05.11.2012 Aufrufe

Norbert Nelte - Geschichte und Logik der Arbeiterräte

Norbert Nelte - Geschichte und Logik der Arbeiterräte

Norbert Nelte - Geschichte und Logik der Arbeiterräte

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 1


<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong><br />

<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Arbeiterräte</strong><br />

Basisdemokratie<br />

Ist Basisdemokratie in <strong>der</strong> Massengesellschaft<br />

möglich?<br />

<strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Rätedemokratiebewegung!<br />

1. bis zum 2. Weltkrieg<br />

<strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Rätedemokratiebewegung!<br />

2. nach dem 2. Weltkrieg<br />

Der konsequente Kollege<br />

Gewerkschaft <strong>und</strong> Marxisten<br />

Die freie Gesellschaft<br />

Von <strong>der</strong> Vorgeschichte zur <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong><br />

Menschheit.<br />

2 - Internationale Sozialisten


Basisdemokratie<br />

Das alle anti-neoliberale Flügel in <strong>der</strong> WASG<br />

verbindende Wort wird schon von vielen von<br />

uns benutzt. Es heißt Basisdemokratie. Es<br />

scheint jetzt nach <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage <strong>der</strong> Antineoliberalen<br />

etwas unpassend, über dieses Wort<br />

zu reflektieren. Es bleibt aber von<br />

gr<strong>und</strong>sätzlicher Bedeutung <strong>und</strong> die Klärung<br />

dieser Frage wird früher o<strong>der</strong> später wie<strong>der</strong><br />

auftauchen. Dazu am Ende dieser Analyse<br />

einige Frage- o<strong>der</strong> Feststellungen.<br />

Von den Nichtmarxisten gibt es eine ganze<br />

Web-Seite mit dem Namen: www.basis-demokratie.de o<strong>der</strong> Eckhardt Hildebrandt hat mit dem<br />

WASG Kreisverband Oldenburg ein basisdemokratisches Modell auf Verbandsbasis<br />

ausgearbeitet. (gelöscht)<br />

Auch die Marxisten benutzen es oft, z.B. Edith Bartelmus-Scholich als Trotzkistin<br />

propagiert: ' Für eine basisdemokratische neue Linkspartei - lasst uns mit <strong>der</strong><br />

Basisdemokratie beginnen - auf diesem Parteitag!'. (Netzwerk) Wie wir sehen ist dies das<br />

Schlüsselwort. Die Erklärung bei Wikipedia lautet:<br />

„Die Basisdemokratie ist die älteste Form <strong>der</strong> Demokratie. Sie kommt ohne Repräsentanten<br />

aus. Das bedeutet, alle relevanten Entscheidungen werden von den Betroffenen selbst<br />

abgestimmt. Die Basisdemokratie eignet sich sowohl für triviale Probleme, die ohne<br />

Fachwissen einfach zu entscheiden sind, als auch für Fragen, die erheblichen Einfluss auf<br />

das Leben <strong>der</strong> Mehrheit haben, wie die Struktur des Ges<strong>und</strong>heitswesens, Kriegseinsätze,<br />

neue Verfassungen, Eigentumsfragen, Löhne, Arbeitszeitregelungen, Streikentscheidungen,<br />

Gr<strong>und</strong>rechte <strong>und</strong> Menschenrechte.“<br />

Das war die Erklärung <strong>der</strong> Basisdemokratie bei den Naturstämmen, wobei diese manchmal<br />

in Notzeiten untereinan<strong>der</strong> im Krieg standen. Dieser wurde aber vom ganzen Stamm<br />

beschlossen <strong>und</strong> bildete daher eine Ausnahme. Seit den Anfängen <strong>der</strong> reinen<br />

Herrschaftsgesellschaften vor knapp 3.000 Jahren in Mesopotamien <strong>und</strong> Griechenland aber war<br />

<strong>der</strong> Krieg ein regelmäßiger Begleiter des Menschen, <strong>und</strong> da gab es keine Basisdemokratie<br />

mehr.<br />

„Von 650 vor Christus [Seit den Anfängen <strong>der</strong> reinen Klassengesellschaften] bis heute<br />

zählten die Historiker 1656 Versuche, durch Wettrüsten den Frieden zu bewahren. Dies<br />

führte 1640 mal zum Krieg. In den an<strong>der</strong>en Fällen zum wirtschaftlichen Ruin <strong>der</strong> Beteiligten.<br />

“ (SIPRI)<br />

Heute aber produzieren wir weltweit Überfluss, er wird nur ungerecht verteilt. Also, Kriege<br />

brauchen wir nicht mehr. Deshalb kann die Basisdemokratie heute nur internationalistisch<br />

durchgeführt werden. Wenn wir den ganzen Herrschaftsmüll nicht mehr wollen, dann können<br />

wir ja basisdemokratisch darüber entscheiden, wobei wir schon bei den unterschiedlichen<br />

Ansätzen <strong>der</strong> Basisdemokratie-Vertreter wären. Die unterschiedlichen Ansätze entwickeln sich<br />

unter den heutigen ökonomischen Bedingungen fasst zwangsläufig aufeinan<strong>der</strong> zu, bzw. haben<br />

sich bei <strong>der</strong> Diskussion bereits schon mehr o<strong>der</strong> weniger angenähert.<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 3


Die Nichtmarxisten wollen diesen Begriff erst nur auf die Partei, Vereine <strong>und</strong> Verbände<br />

angewendet wissen. Aber verschiedentlich werden auch schon die Grenzen dieses Konstruktes<br />

gesehen <strong>und</strong> Schritte darüber hinaus angedacht. Die Grenzen in denen eine Basis sich bewegt,<br />

müssten frei sein, damit diese sich auch wirklich frei entscheiden kann.<br />

Auch wenn alle Berliner sich basisdemokratisch „frei“ entscheiden könnten, könnten sie nur<br />

die Armut verteilen. Sie könnten nicht darüber entscheiden, z.B. den Spitzensteuersatz wie<strong>der</strong><br />

anzuheben, da steht <strong>der</strong> B<strong>und</strong>estag <strong>und</strong> das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht davor.<br />

Und wenn die Basis auch im B<strong>und</strong>estag entscheiden könnte <strong>und</strong> den Spitzensteuersatz<br />

wie<strong>der</strong> auf 56% anhöbe, dann zieht das Kapital in die Slowakei o<strong>der</strong> nach China ab. Und wenn<br />

die Basis dem Kapital das verbietet, dann könnte sie keine Waren mehr verkaufen, weil in<br />

China die Arbeiter gezwungen werden, für 50 Cent zu arbeiten <strong>und</strong> damit <strong>der</strong>en Waren billiger<br />

verkauft werden können, ergo müssten wir auch für 50 Cent arbeiten.<br />

Also die Basis könnte sich nicht wirklich frei entscheiden können, solange es nicht<br />

antikapitalistisch, international ist, die Löhne nicht gemeinsam von <strong>der</strong> gesamten<br />

Weltbevölkerung festgelegt werden <strong>und</strong> die Produktion nicht solidarisch auf alle Betriebe <strong>der</strong><br />

Welt verteilt wird. Nur so kann die Weltwertschöpfung auch gerecht verteilt werden .<strong>und</strong> nur<br />

so ist die Weltbasis auch gleichberechtigt, um über den Anteil des Konsums <strong>und</strong> den <strong>der</strong><br />

