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Phoneme

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Struktur der deutschen Sprache 1: Das Wort Sommersemester 2008 Dr. Said Sahel<br />

<strong>Phoneme</strong><br />

Gegenstand der Phonologie<br />

• Die Phonologie untersucht menschliche Sprachlaute unter anderen Gesichtspunkten als<br />

die Phonetik<br />

• Anders als die Phonetik befasst sich die Phonologie nicht mit den physikalischen und<br />

physiologischen Eigenschaften von Sprachlauten, sondern sie untersucht<br />

– die Sprachlaute als ein System abstrakter, bedeutungsunterscheidender<br />

Einheiten einer Einzelsprache und ihre Beziehung zueinander innerhalb eines<br />

einzelsprachlichen Systems sowie<br />

– die universellen Gesetzmäßigkeiten, nach denen diese einzelsprachlichen<br />

Lautsysteme aufgebaut sind<br />

Phon, Phonem, Allophon<br />

Phon<br />

• Ein Phon ist eine lautliche Einheit, die durch Segmentierung einer sprachlichen Lautkette<br />

gewonnen wird<br />

• So besteht die Lautkette [kHIntH] aus den vier Phonen [kH], [I], [n] und [tH]<br />

• Bei einem Phon handelt sich um eine konkrete lautliche Realisierung<br />

• In der Notation stehen Phone in eckigen Klammern [ ]<br />

• Einem Phon ist noch keine Funktion innerhalb eines Sprachsystems zugewiesen<br />

Phonem, Allophon<br />

• Ein Phonem ist eine abstrakte Einheit eines Sprachsystems, die in einer konkreten<br />

Lautkette durch ein oder mehrere unterschiedliche Allophone realisiert wird<br />

<strong>Phoneme</strong> 8.5.2008 Seite 1


Struktur der deutschen Sprache 1: Das Wort Sommersemester 2008 Dr. Said Sahel<br />

Meibauer et al. (2002: 84)<br />

• <strong>Phoneme</strong> repräsentieren die Ebene des abstrakten Sprachsystems (Phonologie)<br />

• Allophone repräsentieren die Ebene der konkreten lautlichen Realisierungen (Phonetik)<br />

• <strong>Phoneme</strong> werden in Schrägstrichen notiert / /<br />

Phonem‐Definition<br />

• <strong>Phoneme</strong> sind die kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheiten<br />

• Ein Phonem erfüllt die zentrale Bedeutung der Bedeutungsdifferenzierung<br />

• Zwei lautliche Einheiten eines Einzelsprachsystems sind <strong>Phoneme</strong>, wenn sie in<br />

Opposition zueinander stehen, d.h. wenn sie in derselben Lautumgebung miteinander<br />

kontrastieren<br />

• Die Oppositionen können über Minimalpaare, d.h. minimal differierende Wörter,<br />

ermittelt werden<br />

Gasse – Kasse /g/ ‐ /k/ Nacht – Macht /n/ ‐ /m/<br />

bar – Paar /b/ ‐ /p/ Bus – Busch /s/ ‐/S/<br />

Deich – Teich /d/ ‐ /t/ Höhle – Hölle /O˘/ ‐ /ø/<br />

Phonologisch relevante Lauteigenschaften<br />

• <strong>Phoneme</strong> kontrastieren nicht als „Ganzes“, sondern nur in bestimmten<br />

Lauteigenschaften<br />

• Die Phonempaare /g/‐/k/, /b/‐/p/ und /d/‐/t/ kontrastieren in der Lauteigenschaft<br />

‚Stimmton‘<br />

• Die Minimalpaare Gasse–Kasse, bar–Paar und Deich–Teich unterscheiden sich in der<br />

Lauteigenschaft ‚Stimmton‘ des ersten Lautsegments<br />

→ Die Lauteigenschaft ‚Stimmton‘ ist im Sprachsystem des Deutschen<br />

bedeutungsunterscheidend und somit phonologisch relevant<br />

<strong>Phoneme</strong> 8.5.2008 Seite 2


Struktur der deutschen Sprache 1: Das Wort Sommersemester 2008 Dr. Said Sahel<br />

