Norbert Nelte - Geschichte und Logik der Arbeiterräte
Norbert Nelte - Geschichte und Logik der Arbeiterräte
Norbert Nelte - Geschichte und Logik der Arbeiterräte
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Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 1
Norbert Nelte
Geschichte und Logik der
Arbeiterräte
Basisdemokratie
Ist Basisdemokratie in der Massengesellschaft
möglich?
Geschichte der Rätedemokratiebewegung!
1. bis zum 2. Weltkrieg
Geschichte der Rätedemokratiebewegung!
2. nach dem 2. Weltkrieg
Der konsequente Kollege
Gewerkschaft und Marxisten
Die freie Gesellschaft
Von der Vorgeschichte zur Geschichte der
Menschheit.
2 - Internationale Sozialisten
Basisdemokratie
Das alle anti-neoliberale Flügel in der WASG
verbindende Wort wird schon von vielen von
uns benutzt. Es heißt Basisdemokratie. Es
scheint jetzt nach der Niederlage der Antineoliberalen
etwas unpassend, über dieses Wort
zu reflektieren. Es bleibt aber von
grundsätzlicher Bedeutung und die Klärung
dieser Frage wird früher oder später wieder
auftauchen. Dazu am Ende dieser Analyse
einige Frage- oder Feststellungen.
Von den Nichtmarxisten gibt es eine ganze
Web-Seite mit dem Namen: www.basis-demokratie.de oder Eckhardt Hildebrandt hat mit dem
WASG Kreisverband Oldenburg ein basisdemokratisches Modell auf Verbandsbasis
ausgearbeitet. (gelöscht)
Auch die Marxisten benutzen es oft, z.B. Edith Bartelmus-Scholich als Trotzkistin
propagiert: ' Für eine basisdemokratische neue Linkspartei - lasst uns mit der
Basisdemokratie beginnen - auf diesem Parteitag!'. (Netzwerk) Wie wir sehen ist dies das
Schlüsselwort. Die Erklärung bei Wikipedia lautet:
„Die Basisdemokratie ist die älteste Form der Demokratie. Sie kommt ohne Repräsentanten
aus. Das bedeutet, alle relevanten Entscheidungen werden von den Betroffenen selbst
abgestimmt. Die Basisdemokratie eignet sich sowohl für triviale Probleme, die ohne
Fachwissen einfach zu entscheiden sind, als auch für Fragen, die erheblichen Einfluss auf
das Leben der Mehrheit haben, wie die Struktur des Gesundheitswesens, Kriegseinsätze,
neue Verfassungen, Eigentumsfragen, Löhne, Arbeitszeitregelungen, Streikentscheidungen,
Grundrechte und Menschenrechte.“
Das war die Erklärung der Basisdemokratie bei den Naturstämmen, wobei diese manchmal
in Notzeiten untereinander im Krieg standen. Dieser wurde aber vom ganzen Stamm
beschlossen und bildete daher eine Ausnahme. Seit den Anfängen der reinen
Herrschaftsgesellschaften vor knapp 3.000 Jahren in Mesopotamien und Griechenland aber war
der Krieg ein regelmäßiger Begleiter des Menschen, und da gab es keine Basisdemokratie
mehr.
„Von 650 vor Christus [Seit den Anfängen der reinen Klassengesellschaften] bis heute
zählten die Historiker 1656 Versuche, durch Wettrüsten den Frieden zu bewahren. Dies
führte 1640 mal zum Krieg. In den anderen Fällen zum wirtschaftlichen Ruin der Beteiligten.
“ (SIPRI)
Heute aber produzieren wir weltweit Überfluss, er wird nur ungerecht verteilt. Also, Kriege
brauchen wir nicht mehr. Deshalb kann die Basisdemokratie heute nur internationalistisch
durchgeführt werden. Wenn wir den ganzen Herrschaftsmüll nicht mehr wollen, dann können
wir ja basisdemokratisch darüber entscheiden, wobei wir schon bei den unterschiedlichen
Ansätzen der Basisdemokratie-Vertreter wären. Die unterschiedlichen Ansätze entwickeln sich
unter den heutigen ökonomischen Bedingungen fasst zwangsläufig aufeinander zu, bzw. haben
sich bei der Diskussion bereits schon mehr oder weniger angenähert.
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 3
Die Nichtmarxisten wollen diesen Begriff erst nur auf die Partei, Vereine und Verbände
angewendet wissen. Aber verschiedentlich werden auch schon die Grenzen dieses Konstruktes
gesehen und Schritte darüber hinaus angedacht. Die Grenzen in denen eine Basis sich bewegt,
müssten frei sein, damit diese sich auch wirklich frei entscheiden kann.
Auch wenn alle Berliner sich basisdemokratisch „frei“ entscheiden könnten, könnten sie nur
die Armut verteilen. Sie könnten nicht darüber entscheiden, z.B. den Spitzensteuersatz wieder
anzuheben, da steht der Bundestag und das Bundesverfassungsgericht davor.
Und wenn die Basis auch im Bundestag entscheiden könnte und den Spitzensteuersatz
wieder auf 56% anhöbe, dann zieht das Kapital in die Slowakei oder nach China ab. Und wenn
die Basis dem Kapital das verbietet, dann könnte sie keine Waren mehr verkaufen, weil in
China die Arbeiter gezwungen werden, für 50 Cent zu arbeiten und damit deren Waren billiger
verkauft werden können, ergo müssten wir auch für 50 Cent arbeiten.
Also die Basis könnte sich nicht wirklich frei entscheiden können, solange es nicht
antikapitalistisch, international ist, die Löhne nicht gemeinsam von der gesamten
Weltbevölkerung festgelegt werden und die Produktion nicht solidarisch auf alle Betriebe der
Welt verteilt wird. Nur so kann die Weltwertschöpfung auch gerecht verteilt werden .und nur
so ist die Weltbasis auch gleichberechtigt, um über den Anteil des Konsums und den der
Rücklagen frei entscheiden zu können. Dank Internet und seinem Entwickler CIA können wir
das jetzt auch. Sonst waren der CIA und seine Auftraggeber überflüssig.
Die Überlegung sollte leicht einleuchten, dass eine Gesellschaft nicht wirklich
basisdemokratisch organisiert ist, solange etwas Drittes wie das Akkumulationsgesetz des
Kapitals einem Grenzen setzt, noch dazu sehr knappe. Die weitergehende Erklärung bei
Wikipedia, insbesondere, dass die Schweiz basisdemokratisch mit Volksabstimmung
4 - Internationale Sozialisten
organisiert sei, ist voll daneben. Hier entscheidet die Regierung, stellvertretend, wann wir
abstimmen dürfen, eine Art Mitbestimmung bei der Clopapierqualität.
Die Schweizer entschieden sich „basisdemokratisch“ in einer Volksabstimmung für höhere
Grenzen für Ausländer. Nachdem also die Begüterten – 25% der Bevölkerung wählen dort die
Regierung – die wenigen Krümel fürs einfache Volk festgelegt haben, kann nur unter denen
„basisdemokratisch“ ein harter Verteilungskampf entbrennen. Das kann nur die Basis
übereinander herfallen. Das ist ganz nach dem Geschmack der Herrschenden, denn sie möchten
uns Lohnabhängige spalten und damit schwächen, in Frau und Mann, Jung und alt, In- und
Ausländer, Verheiratete und Ledige, Beschäftigte und Arbeitslose usw., und damit sind wir
vereinzelt viel schwächer.
Untersuchungen in den USA in den Gebieten, wo die Schwarzen wenig verdienten, haben
ergeben, dass auch die Weißen dort unterdurchschnittlich verdienten, da der Lohn der
Schwarzen den der Weißen drückt. Also mit einem „Alle gegen Alle“ schadet man sich nur
selber. Die Volksabstimmung in der Schweiz wäre nur wirklich frei gewesen, wenn auch alle
über die gesamte Wertschöpfung entscheiden.
Wenn ich jetzt das basisdemokratische Modell der Marxisten beschreibe, dann nicht aus dem
Interesse, dass wir heute uns für dieses entscheiden. Nein, wir müssen diese Diskussion mit
den Wählern diskutieren, sonst wären wir ganz schnell eine 0,1%-Partei. Aber das kann sich in
der Geschichte, gerade der heutigen mit dem desaströsen Weltmarkt, schlagartig ändern und
wir hätten dann nur damit eine Chance.
Edith hat in ihrem Artikel „Noch nicht angekommen oder schon das Ziel verfehlt? – Die
neue Linke nach dem „Superwahltag“ 26. März 06“ in der Praxis mit diesem Satz Brücken für
diese Diskussion aufgezeigt. „Die neue Linke kann die sozialen Bewegungen ermutigen auf
allen Ebenen Ratschläge zu veranstalten und Räte zu bilden, die Fragen und Forderungen an
sie formulieren und die Aktivitäten der Partei und der Parlamentsfraktionen kritisch begleiten.
In der Praxis kann dies so aussehen, dass Ratschlägen und Räten der sozialen Bewegungen
Rechte eingeräumt werden, wie z.B. das Antragsrecht gegenüber Partei und Fraktionen.“
Die marxistischen Basisdemokraten, in der Regel Trotzkisten und einige Rätekommunisten
und Anarchisten in der WASG, wollen diese Form konsequent überall und international, auf
der Arbeit, im Wohnhaus, im Gericht, bei der Polizei und beim Militär, so lange es dies noch
geben muss, in der Umwelt, in den Medien und, und, und.
Manche haben immer erzählt bekommen, dass wir Marxisten für die Diktatur seien. Aber,
ein für alle mal, das stimmt nicht, das ist eine Fehlinformation, die einmal daraus resultiert,
dass Stalin nach Lenin Tod und seiner blutigen Konterrevolution zwar das genaue Gegenteil
vom Marxismus machte, aber sich weiterhin Marxist nannte, genauso, wie seine Nachfolger,
nur um die kleinen Leute für sich gewinnen und leichter ausfleddern zu können. Nur Trotzki
verblieb auf den Pfaden des authentischen Marxismus. Andererseits nahm die bürgerlichen
Marxhasser diesen Etikettenschindel liebend gerne auf, um so die Marxisten leicht diffamieren
zu können.
Wenn man aber weiß, dass Trotzki der gewählte Sprecher des basisdemokratischen
Arbeiterrates in Russland 1905 und dann wieder in der Revolution 1917 war, sieht man das
Vertrauen, welches die einfachen Leute in ihn setzten und kann daran messen, dass auch wir
Trotzkisten nichts anderes wollen, als eine Basisdemokratie, nur überall, auch in den Betrieben.
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 5
Die basisdemokratischen Arbeiterräte werden Nachfolger sein der jetzt schon in Europa
zaghaft entstehenden Streikräte. Sie werden genau wie diese nach 3 Prinzipien arbeiten:
1. Jederzeitige Abwählbarkeit
2. Sie sind an die Beschlüsse der Basis gebunden
3. Sie erhalten nicht mehr als ein Facharbeiterlohn
Germanische Ratsversammlung - Marc-Aurel-Säule in Rom
Die Ähnlichkeit der Prinzipien mit denen des Thing der Germanen, der
Stammesversammlung der Irokesen oder aller Naturvölker, finden wir überall in der
Geschichte der Arbeiterbewegung wieder.
Die Idee der Arbeiterräte stammt von den Arbeitern selber. Sie müssen immer zwangsweise
wegen des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit diese Idee entwickeln. Höhere Rendite
für das Kapital heißt Kürzung der Löhne bzw. weniger Arbeitsplätze oder umgekehrt. In der
auf Konkurrenz aufgebauten Marktwirtschaft wird für mehr Rendite nur sein Lohn gekürzt und
die Arbeitshetze steigt. Oder umgekehrt, wenn sie solidarisch streiken.
Erst wählen die Arbeiter in einem „wilden“ Streik spontan Streikräte (So geschehen schon in
London - Post und Feuerwehr, Belfast – Postler, und Rom - Busfahrer), die sie später, wieder
spontan, in Arbeiterräte umbenennen. So geschehen 1905 und 1917 in Russland, 1918 in
Deutschland, 1921 in Italien und Ungarn, 1936 in Spanien, 1956 in Ungarn, 1974 in Portugal
und 1979 im Iran (Schoras). Diese Idee der basisdemokratischen Arbeiterräte ist nichts anderes
als der authentische Sozialismus, wie er von Marx, Engels, Lenin, Trotzki und Luxemburg
entwickelt wurde.
6 - Internationale Sozialisten
Arbeiterrat in Russland 1917
Was hat der VW-Kollege davon, wenn sein südafrikanischer Kollege nur die Hälfte
verdient? Nichts, nur einen Dumpinglohn und damit nur einen Lohndruck. Deshalb ist sein
objektives Interesse internationalistisch. Nur ein weltweiter solidarischer Basisplan nach den
Bedürfnissen aller kann in dieser globalisierten Weltwirtschaft einen menschenwürdigen Lohn
bereitstellen, nicht mehr die auf Konkurrenz aufgebaute Marktwirtschaft.
Deshalb kann nur die Arbeiterklasse, und kein stellvertretender Bürokrat eine Wirtschaft für
die Zukunft aufbauen. Daher der Satz von Marx: dass »die Befreiung der Arbeiterklasse nur
das Werk der Arbeiterklasse selbst sein kann.«. Auch, weil nur in einem emanzipierten Kampf
die Arbeiter ihr objektives Interesse entdecken können.. Sie sind immerhin 85-90% in Europa.
Natürlich haben in den Arbeiterräten auch die Rentner, die Bauern und alle Kleinbürger ihre
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Vertreter dort sitzen. Wichtig ist, dass nur das objektive Interesse der Arbeiter in der
Wirtschaftspolitik durchgesetzt wird, aber das wird es auch bei 85% und dann mehr.
Die Räte sind auch ein viel besseres Instrument für die Basisdemokratie als das bürgerliche
Parlament. In den Betrieben kann die Basis sich in regelmäßigen Abteilungs- und
Betriebsversammlungen, in Stadtteilplenen und Bauernversammlungen usw. ihre Beschlüsse
fassen und ihre Delegierten wählen, die an die Beschlüsse gebunden sind. In das bürgerliche
Parlament kann man nur alle vier Jahre wählen und die machen dann, was sie wollen.
Schon früh hatte Trotzki die Notwendigkeit der demokratischen Selbstorganisation der
Arbeiterklasse aufgezeigt (in "Mein Leben"), weshalb er 1905 als Vorsitzender des
Arbeiterrates gewählt wurde. Nach der Zerschlagung durch den Zarismus hat er dann seine
Erfahrungen in "Ergebnisse und Perspektiven."
http://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1906/erg-pers/index.htm niedergelegt. 1917 ist
er wieder als 1. Sprecher gewählt worden und Lenin hatte sich dann 1917 mit den
"Aprilthesen" Trotzki angeschlossen. Aber da die Arbeiterklasse bei dem Tode Lenis nur 3%
berug, hatte Stalin leichtes Spiel mit ihr mit seinen Schlägerbanden, Arbeitslägern und
Hinrichtungen. Er behielt trotz blutiger Diktatur unseren Namen und Bücher bei und fälschte
alles ins Gegenteil. Die Zeit war noch nicht reif. Das Kapital übernahm liebend gerne diese
Fälschungen, weil es ein Horror hat vor wirklicher Demokratie und Selbstbestimmung.
1921 scheiternden die Räte, weil die noch nicht stalinisierte Luxemburgische KPD nur 3.000
Mitglieder hatte und somit die SPD leicht die Arbeiterräte zutexten konnte, die Macht der
Arbeiter- und Sodatenräte an das bürgerliche Parlament abzugeben. Man hatte noch keine
Erfahrung mit dem Kapitalismus und der hatte außerdem noch Entwicklungsmöglichkeiten.
Jetzt aber gibt es nur eine Richtung: Noch mehr Arbeitlose, noch mehr Stunden für weniger
Geld, noch mehr Kriege und noch mehr Folter.
1936 erledigten dann in Spanien die Stalinisten das Geschäft der Zerschlagung der
Selbstorganisation und Franco konnte dann leicht durchmarschieren. Ebenso in Ungarn
schlugen de Stalinisten die Arbeiterräte zusammen. 1974 in Portugal erledigte das unser Willy
zusammen mit dem CIA und seinem Geld. 1979 im Iran dann wurde Khomeini von der
"Weltgemeinschaft" in Guadeloupe gegen die Arbeiterräte (Schoras) http://irannow.de/content/view/3646/26/
dann an die Macht gehoben.
Heute aber sind wir Arbeiter aber ca. 85-90% der Bevölkerung in Europa, da haben die
Konterrevolutionäre keine Chance mehr. Ihre letzte Großtat wird die Zerschlagung der WASG-
Linken sein (jetzt leider Gegenwartsform) und in den USA werden sie noch einige Kinder zum
im Blut baden schicken. Sie haben doch nichts nichts mehr anzubieten - Null. Ihre Zeit wird so
enden wie in Leipzig, als 100.000 Kollegen sich zum gemeinsamen Spaziergang verabredeten,
da waren auch die Kassen leer. Schaut die 4.000.000 auf Frankreichs Straßen, da ist die Macht
von Renault & Elf zu Ende. Und aus Turin und Rom reisten die Studenten mit Bussen an.
Unser Widerstand läuft doch schon europaweit, weltweit - als die Opelaner streikten, bekamen
sie Solidaritäts-emails aus aller Welt und die Porsche-Kollegen sind mit dem Bus durch die
Nacht gereist, um die Opelaner bei ihrem Kampf zu unterstützen. Das ist Basisdemokratie mit
den Füßen. Basisdemokratie kann auch Spaß machen.
Wir Marxisten haben kein anderes Interesse als alle Arbeiter, wir sind nur zufällig früher in
der Arbeiterbewegung gewesen und beteiligen uns als das Gedächtnis der Bewegung. Sonst
gibt es bei uns alle Schwächen wie bei den Nichtmarxisten auch. Bei uns gibt es auch
Populismus, wie wir dies bei Linksruck beobachten können. Sie betätigen sich an der
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Zerstörung der WASG in dem tiefen Glauben, in der PDS könnte man noch etwas verändern,
aber solche Tricks wie unsere Spezies kennen die dank der Stasi-Erfahrungen schon lange.
Ramelow und Konsorten werden ihre Basis mit den im Ausland deponierten Geldern, über die
nur die SED-Kader die Verfügungsgewalt haben, vortrefflich erpressen können. Nur Karriere
kann man bei uns authentischen Marxisten noch nicht machen können.
Das wichtigste für die WASG-Opposition ist jetzt,
dass wir als WASG-Opposition zusammenbleiben,
da bleibt das Richtige oder Falsche eines Schrittes
zweitrangig. Der individuelle Austritt einer
Minderheit wird nicht glücklich enden. Sie haben sich schon in mehrere Gruppen gespalten:
Die Alternative, die Föderalisten, die Demokraten und die WASD. Diese Gruppen besitzen
nicht einen politischen und theoretisch besonders erfahrenen Kern, was schnell zu Spaltungen,
Hilflosigkeit und Rückzug ins Private dort führen wird.
Andererseits ist noch ein gemeinsames Handeln der WASG-Opposition machbar, wie es die
Ankettaktion der Berliner vor dem Abschiebeknast oder die Kasseler Konferenz am 20,5.
zeigen. Spätestens aber bei dem Zwangszusammenschluss wird mit der Oppositionsarbeit
Schluss sein, entweder hat ein Teil von uns kein Interesse mehr an einer orwellschen
Machtpartei – der „große Bruder lässt grüßen -, oder die PDS-Chefs werden sich keine neue
Laus in den Pelz setzen, die Wagenknecht langt ihnen.
Aber wer weiß, bis dahin wird sich vielleicht schon eine neue Alternative aus den
Betriebskämpfen ergeben. Es gibt in Deutschland kaum mehr noch was an das große Kapital
zu verteilen, einfach, weil das schon alles hat.
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 9
Der Bundeskassenwart Steinbrück hat deshalb schon mal das Ende des Sozialstaates
angekündigt.
http://www.spiegel.de/spiegel/vorab/0,1518,414714,00.html
Die Unternehmerverbände dürfen sich freuen, bald wird ihre Lohndrückerarmee unendlich
lang. Der Herbst wird wahrscheinlich heißer werden als der Sommer. Eines aber ist ganz
gewiss. Die WASG wird mitsamt seinen Spezies im Schwarzen Loch verschwinden.
Der konsequenten, internationalen Basisdemokratie in den Betrieben und überall wird die
Zukunft gehören.
10 - Internationale Sozialisten
Ist Basisdemokratie in der
Massengesellschaft möglich?
Was ist anders am Basisplan gegenüber dem Bürokratenplan
der DDR?
Es ist für manche sehr schwer vorstellbar, wie die
Basisdemokratie der Indianer auf eine Gesellschaft
von 80 Millionen übertragen werden soll. Sollen alle
80 Millionen Leute im Kreis um das Lagerfeuer
herum sitzen und sich beraten oder wie?
Aber auch bei den Indianern hatte man schon ein
Delegiertensystem gehabt. Die bei kriegerischen
Auseinandersetzungen jedes Mal neu gewählten
Heerführer waren andere Personen als die für eine
Periode gewählten Häuptlinge, das waren die Alten
und Erfahrenden. Die Heerführer mehrerer Clans und
manchmal sogar mehrerer Stämme stimmten dann ab,
was das Volk ihnen aufgetragen hat, oder sie wurden
abgewählt. In Bulgarien in Warna während der
Broncezeit vor 5.000 Jahren wurde – eine oft
festgestellter Brauch - nach jeder Wahlperiode der
Stammesführer symbolisch begraben, bzw. seine
Häuptlingsutensilien und dann wurde wieder neu
gewählt, vielleicht wieder der alte, wenn er seine
Arbeit gut gemacht hatte und dem Clan reiche
Friedenszeiten gebracht hatte.
Erst in der Übergangsgesellschaft der Irokesen, als
auf Grund der Sesshaftigkeit und damit der
Entwicklung des Mehrproduktes die Häuptlinge und
Heerführer ihr Amt vererbt hatten, wurden die Wahlen abgeschafft. Der sich in der Welt dann
entwickelnde Adel nahm das Mehrprodukt an sich. Weil das Mehrprodukt nun in einer Hand
konzentriert war, konnte die Kanalisation, die Architektur, der Städtebau, die Sternenkunde
usw. entwickelt werden. In der Übergangsgesellschaft des mittleren Reiches von Ägypten
waren die Priester noch die „Delegierte“ der Stämme. Über die Priester hatten die Stämme
noch Einfluss behalten. Erst Echnaton des Neuen Reiches versuchte ca. 1350 vor Christus die
Priester zu entmachten.
http://de.wikipedia.org/wiki/Neues_Reich_%28%C3%84gypten%29
Vor Echnaton wurden die Milizen in ein stehendes Heer umgewandelt. Die künftigen
Gesellschaftsveränderungen sind damals nur umgekehrt verlaufen. Inzwischen sind die
Produktivkräfte und die Wissenschaften so weit auch in der Breite entwickelt, dass für weitere
Entwicklungen die Konzentrierung des Mehrproduktes nicht mehr notwendig und damit die
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 11
Basisdemokratie wieder möglich ist. Es wird auch höchste Zeit, denn der Kapitalismus zeigt
mit Crashs, Rezessionen und Inflationen, Kriegen und Elend nur noch destruktive Seiten. Wie
aber kann die Basisdemokratie in einer Massengesellschaft funktionieren und wie wird es
dahin kommen?
Die ersten Versuche von der Pariser Kommune 1871 bis zu den Schoras (Arbeiterräte) im
Iran 1979 wurden von der Basis immer automatisch, spontan durchgeführt. Wenn Du Deine
Kollegin von der Idee der Arbeiterräte überzeugen willst, wirst Du oft hören, „gute Idee, aber
es wird immer einige Bürokraten geben, die uns austricksen werden“, womit die Kollegin nicht
mal unrecht hat. Solange die Kollegen von der Gewerkschaftsführung bei Tarifverträgen sich
überrumpeln lassen, wie jetzt wieder bei der Telekom oder auch bei Transnet, werden sie auch
im Arbeiterrat von solchen Windeiern übertölpelt. Transnet gab mit seinem Abschluss über
4,5% gehörig an. Aber das war für 18 Monate, also aufs Jahr umgerechnet nur 2,8%. Und
wenn man davon die 1,9% durchschnittliche Preissteigerung abzieht, bleibt nur 0,9%. Rechnet
man gar die Preissteigerung für ein 4-Personen-Haushalt und die 0,5% mehr für die
Pflegeversicherung, dann haben wir schon ein Minus von einem halben Prozent. Die Kollegen,
die sich das gefallen lassen, müssen also erst einen unabhängigen, autonomen Kampf
durchführen. Die Basisdemokratie kann deshalb kein noch so guter Stellvertreter den Massen
schenken, die müssen sie sich erkämpfen, erst dann werden die Massen in der Lage sein, die
Profitmaximirerei und damit das Akkumulationsgesetz und die dazugehörigen Schlitzohren in
die Wüste zu schicken und sich eine konsequente revolutionäre Führung zu wählen.
Deshalb ist unser erster Schritt auch die Unterstützung von reformistischen Kämpfen
konsequent durchzuführen und dann diese beim Versagen der Gewerkschaftsführung in die
eigene Hand zu nehmen. Die Emanzipation der Massen ist bei der Basisrätedemokratie eine
unbedingte Voraussetzung. Wir sehen das System als ein internationales an und insofern
betrachten wir auch die Emanzipation im weltweiten Maßstab. Gegen die globalisierte
neoliberale Barbarei sind die Bewegungen in Lateinamerika 2007 mit den unabhängigen
Kämpfen am meisten vorangeschritten. Peru, Argentinien, Chile, Bolivien, Venezuela, Mexiko,
überall meldet sich die Basis von unten und meistens vorneweg die Lehrerinnen und Lehrer. In
dem mexikanischen Bundesstaat Oaxaca zeigt die Basisbewegung mit ihrem Arbeiterrat
APPD, in dem 360 Gruppen zusammengeschlossen sind und die schon über ein halbes Jahr die
Doppelherrschaft ausübten, dass die Rätebewegung sehr gut auch bei Hunderttausenden
funktionieren kann..
Die Lehrer in Oaxaca haben unabhängig von ihrer Gewerkschaftsführung die Einrichtung
ihres Protestcamps beschlossen, dessen Räumung durch die Polizei ja auch zu der
Rätebewegung geführt hat. In Europa hatten wir im Rahmen der globasierten neoliberalen
Barbarei auch bereits mehrere „wilde“ Streiks gehabt, bei den Postlern in London und Polen,
den Busfahrern in Rom, den Feuerwehrleuten in London, kurz bei Opel Bochum, den
Krankenschwestern in Warschau mit Protestcamp, um nur einige zu nennen. In Deutschland ist
zur Zeit die kleine Nordhäuser Fahrradfabrik System Bikes mit 135 Beschäftigten besetzt.
In all diesen Kämpfen wählt sich die Kollegenschaft einen Streikrat. Dieser ist mit seinen
Entscheidungen an die Beschlüsse der Basis gebunden und ist jederzeit wieder abwählbar. Es
herrscht also das imperative Mandat, nicht wie in dem bürgerlichen Parlament, wo der
Abgeordnete nach dem freien Mandat urteilt. Er ist nicht gebunden an den Wählerwillen, das
hat doch mit Demokratie nichts zu tun.
Wenn die wilden Streiks und die Besetzungen immer stärker in die Breite gehen und
kontinuierlich bestehen, werden sich die Streikräte im Arbeiterrat zusammenschließen. Dieser
12 - Internationale Sozialisten
Moment kann bei der derzeitigen Weltwirtschaftskrise jederzeit und abrupt auftreten, wie das
Beispiel Oaxaca gezeigt hat. Die in Europa genannten Arbeiterräte heißen in Lateinamerika nur
Volksräte, weil dort auch die Indigenen vertreten sind und der Bauernanteil etwas höher als in
Europa ist, aber nicht so hoch wie in Russland 1917 mit 80%, sondern 20-40%. In Sao Paulo
mit seinen 20 Millionen Einwohnern ist die größte Industrieansiedlung der Welt, Mexiko Stadt
8,7 Millionen Einwohner, Rio de Janeiro 6, Caracas 2-3, Lima 6,5, Santiago de Chile 5,3,
Bogota 6,8, Buenos Aires 11,5, in Argentinien sind schon weit über 100 Betriebe besetzt.
http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=113040&IDC=
Die zwei Prinzipien in den Streikräten, imperatives Mandat und jederzeitige Abwählbarkeit,
werden im Arbeiterrat mit übernommen und es kommt noch ein drittes Prinzip hinzu, dass der
Lohn nicht über ein Facharbeiterlohn sein darf. In den Betrieben wird in
Abteilungsversammlungen beinahe täglich die Lage diskutiert und über die Abteilung
betreffende Probleme auch abgestimmt. Die Betriebsversammlungen stimmen dann über die
allgemeinen Themen ab, wobei auch schon wichtige Argumente aus anderen Betrieben
vorgetragen werden. Die Delegierten für den Stadtteil, die Stadt, das Land oder den Bund sind
an die Beschlüsse der Basis gebunden. So geht das aufwärts bis zur Weltebene. Sollte in den
übergeordneten Gremien keine klare Einheit hergestellt werde können und der Beschluss eilt
nicht, wird er noch einmal mit den neuen Argumenten an der Basis neu diskutiert. In den Räten
sitzen auch die Rentner, die Hausfrauen, Bauern oder auch kleine Ladenbesitzer. Im
Arbeiterrat APPO in Oaxaca sind 360 Organisationen vertreten, von der Lehrergewerkschaft,
den Eisenbahnern bis hin zu den Studenten. John Molyneux der SWP, der International
Socialist Tendency, schreibt zu der Frage:
»Vorausgesetzt, daß der Keim der Struktur in den Betrieben wurzelt, gibt es keinen Grund,
warum andere Gruppen nicht auch Kollektive bilden und deren Delegierte in die Räte
integriert sein sollten.
Das fundamentale Merkmal des Arbeiterstaates wird sein, daß er auf der Selbstaktivität
beruht und diese mobilisiert, indem er die Fähigkeit und Kreativität der Masse der
Arbeiterklasse organisiert, um die neue Gesellschaft von unten nach oben aufzubauen. Er
wird damit tausendmal demokratischer sein als die liberalste der bürgerlichen Demokratien,
die ausnahmslos auf der Passivität der Werktätigen beruhen. «
John Molyneux: „Die zukünftige sozialistische Gesellschaft“, S 5
Aber die Details dieses Systems legt sowieso die
künftige Basis fest, das will und kann niemand am grünen
Tisch entscheiden, das würde ja bedeuten, dass wieder
nicht die Arbeiter sich selbst befreien würden. Im Zeitalter
des Internets sollte die gemeinsame Diskussion kein
Problem darstellen und natürlich ist das heute PCprogrammtechnisch
auch kein Problem mehr, dass
weltweit jeder sein Bedarf eingibt, nachdem produziert
wird, und der weltweite Bedarf weltweit solidarisch, d.h.
gleichmäßig auf alle Betriebe verteilt. Schon produziert
man nicht mehr blind auf Halde und führt um die Märkte
erst Handelskriege und dann heiße Kriege. Voraussetzung
dafür ist dass alle Patente der Welt gratis allen
Arbeiterstaaten zur Verfügung stehen und nach einer
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 13
kleinen Übergangszeit alle Kollegen in der Welt für gleiche Arbeit das gleiche verdienen. Es
gibt anfangs vielleicht noch einen kleinen Unterschied von 80% für den Pförtner und 120% für
den Arzt.
Das hört sich ja alles ganz gut an, scheitert aber immer daran, dass der Mensch so egoistisch
ist, so gierig sei, denken jetzt 99% aller Menschen. Der Dreh an diesem Modell ist aber genau
der, das es den lohnabhängigen Menschen genau an seinem gesunden Egoismus packt, nicht
mit der bürgerlichen Moral daherkommt. Wir sind keine Altruisten, die selbstlos für eine Welt
voller Selbstlosigkeit kämpfen. Deshalb unterstützt der visionäre Akteur auch jeden Kampf,
der den Arbeiter nutzt, weil nur im Kampf um ihre Rechte die Kollegin lernen kann und nur
aus jedem Kampf kann das basisdemokratische Modell erwachsen. Sollte sich im Streik- oder
im Arbeiterrat ein Egozentriker einschleichen, dann wird er eben sofort abgewählt, so einfach
ist das.
Ja, und was kam in Moskau oder der DDR raus, Arbeitsläger und Todesschüsse an der
Grenze, denkt so mancher Skeptiker. Nun, in Russland 1917 gab es nur 5% Arbeiter und 80%
Bauern, und deshalb konnte Stalin nach seiner Konterrevolution gegen die Massen mit
Schlägerbanden, Meuchelmördern und Todesurteilen gegen die gesamte revolutionäre
Parteiführung sein Terrorregime darauf aufbauen. In Europa ist das heute umgekehrt, und wenn
bei einem emanzipierendem Kampf so ein Möchtegern-Stalin auftauchen würde, die Kollegen
würden ihn doch mit der Schubkarre auf den Müllhaufen der Geschichte kippen. Zur DDR
führte keine Arbeiterrevolution, das wäre nach Marx schon notwendig gewesen, wollte man
seinen Satz ernst nehmen, dass die Befreiung der Arbeiter nur ihr eigenes Werk sein kann. Die
DRR ist aber so entstanden, dass unter der Sonne Jaltas der Herr Stalin auf dem Spickzettel mit
den Ost- und West-Ländern, den der Herr Churchill ihm rüberreichte, er seine Häkchen setzte,
das war ja nun wahrlich kein revolutionärer Moment.
