Formen gar nicht gesehen hatte. (...) Heute nun möchte<br />

ich gerne meine persönliche Meinung sagen. (...) Sind es die<br />

Dinge, für die sich der <strong>Werkbund</strong> einsetzt, oder ist es die<br />

Form? Besteht nicht die Gefahr, daß der Begriff der Form<br />

sich loszulösen beginnt von den Dingen, und wir unsere Beziehungen<br />

zu den Dingen verlieren? (...) Mir scheint, unsere<br />

Missionare des guten Geschmacks sind nicht ganz unschuldig<br />

an der Masse der Stilgläubigen, denen man die sündigen<br />

Gewänder des schlechten Geschmacks genommen hat, ehe<br />

sie die Nacktheit der reinen Form ertragen konnten. Nun irren<br />

sie unruhig durch die Pseudoformen vom Jugendstil zum<br />

Heimatstil...“ 46<br />

Pointiert stellt Finsler zudem das Jurieren von Guter Form<br />

grundsätzlich in Frage: „Das Schema des <strong>Werkbund</strong>s ist immer<br />

noch ein notwendiges Fundament unseres Urteils, ein<br />

Schutz gegen willkürliche Gestaltung. Aber es genügt nicht.<br />

Es genügt nicht für den ganzen Ablauf der Entwicklung der<br />

Geräte des Menschen. Es hat keine Epoche gegeben, in der<br />

Material, Konstruktion und Zweck allein die Form bestimmt<br />

hätten, nicht einmal das halbe Jahrhundert des <strong>Werkbund</strong>s.<br />

Immer war mitbestimmend das, was wir heute Stil nennen,<br />

oder, mit anderen Worten, unser Verhalten zu uns selbst und<br />

zur Welt, ausgedrückt durch die Form. (...) Der Mensch, der<br />

sich immer wieder die Dinge und die Formen schafft, die seinem<br />

Sein entsprechen, schafft mit ihnen auch immer wieder<br />

Symbole seiner Existenz, die sich jeder Wertung nach gut<br />

oder schlecht entziehen. Es gibt keinen Maßstab, den wir<br />

anlegen könnten, denn ihre einzige Rechtfertigung ist die<br />

schöpferische Form selbst.“ 47<br />

Finsler sagt dies Mitte der 1950er Jahre, als endlich auch in<br />

der Schweiz Anzeichen der Hochkonjunktur spürbar sind.<br />

Ungeachtet seiner Kritik nehmen „Die gute Form“-Aktionen<br />

ihren Lauf. Es gelingt, im Kreise des Schweizerischen <strong>Werkbund</strong>es<br />

die Zahl der Industriellen, genannt Fördermitglieder,<br />

binnen weniger Jahre von gut 50 (1945) auf über 150 (1953) zu<br />

verdreifachen. Die Kehrseite der Hochkonjunktur lässt indes<br />

nicht auf sich warten: Bald gewinnt die Massenproduktion an<br />

Bedeutung. Mit ihr drängt sich die Kostenfrage zunehmend<br />

in den Vordergrund. Statt Qualität erlangt kurzfristige Mode,<br />

sprich der Verschleiß, zunehmend an Wichtigkeit. Das Zielpublikum<br />

der Schweizer Industrie war bisher der gut situierte<br />

Mittelstand; die umfassenden Qualitätsansprüche des <strong>Werkbund</strong>es<br />