Rücklagen frei entscheiden zu können. Dank Internet <strong>und</strong> seinem Entwickler CIA können wir<br />

das jetzt auch. Sonst waren <strong>der</strong> CIA <strong>und</strong> seine Auftraggeber überflüssig.<br />

Die Überlegung sollte leicht einleuchten, dass eine Gesellschaft nicht wirklich<br />

basisdemokratisch organisiert ist, solange etwas Drittes wie das Akkumulationsgesetz des<br />

Kapitals einem Grenzen setzt, noch dazu sehr knappe. Die weitergehende Erklärung bei<br />

Wikipedia, insbeson<strong>der</strong>e, dass die Schweiz basisdemokratisch mit Volksabstimmung<br />

4 - Internationale Sozialisten


organisiert sei, ist voll daneben. Hier entscheidet die Regierung, stellvertretend, wann wir<br />

abstimmen dürfen, eine Art Mitbestimmung bei <strong>der</strong> Clopapierqualität.<br />

Die Schweizer entschieden sich „basisdemokratisch“ in einer Volksabstimmung für höhere<br />

Grenzen für Auslän<strong>der</strong>. Nachdem also die Begüterten – 25% <strong>der</strong> Bevölkerung wählen dort die<br />

Regierung – die wenigen Krümel fürs einfache Volk festgelegt haben, kann nur unter denen<br />

„basisdemokratisch“ ein harter Verteilungskampf entbrennen. Das kann nur die Basis<br />

übereinan<strong>der</strong> herfallen. Das ist ganz nach dem Geschmack <strong>der</strong> Herrschenden, denn sie möchten<br />

uns Lohnabhängige spalten <strong>und</strong> damit schwächen, in Frau <strong>und</strong> Mann, Jung <strong>und</strong> alt, In- <strong>und</strong><br />

Auslän<strong>der</strong>, Verheiratete <strong>und</strong> Ledige, Beschäftigte <strong>und</strong> Arbeitslose usw., <strong>und</strong> damit sind wir<br />

vereinzelt viel schwächer.<br />

Untersuchungen in den USA in den Gebieten, wo die Schwarzen wenig verdienten, haben<br />

ergeben, dass auch die Weißen dort unterdurchschnittlich verdienten, da <strong>der</strong> Lohn <strong>der</strong><br />

Schwarzen den <strong>der</strong> Weißen drückt. Also mit einem „Alle gegen Alle“ schadet man sich nur<br />

selber. Die Volksabstimmung in <strong>der</strong> Schweiz wäre nur wirklich frei gewesen, wenn auch alle<br />

über die gesamte Wertschöpfung entscheiden.<br />

Wenn ich jetzt das basisdemokratische Modell <strong>der</strong> Marxisten beschreibe, dann nicht aus dem<br />

Interesse, dass wir heute uns für dieses entscheiden. Nein, wir müssen diese Diskussion mit<br />

den Wählern diskutieren, sonst wären wir ganz schnell eine 0,1%-Partei. Aber das kann sich in<br />

<strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong>, gerade <strong>der</strong> heutigen mit dem desaströsen Weltmarkt, schlagartig än<strong>der</strong>n <strong>und</strong><br />

wir hätten dann nur damit eine Chance.<br />

Edith hat in ihrem Artikel „Noch nicht angekommen o<strong>der</strong> schon das Ziel verfehlt? – Die<br />

neue Linke nach dem „Superwahltag“ 26. März 06“ in <strong>der</strong> Praxis mit diesem Satz Brücken für<br />

diese Diskussion aufgezeigt. „Die neue Linke kann die sozialen Bewegungen ermutigen auf<br />

allen Ebenen Ratschläge zu veranstalten <strong>und</strong> Räte zu bilden, die Fragen <strong>und</strong> For<strong>der</strong>ungen an<br />

sie formulieren <strong>und</strong> die Aktivitäten <strong>der</strong> Partei <strong>und</strong> <strong>der</strong> Parlamentsfraktionen kritisch begleiten.<br />

In <strong>der</strong> Praxis kann dies so aussehen, dass Ratschlägen <strong>und</strong> Räten <strong>der</strong> sozialen Bewegungen<br />

Rechte eingeräumt werden, wie z.B. das Antragsrecht gegenüber Partei <strong>und</strong> Fraktionen.“<br />

Die marxistischen Basisdemokraten, in <strong>der</strong> Regel Trotzkisten <strong>und</strong> einige Rätekommunisten<br />

<strong>und</strong> Anarchisten in <strong>der</strong> WASG, wollen diese Form konsequent überall <strong>und</strong> international, auf<br />

<strong>der</strong> Arbeit, im Wohnhaus, im Gericht, bei <strong>der</strong> Polizei <strong>und</strong> beim Militär, so lange es dies noch<br />

geben muss, in <strong>der</strong> Umwelt, in den Medien <strong>und</strong>, <strong>und</strong>, <strong>und</strong>.<br />

Manche haben immer erzählt bekommen, dass wir Marxisten für die Diktatur seien. Aber,<br />

ein für alle mal, das stimmt nicht, das ist eine Fehlinformation, die einmal daraus resultiert,<br />

dass Stalin nach Lenin Tod <strong>und</strong> seiner blutigen Konterrevolution zwar das genaue Gegenteil<br />

vom Marxismus machte, aber sich weiterhin Marxist nannte, genauso, wie seine Nachfolger,<br />

nur um die kleinen Leute für sich gewinnen <strong>und</strong> leichter ausfled<strong>der</strong>n zu können. Nur Trotzki<br />

verblieb auf den Pfaden des authentischen Marxismus. An<strong>der</strong>erseits nahm die bürgerlichen<br />

Marxhasser diesen Etikettenschindel liebend gerne auf, um so die Marxisten leicht diffamieren<br />

zu können.<br />

Wenn man aber weiß, dass Trotzki <strong>der</strong> gewählte Sprecher des basisdemokratischen<br />

Arbeiterrates in Russland 1905 <strong>und</strong> dann wie<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Revolution 1917 war, sieht man das<br />

Vertrauen, welches die einfachen Leute in ihn setzten <strong>und</strong> kann daran messen, dass auch wir<br />

Trotzkisten nichts an<strong>der</strong>es wollen, als eine Basisdemokratie, nur überall, auch in den Betrieben.<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 5


Die basisdemokratischen <strong>Arbeiterräte</strong> werden Nachfolger sein <strong>der</strong> jetzt schon in Europa<br />

zaghaft entstehenden Streikräte. Sie werden genau wie diese nach 3 Prinzipien arbeiten:<br />

1. Je<strong>der</strong>zeitige Abwählbarkeit<br />

2. Sie sind an die Beschlüsse <strong>der</strong> Basis geb<strong>und</strong>en<br />

3. Sie erhalten nicht mehr als ein Facharbeiterlohn<br />

Germanische Ratsversammlung - Marc-Aurel-Säule in Rom<br />

Die Ähnlichkeit <strong>der</strong> Prinzipien mit denen des Thing <strong>der</strong> Germanen, <strong>der</strong><br />

Stammesversammlung <strong>der</strong> Irokesen o<strong>der</strong> aller Naturvölker, finden wir überall in <strong>der</strong><br />

<strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Arbeiterbewegung wie<strong>der</strong>.<br />