Der Plan der DRR war kein solidarischer Plan der Arbeiterschaft nach ihrem Bedarf. Das
hieße Äpfel mit Birnen vergleichen. Die treibende Kraft, der Stimulus im Ostblock war der
Rüstungswettlauf, nicht der Bedarf der Arbeiter. Gute Ware ging in den Westen, z.B. Zelte mit
einer guten Qualität gingen an Quelle, die eigene Bevölkerung hat doch nur den Müll
bekommen. Zum Schluss hat die DDR einen Ausschuss von 50% produziert. Das ist doch kein
Plan. Wenn der Arbeiter für den eigenen Bedarf oder den seiner Kollegen produziert, dann
achtet er doch auf eine gute Qualität und macht nicht einen derartigen Pfusch wie in den
Einparteiendiktaturen.
Damit sind nicht alle Anhänger aller bürokratischen Staaten gleich für die Unterdrückung.
Nein, sie wollen sicher soziale Gerechtigkeit, sie sind nur irregeleitet, so, wie die Anhänger der
„sozialen“ Marktwirtschaft auch nur irregeleitet sind. So schleppen sie aber immer noch die
falschen stalinistischen Theorien mit sich rum, die meist das krasse Gegenteil sind vom
Marxismus. Da wäre zuerst die gleich nach Lenins Tod entwickelte Theorie des „Aufbaus des
Sozialismus in einem Lande“ zu nennen. Auch die stalinistische Etappentheorie, die
Volksfronttheorie und später auch die Stamokaptheorie, die Heiligsprechung der
Arbeiterklasse, die Verstaatlichungstheorie (Sozialismus, weil verstaatlicht) und die
Fünfjahresplan-Falschdarstellung und nicht zuletzt die Vergötterung Lenins haben in der
Basisrätebewegung großen Verwirrung gestiftet.
Der Führung der Ex-PDS geht es aber nur um Macht und Einfluss, nicht um das Recht für
die Arbeiter. Nachdem die DDR zusammengebrochen ist, gab es den Vorschlag der
Vereinigten Linken, der Schwesterorganisation der GIM (heute ISL/Avanti) an die PDS die
Betriebe den Arbeitern zur Selbstorganisation zu übergeben. Aber die Nachfolger von
14 - Internationale Sozialisten
Honegger hatten doch nichts Eiligeres zu tun gehabt, als die Betriebe der DDR den westlichen
Kapitalisten zu übergeben, nicht den Arbeitern. Das beweist ihre Verwandtschaft mit dem
niedergehenden Kapital. Die Basisdemokraten machen auch einen Staat, aber dieser Staat
gehört über die Arbeiterräte allen Nichtkapitalisten, nicht nur der SED-Spitze wie in der DDR,
dazu fehlten hier die freien Wahlen mit den verschiedenen freien Parteien im Basisrat.
Solidarische Planökonomie von unten.
In der solidarischen Planökonomie muss gegenüber den kapitalistischen Staaten das
Außenhandelsmonpol existieren, damit der Arbeiterstaat die Außenhandelspreise filtern und
somit seine Bewohner vor auswärtigen Wucherpreisen schützen kann, aber auch ausländische
verarmte Bauern. Zum Beispiel, wenn der Getreidepreis auf dem internationalen Markt wegen
der Biospritproduktion steigt, kann der Arbeiterstaat seinen Angehörigen das Brot billiger
verkaufen. In der solidarischen Planökonomie herrscht natürlich auch die Wertgesetz wie im
Kapitalismus, das heißt das Produkt spiegelt auch die Werte wieder der in ihr kristallisierten
Arbeit. Das Planungsamt muss natürlich die vorhandenen Maschinenpark und das Verhältnis
jeder Maschine zu dem notwendigen Aufwand an Arbeitskraft beachten, das Verhältnis des
konstanten Kapitals zur Wertschöpfung bleibt wie im Kapitalismus gleich. Also, Niemand
kann aus einer Drehbank einen Traktor zaubern.
Aber über die Aufteilung der Wertschöpfung verfügt die Basis frei nach
Vernunftsgesichtspunkten. Es treibt uns nicht mehr die Profitrate unter dem Konkurrenzdruck
an, möglichst viel für die Erweiterung des Betriebes zu schuften, sondern wir können nach
freier Entscheidung festlegen, wie viel wir Lohn wollen, für die Rente zurücklegen, für
städtische Aufgaben, für die Gesundheit usw.
Das Planungsamt legt nur Entscheidungshilfen vor, beispielsweise, wenn wir den Lohn nur
um 20% steigern, können wir den Bedarf der Genossenschaften und Bauern an Traktoren in
Afrika in diesem Jahr decken, wenn wir ihn um 30% steigern, dann erst in 2 Jahren, um 40%
in, dann in 3 Jahren usw.
Diese Frage wird weltweit in allen Betrieben der Basisdemokratie (Nicht in den Nochkapitalistischen
Ländern, da entscheidet das der Unternehmerverband bzw. das
Akkumulationsgesetz.) vorgelegt und diskutiert, natürlich nicht so speziell, sondern die zu
diskutierende Frage lautet beispielsweise: Wenn wir den Lohn nur um 20% steigern (Wir
erinnern uns, weltweit nach einer Anpassungsphase der gleiche Lohn), können wir den
Rückstand der Agrarländer in 10 Jahren einholen, wenn wir ihn um 30% steigern, dann erst in
15 Jahren, um 40% in, dann in 20 Jahren usw. Die Planungsbehörde gibt dann noch ihre
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 15
Empfehlung ab mit dem Inhalt z.B., dass sie für eine Steigerung der Löhne von nur 20%
plädiert, weil dann die Agrarländer schneller ihre eigenen Straßenbahnen auch bauen können
und die ganze Welt sich schneller wichtigeren Aufgaben zuwenden könnte, z.B. der weiteren
Automatisierung der Drecksarbeit wie z.B. die Reinigung der Klärbecken.
Was 20% Lohnerhöhung, wie geht denn das, fragen sich die meisten, und dann noch
weltweit Schweizer Löhne? Wir kennen hier nur 20% Lohnsenkung wie bei der Post. Ja,
richtig.
1. Erstens produzierst Du nicht mehr wie irrsinnig auf Halde und dann werden die Call-
Center-Kollegen unter Druck gesetzt, dem Eskimo einen Kühlschrank
aufzuquatschen, sondern wir produzieren nach dem wirklichen Bedarf der Menschen.
2. Stellen wir die Waschmaschinen so her, dass sie 50 Jahre halten und nicht so, dass die
Pumpe nach 3 Jahren garantiert den Geist aufgibt.
3. Dann arbeiten wir nicht nur für den Lohn, sondern weil Du und Deine Kollegen das
benötigen und Du wieder einen Sinn darin siehst. Der Mensch hat sich durch die
Arbeit zum Mensch erst entwickelt. Aber in der Lohnarbeit wird er von seinem
Produkt nur entfremdet. Marx sagt, die Würde des Menschen wird reduziert auf
seinen Tauschwert seiner Arbeitskraft. Du arbeitest nicht mehr für die 10€ Lohn,
sondern weil alle sich freuen, dass Du so prima Radios reparieren kannst und Dir das
Spaß macht, oder Theater spielst, oder im Nachbarschafts-Kindergarten mit den
Kindern umgehen kannst oder …
4. Wir produzieren absolut keinen Quatsch mehr wie Werbung, Prestigegüter oder
Waffen. 1917 haben die Arbeiter statt Waffen Flugblätter produziert, um die Köpfe
der deutschen Kollegen zu gewinnen. So hatte Trotzki in Brest-Litowsk einen
Friedensvertrag mit Deutschland geschlossen und die ehemaligen Feinde haben statt
aufeinander zu schießen zusammen getanzt. Siehst Du, wie alle sich freuen.
5.
16 - Internationale Sozialisten
So konnte 1917 in dem wirtschaftlich rückschrittlichen Russland schon der 8Std.-Tag
eingeführt werden, da gab es in Deutschland noch den 10 bis 13Std.-Tag. Der trotzkistische
Wirtschaftstheoretiker Preobraženskij schreibt:
»Dass in der Staatswirtschaft der UdSSR trotz ihrer Armut der Achtstundentag
streng eingehalten wird und jedes Jahr in größerem Umfang Maßnahmen zum
Schutz der Arbeit eingeführt werden, ist ebenso nur deshalb möglich, weil die
Arbeiterklasse Herr über die Produktion ist. Beim gegenwärtigen
Produktionsumfang wäre alles, was hieran erinnert, für ein kapitalistisches System
völlig unmöglich.«
Evgenij A. Preobraženskij: "Die Neue Ökonomik", Berlin, 1973, S. 157
Wir erleben heute nach einem Kürzungsmarathon und der Wegzauberung der
demokratischen Rechte, nach Bankenzusammenbrüchen und der drohenden Hyperinflation die
Aufstellung der großen Mächte NATO und Shanghai-Bündnis auf Grund ihres wirtschaftlichen
Zerfalls zum Endzeitkrieg. Für die meisten kommen die Ereignisse nur noch bedrohlich daher,
aber flüchten sich in die Täterrolle, weil, wie die großen Täter versprechen, nur noch mit ihnen
Erfolge zu erzielen seien. Dabei werden auch natürlich nicht seine Lügen über
Arbeitslosenzahlen oder Islamisten-Terrorismus bemerkt. Aber so, wie die Banken
zusammenbrechen werden, so wird auch wird auch der Siegernimbus von den Tätern abfallen
und er steht entblößt vor uns.
Dann wird wie in der DDR 1989 ein gemeinsamer Spaziergang durch Berlin oder London
von uns allen genügen, und die alten Geister sind weg wie im Abendwind. Wenn Du denkst,
dass das so schwierig ist, denk an Lenins Satz, dabei wird auch klar, warum sich die
Herrschaften bis heute gehalten haben:
»Damit es zur Revolution kommt, genügt es in der Regel nicht, das die "unteren Schichten"
in der alten Weise "nicht leben wollen", es ist noch erforderlich, dass die "oberen Schichten
in der alten Weise "nicht leben können"«
Lenin: "Der Zusammenbruch der II. Internationale", LW 21, S. 206
Heute aber wissen sie doch gar nicht mehr, warum sie uns unterdrücken sollten. Die
Profitproduktion funktioniert nicht mehr, die Heuschreckenplage verdeckt wie Mehltau die
Landschaft und die letzten Wettbüros klappen ihre Fensterläden runter. Wer noch da steht, bist
Du. Dann schließ Dich doch einfach uns von der NLO an, wir schauen mit Dir zusammen, wie
es weiter geht.
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 17
Geschichte der Rätedemokratiebewegung!
bis zum 2. Weltkrieg
»Hallo. Wer ist da?«,
»Hier ist der Fiat-Sowjet.«,
»Ah!... Entschuldigung... Ich rufe wieder
zurück...«
Als Karl Marx im 19. Jahrhundert den
wissenschaftlichen Sozialismus
entwickelte und dabei die Arbeiterklasse
der Lohn- und Gehaltsabhängigen als
zukünftige herrschende Klasse ausmachte, gab es noch kein Beispiel für die Form ihrer
Herrschaft. Im Gegenteil, sie war gerade im Entstehen begriffen.
Als Engels über Köln in einem Brief sich äußert, berichtet er ganz begeistert, dass dort schon
über 6.000 Arbeiter leben. Heute gehören in ganz Europa von den 500 Millionen Einwohnern
85% zur Arbeiterklasse, also 425 Millionen Arbeiterinnen, Angestellte und ihre Familien. Die
Arbeiterklasse hatte zu Marxens Zeiten noch nur einen verschwindend geringen Umfang und er
konnte sich nur theoretisch abstrakt mit ihr als führende Klasse beschäftigen. Obwohl der erste
Hinweis dazu aber von Friedrich Engels als praktischem Theoretiker kam, war so besehen die
Entdeckung der Arbeiterklasse als revolutionäres Subjekt eine geniales Werk durch beide
großen Theoretiker.
Der Arbeiter ist nicht aus moralischen Gründen von sich aus zu der nächst höheren
Gesellschaftsform fähig, sondern wegen seiner Stellung zu den Produktionsmittel. Er ist
objektiv internationalistisch. Was hat der VW-Kollege davon, wenn der südafrikanische
Kollege nur 4 €uro verdient? Ihm schadet es nur, weil dann ein Dumping-Auto ihn arbeitslos
macht. Er muss darunter leiden, wenn die Arbeitshetze steigt und der Lohn sinkt.
Das Wesentlichste ist, dass er damit den Schlüssel zu der vernunftsorientierten
Produktionsweise in der Hand hält. Der in Konkurrenz produzierende Kapitalist unterbietet
seinen Konkurrenten, sonst wird er aus dem Markt geworfen. Er stellt die Bänder schneller und
entlässt Mitarbeiter. Die Arbeit ist aber die einzige Quelle des Mehrwerts. Dadurch setzt sich
der tendenzielle Fall der Profitrate durch oder der Fall der Rendite oder der Verzinsung des
angelegten Kapitals. Das will kein Kapitalist hinnehmen, also gibt es erst Handelskriege und
dann heiße. Arbeitslosigkeit, Bankenzusammenbrüche, Inflation und Hungerkatastrophen sind
die heutigen Erscheinungen.
Der Arbeiter aber wird nicht für einen blinden Markt produzieren, sondern für die
Bestellungen im Internet aller Kollegen gerecht verteilt auf alle Betriebe. Das geht nur
demokratisch und international. Solange wir nur in einem Land die Basisrätedemokratie haben,
richten wir die solidarische Plangesellschaft dort ein und heben die Warenform dort auf, z.B.
18 - Internationale Sozialisten
Lebensmittel und Wohnung billiger, Gesundheitswesen und Bus für den Nulltarif, Luxusgüter
teurer. Außen herrscht noch der Weltmarkt, weshalb der Außenhandel über den Arbeiterstaat
läuft.
Kein Profit mehr zwingt den Menschen irgendetwas auf, aber auch kein Rüstungswettlauf
oder Korruption von verblödenden Bürokraten wie Honecker, Che oder Mao. Dazu ist
unbedingt notwendig, dass das Zentrum der Räte in den Betrieben liegt und dort regelmäßige
(wöchentliche) Abteilungs- und Betriebsversammlungen stattfinden, die dort Delegierte für den
Stadt-, Kreis, Länder- und Bundessrat wählen, die
jederzeit abwählbar sind
höchstens eines Facharbeiterlohn verdienen und
an die Beschlüsse der Basis gebunden sind.
Wir sind in Europa 85% Arbeiterklasse und da brauchen wir keine Angst vor sich
verselbständigenden Bürokraten zu haben.
Nun wollen wir untersuchen, wie realistisch dieses authentisch marxistische Konzept ist und
warum alle bisherigen Versuche gescheitert sind.
Die Pariser Kommune 1871
Erst 1871 bei der Pariser Kommune konnte Marx genauere Beobachtungen machen, aber bei
einer unerfahrenen Arbeiterklasse und dementsprechend auch einer unerfahrenen Führung um
Blanqui. Die revolutionäre Partei und die Basis haben kein unterschiedliches Interesse, der
Unterschied ist lediglich der, dass die Parteimitglieder nur in einer früheren Phase bewusst
geworden sind, die Erfahrungen verallgmeinern und dies archivieren und schulen, mehr nicht.
Die Kommune war ein Bündnis der Arbeiter mit dem Kleinbürgertum gegen die Privilegien
der Bourgeoisie und der Großgrundbesitzer und nutzte deren Kapitulation im deutschfranzösischen
Krieg 70/71. Es war keine parlamentarische, sondern eine politisch-praktische
Körperschaft, die in ihren Händen die gesetzgebende und vollziehende Gewalt vereinigte. Ihre
Mitglieder waren von ihren Wählern jederzeit absetzbar. Alle Beamten waren wählbar. Marx
schreibt in „Der Bürgerkrieg in Frankreich“
»Ihr neues Merkmal ist, dass das Volk nach der ersten Erhebung nicht die Waffen niederlegt
und seine Macht in die Hände der republikanischen Marktschreier der herrschenden Klassen
übergeben hat, dass es durch die Errichtung der Kommune die wirkliche Leitung seiner
Revolution in die eigenen Hände genommen und gleichzeitig das Mittel gefunden hat, sie im
Falle des Erfolgs in den Händen des Volkes selbst zu halten, indem es die Staatsmaschinerie,
die Regierungsmaschine der herrschenden Klassen, durch seine Regierungsmaschine
ersetzt.«
So gab die Kommune Marx eine Bestätigung als opponierende Klasse des Kapitals und
darüber hinaus trotz ihrer Unerfahrenheit eine große Anzahl praktischer Beispiele
proletarischer Forderungen, die Engels im Vorwort zusammenfasst:
„Am 26. März wurde die Pariser Kommune erwählt und am 28. proklamiert... Am 30.
schaffte die Kommune … die stehende Armee ab und erklärte die Nationalgarde, zu der alle
waffenfähigen Bürger gehören sollten, für die einzige bewaffnete Macht; sie erließ alle
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 19
Wohnungsmietsbeträge vom Oktober 1870 bis zum April, unter Anrechnung der bereits
bezahlten Beträge auf künftige Mietszeit, und stellte alle Verkäufe von Pfändern im
städtischen Leihhaus ein. Am selben Tage wurden die in die Kommune gewählten Ausländer
in ihrem Amt bestätigt, da die „Fahne der Kommune die der Weltrepublik ist“. – Am 1 .April
beschlossen, das höchste Gehalt eines bei der Kommune Angestellten, also auch ihrer
Mitglieder selbst, dürfe 6.000 Franken (4.800 Mark) nicht übersteigen. Am folgenden Tage
wurde die Trennung der Kirche vom Staat und die Abschaffung aller staatlichen Zahlungen
für religiöse Zwecke sowie die Umwandlung aller geistlichen Güter in Nationaleigentum
dekretiert; infolge davon wurde am 8. April die Verbannung aller religiösen Symbole, Bilder,
Dogmen, Gebete, kurz, „alles dessen, was in den Bereich des Gewissens jedes einzelnen
gehört“, aus den Schulen befohlen und allmählich durchgeführt... Am 6. wurde die
Guillotine durch das 137. Bataillon der Nationalgarde herausgeholt und unter lautem
Volksjubel öffentlich verbrannt. – Am 12. beschloss die Kommune, die nach dem Krieg von
1809 von Napoleon aus eroberten Kanonen gegoßne Siegessäule des Vendôme-Platzes als
Sinnbild des Chauvinismus und der Völkerverhetzung umzustürzen. Dies wurde am 16. Mai
ausgeführt. – Am 16. April ordnete die Kommune eine statistische Aufstellung der von den
Fabrikanten stillgesetzten Fabriken an und die Ausarbeitung von Plänen für den Betrieb
dieser Fabriken durch die in Kooperativgenossenschaften zu vereinigenden, bisher darin
beschäftigten Arbeiter, sowie für eine Organisation dieser Genossenschaften zu einem
großen Verband. – Am 20. schaffte sie die Nachtarbeit der Bäcker ab … Am 30. April befahl
sie die Aufhebung der Pfandhäuser, welche eine Privatexploitation der Arbeiter seien und im
Widerspruch ständen mit dem Recht der Arbeiter auf ihre Arbeitsinstrumente und auf
Kredit.“
Die jederzeitige Abwählbarkeit, der Höchstverdienst eines Facharbeiters und die Bindung an
die Beschlüsse der Basis in der täglich tagenden Körperschaft sind aber alles schon Elemente
der Arbeiterräte. Die wesentliche Erkenntnis aber ist die Spontaneität der Massen. Die
Kommunarden haben nicht erst Marx gelesen, sondern, indem, dass sie gegen die bürgerliche
Politik gekämpft hatten und nun unabhängig und frei von allen Profitzwängen entscheiden
konnten haben sie die richtigen Schritte instinktiv unternommen. Das Experiment endete mit
45.000 Erschießungen und 27.000 Todesurteilen bzw. Deportation in die Fieberhöllen. Hier
sehen wir deutlich und klar, dass die Bourgeoisie gar keine wirkliche Demokratie für alle will,
sondern das nur für die eigenen Profite heuchelt. In dem Moment, wo die Massen sich diese
Demokratie nehmen, werden sie abgemetzelt wie Ungeziefer.
So groß die Opfer auch waren, Marx hat ihre Erfahrungen für die Arbeiterbewegung
verallgemeinert, damit ihre Bedeutung klar gezeichnet und ihre Opfer aufgewogen.
Die Kommune war schon eine basisdemokratische Körperschaft mit der Bindung an die
Beschlüsse der Basis, der jederzeitigen Abwählbarkeit und dem Facharbeiterhöchstlohn. Sie
vereinigte die die gesetzgebende und vollziehende Gewalt und unterstellten statt der
heuchlerischen Trennung alle Beamte der Wählbarkeit. Was noch fehlte, war die Wahl und die
regelmäßigen Versammlungen in den Betrieben. Wir sehen, das war keine Erfindung am
grünen Tisch von Marx, sondern hat sich aus der Praxis spontan entwickelt, so wie auch die
ersten Arbeiterräte aus den Streikräten wilder Streiks spontan entwickelt hat. Die
Notwendigkeit der Arbeiterräte für die Massen ergibt sich nicht aus einer idealistischen
kontinuierlichen, zähen Überzeugungsarbeit, sondern aus den historisch materialistischen
Widersprüchen zwischen Kapital und Arbeit und erschien in der Geschichte abrupt und
überraschend.
20 - Internationale Sozialisten
Die richtige Organisationsform für die Arbeiterklasse mit den Arbeiterräten zeigte sich aber
erst nach Marx im 19. Jahrhundert.
A. Holberg, Die Kommune, aus „Linke Opposition“ No. 8, S. 21
Karl Marx, „Der Bürgerkrieg in Frankreich“
Russland 1905
Nach dem russisch-japanischen Krieg 1904 und nach einer Welle schwerer Streiks schossen
am 9. Januar die Zarentruppen Tausende von unbewaffneten Streikenden und ihre Familien
nieder, als diese versuchten, den Winterpalast des Zaren mit einer Petition zu erreichen, in der
sie um Reformen baten. Bis dahin waren die russischen Arbeiter frauenfeindlich sowie
rassistisch gegen die Juden, Chinesen und anderer Minderheiten., glaubten an das große
Russland, waren kriegsbegeisterte Patrioten und Zarenanhänger, ansonsten fatalistisch und
alkoholabhängig. Aber die Stimmung gegen den Krieg begann sich mit den immer schlechter
werdenden Lebensbedingungen der Arbeiter zu verbinden - denn die Löhne selbst der
Bestbezahltesten fielen um etwa 25 Prozent.
Bauernaufstände fanden statt, Soldaten meuterten, Matrosen erschossen ihre Offiziere beim
Appell. Frauen, die nicht wählen gehen durften, sprengten Wahlveranstaltungen und kämpften
gegen Soldaten, die geschickt wurden, um die Ordnung wiederherzustellen. Schüler in Polen
(damals offiziell ein Teil von Russland) vertrieben russische Lehrer aus den Klassenzimmern.
„Aber am eindruckvollsten, und für alle Herrscher am erschreckensten, war die Tatsache,
dass Arbeiter aus den Betrieben marschierten, ihren Kampf ausweiteten und aus ihm Lehren
zogen. Ein Unternehmer nach dem anderen wurde dazu gezwungen, einen Teil der vom Zaren
so grob abgelehnten Forderungen zuzugestehen. Die weit voneinander entfernten russischen
Städte wurden eine nach der anderen in den Kampf mit einbezogen. 1905 lernten die
russischen Arbeiter ihre Feinde kennen und merkten, wie man sie bekämpfen muss - und sie
kamen zu dieser Erkenntnis nicht durch einen plötzlichen Meinungswandel, nicht durch die
Propaganda sozialistischer Prediger, sondern im Verlaufe des eigenen Kampfs.“ Pete
Glatter, S. 3
Inzwischen versuchte der Zarismus, die bürgerliche Opposition mit einer "Duma" zu
beruhigen, einem Parlament, das keine wirkliche Macht haben würde und in dem die Arbeiter
keine Vertretung haben sollten. Erst im August beendete die Regierung den katastrophalen und
unpopulären Krieg gegen Japan. Die Duma traf sich im April 1906 und wurde drei Monate
später aufgelöst. Erst 2 Jahre nach ihrer Gründung konnten die letzten Reste der Arbeiterräte
endgültig wieder ausgelöscht werden.
Die Arbeiterräte sind am 13. Oktober 1905 spontan entstanden, nach einem konsequenten
Kampf der Arbeiter um Versammlungs-, Organisations- und Demonstrationsfreiheit. Am 26.
November wird Trotzki, der erst im Juli 1917 sich Lenins Bolschewiki anschloss, zum
Vorsitzenden des Petersburger Sowjets gewählt. Die demokratischen Rechte müssen immer
wieder erkämpft werden. »Man hat uns die Versammlungsfreiheit gegeben«, schrieb Trotzki in
der 'Iswestija', »aber unsere Versammlungen werden von Truppen umringt Man gibt uns die
Redefreiheit, aber die Zensur bleibt unversehrt... «
Die Einstellung der Bolschewiki zu den Sowjets war anfangs noch wirr: Zuerst verurteilten
sie die Sowjets als Verschwörungen gegen die Partei und versuchten, ihnen das eigene
Programm aufzuerlegen. Krasikow, ein bolschewistischer Organisator, nannte den Sowjet
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 21
,,diese neue Intrige der Menschewiki" während viele Bolschewiki die Teilnahme nur
unterstützten, um ,,den Sowjet von innen zu sprengen". Bei der Veränderung dieser Lage war
die von Lenin gespielte Rolle entscheidend. Er begriff rasch die Wichtigkeit der Sowjets als
,,Organe des direkten Kampfs der Massen". Noch sah Lenin die Zeit für die Arbeiter noch
nicht reif. Die Bolschewiken vertraten noch »die demokratische Diktatur des Proletariats und
der Bauernschaft«, bis Lenin sich 1917 mit den Aprilthesen Trotzki anschloss. Letztlich lernte
die Partei von der Basis, dass die Räte die zukünftige Regierung ist. Manche Arbeiter
adressierten ihren Brief mit "An die Arbeiterregierung, Petersburg".
Die Räte sind von unten an der Basis entstanden. Das Lernen zwischen Partei und Basis ist
keine Einbahnstraße, sondern ein wechselseitiger Prozess. Die Räte werden automatisch bei
einem übergroßen unlösbaren Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit aus den Streikräten
entstehen und nur ihre Aufgaben bei der Übernahme der Macht benötigen die Erfahrungen der
Partei. Automatisch heißt aber nicht, dass wir so lange die Hände in den Schoss legen könnten.
Mit kleineren Kämpfen wie Studentenstreiks kann man die großen Arbeiterkämpfe forcieren
oder gar die Arbeiterkämpfe versuchen, manchmal anzustoßen. Dies könnte die
Arbeiterkämpfe rechtzeitig herbeiführen, bevor die Reaktion alles zurück wirft.
Nur Trotzki orientierte sich schon damals klar an der Arbeiterklasse. Seine Erfahrungen als
Vorsitzender des Arbeiterrates 1905 legte er 1906 mit der Schrift „Ergebnisse und
Perspektiven“ vor.
Deutlich an diesem Beispiel wurde auch, dass erst, nachdem die Arbeiterklasse sich
demokratische Freiheiten erkämpft hatte, erst die Räte sich entwickeln konnten. Die Monarchie
hatte aber noch genügend Kraft, um sich wieder durchzusetzen. Am 3. Dezember wurden die
Führer des Petersburger Sowjets verhaftet. Aber der Kampf der Arbeiterklasse war sehr
wertvoll als Generalprobe für 1917.
Pete Glatter: „Russland 1905“
Russland Februarrevolution 1917
Bis 1917 verdoppelte sich die Industrieproduktion in Russland und die Arbeiter gewannen
wieder Selbstvertrauen. Bis zum Kriegsbeginn 1914 steigerten sich die Teilnehmer an
politischen Streiks auf 1 Million.
„…Fast alle Betriebe Petersburgs befanden sich im Streik oder waren ausgesperrt. Die
Arbeiter lieferten sich erbitterte Straßenschlachten und Barrikadenkämpfe mit den Kosaken
und der Polizei. Überall waren rote Fahnen zu sehen. Diese Zunahme von Streiks und
politischer Unrast wurde jedoch durch den Eintritt Russlands in den 1. Weltkrieg an der
Seite Englands und Frankreichs gegen Deutschland unterbrochen.“
(Werner Halbauer)
Die Teilnehmer der Streiks gingen 1915 erst einmal auf 156 Tausend zurück. Durch das
Elend, die Toten und den Hunger in dem Krieg stiegen sie vor der Revolution auf 374 Tausend
an. Am 23. Februar, dem internationalen Frauentag (Nach altem russischen Kalender) entgegen
dem Beschluss des von den Bolschewiken unterstützten Arbeiterkomitees traten am nächsten
Morgen die Textilarbeiterinnen einiger Fabriken in den Ausstand und forderten auch die
Metallbetrieben auf, ihren Streik zu unterstützen. Mehr als die Arbeiter von St. Petersburg
traten in den Streik. Diese Streiks entwickelten sich in den folgenden 5 Tagen und mit
22 - Internationale Sozialisten
Unterstützung der Soldaten zur Revolution. Mehrere Kasernen liefen zur Revolution über.
Schon während des Aufstandes gab es in den Betrieben Wahlen zu Arbeiterräten.
Der Bourgeoisie fehlte der Mittelstand und das internationale Großkapital. Die
Großgrundbesitzer waren als Adlige zu sehr mit dem Zaren verbunden. Sie wollten eigentlich
keine Revolution, keine Republik und kein Duma-Parlament, die Machtübernahme war ihnen
einfach peinlich und sie fürchteten sich vor den entschlossenen Massen. Der Sowjet musste die
Bürgerlichen sozusagen zur Duma treiben. „Auch Vertreter der besitzenden Klasse werden,
wenn auch zähneknirschend, beim Sowjet Schutz, Weisungen und Entscheidung bei Konflikten
suchen.“, schreibt Trotzki. Die Führung der Revolution hatten die Bolschewiki, aber die
Massen konnten nach 5 Tagen Bolschewiken und Menschewiken noch nicht auseinander
halten, weshalb die letzten im Sowjet noch die übergroße Mehrheit hatten. Auch national
bildeten die Bolschewiki nur eine kleine Minderheit und die Sozialdemokraten haben wie
immer nichts Eiligeres zu tun, als dem Bürgertum die Macht hinterher zutragen. Aber das sollte
sich in den folgenden Monaten nach der Reifung der Räte total ändern.
Werner Halbauer: „Die Februarrevolution 1917“
Leo Trotzki: „Geschichte der russischen Revolution, Band 1“
Russland Oktoberrevolution 1917
Nachdem Lenin aus dem Schweizer Exil zurückkehrte, trennte er sich als erstes von seiner
alten Forderung nach der »demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft«
und schloss sich mit den Aprilthesen Trotzkis Orientierung an die Arbeiterräte an. Nachdem
Trotzki im Juni in die Bolschewistische Partei entrat, wurde er in der Parteifrage Leninist. Die
beiden großen Männer des Marxismus brachten gemeinsam die spontan entstandenen
Arbeiterräte im Oktober in dem kaum kapitalistisch entwickelten Russland an die Macht. Alle
anderen Beispiele der Rätedemokratie blieben mit der Revolution unvollendet, weil dort die
Parteien entweder noch nicht entwickelt waren oder aber ab 1924 mit dem Stalinismus sich
vom Gedanken des authentischen Marxismus der Selbstbefreiung der Arbeiterklasse.
Im Juli forderten die Arbeitermassen in Petrograd von sich aus die Machtübernahme durch
die Sowjets. Die Bürgerlichen in der Duma lösten einfach keine von der Revlution gestellten
Aufgaben wie den Krieg zu beenden und Elend und Hunger abzuschaffen
Aber die anderen Städte waren noch nicht so weit und so mussten die Bolschewiki die
Arbeiter bremsen. Ohne Bolschewiki hätten die Julitage nur zu einem Blutvergießen durch die
Bürgerlichen geführt. Die Propaganda des Kapitals schaffte das Märchen vom ersten
Putschversuch der Bolschewiken, obwohl doch diese vor einer übereilten Aktion warnten.
„Die bolschewistischen Zeitungen wurden verboten. Die bolschewistischen Truppenteile
aufgelöst. Man nahm den Arbeitern die Waffen weg. Die Parteiführung mussten sich
verbergen, die anderen saßen in Gefängnis.“ (“ Trotzki, 1917“)
Im August wurde mit einem taktischen Geniestreich von Lenin und Trotzki alles weder
wettgemacht. Der Faschist Kornilow wollte die Diktatur errichten, was auch im Interesse vieler
Bürgerlicher lag. Nun war Lenin vor dem sozialrevolutionären Präsidenten (etwa vergleichbar
mit den Grünen) Kerenski nach Finnland geflüchtet und Trotzki saß im Gefängnis.
Dennoch riefen sie zur Verteidigung von Kerenski auf. Dafür wurden die Arbeiter von der
Regierung extra wieder bewaffnet und alle, besonders Soldaten und Eisenbahner, brachten
triumphal die Kornilow-Bande kläglich zum Scheitern. Das brachte den Bolschewiki in ganz
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 23
Russland Mehrheiten in den Räten ein, so dass sie zur Planung der Revolution im Oktober
übergehen konnten. In der Arbeiterschaft und in den Räten wollte man schon lange die
Revolution durchführen, in Petrograd schon im Juli. Natürlich kann man den genauen Termin
und die genau Aufstandsplanung nicht in aller Öffentlichkeit besprechen. Deshalb Lenin einen
Putsch unterzustellen, wie wir es von der bürgerlichen Journaille kennen, ist bösartige
Geschichtsfälschung.
Im Oktober wurde Trotzki wieder zum Vorsitzenden des Arbeiterrates gewählt. Der von dem
„Militärischem Revolutionskomitee“ unter Trotzkis Leitung vorbereiten Revolution schlossen
sich alle Arbeiter an, sonst wäre sie gar nicht erfolgreich gewesen. Es gab nur sechs Tote, im
Verhältnis zu den bürgerlichen Revolutionen wie der französischen ist das gar nichts. Das
100fach fressen die herrschenden Kapitalisten jeden Tag zum Frühstück.
