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35 Jahre Frauenselbsthilfe nach Krebs

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<strong>35</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Frauenselbsthilfe</strong> <strong>nach</strong> <strong>Krebs</strong><br />

Vortrag von Hilde Schulte<br />

Ehrenvorsitzende der <strong>Frauenselbsthilfe</strong> <strong>nach</strong> <strong>Krebs</strong><br />

<strong>35</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Frauenselbsthilfe</strong> <strong>nach</strong> <strong>Krebs</strong> – ein Jubiläum, das zum Innehalten<br />

einlädt.<br />

<strong>35</strong> <strong>Jahre</strong> Einsatz für krebskranke Menschen und ihre Angehörigen – eine<br />

Leistung, auf die wir alle stolz sein dürfen.<br />

<strong>35</strong> <strong>Jahre</strong> engagierte Selbsthilfearbeit – ein Zeichen für die Gesellschaft und<br />

Kontrapunkt für die Stimmen, die immer <strong>nach</strong> dem Staat rufen.<br />

Lassen Sie uns gemeinsam einen Blick auf die vergangenen <strong>35</strong> <strong>Jahre</strong> werfen<br />

und uns an Meilensteine erinnern, die unseren Weg kennzeichnen.<br />

1976: Die Beatles und Rolling Stones bestimmen den musikalischen Geschmack.<br />

In der DDR beginnt die Ära Erich Honecker. Anschnallen im Auto<br />

wird zur Pflicht. RAF-Aktionen erschüttern das Land. Pfennigabsätze prägen<br />

die Schuhmode der Damen und manchen Fußboden. Die ersten großen Aktionen<br />

gegen den Abtreibungsparagraphen 218 finden statt, heiße Diskussionen<br />

um die Emanzipation der Frau und Demonstrationen für gleichen Lohn.<br />

Alice Schwarzer arbeitet an der ersten Ausgabe ihrer Zeitschrift „Emma“.<br />

Und in Mannheim ruft Ursula Schmidt im „Mannheimer Morgen“ zu einem<br />

Treffen für an Brustkrebs erkrankte Frauen auf.<br />

Vielleicht waren es die gesellschaftlichen Veränderungen in den 70er <strong>Jahre</strong>n<br />

die Ursula Schmidt bewogen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.<br />

Frauen hielten sich nicht länger still im Hintergrund, sondern kämpften für<br />

ihre Rechte. Als Ursula Schmidt <strong>nach</strong> ihrer Brustamputation erleben musste,<br />

dass die von den Ärzten gewährte Hilfe nicht ausreichte, um <strong>nach</strong> der Diagnose<br />

Brustkrebs gesunden zu können, suchte sie Kontakt und Austausch mit<br />

gleich Betroffenen.<br />

Am 10 September 1976 gründete sie die Interessengemeinschaft brustamputierter<br />

Frauen und setzte damit eine bahnbrechende Bewegung in Gang. Mit<br />

einem 5-Punkte-Programm, das bis heute Gültigkeit hat und 2001 um einen<br />

6. Punkt erweitert wurde, fasste sie ihre Ziele zusammen und fand bundesweit<br />

Gehör und großen Zuspruch von Betroffenen. In der Ärzteschaft stieß<br />

sie zunächst jedoch auf Skepsis. In Frau Dr. Mildred Scheel, die ein Jahr zuvor<br />

den Grundstein für die Deutsche <strong>Krebs</strong>hilfe gelegt hatte, fand sie eine<br />

starke Verbündete.<br />

Im Dezember 1977 trat die mittlerweile als <strong>Frauenselbsthilfe</strong> <strong>nach</strong> <strong>Krebs</strong> ins<br />

Vereinsregister Mannheim eingetragene Vereinigung dem Deutschen Paritä-<br />

1


tischen Wohlfahrtsverband bei und im Januar 1978 der Bundesarbeitsgemeinschaft<br />