Die Idee <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> stammt von den Arbeitern selber. Sie müssen immer zwangsweise<br />

wegen des Wi<strong>der</strong>spruchs zwischen Kapital <strong>und</strong> Arbeit diese Idee entwickeln. Höhere Rendite<br />

für das Kapital heißt Kürzung <strong>der</strong> Löhne bzw. weniger Arbeitsplätze o<strong>der</strong> umgekehrt. In <strong>der</strong><br />

auf Konkurrenz aufgebauten Marktwirtschaft wird für mehr Rendite nur sein Lohn gekürzt <strong>und</strong><br />

die Arbeitshetze steigt. O<strong>der</strong> umgekehrt, wenn sie solidarisch streiken.<br />

Erst wählen die Arbeiter in einem „wilden“ Streik spontan Streikräte (So geschehen schon in<br />

London - Post <strong>und</strong> Feuerwehr, Belfast – Postler, <strong>und</strong> Rom - Busfahrer), die sie später, wie<strong>der</strong><br />

spontan, in <strong>Arbeiterräte</strong> umbenennen. So geschehen 1905 <strong>und</strong> 1917 in Russland, 1918 in<br />

Deutschland, 1921 in Italien <strong>und</strong> Ungarn, 1936 in Spanien, 1956 in Ungarn, 1974 in Portugal<br />

<strong>und</strong> 1979 im Iran (Schoras). Diese Idee <strong>der</strong> basisdemokratischen <strong>Arbeiterräte</strong> ist nichts an<strong>der</strong>es<br />

als <strong>der</strong> authentische Sozialismus, wie er von Marx, Engels, Lenin, Trotzki <strong>und</strong> Luxemburg<br />

entwickelt wurde.<br />

6 - Internationale Sozialisten


Arbeiterrat in Russland 1917<br />

Was hat <strong>der</strong> VW-Kollege davon, wenn sein südafrikanischer Kollege nur die Hälfte<br />

verdient? Nichts, nur einen Dumpinglohn <strong>und</strong> damit nur einen Lohndruck. Deshalb ist sein<br />

objektives Interesse internationalistisch. Nur ein weltweiter solidarischer Basisplan nach den<br />

Bedürfnissen aller kann in dieser globalisierten Weltwirtschaft einen menschenwürdigen Lohn<br />

bereitstellen, nicht mehr die auf Konkurrenz aufgebaute Marktwirtschaft.<br />

Deshalb kann nur die Arbeiterklasse, <strong>und</strong> kein stellvertreten<strong>der</strong> Bürokrat eine Wirtschaft für<br />

die Zukunft aufbauen. Daher <strong>der</strong> Satz von Marx: dass »die Befreiung <strong>der</strong> Arbeiterklasse nur<br />

das Werk <strong>der</strong> Arbeiterklasse selbst sein kann.«. Auch, weil nur in einem emanzipierten Kampf<br />

die Arbeiter ihr objektives Interesse entdecken können.. Sie sind immerhin 85-90% in Europa.<br />

Natürlich haben in den <strong>Arbeiterräte</strong>n auch die Rentner, die Bauern <strong>und</strong> alle Kleinbürger ihre<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 7


Vertreter dort sitzen. Wichtig ist, dass nur das objektive Interesse <strong>der</strong> Arbeiter in <strong>der</strong><br />

Wirtschaftspolitik durchgesetzt wird, aber das wird es auch bei 85% <strong>und</strong> dann mehr.<br />

Die Räte sind auch ein viel besseres Instrument für die Basisdemokratie als das bürgerliche<br />

Parlament. In den Betrieben kann die Basis sich in regelmäßigen Abteilungs- <strong>und</strong><br />

Betriebsversammlungen, in Stadtteilplenen <strong>und</strong> Bauernversammlungen usw. ihre Beschlüsse<br />

fassen <strong>und</strong> ihre Delegierten wählen, die an die Beschlüsse geb<strong>und</strong>en sind. In das bürgerliche<br />

Parlament kann man nur alle vier Jahre wählen <strong>und</strong> die machen dann, was sie wollen.<br />

Schon früh hatte Trotzki die Notwendigkeit <strong>der</strong> demokratischen Selbstorganisation <strong>der</strong><br />

Arbeiterklasse aufgezeigt (in "Mein Leben"), weshalb er 1905 als Vorsitzen<strong>der</strong> des<br />

Arbeiterrates gewählt wurde. Nach <strong>der</strong> Zerschlagung durch den Zarismus hat er dann seine<br />

Erfahrungen in "Ergebnisse <strong>und</strong> Perspektiven."<br />

http://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1906/erg-pers/index.htm nie<strong>der</strong>gelegt. 1917 ist<br />

er wie<strong>der</strong> als 1. Sprecher gewählt worden <strong>und</strong> Lenin hatte sich dann 1917 mit den<br />

"Aprilthesen" Trotzki angeschlossen. Aber da die Arbeiterklasse bei dem Tode Lenis nur 3%<br />

berug, hatte Stalin leichtes Spiel mit ihr mit seinen Schlägerbanden, Arbeitslägern <strong>und</strong><br />

Hinrichtungen. Er behielt trotz blutiger Diktatur unseren Namen <strong>und</strong> Bücher bei <strong>und</strong> fälschte<br />

alles ins Gegenteil. Die Zeit war noch nicht reif. Das Kapital übernahm liebend gerne diese<br />

Fälschungen, weil es ein Horror hat vor wirklicher Demokratie <strong>und</strong> Selbstbestimmung.<br />

1921 scheiternden die Räte, weil die noch nicht stalinisierte Luxemburgische KPD nur 3.000<br />

Mitglie<strong>der</strong> hatte <strong>und</strong> somit die SPD leicht die <strong>Arbeiterräte</strong> zutexten konnte, die Macht <strong>der</strong><br />

Arbeiter- <strong>und</strong> Sodatenräte an das bürgerliche Parlament abzugeben. Man hatte noch keine<br />

Erfahrung mit dem Kapitalismus <strong>und</strong> <strong>der</strong> hatte außerdem noch Entwicklungsmöglichkeiten.<br />

Jetzt aber gibt es nur eine Richtung: Noch mehr Arbeitlose, noch mehr St<strong>und</strong>en für weniger<br />

Geld, noch mehr Kriege <strong>und</strong> noch mehr Folter.<br />

1936 erledigten dann in Spanien die Stalinisten das Geschäft <strong>der</strong> Zerschlagung <strong>der</strong><br />

Selbstorganisation <strong>und</strong> Franco konnte dann leicht durchmarschieren. Ebenso in Ungarn<br />

schlugen de Stalinisten die <strong>Arbeiterräte</strong> zusammen. 1974 in Portugal erledigte das unser Willy<br />

zusammen mit dem CIA <strong>und</strong> seinem Geld. 1979 im Iran dann wurde Khomeini von <strong>der</strong><br />

"Weltgemeinschaft" in Guadeloupe gegen die <strong>Arbeiterräte</strong> (Schoras) http://irannow.de/content/view/3646/26/<br />

dann an die Macht gehoben.<br />

Heute aber sind wir Arbeiter aber ca. 85-90% <strong>der</strong> Bevölkerung in Europa, da haben die<br />

Konterrevolutionäre keine Chance mehr. Ihre letzte Großtat wird die Zerschlagung <strong>der</strong> WASG-<br />