Das Problem war, dass die Arbeiterklasse nur 4,5% betrug. Ohne Arbeiterklasse aber sind
keine Arbeiterräte möglich. Das wussten selbstverständlich auch Lenin und Trotzki, aber sie
haben die Revolution dennoch gemacht, damit sie als Fanal für die Weltarbeiterklasse diente.
In einem Land lässt sich die Revolution zwar anfangen, aber nicht vollenden. Das entwickelte
Trotzki in der „Permanenten Revolution“.
16 imperialistische Staaten griffen den Arbeiterstaat Russland an und danach gab es nur noch
2,5% desorientierte, hungernde und zermürbte Arbeiter. 1924 starb mit 54 Jahren Lenin und
nun hatte Stalin mit seinen Schlägerbanden, Arbeitslagern und Hinrichtungen leichtes Spiel,
den Sozialismus von Marx in sein genaues Gegenteil zu verkehren.
Schon 1924 lässt er die Theorie vom „Aufbau des Sozialismus in einem Lande“ ausarbeiten
und erdreistet sich dabei noch, das Kleid des Marxismus überzuziehen. Um den
Bürokratenplan 1929 zu verwirklichen, wurden die Arbeiterräte und die unabhängigen
Gewerkschaften als Machtinstitute der Troika abgeschafft die Arbeiterräte „sollen vielmehr
dabei helfen, die Ein-Mann-Leitung zu gewährleisten". 1936 richtete er in den Moskauer
Prozessen den letzten Rest der marxistischen Führung hin. So stalinisiert er alle
Kommunistischen Parteien der Welt und diese konnten damit, solange der Kapitalismus noch
eine kleine Vitalität besaß, sehr leicht die angefangenen Revolutionen der
Arbeiterrätebewegung von unten im Verein mit den Privatkapitalisten ersticken.
Leo Trotzki: „1917“, „Kopenhagener Rede“,
Leo Trotzki: „Geschichte der russischen Revolution, Band 2+3“
Deutschland 1918
Der 1. Weltkrieg war eigentlich schon verloren, da befahl die Heeresführung noch einmal ein
Auslaufen in den Ärmelkanal gegen die Briten. Am 30. Oktober 1918 meuterten die
Wilhelmshavener Matrosen, die daraufhin nach Kiel verlegt wurden. Am 4. November
brachten die Soldaten und Arbeiter die öffentlichen und militärischen Einrichtungen Kiels
unter ihre Kontrolle. Am 9. November eskalieren die Arbeiteraufstand derart, dass Kaiser
Wilhelm II nach Holland flieht. Betriebsbesetzungen fanden bis dahin kaum statt.
„Vom 16. - 21 Dezember wurde auf dem ersten Rätekongress in Berlin die Frage nach der
Staatsform diskutiert (298 Delegierte = SPD, 101 = USPD, 25 = Demokraten - Liberale).
Die SPD setzte sich mit ihrer Vorstellung durch, die Entscheidungen der am 19. Januar 1919
zu wählenden verfassungsgebenden Nationalversammlung zu übertragen (344 dafür, 98
dagegen).“ Norbert Nelte
24 - Internationale Sozialisten
Die KPD wurde erst danach, am 31.12. mit 3-4 Tausend Mitgliedern gegründet. Rosa
Luxemburg trat mit dem Spartacusbund als Fraktion der USPD zusammen mit diesem aus der
SPD ausgetreten, aber viel mehr als 2.000 waren e Neujahr 1918 auch nicht. Aber auch Lenins
Organisation geleitet von Karl Radek, die „Bremer Linksradikalen“ kamen über 200
Mitglieder nicht groß hinaus.
Der Punkt war einfach der, dass der Kapitalismus noch nicht einmal angefangen hat. Die
Kollegen hatten noch überhaupt keine Erfahrung mit ihm gemacht. Die Profitrate stand noch
1919 nach Mandel bei 16,2% und der Kapitalismus hatte noch sehr viel Vitalität.
Im Januar 1919 provozierte die Regierung die Arbeiter mit der Verhaftung des USPD-
Mitglieds und beliebten Berliner Polizeipräsidenten Eichhorn. Daraufhin liefern sich Tausend
Arbeiter schwere Kämpfe mit Waffen mit den Regierungstruppen, von denen sich auch
Liebknecht, Ledebour und Pieck mitreißen ließen. Das Ergebnis dieser sinnlosen Aktion war
nur, dass
„unter der Führung des SPD-Mitgliedes Noske die Freikorps in Berlin einrücken und ein
blutiges Pogrom gegen die revolutionäre Arbeiterbewegung organisierten. Mit dem Mord an
Luxemburg und Liebknecht wurde die revolutionäre Linke auch ihrer theoretischen Führer
beraubt; die kurzen Novembertage fanden mit dem Anfang des Aufstiegs der SPD an die
Macht ihr blutiges Ende.“ Norbert Nelte
Norbert Nelte „Novemberrevolution ohne Führung“
Chris Harman: „Die Verlorene Revolution“
Ungarn 1919
Die Wirtschaft Ungarns bestand schon 1919 aus 30,4% Industrie, 60% der Großindustrie lag
in Budapest. Dennoch arbeiten auf Latifundien noch 1,8 Millionen mehrheitlich magyarische
Landarbeiter (mit Angehörigen 4,4 Millionen).
„„ DD e r rr EE r rr s ss t tte e WW e l ll t ttk k r rr i iie e g
t tt r rr i iie e b
d i iie e p o l ll i ii t tt i ii s ss c h e n ,, , s ss o z zz i iia a l llök öko
o n o mm i ii s ss c h e n
u nd nd
n a t tt i iio o n a l lle e n
KK on on
f ff l lli iik k t tte e zzz
u r rr r rr e v o l llu u t tt i iio o n ä r rr e n
S i ii t ttu u a t tt i iion on
,, , d i iie e –
äh ähn
n l ll i iic c h
ww i iie e i iin n RR u ß l llan and
d ,, , DD e u t tt s ss c h l lla a nd nd
un und
d i iin n d de e r rr ö s ss t tte e r rr r rr e i iich ch
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(Karl-Heinz Gräfe, S. 887)
Es kam im 31. Oktober zu großen Streiks und der Asternrevolution, die Wien veranlasste,
einer bürgerlich-sozialdemokratischen Regierung einsetzen zu lassen.
„Da die meisten bürgerlichen Minister die Konterrevolution unterstützten und die
versprochenen sozialökonomischen Reformen hinauszögerten, teilten Bauern eigenmächtig
Magnatenland auf, verschafften sich Arbeiter Waffen und kontrollierten Betriebe. Auch die
700 000 aus der Kriegsgefangenschaft Entlassenen, die 100 000 Arbeitslosen, die 260 000
Invaliden sowie die aus den besetzten Gebieten Geflüchteten erwarteten mehr von der
Revolution.“ (Karl-Heinz Gräfe, S. 890)
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 25
Es kam immer wieder zu Streiks, Schießerei von der Polizei, Verhaftungen und Folter an
KP-Führer Bela Kun. Trotzdem half das alles nicht mehr der bürgerlichen Regierung.
„Die Sowjetrepublik wurde friedlich am 21. März 1919 gegründet… Was sie allerdings nicht
tat, war, der Masse des ungarischen Volkes, der Bauernschaft, einen Anteil an der neuen
Ordnung zu geben. Trotz aller Ratschläge und dringenden Bitten aus Moskau wurden die
großen Ländereien einfach verstaatlicht mit dem Ergebnis, »dass die Errichtung der
proletarischen Diktatur im ungarischen Dorf fast nichts änderte, dass die Tagelöhner nichts
merkten und die Kleinbauern nichts erhielten«
(Duncan Hallas, S. 37)
Die Sowjetregierung hat nicht nur der Bauernschaft trotz dringender Bitten aus Moskau
keinen Anteil an der neuen Ordnung gegeben, sondern es wurden sogar noch die alten
Großgrundbesitzer als Leitung eingesetzt. Die europäischen Kommunisten wollten nicht
einsehen, dass sie n einem noch agrarischem Land die Bauern einbinden mussten (Die
Landarbeiter sowieso). Die Taktik ist nun eine Sache der Führung, nicht der Arbeiterbasis. Es
hat sich hier schon ausgedrückt, dass die ungarische Partei keine so genialen Taktiker wie
Lenin und Trotzki in ihren Reihen hatte. So fand der ungarische Räteversuch schon im August
1919 durch den Angriff der Franzosen und Tschechen sein Ende.
Duncan Hallas „Die Komintern“, S.36, Die Bauern und die Kolonialwelt
Karl-Heinz Gräfe: „Von der Asternrevolution zur Räterepublik. Ungarn 1918/19“
Italien 1919/20
„Italien ging aus dem Ersten Weltkrieg als der schwächste unter den "Siegern" hervor. Die
Herrschenden hatten wenig anzubieten als Gegenleistung für die halbe Million Tote und die
riesigen Kriegsschulden. Die Lebenshaltungskosten waren seit der Vorkriegszeit um das
Sechsfache gestiegen und liefen immer noch davon. Das Ergebnis waren jene zwei Jahre, die
in die italienische Geschichte unter dem Namen "Biennio Rosso" - "die Zwei Roten Jahre" -
eingegangen sind.“ (Duncan Hallas, S. 45)
Es folgte eine Welle von Streiks, Fabrik- und Landbesetzungen, Demonstrationen und
Straßenkämpfen. Wegen der steigenden Lebensmittelpreise entwickelte der Protest sich zu
Aufständen. Angefangen in Turin gründeten die Arbeiter Fabrikkomitees. Die Arbeiterbasis
war reif für die Revolution. Der Vertreter einer Transportfirma rief bei den Fiat-Werken in
Turin an in der Hoffnung, den Manager zu sprechen:
»Hallo. Wer ist da?«
»Hier ist der Fiat-Sowjet.«
»Ah!... Entschuldigung... Ich rufe wieder zurück...«
Jetzt könnten die Parteien leicht die Arbeitermassen in die Revolution und an die Macht
führen, aber Pustekuchen, die PSI bezeichnete die Landbesetzungen als kleinbürgerlich und die
Fabrikräte als „Reich des Irrsinns“. Sie entwickelte überhaupt keinen Plan, die Arbeiter an die
Macht zu führen. Die PCI spaltete sich erst im September 1921 ab, weil die PSI in der
Komintern war. Lenins Taktik der Einbindung der reformistischen Parteien mit den 21
26 - Internationale Sozialisten
Bedingungen klappten bei der PSI wie bei der USPD keineswegs. Das italienische Debakel
endete dann 1922 im Faschismus.
Duncan Hallas „Die Komintern“, S.45, Das italienische Debakel
Chris Harman: „Gramsci gegen Reformismus“
Alle bisherigen Räteversuche waren Ergebnis von Kriegen und des Hungers. Sie standen alle
am Anfang des Kapitalismus, als diesem noch eine Zukunftsaussicht stark machte. Alle
Räteversuche kamen wegen der Unerfahrenheit der marxistischen Parteien über das
Spontanstadium nicht hinaus, mit Ausnahme von Russland 1917 dank der taktischen Genies
von Lenin und Trotzki. Nur konnte hier nach Lenins Tod 1924 wegen der kleinen
Arbeiterklasse von 2,5% Stalin seine Konterrevolution durchführen.
Alle im Arbeiterrat vertretenen Parteien gingen ab 1918 mit Anschlägen und Bomben gegen
die Arbeiterverfassung vor und mussten selbstverständlich verboten werden, wobei die
Bolschewiken immer wieder betonten, so schnell wie möglich und die Wirtschaft es zulässt
wieder zur Demokratie zurückzukehren. Aus der Not der authentischen Marxisten machte
Stalin eine Tugend und verkehrte den Marxismus in sein genaues Gegenteil.
Nun stalinisierte er alle kommunistische Parteien in der Welt. Ihre Aufgabe war es jetzt nicht
mehr, der Arbeiterklasse bei ihrer Emanzipation zu helfen, das wäre für herrschende russische
Bürokratie ein Dilemma gewesen, alle Verbündete wären ihnen in Scharen wieder davon
gelaufen. Deshalb mussten die KPen jede Emanzipationsbewegung konterkarieren. Spanien
1936 läutete diese Etappe bis zum Untergang des Staatskapitalismus 1989 ein. Die Moskau-
Stalinisten lösten sich in reformistische Parteien auf und spielen nur noch eine Rolle wie die
linke SPD.
Die Mao-Stalinisten haben sich im KBW in den grünen Reformisten, der BWK bei den linke
Reform-Stalinisten und der Rest hat keine Bedeutung mehr und können und manche wollen
auch nicht mehr wie im Iran 1979 das Aufkommen von Räten durch Ignoranz behindern.
Spanien 1936
Da es in Spanien nach 1918 keine Rätebewegung gegeben hat, wurden die alten Probleme
nicht angegangen und warteten noch auf eine Lösung:
der völlig unterprivilegierten Stellung der Land- und Industriearbeiterschaft, die zum Teil
radikale gesellschaftliche Umbrüche anstrebte
1. der Auseinandersetzung um das kulturelle Monopol der Katholischen Kirche
2. dem auf heftigen Widerstand treffenden Bestreben der Basken und Katalanen, sich von der
Zentralregierung zu emanzipieren
3. der mangelnden Kontrolle des Militärs durch die Regierung, seiner Entfremdung von weiten
Teilen der Gesellschaft und seiner Rolle als „Staat im Staate“.
1936 gewann das Volksfront-Bündnis mit Sozialdemokraten, Liberale und Stalinisten die
Wahlen. In der Folge kam es zu Landbesetzungen, Arbeiterräten, Streiks und Straßenkämpfen
mit der faschistischen Falange, die einen Krieg unter Franco von Marokko aus anfing. Die
spanische Rätebewegung war sozusagen eine nachgeholte Bewegung für die Grundfragen des
Kapitalismus bei seiner Gründung.
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 27
Die absolute Führung bei den Arbeitern hatten die Anarchosyndikalisten von der FAI. In
ihrer Gewerkschaft CNT waren 1,5 Millionen Mitglieder. Die Massen wollten mehr als das
Bürgertum, nicht aber die FAI.
Sie lehnten es aber ab, einen zentralen Arbeiterrat in Madrid einzurichten. Dieser ist aber
notwendig für eine gemeinsame Sozial-, Wirtschafts- und erst recht Kriegspolitik gegen Franco
und … für die Revolution. Auf sie verzichteten sie mit dem Argument, dann könnte sich ja
auch England und Frankreich gegen sie stellen. Der mangelnden unterstützung hätte die
Volksfront aber so begegnen können, indem sie Marokko die Unabhängigkeit geben können.
Statt einer Zentralisierung des Arbeiterrates für eine sofortige Doppelherrschaft traten sie am
26.9.36 in die liberale Regierung ein. Der führende Genosse der Anarchosyndikalisten hieß
dann »Seine Exzellenz, der Herr Minister der Justiz, Genosse Garcia Oliver...« (Sommer, S
10). Das erinnert doch stark an den Ex-Sponti-Anarchist „Seine Exzellenz, der Herr Minister
des Äußeren, Ex-Genosse Joschka Fischer“. Nur seine Aufgabe ist ja nicht mehr die Führung
der Arbeiterräte.
Den Eintritt in die liberale Regierung mussten die Anarchisten mit der Entwaffnung ihrer
Arbeiterbasis bezahlen. Es gab noch die Abspaltung um Durutti. Nur er verstand auch nicht,
dass das Dilemma der Anarchisten darin liegt, die Arbeiter gar nicht an die Macht führen zu
wollen. „Keine Macht für Niemand“ ist aber erst in der klassenlosen Gesellschaft möglich,
nicht bei den Stalinisten und bei Francos Anmarsch.
Auf den Barrikaden Barcelonas zerrissen die Arbeiter dann die Anarchozeitung. Der Verrat
der Stalinisten gepaart mit der Unfähigkeit der FAI eröffnete den Sieg von Franco.
Fred Sommer: Anarchismus ohne Organisation? Am Beispiel Spanien 1936
Spanischer Bürgerkrieg – Wikipedia
Der Kapitalismus hatte noch ein langes Leben. Nach dem 2. Weltkrieg entfaltete er durch
den Rüstungskapitalismus des Korea-Krieges erst richtig in Schwung gebracht eine lange
Aufschwungsphase, die erst 1972 ihr Ende fand. Aber er schleppte sich noch bis 2001 dahin.
In dieser Zeit erstritten die Arbeiter mehrere Rätebewegungen. Wir werden im 2. Teil die
Arbeiterräte von Ungarn 1956, Portugal 1974, Iran 1979 und Oaxaca 2006 beleuchte. Oaxaca
war auch schon der 1. Testlauf für die kommenden Rätebewegungen in der Agonie der
Marktwirtschaft, die dann von den Rätedemokratien abgelöst wird.
Wir haben schon gesehen, dass alle bisherigen Räte am Beginn des Kapitalismus standen
und dort die eigentlichen Aufgaben des Bürgertums übernahmen, die diese nur zögerlich
angingen. Wie die Machtübernahme, das allgemeine Wahlrecht besonders für Frauen,
Organisations-, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit, Gesundheitsfürsorge. In Spanien
wurden diese Aufgaben erst 1936 nachgeholt. Genauso verhält es sich mit den
Nachkriegsrätebewegungen Portugal und Iran, wobei Ungarn 1956 durch den Stalinismus
zurückgeworfen wurde. Der nach dem spontanen 1. Schritt folgende organisierte 2. Schritt der
Machtübernahme blieb am Anfang außer in Russland wegen dem mangelnden
Differenzierungsprozesses der Parteien aus. Ab 1936 verhinderte der Stalinismus eine
Bewegung von unten.
28 - Internationale Sozialisten
Oaxaca 2006 war der erste Räteversuch am Ende der Marktwirtschaft, der aber nur in einem
kleinen Landsteil durchgeführt wurde. Wird die Bewegung auch eine starke revolutionäre
Arbeiterpartei entwickeln, die die Interessen der Arbeiterklasse vertritt und die Bewegung
voran bringen kann? Sind solche Kerne schon vorhanden? Das werden die wichtigsten Fragen
sein, die uns auch in der Nachkriegsgeschichte der Rätewegung beschäftigen werden.
Geschichte der Rätedemokratiebewegung!
2. Nach dem 2.
Weltkrieg
Direkt nach dem 2. Weltkrieg,
noch vor dem offiziellen Ende,
bildete hauptsächlich die KPD in
allen Städten ganz Deutschlands
Arbeiterräte. Sie nannten sich
Antifa-Komitees und am 19. April
1945, also einen Monat vor der
offiziellen Kapitulation, fand
bereits das erste Treffen von
Betriebsräten aus sechs
Ruhrstädten illegal statt. In einem
Bericht der amerikanischen
Historiker Almond und Kraus
werden diese Verhältnisse
deutlich:
»Fast ausnahmslos wurden die
alliierten Truppen bei der
Besetzung größerer deutscher
Städte von Delegationen linker
Antifaschisten empfangen, die
fertige Programme, Kandidaten
für die örtliche Verwaltung und
Unterstützung bei der
Durchführung Entnazifizierung
bereit hielten. Ihre
Untergrundorganisationen
hatten die Grundlage für eine
rasche Rekrutierungskampagne
vorbereitet.«
Nur, weil die Räte nicht selber
spontan erkämpft waren, wurden
sie auch am 19.4.45 von den USA und den Russen verboten. In dem Moment, wo sie von oben
organisiert gegründet wurden, waren sie auch schon verboten, weil keine breite Bewegung
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 29
dahinter stand. Nach dem Krieg gab es zwar eine Zustimmung zum Sozialismus in ganz
Deutschland von 80%, aber die Menschen waren mit dem direkten Überleben beschäftigt.
Norbert Nelte: „Generalstreik 1948: Nie wieder Krupp!“
Typisch spontan entstandene Arbeiterräte wie die vor dem Krieg sind die ersten nach dem
Krieg die von Ungarn 1956, weil es hier gar keine wirkliche Arbeiterpartei unten geben durfte
und damals noch nicht im Untergrund gegeben hat, die sie organisiert hätten. Hier wurden die
demokratischen Kräfte zwar schon 1919 entwickelt, aber erst die habsburgischen Monarchie,
der Nationalsozialismus und dann der Stalinismus hatten diese Entwicklung wieder zunichte
gemacht.
Ungarn 1956
1953 starb Stalin und 1956 distanzierte sich Chruschtschow in der Geheimrede von seinem
Terror, ohne aber das staatskapitalistische System zu kritisieren. Daraufhin entwickelte sich die
Bürokratie im Warschauer Pakt liberaler. Der kommende Mann in Polen Gomulka machte den
Arbeitern, Intellektuellen und niederen Funktionäre Zugeständnisse beim Lohn und
Veränderungen, da ein Streik, Demonstrationen und Aufstände die Bürokratie unter Druck
setzte.
Das wiederum inspirierte die Ungarn zu weiteren Aktionen. Am 23. Oktober forderten die
Studenten um den Petöfi-Kreis den Abzug der russischen Truppen und das Streikrecht für die
Arbeiter. die politische Polizei und die Russen eröffneten das Feuer auf sie, das wiederum die
Arbeiter massenhaft auf die Straße trieb. Der liberale Bürokrat Imre Nagy wurde zum
Ministerpräsident ernannt. Schon am 24. entstanden überall Arbeiterräte.
Das bürokratische System ist nicht in der Lage, eine optimale, rationelle Produktion zu
organisieren. Erst wenn der Arbeiter total frei ist und auch über die Produktionsmittel verfügt,
wird er sich Gedanken über ein rationellen, umweltschonenden, gesunderen Arbeitsablauf
machen. Der Rüstungswettlauf zwischen Ost und West setzte das Akkumulationsgesetz auch
im Osten durch. Der Arbeiter würde statt mit teuren Raketen mit Flugblättern und
Gefangenenfeilassung wie Lenin 1919 mit den Ungarn die Köpfe der Arbeitersoldaten der
Feinde gewinnen.
Das Ergebnis war, dass 3,5 Millionen ungarische produktive Arbeiter alleine 1 Millionen
Staatsbedienstete mit den Staatssicherheitsparasiten ernähren mussten. So zwangen ständige
Normerhöhungen und Arbeitshetze trotz minimaler Löhne und Unterproduktion die Arbeiter
geradezu zum Aufstand.
„In Budapest zogen die Arbeiter auf die Straßen - und im Verlauf der Kämpfe erfolgten die
heftigsten Zusammenstöße in den industriellen Vororten. Auch in anderen Landesteilen
erhoben die Arbeiter ihre Forderungen; im Nordosten Ungarns wählten dreißigtausend
Bergarbeiter Delegierte, die den Ruf nach freien Wahlen erheben sollten. Die Bauern rund
um Budapest versorgten die Kämpfenden mit Lebensmitteln.
Zwischen dem 28. und 30. Oktober breiteten sich die Arbeiterräte wie ein Lauffeuer in ganz
Ungarn aus, … ihre Ziele waren überall ähnlich: die Lebensmittelversorgung zu
organisieren, mit den sowjetischen Truppen zu verhandeln, die Ordnung aufrechtzuerhalten
30 - Internationale Sozialisten
und ungezügelte Elemente in den eigenen Reihen zurückzuhalten. Sie warfen auch die
allgemeine Frage der Kontrolle der gesellschaftlichen Produktion auf.“ Birchall, S. 57
Am 28. Oktober erkannte Nagy offiziell die Revolution an. Er bildete eine Mehrparteien-
Regierung und forderte die parlamentarische Demokratie und die Neutralität Ungarns.
Ungarische Armee und Freiheitskämpfer wurden zur Nationalgarde vereinigt und unter die
Führung von Béla Király gestellt.
Am 4. November überfiel Russland mit seinen Panzern wieder das kleine Land, aber von den
kurzen Träumen blieb immerhin eine Lohnerhöhung und die Rücknahme der
Produktionsnormen. Nagy flüchtete in die jugoslawische Botschaft und János Kádár wurde von
den Russen wieder als Ministerpräsidenten eingesetzt.
Die Arbeiterräte stellten aber immer noch gegenüber der Regierung beinah eine zweite
Macht dar, eine Doppelmacht. Kádár versuchte nun, den Arbeiterrat in die Regierung
einzubinden und bot dem Vorsitzenden des Arbeiterrates Sándor Rácz an, drei Mitglieder des
Zentralen Arbeiterrates in die Regierung aufzunehmen. Rácz lehnte dieses Ansinnen nicht nur
ab, sondern fragte: „Wann ziehen die sowjetischen. Truppen ab, wann kehrt Imre Nágy in die
Spitze der Regierung zurück, und wann werden die Arbeiterräte gesetzlich anerkannt?“ Am 23.
November erfolgte seitens der Regierung die Anerkennung des Arbeiterrats. Aber bereits am 9.
Dezember wurde der Budapester Arbeiterrat zusammen mit allen regionalen Arbeiterräten
verboten. Anlass war der erfolgreiche Aufruf des Zentralen Arbeiterrates zu einem
Generalstreik. Erst am 8. Januar 1957 löste der Arbeiterrat sich dann endgültig auf. Der
Versuch der Arbeiter, die von Marx vorgeschlagene Rolle als führende Klasse zu übernehmen,
ist damit im Staatskapitalismus vor seiner Auflösung endgültig beendet worden.
Die Moskau-Stalinisten nennen den Versuch der ungarischen Arbeiter, sich selber zu
befreien immer noch eine Konterrevolution. Damit zeigen sie letztlich, dass sie nichts, aber
auch gar nichts mit Marx am Hut haben, sondern nur das genaue Gegenteil, aber das werden
wir in der weiteren Betrachtung noch eingehend beleuchten müssen.
Ian Birchall: Arbeiterbewegung und Parteiherrschaft, Ungarn, S. 56
http://www.sozialismus.info/?sid=1807
Portugal 1974/5
Das kleine faschistische rückständige Agrarland Portugal betrieb noch 1974 das drittgrößte
Imperium in der Welt. Die Kosten der Unterdrückung stiegen ins Unermässliche. Die
Militärausgaben stiegen 1960 von 20% auf 43% in 1973. Die Produktivität betrug nur 2/3 des
spanischen Standards, die Inflation stieg 1973 von 21% auf 24% in 1974. Die wegen der hohen
Militärausgaben unterlassene Behandlung der sozialen Probleme verhinderte ein weiteres
Wachstum der portugiesischen Wirtschaft. Somit konnte die Industrie mit dem restlichen
Europa nicht mithalten.
Das klerikal-faschistische Regime Caetanos wollte sich nicht mehr bewegen. Caetano, der
Nachfolger Salazars, konnte dann bei der weltweiten Verwandlung des Kolonialismus in den
Neokolonialismus nicht mehr mitmachen. Der Neokolonialismus räumt zwar formell ihren
früheren Kolonien nationale politische Unabhängigkeit ein, behält aber über
Kapitalbeteiligungen in Schlüsselindustrien besonders des Rohstoffsektors ein großes Maß an
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 31
ökonomischer und damit auch indirekter politischer Kontrolle. Um also nicht ganz die
Kontrolle in Afrika zu verlieren, musste Portugal dort weiter die politische Herrschaft um jeden
Preis behalten. Dieser Preis wurde in den 70er Jahren zu hoch. Eine Armee von 200.000 Mann
verschlang bald die Hälfte des Staatshaushaltes.
Dazu war das mittlere Offizierskorps unterbezahlt. Ihre Kritik an der Soldhöhe wechselte
bald um in eine grundsätzliche Kritik am Kolonialkrieg. Nachdem General Spinola zu der
Überzeugung gelangte, dass der Krieg in Afrika nicht zu gewinnen ist, setzte er sich von
Caetano mit dem Buch "Portugal und die Zukunft" (Februar 1974) offen ab. Spinola, selber
afrikanisches Blut an seinen Händen, konnte am ehesten die Interessen der Konzerne und der
Offiziere unter einen Hut bringen.
400 Offiziere putschten organisiert im MFA am 25.4.1973, aber es war niemand mehr da,
der das faschistische Regime retten wollte. Seit 1920 herrschte dort der Faschismus, insofern
mussten hier alle Aufgaben der Bourgeoisie von den Anfängen des Kapitalismus erst
nachgeholt werden. Die Zeit für die Arbeiter, ob Hand- oder Kopfarbeiter, die Frauen oder die
Jugend war praktisch stehen geblieben und der 25. war für alle eine unwahrscheinliche
Befreiung. Dass die MFA erst einmal gar nicht so weit nach links gehen wollte, zeigte sich
daran, dass sie den Ex-Faschisten-General Spinola zum General erhoben. Aber die Arbeiter
interpretierten ihre neue Freiheit anders. Gleich nach dem Putsch gründeten sie im ganzen
Land Fabrikkomitees
Mit ihnen entstand sehr schnell eine Doppelherrschaft. Die Komitees führten eine
Preiskontrolle durch, die Bankangestellten verhinderten die Kapitalflucht der Kapitalsten und
veröffentlichten auf Wandzeitungen vor ihrer Bank jeden Fluchtversuch. Es wurden besonders
im Alentejo im Süden von den Landarbeitern auf dem besetzten Großgrundbesitz revolutionäre
Richter gewählt, die Komitees organisierten Hausbelegungen und die Arbeiter besetzten die
Betriebe und die gewählten Räte leiteten sie basisdemokratisch. Aber hier lagen schon zwei
Fußangeln.
Die MFA rückte mit dem Druck der Massen immer weiter nach links und sozialisierte das
nationale Kapital, nicht aber das internationale. Ohne aber das wesentliche internationale
Kapital zu verstaatlichen, kann man keine erfolgreiche Wirtschaftspolitik durchführen und mit
der Wirtschaft ging es immer weiter bergab. Da nun die MFA auf Druck der Arbeiter immerhin
das nationale Kapital verstaatlichte, glaubten die Massen ihre Sache bei der MFA noch in
guten Händen und sahen noch nicht die Notwendigkeit, die Arbeiterräte auch zu zentralisieren
und damit der MFA ein Machtinstrument entgegenzusetzen, noch nicht.
Im April 1975 gründete dann die PRP einen nationalen Arbeiterrat, den CRTSM, die „Räte
der Revolutionären Arbeiter, Soldaten und Matrosen“, der aber nur die von den
Revolutionären beeinflussten Räte umfasste. Die Hoffnung war, dass diese dann auch alle
Betriebe inspirieren werden, noch waren sie auf Lissabon und den Alentejo konzentriert.
Die PRP (Halbschwesterorganisation des IS) war beim Putsch 200 Mitglieder stark, eine von
der PCP abgespaltenen militanten Gruppe. Bei der Konterrevolution ein Jahr danach umfassten
sie immerhin 40.000 Mitglieder, aber noch auf der Suche. Sie wiesen aber als einzige Linke
den Arbeitern einen revolutionären Weg auf. So konnten sie im Revolutionären Rat zusammen
mit der zentristischen MES (Schwesterorganisation des KB) über 60% stellen. Die PCP kam
32 - Internationale Sozialisten
auf knapp über 30% und die maoistische MRPP auf 6%. Wohlgemerkt, das waren nur die
revolutionären Räte und schon gar keine bürgerliche Wahl.
Die PCP kam bei den revolutionären Räten nur auf einen für sie so geringen Anteil, weil sie
sich schon öfters bei Besetzungsstreiks oder anderen Kämpfen den Arbeitern in den Rücken
gefallen ist, wie bei den „Werftarbeitern von Lisnave, dem technischen Personal der TAP, die
Arbeiter des Jornal do Comercio oder den Postarbeitern, denen die PCP vorgeworfen hatte, von
"Reaktionären" angeführt zu sein“. (Cliff, S. 62) Bei der im harten Besetzungskampf stehenden
Zeitung Republika umfassten sie nur eine Minderheit, 2 von 15 Arbeitern. Politisch war die
PCP innerhalb der Arbeiterklasse völlig isoliert.
Dies ist das Ergebnis des Verrats an der Arbeiterklasse wie das auch bei den Basisräten in
Spanien 1936 und Ungarn 1956, ein klares Zeichen dafür, dass die Führung der sogenannten
Kommunisten den Sozialismus gar bekämpfen, jedenfalls den Marxistischen, wonach die
Befreiung der Arbeiter nur ihr eigenes Werk sein kann, Betonung auf nur.
Die Arbeiterklasse in Portugal war schon stark genug, um sich gegen das portugiesische
Kapital durchzusetzen. Die MFA war schon schwächer und die bürgerlichen Parteien inklusive
der Rechteen. Das sah man besonders an den zwei Putschversuchen von Spinola, die kläglich
endeten. Man fühlte sich schon nach Russland versetzt. Als Spinola seine Sondertruppen in
Marsch setzte, stoppten die Eisenbahner die Truppentransporte, die Arbeiter aus den Betrieben
kontrollierten die Autos und bewaffneten sich in den Polizeiwachen. Zum Schluss musste
Spinola in das Ausland flüchten.
Wir von der SAG, der Halbschwester der PRP/BR, hatten im August 1975 eine
Veranstaltung mit ihr über die aktuelle Lage durchgeführt. Die Genossen berichteten, dass es
nicht mehr lange dauern werde, und der Sieg für die Arbeiterklasse sei nicht mehr umkehrbar.
Deshalb steige die Gefahr, bevor es nicht mehr umkehrbar ist, dass das Bürgertum einen
massiven Putsch plane und dazu eine Provokation plane. Die Gefahr bestehe, dass Teile der
Linken in diese Falle tappen werde..
Die Bourgeoisie von Portugal selber war in der Tat
schon zu schwach und demoralisiert, um der
Arbeiterklasse mit vitaler Kraft eine eigene starke Vision
entgegensetzen zu können. Aber die EWG war 1975
noch lange nicht zu Ende wie 2008. So eilte Willy Brandt
Mario Soares mit CIA-Geldern zu Hilfe.
