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Interview mit Thomas Unteregger - ALS-Vereinigung.ch

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Was für eine Rolle spielt die Familie in ihrem<br />

Alltag <strong>mit</strong> der Krankheit?<br />

Das ist das brutalste, es ist praktis<strong>ch</strong> vom ersten Tag so,<br />

dass man fast ni<strong>ch</strong>ts mehr helfen kann. Es ist ni<strong>ch</strong>t so<br />

dass i<strong>ch</strong> vorher viel im Haushalt geholfen habe, aber i<strong>ch</strong><br />

habe si<strong>ch</strong>er au<strong>ch</strong> mal den Boden oder das WC geputzt<br />

Meine Frau hat jetzt eigentli<strong>ch</strong> eine doppelte Belastung.<br />

Sie arbeitet momentan mehr als 50% und i<strong>ch</strong><br />

kann ni<strong>ch</strong>ts mehr helfen. Die Kinder sind in der Ausbildung,<br />

dort kann i<strong>ch</strong> helfen, so gut es no<strong>ch</strong> geht, aber<br />

au<strong>ch</strong> da lastet der grösste Teil bei meiner Frau. I<strong>ch</strong> arbeite<br />

ja au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> 50% was mi<strong>ch</strong> sehr fordert und au<strong>ch</strong><br />

die Öffentli<strong>ch</strong>keitsarbeit und die Politik in der i<strong>ch</strong> tätig bin,<br />

nimmt sehr viel Zeit in anspru<strong>ch</strong>.<br />

Es ist effektiv man<strong>ch</strong>mal s<strong>ch</strong>on am Li<strong>mit</strong>, wie i<strong>ch</strong><br />

meine Frau no<strong>ch</strong> zusätzli<strong>ch</strong> belaste. Aber für mi<strong>ch</strong> ist<br />

wie gesagt, die Arbeit und Tagesstruktur ein Stück von<br />

meiner Therapie. Es ist immer wieder ein gegenseitiges<br />

Abs<strong>ch</strong>ätzen, wieviel man dem Partner zumutet.<br />

Warum ist Ihnen das Engagement<br />

in der Öffentli<strong>ch</strong>keit so wi<strong>ch</strong>tig?<br />

I<strong>ch</strong> weiss es eigentli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t. I<strong>ch</strong> war s<strong>ch</strong>on immer<br />

getrieben von einem verdammten Ehrgeiz. Früher war<br />

es der Sport. I<strong>ch</strong> habe da wirkli<strong>ch</strong> praktis<strong>ch</strong> alles gema<strong>ch</strong>t<br />

was i<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en wollte, inklusive das Springen in<br />

eine S<strong>ch</strong>lu<strong>ch</strong>t. Jetzt brau<strong>ch</strong>e i<strong>ch</strong> wieder irgendetwas. Mir<br />

ist aufgefallen, dass die meisten <strong>ALS</strong>-Patienten einfa<strong>ch</strong><br />

da sitzen und ni<strong>ch</strong>ts ma<strong>ch</strong>en. Einerseits wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong><br />

vom S<strong>ch</strong>ock darüber, dass sie sterben müssen, andererseits<br />

au<strong>ch</strong> wegen ihrem Umfeld. Diese Hilflosigkeit, zuglei<strong>ch</strong><br />

aber au<strong>ch</strong> Untätigkeit, ist für mi<strong>ch</strong> ein Phänomen.<br />

I<strong>ch</strong> hatte einfa<strong>ch</strong> den Drang, weil i<strong>ch</strong> sonst au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on<br />

sehr offen bin, zu zeigen dass diese Krankheit jeder bekommen<br />

und man ni<strong>ch</strong>ts dagegen tun kann. I<strong>ch</strong> habe<br />

den Mut das zu zeigen und dadur<strong>ch</strong> die Öffentli<strong>ch</strong>keit<br />

auf <strong>ALS</strong> aufmerksam zu ma<strong>ch</strong>en. Immer in der Hoffnung,<br />

dass es ein Verständnis für diese Krankheit gibt.<br />

Was sind die Reaktionen ihrer Mitmens<strong>ch</strong>en?<br />

Es gibt Leute bei denen i<strong>ch</strong> merkte, dass sie ges<strong>ch</strong>ockt<br />

waren, als sie mi<strong>ch</strong> das erste Mal im Rollstuhl sahen.<br />

Sie haben si<strong>ch</strong> sogar von mir abgewandt, weil sie fast<br />

weinen mussten und ni<strong>ch</strong>t wussten wie da<strong>mit</strong> umgehen.<br />