Linken sein (jetzt lei<strong>der</strong> Gegenwartsform) <strong>und</strong> in den USA werden sie noch einige Kin<strong>der</strong> zum<br />

im Blut baden schicken. Sie haben doch nichts nichts mehr anzubieten - Null. Ihre Zeit wird so<br />

enden wie in Leipzig, als 100.000 Kollegen sich zum gemeinsamen Spaziergang verabredeten,<br />

da waren auch die Kassen leer. Schaut die 4.000.000 auf Frankreichs Straßen, da ist die Macht<br />

von Renault & Elf zu Ende. Und aus Turin <strong>und</strong> Rom reisten die Studenten mit Bussen an.<br />

Unser Wi<strong>der</strong>stand läuft doch schon europaweit, weltweit - als die Opelaner streikten, bekamen<br />

sie Solidaritäts-emails aus aller Welt <strong>und</strong> die Porsche-Kollegen sind mit dem Bus durch die<br />

Nacht gereist, um die Opelaner bei ihrem Kampf zu unterstützen. Das ist Basisdemokratie mit<br />

den Füßen. Basisdemokratie kann auch Spaß machen.<br />

Wir Marxisten haben kein an<strong>der</strong>es Interesse als alle Arbeiter, wir sind nur zufällig früher in<br />

<strong>der</strong> Arbeiterbewegung gewesen <strong>und</strong> beteiligen uns als das Gedächtnis <strong>der</strong> Bewegung. Sonst<br />

gibt es bei uns alle Schwächen wie bei den Nichtmarxisten auch. Bei uns gibt es auch<br />

Populismus, wie wir dies bei Linksruck beobachten können. Sie betätigen sich an <strong>der</strong><br />

8 - Internationale Sozialisten


Zerstörung <strong>der</strong> WASG in dem tiefen Glauben, in <strong>der</strong> PDS könnte man noch etwas verän<strong>der</strong>n,<br />

aber solche Tricks wie unsere Spezies kennen die dank <strong>der</strong> Stasi-Erfahrungen schon lange.<br />

Ramelow <strong>und</strong> Konsorten werden ihre Basis mit den im Ausland deponierten Gel<strong>der</strong>n, über die<br />

nur die SED-Ka<strong>der</strong> die Verfügungsgewalt haben, vortrefflich erpressen können. Nur Karriere<br />

kann man bei uns authentischen Marxisten noch nicht machen können.<br />

Das wichtigste für die WASG-Opposition ist jetzt,<br />

dass wir als WASG-Opposition zusammenbleiben,<br />

da bleibt das Richtige o<strong>der</strong> Falsche eines Schrittes<br />

zweitrangig. Der individuelle Austritt einer<br />

Min<strong>der</strong>heit wird nicht glücklich enden. Sie haben sich schon in mehrere Gruppen gespalten:<br />

Die Alternative, die Fö<strong>der</strong>alisten, die Demokraten <strong>und</strong> die WASD. Diese Gruppen besitzen<br />

nicht einen politischen <strong>und</strong> theoretisch beson<strong>der</strong>s erfahrenen Kern, was schnell zu Spaltungen,<br />

Hilflosigkeit <strong>und</strong> Rückzug ins Private dort führen wird.<br />

An<strong>der</strong>erseits ist noch ein gemeinsames Handeln <strong>der</strong> WASG-Opposition machbar, wie es die<br />

Ankettaktion <strong>der</strong> Berliner vor dem Abschiebeknast o<strong>der</strong> die Kasseler Konferenz am 20,5.<br />

zeigen. Spätestens aber bei dem Zwangszusammenschluss wird mit <strong>der</strong> Oppositionsarbeit<br />

Schluss sein, entwe<strong>der</strong> hat ein Teil von uns kein Interesse mehr an einer orwellschen<br />

Machtpartei – <strong>der</strong> „große Bru<strong>der</strong> lässt grüßen -, o<strong>der</strong> die PDS-Chefs werden sich keine neue<br />

Laus in den Pelz setzen, die Wagenknecht langt ihnen.<br />

Aber wer weiß, bis dahin wird sich vielleicht schon eine neue Alternative aus den<br />

Betriebskämpfen ergeben. Es gibt in Deutschland kaum mehr noch was an das große Kapital<br />

zu verteilen, einfach, weil das schon alles hat.<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 9


Der B<strong>und</strong>eskassenwart Steinbrück hat deshalb schon mal das Ende des Sozialstaates<br />

angekündigt.<br />

http://www.spiegel.de/spiegel/vorab/0,1518,414714,00.html<br />

Die Unternehmerverbände dürfen sich freuen, bald wird ihre Lohndrückerarmee unendlich<br />

lang. Der Herbst wird wahrscheinlich heißer werden als <strong>der</strong> Sommer. Eines aber ist ganz<br />

gewiss. Die WASG wird mitsamt seinen Spezies im Schwarzen Loch verschwinden.<br />

Der konsequenten, internationalen Basisdemokratie in den Betrieben <strong>und</strong> überall wird die<br />

Zukunft gehören.<br />

10 - Internationale Sozialisten


Ist Basisdemokratie in <strong>der</strong><br />

Massengesellschaft möglich?<br />

Was ist an<strong>der</strong>s am Basisplan gegenüber dem Bürokratenplan<br />

<strong>der</strong> DDR?<br />

Es ist für manche sehr schwer vorstellbar, wie die<br />

Basisdemokratie <strong>der</strong> Indianer auf eine Gesellschaft<br />

von 80 Millionen übertragen werden soll. Sollen alle<br />

80 Millionen Leute im Kreis um das Lagerfeuer<br />

herum sitzen <strong>und</strong> sich beraten o<strong>der</strong> wie?<br />

Aber auch bei den Indianern hatte man schon ein<br />

Delegiertensystem gehabt. Die bei kriegerischen<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzungen jedes Mal neu gewählten<br />

Heerführer waren an<strong>der</strong>e Personen als die für eine<br />

Periode gewählten Häuptlinge, das waren die Alten<br />

<strong>und</strong> Erfahrenden. Die Heerführer mehrerer Clans <strong>und</strong><br />

manchmal sogar mehrerer Stämme stimmten dann ab,<br />

was das Volk ihnen aufgetragen hat, o<strong>der</strong> sie wurden<br />

abgewählt. In Bulgarien in Warna während <strong>der</strong><br />

Broncezeit vor 5.000 Jahren wurde – eine oft<br />

festgestellter Brauch - nach je<strong>der</strong> Wahlperiode <strong>der</strong><br />

Stammesführer symbolisch begraben, bzw. seine<br />

Häuptlingsutensilien <strong>und</strong> dann wurde wie<strong>der</strong> neu<br />

gewählt, vielleicht wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> alte, wenn er seine<br />

Arbeit gut gemacht hatte <strong>und</strong> dem Clan reiche<br />

Friedenszeiten gebracht hatte.<br />

Erst in <strong>der</strong> Übergangsgesellschaft <strong>der</strong> Irokesen, als<br />

auf Gr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Sesshaftigkeit <strong>und</strong> damit <strong>der</strong><br />

Entwicklung des Mehrproduktes die Häuptlinge <strong>und</strong><br />

Heerführer ihr Amt vererbt hatten, wurden die Wahlen abgeschafft. Der sich in <strong>der</strong> Welt dann<br />

entwickelnde Adel nahm das Mehrprodukt an sich. Weil das Mehrprodukt nun in einer Hand<br />

konzentriert war, konnte die Kanalisation, die Architektur, <strong>der</strong> Städtebau, die Sternenk<strong>und</strong>e<br />

usw. entwickelt werden. In <strong>der</strong> Übergangsgesellschaft des mittleren Reiches von Ägypten<br />

waren die Priester noch die „Delegierte“ <strong>der</strong> Stämme. Über die Priester hatten die Stämme<br />

noch Einfluss behalten. Erst Echnaton des Neuen Reiches versuchte ca. 1350 vor Christus die<br />