Im September 1975 wurde der linke General und
Copcon-Vorsitzender Otelo Carvalho mit einem
Vorwand verhaftet und nun ist das geschehen, wovor
Cliff und die PRP immer gewarnt hatten. 3 RAL-
Kasernen, die unter der Führung der Anarchisten standen,
versuchten Carvalho wieder zu befreien. Das nutzte
Panzergeneral Eanes, Parteifreund von Soares, um gegen
alle Revolutionäre vorzugehen und verhaftete die ganze
Führung der PRP.
Die Provokation des Kapitals lief nach dem gleichen
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 33
Muster wie 1919 in Deutschland. Am 5. Januar erließ die Reichsregierung unter Führung von
Friedrich Ebert gegen den beliebten Berliner USPD-Polizeipräsidenten Emil Eichhorn die
Absetzung und einen Haftbefehl. Daraufhin ließen sich eine Minderheit der Arbeiter mit Karl
Liebknecht im Berliner Zeitungsviertel zum stellvertretenden bewaffneten Spartakusaufstand
provozieren. Nun hatte die SPD eine Begründung, am 15. Januar Luxemburg und Liebknecht
ermorden zu lassen. Damit fand die Novemberrevolution ihren vorläufigen Höhepunkt. Im
Gegensatz zu Portugal hatte der Arbeiterrat eine Massenbasis, und damit ergaben sich noch
einige Möglichkeiten des Protestes.
In Portugal wuchs die PRP/BR innerhalb eines Jahres von 200 Mitgliedern auf 40.000 an.
Sie blieb aber trotz Kritik aus London und Warnungen von Tony Cliff ihrer militärischen
Denkungsweise bis zum Schluss verhaftet. So erläuterte sie auf der Doppelinnenseite, wie eine
Pistole gereinigt wird. Sie versäumte somit eine theoretische Weiterbildung ihrer Genossen.
Nach der Verhaftung ihres gesamten Führungskaders stoben der Rest der 40.000 in alle Winde
auseinander.
Am 25.11.75 entmachtete Panzergeneral Eanes den linken General Otelo Carvalho. Damit
war das Kapitel der portugiesischen Revolution beendet. Dank der genialen Arbeit von Tony
Cliff aber kann sie wie die Bearbeitung der Oktoberrevolution durch Lenin und Trotzki als
Wegweiser für die künftigen Rätebewegungen des ausgehenden Kapitalismus dienen.
Norbert Nelte: Alle Macht denen, die arbeiten!
Tony Cliff: Portugal vor der Entscheidung
Dieses Buch ist jedem überzeugtem Rätedemokratieanhänger wärmstens zu empfehlen, da es
die Revolution einer modernen Arbeiterklasse in Europa beschreibt und analysiert.
Iran 1979
Im Iran 1979 wurde dann die letzte Revolution durchgeführt, bei der die Arbeiterklasse die
Aufgaben des Bürgertums vom Anfang des Kapitalismus durchgeführt hatten. Es gab im Iran
nur wenig bürgerliche Demokratie. Erst die Madschles, die die Jungperser erkämpften. „Als
Vorlage diente die belgische Verfassung. Jedoch wurde das Parlament in der Folgezeit
mehrmals vom herrschenden Monarchen aufgelöst und nach Protesten und Unruhen wieder
gebildet (Erste Madschles 1906–08, Zweite Madschles 1909–11, Dritte Madschles 1915–18).
[Die Nationalversammlung regierte also nur nach des Monarchen Gnaden.] Mit Beginn der
Herrschaft Reza Schah Pahlavis (1926) hat das iranische Parlament regelmäßig getagt.“
Streiks und Demonstrationen brachten 1951 Dr. Mossadegh an die Macht, der gleich die
Anglo-Iranian-Oil Compony (heutige BP) verstaatlichte. 1953 wurde daraufhin Mossadegh mit
Hilfe des CIA und des britischen Geheimdienstes in der „Operation Ajax“ gestürzt und der
Sohn von Reza Schah, Mohammad Reza Schah Pahlavi als blutiger Diktator eingesetzt. Die
Zeit der konstitutionellen Monarchie von 1926-53 war vorüber. “Angesichts der populären
Demonstrationen, die eine vollkommene Säuberung der iranischen Politik forderten, machte
Mossadegh danach jedoch einen Rückzieher und rief die Armee zur Hilfe, um die Straßen zu
säubern und Gesetz und Ordnung wiederherzustellen. Auf diese Weise wurden gerade jene
Kräfte nach Hause geschickt, die die Regierung Mossadeghs hätten retten können.“ (M. Poya,
S. 4)
34 - Internationale Sozialisten
Anfangs arbeitete der Schah noch mit dem Klerus zusammen, aber Khomeini wurde,
hauptsächlich wegen seiner Opposition gegen die weitere kapitalistische Modernisierung 1963
vom Schah ins Exil geschickt. Mit der Hilfe des Geheimdienstes Savak errichtete der Schah ein
Terrorregime, das in der Neuzeit Chiles Pinochet noch weit übertrifft. Mord, Entführung und
Folter waren alltägliche Waffen des Staates. Der Schah reagierte auf Opposition nur mit
brutaler Unterdrückung. Nach Streiks und Studentenkämpfen wurden 1963 auf einer
Demonstration Zehntausend abgeschlachtet. Nur für das Lesen von Maxim Gorkis „Die
Mutter“ gab es die Todesstrafe. In den Gefängnissen saßen bis zu 100.000 Oppositionelle und
die zu Todesstrafe verurteilten wurden an Kränen öffentlich aufgehängt. Der CIA hatte wie
immer brutalste Beraterarbeit geleistet.
In den 70er Jahren ging es zwar mit der Wirtschaft aufwärts, aber damit finanziere der Schah
hauptsächlich den Unterdrückungsapparat, Iran war der größte Waffenimporteur. Ab 1977 ging
die Wirtschaft wieder zurück und nun erschütterte eine Streikwelle das Land. Die Slums im
Süden sollten niedergewalzt werden, da führten die Armen eine Demonstration durch, die wie
immer mit Todesschüssen endete. Die Opposition lebte wieder auf. Der Widerstand gegen den
Schah wurde jetzt überlaut und deutlich verkündet. Die Lage spitze sich zu. Im September 78
streikten die Ölarbeiter für
politische Forderungen. Die
Forderungen aller Industriearbeiter
wurden immer politischer. Die
Ölarbeiter förderten nur noch für
den heimischen Markt. Außer Gas,
Strom und Telefon wurden alle
Industrieanlagen voll bestreikt. Die
Hafenarbeiter und Seeleute
entluden nur noch Nahrungsmittel,
medizinischen Nachschub und das
für die politische Aktivität
notwendige Papier. Ab November
begann Khomeini aus seinem Exil
in Paris, zum Sturz des Schahs und
des ganzen kaiserlichen Systems
aufzurufen.
Noch wussten die Arbeiter nicht, dass sie selber mit den Arbeiterräten (Schoras) die
Machtfrage stellen werden. Maryam beschreibt deren anfänglichen Illusionen: „Die Arbeiter
begannen, sich ihre eigenen Gedanken um die politische Zukunft zu machen. Die Ölarbeiter
schrieben einen offenen Brief an Khomeini, in dem sie ihm ihre Unterstützung zusicherten,
gleichzeitig aber die Arbeiterbeteiligung an der zukünftigen Regierung forderten.“ (S. 18)
Im Winter flüchteten die ersten Kapitalisten ins Ausland und gewählte Streikkomitees
übernahmen die Führung der Fabriken. Der SAVAK konnte schon ab Herbst 78 keinen
Einfluss mehr auf die Streikkomitees ausüben. Die Arbeiter traten immer selbstbewusster auf.
Am 5. Januar 1979 verabredeten die westlichen Alliierten USA, England, Frankreich und
Deutschland auf der Konferenz von Guadeloupe, wohl aus Furcht vor der Macht der
Arbeiterräte, Khomeini die Macht zu übertragen.
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 35
Am 16. Januar 1979, nach achtzehn Monaten bitterer Kämpfe, wurde der Schah zum
Verlassen des Irans gezwungen. Seine Abreise war der Anlass für einen regelrechten Karneval
der öffentlichen Freude. Arbeiter und Soldaten lagen sich überglücklich in den Armen.
Am 1. Februar 1979 kam dann Khomeini aus dem Exil zurück und bildete als
Staatsoberhaupt und mit Bazargan von der Nationalen Front als Premierminister die Regierung.
Ein Arbeiter von Rofhan Pars, einem Tochterunternehmen von Shell, beschrieb das Dilemma
der Kollegen: »Die Revolution war siegreich wegen des Arbeiterstreiks. Wir jagten den Schah
fort und zerschlugen sein politisches System, aber alles ist so geblieben, wie es früher war. Die
vom Staat ernannten Manager haben die gleiche Einstellung wie die alten Manager. Wir
müssen unsere Schoras stärken, denn das Management fürchtet sich vor ihnen. Die wissen, daß
ihr Schicksal besiegelt ist, wenn die Schoras ihre Macht behalten. Sie können ihre
arbeiterfeindliche Politik nicht direkt umsetzen; also bekämpfen sie die Schoras erstmals auf
der Grundlage des religiösen Glaubens. Wenn wir den Mund aufmachen, ist ihre Antwort:
"Das ist eine kommunistische Verschwörung, um euren religiösen Glauben zu schwächen".
Was ich gerne wissen möchte, ist, was haben denn Schoras mit Religion zu tun? Arbeiter
werden alle gleich ausgebeutet, die moslemischen, die christlichen und die aller anderen
Religionen. Dieser blutrünstige Manager, der unseren Lebenssaft saugt, ist auf einmal guter
Moslem geworden und versucht, uns wegen unserer Religion zu spalten; wir sollten wissen,
daß wir nur siegen können, wenn wir unsere Einheit durch den Schora aufrechterhalten.«
(Maryam Poya, S. 23).
Iran wurde vom Imperialismus ökonomisch in Abhängigkeit gehalten, indem hauptsächlich
nur Montagebetriebe der Industrieländer, mehr als in Portugal, dort investiert wurden. Die
Arbeiter waren also abhängig von der Lieferung der Halbfertigfabrikaten aus dem Ausland der
Mutterfirmen und der Vorfinanzierung durch die Staatsbanken. Gleichzeitig waren sie noch
abhängig von dem Know-How der im Ausland studierten Ingenieure, die in der Regel mit dem
Management zusammenarbeiteten. Die Idee der Arbeiterräte ist besonders in der Mittelschicht
des Nahen Ostens sehr unpopulär, da sie die staatliche Schwäche dort eher mit einer
Zentralisierung des Kapitals bei einem starken Staat kompensieren will. Das gilt für die rechten
und linken Kleinbürger. Trotz der ganzen Widerstände haben es die Arbeiter geschafft, 8
Monate die Doppelherrschaft aufrecht zu erhalten.
Am 1. März gründeten die Arbeiterräte den Nationalen Arbeiterrat, die „Iranische Nationale
Arbeiterunion“, um ihre Interessen besser durchsetzen zu können und verabschiedeten ein
Manifest mit 24 Forderungen
»Wir, die Arbeiter Irans, haben durch unsere Streiks, Besetzungen und Demonstrationen den
Schah gestürzt. Während dieser Streikmonate haben wir Arbeitslosigkeit, Armut und sogar
Hunger erduldet. Viele von uns wurden im Kampf getötet. Wir taten dies alles, um einen Iran
frei von Unterdrückung und frei von Ausbeutung zu schaffen. Wir machten die Revolution,
um der Arbeitslosigkeit und der Obdachlosigkeit ein Ende zu setzen, um die SAVAKorientierten
Syndikate durch unabhängige Arbeiterschoras zu ersetzen, die durch die
Arbeiter eines jeden Betriebes für die eigenen wirtschaftlichen und politischen Bedürfnisse
gebildet wurden. Deshalb fordern wir:
1. Anerkennung der Schoras durch die Regierung;
2. Abschaffung des Arbeitsgesetzes des Schahs und Inkrafttreten einer neuen
Arbeitsgesetzgebung, die von den Arbeitern selbst geschrieben wurde;
36 - Internationale Sozialisten
3. Lohnausgleich für die steigenden Lebenshaltungskosten;
4. steuerfreie Zulagen;
5. ein kostenloses Gesundheitswesen anstelle des gegenwärtigen halbprivaten
Versicherungswesens;
6. Wohnungszulagen sobald wie möglich;
7. Lohnfortzahlung
8. Eine Vierzigstunden- und Fünftagewoche;
9. Entlassung aller Elemente, die mit dem alten Regime verstrickt sin d;
10. Ausweisung aller ausländischen Experten und ausländischen und iranischen Kapitalisten
und die Beschlagnahmung ihres Kapitals im Interesse aller Arbeiter;
11. ein Ende der Herabstufung der Arbeiter gegenüber den Angestellten und einen
verlängerten Jahresurlaub von einem Monat;
12. bessere gesundheitliche Bedingungen in den Fabriken;
13. Lohnfortzahlung;
14. ein Ende der disziplinarischen Bestrafungen und Strafgelder;
15. ein Ende der Intervention der Polizei, der Armee und der Regierung in betriebliche
Kämpfe;
16. Beteiligung der Arbeiterschoras an den betrieblichen Entscheidungen in bezug auf die
Investitionen und den allgemeinen Zustand die Preisfestsetzung und die Gewinnverteilung;
17. Bestimmungsrecht der Schoras über Einstellungen und Entlassungen;
18. Demonstrations- und Protestfreiheit und das Streikrecht;
19. Rückführung des Kapitals der Kooperativen an die Arbeiter;
20. kostenlose Mahlzeiten und Wascheinrichtungen sowie verbesserte
Sicherheitsbestimmungen am Arbeitsplatz;
21. Zurverfügungstellung einer Ambulanz, einer Krankenschwester, eines Bades und einer
Kindertagesstätte in den Arbeitsstätten;
22. gesetzliche Verträge und Arbeitsplatzsicherheit für alle Zeitarbeiter;
23. Bildung einer ärztlichen Beraterkörperschaft, um den Zustand von ungesunden und
kranken Arbeiter zu überprüfen und ihnen die Befreiung von der Arbeit und eine Rente zu
gewähren;
24. Herabsetzung des Rentenalters im Bergbau und in den Gießereien von zur Zeit 30 auf 20
Dienstjahre.«
Die Regierung Bazargans aber wollte eine islamische Republik. Die Regierung erklärte die
Schoras für anarchistisch und drohte mit ihren Auflösungen. Aber die Arbeiterräte ließen sich
davon nicht einschüchtern. Der Schora auf den Ölförderanlagen warf den Aufsichtsrat wegen
»Korruptheit und Arbeiterfeindlichkeit« aus dem Werk.
Ein großes Problem war auch die hohe Arbeitslosigkeit. Es arbeiten nur 50% aller
Industriebetriebe. Khomeini ließ die Arbeiter für die Wirtschaftskrise bluten. In Isfahan wurde
ein Arbeiter bei einer Arbeitslosendemonstration von Khomeinis „Revolutionsgarden“ getötet.
Nun besetzten die Arbeitslosen das Arbeitsmininisterium.
„Die Arbeitslosen verwandelten das ehemalige Hauptquartier der alten SAVAKkontrollierten
Gewerkschaften in Teheran in ein Versammlungszentrum. Sie nannten das
Gebäude 'Kaneh Kargar' (Arbeiterheim). Jeden Tag schickten erwerbslose Arbeiter aus
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 37
verschiedenen Städten Delegierte ins Haus, um örtliche Probleme der Arbeitslosigkeit zu
diskutieren, zukünftige Aktionen festzulegen und an Sitzstreiks, Demonstrationen und
Besetzungen teilzunehmen. Die Schoras verschiedener Betriebe schickten auch Delegierte
ins Khaneh Kargar Haus, um ihre Solidarität mit den Arbeitslosen zu bekunden und sie
aufzufordern, sich am Kampf zur Verteidigung der Schoras zu beteiligen.“
Bei der folgenden Demonstration am 1. Mai marschierten die Arbeitslosen durch Teheran an
der Spitze mit 1 ½ Millionen Kollegen. Die Mullahs dagegen brachten auf ihrer Demonstration
nur einige Tausend zusammen. Man sollte meinen, dass die Revolution auf alle Fälle
zugunsten der Arbeiter ausgehen werde. Die Arbeiterräte bilden sich zwar in revolutionären
Zeiten spontan, aber für ihre Machtübernahme ist eine entschlossene marxistische
Arbeiterpartei notwendig, die sich auch in den Arbeiterräten zur Wahl stellt. Es gab aber nur
die moskauorientierte Tudeh-Partei (KP), die mit den Mullahs zusammen gegen die Arbeiter in
der 1. Regierung saß und einige Mao-Stalinisten wie die von den Modscheddin abgespaltene
Peykar, und kleinere wie Razmandegan, Ettehadiehe Kommonistha, Arman Baraye Azadieh
Tabagheh Kargar, Ranjbaran, Toofan, und Sahand (CIS und CISNU), die die Arbeiterräte
überhaupt nicht zur Kenntnis genommen haben und sektiererisch nur ihrem eigenen Aufbau
verpflichtet waren, also alles die Organisationen, die von linken Kleinbürgern angeführt
werden und die die Arbeiterräte als Gegner ansehen. Manche Mitglieder mögen auch gedacht
haben, die „Iranische Nationale Arbeiterunion“ sei vielleicht eine Konkurrenzpartei. Es gab
auch sich trotzkistisch nennende Organisationen, die aber auch idealistisch geprägt waren und
sich von dem Stalinismus nicht sehr unterschieden. Zwei von ihnen arbeiteten gar mit
Khomeini, dem Klassenfeind zusammen.
In Chile unter Alliende 1973 entwickelten sich auch zaghaft Arbeiterräte. Die wichtigste
revolutionäre Partei, die mao-stalinsche MIR nahm diese immerhin zur Kenntnis, sah sie auch
nicht als die zukünftigen Staatsorgane und empfahl ihnen eine Unterordnung unter die MIR:
„Nach der Vorstellung der MIR sollten sich die Cordónes [Arbeiterräte] entweder in den
Gewerkschaftsverband CUT oder in die Comandos comunales [Mit MIR Beteiligung] oder gar
in die von der MIR kontrollierte "Revolutionäre Arbeiterfront" integrieren, aber jedenfalls
keine selbständige Rolle spielen.“ (Mike Gonzales: Eine Illusion begraben, in Linke
Opposition Nr. 7, S.31, Köln)
Das Arbeiterparlament soll also in die MIR eintreten und die Arbeiter dürfen dann nur noch
zwischen MIR-links und MIR-rechts entscheiden. Das wäre etwa so im Bürgerlichen, als wenn
der Bundestag geschlossen in die FDP eintreten muss. 2008 erklärt uns ohne Umschweife ein
maoistischer iranischer Freund, dass die Arbeiter zu dumm seien für die Macht und er deshalb
als Kleinbürger will, dass die Kleinbürger wie in China von den Bauern an die Macht, hier von
den Arbeitermassen gehoben werden sollten. Diese Offenheit hätte was sympathisches an sich,
aber er gibt das dann für Marxismus aus. Diese Haltung spiegelt das ganze Dilemma der
iranischen Linken wieder.
Die Arbeiterklasse hatte gute Chancen gehabt, die Macht zu erobern und sie selber erfüllten
auch ihre Mission. Versagt hatten 1979 wieder die revolutionären Arbeiterparteien. Nichts
hatten sie außer leere Phrasen mit den Arbeitern zu tun gehabt. Einundeinehalbe Million gegen
ein paar Tausend, und, nichts. Aber auch das zeigt die unbedingte Wahrheit von Marx, dass die
Arbeiter sich nur auf sich selber verlassen können und dabei nur auf die vertrauen sollten, die
auch die Arbeiter anleiten, wie sie selber die Macht erobern können. Alles andere ist
hoffnungsloser Utopismus und Phrasendrescherei. Alle linken Parteien unterstellten den
38 - Internationale Sozialisten
Arbeitern überheblich einen "niedrigen Bewußtseinsstand" und dass die Forderungen der
Schoras bloß wirtschaftlichen Charakter trügen. Erstens stimmt das nicht, Punkt 5 aus dem
obigen Forderungskatalog beispielsweise „kostenloses Gesundheitswesen“, ist eine
sozialpolitische Forderung und 9. „Entlassung aller Elemente, die mit dem alten Regime
verstrickt sind“ eine reine politische, abgesehen von den massenweise politischen Forderungen
der Einzelschoras. Zweitens verstehen die Stalinisten nicht die Dynamik des revolutionären
Klassenkampfes, der immer nur ökonomisch anfängt, aber immer politisch endet. Der
ökonomische Kampf schlägt bei hoher Quantität um in einen politischen, er wird gezwungen
dazu, um dann bei noch höherer wieder in einen ökonomischen umzuschlagen. Wenn die
Arbeiter konsequent, ohne faule Kompromisse ihren gleich bleibenden Teil von der
Wertschöpfung fordern, werden sie letztlich feststellen, dass der Kapitalist auf Grund der
internationalen Konkurrenz gar nicht mehr zahlen kann, die Enteignung und auch ein
vernünftiges, planvolles Wirtschaftssystem unter Arbeiterkontrolle fordern müssen. So werden
sich politische und politische Forderungen letztlich nicht ausschließen können. Marx sah
immer bei seinen Untersuchungen den Prozess, nicht nur den statischen Moment.
Heute schon treffen wir bei den Linken kaum auf ein Verständnis für den tendenziellen Fall
der Profitrate. Meistens kriegt man dann geantwortet, dass doch die Gewinne steigen würden
und damit immer die absoluten meinen. Der einfache Gewerkschafter weiß sehr wohl, dass es
bei der Rendite immer auf die Verzinsung des investierten Kapitals, also dem relativen
Mehrwert ankommt. Bei den vermeintlich revolutionären Linken treffen wir trotz Bankenkrise,
Inflation und Ölkriege noch auf ein großes Vertrauen in den Kapitalismus, wobei der
Basisgewerkschafter eher darauf keinen Pfifferling mehr wettet. Es bleibt auch relativ, woran
man den "niedrigen Bewusstseinsstand" misst.
Bei der Feststellung der „Nur ökonomischen Forderungen“ ging es den Stalinisten auch nur
darum, damit nur ihr eigenen Diktaturanspruch zu begründen. So musste kommen, was
kommen musste.
Bei der Frauendemonstration von Millionen Frauen am 8. März 79 wurde gegen die
sogenannten islamischen Gesetze demonstriert, die tags vorher gegen die Frauen erlassen
wurden, wie die Möglichkeit für die Männer, wieder 4 Frauen zu heiraten und eine unbegrenzte
Zahl von vorübergehenden Ehefrauen (Sighe) ohne die Zustimmung der ersten Ehefrau zu
nehmen, das Hejab-Tragen Gebot und das Berufsverbot für Richterinnen. Eine kleine Gruppe
von Khomeinis „Schlägern der Hesbollahs, der "Partei Gottes", griffen Frauen mit Steinen an,
und islamische Fundamentalisten der Komitehs und der Pasdaran (der Khomeinigarden)
eröffneten das Feuer auf Demonstrantinnen. Die iranische Linke unternahm keinen
Versuch, Solidarität für die Frauensache unter den Arbeitern zu organisieren, sondern
ginge der Auseinandersetzung größtenteils aus dem Weg. Einige argumentierten sogar, daß
die Frauenforderungen bloß "bürgerliche Forderungen" seien, die es nicht zu unterstützen
galt.“ Die Linke als Führung ging der Auseinandersetzung größtenteils aus dem Weg, woran
sollen sich die Arbeitemassen dann orientieren?
Spätestens hier hätte eine linke Arbeiterpartei die verschiedenen Gruppen der Schoras, der
Arbeitslosen, der Frauen und der nationalen Minderheiten, die auch noch nicht von den
Mullahs kontrolliert wurden (Kurden, Aseris, Araber, Belutschen) zusammenbringen müssen
und eine Strategie gegen die Provokationen zu entwickeln. Hier wäre dies noch möglich
gewesen. Aber nichts außer politischer Aufschneiderei.
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 39
So ging das weiter, auch am 1. Mai, wieder ein Zurückweichen der Linken mit 1,5 Millionen
vor einer kleinen Schlägertruppe. So überließ man Khomeini das Feld. Vielleicht ist man der
Konfrontation deshalb aus dem Weg gegangen, damit die Khomeini-Truppen nicht schießen.
Aber damit müssen wir in einer Revolution rechnen. Dann hätten die Massen gleich gesehen,
dass sie sich bewaffnen müssen und bei den Mullahs genau so verraten sind wie beim Schah.
Die endgültige und Dauerverwirrung holte die Stalinisten dann aber bei der Besetzung der
US-Botschaft am 4. November 1979 heim, was dann das endgültige Aus für die Revolution
bedeutete. Die Besetzung der Botschaft gegen das internationale Großkapital hieß auch die
Stärkung des nationalen Kleinkapitals „Unter den Bedingungen der US-Botschaftsbesetzung,
darin waren sich alle Linken einig, müßten alle Kräfte eine Einheit mit der "progressiven
antiimperialistischen Bourgeoisie" bilden.“ Das entsprach ganz der stalinistischen
„Stamukaptheorie“ (Staatsmonopolistischer Kapitalismus), wonach nur die internationalen
Monopole das Übel an der kapitalistischen Misere seien. So stimmten die „Linken“ mit dem
antiimperialistischem Etikett der Mullahs überein, das machen sie alle heute noch, die Muftis
seien antiimperialistisch, dabei sind sie die Mullahs subimperialistisch, die Iraner haben als
kapitalistisches Land große Immobilienbesitze in Istanbul, kontrollieren die Hisbollah im
Libanon und die Hamas in Gazah, unterstützen Amerikas Rivalen, die Imperialisten
China/Russland im Shanghai-Bündnis. Sie sind selber Teil des imperialistischen Systems, nur
weil sie gegen Amerika sind, sagen die Stalin-Gläubigen, seien sie antiimperialistisch. Sie
verwechseln antiamerikanisch (gegen die amerikanische Regierung) mit antiimperialistisch, so,
wie sie eine nationale Revolution mit einer sozialistischen verwechseln.
Stamokap, Volksfront mit der Tudeh, Diktatur, Antiimperialismus, alles passte doch den
Stalinisten prima ins Konzept, außer, das sie nicht zu den Diktatoren gehörten. Da gab es eine
theoretische Verwandtschaft des Stalin-Kleinbürgers mit dem Mullah-Kleinürger, nicht mit
dem Arbeiter mit dem „niedrigem Bewusstseinstand“, da kann man über manche Mullah-
Terror-Anschläge hinwegsehen. Erst als sie alle sich in den Folterkerkern wiedertrafen,
wachten sie auf. Die Mullahs hatten musterschülerreif das Folterhandwerk von CIA/Savak
gelernt. Mit der Legitimation des Vertrages von Guadeloupe der Alliierten und dem
überheblichen Versagen der „Linken“ konnte Khomeini seine Diktatur errichten.
Wir haben uns mit Iran etwas ausführlicher beschäftigt, weil es ein gutes Beispiel ist, bei
dem man sehr gut den wirklichen Grund der Niederlage analysieren kann. Es war nicht die
Arbeiterklasse, die versagt hatte, sondern die iranische Revolution wurde verloren, gerade weil
es die „Linke“ gibt. Die „Linke“ ist weltweit das Ergebnis der kleinbürgerlichen
Studentenbewegung 1968. Sicher hätte sich sonst in revolutionären Kämpfen eine proletarische
Führung entwickeln können.
In Iran wurde die letzte Revolution des angefangenen Kapitalismus nachgeholt. Inzwischen
ist der Staatskapitalismus 1989 in Moskau zusammengebrochen und hat sich in China 1976 mit
dem Tode Maos ergeben. Die alte neue „Linke“ lebt nur noch in einzelnen versprengten
Gruppen fort, die sich bei proletarischen Kämpfen bei der Herausbildung einer proletarischen
neuen authentisch marxistischen Führung dieser anschließen könnten. Der Kapitalismus
befindet sich seit 2001 in der Phase des Niedergangs, der sich immer mehr beschleunigt. Hier
geschah schon eine Vorübung einer kleinen Revolution in einem Gebiet in Mexiko, dem wir
uns zum Schluss zuwenden wollen.
Maryam Poya: Iran 1979
40 - Internationale Sozialisten
0axaca 2006
In Oaxaca gab es den ersten Kampf in
der Agonie des Kapitalismus. Im
September, während diese Zeilen
geschrieben werden, droht ein
Zusammenbruch der Finanzmärkte und die
Herrschenden streiten sich in allen
Ländern fürchterlich darüber, ob und wie
das ganze System zu retten ist.
Das ist der Stoff, aus dem die
Revolutionen gemacht werden. Die
Arbeiterklasse wird, wenn die Macht-Elite
sich streitet und nichts mehr zu verteilen
hat ihren Mut zusammenfassen und die
Bühne der Geschichte betreten.
Wir alle konnten am Beispiel Oacaca
sehen, dass mit dem Arbeiterrat, der Volksversammlung APPO und ihren 350 bis zu 600
angeschlossenen Organisationen eine von unten aufgebaute Gesellschaft machbar ist, die alle
Bevölkerungsgruppen außer dem Kapital umfasst.
„Am 1. Mai verlangte die Sektion 22 der Gewerkschaft der Bildungsarbeiter (Sindicato
Nacional de Trabajadores de la Educación,), die für den Bundesstaat Oaxaca zuständig ist,
die Erhöhung der Löhne der Lehrer und Angestellten im öffentlichen Bildungssektor, sowie
die bessere Ausstattung der Schulen und soziale Leistungen, wie z.B. Frühstück für die
Schulkinder, die oft hungrig zum Unterricht kommen. Doch Ulises Ruiz weigert sich auf
jegliche Forderungen einzugehen und startete in den Medien eine Rufmordkampagne gegen
die Lehrerinnen und Lehrer.
Am 22. Mai rief die Gewerkschaft zu einem landesweiten Streik an den öffentlichen Schulen
auf. Die Streikenden wählten den Zocalo von Oaxaca Stadt als ihren Hauptplatz für
Kundgebungen und als Ausgangspunkt für Protestmärsche mit denen sie oft jeglichen
Verkehr in der Stadt zum Erliegen brachten. Der Zocalo entwickelte sich auch nach einiger
Zeit mehr und mehr zu einem Feldlager: Es wurden Stände und Zelte aufgebaut, Plakate
aufgehängt…“ (Wikipedia)
Seit dem 22. Mai 2006 errichteten tausende Lehrer im Zentrum von Oaxaca zur
Durchsetzung ihrer Forderungen der 70.000 Lehrer nach mehr Lohn und Verbesserung der
Schulsituation ein Protestcamp. Es handelt sich hier wie überall in der Welt um den Kampf für
menschenwürdige Löhne und bessere Schulbedingungen für die Kinder, z.B. eine Mahlzeit
mehr und mehr Schulbücher. Statt mit der Lehrergewerkschaft zu verhandeln, wurde ihr
Protest durch die Polizeitruppe des autoritären Gouverneurs Ulises Ruiz der PRI nach 23
Tagen am 14.606 mit massivem Einsatz von Tränengasgranaten, Hunden, Luftunterstützung
und mit scharfer Munition bewaffnet mit 11 Morden, darunter 3 Kindern, blutig niedergewalzt.
Das führte aber nun dazu, dass sich alle gewerkschaftlichen, sozialen und indigenen
Bewegungen mit den Lehrern solidarisierten, letztlich stand der ganze Bundesstaat gegen Ruiz
und es entwickelte sich die Forderung nach dem Rücktritt von Ulises Ruiz zur Hauptforderung.
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 41
Was in Oaxaca im Mai als Protest streikender Lehrer begann, hat sich im Laufe der
folgenden Wochen und Monate zu einer Revolte entwickelt, die den gesamten Bundesstaat
Oaxaca erfasst hat. Mehr als 80 Regierungsgebäude, die wichtigsten TV- und Radiostationen
wurden von den Aufständischen eingenommen. Die lokale Regierung flüchtete in Luxushotels
und die Volksversammlung APPO (Asamblea Popular de los Pueblos de Oaxaca –
Volksversammlung der Völker von Oaxaca), getragen von allen Gewerkschaften und 600
Organisationen, hat den Bundesstaat in ihren Händen.
Der zentrale Arbeiterrat APPO tagte täglich. Er setzte sich aus allen Arbeitergruppen
zusammen, den Lehrern, Postlern, Eisenbahnern, Busfahrern, Textilarbeitern, Journalisten,
Krankenhauspersonal, Kunstschaffenden, Bauarbeiter usw., den Bauern, Rentnern,
Erwerbslosen, Zeitungsmachern und kleinen Ladenbesitzern sowie den indigenen Völkern.
Diese Gruppen trafen sich auch jeweils regelmäßig und ihre Delegierten im zentralen APPO-
Rat waren an die Beschlüsse der Basis gebunden. Die Vollversammlung der APPO tagte auch
regelmäßig. Die APPO übernahm schon viele staatliche Aufgaben vom Gesundheitswesen bis
zum Sozialwesen, so dass man schon von der lokalen Doppelherrschaft reden konnte.
1.500 Barrikaden wurden tagsüber errichtet. Die Lehrer streikten das gesamte halbe Jahr
über. Ständig gab es kleine und große Demonstrationen. Auf allen Fotos im Internet tauchte
kein Transparent mit dem sonst in Lateinamerika so populären Che Guevera auf, der aber die
Arbeiter als reaktionär und die Bauern als progressiv ansieht, oder anderen stalinistischen
Utopisten. Ein klarer Differenzierungsprozess wie in Portugal konnte sich natürlich nicht
vollziehen, da es sich nur um eine lokale Bewegung handelte. Im Wesentlichen versuchten
trotzkistische, anarchistische Gruppen und internationale Sozialisten ihren Einfluss auszuüben.
Bei den Bauern am Rande gab es auch idealistisch stalinistische Gruppen wie die Zapatistas.