Aber dur<strong>ch</strong> meine offene Art habe i<strong>ch</strong> eigentli<strong>ch</strong> praktis<strong>ch</strong><br />

nur positive Erfahrungen gema<strong>ch</strong>t. Es gibt viele Leute<br />

die mir au<strong>ch</strong> helfen wollen. I<strong>ch</strong> muss nur man<strong>ch</strong>mal<br />

no<strong>ch</strong> lernen diese Hilfe anzunehmen.<br />

Eine sehr negative Reaktion, erhielt i<strong>ch</strong> beim joggen<br />

<strong>mit</strong> meiner Frau, dass heisst meine Frau ist gejoggt<br />

und i<strong>ch</strong> bin <strong>mit</strong> meinem «Elektrotöffli» das extra für<br />

mi<strong>ch</strong> gefertigt wurde, nebenher gefahren. Dann ist<br />

einer <strong>mit</strong> dem Velo zu mir gekommen und hat mi<strong>ch</strong><br />

gefragt, was i<strong>ch</strong> denn für ein fauler Kerl sei, neben der<br />

Frau herzufahren!? Na<strong>ch</strong> dieser Aussage ist sie fast auf<br />

ihn losgegangen. Sie hätte ihn am liebsten zu Boden<br />

ges<strong>ch</strong>lagen, so wütend war sie!<br />

Wie sind die Reaktionen auf ihre Krankheit von<br />

guten Freunden oder Berufskollegen?<br />

I<strong>ch</strong> bin jetzt seit fünf Jahren beim Kanton Aargau in der<br />

Verwaltung tätig und i<strong>ch</strong> muss ganz ehrli<strong>ch</strong> sein, i<strong>ch</strong> hatte<br />

mi<strong>ch</strong> zuvor in der Privatindustrie viel wohler gefühlt. Jetzt<br />

in der Verwaltung ist alles irgendwie veradministriert. Für<br />

alles gibt es Kontrollpapiere und es werden immer mehr<br />

Hierar<strong>ch</strong>iestufen eingebaut. Tägli<strong>ch</strong> gibt es wieder neue<br />

Weisungen, wir kommen fast ni<strong>ch</strong>t mehr dazu diese alle<br />

aufzunehmen. Dann kommt jemand wie i<strong>ch</strong>, einer der<br />

früher so ein Wirbelwind war, <strong>mit</strong> einer sol<strong>ch</strong>en Krankheit.<br />

Da ist es für die Mitarbeiter s<strong>ch</strong>on s<strong>ch</strong>wer, in dieser<br />

Umgebung wo alles so geordnet abläuft, <strong>mit</strong> so etwas<br />

unvorhergesehenem klar zu werden.<br />

Haben sie dur<strong>ch</strong> <strong>ALS</strong> Freunde verloren?<br />

Es ist so, dass die Leute die mir früher ni<strong>ch</strong>t sympathis<strong>ch</strong><br />

waren, mir heute erst re<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t sympathis<strong>ch</strong> sind, aber<br />

es ist si<strong>ch</strong>er au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on vorgekommen, dass i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong><br />

in einem Mens<strong>ch</strong>en getäus<strong>ch</strong>t habe.<br />

Da fällt mir ein jetziger Kollege ein, <strong>mit</strong> dem i<strong>ch</strong><br />

vor meiner Krankheit ni<strong>ch</strong>ts anfangen konnte. Dieser hat<br />

si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong>dem er von meiner Erkrankung erfahren hat,<br />

spontan bei mir gemeldet und mi<strong>ch</strong> für einen Ausflug<br />

eingeladen. Das finde i<strong>ch</strong> sehr stark von ihm, i<strong>ch</strong> weiss<br />

ni<strong>ch</strong>t ob i<strong>ch</strong> in seiner Situation das Glei<strong>ch</strong>e für ihn gema<strong>ch</strong>t<br />

hätte.<br />

<strong>Thomas</strong> <strong>Unteregger</strong> im Februar<br />

2006 auf dem eigens für Ihn hergestellten<br />

«Elektrotöffli».<br />

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