Priester zu entmachten.<br />

http://de.wikipedia.org/wiki/Neues_Reich_%28%C3%84gypten%29<br />

Vor Echnaton wurden die Milizen in ein stehendes Heer umgewandelt. Die künftigen<br />

Gesellschaftsverän<strong>der</strong>ungen sind damals nur umgekehrt verlaufen. Inzwischen sind die<br />

Produktivkräfte <strong>und</strong> die Wissenschaften so weit auch in <strong>der</strong> Breite entwickelt, dass für weitere<br />

Entwicklungen die Konzentrierung des Mehrproduktes nicht mehr notwendig <strong>und</strong> damit die<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 11


Basisdemokratie wie<strong>der</strong> möglich ist. Es wird auch höchste Zeit, denn <strong>der</strong> Kapitalismus zeigt<br />

mit Crashs, Rezessionen <strong>und</strong> Inflationen, Kriegen <strong>und</strong> Elend nur noch destruktive Seiten. Wie<br />

aber kann die Basisdemokratie in einer Massengesellschaft funktionieren <strong>und</strong> wie wird es<br />

dahin kommen?<br />

Die ersten Versuche von <strong>der</strong> Pariser Kommune 1871 bis zu den Schoras (<strong>Arbeiterräte</strong>) im<br />

Iran 1979 wurden von <strong>der</strong> Basis immer automatisch, spontan durchgeführt. Wenn Du Deine<br />

Kollegin von <strong>der</strong> Idee <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> überzeugen willst, wirst Du oft hören, „gute Idee, aber<br />

es wird immer einige Bürokraten geben, die uns austricksen werden“, womit die Kollegin nicht<br />

mal unrecht hat. Solange die Kollegen von <strong>der</strong> Gewerkschaftsführung bei Tarifverträgen sich<br />

überrumpeln lassen, wie jetzt wie<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Telekom o<strong>der</strong> auch bei Transnet, werden sie auch<br />

im Arbeiterrat von solchen Windeiern übertölpelt. Transnet gab mit seinem Abschluss über<br />

4,5% gehörig an. Aber das war für 18 Monate, also aufs Jahr umgerechnet nur 2,8%. Und<br />

wenn man davon die 1,9% durchschnittliche Preissteigerung abzieht, bleibt nur 0,9%. Rechnet<br />

man gar die Preissteigerung für ein 4-Personen-Haushalt <strong>und</strong> die 0,5% mehr für die<br />

Pflegeversicherung, dann haben wir schon ein Minus von einem halben Prozent. Die Kollegen,<br />

die sich das gefallen lassen, müssen also erst einen unabhängigen, autonomen Kampf<br />

durchführen. Die Basisdemokratie kann deshalb kein noch so guter Stellvertreter den Massen<br />

schenken, die müssen sie sich erkämpfen, erst dann werden die Massen in <strong>der</strong> Lage sein, die<br />

Profitmaximirerei <strong>und</strong> damit das Akkumulationsgesetz <strong>und</strong> die dazugehörigen Schlitzohren in<br />

die Wüste zu schicken <strong>und</strong> sich eine konsequente revolutionäre Führung zu wählen.<br />

Deshalb ist unser erster Schritt auch die Unterstützung von reformistischen Kämpfen<br />

konsequent durchzuführen <strong>und</strong> dann diese beim Versagen <strong>der</strong> Gewerkschaftsführung in die<br />

eigene Hand zu nehmen. Die Emanzipation <strong>der</strong> Massen ist bei <strong>der</strong> Basisrätedemokratie eine<br />

unbedingte Voraussetzung. Wir sehen das System als ein internationales an <strong>und</strong> insofern<br />

betrachten wir auch die Emanzipation im weltweiten Maßstab. Gegen die globalisierte<br />

neoliberale Barbarei sind die Bewegungen in Lateinamerika 2007 mit den unabhängigen<br />

Kämpfen am meisten vorangeschritten. Peru, Argentinien, Chile, Bolivien, Venezuela, Mexiko,<br />

überall meldet sich die Basis von unten <strong>und</strong> meistens vorneweg die Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer. In<br />

dem mexikanischen B<strong>und</strong>esstaat Oaxaca zeigt die Basisbewegung mit ihrem Arbeiterrat<br />

APPD, in dem 360 Gruppen zusammengeschlossen sind <strong>und</strong> die schon über ein halbes Jahr die<br />

Doppelherrschaft ausübten, dass die Rätebewegung sehr gut auch bei H<strong>und</strong>erttausenden<br />

funktionieren kann..<br />

Die Lehrer in Oaxaca haben unabhängig von ihrer Gewerkschaftsführung die Einrichtung<br />

ihres Protestcamps beschlossen, dessen Räumung durch die Polizei ja auch zu <strong>der</strong><br />

Rätebewegung geführt hat. In Europa hatten wir im Rahmen <strong>der</strong> globasierten neoliberalen<br />

Barbarei auch bereits mehrere „wilde“ Streiks gehabt, bei den Postlern in London <strong>und</strong> Polen,<br />

den Busfahrern in Rom, den Feuerwehrleuten in London, kurz bei Opel Bochum, den<br />

Krankenschwestern in Warschau mit Protestcamp, um nur einige zu nennen. In Deutschland ist<br />

zur Zeit die kleine Nordhäuser Fahrradfabrik System Bikes mit 135 Beschäftigten besetzt.<br />

In all diesen Kämpfen wählt sich die Kollegenschaft einen Streikrat. Dieser ist mit seinen<br />

Entscheidungen an die Beschlüsse <strong>der</strong> Basis geb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> ist je<strong>der</strong>zeit wie<strong>der</strong> abwählbar. Es<br />

herrscht also das imperative Mandat, nicht wie in dem bürgerlichen Parlament, wo <strong>der</strong><br />

Abgeordnete nach dem freien Mandat urteilt. Er ist nicht geb<strong>und</strong>en an den Wählerwillen, das<br />

hat doch mit Demokratie nichts zu tun.<br />

Wenn die wilden Streiks <strong>und</strong> die Besetzungen immer stärker in die Breite gehen <strong>und</strong><br />

kontinuierlich bestehen, werden sich die Streikräte im Arbeiterrat zusammenschließen. Dieser<br />

12 - Internationale Sozialisten


Moment kann bei <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeitigen Weltwirtschaftskrise je<strong>der</strong>zeit <strong>und</strong> abrupt auftreten, wie das<br />

Beispiel Oaxaca gezeigt hat. Die in Europa genannten <strong>Arbeiterräte</strong> heißen in Lateinamerika nur<br />

Volksräte, weil dort auch die Indigenen vertreten sind <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bauernanteil etwas höher als in<br />

Europa ist, aber nicht so hoch wie in Russland 1917 mit 80%, son<strong>der</strong>n 20-40%. In Sao Paulo<br />

mit seinen 20 Millionen Einwohnern ist die größte Industrieansiedlung <strong>der</strong> Welt, Mexiko Stadt<br />

8,7 Millionen Einwohner, Rio de Janeiro 6, Caracas 2-3, Lima 6,5, Santiago de Chile 5,3,<br />