Die offizielle Regierungsarbeit war praktisch auf ein Minimum reduziert bis auf eines. Ständig
gab es gewalttätige Angriffe der Polizei oder von Terrorkommandos.
Die Regierung schickte oft Provokateure, um einen Anlass zum Angriff zu haben. Aber die
Provokateure konnten bis Oktober immer isoliert werden und seitens der Demonstranten gab es
keine Gewalt gegen Personen. Nagelbretter für die Polizeireifen waren die Waffen der
Bewegung um sich zu schützen. Jedenfalls gab es bei der Polizei keine Toten. Die Aufrufe der
APPO, sich nicht provozieren zu lassen, wurde von der Bewegung getragen. Der lang
andauernde Kampf, seine geschlossene Einheit und die gewaltfreie Disziplin der Bewegung
drücken ihren hohen Reifegrad aus.
Am 6. November gab es in Mexiko-City mehrere Brandanschläge, von denen sich aber die
APPO distanzierte, nur 5 linke Gruppen bekannten sich dazu. Ab dem 14. November bildete
sich die APPO neu und bildete einen „Staatsrat“, der aber nur von 260 Gruppen getragen
wurde.
Am 27. November stellte der Chef der Bundespolizei fest, dass es keine Toleranz mehr für
den APPO geben würde und am 4. Dezember wurde der symbolische Führer der APPO und
PRD-Sprecher der linken Reformisten, Flavio Sosa, wegen Vandalismus verhaftet. Nun
wurden alle Führungspersonen der APPO verhaftet und die Regierung Ruiz nahm ihre normale
Tätigkeit wieder auf. Der Kampf radikalisierte sich unter den Provokationen aber zusehends.
Auch ein erneuter Versuch, den Hauptplatz Zócalo der Stadt wieder einzunehmen endete nur
an den Tränengasgranaten und Gummigeschossen der Polizei. Der 6. November markiert den
Wendepunkt für die Ausweitung der Bewegung.
42 - Internationale Sozialisten
Es gab zwar noch unabhängig von der Militanz Treffen der APPO und zwei weitere
Megamärsche, aber die Bewegung wurde durch die Militanz ohne Siegesaussichten nicht mehr
von der Breite der Bevölkerung getragen. Im Oktober hätte eine mexikoübergreifende
Forderung noch zu einer unbedingt notwendigen Verbreiterung führen können. Da diese sich
noch nicht anbot, hätte ein vorübergehend taktischer Rückzug die breite Bewegung vielleicht
noch bis zum Höhepunkt der Tortilla-Bewegung im Oktober 2007 gegen die hohen Maispreise
retten können. Bis Oktober aber lief die Rätebewegung trotz ihres regionalen Charakters
lehrbuchreif.
Die Oktobertage von Oaxaca
2006 erinnern sehr an die Juni-
/Julitage von Petrograd 1917. Im
Juni und im Juli traten die Massen
spontan und bewaffnet auf die
Straße und demonstrierten dafür,
dass die bürgerliche Regierung ihr
Versprechen - Brot und Frieden –
endlich einlöste. Entgegen der
landläufigen Behauptung, dass die
Bolschewiken die Aufrührer seien,
beschworen diese aber die
Demonstranten, den endgültigen
Schlag noch nicht zu führen, die
Gewehre zu Hause zu lassen, weil
die Bewegung in den anderen
Städten, Moskau, Kiew oder
Odessa noch nicht so weit
vorangeschritten war. Wenn nur in einer Stadt der Widerstand bereit ist, die Machtfrage zu
stellen, kann die Bourgeoisie ihr ganzes Militär in dieser Stadt konzentrieren und ihn somit
leicht militärisch brechen. Diese bittere Lehre mussten die Räterepublik München am 1. Mai
1919 machen.
Die APPO-Bewegung werden die Kollegen nicht mehr so schnell vergessen und ihnen in
künftigen Kämpfen helfen, schnelle Antworten in der Agonie des Kapitalismus zu finden.
Norbert Nelte: Sie machen Kriege, wir machen Emanzipation
Die Lehren des Oktobers 2006 in Oaxaca!
Du bist Oaxaca!
Francis Byrne Von Petersburg bis Oaxaca
LabourNet Oaxaca
Mexikanische Gewekschaften, Mindestlohn
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 43
Lehren aus der Geschichte der Arbeiterräte
1. Allein in Deutschland sind 51% inzwischen aufgrund der Sozialkürzungen, Kriege und
Finanzkrisen gegen die bürgerliche Demokratie, aber auch noch gegen die Revolution. Nur,
die momentane Überzeugung der Arbeiter (und Angestellten = Kopfarbeiter) spielt bei
diesem Prozess überhaupt keine Rolle, dann hätte es in der Geschichte ja nie eine
Revolution gegeben. Heute den einfachen Kollegen den Marxismus zu erklären, wäre, wie
Marx sagt, wie einem Kleinkind höhere Mathematik beibringen zu wollen. Das ist nicht
deshalb, weil sie besonders dumm und die Linken besonders schlau seien, sondern nur
deshalb, weil die Linken zufällig 1968 die Studentenbewegung miterlebt haben und die
Massen noch nicht.
In Deutschland zogen die Arbeiter noch 1914 mit Hurra in den Krieg und jagten 1918 den
Kaiser davon. Auch in Russland waren sie 1904 noch Antisemiten und wählten 1905einen
Juden, Leo Trotzki, zum Vorsitzenden. In allen anderen Rätebewegungen änderten sie auch
über Nacht ihre Weltanschauung.
Die Massen der Kollegen lernen in den emanzipierten Kämpfen ohne die reformistische,
sozialdemokratische Gewerkschaftsführung. Diese Kämpfe werden unweigerlich verursacht
durch den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit. Gerade heute zum Ende der
Marktwirtschaft wird dieser Widerspruch auf die Spitze getrieben. Die Waren bestehen nur
noch aus einem verschwindenden Anteil der lebendigen Arbeit, die Quelle des Mehrwertes
bzw. dem Neuwert oder der Wertschöpfung. Und aus diesem verschwindenden Neuwert
muss der gesamte Warenvorschuss verzinst werden. Da bleibt für die Lohnabhängigen nur
noch ein Bettellohn übrig.
2. Die Kollegen werden auf der ganzen Welt vom Akkumulationsgesetz gezwungen zur
Revolution, es sei denn, die Geldelite des Kapitalismus schafft den Markt für die Arbeit
und Waren ab. Das würde aber nur mit einer Weltdiktatur gehen und die würde dann an
dem dazu notwendigen Weltkrieg, den Bush in Georgien provozieren will, mit der
Auslöschung der Menschheit durch Atombomben scheitern.
Wir erleben momentan harte Kämpfe in Ägypten oder Nordvietnam oder die
Hungeraufstände in 37 Ländern. Noch kratzen die Herrschenden jeden Cent zusammen, die
sie für ihre Bonbons erübrigen können. Geld wird in Unmengen da sein, nur es wird nichts
mehr wert sein. Da die zahlungskräftigen Kunden ausbleiben, wird in den nächsten 10/20
Jahren jegliche Wirtschaftstätigkeit einschlafen. Aber wenn dann ihre Taschen leer sind
und sie sich wie die Kesselflicker streiten, dann Gnade ihnen ihr Ersatzsinngeber.
3 Die Arbeiter werden bei emanzipierten Kämpfen spontan Streikräte bilden. Diese werden
bei Zunahme der Kämpfe spontan in Arbeiterräte umgenannt.
4. Alle Kämpfe entstanden auch erst einmal spontan. Erst für die 2. Phase der
Machtübernahme benötigt die Bewegung eine revolutionäre Arbeiterpartei. Nun gibt es auf
der ganzen Welt Gruppen, die für die Arbeiterräte sich einsetzen, wie die Internationalen
Sozialistische Tendenz oder ähnliche. Wir haben in Portugal gesehen, dass die PRP/BR in
dem einen Jahr der revolutionären Kämpfe von 200 Aktiven auf 40.000 wuchs. Und da
hatte das Kapital in Portugal in der EU sogar noch Perspektiven.
Heute, wo sie mit ihren Finanzkrisen, Kriegen und Marktverengungen am Ende stehen,
wird das noch schneller gehen. Die Rätebewegung wird also auch ihre revolutionäre
Arbeiterpartei aufbauen, die ihre objektiven Interessen ausdrückt.
44 - Internationale Sozialisten
Das heißt natürlich nicht, dass wir so lange die Hände in den Schoß legen und abwarten
könnten. Das Kapital wird bei seinem Weg in die Barbarei noch viele Menschen verelenden
und töten. Je früher Du aktiv wirst, umso weniger Opfer wird es geben. Außerdem müssen
wir rechtzeitig den Weg in die Räte schaffen, bevor uns das Kapital in den Orkus der
Barbarei zieht. In den USA bahnt sich nach Gerüchten „gut informierter Kreise“
(Russischer Geimdienst) schon Mitte Oktober noch vor der Wahl am 4. November der
nächste Krieg und die Diktatur an. Da gibt es viel zu tun. Aber den sinnlosen Arzt am
Krankenbett des Kapitalismus in seiner Agonie sollten wir wirklich nicht mehr machen.
Mit dem hohen Automationsgrad und der Marktverengung ist er wirklich nicht mehr
lebensfähig.
5. Das Wesentlichste wird sein, dass die Arbeiterbewegung von unten neben der tatsächlichen
Gleichheit, der Abschaffung der Entfremdung zu allen Menschen, Dingen und dem Wissen
auch das erste Mal in der Geschichte der Menschheit eine vernünftige Wirtschaftspolitik
durchführen wird. Marx nannte deshalb auch alle bisherigen Gesellschafssysteme
„Vorgeschichte der Menschheit“ und den Sozialismus von unten „Reich der Vernunft“.
Der Kapitalist produziert für einen blinden Markt. Die Käufer kennt er noch nicht. Dann
versucht er zu rationalisieren, billiger zu produzieren und die Konkurrenz zu unterbieten
und sie somit vom Markt zu verdrängen. Die Arbeit ist aber die einzige Quelle der
Wertschöpfung und wenn ihr Anteil geringer wird, dann sinkt die Profitrate. Strebt sie in
der Produktion gegen Null, wird das Kapital versuchen, die niedrige Profitrate mit
Heuschrecken, die von der Substanz leben, und mit Kriegen und Rohstoffdiebstahl zu
kompensieren. Die Handelskriege verschärfen sich, verwandeln sich in heiße Kriege,
Weltkriege, Diktatur und Völkermorde.
Die Arbeiteiter aber haben das objektive Interesse für gleichen Lohn in der ganzen Welt.
Was nutzt es dem Kollegen von Miele z.B. in Deutschland, wenn sein Kollege bei Haier in
China nur 10% von seinem Lohn verdient? Nichts, denn bald wird eine Dumping.-
Waschmaschine hier verkauft und sein Band wird schneller gestellt, sein Lohn um 25%
gesenkt und dann sein Arbeitsplatz nach Rumänien verlagert. Also wird er bei freier
Entscheidung ohne den brutalem Marktgesetz so wie in Oaxaka gleichen Lohn anstreben
und die Produktion für den Weltbedarf solidarisch verteilen müssen. Der authentische
Marxismus ist eigentlich ganz einfach, wenn man sich nicht dagegen sträubt, weil man ihn
mit der DDR oder Mao-China verwechselt.
Die DDR war gar keine Planwirtschaft, obwohl alle kleinbürgerlichen „Linken“ das
behaupten. Sie war eine bürokratische Zwangswirtschaft und unterlag dem Preisdiktat
Moskaus. Dieser wurde angetrieben von dem Rüstungswettlauf zwischen Privat- und
Staatskapitalismus.. Die Arbeiter würden dem „Wettlauf“ (S 12) zwischen Arbeiterstaat
und Privatkapitalismus aber nicht mit 100 neuen Raketen begegnen, sondern mit Millionen
Flugplättern, den revolutionären Defätismus und der permanenten Revolution, der
internationalen Ausdehnung der solidarischen Arbeiterstaaten. Wir wollen die Köpfe der
internationalen Kollegen gewinnen und sie nicht totschießen.
Noch aber sind die Kollegen nur erstarrt, erschüttert, wütend über eine derartige
Unverschämtheit, dass die Banken die Hunderte Milliarden nur so nachgeschmissen
bekommen und sie für 0,1% mehr Lohn ein Monat streiken müssen. Der sterbende
Kapitalismus treibt die Entwürdigung des Menschen auf die Spitze. Das bürgerliche Parlament
schützt nur das Kapital, das die wirtschaftlichen Aufgaben des 21. Jahrhunderts mit seiner
Wettbewerbslogik nicht mehr wird lösen können. Die Rettungspakete, die sie jetzt für die
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 45
Pokerkasse des Kapitals schmieden, sind am nächsten Tag schon wieder in Luft aufgelöst. Sie
verschlimmern nur die sogenannte Liquiditätskrise, weil sie auch wieder verwettet werden.
Wie die Sterne in das „Schwarze Loch gesaugt werden, so wird das ganze gesellschaftliche
Vermögen verdampft und in das Haushaltsloch gesaugt.
Für uns Sozialisten ist es eine große Genugtuung, zu sehen, wie der Kapitalismus untergeht
und zu wissen, dass dann endlich die Kollegen selber die Bühne der Geschichte betreten
werden. Alle Kollegen in den Betrieben, die Arbeitslosengruppen, Frauenverbände,
Rentnergruppen, Ärztevereinigungen, kleine Ladenbesitzer, die Medien, die auf der Seite der
Arbeiterbewegung stehen etc. werden nicht ewig zuschauen, wie das Kapital unsere
Gesellschaft in den Untergang reißt, nun ist ihre Zeit gekommen, die Menschen in das Reich
der Vernunft zu führen.
46 - Internationale Sozialisten
DER KONSEQUENTE KOLLEGE
Gewerkschaft und Marxisten
Einführung
Marxisten gehen bei der Gewerkschaftsarbeit von dem
Prinzip der Einheitsgewerkschaft aus. Sie ist das
Organisationsinstrument der gesamten Arbeiterklasse. Um
stark gegen das Kapital zu sein, brauchen die Arbeiter
unbedingt die Einheit im Kampf. Getrennt marschieren wir
bei den politischen, langfristigen Fragen. Hier müssen wir
uns unabhängig organisieren. Nur im Kampf zählt die
Einheit, und die heißt bei den Arbeitern
Einheitsgewerkschaft.
Manche "Linke" wie der IKS, die FAU, Wildcat oder die PSG wollen aber auch eine
getrennte Gewerkschaftsorganisation. Hierfür haben sie auch auf den ersten Blick gute
Argumente. Schon immer haben die SPD-Gewerkschaftsführer die Basis verraten. Sie gaukeln
ihnen ständig die Abschlüsse höherer Tarife vor aber handeln in Wirklichkeit nur
Reallohnverluste aus. Sie handeln sogar Lohnkürzungen gegen scheinbaren Arbeitsplatzerhalt
aus, was sich immer später als Windei herausstellt. Ja, sie machen bei den Zockerei noch mit,
indem sie die Pensionsgelder ihrer Angestellten bei der übelsten Heuschrecke Blackstone
anlegen. Die Reformisten sehen jeden Kampf nur als Unterstützung für ihre Verhandlungen an,
nicht als einen selbsttätigen Kampf der Massen, um die Sache in ihre eigene Hand zu nehmen.
Weil man über Verhandlungen nicht konsequent gegen die Kapitallogik angehen kann, kettet
die Sozialdemokratie somit die Arbeiter an die Marktgesetze des Kapitals.
Wir linken Arbeiterinnen und Arbeiter sind aber nicht wegen den korrupten Bonzen in der
Gewerkschaft, sondern wegen der Basis. Es waren die Vertrauensleute der IGM bei Opel
Bochum, die den wilden Streik 2004 organisiert hatten. Bei der IGM haben sie lange
gemeinsam gearbeitet, gekämpft und Vertrauen zueinander aufbauen können und so können
wir bei einer Ausweitung der Kämpfe dann auch die reformistischen durch revolutionäre
Arbeiterführer auswechseln. Unabhängige Gewerkschaften können nur für einzelne wenige
Berufsgruppen erfolgreich sein und Pilotabschlüsse tätigen, aber für die Masse der Kollegen
geht nur die Einheitsgewerkschaft.
Aus ihrer Kritik heraus aber an der ganzen Gewerkschaft versuchten und versuchen manche
Ultralinken, eine gesonderte revolutionäre Gewerkschaft aufzubauen und sich gegen die
allgemeine Gewerkschaft zu stellen. 1 Als Marxist muss man aber gerade die ansprechen, die
von einem revolutionären Schritt der Arbeiterklasse noch nicht überzeugt sind.
Jede erkämpfte Mark wird uns wieder bei der nächsten Krise weggenommen. Was aber
bleibt vom Kampf, ist das Bewusstsein, das, was wir aus dem Kampf gelernt haben.
Luxemburg weist auf diese Dialektik hin:
1 Die syndikalistische FAU (Freie Arbeiter Union) geht sogar so weit, daß sie sich mit wenigen hundert Mitgliedern in
Deutschland als Gewerkschaft versteht. Das ist Kastrierung der Arbeiterklasse in Reinform.
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 47
»Die große sozialistische Bedeutung des gewerkschaftlichen und politischen Kampfes besteht
darin, dass sie die Erkenntnis, das Bewusstsein des Proletariats sozialisieren, es als Klasse
organisieren.« 2
Aus diesem Grunde müssen wir auch reformistische Kämpfe unterstützen. Mit den bereits
bewussten Kollegen können wir uns schon vorher politisch zusammenschließen.
Jegliche Taktik in Kämpfen, die wir machen, machen wir für die noch nicht bewussten
Kollegen - für die revolutionären Kollegen benötigen wir keine Taktik, sie stehen schon auf
unserer Seite. Wären alle 100% bewusst, bräuchte ich überhaupt keine Gewerkschaft, sondern
würde gleich die Weltrevolution machen. Gewerkschaftsarbeit mache ich deshalb gerade nur
wegen der noch unbewussten Kollegen; der Nachzügler im revolutionären Kampf - und diese
kann ich nur in der Einheitsgewerkschaft finden. Nur dort treffe ich auf die Nachzügler.
Für Marx, Luxemburg, Lenin und Trotzki waren dies Selbstverständlichkeiten. Weil
manchen Linken ein Kurs innerhalb der Einheitsgewerkschaft nicht gefällt, greifen sie zu
einem Trick. Sie sagen, die Welt seit Marx habe sich grundsätzlich geändert. Die PSG stellt
z.B. fest: »Was die Gewerkschaften betrifft, so haben sie sich aus einer Interessenvertretung
der Arbeiter in eine Betriebspolizei der Unternehmer verwandelt.« 3
Erstens kann die PSG nicht unterscheiden zwischen Führung und Basis (die Gewerkschaft
sind auch die Arbeiter in den Betrieben und keine Betriebspolizei der Unternehmer.) und
zweitens und was wichtiger ist, die Führung selber hat schon immer im Interesse des Kapitals
gehandelt. Es gab bei der Führung nur 1878 wegen der „Sozialistengesetze“, die Bismarck
wegen der Attentate auf den Kaiser erließ, mit denen die SPD aber nichts zu tun hatte, einen
kurzen scheinbaren Linksschwenk. Warum scheinbar, dazu unten (S. 6) mehr. Die Gründung
der SPD 1875 wurde zugelassen, weil sich Bismarck mit ihr einen Ordnungsfaktor (S.4)
schaffen wollte und auch schuf. »Vor 1870 haben die Mobilmachungen [Aufgebote zum Krieg]
an nicht wenigen Orten oft nur mit Gewalt durchgesetzt werden können« 4 Somit wurde der
Ordnungsfaktor innerhalb der Arbeiterklasse für den Kaiser notwendig und man fand ihn in der
SPD
Der Glaube, dass die Führung des ADGB's früher radikaler gewesen sei und mit der Zeit
korrumpiert ist, führt bei anderen rechteren Organisationen innerhalb der Radikalen wieder zu
einer umgekehrten Haltung, nämlich den Illusionen, dass sich die Gewerkschaftsführung
immer dann radikalisieren würde, wenn sie kämpferische Reden hält. Nur, darin war sie schon
immer Meister, wenn es von der Basis Druck gibt, verbalradikal zu tönen, um in der Praxis
jeden Kampf auszubremsen. Die Konsequenz aus dem Irrglauben, dass die
Gewerkschaftsführung nach rechts gegangen sei, führt zu der anderen Seite der Medaille, dass
sie dann auch wieder nach links gehen könnte.
Dabei hat die Führung immer die gleiche Stellung im Produktionsprozess, nämlich die der
Bürokratie der Gewerkschaft. Ihr Interesse ist es immer, innerhalb des Kapitalismus eine feste
Arbeitsstelle zu haben, aber bezahlt von den Arbeitern. Sie muss jedoch auch manchmal unter
dem Druck der Arbeiterbasis zu Streiks aufrufen. Sie ist dadurch natürlich einerseits ein
integrierender Bestandteil des kapitalistischen Systems, andererseits aber auch der Stachel im
2 Rosa Luxemburg: "Sozialreform oder Revolution", IS-Broschüre, S.23
3
PSG: Partei für soziale Gerechtigkeit, Ex-BSA: "Eine politische Antwort auf Arbeitslosigkeit und Sozialabbau",
Flugblatt Juni 1996
4 Prof. Dellbrück in den Preußischen Jahrbüchern , September 1914 (nach KK, Nr. 65, Seite 12)
48 - Internationale Sozialisten
Fleisch. Die Gewerkschaftsführung ist kein direkter Befehlsempfänger des Kapitals. Wäre sie
es, würden nicht die Millionen Arbeiter in die Gewerkschaft eintreten:
»Eine sich nicht nur in den bürgerlichen Staatsapparat, sondern sogar in die tägliche
Betriebsführung des Kapitalismus integrierende Gewerkschaft wäre keine "systemkonforme"
Gewerkschaft, sie würde rasch aufhören, überhaupt noch eine wirkliche Gewerkschaft zu
sein. Die Lohnabhängigen werden keinerlei Grund mehr erkennen, solchen
Arbeitskontrolleuren und Arbeitsdirektoren noch Teile des schwer erarbeiteten Lohnes in
Form von freiwilligen Beiträgen zuzuschanzen ... « 5
Wenn die Mitgliederzahl sinkt, wenn die Gewerkschaft in ihren Grundfesten bedroht ist,
dann muss auch die Bürokratie sich regen. Weil speziell in Deutschland die reformistische
Bürokratie eine herausragende Stellung hat, konnte sie lange die Basis still halten, aber sie ist
auch nicht so leicht mundtot zu machen wie in den USA oder Britannien. Wenn es zu einem
Frontalangriff kommt, wie bei Maggie Thatcher, dann kann sie leicht 400.000 Demonstranten
mobilisieren und die Attacke abwehren, wenn die Gewerkschaftsorganisation bedroht ist.
Von den Anfängen bis zur Gründung der Gewerkschaften
Die Gewerkschaften an der Basis und ein konsequenter Kampf sind keine Erfindung der
Kommunisten. Marx hatte sich an den Kämpfen der Lyoner Textilarbeiter und der
Chartistenbewegung im England der 1830er Jahre orientiert, als er seine Theorie von der
Arbeiterklasse als revolutionäres Subjekt entwickelte.
Die Vereinigung der Arbeiter wurde in dieser Zeit noch in der Tradition des Feudalismus
verboten. Die Widersprüche eines sich entwickelnden Kapitalismus zwangen aber dennoch die
Arbeiter dazu, für ihre Interessen mit dem Ziel zu kämpfen, sie letztlich auch durchzusetzen.
Abendroth 6 beschreibt die Anfänge:
»... Zudem war in Deutschland das Verbot der Gesellenbünde durch die Reichszunftordnung
von 1731 (...) in die Gesetzgebung des territorialstaatlichen Absolutismus übernommen
worden. Die monarchistischen deutschen Staaten der Restaurationsperiode mussten um so
mehr an diesem Verbot festhalten, als hinter jedem Zusammenschluss der unteren
Gesellschaftsgruppen das Gespenst der demokratischen Revolution zu lauern schien...
1845 forderten die Leipziger Buchdrucker von ihren Arbeitergebern Verhandlungen über
einen Tarifvertragsentwurf..
Im gleichen Jahr legten die Maurergesellen der Hansestädte und Schleswig-Holsteins
gemeinschaftlich die Arbeit nieder, um bessere Löhne zu erstreiten ...
Die Niederlage der [1848-]Revolution und der Sieg der Reaktion - durch die
Unentschlossenheit des Bürgertums gegenüber dem preußischen monarchistischen System
verschuldet - setzten allen diesen hoffnungsvollen Anfängen ein Ende« 7
Bis zur bürgerlichen Revolution verliefen die Streiks noch recht spontan, die Vereine
entwickelten sich aus diesen Kämpfen nur sporadisch und waren von kurzer Lebensdauer:
»Die Gewerkschaftsbewegung begann in der frühkapitalistischen Wirtschaft mit impulsiven
Revolten der Lohnarbeiter gegen ihre Unternehmer wegen Herabsetzung der Löhne und der
5 Ernest Mandel: "Die moderne Gewerkschaftsbewegung", 'Gewerkschaftliche Monatshefte', Juni 1970, Heft 6
6 Professor für "Wissenschaftliche Politik" von 1951 bis 1972 in Marburg
7 Wolfgang Abendroth: "Die deutschen Gewerkschaften", Kollektiv-Verlag, Seite 6 u. 7
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 49
Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Waren es zunächst spontane
Arbeitsverweigerungen, örtlich und zeitlich begrenzt, so waren es später planmäßige
Arbeitsniederlegungen (Streiks), die zu zeitweiligen Vereinsbildungen führten. Aus diesen
örtlichen Vereinsbildungen entstanden mit der Zeit dauernde und feste Lohnarbeiter-
Vereinigungen (Koalitionen), die planmäßige Aktionen zur Erkämpfung besserer Löhne und
Arbeitsbedingungen durchführten.«8
»So verliefen diese sozialen Bewegungen unter Arbeitern und Handwerkern in dieser Phase
durchweg noch sporadisch, lokal gebunden und fast gar nicht organisiert. Die
Landbevölkerung wurde von all dem kaum berührt. Dennoch bedeutete die
Koalitionsfreiheit, die diese Revolution gebracht hatte, eine Chance für solche
Organisationen. In Berlin hatte Stefan Born und andere die Parole der französischen
Frühsozialisten um Louis Blanc's "Organisation der Arbeit" aufgenommen und wollten
zentral von Berlin aus eine "Organisation der Arbeit" vorantreiben. Sie hatten im April 1848
in Berlin ein "Zentralkomitee für die deutschen Arbeiter" begründet und ein Programm
aufgestellt, das die politischen und ökonomischen Vorstellungen des politisch aktiv
gewordenen Teils der Arbeiterschaft artikulierte ... In diesen Zeiten entstanden an vielen
Orten ähnliche Vereine und "Assoziationen von Arbeitern".
Im September des Jahres 1848 kam es auf Einladung der Berliner "Arbeiterverbrüderung"
zu einem ersten übergreifenden Arbeiterkongreß, auf dem 35 örtliche Arbeitervereine
vertreten waren.«9
Diesen ersten Versuchen von Arbeiterorganisationen war ein schnelles Ende beschieden.
»Die spätestens 1850 mit aller Härte einsetzende Zeit der Reaktion traf gerade die
Arbeiterschaft besonders massiv. Obwohl sich schon 1848/49 ein wirtschaftlicher
Aufschwung angekündigt hatte, dem zu Beginn der 50er Jahre eine Hochkonjunktur folgte,
die es sicherlich dem Bürgertum auch leichter gemacht hat, sich mit der politischen Rechten
abzufinden, wurden die in der Revolutionszeit errungenen Lohnerhöhungen und
Arbeitszeitverkürzungen wieder abgebaut, die Arbeitervereine aufgelöst, ihre Zeitungen
verboten und auch alle gewerkschaftlichen Bestrebungen unterdrückt.« 10
Die bürgerliche 48er-Revolution hat die Organisations- und Versammlungsfreiheit für die
Arbeiter mitgebracht. Die Niederschlagung der Revolution bedeutete aber auch die
Niederschlagung der Errungenschaften für die Arbeiter. Aber mit dem Kapitalismus wuchs
auch die Arbeiterklasse an und verschaffte ihren Forderungen immer mehr Geltung:
»Im Jahre 1864 war die Arbeiterbewegung stark angewachsen, blieb aber in Bezug auf die
Entwicklung des Klassenbewusstseins hinter der kleinen revolutionären Avantgarde von
1848 zurück.«11
Unter dem Druck der Bourgeoisie hatte bereits der letzte Kaiser Wilhelm die Interessen des
Kapitals weitgehend berücksichtigt, und in diesem Maße konnte auch die Arbeiterklasse sich
reorganisieren.
8 Enderle, Schreiner ... : "Das rote Gewerkschaftsbuch", 1932, Seite 67
9 Klönne, Reese: "Die deutsche Gewerkschaftsbewegung", Hamburg 1984, Seite 16
10 Ebenda, Seite 19
11 SAG: "Die Wurzeln der deutschen Arbeiterbewegung", Seite 8, IS-Broschüre
50 - Internationale Sozialisten
Die Nach-48er-Vereine, die direkten Vorläufer der DGB-Gewerkschaften, wurden nie von
den Arbeitern selber als Kampforganisationen gegründet, sondern sind von den Kleinbürgern,
die in Vorgängerorganisationen der SPD organisiert waren, als Arbeiterbildungsvereine
gegründet worden. Die Erfahrungen von 1848 hatten den Intellektuellen den Weg aufgezeigt,
wie sie sich als "Retter" der Armen aufspielen konnten.
»Die Entwicklung von Gewerkschaften in Deutschland muss zum einen im Zusammenhang
der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung der industriell-kapitalistischen Gesellschaft,
zum anderen aber unter den besonderen deutschen politischen Bedingungen, so vor allem
dem "Primat der Politik", dem Vorrang der Entwicklung politischer Organisationen der
Arbeiterschaft, gesehen werden. Dieser, von der englischen, aber auch französischen
Entwicklung sich abhebende Prozeß der Herausbildung einer deutschen Arbeiterbewegung
verleiht ihr eine besondere Stellung in der internationalen Arbeiterbewegung. «12
Die Arbeitervereine wurden also von Anfang an von den Reformisten kontrolliert. Lasalle
schwärmte vom deutschen Kaiser, der als Diktator einen guten Führer der deutschen
Arbeiterklasse abgäbe:
»... wie wahr es ist, das sich der Arbeiterstand instinktmäßig zur Diktatur geneigt fühlt ...
und wie sehr er daher ... geneigt sein würde ... in der Krone den natürlichen Träger der
sozialen Diktatur, im Gegensatz zu dem Egoismus der bürgerlichen Gesellschaft zu sehen,
wenn die Krone ihrerseits sich jemals zu dem - freilich sehr unwahrscheinlichen - Schritt
entschließen könnte, eine wahrhaft revolutionäre und nationale Richtung einzuschlagen und
sich aus dem Königstum der bevorrechteten Stände in ein soziales und revolutionäres
Volkskönigstum umzuwandeln.« 13
Die Eisenacher sahen ihren Bündnispartner nicht im König von Gottes Gnaden, sondern in
der liberalen Bourgeoisie. »Bebel und Liebknecht waren erbitterte Gegner des preußischen
Führungsanspruchs... Anders als Lasalle hielten sie auch ein Zusammengehen mit liberaldemokratischen
Teilen des Bürgertums für möglich.« 14
Der Historiker Klönne kommt bei der Betrachtung der beiden Gründungsgruppen zu einem
ähnlichen Schluß wie schon Marx zuvor: »An eine "revolutionäre" Lösung im Sinne des
späteren kommunistischen Konzepts der "Diktatur des Proletariats" dachten weder Lasalle
noch Bebel und Liebknecht.« 15
»Die ersten Ansätze einer besonderen politischen oder sozialen Organisation von Arbeitern
und Verbesserung der Lage der Arbeiterschaft um 1860 in Deutschland waren durchweg
integriert in das aufblühende Vereinswesen der verschiedenen Richtungen des Liberalismus.
Liberale Politiker förderten die Gründung von Arbeiterbildungsvereinen oder
Arbeiterunterstützungsassoziationen im Rahmen der liberalen Bewegung.«16
Die Überzeugung dieser Liberalen war weit davon entfernt, marxistisch zu sein. Es war der
Typ aufgeklärter Kleinbürger, die den Menschen das Paradies schenken wollen. Ein Paradies,
wie es der romantische Zeichner Ludwig Richter verklärt darstellt: Liebe pausbäckige Kinder
12
Klönne, Reese: "Die deutsche Gewerkschaftsbewegung", Hamburg 1984. Seite 11
13
Lasalle: Brief an Bismarck, nach Klönne: "Die deutsche Arbeiterbewegung". S.46
14
Klönne, S.47
15
Ebda., S.48
16
Klönne: "Die deutsche Arbeiterbewegung", Seite 44
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 51
spielen vor den sich umarmenden Eltern auf der Bank unter dem Apfelbaum vor dem
blitzblanken Häuschen. Der Utopist Moses Hess beschreibt, was der Liberale damals fühlte
und dachte:
»Keine Jahrhunderte ... werden mehr vergehen ... und die hundertfältig gesteigerten
Produktivkräfte werden die große Mehrzahl derer, die von ihrer Hände Arbeit leben müssen,
ins tiefste Elend gestürzt haben, weil ihre Hände wertlos geworden sind: während einige
Wenige, die sich mit der Anhäufung der Kapitalien beschäftigen, im Überfluss schwelgen
und in ekler Genusssucht untergehen werden, wenn sie nicht vorher schon der Stimme der
Liebe und Vernunft Gehör gegeben oder der Gewalt nachgegeben haben.«17
Also, bei den Liberalen war nicht die Emanzipation der Massen angesagt, sondern das Motiv
des Handelns war scheinbar die Liebe. »Diese Intelligenz hält sich für den bedeutendsten
Akteur des Geschehens. Sie hat das nötige Wissen für die Aufklärung; sie überredet die
Herrschenden oder trägt Bewusstsein in das Proletariat, um es für die Revolution zu
befähigen.« 18 Das aufgeklärte Bürgertum, die Gründerväter des Reformismus, ist von einer
Weltanschauung geprägt, der man bei der "radikalen" 68er Studentenbewegung wieder
begegnet ist.