Hilfe für Behinderte.<br />

Bereits am 22. Dezember 1978 begann der gemeinsame und segensreiche<br />

Weg mit der Deutschen <strong>Krebs</strong>hilfe: Sie übernahm die Schirmherrschaft und<br />

finanzielle Förderung der <strong>Frauenselbsthilfe</strong> <strong>nach</strong> <strong>Krebs</strong> und ist <strong>nach</strong> wie vor<br />

unser bedeutendster Unterstützer – nicht nur in finanzieller, sondern auch in<br />

ideeller Hinsicht.<br />

1979 bei der ersten großen <strong>Krebs</strong>konferenz der Bundesregierung in Bad<br />

Neuenahr kam auch Ursula Schmidt zu Wort. Sie sagte unter anderem: „Wir<br />

müssen uns darüber im Klaren sein, allein schafft es der <strong>Krebs</strong>patient nicht,<br />

aus dem Schock, aus der Depression herauszukommen. Es ist ein langer<br />

schwieriger Weg, ein mühsames Arbeiten mit sehr viel menschlicher Wärme<br />

und Nächstenliebe. Lassen Sie uns gemeinsam diesen Weg der Heilung beschreiten“.<br />

Diesen Weg beschritten 1979 bundesweit bereits 90 Gruppen. Die ersten<br />

Landesverbände und der Bundesverband <strong>Frauenselbsthilfe</strong> <strong>nach</strong> <strong>Krebs</strong> wurden<br />

gegründet: Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-<br />

Westphalen und Rheinland-Pfalz.<br />

Ein gutes Jahrzehnt später sorgten die neuen Bundesländer für einen besonderen<br />

Aufschwung. 1991 kamen die Landesverbände Brandenburg,<br />

Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Thüringen dazu. 1992 folgte der<br />

Landesverband Sachsen-Anhalt.<br />

1996 konnte schließlich ein Landesverband in Bayern gegründet werden -<br />

obwohl ein großes Flächenland doch nur mit einer kleinen Anzahl von<br />

Selbsthilfegruppen der FSH versehen.<br />

Und zu guter Letzt folgte 1999 die Gründung des Landesverbandes Hamburg-Schleswig-Holstein.<br />

Der Landesverband Rheinland-Pfalz hat sich im Jahr 2004 auf das Saarland<br />

ausgedehnt und heißt nun Landesverband Reinland-Pfalz/Saarland. Und<br />

Brandenburg hat sich im Jahr 2009 auf Berlin ausgedehnt, also nun Berlin/Brandenburg.<br />

Gehen wir aber zurück in die 80-iger <strong>Jahre</strong>. Viele Kontakte werden geknüpft,<br />

auch über Deutschlands Grenzen hinaus. Die erste Ausgabe des grünen<br />

Leitfadens für Mitglieder wird an 170 Gruppenleiterinnen herausgegeben.<br />

Der Kampf der <strong>Frauenselbsthilfe</strong> für eine bessere Versorgung beginnt sich im<br />

wahrsten Sinne des Wortes auszuzahlen: Das Engagement bewirkt z. B.,<br />

dass die Krankenkassen die Kosten für Brustprothesen zunächst anteilig,<br />

später komplett übernehmen.<br />

2


Die Ärzteschaft beginnt sich mit den Selbsthilfegruppen und ihrer Arbeit auseinanderzusetzen.<br />

Geeignete Büroräume werden in Mannheim angemietet, <strong>nach</strong>dem die Phasen<br />

der Arbeit am Küchentisch von Ursula Schmidt, eine Ein-Raum-Lösung<br />

in einer Abendakademie und auch eine zweiräumige Bleibe nicht mehr ausreichen,<br />

um die anfallenden Arbeiten der rasch expandierenden Organisation<br />

zu erledigen. Erst wird eine Etage, dann 1994 mit der zunehmenden Aufgabenfülle<br />

und Zahl an Mitarbeiterinnen eine zweite Etage als Büro angemietet.<br />

Das anfangs entwickelte Logo, die geöffnete Hand, wird zum Symbol für die<br />

Mitglieder und zum Zeichen für Außenstehende. Die Hand ist das Symbol<br />

der Verbundenheit und der Zuwendung von Mensch zu Mensch. Die Strahlen<br />

aus der Tiefe der Hand geben Zeugnis von der inneren Kraft, die in uns ruht,<br />