Bogota 6,8, Buenos Aires 11,5, in Argentinien sind schon weit über 100 Betriebe besetzt.<br />

http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=113040&IDC=<br />

Die zwei Prinzipien in den Streikräten, imperatives Mandat <strong>und</strong> je<strong>der</strong>zeitige Abwählbarkeit,<br />

werden im Arbeiterrat mit übernommen <strong>und</strong> es kommt noch ein drittes Prinzip hinzu, dass <strong>der</strong><br />

Lohn nicht über ein Facharbeiterlohn sein darf. In den Betrieben wird in<br />

Abteilungsversammlungen beinahe täglich die Lage diskutiert <strong>und</strong> über die Abteilung<br />

betreffende Probleme auch abgestimmt. Die Betriebsversammlungen stimmen dann über die<br />

allgemeinen Themen ab, wobei auch schon wichtige Argumente aus an<strong>der</strong>en Betrieben<br />

vorgetragen werden. Die Delegierten für den Stadtteil, die Stadt, das Land o<strong>der</strong> den B<strong>und</strong> sind<br />

an die Beschlüsse <strong>der</strong> Basis geb<strong>und</strong>en. So geht das aufwärts bis zur Weltebene. Sollte in den<br />

übergeordneten Gremien keine klare Einheit hergestellt werde können <strong>und</strong> <strong>der</strong> Beschluss eilt<br />

nicht, wird er noch einmal mit den neuen Argumenten an <strong>der</strong> Basis neu diskutiert. In den Räten<br />

sitzen auch die Rentner, die Hausfrauen, Bauern o<strong>der</strong> auch kleine Ladenbesitzer. Im<br />

Arbeiterrat APPO in Oaxaca sind 360 Organisationen vertreten, von <strong>der</strong> Lehrergewerkschaft,<br />

den Eisenbahnern bis hin zu den Studenten. John Molyneux <strong>der</strong> SWP, <strong>der</strong> International<br />

Socialist Tendency, schreibt zu <strong>der</strong> Frage:<br />

»Vorausgesetzt, daß <strong>der</strong> Keim <strong>der</strong> Struktur in den Betrieben wurzelt, gibt es keinen Gr<strong>und</strong>,<br />

warum an<strong>der</strong>e Gruppen nicht auch Kollektive bilden <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Delegierte in die Räte<br />

integriert sein sollten.<br />

Das f<strong>und</strong>amentale Merkmal des Arbeiterstaates wird sein, daß er auf <strong>der</strong> Selbstaktivität<br />

beruht <strong>und</strong> diese mobilisiert, indem er die Fähigkeit <strong>und</strong> Kreativität <strong>der</strong> Masse <strong>der</strong><br />

Arbeiterklasse organisiert, um die neue Gesellschaft von unten nach oben aufzubauen. Er<br />

wird damit tausendmal demokratischer sein als die liberalste <strong>der</strong> bürgerlichen Demokratien,<br />

die ausnahmslos auf <strong>der</strong> Passivität <strong>der</strong> Werktätigen beruhen. «<br />

John Molyneux: „Die zukünftige sozialistische Gesellschaft“, S 5<br />

Aber die Details dieses Systems legt sowieso die<br />

künftige Basis fest, das will <strong>und</strong> kann niemand am grünen<br />

Tisch entscheiden, das würde ja bedeuten, dass wie<strong>der</strong><br />

nicht die Arbeiter sich selbst befreien würden. Im Zeitalter<br />

des Internets sollte die gemeinsame Diskussion kein<br />

Problem darstellen <strong>und</strong> natürlich ist das heute PCprogrammtechnisch<br />

auch kein Problem mehr, dass<br />

weltweit je<strong>der</strong> sein Bedarf eingibt, nachdem produziert<br />

wird, <strong>und</strong> <strong>der</strong> weltweite Bedarf weltweit solidarisch, d.h.<br />

gleichmäßig auf alle Betriebe verteilt. Schon produziert<br />

man nicht mehr blind auf Halde <strong>und</strong> führt um die Märkte<br />

erst Handelskriege <strong>und</strong> dann heiße Kriege. Voraussetzung<br />

dafür ist dass alle Patente <strong>der</strong> Welt gratis allen<br />

Arbeiterstaaten zur Verfügung stehen <strong>und</strong> nach einer<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 13


kleinen Übergangszeit alle Kollegen in <strong>der</strong> Welt für gleiche Arbeit das gleiche verdienen. Es<br />

gibt anfangs vielleicht noch einen kleinen Unterschied von 80% für den Pförtner <strong>und</strong> 120% für<br />

den Arzt.<br />

Das hört sich ja alles ganz gut an, scheitert aber immer daran, dass <strong>der</strong> Mensch so egoistisch<br />

ist, so gierig sei, denken jetzt 99% aller Menschen. Der Dreh an diesem Modell ist aber genau<br />

<strong>der</strong>, das es den lohnabhängigen Menschen genau an seinem ges<strong>und</strong>en Egoismus packt, nicht<br />

mit <strong>der</strong> bürgerlichen Moral daherkommt. Wir sind keine Altruisten, die selbstlos für eine Welt<br />

voller Selbstlosigkeit kämpfen. Deshalb unterstützt <strong>der</strong> visionäre Akteur auch jeden Kampf,<br />

<strong>der</strong> den Arbeiter nutzt, weil nur im Kampf um ihre Rechte die Kollegin lernen kann <strong>und</strong> nur<br />

aus jedem Kampf kann das basisdemokratische Modell erwachsen. Sollte sich im Streik- o<strong>der</strong><br />

im Arbeiterrat ein Egozentriker einschleichen, dann wird er eben sofort abgewählt, so einfach<br />

ist das.<br />

Ja, <strong>und</strong> was kam in Moskau o<strong>der</strong> <strong>der</strong> DDR raus, Arbeitsläger <strong>und</strong> Todesschüsse an <strong>der</strong><br />

Grenze, denkt so mancher Skeptiker. Nun, in Russland 1917 gab es nur 5% Arbeiter <strong>und</strong> 80%<br />

Bauern, <strong>und</strong> deshalb konnte Stalin nach seiner Konterrevolution gegen die Massen mit<br />

Schlägerbanden, Meuchelmör<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Todesurteilen gegen die gesamte revolutionäre<br />

Parteiführung sein Terrorregime darauf aufbauen. In Europa ist das heute umgekehrt, <strong>und</strong> wenn<br />

bei einem emanzipierendem Kampf so ein Möchtegern-Stalin auftauchen würde, die Kollegen<br />

würden ihn doch mit <strong>der</strong> Schubkarre auf den Müllhaufen <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> kippen. Zur DDR<br />

führte keine Arbeiterrevolution, das wäre nach Marx schon notwendig gewesen, wollte man<br />

seinen Satz ernst nehmen, dass die Befreiung <strong>der</strong> Arbeiter nur ihr eigenes Werk sein kann. Die<br />

DRR ist aber so entstanden, dass unter <strong>der</strong> Sonne Jaltas <strong>der</strong> Herr Stalin auf dem Spickzettel mit<br />

den Ost- <strong>und</strong> West-Län<strong>der</strong>n, den <strong>der</strong> Herr Churchill ihm rüberreichte, er seine Häkchen setzte,<br />

das war ja nun wahrlich kein revolutionärer Moment.<br />

Der Plan <strong>der</strong> DRR war kein solidarischer Plan <strong>der</strong> Arbeiterschaft nach ihrem Bedarf. Das<br />

hieße Äpfel mit Birnen vergleichen. Die treibende Kraft, <strong>der</strong> Stimulus im Ostblock war <strong>der</strong><br />