Die Führung der Arbeitervereine änderte sich auch weiterhin nicht, wie von vielen Linken
später angenommen.
»Die SPD wurde in der Zeit des Sozialistengesetzes [1878] keineswegs, wie vielfach
behauptet, radikalisiert. Das Ausnahmegesetz zeitigte auch gegenteilige Wirkungen. Die
Unterdrückung aller anderen politischen Betätigungsformen führte zur Konzentrierung aller
Bemühungen auf die Wahlkämpfe und verschaffte der Reichstagsfraktion eine starke Position
gegenüber den anderen Parteiführern, die sie auch nach Aufhebung des Gesetzes nicht
wieder verlor, genauso, wie die parlamentarische Praxis die einzige parteioffiziell
idealisierte Form des politischen Machtkampfes blieb. Und die damals noch nicht durch
Diäten saturierten sozialdemokratischen Abgeordneten einigermaßen der wirtschaftlichen
Alltagsnöte zu entheben, hatte ihnen die Partei zur Schaffung kleinbürgerlicher Existenzen
als Gastwirte, selbständige Kaufleute, Redakteure u.ä. verholfen, was mit der Zeit der
Fraktion und darüber hinaus auch der ja stark von ihr beeinflussten Partei jene philiströsen
Züge verlieh, von denen Eleonor Marx an Friedrich Engels vom Parteitag in Halle 1890
berichtete.«19
Die SPD gab sich 1891, nachdem die Zeit der Sozialistengesetze vorbei war und die ganz
Rechten wie Lasalle ausstarben, ein neues Programm, das Erfurter Programm, das nur unter
dem Druck von Engels die Passagen zum Parlamentarismus neutralisierte (In Deutschland war
es noch verboten, von einer Revolution zu sprechen, man musste aber zumindest darauf
hinweisen, dass man keine Illusionen in das Parlament hat.) Aber Programme sind immer
geduldig. Wichtiger war dann die Frage nach den konkreten Forderungen, und dazu sagte
Engels: »Die praktischen Forderungen haben allerlei Haken, manche sehn - auf heutige
Verhältnisse angewandt - spießbürgerlich aus ... « 20
17 Moses Heß: "Zwei Reden über Kommunismus", nach Rabehl: "Geschichte und Klassenkampf", Berlin, 1973, S. 14
18 Bernd Rabehl: "Geschichte und Klassenkampf", Berlin, 1973, Seite 15
19
Conert: "Die politischen Grundrichtungen innerhalb der deutschen Sozialdemokratie vor dem ersten Weltkrieg.",
Offenbach. 1973. Seite 16
20 Engels: "Brief an Kautsky. 31.12.1891". MEW, Bd.38. S.234
52 - Internationale Sozialisten
Dennoch entwickelten sich die Vereine unter dem Druck der Arbeiter zu
Kampforganisationen. Es passierte also schon in den Anfängen das, was das Wesen des
Reformismus ausmacht. Die reformistischen Kleinbürger unterhalten nur die
Arbeiterorganisationen, um den Arbeitermassen von oben alle Wohltaten zu geben, um selber
sich dabei einen goldenen Bürokratensessel zu verdienen. Wenn es den Massen schlecht geht,
machen diese Druck von unten. Die Bürokratie gibt diesem Druck nach, um "ihre" Mitglieder
zu behalten, und versucht zum Schluss, ihn auszubremsen.
Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, wenn man glaubt, dass die SPD früher marxistischer war.
Sie war immer reformistisch und im entscheidenden Augenblick immer auf der Seite des
Kapitals. Sie kontrollierte von Anfang an die Gewerkschaftsbewegung. Trotzdem und gerade
deshalb betonten alle klassischen Marxisten von Marx bis Lenin, in diesen Gewerkschaften
arbeiten zu müssen.
Sicher gab es hier oder da einmal Illusionen über den revolutionären Charakter der
Sozialdemokratie. Diese Illusionen müssen wir klar beim Namen nennen, dürfen sie aber auch
nicht überbewerten. Allen Klassikern war gemein, kritisch in diesen Gewerkschaften zu
arbeiten. Die Kommunisten müssen um die Führung kämpfen und dazu politisch sich von der
SPD getrennt organisieren.
SPD und DGB haben sich im Spektrum der kapitalistischen Weltanschauungen nie geändert.
Deshalb gilt es auch, heute die gleiche Taktik zum DGB anzuwenden wie die Gründer des
Kommunismus: Kritische Unterstützung! Wenn die Führung heute, wenn sie Druck von unten
bekommt, "kämpferische" Reden hält, müssen wir sie nach den Taten bewerten und nicht von
ihrer Radikalität schwärmen. Andererseits dürfen wir auch nicht abseits stehen und die ganze
Arbeiterklasse mit unserer Gegnerschaft bestrafen, nur weil sie noch nicht genug Bewusstsein
hat, um sich eine revolutionäre Führung zu geben.
Zur Taktik im DGB
Wir wollen untersuchen, welche Taktik die Gründerväter des Kommunismus eingeschlagen
haben.
Die Bedeutung der Gewerkschaftsarbeit für klassenkämpferische Marxisten wurde schon in
den Anfängen festgestellt. Eine konsequente Schrift haben wir mit dem "Roten
Gewerkschaftsbuch". Da es 1932 erst geschrieben wurde, waren die in der Praxis arbeitenden
Autoren zu der Zeit bereits Mitglieder der SAP (Sozialistische Arbeiter Partei). Die KPD selber
war schon stalinisiert, also nicht mehr marxistisch.
»Demgegenüber muss revolutionäre Gewerkschaftstätigkeit immer darauf gerichtet sein,
dass das Hauptgewicht auf den Kampfcharakter der gewerkschaftlichen Einrichtungen
gelegt wird.«21
Rosa Luxemburg weist auf den Unterschied zu der Sozialdemokratie hin, den wir den
Arbeiterkämpfen beimessen.
»Der sozialistische Charakter des gewerkschaftlichen und parlamentarischen Kampfes liegt
also bei der Bernsteinschen Auffassung in dem Glauben an dessen stufenweise
sozialisierende Einwirkung auf die kapitalistische Wirtschaft. Eine solche Einwirkung ist
aber tatsächlich - wie wir darzutun suchten - bloße Einbildung. Die kapitalistischen
Eigentums- und Staatseinrichtungen entwickeln sich nach einer entgegengesetzten Richtung.
Damit aber verliert der praktische Tageskampf der Sozialdemokratie in letzter Linie
21 Enderle ... : "Das rote Gewerkschaftsbuch", 1932, Seite 73
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 53
überhaupt jede Beziehung zum Sozialismus. Die große sozialistische Bedeutung des
gewerkschaftlichen und politischen Kampfes besteht darin, dass sie die Erkenntnis, das
Bewusstsein des Proletariats sozialisieren, es als Klasse organisieren. Indem man sie als
Mittel der unmittelbaren Sozialisierung der kapitalistischen Wirtschaft auffasst, versagen sie
nicht nur diese ihnen angedichtete Wirkung, sondern büßen zugleich auch die andere
Bedeutung ein: sie hören auf, Erziehungsmittel der Arbeiterklasse zur proletarischen
Machtergreifung zu sein.«22
Durch den gewerkschaftlichen Kampf, der mit Erfolgen endet, werden wir uns also nicht
Stück für Stück dem Sozialismus nähern. Jede Tariferrungenschaft bekommen wir wieder bei
der nächsten Preiserhöhung weggenommen. Was aber bleibt, ist das Bewusstsein, das, was der
Kollege im Kampf gelernt hat. Bleibt der Kollege nach dem Kampf nur unter den
Zurückgebliebenen, wird er diese Erfahrungen wieder vergessen. Der graue Alltag des
Kapitalismus wird ihm wieder seinen Stempel aufdrücken. Daher muss er sich mit
Gleichbewussten zusammenschließen und gemeinsam mit ihnen, dem kollektiven Gedächtnis,
die nächste Generation von Kämpfenden beeinflussen und organisieren. Nichts anderes ist eine
Partei; nicht ein Club von Oberintelligenzlern, sondern nur der Zusammenschluss der bereits
erwachten Kollegen.
Klassenbewusstsein wird nur die Basis der Arbeiterklasse bekommen, diejenigen, die ihr
ureigenes Interesse nur im konsequenten Kampf erreichen können. Deshalb ist es notwendig,
sich immer auf die Basis im Betrieb zu stützen, auch nicht auf eine "linke" Bürokratie. Diese
ordnete sich immer der rechten Bürokratie unter. Es galt, auch keinen ultralinken Kurs gegen
die Arbeitermassen zu fahren wie die KABD, die 1923 die Arbeitslosen zu
Betriebsbesetzungen aufrief. Die Arbeitslosen wurden von den Arbeitern verprügelt, was dann
zur Auflösung des KABD führte.
Für den Träger der revolutionären Position muss man eine unabhängige Partei haben:
»Eine Parteispaltung kann unter Umständen für die weitere Entwicklung des Kampfes der
Arbeiterklasse um ihre Befreiung notwendig und nützlich sein... Ganz anders liegen die
Verhältnisse in der Gewerkschaftsbewegung. Auf gewerkschaftlichen Gebiet ist jede
Spaltung prinzipiell abzulehnen. Sie schwächt die Widerstandskraft der beteiligten Arbeiter
und steht daher unter allen Umständen im Widerspruch mit den Interessen der
Arbeiterbewegung.«23
Für die Taktik in den Gewerkschaften selber kommen die konsequenten Marxisten immer zu
dem Schluss der Einheitsgewerkschaft:
»Die Gewerkschaften verneinen, sie gar bekämpfen und ihnen neue "bessere"
entgegenstellen zu wollen, weil sie sich so, wie oben geschildert, teilweise "fehlentwickelt"
haben, wäre daher grundfalsch. Ganz abgesehen davon, dass alle Erfahrung bei den vielen
Neugründungen die Erfolglosigkeit dieser Bemühungen beweist. Unsere Aufgabe und die
aller revolutionär-oppositionell eingestellten Gewerkschafter ist es vielmehr, die
Bonzokratisierung zu verhindern und zu beseitigen, indem wir unablässig kämpfen gegen
den ganzen reformistischen Kurs, für die Revolutionierung der Gewerkschaften.
Die gegenwärtige "Tolerierungspolitik" der Mitglieder gegenüber den reformistischen
Gewerkschaftsführern wird im tagtäglichen proletarischen Anschauungsunterricht schon
22 Rosa Luxemburg; "Sozialreform oder Revolution", IS-Broschüre, S.23
23 Enderle ... : "Das rote Gewerkschaftsbuch", 1932, Seite 97
54 - Internationale Sozialisten
ald zu Ende gehen. Die Mitglieder werden und müssen dann die in ihren Verbänden
eingetretene Apparatisierung, Autokratisierung, Bürokratisierung, und Bonzokratisierung
radikal überwinden, um die Kampfformen der Gewerkschaft wieder aktionsfähig zu machen
und die Verwaltungsformen entsprechend reorganisieren zu können. Denn die
Gewerkschaften sind "trotz der katastrophalen Auswirkungen des reformistischen
Gewerkschaftskurses heute noch das letzte Bollwerk der Arbeiterklasse. Ihre Erhaltung,
Aktivisierung und Kräftigung ist die entscheidende Vorbedingung eines erfolgreichen
Abwehr- und Angriffskampfes gegen die Sozialreaktion und den Faschismus!"«24 ("-" =
Gewerkschaftsresolution der SAP.)
Manche Scheinlinke gehen sogar so weit, die Gewerkschaft mit irgendwelchen
kapitalistischen Organisationen gleichzusetzen. Aber trotz der konservativen, kleinbürgerlichen
Führung gibt es einen wesentlichen Unterschied zu kapitalistischen Standesorganisationen. Die
DGB-Führung wird von ihrer Basis immer wieder unter Druck gesetzt und muss deshalb
immer wieder den Kampf aufnehmen. Das Interesse der Bürokratie ist ihr Posten. Sie werden
diese aber verlieren, sollten die Mitglieder weggehen. Deshalb müssen sie von Fall zu Fall zum
Kampf aufrufen, aber nur, um diesen wieder zu verraten.
Dies unterscheidet sie fundamental von den klassischen Kleinbürgern, die zum Faschismus
neigen. Die Bürokraten müssen zum Klassenkampf von unten aufrufen, die Faschisten rufen
aber immer nur zum Frontalangriff gegen die Arbeiterklasse auf.
Wenn natürlich eine Gewerkschaft in eine faschistische Standesorganisation verwandelt
wird, dann wird es eine Organisation des Gegners, und keine Taktik wird uns die Massen
näherbringen. Solange aber auch nur formale Demokratie in der Gewerkschaft herrscht, wird
unser Platz dort an der Seite der Arbeiter sein.
Die Kleinbürger stehen zwischen den Klassen. Die Gewerkschaftsbürokratie kann aber in der
Regel nicht zum Faschismus, wie die kleinen Ladenbesitzer, neigen, weil sie von den Arbeitern
nach links gedrückt werden. 25 Wir dürfen uns aber nicht auf die linken Bürokraten stützen,
weil diese sich in Auseinandersetzungen immer wieder den rechten unterordnen werden, Wir
können uns nur auf die Basis stützen. Trotz der Gewerkschaftsführung ist es für Revolutionäre
notwendig, in den reaktionären Gewerkschaften zu arbeiten:
»Der Kapitalismus hinterlässt dem Sozialismus unvermeidlich einerseits die alten, in
Jahrhunderten herausgebildeten beruflichen und gewerblichen Unterschiede zwischen den
Arbeitern und andrerseits die Gewerkschaften. Diese können und werden sich nur sehr
langsam, im Laufe vieler Jahre zu breiteren, weniger zünftlerischen Produktionsverbänden
(die ganze Produktionszweige und nicht nur einzelne Branchen, Gewerbe und Berufe
umfassen) entwickeln 26 und erst dann dazu übergehen, vermittels dieser
Produktionsverbände die Arbeitsteilung unter den Menschen aufzuheben und allseitig
entwickelte und allseitig geschulte Menschen, die alles machen können, zu erziehen, zu
unterweisen und heranzubilden. Dahin steuert der Kommunismus, dahin muss und wird er
24 Ebenda, S.95
25 Vgl. Molyneux: "Was ist die wirklich marxistische Tradition", IS-Broschüre, Seite 24 unten: Die
Gewerkschaftsführer (rechter als SPD) waren gegen Massenstreik, griffen aber dann doch zum politischen
Massenstreik in Sachen Wahlrecht.
26 Im "Roten Gewerkschaftsbuch" wird der Schritt der Ausführung Lenins Vorschlag in Deutschland beschrieben:
»Auf dem Leipziger Gewerkschaftskongress 1922 wurde zum ersten Male als besonderer Tagesordnungspunkt und in
bestimmt formulierten Anträgen die Umwandlung der Berufsverbände in Industrieorganisationen zur Debatte
gestellt.«, S.69
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 55
gelangen, aber erst nach einer langen Reihe von Jahren. Der Versuch, heute dieses künftige
Ergebnis des vollkommen entwickelten, vollkommen gefestigten und herausgebildeten,
vollkommen entfalteten und reifen Kommunismus praktisch vorwegzunehmen, wäre
gleichbedeutend damit, einem vierjährigen Kind höhere Mathematik beibringen zu wollen.
Wir können (und müssen) beginnen, den Sozialismus aufzubauen, und zwar nicht aus einem
phantastischen und nicht aus einem von uns speziell geschaffenen Menschenmaterial,
sondern aus dem Material, das uns der Kapitalismus als Erbteil hinterlassen hat. Das ist
sehr "schwer", wer will es leugnen, aber jedes andere Herangehen an diese Aufgabe ist so
wenig ernst, dass es gar nicht lohnt, davon zu reden.
Zu Beginn der Entwicklung des Kapitalismus bedeuteten die Gewerkschaften als Übergang
von der Zersplitterung und Hilflosigkeit der Arbeiter zu den Anfängen einer
Klassenvereinigung einen riesigen Fortschritt der Arbeiterklasse. Als die höchste Form der
Klassenvereinigung der Proletarier, die revolutionäre Partei des Proletariats (die ihren
Namen nicht verdient, solange sie es nicht gelernt hat, die Führer mit der Klasse und mit den
Massen zu einem Ganzen, zu etwas Untrennbarem zu verbinden), sich herauszubilden
anfing, da begannen die Gewerkschaften unvermeidlich gewisse reaktionäre Züge zu
offenbaren, eine gewisse zünftlerische Beschränktheit, eine gewisse Neigung zur politischen
Indifferenz, eine gewisse Stagnation usw. Aber anders als vermittels der Gewerkschaften,
anders als durch ihr Zusammenwirken mit der Partei der Arbeiterklasse ging die
Entwicklung des Proletariats nirgendwo in der Welt vor sich und konnte auch nicht vor sich
gehen. Die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat bedeutet für das
Proletariat als Klasse einen riesigen Schritt vorwärts, und die Partei muss noch mehr und
auf neue, nicht nur auf alte Art die Gewerkschaften erziehen und leiten, darf aber
gleichzeitig nicht vergessen, dasx sie eine unentbehrliche "Schule des Kommunismus" sind
und noch lange bleiben werden, eine Vorbereitungsschule für die Proletarier zur
Verwirklichung ihrer Diktatur, eine unentbehrliche Vereinigung der Arbeiter für den
allmählichen Übergang der Verwaltung der gesamten Wirtschaft des Landes in die Hände
der Arbeiterklasse (aber nicht einzelner Berufszweige) und sodann aller Werktätigen.« 27
Die Gewerkschaft nach 1945
Nach 1945 entwickelten sich neue Chancen für eine Radikalität. Überall in Deutschland
gründeten sich an der Basis "Antifa-Komitees", die die Betriebsorganisationen ohne Kontrolle
einer reformistischen Gewerkschaftsführung selbständig in die Hand nahmen. Nicht nur die
Betriebe wurden in Selbstverwaltung wieder aufgebaut, sondern auch die Organisation in den
Städten wurden von ihnen angegangen:
»Fast ausnahmslos wurden die alliierten Truppen bei der Besetzung größerer deutscher
Städte von Delegationen linker Antifaschisten empfangen, die fertige Programme,
Kandidaten für die örtliche Verwaltung und Unterstützung bei der Durchführung der
Entnazifizierung bereit hielten. Ihre Untergrundorganisationen hatten die Grundlage für
eine rasche Rekrutierungskampagne vorbereitet. « 28
Es gab insgesamt gute Bedingungen für den Aufbau einer neuen Gewerkschaft von unten.
Die US-Amerikaner hatten aber schon vorsorglich zusammen mit der SPD und den KPD'lern
den Aufbau der Bundesrepublik und der Gewerkschaften in Amerika, wo sich ein großer Teil
der Emigranten befand, gut durchorganisiert und jegliche Selbstorganisation untersagt. Die
27 W.I. Lenin: "Der 'linke Radikalismus', die Kinderkrankeit im Kommunismus", April 1920. Seite 20, IS-Broschüre
28 Schmidt/Fichter: "Der erzwungene Kapitalismus", Berlin, 1971, Seite 9
56 - Internationale Sozialisten
eingesetzten Gewerkschaftsführer in den englischen Zonen glaubten sogar, mit dem britischen
Militär den "Sozialismus" einzuführen, schließlich war dort ja die Labour-Party an der
Regierung.
Da es den Druck von unten in Richtung Arbeiterkontrolle gab, wurden Scheinmaßnahmen
durchgeführt. Die Entflechtung der Großkonzerne, z.B. des Chemie-Monopols der IG Farben
in Hoechst, Bayer und BASF wurde als Sozialismus ausgegeben, treu der Maxime, dass die
Monopole allein schuld an der kapitalistischen Misswirtschaft und der Kollaboration mit Hitler
seien. Dabei diente die Entflechtung nichts anderem als der besseren Ausgangsposition der
Alliierten im weltweiten Konkurrenzkampf und der politischen Stärkung der alliierten
Kommissare.
Die Vorgänge von 1945 belegen, dass die DGB-Gewerkschaftsführer für eine
Sozialpartnerschaft und nicht für den Klassenkampf eintreten. 29 Im Betriebsverfassungsgesetz
wurde die Pflicht zur Sozialpartnerschaft und die Absage an den Klassenkampf verankert.
Im Betriebsverfassungsgesetz von 1934 wurde der Kampf für den Nutzen des Volkes
festgeschrieben.
»Im Betriebe arbeiten der Unternehmer als Führer des Betriebs, die Angestellten und
Arbeiter als Gefolgschaft gemeinsam zur Förderung der Betriebszwecke und zum gemeinen
Nutzen von Volk und Staat.« 30
Im BVG von 1952 wurden die Gewerkschafter immer noch im § 2 auf das Gemeinwohl
festgesetzt:
»Arbeitgeber und Betriebsrat arbeiten im Rahmen der geltenden Tarifverträge
vertrauensvoll und im Zusammenwirken mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften und
Arbeitgebervereinigungen zum Wohl des Betriebes und seiner Arbeitnehmer unter
Berücksichtigung des Gemeinwohles zusammen« 31
Ob also Faschismus oder liberale Demokratie, beides mal muss das gleiche Interesse dahinter
stehen, das des großen Geldes. In dem BVG 1972 wurde zwar das Gemeinwohl gestrichen,
aber es ist inzwischen soweit von der Öffentlichkeit verinnerlicht worden, dass es im Gesetz
nicht mehr notwendig schien. Wie selbstverständlich wird regelmäßig bei jedem Streik von der
bürgerlichen Journaille ohne größere Proteste mit dem Hinweis auf ein "Gemeinwohl" gegen
jeden Streik zu Felde gezogen.
Der Betriebsrat darf sich nicht für die Interessen der Arbeiter einsetzen, sondern muss den
"Betriebsfrieden" wahren, er ist nach dem BVG lediglich Vermittler zwischen Kapital und
Arbeit. Auf diese Funktion wurden auch die jetzigen Arbeitervertreter von den Alliierten
zurechtgestutzt. Die SPD-Bürokraten spielten natürlich dieses Spiel mit. Sie trugen nicht
darum Sorge, dass der Einfluss der alten faschistischen Unternehmer wieder eingeführt wurde,
sondern dass die Arbeiter selbsttätig werden könnten:
»In der Bereitschaft der verhandelnden Gewerkschaftsfunktionäre, sich den Bedingungen
der Militärregierungen zu unterwerfen, ohne die Arbeiter zur Durchsetzung ihrer
Forderungen zu mobilisieren, kündigt sich bereits das spätere Verhältnis von
Gewerkschaftsspitze und der Masse der Mitglieder an.« 32
29 Vgl. Norbert Nelte: "Generalstreik 1948. Nie wieder Krupp". S.37
30 BVG, Nachrichten-Verlags-Gesellschaft, Ffm., 1972, Seite 14
31 Ebda., Seite 14
32 Ebda., Seite 21
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 57
»Um den wachsenden Einfluss linker Betriebsräte zurückzudrängen, führte die britische
Militärregierung die paritätische Mitbestimmung ein, mit der Absicht, die Gewerkschaften
zum Ordnungsfaktor zu machen.« 33
Böckler forderte schon 1918, dass Betriebsräte Vermittler sein sollen, nicht Vertreter der
Arbeiter.
Auch die stalinisierte KPD verfolgte kein anderes Programm:
»Die Taktik wurde auf dem Bezirksparteitag der KPD-Ruhrgebiet am 9.2.1947 festgelegt:
"In der Agitation unter den Massen kommt es darauf an, den notwendigen politischen Druck
zu erzeugen, um die endgültigen Schritte zur Entmachtung der Monopolisten durch
Übereignung der Betriebe in die öffentliche Hand zu tun. Wir wollen diese konkreten Schritte
gemeinsam mit der SPD, den Gewerkschaften und den fortschrittlichen Kräfte des
Bürgertums, die dazu bereit sind, tun..."« 34
Schließlich ging es darum, im Interesse des russischen Außenhandels und nach den
Arrangements von Jalta die Kommunistischen Parteien dazu zu bewegen, den Sowjets Respekt
in der Welt zu verschaffen:
»Wo immer sich die Möglichkeit bot«, schreibt lan Birchall, »strebten die KPen die
Beteiligung an Koalitionsregierungen an. Unter den Ländern, die Anfang 1947 KP-Minister
hatten, waren Österreich, Belgien, Frankreich, Island, Italien, Chile und Finnland. Das
Schema - Unterstützung der Produktion und Opposition gegen Streiks - war überall
ähnlich.« 35
Auch nach Stalins Tod sollte sich die Linie der Kommunistischen Parteien für die
Sozialpartnerschaft bzw. den Sozialfrieden und gegen den Klassenkampf nicht ändern. Im
November 1960 erklärten in Moskau einundachtzig KPen noch deutlicher:
»Die Politik der friedlichen Koexistenz entspricht den Grundinteressen aller Völker, die alle
keine grausamen Kriege wollen und dauerhaften Frieden suchen. Diese Politik stärkt die
Positionen des Sozialismus, steigert das Ansehen und den internationalen Einfluss der
sozialistischen Länder und fördert das Ansehen und den Einfluss der kommunistischen
Parteien in den kapitalistischen Ländern. Der Friede ist ein zuverlässiger Verbündeter des
Sozialismus, denn die Zeit arbeitet für den Sozialismus, gegen den Kapitalismus.« 36
Dieses Dokument spiegelt den Reformismus der Moskau-"Kommunisten" überdeutlich
wieder. »Einfluss der kommunistischen Parteien in den kapitalistischen Ländern« heißt nichts
anderes als die Verneinung der marxistischen Staatstheorie, die besagt, dass der Staat das
Instrument der herrschenden Klasse ist, im Kapitalismus ist er der relativ unabhängige ideelle
Gesamtkapitalist. Das Kapital entscheidet also letztlich langfristig und der Einfluss von
Kommunisten ist gleich Null.
Unser Einfluss muss bei der Arbeiterbasis liegen und nur in der Richtung des konsequenten
Gewerkschafters, der keinen "Frieden" mit dem System macht; einen Frieden, den es nur in
den Wunschvorstellungen von irgendwelchen stalinistischen Funktionären gibt - die
herrschende Klasse im Kapitalismus jedenfalls erklärt uns Arbeitern den Krieg jeden Tag aufs
Neue.
Die Gewerkschaften hatten nicht nur seit ihrer Gründung antimarxistische Führer. Auch bei
ihrer Neugründung 1945 spannten die Reformisten den DGB vor ihren Karren und die
33
Ebda., Seite 33
34
Schmidt, Fichter: "Der erzwungene Kapitalismus", 1971, Seite 24
35
Ian Birchall: "Arbeiterbewegung und Parteiherrschaft", S.48 Ebda., S.94
36 Ebda., S.94
58 - Internationale Sozialisten
sogenannten Kommunisten in der KPD bildeten keine Ausnahme. Die Chance, für einen
basisorientierten Wiederaufbau wurde mit Hilfe der Alliierten, der SPD und der KPD vertan.
Ab Mitte der 50er bis hinein in die frühen 70er Jahre erlebte die BRD einen langanhaltenden
Aufschwung. Der Rüstungshaushalt der USA betrug noch vor dem Krieg in Friedenszeiten nur
1,5% vom Bruttosozialprodukt, 1945 stieg er bis zum Ende des Vietnam-Krieges
durchschnittlich auf 10%. Dies führte weltweit zu einer massenhaften zusätzlichen
Nachfrage 37 . Der langanhaltende Aufschwung führte zur weiteren Stärkung des Reformismus.
Der Verteilungsspielraum wurde besonders bei den lmperialisten größer. Es konnte über
Verhandlungen noch etwas rausgeholt werden. Verhandlungsführer waren die
Sozialdemokraten. Daher rührt ihre Stärke. Die Reformisten verstehen Demonstrationen immer
nur als Unterstützung für ihre Verhandlungen, nicht als einen Kampf der Basis für ihre eigenen
Interessen. Aber nur in einem Kampf, den die Arbeiter für ihre eigenen Interessen, nicht denen
der Bürokraten, führen, entsteht Klassenbewusstsein.
Dennoch müssen die Kommunisten auch diese Kämpfe unterstützen, weil sie letztlich die
Schule für weitergehende Kämpfe sind. Nur hier können die Arbeitermassen lernen, dass in
von Reformisten geführten Kämpfen sie ihre Interessen nicht durchsetzen können. Nur der
konsequente Kampf wird sie zum Sieg führen können.
Ein relativ großer Stillstand im Klassenkampf herrschte über 30 Jahre. Erst Ende der 60er
Jahre änderte sich die Lage. In den Universitäten der Welt entstand 65/66 eine radikale
Bewegung, die sich gegen die autoritären Strukturen auflehnte. Sie inspirierte die
Arbeiterbewegung. lm Mai 1968 traten 10 Millionen Arbeiter in Frankreich in den
Generalstreik, so dass De Gaulle schon an eine Flucht dachte. Erst der Verrat der Sozialisten
und Moskau-"Kommunisten" rettete die Regierung.
Erst die Radikalität der Arbeiter führte die Studenten zu der kommunistischen Haltung, dass
die Arbeiterklasse das revolutionäre Subjekt ist. Dies geschah aber nur in der kleinbürgerlichen
Form des orthodoxen Moskau-Stalinismus, des Mao-Stalinismus im reinen Peking oder Tirana-
Kleid und auch dem Che-Utopismus oder höchstens in der orthodoxen trotzkistischen Form als
Steigbügelhalter des Stalinismus.
Die Doppelstrategie der "neuen" Linken im DGB
Da die DGB-Führung sich orientiert am Reformismus, an der Klassenversöhnung, muss man
natürlich eine konsequente Opposition aufbauen, aber im DGB. Wie anfangs schon
beschrieben, sind wir als Kommunisten für eine Einheitsgewerkschaft und gegen eine
stalinistische RGO-Politik 38 . Aber nicht um jeden Preis. Wir müssen auch eine konsequente
Gewerkschaftsarbeit durchführen, auch unter der Gefahr, von der Gewerkschaftsführung
ausgeschlossen und damit auch mit der Kündigung bedroht zu werden. Unser Ziel muss es
37 Vgl. Christoph Deutschmann: "Der linke Keynesianismus", S.139. Bei der Heranziehung dieser Zahlen weist
Deutschmann noch darauf hin, dass in der gleichen Zeit die Sozialausgaben kaum verändert wurden (1929 = 10,7%,
1959 = 10,9% vom Bruttosozialprodukt)
38 Revolutionäre Gewerkschafs-Opposition: Die Politik der RGO beruhte auf der Einschätzung der reformistischen
Gewerkschaften als direktes Werkzeug der kapitalistischen Organisationen. Die von der (stalinistischen) KPD unter
Thälmann seit 1928 propagierte RGO-Politik verzichtete zunächst auf die Bildung selbständiger Gewerkschaften.
Erstes Ziel war das Herausdrängen der reformistischen Führung und das Führen von gewerkschaftlichen Kämpfen
ohne und gegen die Gewerkschaften. Bald wurden jedoch für die in den Betrieben arbeitenden Gruppen der RGO
eigene Mitgliedskarten ausgegeben und bei den Betriebsratswahlen eigene Listen aufgestellt. Schließlich wurden die
ersten selbständigen Verbände gebildet und auch die Forderung "Hinein in die Gewerkschaften" aufgegeben. Die
Praxis lief auf eine Spaltung hinaus, die - zusammen mit der Sozialfaschismustheorie, die die SPD zum Hauptfeind
erklärte - zu einer Schwächung der Arbeiterbewegung im Kampf gegen den Faschismus führte.
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 59
dabei aber immer bleiben, den Kampf zu führen, um in die Einheitsgewerkschaft wieder
zurück zu kommen.
Die Gewerkschaftsführung war schon seit ihren Anfängen rechts, und trotzdem haben die
Väter des Kommunismus wie Rosa Luxemburg und die leninistischen KPD’ler in ihr
gearbeitet. Es ist daher vollkommen falsch, nur heute den DGB als Integrationsfaktor zu
bestimmen und daraus abzuleiten, dass man deshalb nur in "autonomen Gruppen" arbeiten
müsse. Andererseits ist es auch vollkommen illusionär, zu glauben, dass die Kommunisten die
Gewerkschaftsführung zu radikalen Positionen drängen könnten.
Auch die linken Bürokraten können als Gruppe nicht zu konsequenten Positionen kommen,
höchstens einzelne. Die linke Bürokratie wird von der rechten bezahlt und deshalb immer sich
ihnen unterordnen und den Weg der "faulen" Kompromisse gehen. Daher dürfen wir uns
immer nur auf die Basis in den Betrieben stützen.
Die DGB-Führung fand immer einen Weg, um unliebsame Kollegen auszuschließen, und ein
Ausschluss aus der Gewerkschaft ist meist auch ein Signal für die Kapitalisten, den Arbeiter zu
kündigen.
Der Vorstand des DGB hatte am 3.10.1973 die "Unvereinbarkeitsbeschlüsse" erlassen.
Danach war die Tätigkeit (Mitgliedschaft) oder die Unterstützung von linksextremen
"gegnerischen" Parteien wie der Mao-KPD und der KPD/ML oder dem KBW mit der
Mitgliedschaft in der IGM unvereinbar.
Ausschlüsse hagelte es nicht nur gegen Kommunisten. Auch konsequente Gewerkschafter,
ganze Gruppen oder auch einzelne "linke" Bürokraten, die sich mit der Basis solidarisierten,
wurden ausgeschlossen. Die GEW schloss sogar den ganzen Berliner Landesverband aus.