die wir an unsere Nächsten, an krebskranke Menschen weitergeben. Es sind<br />

Strahlen der Zuneigung, des Verstehens, der Hoffnung und der Lebensfreude.<br />

Wer diese Hand ergreift, empfängt Wohlwollen, Zuspruch, Energie und<br />

Zuversicht und gibt gleichzeitig all das an andere weiter. Die Hand empfängt<br />

Strahlen und sie gibt Strahlen, die Strahlen fallen in die Hand hinein und<br />

kommen aus der Hand heraus. In diesem Wechsel von Empfangen und Geben,<br />

von Nehmen und Beitragen, spiegelt sich das Prinzip der Hilfe zur<br />

Selbsthilfe wider.<br />

In den 90-iger <strong>Jahre</strong>n beginnen die Seminare für Gruppenleiterinnen an der<br />

Mildred-Scheel-Akademie in Köln. Die in dieser Zeit gebildete Koalition für<br />

Brustkrebsinitiativen überdauert nur wenige <strong>Jahre</strong>. Vorstandswechsel auf<br />

Bundesebene und das Erproben unterschiedlicher Führungsmodelle kosten<br />

Kraft und Zeit. Mitglieder der FSH werden erstmals in medizinische Arbeitsgruppen<br />

im Bereich Brustkrebs einbezogen. Die Rolle der Pharmaindustrie<br />

wird zunehmend kritisch betrachtet.<br />

Das neue Jahrtausend startet mit einer außerordentlichen, aber bereinigenden<br />

Delegiertenversammlung und setzt positive Akzente. Die Weichen werden<br />

neu gestellt. Der 6. Punkt, die Interessenvertretung krebskranker Menschen,<br />

wird im Programm aufgenommen und gelebt. Zunächst in medizinischen<br />

Gremien bei der Erstellung hochwertiger Leitlinien z. B. im Bereich<br />

Brustkrebs, Zervix- und Ovarial-Carcinom, zum jetzigen Zeitpunkt in den S-3-<br />

Leitlinien Psychoonkologie, Palliativ- und Komplementärmedizin.<br />

Mit der vom Gesetzgeber eingeführten Patientenbeteiligung im Jahr 2004<br />

wird die Einflussnahme der Selbsthilfe um die politische Komponente erweitert<br />

und Mitarbeit in Unterausschüssen des Gemeinsamen Bundesauschusses<br />

möglich. Mit der Einrichtung und Zertifizierung von Brustzentren werden<br />

die Leistungen der Selbsthilfe in die professionellen Angebote einbezogen.<br />

Zahlreiche Gruppen schließen Kooperationsvereinbarungen auch mit anderen<br />

Organzentren ab. Ob es um Beiträge in Printmedien, um die Mitwirkung<br />

3


ei Fachkongressen oder um Diskussionsrunden geht, die <strong>Frauenselbsthilfe</strong><br />

<strong>nach</strong> <strong>Krebs</strong> ist gefragt und mittlerweile durch ein weiteres Symbol bekannt:<br />

Die grünen Schals.<br />

Grün, natürlich, die Farbe der Hoffnung, von Anfang an die Farbe der <strong>Frauenselbsthilfe</strong><br />