Rüstungswettlauf, nicht <strong>der</strong> Bedarf <strong>der</strong> Arbeiter. Gute Ware ging in den Westen, z.B. Zelte mit<br />

einer guten Qualität gingen an Quelle, die eigene Bevölkerung hat doch nur den Müll<br />

bekommen. Zum Schluss hat die DDR einen Ausschuss von 50% produziert. Das ist doch kein<br />

Plan. Wenn <strong>der</strong> Arbeiter für den eigenen Bedarf o<strong>der</strong> den seiner Kollegen produziert, dann<br />

achtet er doch auf eine gute Qualität <strong>und</strong> macht nicht einen <strong>der</strong>artigen Pfusch wie in den<br />

Einparteiendiktaturen.<br />

Damit sind nicht alle Anhänger aller bürokratischen Staaten gleich für die Unterdrückung.<br />

Nein, sie wollen sicher soziale Gerechtigkeit, sie sind nur irregeleitet, so, wie die Anhänger <strong>der</strong><br />

„sozialen“ Marktwirtschaft auch nur irregeleitet sind. So schleppen sie aber immer noch die<br />

falschen stalinistischen Theorien mit sich rum, die meist das krasse Gegenteil sind vom<br />

Marxismus. Da wäre zuerst die gleich nach Lenins Tod entwickelte Theorie des „Aufbaus des<br />

Sozialismus in einem Lande“ zu nennen. Auch die stalinistische Etappentheorie, die<br />

Volksfronttheorie <strong>und</strong> später auch die Stamokaptheorie, die Heiligsprechung <strong>der</strong><br />

Arbeiterklasse, die Verstaatlichungstheorie (Sozialismus, weil verstaatlicht) <strong>und</strong> die<br />

Fünfjahresplan-Falschdarstellung <strong>und</strong> nicht zuletzt die Vergötterung Lenins haben in <strong>der</strong><br />

Basisrätebewegung großen Verwirrung gestiftet.<br />

Der Führung <strong>der</strong> Ex-PDS geht es aber nur um Macht <strong>und</strong> Einfluss, nicht um das Recht für<br />

die Arbeiter. Nachdem die DDR zusammengebrochen ist, gab es den Vorschlag <strong>der</strong><br />

Vereinigten Linken, <strong>der</strong> Schwesterorganisation <strong>der</strong> GIM (heute ISL/Avanti) an die PDS die<br />

Betriebe den Arbeitern zur Selbstorganisation zu übergeben. Aber die Nachfolger von<br />

14 - Internationale Sozialisten


Honegger hatten doch nichts Eiligeres zu tun gehabt, als die Betriebe <strong>der</strong> DDR den westlichen<br />

Kapitalisten zu übergeben, nicht den Arbeitern. Das beweist ihre Verwandtschaft mit dem<br />

nie<strong>der</strong>gehenden Kapital. Die Basisdemokraten machen auch einen Staat, aber dieser Staat<br />

gehört über die <strong>Arbeiterräte</strong> allen Nichtkapitalisten, nicht nur <strong>der</strong> SED-Spitze wie in <strong>der</strong> DDR,<br />

dazu fehlten hier die freien Wahlen mit den verschiedenen freien Parteien im Basisrat.<br />

Solidarische Planökonomie von unten.<br />

In <strong>der</strong> solidarischen Planökonomie muss gegenüber den kapitalistischen Staaten das<br />

Außenhandelsmonpol existieren, damit <strong>der</strong> Arbeiterstaat die Außenhandelspreise filtern <strong>und</strong><br />

somit seine Bewohner vor auswärtigen Wucherpreisen schützen kann, aber auch ausländische<br />

verarmte Bauern. Zum Beispiel, wenn <strong>der</strong> Getreidepreis auf dem internationalen Markt wegen<br />

<strong>der</strong> Biospritproduktion steigt, kann <strong>der</strong> Arbeiterstaat seinen Angehörigen das Brot billiger<br />

verkaufen. In <strong>der</strong> solidarischen Planökonomie herrscht natürlich auch die Wertgesetz wie im<br />

Kapitalismus, das heißt das Produkt spiegelt auch die Werte wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> in ihr kristallisierten<br />

Arbeit. Das Planungsamt muss natürlich die vorhandenen Maschinenpark <strong>und</strong> das Verhältnis<br />

je<strong>der</strong> Maschine zu dem notwendigen Aufwand an Arbeitskraft beachten, das Verhältnis des<br />

konstanten Kapitals zur Wertschöpfung bleibt wie im Kapitalismus gleich. Also, Niemand<br />

kann aus einer Drehbank einen Traktor zaubern.<br />

Aber über die Aufteilung <strong>der</strong> Wertschöpfung verfügt die Basis frei nach<br />

Vernunftsgesichtspunkten. Es treibt uns nicht mehr die Profitrate unter dem Konkurrenzdruck<br />

an, möglichst viel für die Erweiterung des Betriebes zu schuften, son<strong>der</strong>n wir können nach<br />

freier Entscheidung festlegen, wie viel wir Lohn wollen, für die Rente zurücklegen, für<br />

städtische Aufgaben, für die Ges<strong>und</strong>heit usw.<br />

Das Planungsamt legt nur Entscheidungshilfen vor, beispielsweise, wenn wir den Lohn nur<br />

um 20% steigern, können wir den Bedarf <strong>der</strong> Genossenschaften <strong>und</strong> Bauern an Traktoren in<br />

Afrika in diesem Jahr decken, wenn wir ihn um 30% steigern, dann erst in 2 Jahren, um 40%<br />

in, dann in 3 Jahren usw.<br />

Diese Frage wird weltweit in allen Betrieben <strong>der</strong> Basisdemokratie (Nicht in den Nochkapitalistischen<br />

Län<strong>der</strong>n, da entscheidet das <strong>der</strong> Unternehmerverband bzw. das<br />

Akkumulationsgesetz.) vorgelegt <strong>und</strong> diskutiert, natürlich nicht so speziell, son<strong>der</strong>n die zu<br />

diskutierende Frage lautet beispielsweise: Wenn wir den Lohn nur um 20% steigern (Wir<br />

erinnern uns, weltweit nach einer Anpassungsphase <strong>der</strong> gleiche Lohn), können wir den<br />

Rückstand <strong>der</strong> Agrarlän<strong>der</strong> in 10 Jahren einholen, wenn wir ihn um 30% steigern, dann erst in<br />

15 Jahren, um 40% in, dann in 20 Jahren usw. Die Planungsbehörde gibt dann noch ihre<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 15


Empfehlung ab mit dem Inhalt z.B., dass sie für eine Steigerung <strong>der</strong> Löhne von nur 20%<br />

plädiert, weil dann die Agrarlän<strong>der</strong> schneller ihre eigenen Straßenbahnen auch bauen können<br />

<strong>und</strong> die ganze Welt sich schneller wichtigeren Aufgaben zuwenden könnte, z.B. <strong>der</strong> weiteren<br />

Automatisierung <strong>der</strong> Drecksarbeit wie z.B. die Reinigung <strong>der</strong> Klärbecken.<br />