Die Unterdrückung der klassenkämpferischen Kollegen durch das Kapital ist bekannt.
Schließlich hat es viel zu verlieren. Aber zu welchen kriminellen Methoden es dabei manchmal
greift, verschlägt einem doch den Atem:
»Der Fall ist durch die bürgerliche Presse gegangen: der 23 Jahre alte Walter Zaschke,
Warenannahmeleiter bei der Lebensmittelkette toom in Taunusstein bei Frankfurt,
Betriebsratsvorsitzender, sollte mit Hilfe einer fingierten Rauschgift-Affäre entlassen
werden. Ein Detektiv, früher Hauptmeister bei der Frankfurter Kripo, stellte die Falle. Er
legte in ein Schließfach im Frankfurter U-Bahnhof Hauptwache eine Tasche mit einem
geladenen Trommelrevolver, Morphium und Spritzen. In der Innentasche steckte ein Zettel
mit der Adresse von Walter Zaschke. Dann verständigte er die Polizei. Als er später selbst
reingefallen war, nannte er seine Hintermänner: den "toom"-Geschäftsführer Siegfried
Hübner und dessen Assistent Dieter Hoffman ... «39
Die Gewerkschaftsbonzen sind nur Handlanger dieser kriminellen Vereinigung. Dennoch
kommen sie sich nicht zu blöd vor, auch die offenste Zusammenarbeit mit dem Kapital als
Vertretung für die Arbeiter auszugeben. Hierfür nur ein schönes Beispiel von der damaligen
Farbwerke Hoechst:
»Im September 1974 wurde einigen Kollegen bekannt, dass versteckt am Haupttor der
Hoechst AG, eine Fernsehkamera mit Nahaufnahmemöglichkeit eingebaut worden war. Auf
den Betriebsversammlungen Anfang Oktober wurde, von den heute vom Ausschluss
bedrohten Kollegen, die Unternehmensleitung aufgefordert, die Kamera wieder abzubauen,
da sie mitbestimmungspflichtig sei (§87,6) und der BR sicherlich nicht zugestimmt hätte.
Daraufhin antwortete der BR-Vorsitzende Rolf Brand, anstelle der angesprochenen
39 Informations-Dienst, Frankfurt, 12.3.1977
60 - Internationale Sozialisten
Werksleitung, die Kamera diene nur zur Verkehrsüberwachung und sei daher nicht
mitbestimmungspflichtig. Direktor Boullion bestätigte dies.« 40
Das sind nur 2 Beispiele der kriminellen Machenschaften des Kapitals und ihrer Handlanger
und von Verfolgungen kämpferischer Gewerkschafter. Diese Beispiele ließen sich ellenlang
fortsetzen. Dies ist aber nicht Ziel dieses Artikels, der sich auf diese beiden Beispiele
beschränken soll, die aber symptomatisch sind dafür, was uns Kommunisten in den Betrieben
erwartet.
Wir wollen also nicht verniedlichen, zu welchen perfiden Mitteln die Gewerkschaftsführung
greifen kann. Dennoch können wir auf die Massen der Arbeiterschaft nur im DGB treffen.
Deshalb arbeiten wir einerseits im DGB und seinen Strukturen wie Vertrauensleutekörper,
andererseits müssen wir auch in kämpferischen Zeiten die kämpferischen Kollegen unabhängig
von der Führung organisieren.
Wir dürfen nicht die Pflicht zur Einheit oder die Einrichtung "autonomer" Gruppen als
Alternative sehen. Man sollte einfach beides machen: in der Gewerkschaft arbeiten und dabei
sich unabhängig organisieren. Wenn wir Einfluss auf die gewerkschaftliche Betriebsarbeit, auf
die gewerkschaftliche Ortsgruppenarbeit etc. nehmen wollen, können wir das nicht vereinzelt,
sondern nur organisiert.
Die Radikalität der Studenten konnte trotz Stalinismus vereinzelt auf die Arbeiterklasse
rückwirken. Schon Ende der 60er ergaben sich erste Unzufriedenheiten in der Arbeiterschaft.
Einerseits belasteten erste Anzeichen der kommenden Krise die Arbeiter, andererseits gab es
noch keine Massenarbeitslosigkeit, die die Arbeiter meistens zu spalten droht. Zu den Kollegen
gab es erste Kontakte auf den Demonstrationen und in den Universitäten - zu deren
Diskussionen auch die interessierten Arbeiter kamen. Nach dem Studium gingen auch bewusst
manche Ex-Studenten in die Großbetriebe.
Mit zu den ersten Ergebnissen der wenigen Kontakte zwischen radikalisierten Studenten und
Arbeiter zählte der Streik bei Ford Köln im August 1973 und der Kampf der Frauen bei
Pierburg, Neuss, am 13.8.73 gegen die niedrigen Frauentarife. Trotz des massiven Einsatzes
der Polizei in Köln und Neuss kämpften die Frauen bei Pierburg konsequent weiter gegen die
"Leichtlohngruppe". In Köln gelang der Geschäftsleitung mit Hilfe des IGM-Betriebsrates die
Spaltung in deutsche und ausländische Arbeiter, und sie konnte so den Streik zerschlagen. In
Neuss aber solidarisierten sich die deutschen Facharbeiter, die meist das doppelte verdienten,
mit den ausländischen Frauen. Somit konnte der Kampf um die Abschaffung der
"Leichtlohngruppe" erfolgreich beendet werden.
Ein Pierburg-Arbeiter beschrieb damals die Ereignisse:
»Der Hof füllte sich, und um genau 900 Uhr legen der Werkzeugbau und weitere
Facharbeiter die Arbeit nieder. Die Werkstore sind plötzlich offen, und die Frauen strömen
den deutschen Männern entgegen. Eine echte Welle der Solidarität breitet sich in
Sekundenschnelle über den gesamten Betrieb aus. Man umarmt sich, ruft gemeinsam
Parolen. Im Nu hat es sich überall herumgesprochen: Die deutschen Männer haben den
Hammer fallen lassen. Damit hatten die Manager nicht gerechnet. Die jahrelange Mühe und
Diskriminisierungsarbeit waren vergeblich gewesen.« 41
Aus dem Jahr 1973 gingen auch weitere Kämpfe von Mannesmann in Duisburg,
Küppersbusch in Gelsenkirchen, Rheinstahl in Brackwede, der Saarbergleute usw. und 1974
40 Dokumentation zum Ausschlußantrag gegen 6 IG-Chemie-Kollegen in der Hoechst AG", 1976, S.2
41 nach SAG: "Die ausländischen Arbeiter in der Krise", Ffm. 1975, S.69
41
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 61
der Besetzungsstreik bei den Zementwerken Seibel & Söhne in Erwitte in die
Arbeitergeschichte ein.
Diese Kämpfe ab 1969 inspirierten wiederum die linken Gruppen zu einer kontinuierlichen
Betriebsarbeit. Bekannt wurden die Gruppen bei Mercedes um Hoss (später grüner Europa-
Abgeordneter) und Mühleisen und bei Opel-Bochum. Von Anfang an hatten alle mit einer
Diffarmierungskampagne seitens der Gewerkschaftsführung zu tun.
Zuerst ist es immer im Betrieb wichtig, eine kontinuierliche Vertrauensleutearbeit zu
machen. Die Vertrauensleute vertreten die gewerkschaftlich Organisierten im Betrieb.
Diese Vertrauensleutearbeit sollte man fast immer machen, weil man hier die Diskussionen,
die im Betrieb unter den Arbeitern laufen, sehr genau mitbekommt. Vertrauensleutekörper
werden 2008 aber leider nur noch in wenigen Metallbetrieben installiert, weil die
Gewerkschaftsführung den Linken eben möglichst wenig Plattformen zu bieten.
Wie wir bereits aus der Geschichte des DGB wissen, hatte er sich immer mehr vom
Vertrauensleutekörper wegorientiert. Noch vor dem ersten Weltkrieg standen die
gewerkschaftlichen Vertrauensleute im Mittelpunkt der gewerkschaftlichen Arbeit und
befanden sich oft in organisierter Opposition zu ihrer Gewerkschaftsführung. Die
revolutionären Obleute (Vertrauensleute) stellten schließlich die Kerne der revolutionären
Bewegung 1918 in den Betrieben. Sie waren allerdings sehr schlecht von der
Gewerkschaftsbrükratie zu kontrollieren. Mit Hilfe der Alliierten konnte dieses Zentrum aber
zerschlagen werden. Es gab Vorstellungen, sogar in den Betrieben selbst keinerlei
Organisationen aufzubauen, weil eine Betriebsorganisation dem Gewerkschaftsapparat
gefährlich werden könnte.
Daher statteten die Sozialdemokraten die Betriebsräte mit größerer Macht aus. Diese wurden
vom Kapital bezahlt und waren deshalb auch eher bereit, sich korrumpieren zu lassen.
Besonders das Betriebsverfassungsgesetz von 1976 gab den Betriebsräten mehr Bedeutung.
Die Gewerkschaftsführung stützte sich fortan auf diese, nicht mehr auf den VLK. Wie es der
Vorstand der IGM ausdrückt, brauchen die »Betriebsräte besondere Unterstützung der IG-
Metall«. 42 »Die Zusammenarbeit von Vertrauenskörper, Betriebsrat und Jugendvertretung
hebt die Unabhängigkeit dieser Organe nicht auf ...« 43 Dies bedeutet nichts anderes, als dass
die ursprüngliche Aufgabe des VLK, die Interessen der gewerkschaftlichen Belegschaft im
Betrieb und in der Gewerkschaft zu vertreten, nicht mehr galt. Statt dessen mussten die
Vertrauensleute die Beschlüsse der Betriebsräte und der Gewerkschaftsführung in ihren
Abteilungen bekannt geben und durchsetzen.
Weil der Betriebsrat heute mehr Aufgaben hat, ist es aber unumgänglich für eine ernsthafte
Politik in kämpferischen Zeiten, auch Betriebsratsarbeit zu machen. Die Betriebsräte werden
von allen Kollegen gewählt und sollten deren Interessen vertreten. Das Kapital und sein
sozialdemokratischer Handlanger will den Betriebsrat aber immer auf die Vermittlerrolle
festlegen. Die Betonung liegt hier auf "kämpferische Zeiten". Vertrauensleutearbeit gilt es,
jederzeit zu machen, weil hier die Aufgabe, die Interessen der Kollegen zu vertreten, klar
eingeschränkt ist. Bei der Betriebsratsarbeit aber gerät man schnell in die Gefahr,
stellvertretend für die Kollegen zu handeln. Man ist frei gestellt, daher besonders privilegiert,
man verfügt über Büro und Material und über alle wichtigen Informationen. Also Vorsicht vor
Stellvertretertum und Substitutionismus. Es ist eine revolutionäre Betriebsratarbeit nur bei
einer kämpferischen Belegschaft denkbar. So, wie jetzt im Dezember 2008 die stürzenden
42 Leitsätze zur Vertrauenleutearbeit, Ziffer 10
43 ebda., Ziffer 12
62 - Internationale Sozialisten
Wirtschaftsmeldungen hereinflattern, ist aber auch eine ruhige Belegschaft nicht mehr lange
denkbar.
Wichtig ist aber, Vertrauensleute und Betriebsräte in einer Betriebsgruppe
zusammenzufassen und mit allen Aktiven im Betrieb gemeinsam alle anstehenden
betrieblichen und überbetrieblichen Probleme zu diskutieren. Gerade jetzt sind die
Lügentlarvungen über das Wideraufschwungsgefasel wichtig, da haben alle Aktiven,
Vertrauensleute und Betriebsräte in allen Abteilungen und Gruppen voll zu tun.
Unterschriftensammeln, Spuckis im Betrieb kleben, Flugblatt schreiben und Vereilung
organisieren, es gibt viel für eine revolutionäre Betriebsgruppe zu tun
Die konsequente Vertretung der Basis, besonders einer kämpferischen, ist natürlich den
Klassenversöhnlern immer suspekt. Sie versuchen daher, mit allen Mitteln die persönliche
Kandidatur von Klassenkämpfern immer zu verhindern und taten dies auch in den 70ern. Ein
Kollege von Opel Bochum berichtete von einem Treffen des IGM-Vorstandes zu den
Betriebsratswahlen 1975:
»Schon Anfang November trafen sich beim IGM- Vorstand in Frankfurt vorstandstreue
Betriebsratsvorsitzende aus mehreren Betrieben. Dort wurde unter anderem der Vorschlag
diskutiert, dass einige "bewährte" Betriebsratsmitglieder eine zweite Liste einreichen sollen,
wenn die fortschrittlichen Kollegen nicht von der Einheitsliste ferngehalten werden können.
Somit wurde die Persönlichkeitswahl verhindert... « 44
Die Gewerkschaftsbonzen verhindern dann, dass die konsequenten Kollegen auf die
Gewerkschaftsliste kommen und isolieren somit die Kommunisten im Betrieb. Diese werden
somit gezwungen, eine eigene Liste aufzustellen, müssen dabei aber immer weiterhin die
Persönlichkeitswahl fordern. Ein linker Betriebsrat von Opel/Bochum berichtet von ihrem
weiteren Vorgehen:
»Wir forderten zunächst durch verschiedene Handzettel im Betrieb eine demokratische
Aufstellung der offiziellen IGM-Liste durch die aktive Teilnahme aller organisierten
Kollegen. Zur Information: Bei Opel-Bochum sind rund 90% der Kollegen gewerkschaftlich
organisiert. Wir prangerten die Hinterstübchenpolitik der Spitzenfunktionäre um den
Betriebsratsvorsitzenden Günter Perschke an, die schon die ersten 25 Listenplätze, von 39 zu
wählenden Betriebsräten, unter sich ausgemacht hatten. Als die IGM-Liste trotzdem über die
Köpfe, der Kollegen hinweg aufgestellt wurde, und als die Listenwahl bereits feststand, da
stellten wir eine eigene Liste mit neun Kandidaten auf« 45
»Diese spektakuläre Form des Protestes gegen vorgefertigte politische Strukturen und
sozialpartnerschaftliche Stellvertreterpolitik konzentrierte sich auf Großbetriebe
vornehmlich der IG-Metall- und IG-Chemie-Organisationsbereiches und erreichte 1981
einen Höhepunkt. Waren es 1972 kaum eine Handvoll, so wuchs die Zahl
linksoppositioneller Listen 1981 auf etwa 40.« 46
Die Zahl 40 umreißt aber nur die oppositionellen Gruppen, die auch auf Dauer oppositionelle
Betriebsratsarbeit durchführten. Klassenkämpferische Gruppen, die mangels Verankerung ihre
Oppositionsarbeit auf den Vertrauenskörper beschränkten, gab es damals in jedem Großbetrieb,
in 2008 gibt es kaum mehr revolutionäre Gewerkschaftsgruppen.
44 aus "Opel Bochum 1972-1975, Eine Belegschaft sammelt Erfahrungen!", 9/75, S.99
45 "Referat eines BR von Opel/Bochum" aus: "Betriebsräte, Veranstaltung Hamburg vom 6.12.1975", S.11
46 "Politische Trends bei den Betriebsratswahlen 1984", 'Revier', Juli 1984
44
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 63
Die Gefahr bei diesen Gruppen war immer die des Syndikalismus. Nach diesem habe die
Gewerkschaft die Aufgabe der Partei, die Arbeiter zum Sozialismus zu führen. Hierbei muss
man sich aber an die letzten zurückgebliebenen Kollegen orientieren. Man kann also nicht
vorantreiben und ist der reaktionären Agitation der Sozialdemokraten schutzlos ausgeliefert.
Am Anfang orientierten die Mitglieder der oppositionellen Gewerkschafter sich noch am
Leninismus oder das, was sie dafür hielten. Mit dem Niedergang der Arbeiterbewegung aber
verstanden sie nicht, ihren Schwerpunkt wieder auf theoretische Arbeit zu legen und
entwickelten sich immer mehr zu Nurgewerkschaftern und entsprechend zu
Stellvertreterpolitikern, die für die Kollegen handelten, nicht mehr mit ihnen. Das weitere
Ergebnis davon ist, dass man eine Trennung von sozialen und politischen Kämpfen vollzieht.
Weil die Kollegen nicht mehr auf eine Antifa-Demo gehen, hielt man es nicht für sinnvoll, wie
Anfang der 70er Jahre, dorthin zu mobilisieren.
An wichtige kommunistische Forderungen aber orientierten die oppositionellen Gruppen sich
noch. Einige davon sind:
Jederzeitige Abwählbarkeit der Vertrauensleute und Betriebsräte!
Bei Streiks müssen wir Streikkomitees wählen lassen. Neue Kollegen, besonders die
radikalen, entwickeln sich in diesem dialektischen Prozess zu führenden Kollegen und müssen
in den Räten die alten müden Kollegen ablösen.
Lineare Lohnerhöhung, das heißt einen festen Betrag für alle. Eine Prozentforderung führt
dazu, das die Gutbezahlten mehr bekommen und die Schlechtbezahlten wenig, also zu einer
Spaltung der Belegschaft.
Eine Spaltung wird auch durch unterschiedliche Sozialpläne herbeigeführt. Deshalb ist es
wichtig, wenn wir Schließung und Sozialpläne schon nicht verhindern können, für alle den
gleichen Betrag, zu fordern.
Flächentarifverträge, keine Firmentarife 47 . Diese Forderung, wird gerade heute wieder
hochaktuell, weil es Angriffe auf den Flächentarifvertrag von den Unternehmern hagelt und die
Gewerkschaftsführung keinerlei Anstalten unternimmt, diese zu verteidigen.
Kompromisse muss man bei Kämpfen eingehen, aber keine faulen Kompromisse. Wir
müssen immer das volle Kampfpotential der Massen ausnutzen.
Es gilt, die Fortschrittlichen um sich zu sammeln, aber den Kontakt zu den Massen dabei
immer zu behalten.
Insgesamt kann man sagen, dass die oppositionellen Arbeiten in der Gewerkschaft mehr oder
weniger erfolgreich liefen. Sie fanden ein vorläufiges Ende, weil die Arbeiterbewegung erst
einmal sich in die Ruhestellung begeben hat. Der revolutionäre Aufschwung der 68er bekam
durch die revolutionäre Bewegung in Portugal 1974 noch einmal einen Schwung. Spätestens
aber mit der Erwürgung dieser Revolution mit Hilfe von Willy Brandt und dem CIA resignierte
die Arbeiterbewegung zusehends und fand in den 80er Jahren einen absoluten Stillstand.
Diese Verhältnisse haben sich jedoch in den 90ern immer noch nicht umgekehrt. Die Krise
des Kapitalismus wird aber immer offensichtlicher, die herrschende Klasse hat immer weniger
eine glaubhafte Alternative anzubieten. Ganz besonders deutlich wurde das Anfang des 3.
Jahrtausends. Für die Produktionsbetriebe
Die Arbeitermassen verhalten sich aber noch ruhig, so dass man sagen kann, dass momentan
die Ruhe vor dem Sturm herrscht. Man muss aber jederzeit darauf vorbereitet sein, dass die
Verhältnisse sich umkehren werden.
Lenin weist auf folgenden Punkt hin, der wichtig für kämpferische Zeiten ist:
47 Vgl. dazu "RGB". Seite 149
64 - Internationale Sozialisten
»Welches sind, allgemein gesprochen, die Merkmale einer revolutionären Situation? Wir
gehen sicherlich nicht fehl, wenn wir folgende drei Hauptmerkmale anführen: 1. Für die
herrschende Klasse ist es unmöglich, ihre Herrschaft unverändert aufrechtzuerhalten: die
eine oder andere Krise der "oberen Schicht", eine Krise der Politik der herrschenden Klasse,
die einen Riss entstehen lässt, durch den sich die Unzufriedenheit und Empörung der
unterdrückten Klassen Bahn bricht. Damit es zur Revolution kommt, genügt es in der Regel
nicht, dass die "unteren Schichten" in der alten Weise "nicht leben wollen", es ist noch
erforderlich, dass die "oberen Schichten" in der alten Weise "nicht mehr leben können".« 48
Das letzte Merkmal, „dass die "oberen Schichten" in der alten Weise "nicht mehr leben
können", wird auch in Deutschland in den nächsten Jahren sich zeigen. Nicht nur, dass ihnen
die Umsätze massenweise wegbrechen und sie die Lohnkürzungsspirale weiter beschleunigen
werden, nein, sie werden auch kaum mehr lukrative Anlagemöglichkeiten im
Produktionssektor finden. Massenarbeitslosigkeit von 50% wird das Kennzeichen des 3.
Jahrtausends. Die Gewerkschaftsführer nehmen immer sehr leicht Lohnkürzungen für eine
scheinbare Sicherheit der Arbeitsplätze in Kauf. In dieser Situation wird es in den Betrieben
rumoren und die Kollegen werden sich an neuen kämpferischen Köpfen orientieren.
Weltweit wird die Profitrate weiter sinkan. Der deutsche lmperialismus fällt noch dazu
zurück. Nicht, weil die eigenen Bedingungen schlechter werden, sondern weil die
Schwellenländer in Südostasien die alten Metropolen immer mehr einholen. Der Kapitalismus
konnte sich so lange halten, weil die gegenläufigen Faktoren zum tendenziellen Fall der
Profitrate bewusst von den Imperialisten eingesetzt wurden und somit den Fall abfederten. Die
wichtigen gegenläufigen Faktoren sind aber voll ausgeschöpft.
Die Lagerbestände, die sehr viel Kapital binden, sind mit Hilfe der "Just in Time"-Technik,
weitgehend auf Null gebracht worden und können nicht weiter abgebaut werden. Die Löhne,
die ebenfalls viel Kapital binden, werden schon oft erst dann ausbezahlt, wenn der Kapitalist
das Geld für die produzierte Ware erhalten hat, d.h. v (variables Kapital, also Löhne) ist seither
fast Null und kaum mehr weiter einzusparen.
Weltweit rettete sich das Kapital deshalb seit Anfang der 80er Jahre zu einer Erhöhung der
Profite auf Kosten der Löhne. Die Profitrate wurde noch einmal mit Hilfe der Erhöhung der
Mehrwertrate hoch gebracht. Dabei ist aber zu sehen, dass das Kapital hier auf eine natürliche
Grenze stößt, und zwar die, dass die Arbeitskraft sich noch reproduzieren kann. Der Spielraum
für das Kapital, die durchschnittliche Profitrate zu erhöhen, wurde also immer enger.
Nachdem man in den 90er Jahre sich auf den Shareholder-Value-Kapitalismus verlegte -
man machte Gewinne nicht mit Aktiendividende, sondern mit einem günstigem Kauf und
Verkauf der Aktien - suchte man ab 2002 das Heil in von der Substanz der Betriebe lebenden
Heuschrecken. Da durch die Finanzkrise die Geierhäuser keine Kredite mehr erhalten, suchte
man ab 2008 die Rettung im Bettel-Kapitalismus. Die Konzerne bettelten den Staat um
Unterstützung an. Besonders Amerika, Sarkozy und Browne gingen mit den Banken- und
Konzernrettungsfonds voran. Das bedeutet letztlich, dass die Arbeiter von ihrem schon
geringen Lohn noch einmal eine Kapitalistenabgabe abgezogen bekommen. Da bleibt doch nur
die Frage, wer überhaupt noch den ganzen Schrott kaufen soll. Die BMW-Verkäufe sind um
37,5% eingebrochen, während China meldet, das sein Wirtschaftswachstum auf 5% gefallen ist
und „Chinas Wirtschaftswachstum sich im kommenden Jahr zu halbieren und damit die
gesamte Weltwirtschaft in die Rezession zu stürzen droht. Davor warnte der Chef des
48 W.I. Lenin: "Der Zusammenbruch der II. Internationale", Werke, Bd. 21, Berlin 1972, S. 206
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 65
48
Internationalen Währungsfonds (IWF), Dominique Strauss-Kahn.“ 2009 wird die Rezession in
eine Depression übergehen.
„Große Dax-Konzerne schlagen vor, 2009 auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten ,
liegt ein schwieriges Jahr 2009 vor uns.“ Und weiter heißt es bei Spiegel-online: „Das müsse
man den Menschen sagen. Alle - Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften - müssten jetzt
"kraftvoll, aber auch mit Köpfchen handeln". 2009 dürfe nicht das Jahr der Entlassungen
werden, es gelte, die Menschen so lange wie möglich in den Betrieben zu halten.“ 49
Das ist
doch Dünnschiss. Wer soll denn so ein Quatsch glauben, der Kapitalismus ist doch am
Zusammenbrechen. Viele Werke machen doch 2009 zu: Mercedes, Opel, Thyssen/Krupp usw.
Man rechnet mindestens mit 1 Million mehr Arbeitslosen, da hilft auch kein
Komjunkturprogramm mehr, die Lohnabhängigen haben einfach kein Geld mehr für den
Autokauf und das Finanzsystem ist zusammengebrochen. Der IWF rechnet für Deutschland
2009 mit 4,0% Wirtschaftsrückgang.
Die Finanzmarktkatastrophen von China bis Amerika rollen doch jetzt schon im Minutentakt
ein. Jetzt gilt es, die Kollegen über die Wahrheit aufzuklären. Ein Wirtschaftaufschwung durch
Lohnverzicht ist nur Betrug.
Wenn die Kollegen jetzt im Betrieb wieder aktiv werden, dann können wir die
Gewerkschaften wieder zu Kampforganisationen der Arbeiterklasse machen und mit den
Massen gemeinsam die Menschheit aus ihrer Vorgeschichte heraus in ihre Geschichte
49 Spiegel-online, 15.12.
66 - Internationale Sozialisten
Die freie Gesellschaft
Das Ziel der Marxisten ist nicht die
Arbeiterrätegesellschaft, sondern die freie
Gesellschaft. Die demokratische
Arbeiterrätegesellschaft ist nur eine
notwendige Übergangsform für die freie
Gesellschaft.
Hier wird es keine Arbeiter mehr geben,
sondern nur noch gleichberechtigte
Menschen die nach dem Prinzip leben,
„Jedem nach seinen Bedürfnissen, Jedem
nach seinen Fähigkeiten“. Das wird aber
letztlich nur möglich sein, wenn das Geld, der Leistungsdruck und der Staat als Kontrollorgan
abgeschafft sind. Und hier erkennt man schon das Problem, warum man diese Gesellschaft
nicht direkt einführen kann, wie es die Anarchisten wollen. Anfangs werden noch einige
Kapitalisten oder Kapitalistenhelfer trotz ihrer kleinen Minderheit von 5% in Europa im
Untergrund alle Hebel in Bewegung setzen, um ihre Entmachtung wieder rückgängig zu
machen.
Außerdem kann die freie Gesellschaft nicht mit „ordre de mufti“ von oben eingeführt
werden. Wir haben doch alle die Erfahrung gemacht, dass man einen Kapitalismusanhänger
kaum von der Arbeiterräterepublik überzeugen kann, und sei er schon seit 40 Jahre Arbeiter.
Die Ideen der Herrschenden sind immer noch die herrschende Meinung. Die Herrschenden
verbreiten ihre Meinungen mit der „Millionäspresse“. Der Verleger muss auch wie alle
Kapitalisten eine Millionen besitzen, um eine Zeitung drucken zu können. Die Werbung wird
da nur geschaltet, wenn sie staatstragend ist, wenn sie beispielsweise auf Seiten Israels ist.
Ausnahme bildet jetzt das Internet, aber denen glaubt der Uninformierte einfach nicht. Das
Internet führt noch eher zu kleinbürgerlichen Theorien wie Geld- 3.- Weg- oder
Verschwörungstheorien, denn zur Emanzipation. Jedenfalls führen die Infos der unterdrückten
Nachrichten nur im Kleinbürgertum wie z.B. über die „Online-Überwachung“ zu stärkeren
Demos wie 1984 mit der Volkszählung, aber immerhin. Im Arbeiterbereich bleibt die
Mobilisierung zu Internetzeiten eher unter denen, der 70 er Jahre. Das hat noch mit der 68-
Bewegung zu tun.
In Deutschland ist sie noch weit hinter den Wirtschaftskrisen zurückgeblieben. Aber viele
andere Länder sind ja schon viel weiter, gibt es schon viel mehr von der reformistischen
Gewerkschaftsführung unabhängige emanzipierte Kämpfe, und dabei wirft auch der Arbeiter
ganz schnell seine alte Weltanschauung über Bord und lernt aus dem Internet. Über Ägypten
und Griechenland sind wir hier ja schon bestens informiert. In Italien wurden schon bei den
Betriebsbesetzungen bei INNSE Mailand, IVECO Suzzara, in der Schweiz bei Officine von
Bellinzona und Borregaard-Attisholz bei Solothurn und in Spanien bei Holcim Torredonjimeno
erste Erfahrungen mit Streikräten gesammelt. In England ist die Bewegung mit eine ganzen
Reihe von Streiks der nicht rituellen Art, mehrere heftige Konfrontationen bei
Demonstrationen und Kundgebungen der allerjüngsten Zeit schon eine ganze weiter als hier, so
dass die Polizei für den Sommer schon Unruhen erwartet.
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 67
In all diesen Kämpfen wurden schon demokratische Streikräte gewählt, die noch in der Phase
der Doppelherrschaft in Arbeiterräte verwandelt werden. Sie handeln auch nach den drei
Prinzipien
• jederzeitige Abwählbarkeit
• höchstens einen Facharbeiterlohn verdienen und
• an die Beschlüsse der Basis gebunden sind.
Bis dahin wird alles spontan verlaufen, wie wir das bei der Untersuchung der Geschichte der
Rätedemokratiebewegung nachgewiesen haben. Die emanzipierte Arbeiterbewegung wird in
revolutionären Verhältnissen die Partei, die ihre objektiven Interessen vertritt, aufbauen
(Russland, Portugal), also nicht die Parteien, die andere Staaten mit kleinbürgerlicher Führung
vertreten. Diese revolutionäre Arbeiterpartei wird die objektiven Interessen vorantreiben und
nach der Machtübernahme durch die Arbeitermassen sehr schnell in einer Basisplanwirtschaft
gleichen Lohn in allen Arbeiterstaaten und Austausch der Patente einführen damit auch in allen
Arbeiterstaaten nach einer Übergangszeit die gleiche Bedingungen herrschen. Nun herrscht
nicht mehr die kleine Minderheit der 5% Kapitalisten über die große Mehrheit der 85%
Arbeiterklasse, sondern umgekehrt, die große Mehrheit der Arbeiter herrscht dann über die
kleine Minderheit. Die Arbeiter unter sich und mit dem größten Teil des 10% Kleinbürgertums
sind dann basisdemokratisch organisiert, zusammen unterbinden sie aber dem Kapital, andere
ausbeuten zu können, von ihrer Wertschöpfung den Mehrwert zu unterschlagen, sie üben ihnen
gegenüber also noch eine Diktatur aus. Dies meinte Marx mit dem missverständlichen Begriff
der „Diktatur des Proletariats“, nicht das, was Stalin dann daraus machte, seine Diktatur über
die Arbeiterklasse.
Da aber nun die Arbeitenden selber über das Produktionskapital und seine Verwendung
verfügen und das Privatvermögen auf eine kleine Höhe von ihnen begrenzt wird, wird der
ehemalige Kapitalist dann wie alle anderen auch selber arbeiten müssen. Die 85% (Europa)
umfassende Arbeiterklasse wird dadurch innerhalb kürzester Zeit die anderen Klassen zu sich
herabziehen und in sich integrieren. Wenn die Arbeiterklasse dann die ganze Gesellschaft
umfasst, wird es keine Klassengegensätze mehr geben. Keine Profitinteressen treiben mehr die
Menschen auseinander, der Mensch kann endlich nach der Vernunft seine Entscheidungen
treffen, er tritt ins Zeitalter der Vernunft ein.
Die historische Mission des Geldes, der Staaten und der Arbeiterpartei hat sich damit erfüllt.
Der Staat ist abgestorben. Diese Situation wird umso schneller erreicht werden, je mehr Länder
diesen Reifegrad erreichen. Bei der Globalisierung der Wirtschaftskrise und der Kriege wird
dieser Punkt sehr schnell, innerhalb von eins, zwei Generationen nach der ersten Revolution
erreicht werden.
Es gibt keine Arbeiter mehr und keinen Kapitalisten mehr, es gibt nur Menschen, wir leben
dann nach dem Prinzip „Jedem nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“.
Das nennen wir Marxisten „Kommunismus“, wie in einer Kommune, du arbeitest oder nicht,
was Du willst, morgens Arzt, nachmittags Kindergärtner und in einem Jahr schaust Du Dir
Amerika an und arbeitest in Peru nach dem Studium als Archäologe. Wenn Du eine neue
Küche brauchst für Dein Haus, gehst Du zur städtischen Lagerverwaltung und der Verwalter
wird für Dich eine schöne raussuchen und noch ein besseres Fahrrad, alles ohne Geld.
Wie das, dann wird doch niemand mehr arbeiten wollen?
68 - Internationale Sozialisten
Engels hat in seiner Untersuchung „Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“
festgestellt, dass der Mensch durch die Arbeit (nicht Lohnarbeit) zum Menschen wurde. Wenn
Du faul auf dem Sofa rumliegst, fühlst Du doch nur das Tierische in Dir. Du wirst dann
Mensch, wenn Du schöpferisch bist. In einem Phoenix-Film über einen brasilianischen
Indianerstamm baut ein angesehener Blasrohrbauer einem Jungen ein Blasrohr und zeigt ihm
die recht komplizierte Fertigung, für null Euro, denn Geld kennen die überhaupt nicht. Nicht
wegen 3,50 Unzen, sondern einfach nur aus Spaß, für die Anerkennung oder die Liebe oder
Solidarität seines Stammes. Wenn er wegen des Spaßes arbeitet, wird doch der Mensch zu viel
größeren Entwicklungen fähig sein, als wenn er für Drei, Fünfzig arbeiten würde.