Phonologisch relevante Lauteigenschaften: einzelsprachliche Unterschiede<br />

• Nicht alle Lauteigenschaften sind bedeutungsunterscheidend in einem<br />

Einzelsprachsystem, d.h. phonlogisch relevant<br />

• Vielmehr haben viele Lauteigenschaften (die auf der Grundlage einer auditiven<br />

Segmentation gewonnen werden) keine bedeutungsunterscheidende Funktion, d.h. sie<br />

sind phonologisch nicht relevant<br />

• Im Deutschen ist beispielsweise die Lauteigenschaft ‚Aspiration‘ nicht<br />

bedeutungsunterscheidend, denn es gibt kein Minimalpaar, das sich allein in dieser<br />

Lauteigenschaft unterscheidet<br />

• Vielmehr ist die Aspiration im Deutschen eine regelhaft vorhersagbare Lauteigenschaft<br />

• Es ist von Sprache zu Sprache unterschiedlich, welche Lauteigenschaften<br />

bedeutungsunterscheidend sind<br />

Beispiel Aspiration<br />

Aspiration im Deutschen<br />

• Die deutschen Wörter und enthalten ein [tʰ] bzw. ein [t]<br />

• Die Aspiration im Wort bzw. die Nicht‐Aspiration im Wort ist vorhersagbar<br />

– Im Wort ist das [tʰ] wortinitial vor einem Vokal, daher aspiriert<br />

– Im Wort steht das [t] nach dem postalveolaren Frikativ [S], daher nicht<br />

aspiriert<br />

• Im Deutschen finden sich keine Wörter mit anlautendem [t] vor einem Vokal, das nicht<br />

aspiriert ist<br />

• …und andererseits finden sich keine Wörter mit einem [t] nach einem postalveolaren<br />

Frikativ [S], das aspiriert ist<br />

→ Die jeweilige Lautumgebung erlaubt entweder die Lauteigenschaft [+aspiriert] oder<br />

[‐aspiriert]<br />

Aspiration im Thai<br />

• Im Thai ist hingegen die Lauteigenschaft ‚Aspiration‘ bedeutungsunterscheidend und<br />

somit phonologisch relevant<br />

• [t] und [tʰ] sind im Thai <strong>Phoneme</strong>: Sie kontrastieren in der selben Lautumgebung<br />

• Es finden sich im Thai Wörter, die sich allein in der Lauteigenschaft<br />

‚Aspiration‘ unterscheiden:<br />

<strong>Phoneme</strong> 8.5.2008 Seite 3


Struktur der deutschen Sprache 1: Das Wort Sommersemester 2008 Dr. Said Sahel<br />

[tʰam] ‚tun‘<br />

[tam] ‚zerstampfen‘<br />

(Beispiele aus Grewendorf et al. 1996 9 )<br />

Aspiration: Deutsch vs.Thai<br />

• Während im Thai die Lauteigenschaft ‚Aspiration‘ bedeutungsunterscheidend ist, also /t/<br />

und /tʰ/ <strong>Phoneme</strong> sind, gibt es im Deutschen ein Phonem /t/, das abhängig von der<br />

Lautumgebung als [t] bzw. [tʰ] realisiert wird<br />

• [t] bzw. [tʰ] sind in Deutschen Allophone des Phonems /t/<br />

• „Das Phonem ist die Gesamtheit der phonologisch relevanten Eigenschaften eines<br />

Lautgebildes“ (Meibauer et al. 2002: 83)<br />

• Ein Phonem ist die Gesamtheit seiner Lauteigenschaften abzüglich jener, die<br />

phonologisch nicht relevant sind<br />

Allophonie und Variationsarten<br />

• Allophone kontrastieren nicht, sie sind unterschiedliche Realisierungen eines Phonems<br />

• Allophone können in unterschiedlichen Relationen zueinander stehen<br />

• Diese nicht‐kontrastierenden Relationen nennt man Variation<br />

• Zwei Hauptarten von Variation werden unterschieden<br />

1. Komplementäre Verteilung<br />

2. Freie Variation<br />

<strong>Phoneme</strong> 8.5.2008 Seite 4


Struktur der deutschen Sprache 1: Das Wort Sommersemester 2008 Dr. Said Sahel<br />

