Interview mit Thomas Unteregger - ALS-Vereinigung.ch
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Was ist für sie das Ziel im<br />
Umgang <strong>mit</strong> der Krankheit <strong>ALS</strong>?<br />
Mein Ziel ist effektiv, einen sauberen Abgang zu haben!<br />
I<strong>ch</strong> denke, dass ist die Chance dieser Krankheit. So<br />
makaber es au<strong>ch</strong> tönen mag, i<strong>ch</strong> kann mir mein Leben<br />
no<strong>ch</strong> so einri<strong>ch</strong>ten, dass es für mi<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> stimmt.<br />
Andere Ziele in Anbetra<strong>ch</strong>t der Ungewissheit des<br />
Krankheitsverlaufs setze i<strong>ch</strong> mir gar ni<strong>ch</strong>t.<br />
Also do<strong>ch</strong>, ein Ziel habe i<strong>ch</strong> mir Beispielsweise<br />
gesetzt. I<strong>ch</strong> mö<strong>ch</strong>te auf der Arbeit die Abre<strong>ch</strong>nungen<br />
der Kantonss<strong>ch</strong>ule Baden no<strong>ch</strong> fertig ma<strong>ch</strong>en und alle<br />
anderen angefangenen Sa<strong>ch</strong>en, die i<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on lange einmal<br />
ar<strong>ch</strong>ivieren sollte, sind mir eigentli<strong>ch</strong> „s<strong>ch</strong>eiss egal“.<br />
Dann kommen si<strong>ch</strong>er no<strong>ch</strong> Ziele <strong>mit</strong> der Familie<br />
dazu, dass i<strong>ch</strong> da no<strong>ch</strong> soviel als mögli<strong>ch</strong> <strong>mit</strong>erleben<br />
kann. Die S<strong>ch</strong>ule und Ausbildung der Kinder <strong>mit</strong>erleben.<br />
Es ist mein Ziel, dass die Kinder dur<strong>ch</strong> meine Krankheit<br />
ni<strong>ch</strong>t negativ beeinflusst werden, in dem Sinne dass ihre<br />
s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>en Leistungen abfallen und so ihre Zukunft negativ<br />
beeinflusst wird.<br />
I<strong>ch</strong> kann es wirkli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t anders sagen, i<strong>ch</strong> hoffe<br />
i<strong>ch</strong> habe einen sauberen Abgang für beide Seiten.<br />
Aber i<strong>ch</strong> habe ni<strong>ch</strong>t das Gefühl dass die Kinder da einen<br />
S<strong>ch</strong>aden davontragen werden. I<strong>ch</strong> bin froh dass i<strong>ch</strong> jetzt<br />
no<strong>ch</strong> soviel wie mögli<strong>ch</strong> <strong>mit</strong> ihnen teilen und intensiv leben<br />
kann. I<strong>ch</strong> kenne viele Leute die s<strong>ch</strong>on zu mir gesagt<br />
haben, dass ihre Mutter oder S<strong>ch</strong>wester an <strong>ALS</strong> gestorben<br />
ist und sie nie <strong>mit</strong>einander geredet haben. Die konnten<br />
das dann au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ri<strong>ch</strong>tig verarbeiten.<br />
Vor was haben sie am<br />
meisten Angst?<br />
(überlegt) I<strong>ch</strong> weiss es do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t! Viellei<strong>ch</strong>t Angst<br />
dass i<strong>ch</strong> die Familie enttäus<strong>ch</strong>e. Das i<strong>ch</strong> das fals<strong>ch</strong>e gema<strong>ch</strong>t<br />
habe und viellei<strong>ch</strong>t wirkli<strong>ch</strong> <strong>mit</strong> dieser Öffentli<strong>ch</strong>keitsarbeit<br />
früher aufgehört hätte.<br />
I<strong>ch</strong> habe au<strong>ch</strong> ein biss<strong>ch</strong>en Angst davor, dass i<strong>ch</strong><br />
mi<strong>ch</strong> in der ganzen Hilfsbereits<strong>ch</strong>aft gegenüber anderen<br />
<strong>ALS</strong>-Patienten verzetteln könnte, aber i<strong>ch</strong> fühle mi<strong>ch</strong><br />
irgendwie einfa<strong>ch</strong> dazu verpfli<strong>ch</strong>tet zu helfen. Gewisse<br />
Leute haben wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> einfa<strong>ch</strong> das Bedürfnis <strong>mit</strong><br />
jemandem wie mir darüber zu reden. Aber die meiste<br />