Na gut, aber der eine Mensch ist doch genialer als der Fensterputzer, das
müsste man doch honerieren.
In einer freien Gesellschaft sind alle Menschen Genies. Unser Gehirn ist nur zu 10%
ausgelastet, warum? Von Geburt an kann jeder Mensch singen und malen. Im Kapitalismus
werden alle Fähigkeiten wegen der Zweckorientiertheit kaputt gemacht. Schon das
Schulsystem muss die Kinder in Elite, Handarbeiter und Überflüssige aussortieren. Da wird
alles Geniale abgetötet. In der portugiesischen Revolution 1974 haben sie eine
Arbeiteruniversität gegründet, da haben die Arbeiter die griechischen Philosophen studiert oder
die Relativitätstheorie.
Außerdem gibt jeder das was er kann, ohne Profit da brauchen wir keine Aufrechnung mehr.
Und wer macht die Kanalisation sauber?
Der Mensch ist von Natur aus ordentlich und hat es gerne, wenn alles um ihn herum
übersichtlich ist. Da sammelt der Mathematiker auch nachmittags um das Haus den wenigen
Müll ein. Außerdem gibt es viel mehr Roboter und den Rest kann man sich im Wohnblock
aufteilen. Wenn man hochkonzentriert schwierige Probleme löst, führt man gerne
zwischendurch zur Entspannung auch mal stupide Arbeiten aus.
Es wurde ausgerechnet, wenn man sich auf das Notwendige beschränken würde, würde man
weltweit nur 2 Stunden pro Tag arbeiten müssen. Wenn die ganze überflüssige Arbeit wie
Waffenproduktion, Kriegsspiel, Werbung, Patentamtsarbeit, Reparatur von Billigware,
Krankenpflege von sozial Kranken, Bau von Luxusautos und Luxusyachten, Transport wegen
Zollersparnis und und und wegfallen würde, könnte man viel mehr Zeit für die
Kindererziehung, für Hobbys und Weiterbildung verwenden, so, dass man letztlich den
Unterschied zwischen Arbeit und Hobby feststellen könnte. Die Unterteilung in Kopf- und
Handarbeit ist auch aufgehoben. Der Arbeitsablauf wird nicht mehr in Sekundenschritten
unterteilt und Du behälst den Überblick über den gesamten Produktionsvorgang.
Und wenn alle ein Porsche wollen?
Die Ware hat nicht mehr die Form eines Befriedigungsersatzes. Wenn im Kapitalismus
jemand Porsche fährt, steigt seine Anerkennung. In der freien Gesellschaft werden die
Menschen wahrscheinlich gar keinen Porsche mehr bauen, aber das entscheiden sie ja selber.
Sollte einer noch einen alten Porsche haben, werden die Menschen denken, „Oh, ein Angeber
mit einem Penisersatz. Dem wollen wir doch den letzten Therapeuten empfehlen.“ Die
gesellschaftliche Anerkennung fällt auf Null.
Warum gibt es keinen Staat mehr? Es muss doch weiter ein Wirtschaftsministerium oder
einen Familienminister geben?
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 69
Verwaltungen, die das Wirtschaften organisieren usw. wird es natürlich geben. In der
Naturgesellschaft werden all diese Aufgaben auch gesellschaftlich abgestimmt und vom
gewählten Häuptling umgesetzt. Staaten gab es erst mit den Klassengesellschaften und
Nationalstaaten mit Pass und Staatsbürgern erst mit dem Kapitalismus. Die Aufgabe des
Staates ist die Kontrolle der unterdrückten Klasse durch das Innenministerium, die Justiz und
den Geheimdienst.
In der Naturgesellschaft stand der Mensch im Widerspruch zur Natur, in den
Klassengesellschaften steht der Mensch im Widerspruch zum Mensch und in der freien
Gesellschaft aber wird der Mensch mit sich in Harmonie leben können. In der
Naturgesellschaft herrschte noch Mangel, deshalb konnten die basisdemokratischen
Verhältnisse sich nur innerhalb des Stammes durchsetzen. Der Kapitalismus leidet am
Überfluss, da können wir leicht eine Welt aufbauen, in der alle Menschen gleichberechtigt
solidarisch zusammenleben, ohne Grenzen zwischen den Völkern und zwischen den
Menschen.
Das ist ja wie im Schlaraffenland
Ja richtig. Aber das hier ist wie Tollhaus, zu Krieg sagen wir Frieden und wenn wir einen
Hungerlohn verdienen, dann tun wir was für die Arbeitsplätze. In der WG oder Familie kochst
Du gerne für alle Kaffee, aber im Kapitalismus hisst es, der nimmt mir einen Arbeitsplatz weg.
Wenn weniger produziert wird, dann spricht man vom Gesundschrumpfen und wer die
Wahrheit spricht, ist ein Verschwörungstheoretiker und ein Spinner. Es wird Milliarden für
Satelliten ausgegeben für eine bessere Ernte und dann wird sie vernichtet, damit nicht zu viel
auf den europäischen Markt angeboten wird und jeden Tag verhungern 30.000 Kinder, alles
ganz logisch.
Es gibt ein Überfluss an Gütern, aber zu viel Armut für eine kaufkräftige Nachfrage. Dieser
Widerspruch wird schon in der solidarischen Basisräterepublik aufgehoben und wenn kein
Mangel mehr herrscht, braucht es auch kein Marktregulierungsmechanismus mehr, nur die
Vernunft, das ist alles.
70 - Internationale Sozialisten
Von der Vorgeschichte zur Geschichte der
Menschheit.
Nun wird es immer deutlicher, dass die Marktwirtschaft ihrem Ende zusteuert. Auch, wenn
alle wesentlichen Staaten massiv zusammengebrochen sind, glauben die unermüdlichen
Kapitalismus-Gläubigen noch immer, dass letztlich die Produktion auch wieder seine eigenen
Käufer schafft. Hier liegt aber ein grundlegender Irrtum vor.
Der Arbeiter als Produzent der Ware erhält von seiner Wertschöpfung nur den Anteil
abzüglich des Profits, das sind derzeit nur 2/3 der Wertschöpfung. Nur der Arbeiter wird aber
auch seinen Lohn wieder konsumieren. Der Kapitalist aber, der das restliche rund 1/3 sich
abpresst, wird außer dem eigenen Konsum, der revenue, das nur wieder in Investitionswaren
kapitalisieren, wenn mit einem aussichtreichen profitablen Absatz zu rechnen ist. Damit ist
heute aber weltweit nicht mehr zu rechnen. Auch nicht mit einem neuen Massenprodukt, dass
der Arbeiter mit Schulden kaufen könnte. Außerdem ist die durchschnittliche Rendite nahe
Null und die Grenze des Marktes erreicht, oder, um es mit Marx’ Worten auszudrücken, der
Weltmarkt hat sich fasst endgültig zusammenzogen. 50
Für den einzelnen Lohnabhängigen werden die Tage der Umwälzungen großartige Feiertage
bedeuten. Wir wollen beleuchten, was sie historisch für die gesamte Menschheitsentwicklung
darstellen.
Der Mensch hat sich als homo erectus vor 2,5 Millionen Jahren aus dem Vormenschen
entwickelt. Bei seiner Entwicklung waren die freiwerdenden Hände ausschlaggebend. Mit
ihnen konnte er gestalten und versuchte, zu begreifen, was er mit ihnen gestaltete, er arbeitete.
Für sein Buch, Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen von Friedrich Engels war
das auch ausschlaggebend. Diese Feststellung ist für heute wichtig, denn sie besagt, dass
niemand freiwillig auf der faulen Haut liegt, denn dann fühlt man sich nicht als Mensch. Wenn
50 Vgl. Lohnarbeit und Kapital, Seite 107
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 71
jemand nicht arbeiten kann, dann hat das System ihn krank gemacht oder andere vom System
kranke Menschen.
In den ersten 2,5 Millionen Jahren der Menschheit konnte noch kein
Mehrprodukt erarbeitet werden und es konnte sich auch keine Klasse bilden,
die dieses sich angeeignet hätte. Man lebte in totaler Abhängigkeit von dem,
was die Natur anbot. Der Familienverband, Clan oder Gens, wie Engels ihn
nannte, führte regelmäßig Clanversammlungen durch, bei denen alle
Stammesmitglieder gleiche Rechte hatten. Die Urgesellschaften konnten frei
von Repressionen im Sinne von Klassenunterdrückung aufgebaut werden, wie
Engels dies über die Irokesen in "Ursprung der Familie..." beschreibt:
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UUnnaabbhhäännggi iiggkkeei iit tts ss si iinnnn uunndd ddi iiee ppeer rs söönnl lli iicchhee Wüür rddee ddees s A Auuf fft ttr reet tteenns s, ,, ddi iiee aal lll llggeemmeei iinn aal lls s AAt ttt ttr ri iibbuutttee
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..«« 52 5522
Nicht nur bei den Irokesen wurde diese urkommunistische demokratische
Gesellschaft beobachtet. Rosa Luxemburg fasst die verschiedenen
Beobachtungen zusammen:
»»NNaacchhddeemm mmaann ddeenn AAggr raar rkkoommmmuunni iis smmuus s eer rs st tt aal lls s eei iinnee ggeer rmmaanni iis scchhee VVool llkks seei iiggeennt ttüümml lli iicchhkkeei iit tt, ,,
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51
Friedrich Engels: "Der Ursprung der Familie, des Privatreigentums und des Staates", MEW, Berlin 1962, Band
21, S. 95
52
Lewis H. Morgan: "Die Urgesellschaft. Untersuchungen über den Fortschritt der Menschheit aus der Wildnis durch
die Barbarei zur Zivilisation-2, Stuttgart 1908, S. 73, nach Fiedrich Engels
72 - Internationale Sozialisten
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 73
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Die Klassengesellschaften rechnete Marx aber ebenfalls zu der Vorgeschichte
des Menschen, weil hier der Mensch ebenfalls keinen Einfluss hatte. James
Watt wusste zwar, wie viel PS seine Dampfmaschine hatte, aber er wusste
nicht, dass er damit die Voraussetzung für den Kapitalismus schuf. Hier war
z.B. die Dynamik des Akkumulationsgesetzes entscheidend, nicht der Wille
des Menschen. Bei Strafe des Untergangs musste jeder Kapitalist Kapital
53 Rosa Luxemburg "Einführung in die Nationalökonomie", GW 5, Berlin 1990, S. 604
54 Rosa Luxemburg "Einführung in die Nationalökonomie", GW 5, Berlin 1990, S. 673
anhäufen, ohne Ende. Akkumulieren um der Akkumulation willen heißt fortan
das Credo der herrschenden Klasse.
In Kurdistan noch fand
man eine 11.000 Jahre alte
Religionsstätte mit schönen
Tierfigurenreliefen auf
Steinstelen, Göbekli Tepe.
In Çatal Hüyük in Anatolien
lebten vor 8.000 Jahren dann
schon 5-6.000 Menschen.
Die Häuser wurden ohne
Straßen aus Schutz vor
Angreifern direkt
aneinandergebaut und man
lief über die Dächer nach
Hause
In dem Palast in Arslan Tepe aber wurde vor 5.000 Jahren die erste
organisierte Waffenproduktion aus Kupfer und Arsen geboren, die für den
Fernhandel notwendige Voraussetzung waren. Dort fanden sich auch mehrere
Tausend Rollsiegel, die Lieferscheine für die Kupferlieferungen. Die Rollsiegel
mit Menschenfiguren und verschiedenen Tieren waren die Anfänge der Schrift.
Die Schrift ist also wegen des Misstrauens entstanden. In Arslan Tepe
verwandelten sich die
Priesterkönige zu
Kriegsgerren. Im
benachbarten Jordanien fand
man in Fenan eine
fünftausend Jahre alte
Schmiedewerkstatt, in der
bereits 100 Menschen
gearbeitet haben.
Bei dem gewaltsamen Übergang
von der Stammesgesellschaft zur Klassengesellschaft wehrten sich die alten Mitglieder oft
revolutionär. In den alten Stämmen waren ja alle Mitglieder gleichberechtigt. Da der Haushalt,
der von den gebärenden und alten Frauen – die starken Frauen befanden sich mit auf der Jagd –
im gemeinschaftlichen Haushalt noch „öffentlich“ für alle Stammesmitglieder durchgeführt
wurde, genossen die Frauen auch die gleiche Anerkennung wie die Männer, die Stämme waren
sogar nach dem Mutterrecht organisiert. Der Vater eines Kindes stand oft nicht fest, weshalb
der Bruder der Mutter für das Kind die Rolle des Vaters übernommen hatte. Das Kind erbte
den Namen der Mutter. Die Mutter vererbte ihre persönlichen Sachen an die Tochter. Diese
Mutterrechtsform kennt man heute noch in manchen südostasiatischen Völkern oder bei den
74 - Internationale Sozialisten
Tuaregs. Hier erben nur die Frauen die Häuser. Damit sie in der Wüste versorgt sind, die
Männer gehen ihren Beruf als Karawanentreiber nach. Die Frauen waren die Göttinnen.
Als nun vor 11.500 Jahren im Nahen Osten der Ackerbau eingeführt wurde, der anfangs noch
gemeinschaftlich bearbeitet wurde, ging man ca. vor 8.000 bis 7.000 Jahren dazu über, den
Acker auf die Stammesmitglieder aufzuteilen und zu privatisieren. Die Männer holten sich
gewaltsam das Vaterrecht, ordneten sich die Frauen unter und erhoben den Mann zum Gott.
Um aber den Acker auch ihrem leiblichen Sohn zu vermachen können, wurde das Vaterrecht
eingeführt. Mit der Privatisierung der Felder geschah der Wechsel vom Mutterrecht zum
Patriarchat, der Herrschaft des Mannes über der Frau.
Dagegen rebellierten die Frauen, erfolglos. „In Alalakh, einer weiteren Stadt in Anatolien,
zeigen die Ausgrabungen, dass sich mutterechtliche und patriarchale (Herrschaft des Mannes
über die Frau) Verhältnisse abwechselten. Im 3. Jahrtausend v.u.Z. wurde Alalakh von
Nomaden erobert, die Heiligtümer der Göttin in solche eines Gottes umwandelten. Im 19.
Jahrhundert v.u.Z. kam es zu einem Aufstand der matriarchalen Ur-EinwohnerInnen, der
Tempel der neuen Götter und der Palast des patriarchalen Königs wurde zerstört.“ Die
Herrschaft des Mannes war schon zementiert. (Nur er konnte Entscheidungen treffen,
Familienrichter)
Die Entstehung der Klassengesellschaften ging einher mit regelmäßigen
Kriegen. Nach Engels entwickelt sich die Gentilgesellschaft in der Oberstufe
der Barbarei - also der Übergangsgesellschaft - zur »militärischen
Demokratie«, und zwar deshalb
»...Militärisch - denn der Krieg und die Organisation zum Krieg sind jetzt regelmäßige
Funktionen des Volkslebens geworden. Die Reichtümer der Nachbarn reizen die Habgier
von Völkern, bei denen Reichtumserwerb schon als einer der ersten Lebenszwecke erscheint.
Sie sind Barbaren: Rauben gilt ihnen für leichter und selbst ehrenvoller als Erarbeiten. Der
Krieg, früher nur geführt zur Rache für Übergriffe oder zur Ausdehnung des unzureichend
gewordenen Gebiets, wird jetzt des bloßen Raubs wegen geführt, wird stehender
Erwerbszweig. In ihren Gräben gähnt das Grab der Gentilverfassung und ihre Türme ragen
bereits hinein in die Zivilisation. Und ebenso geht es im Innern. Die Raubkriege erhöhen die
Macht des obersten Heerführers wie die der Unterführer; die gewohnheitsmäßige Wahl der
Nachfolger in denselben Familien geht, namentlich seit Einführung des Vaterrechts,
allmählich aber in erst geduldete, dann beanpruchte, endlich usurpierte Erblichkeit; die
Grundlage des Erbkönigtums und des Erbadels ist gelegt. So reißen sich die Organe der
Gentilverfassung allmählich los von ihrer Wurzel im Volk, in Gens, Phratie, Stamm, und die
ganze Gentilverfassung verkehrt sich in ihr Gegenteil: Aus einer Organisation von Stämmen
zur freien Ordnung ihrer eignen Angelegenheiten wird sie eine Organisation zur Plünderung
und Bedrückung der Nachbarn, und dementsprechend werden ihre Organe aus Werkzeugen
des Volkswillens zu selbständigen Organen der Herrschaft und Bedrückung gegenüber dem
eigenen Volk...« 55
55 Ebda., 9. 159
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 75
In dem folgendendem Schema kennzeichnet die Unter- und Mittelstufe der Wildheit
die Zeit des Homo Erectus. Hier wurde nur eine rudimentäre Sprache entwickelt. Ab
der Mittelstufe der Wildheit betritt dann der moderne Mensch vor 150.000 Jahren die
Weltbühne der Geschichte. Mit der Entwicklung der Produktivkräfte entwickele sich
auch in der Naturgesellschaft die Familienverhältnisse und in der Zivilisation die
Gesellschaftssysteme, die Produktionsverhältnisse
Tabellenüberdicht:
Vorgeschichte der Menschheit (Frühgeschichte und
Zivilisation) nach Engels: Ursprung der Familie ...
76 - Internationale Sozialisten
1. Engels vermutet einmal, dass das massive Wachstum des Gehirns in dieser Zeit auf den
regelmäßigen Konsum von Fleisch zurückzuführen ist, zum anderen aber auch, dass
aber die regelmäßige Jagd zu einem planvollen, kollektiven Handeln zwang. Um
gemeinsam ein großes Tier zu erlegen, musste nach einem durchdachten Plan z.B.
eine Grube gemeinsam ausgehoben und sich dabei genau abgesprochen werden. Das
zwang zur Verfeinerung der Sprache und des in die Zukunft gerichteten abstrakten
Denkens. Dies würde mehr mit seiner Theorie übereinstimmen, dass die Arbeit die
Menschwerdung des Affen hervorbrachte. Vielleicht stimmt aber auch beides.
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 77
2. Nutztierzähmung kann nur dort durchgeführt werden, wo zähmbare Tiere vorhanden
sind. Hier trennt sich die Entwicklung der Menschheit in die Völker, die Tiere
zum Zähmen vorfinden (Europa, Asien) und die, die mit keinen zähmbaren Tieren
leben (Amerika, Australien, Afrika). Nutztierzähmung führt zur ersten Arbeitsteilung
zwischen den Stämmen.
3. Handwerk und Handel führt zur Arbeitsteilung zwischen Individuen. Der Händler ist
selber nicht am Produktionsprozess beteiligt, schöpft aber vom Mehrprodukt ab.
4. Ackerbau mit Pflug führt zur Privataneignung durch die Männer, da für seine
Bedienung sehr viel körperliche Kraft benötigt wird. Haushalt ist nicht mehr
öffentliche Produktion. Die Frau verliert an gesellschaftlichem Ansehen.
Die Arbeitsteilung führte zu unterschiedlichem Reichtum der Stämme. Sie führte zur
Absonderung einer besonderen Schicht, die sich nicht um den täglichen Nahrungserwerb
78 - Internationale Sozialisten
kümmern musste und sich somit zu einer herrschenden Klasse aufschwingen konnte. Zur
Absicherung ihrer Macht benötigte sie aber einen Unterdrückungsapparat, der von den übrigen
Volksmitgliedern getrennt wurde und von der privilegierten Klasse bezahlt werden musste. In
den Urgesellschaften war es allein auf Grund fehlender natürlicher Ressourcen notwendig, den
Mangel durch Ausweitung auf Territorien anderer Gruppen zu kompensieren. Wenn in der
Zivilisation aber auch kein Mangel herrschte, reizte allein der Reichtum anderer Völker zu
Mord und Totschlag. Durch Anhäufung fremder Reichtümer konnten die Herrschenden ihre
Macht gegenüber dem eigenen Volk und fremden Völkern erhalten und ausweiten. Somit
konnten sie mehr Soldaten bezahlen. Es entstand ein vom Volk getrennter Repressionsapparat,
der aber auch bezahlt werden musste: aus Raub und Plünderung. Das Verbrechen erlebte seine
Sanktionierung dadurch, dass der geraubte Reichtum notwendig schien zur Erhaltung des
Unterdrückungsapparates gegen außen und Abtrünnige. Er wurde aber gleichzeitig eingesetzt
zur Unterdrückung des eigenen Volkes. In Griechenland hieß dieser Repressionsapparat
„policia”.
Die Polizei wurde also nicht aufgebaut, um das Verbrechen zu bekämpfen, sondern um das
Verbrechen durchführen zu können. Die Polizei als Geburtshelfer der
Unterdrückungsgesellschaften tritt auf als die erste kriminelle Verbrecherorganisation in der
Menscheitsgeschichte. Ihre Mitglieder verabredeten sich zum gemeinsamen Raub für ihren
Fürst. Heute ist die Umkehrung von Verbrecherorganisation in Schutzorganisation offizieller
Stanpunkt, wie alles in sein Gegenteil verkehrt wurde: Krieg heißt Frieden - Arbeisplatzabbau
ist Betriebssicherung - statt sich zu freuen, dass einem bei der Arbeit geholfen wird, sagt man,
der nimmt mir den Arbeitsplatz weg, statt an sich zu glauben, glaubt man einen religiösen
Ersatz und ein Kämpfer für die Freiheit ist ein Aufwiegler. Engels beschreibt, dass der freie
Athener sich zu der Schmachtat des »entwürdigendenden Schergendienst« bei der Polizei nicht
hergab.
»Wir sahn, daß ein wesentliches Kennzeichen des Staats in einer von der Masse des Volks
unterschiednen öffentlichen Gewalt besteht. Athen hatte damals nur erst ein Volksheer und
eine unmittelbar vom Volk gestellte Flotte; diese schützten nach außen und hielten die
Sklaven im Zaum, die schon damals die große Mehrzahl der Bevölkerung bildeten.
Gegenüber den Bürgern bestand die öffentliche Gewalt zunächst nur als die Polizei, die so
alt ist wie der Staat, weshalb die naiven Franzosen des 18. Jahrhunderts auch nicht von
zivilisierten Völkern sprachen, sondern von polizierten (nations policées). Die Athener
richteten also gleichzeitig mit ihrem Staat auch eine Polizei ein, eine wahre Gendarmerie
von Bogenschützen zu Fuß und zu Pferd - Landjäger, wie man in Süddeutschland und der
Schweiz sagt. Diese Gendarmerie aber wurde gebildet - aus Sklaven. So entwürdigend kam
dieser Schergendienst dem freien Athener vor, dass er sich lieber vom bewaffneten Sklaven
verhaften ließ, als dass er selbst sich zu solcher Schmachtat hergab. Das war noch die alte
Gentilgesinnung. Der Staat konnte ohne die Polizei nicht bestehn, aber er war noch jung und
hatte noch nicht moralischen Respekt genug, um ein Handwerk achtungswert zu machen, das
den alten Gentilgenossen notwendig infam erschien.« 56
»Wir sehn also in der griechischen Verfassung der Heldenzeit die alte Gentilorganisation
noch in lebendiger Kraft, aber auch schon den Anfang ihrer Untergrabung: Vaterrecht mit
Vererbung des Vermögens an die Kinder, wodurch die Reichtumsanhäufung in der Familie
begünstigt und die Familie eine Macht wurde gegenüber der Gens; Rückwirkung der
Reichtumsverschiedenheit auf die Verfassung vermittelst Bildung der ersten Ansätze zu
56 Engels:"Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats." , MEW Bd.21, S. 115
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 79
einem erblichen Adel und Königtum; Sklaverei, zunächst noch bloß von Kriegsgefangnen,
aber schon die Aussicht eröffnend auf Versklavung der eignen Stammes- und selbst
Gentilgenossen; der alte Krieg von Stamm gegen Stamm bereits ausartend in systematische
Räuberei zu Land und zur See, um Vieh, Sklaven, Schätze zu erobern, in regelrechte
Erwerbsquelle; kurz, Reichtum gepriesen und geachtet als höchstes Gut und die alten
Gentilordnungen gemißbraucht, um den gewaltsamen Raub von Reichtümern zu
rechtfertigen. Es fehlte nur noch eins: eine Einrichtung, die die neuerworbnen Reichtümer
der einzelnen nicht nur gegen die kommunistischen Traditionen der Gentilordnung
sicherstellte, die nicht nur das früher so geringgeschätzte Privateigentum heiligte und diese
Heiligung für den höchsten Zweck aller menschlichen Gemeinschaft erklärte, sondern die
auch die nacheinander sich entwickelnden neuen Formen der Eigentumserwerbung, also der
stets beschleunigten Vermehrung des Reichtums mit dem Stempel allgemein
gesellschaftlicher Anerkennung versah; eine Einrichtung, die nicht nur die aufkommende
Spaltung der Gesellschaft in Klassen verewigte, sondern auch das Recht der besitzenden
Klasse auf Ausheutung der nichtbesitzenden und die Herrschaft jener über diese.« 57
So, wie der Mensch die Produktionsverhältnisse ändert, so veränderte er sich selber Er
drängte immer dann zu neuen Produktionsverhältnissen, wenn die alten
Produktionsverhältnisse zu den neuen Produktivkräfte zu weit in Widerspruch gerieten. Marx
trägt mit seinem historischen Materialismus sowohl dem Materialismus von Feuerbach, wie
auch der Dialektik von Hegel Rechnung, wenn er sagt: »Es ist nicht das Bewusstsein der
Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt, ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein
bestimmt.« (4)
Der Ackerbau und die Metallurgie hatte zur Sklavenhaltergesellschaft geführt. Die
Vierfelder-Wirtschaft hat aber dann den Feudalismus notwendig gemacht. Diese komplizierte
Wirtschaftsform konnte mit Sklaven nicht mehr durchgeführt werden. Es bedurfte des
Leibeigenen, der sich mit seinem Anteil auch identifizierte und sich Gedanken machte zu
seiner Vermehrung. Er war damit der Sklavenhalterwirtschaft überlegen. Besonders die
aufkommende Mühlenproduktionsweise verdrängte um 1000 n.Ch. endgültig mit ihrer
Überlegenheit über den Sklaven den Sklavenhalter. Die Mühle brauchte kein Essen, wurde
nicht krank und rebellierte nicht. Mühlen waren schon früher bekannt, aber erst waren noch die
Sklaven billiger als die Investition für eine Mühle. Aber sie führte letztlich wieder zur Blüte im
Mittelalter. Die Pflüge wurden doppelt so schnell von Pferden wie die in der Antike üblichen
Kühe gezogen, was diese Blüte noch verstärkte. In Europa konnte sich die ab dem 14. Jhdt. In
Florenz und Venedig aufkommende Bourgeoisie sich schnell entwickeln, weil sie durch die
zerklüftete Geographie entstandenen kleinen Länder und Konkurrenz unter den Königen
ausnutzen konnte 58 .
Schließlich sprengte die Entwicklung der Dampfmaschine 1712 bzw. 1769 das
mittelalterliche, feudalistische Zunftwesen. Arbeitseinsparende Maschinen waren in der
städtischen Zunft im beiderseitigen Interesse des Königs und des Meisters verboten. Der König
fürchtete die reicher als er werdende Bourgeoisie und der Gildemeister den Konkurrenten.
Deshalb wurden in Deutschland viele Entwicklungen wie die von Siemens oder Bosch auch
auf dem Lande durchgeführt. James Watt konnte bei seinen Dampfmaschinen genau ihre
Pferdestärke berechnen, aber er konnte nicht voraussehen, dass er mit dieser Maschine den
57 Friedrich Engels: "Der Ursprung der Familie,...", MEW 21, S. 105
58
Vgl. Janossi
80 - Internationale Sozialisten
Siegeszug des Kapitalismus und damit die Arbeiterklasse als Totengräber aller
Klassengesellschaften eingeläutet hat.
In den einfachen Warengesellschaften bestand der Produktionskreislauf aus Ware – Geld –
Ware. Der Schuster im Feudalismus stellte also keine Schuhe her, um damit Profit zu machen.
Er fertigte nur Schuhe, um sie z.B. für einen Sack Mehl einzutauschen. Er hatte also noch nicht
das Interesse, Kapital anzuhäufen, zu akkumulieren. Er musste daher seinen Konkurrenten in
den Gilden die Kapitalakkumulation mittels arbeitssparender Maschinen untersagen, sonst
hätte der ihn totrationalisiert. Die Mühlenproduktion war noch das Äußerste, was der
Feudalismus vertrug. Aber auf lange Sicht konnte die Bourgeoisie damit nicht leben und sich
entfalten.
In der kapitalistischen Warengesellschaft wird nach dem Prinzip Geld – Ware – Geld
gehandelt. Dies führt zwar zu einer immensen explosionsartigen Zunahme der Produktivkräfte,
aber gleichzeitig entwickelt damit das Kapital auch seinen eigenen Totengräber, die
Arbeiterklasse. die im Widerspruch zum Kapital steht. Auch der Wohlstand der Arbeiter hat
absolut bis 1980 zugenommen, aber relativ wurde er zum Wohlstand der Aktienhalter immer
kleiner. Der Lohnabhängige baut Villen und haust in Sozialwohnungen.
Der Anteil in den Waren des Lohnes wird immer geringer. Er ist für den Kapitalist die
einzige Quelle des Mehrwerts. Die Maschinen musste er schon an den Vorkapitalisten
bezahlen und kann davon nichts mehr einbehalten. In Deutschland sank die Profitrate nach den
Angaben des DGB 1982 schon auf den historischen Tiefststand von 5,4%. Die FDP hatte Kohl
an die Macht geputscht und nun konnten die Konzerne sich die fehlenden Gewinne von den
Lohnempfängern nehmen. Seit dieser Zeit sind auch auf dem europäischen Kontinent und in
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 81
Japan die absoluten Löhne nicht mehr gestiegen, in Amerika und in England sogar dank
Reagan und Thatcher schon seit 1970. Das hat zwar zu einer vorübergehenden Steigerung der
Profitrate geführt, aber im neuen Jahrtausend fiel die Rate des Profits wieder unter ihren
Tiefststand von 1982.1993 betrug sie nach Robert Brenner in produzierenden Gewerbe nur
noch 3,5% gefallen. In China gab es 2005 noch 30%. Du wirst Dein Geld auch nicht auf ein
Sparbuch bringen, was nur 1% Zinsen in dem Schneeballsystem Kapitalismus ausgibt. Also
verwetten die Bosse ihren Schatz lieber bei den Derivaten-Wetten, Produktion mit einem
Konkurrenzsystem lohnt sich nicht mehr.
Vermehrt gingen die Produktionsbetriebe dazu über, die niedrigen Gewinne auf dem
Finanzmarkt u.a.. mit Aktienhandel zu kompensieren, dem Shareholder-Value oder Kasino-
Kapitalismus. Nach dem letzten Crash 2000 ist auch das nicht mehr viel versprechend und man
verlegte sich auf die Papiere der Private-Equitis- und Hedgefonds, die nur noch mit der
Zerstörung von Produktionsmittel Riesen-Profite machen, sie leben von der Substanz.. 90%
aller Gewinne stammen aus dem oft kriminellen Finanzbereich der weißgewaschenen Waffen-
oder Drogengeschäfte oder der. In Amerika haben die Heuschrecken weitgehend alles
abgegrast, so dass im beginnenden 3. Jahrtausend die Zentren des alten Kapitals sich wie die
alten Raubritter und Wegelagerer von dem Rohstoffklau in den ärmeren Ländern leben. Ab
2008 sind sie nun übergegangen zum Bettekapitalismus. Über 1.000 Firmen wollen schon Geld
vom Steuerzahler, sogar so renommierte Firmen wie Porsche und BMW betteln uns an. Bei
Karmann gab es schon ein Bossnapping, die Ärmsten. Jetzt fehlt nur noch, dass die Massen
mitkriegen, dass die Kassen leer sind, dann gibt es ein neues Leipzig 89. 312 Mrd. fehlen im
Haushalt allein bis 2013, dann wird den Bossen bald niemand mehr helfen, keine Polizei, keine
Armee und kein Richter.
Wir Arbeiter werden eine Welt bauen,
in der nicht mehr in Konkurrenz für
einen blinden Markt oder für den
Rüstungswettlauf wie in der DDR
produziert wird, sondern nur noch
planvoll für uns selber, weltweit
koordiniert und weltweit verdienen wir
alle das gleiche weil auch alles Wissen
und alle Lizenzen allen zugänglich ist,
und das können nur basisdemokratisch
die Lohnabhängigen, niemand anderes.
That’s all.
In der Wildheit und der Barbarei
herrschte die Natur über den Menschen
und in den Klassengesellschaften das
Gespenst der Gier der herrschenden
Klassen über ihn. Diese Epoche der
Vorgeschichte der Menschheit, in der
die Menschen über ihre Geschicke nicht
selber entscheiden, klingt nun aus in
einem riesigen blutgetränkten
Feuerwerk.
82 - Internationale Sozialisten
Die historische Aufgabe der Klassengesellschaften, die Produktionskräfte für einen Überfluss
zu entwickeln ist nun erledigt und jetzt entwickelt der Kapitalismus die Produktionskräfte nur
noch gegen sich. Für die Menschheit dauerte das Leid der Klassengesellschaften historisch nur
ein Augenzwinkern lang
Wie ein gewaltiges Erdbeben schüttelt es die Menschen noch gehörig durcheinander. Das
Inferno verwandelt sich in Geburtswehen und der neue Mensch entsteigt inmitten aus der
glühenden, kotzenden Lava. Vor ihm liegt das Reich der Vernunft, jungfräulich und
transparent, keine Gespenster können sich hinter dunklen Ecken verbergen. Lasst die Festtage
der Arbeitermassen beginnen. Nun wird der Mensch nach der Vernunft produzieren,
solidarisch nach dem Bedarf aller Menschen der Welt.
Flieg doch einfach mit.
Norbert Nelte: Geschichte und Logik der Arbeiterräte - 83