<strong>nach</strong> <strong>Krebs</strong>. Der Schal als äußeres, sichtbares Zeichen der Zusammengehörigkeit,<br />

der Verbundenheit, der Identifikation mit den Aufgaben<br />

und Zielen der Organisation, symbolisiert: ich bin nicht allein, vielen geht es<br />

wie mir, wir gehören zusammen, wir solidarisieren uns, wir stärken und stützen<br />

einander, gemeinsam sind wir bedeutend und einflussreich. Jede von<br />

uns ist anders – wie jeder Schal hier anders gebunden ist und anders getragen<br />

wird – und doch gehören wir zu einem Verband, der uns trägt, den wir<br />

gemeinsam tragen – und darauf sind wir stolz.<br />

Die Solidarität wurde auch gestärkt durch das Schulungsprogramm für Mitglieder<br />

und das Qualifizierungskonzept für Landesvorstände. Beide Maßnahmen<br />

tragen dazu bei, dass jedes einzelne Mitglied und der Verband insgesamt<br />

seine Aufgaben vor dem Hintergrund fundierten, aktuellen Wissens<br />

erfüllen kann. Denn das Motto aus dem 25.-jährigen Jubiläumsjahr ist zum<br />

Leitsatz der <strong>Frauenselbsthilfe</strong> <strong>nach</strong> <strong>Krebs</strong> geworden. Auffangen – Informieren<br />

– begleiten. Auffangen <strong>nach</strong> dem Schock der Diagnose, informieren über<br />

Hilfen zur Krankheitsbewältigung und begleiten in ein Leben mit oder <strong>nach</strong><br />

<strong>Krebs</strong>. Hier spiegelt sich das Spektrum der Aufgaben auf regionaler Ebene<br />

wieder. Entsprechend der politischen, medizinischen und gesellschaftlichen<br />

Veränderungen muss das Wissen der Mitglieder immer wieder aktualisiert<br />

und angepasst werden. Darauf aufbauend erfolgt die Interessenvertretung<br />

mit ihren besonderen Herausforderungen.<br />

Als Bereicherung speziell für die Bundesebene ist die Berufung der Fachausschüsse<br />

Gesundheitspolitik und Qualität zu bezeichnen. Im <strong>Jahre</strong> 2006<br />

ins Leben gerufen, hat sich diese Einrichtung bewährt und sowohl zu fundierten<br />

Entscheidungen des Bundesvorstandes als auch zu wesentlichen Schritten<br />

der Positionierung des Verbandes beigetragen.<br />

Zu guter Letzt sei noch das Projekt Wissenserhalt beim Generationenwechsel<br />

erwähnt mit den Schwerpunkten Loslassen, Nachfolgesicherung und<br />

Übergabe. Zurzeit läuft die Erprobungsphase, bevor die Materialien ihre endgültige<br />

Form und Eingang in die Arbeitsgrundlagen der FSH finden.<br />

Damit bin ich mit meinem Rückblick in die Vergangenheit in der Gegenwart,<br />

beim Heute angelangt. Ich kann nicht schließen, ohne Ihnen allen, liebe Mitglieder,<br />

sehr herzlich zu danken:<br />

Danken, dass es Sie gibt. Danken für die Zeit, die Sie im Dienste für krebskranke<br />

Menschen investieren, danken für Ihr Engagement. Danken, dass Sie<br />

4


die <strong>Frauenselbsthilfe</strong> zu dem machen, was sie heute ist: eine starke Organisation<br />

mit einer stolzen Vergangenheit.<br />

Und ich wünsche uns, dass wir aus diesem Bewusstsein heraus in der Lage<br />

sind, die jetzige Krise in der Bundesebene zu überwinden und einer starken<br />

und stolzen Zukunft entgegensehen. Deshalb endet der heutige Tag nicht<br />

einem Blick zurück, sondern mit einem Blick <strong>nach</strong> vorne.<br />

Nach der Pause schauen wir auf das Heute und werfen einen Blick in die<br />

Zukunft der <strong>Frauenselbsthilfe</strong> <strong>nach</strong> <strong>Krebs</strong>. Denn, so sagt Friedrich Bonhoeffer,<br />

„Die Ehrfurcht vor der Vergangenheit und die Verantwortung gegenüber<br />

der Zukunft geben für das Heute die richtige Haltung“.<br />

Möge es uns gemeinsam gelingen, die richtige Haltung für das Heute zu finden<br />

und die <strong>Frauenselbsthilfe</strong> <strong>nach</strong> <strong>Krebs</strong> verantwortungsbewusst in die Zukunft<br />

zu führen!<br />

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