Angst habe i<strong>ch</strong> wirkli<strong>ch</strong> davor, dass i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> verzetteln<br />
könnte.<br />
Wenn die Krankheit weiter vorges<strong>ch</strong>ritten ist sieht das<br />
Ganze viellei<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> wieder ein wenig anders aus, denn<br />
auf den Sterbeprozess freut si<strong>ch</strong> wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> Keiner.<br />
Aber ob i<strong>ch</strong> dann Angst haben werde, kann i<strong>ch</strong> im Moment<br />
no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t sagen. Jetzt im Moment habe i<strong>ch</strong> auf<br />
jeden Fall no<strong>ch</strong> keine Angst.<br />
Wie ist das für sie, anderen <strong>ALS</strong>-Patienten<br />
im Kontakt zu stehen, ihnen viellei<strong>ch</strong>t sogar zu<br />
helfen und sie dann an der glei<strong>ch</strong>en Krankheit<br />
an der sie leiden sterben zu sehen?<br />
Für mi<strong>ch</strong> ist es oft na<strong>ch</strong>her s<strong>ch</strong>limmer, wenn man<br />
zu Hause sitzt und für einen kürzli<strong>ch</strong> an <strong>ALS</strong> verstorbenen<br />
Kollegen eine Kerze anzündet. Dann würgt es<br />
mi<strong>ch</strong> viel mehr, als im Moment in dem er no<strong>ch</strong> da ist. Die<br />
meisten reden dann ja s<strong>ch</strong>on no<strong>ch</strong> <strong>mit</strong> mir und da habe<br />
i<strong>ch</strong> gar keine Zeit um gross na<strong>ch</strong>zudenken. I<strong>ch</strong> habe<br />
au<strong>ch</strong> bei sol<strong>ch</strong>en Momenten ni<strong>ch</strong>t immer die Gedanken<br />
daran, dass i<strong>ch</strong> viellei<strong>ch</strong>t der nä<strong>ch</strong>ste sein könnte. Im<br />
Gegenteil, wir sitzen ja von Anfang an im glei<strong>ch</strong>en Boot.<br />
Für mi<strong>ch</strong> ist es man<strong>ch</strong>mal ein grosser S<strong>ch</strong>ock, wie<br />
s<strong>ch</strong>nell diese Krankheit bei man<strong>ch</strong>en vorans<strong>ch</strong>reitet. Eigentli<strong>ch</strong><br />
weiss man, dass es bei gewissen Patienten rasant<br />
s<strong>ch</strong>nell gehen kann, dass ist leider so.<br />
Fühlen sie si<strong>ch</strong> gefangen in ihrem<br />
eigenen Körper?<br />
Teilweise muss i<strong>ch</strong> das s<strong>ch</strong>on bejahen. Es gibt da si<strong>ch</strong>er<br />
Sa<strong>ch</strong>en (überlegt). I<strong>ch</strong> muss es so sagen, diese<br />
Krankheit ist ein fortlaufender Prozess der an vielen Orten<br />
eingreift. <strong>ALS</strong> greift ja z.B. au<strong>ch</strong> das Reden und das<br />
Atmen an aber der Geist wird ja ni<strong>ch</strong>t angegriffen. Da<br />
muss man man<strong>ch</strong>mal einfa<strong>ch</strong> sagen, diese verdammte<br />
Krankheit kann meinen Körper haben, aber den Geist<br />
bekommt sie ni<strong>ch</strong>t.<br />
Es ist s<strong>ch</strong>wierig zu sagen ob i<strong>ch</strong> im Körper gefangen<br />
bin oder ni<strong>ch</strong>t. Aber zu sagen, dass i<strong>ch</strong> es ni<strong>ch</strong>t bin<br />
wäre si<strong>ch</strong>er au<strong>ch</strong> völlig fals<strong>ch</strong>. Jetzt beginnt ja bei uns<br />
dann wieder die Fasna<strong>ch</strong>t, und i<strong>ch</strong> war ein so leidens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er<br />
Tänzer, das verärgert mi<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on dass i<strong>ch</strong><br />
das ni<strong>ch</strong>t mehr kann, da ma<strong>ch</strong>e i<strong>ch</strong> dann s<strong>ch</strong>on gute<br />
Miene zum bösen Spiel, wenn i<strong>ch</strong> <strong>mit</strong> dem Rollstuhl<br />
sol<strong>ch</strong>e Feste besu<strong>ch</strong>e an denen getanzt wird. So gesehen<br />
fühle i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong>er ein biss<strong>ch</strong>en gefangen. Aber<br />
es ist ni<strong>ch</strong>t so dass es ni<strong>ch</strong>t mehr lebenswert wäre.<br />
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