Komplementäre Verteilung<br />

• ...ist eine kontextabhängige Variation zweier oder mehrerer Allophone<br />

• Allophone sind komplementär verteilt, wenn sie nie in der gleichen Lautumgebung<br />

auftreten<br />

• Die Lautumgebung bestimmt, welches der beiden Allophone realisiert wird<br />

• Ein typischer Fall für komplementäre Verteilung im Deutschen ist die Verteilung der<br />

Allophone [x] wie in und [ç] wie in <br />

• Die Verteilung dieser beiden Allophone ist komplementär, weil in einem Lautkontext<br />

entweder das eine oder das andere Allophon auftritt; sie schließen sich gegenseitig aus<br />

• So steht [x] nach hinteren und Zentralvokalen, [ç] steht in allen übrigen Positionen<br />

[x] vs. [ç]<br />

• Die Lautkontexte für [x] und [ç] sind komplementär<br />

• [x] und [ç] kontrastieren miteinander nicht, sie kontrastieren mit anderen Lauten<br />

Bsp.:<br />

laichen [ç] – leiden [d] Brauch [x] – braun [n]<br />

• [ç] kontrastiert mit [d] und [x] mit [n] aufgrund der den beiden Frikativen [ç] und [x]<br />

gemeinsame Eigenschaft ‚dorsaler Frikativ‘<br />

→ Bedeutungsunterscheidend und somit phonologisch relevant ist die Eigenschaft ‚dorsaler<br />

Frikativ‘<br />

/x/ oder /ç/?<br />

• Sind zwei gegebene Laute Allophone eines Phonems, muss eines der beiden Allophone<br />

als zugrunde liegendes Phonem angenommen werden<br />

• Als plausibles Kriterium zur Ermittlung des zugrunde liegenden Phonems kann die<br />

Häufigkeit der Lautkontexte gewählt werden<br />

<strong>Phoneme</strong> 8.5.2008 Seite 5


Struktur der deutschen Sprache 1: Das Wort Sommersemester 2008 Dr. Said Sahel<br />

Meibauer et al. (2002: 84)<br />

→ [ç] kommt in mehr Lautkontexten vor als [x] und kann daher als zugrunde liegendes<br />

Phonem angenommen werden<br />

Freie Variation<br />

• ...liegt vor, wenn zwei oder mehrere Allophone im gleichen Lautkontext, sogar im<br />

gleichen Wort, beliebig gegeneinander austauschbar sind, ohne dass sich die Bedeutung<br />

ändert<br />

• Anders als bei der komplementären Verteilung ist der Lautkontext für die Variation nicht<br />

entscheidend<br />

• Ein klassisches Beispiel für freie Variation im Deutschen bilden die verschiedenen r‐<br />

Realisierungen<br />

• Regional bzw. dialektal bedingt wird entweder ein uvulares [ʀ] bzw. [ʁ] (sogenanntes<br />

Zäpfchen‐r) oder ein vorderes, Zungenspitzen‐r [r] realisiert<br />

• In der Regel realisiert ein(e) Sprecher(in) des Deutschen entweder die eine oder die<br />

andere Variante und variiert nicht zwischen den Allophonen<br />

<strong>Phoneme</strong> 8.5.2008 Seite 6


Struktur der deutschen Sprache 1: Das Wort Sommersemester 2008 Dr. Said Sahel<br />

Ermittlung des Phonem‐Status<br />

• Bei der Ermittlung des Phonem‐Status zweier gegebener Sprachlaute ist die<br />

unmittelbare Lautumgebung relevant<br />

• Unmittelbare Lautumgebung bedeutet die Position nach dem betreffenden Laut, die<br />

Position vor dem betreffenden Laut oder beide Positionen<br />

• Die Position vor bzw. nach dem betreffenden Laut kann auch eine Wortgrenze ‚#‘, eine<br />

Morphemgrenze ‚+‘ oder eine Silbengrenze ‚$‘ sein<br />

• Bei Allophonie ist es von Fall zu Fall unterschiedlich, welche Position für die<br />

komplementäre Verteilung der Allophone relevant ist:<br />

• die Position vor dem betreffenden Laut<br />

• die Position nach dem betreffenden Laut oder<br />

• beide Positionen<br />

• So ist im Deutschen für die Verteilung der dorsalen Frikative [ç] und [x] die Position vor<br />

dem betreffenden Laut relevant<br />

<strong>Phoneme</strong> 8.5.2008 Seite 7

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