konnten dieser Klientel und auch den Produzenten<br />

vermittelt werden. Doch um 1960 geht das Qualitätsdenken<br />

im Kaufrausch der aufblühenden Konsumgesellschaft und<br />

der Massenproduktion unter. Im Zuge dieser Strukturveränderung<br />

ziehen sich viele Wirtschaftsvertreter wieder aus dem<br />

<strong>Werkbund</strong> zurück.<br />

In den 1960er Jahren konstatiert der Bund verschiedentlich,<br />

dass sein wichtiges gestalterisches Ziel erreicht sei: gut geformte,<br />

solide, zweckdienliche Dinge gehören zum schweizerischen<br />

Alltag. Die neuen Feinde der Guten Form heißen jetzt<br />

Mode, Verschleiß und Stromlinienform. Die SWB-Botschaft<br />

bleibt indes dieselbe und ist auf bestem Wege, zur Doktrin<br />

zu erstarren. Inzwischen ist der Schweizerische <strong>Werkbund</strong><br />

50 Jahre alt. Anlässlich der Jubiläumsversammlung 1963 mit<br />

dem Thema „Gestaltungsprobleme der Gegenwart“ erlaubt<br />

sich der prominente holländische Gast, Aldo van Eyck, gegen<br />

die normative, sendungsbewusste Gute Form zu polemisieren:<br />

„Wir sollten nie vergessen, lieber SWB, dass jeder das<br />

Recht auf seinen eigenen Kitsch hat. Das heißt, auf seinen<br />

eigenen guten Geschmack oder, wenn man so will, seinen<br />

eigenen schlechten Geschmack. Aber sehr viel freundlicher<br />

und grosszügiger ist es, zu sagen, auf seinen Geschmack,<br />

und gut und schlecht zu vergessen. Vergessen Sie bitte ‚die<br />

gute Form’ und ‚die schlechte Form’, darauf kommt es nicht<br />

an. Mir scheint es nötig, dieser Tatsache mit mehr Humor und<br />

mit mehr Bescheidenheit zu begegnen.“ 48<br />

Der alte <strong>Werkbund</strong>...<br />

1967 erweitert die Basler Ortsgruppe die Thematik der von ihr<br />

gestalteten, jährlichen „Die gute Form“-Schau zu einer Ausstellung<br />

über „gute Form – gute Umwelt“. Ausstellungsflugblatt<br />

und Katalog beziehen Stellung: „Von der guten Form zur<br />

guten Umwelt – dazu will der <strong>Werkbund</strong> seinen Beitrag leisten.<br />

Der alte <strong>Werkbund</strong> hat sein Ziel erreicht: die industrielle<br />

Form der Geräte, die gute Form, hat sich durchgesetzt. Auch<br />

die gute Wohnung hat sich weit gehend durchgesetzt.“ 49<br />

Im selben Jahr präsentiert das Basler <strong>Werkbund</strong>mitglied,<br />

Antonio Hernandez, in den „SWB-Kommentaren“, die der<br />

Zeitschrift Werk beiliegen, eine kritische Abrechnung: „Nach<br />

15 Jahren: Bilanz der Guten Form“, 50 um ein Jahr später am<br />

selben Ort differenziert, doch in aller Schärfe festzustellen:<br />

„Die gute Form am Ende ihrer Möglichkeiten“. 51 Niemand<br />

ist jetzt noch – gegen den internen Widerstand – interessiert<br />

„Die gute Form“ durchzuboxen. 1968 wird die Auszeichnung<br />

zum letzten Mal verliehen. Sang- und klanglos, wie man liest,<br />

nimmt sie ihr Ende. – Die 68er Generation hat die Initiativen<br />

auch im Schweizerischen <strong>Werkbund</strong> ergriffen. Anstelle der<br />

„Die gute Form“-Ausstellung wird an der Mustermesse eine<br />

von Basler Mitgliedern geschaffene Tonbildschau mit dem Titel<br />

„Böses Bilderbuch für Zufriedene“ vorgeführt, welche die<br />

Verschlechterung der Umwelt zum Thema hat. 52<br />

Und Max Bill? Die Jugend sucht sich in jenen Jahren neue<br />

Vorbilder und entthront die alten. Zum Beispiel der Architekturstudent<br />

und Filmer Georg Radanowicz, der in einem Dokumentarfilm<br />

22 Fragen an Max Bill stellt. Der halbstündige<br />

Film, gekennzeichnet von der Perspektive der 68er Revolte,

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