Was 20% Lohnerhöhung, wie geht denn das, fragen sich die meisten, <strong>und</strong> dann noch<br />

weltweit Schweizer Löhne? Wir kennen hier nur 20% Lohnsenkung wie bei <strong>der</strong> Post. Ja,<br />

richtig.<br />

1. Erstens produzierst Du nicht mehr wie irrsinnig auf Halde <strong>und</strong> dann werden die Call-<br />

Center-Kollegen unter Druck gesetzt, dem Eskimo einen Kühlschrank<br />

aufzuquatschen, son<strong>der</strong>n wir produzieren nach dem wirklichen Bedarf <strong>der</strong> Menschen.<br />

2. Stellen wir die Waschmaschinen so her, dass sie 50 Jahre halten <strong>und</strong> nicht so, dass die<br />

Pumpe nach 3 Jahren garantiert den Geist aufgibt.<br />

3. Dann arbeiten wir nicht nur für den Lohn, son<strong>der</strong>n weil Du <strong>und</strong> Deine Kollegen das<br />

benötigen <strong>und</strong> Du wie<strong>der</strong> einen Sinn darin siehst. Der Mensch hat sich durch die<br />

Arbeit zum Mensch erst entwickelt. Aber in <strong>der</strong> Lohnarbeit wird er von seinem<br />

Produkt nur entfremdet. Marx sagt, die Würde des Menschen wird reduziert auf<br />

seinen Tauschwert seiner Arbeitskraft. Du arbeitest nicht mehr für die 10€ Lohn,<br />

son<strong>der</strong>n weil alle sich freuen, dass Du so prima Radios reparieren kannst <strong>und</strong> Dir das<br />

Spaß macht, o<strong>der</strong> Theater spielst, o<strong>der</strong> im Nachbarschafts-Kin<strong>der</strong>garten mit den<br />

Kin<strong>der</strong>n umgehen kannst o<strong>der</strong> …<br />

4. Wir produzieren absolut keinen Quatsch mehr wie Werbung, Prestigegüter o<strong>der</strong><br />

Waffen. 1917 haben die Arbeiter statt Waffen Flugblätter produziert, um die Köpfe<br />

<strong>der</strong> deutschen Kollegen zu gewinnen. So hatte Trotzki in Brest-Litowsk einen<br />

Friedensvertrag mit Deutschland geschlossen <strong>und</strong> die ehemaligen Feinde haben statt<br />

aufeinan<strong>der</strong> zu schießen zusammen getanzt. Siehst Du, wie alle sich freuen.<br />

5.<br />

16 - Internationale Sozialisten


So konnte 1917 in dem wirtschaftlich rückschrittlichen Russland schon <strong>der</strong> 8Std.-Tag<br />

eingeführt werden, da gab es in Deutschland noch den 10 bis 13Std.-Tag. Der trotzkistische<br />

Wirtschaftstheoretiker Preobraženskij schreibt:<br />

»Dass in <strong>der</strong> Staatswirtschaft <strong>der</strong> UdSSR trotz ihrer Armut <strong>der</strong> Achtst<strong>und</strong>entag<br />

streng eingehalten wird <strong>und</strong> jedes Jahr in größerem Umfang Maßnahmen zum<br />

Schutz <strong>der</strong> Arbeit eingeführt werden, ist ebenso nur deshalb möglich, weil die<br />

Arbeiterklasse Herr über die Produktion ist. Beim gegenwärtigen<br />

Produktionsumfang wäre alles, was hieran erinnert, für ein kapitalistisches System<br />

völlig unmöglich.«<br />

Evgenij A. Preobraženskij: "Die Neue Ökonomik", Berlin, 1973, S. 157<br />

Wir erleben heute nach einem Kürzungsmarathon <strong>und</strong> <strong>der</strong> Wegzauberung <strong>der</strong><br />

demokratischen Rechte, nach Bankenzusammenbrüchen <strong>und</strong> <strong>der</strong> drohenden Hyperinflation die<br />

Aufstellung <strong>der</strong> großen Mächte NATO <strong>und</strong> Shanghai-Bündnis auf Gr<strong>und</strong> ihres wirtschaftlichen<br />

Zerfalls zum Endzeitkrieg. Für die meisten kommen die Ereignisse nur noch bedrohlich daher,<br />

aber flüchten sich in die Täterrolle, weil, wie die großen Täter versprechen, nur noch mit ihnen<br />

Erfolge zu erzielen seien. Dabei werden auch natürlich nicht seine Lügen über<br />

Arbeitslosenzahlen o<strong>der</strong> Islamisten-Terrorismus bemerkt. Aber so, wie die Banken<br />

zusammenbrechen werden, so wird auch wird auch <strong>der</strong> Siegernimbus von den Tätern abfallen<br />

<strong>und</strong> er steht entblößt vor uns.<br />

Dann wird wie in <strong>der</strong> DDR 1989 ein gemeinsamer Spaziergang durch Berlin o<strong>der</strong> London<br />

von uns allen genügen, <strong>und</strong> die alten Geister sind weg wie im Abendwind. Wenn Du denkst,<br />

dass das so schwierig ist, denk an Lenins Satz, dabei wird auch klar, warum sich die<br />

Herrschaften bis heute gehalten haben:<br />

»Damit es zur Revolution kommt, genügt es in <strong>der</strong> Regel nicht, das die "unteren Schichten"<br />

in <strong>der</strong> alten Weise "nicht leben wollen", es ist noch erfor<strong>der</strong>lich, dass die "oberen Schichten<br />

in <strong>der</strong> alten Weise "nicht leben können"«<br />

Lenin: "Der Zusammenbruch <strong>der</strong> II. Internationale", LW 21, S. 206<br />

Heute aber wissen sie doch gar nicht mehr, warum sie uns unterdrücken sollten. Die<br />

Profitproduktion funktioniert nicht mehr, die Heuschreckenplage verdeckt wie Mehltau die<br />

Landschaft <strong>und</strong> die letzten Wettbüros klappen ihre Fensterläden runter. Wer noch da steht, bist<br />

Du. Dann schließ Dich doch einfach uns von <strong>der</strong> NLO an, wir schauen mit Dir zusammen, wie<br />

es weiter geht.<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 17


<strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Rätedemokratiebewegung!<br />

bis zum 2. Weltkrieg<br />

»Hallo. Wer ist da?«,<br />

»Hier ist <strong>der</strong> Fiat-Sowjet.«,<br />

»Ah!... Entschuldigung... Ich rufe wie<strong>der</strong><br />

zurück...«<br />

Als Karl Marx im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert den<br />

wissenschaftlichen Sozialismus<br />

entwickelte <strong>und</strong> dabei die Arbeiterklasse<br />

<strong>der</strong> Lohn- <strong>und</strong> Gehaltsabhängigen als<br />

zukünftige herrschende Klasse ausmachte, gab es noch kein Beispiel für die Form ihrer<br />

Herrschaft. Im Gegenteil, sie war gerade im Entstehen begriffen.<br />

Als Engels über Köln in einem Brief sich äußert, berichtet er ganz begeistert, dass dort schon<br />

über 6.000 Arbeiter leben. Heute gehören in ganz Europa von den 500 Millionen Einwohnern<br />

85% zur Arbeiterklasse, also 425 Millionen Arbeiterinnen, Angestellte <strong>und</strong> ihre Familien. Die<br />

Arbeiterklasse hatte zu Marxens Zeiten noch nur einen verschwindend geringen Umfang <strong>und</strong> er<br />

konnte sich nur theoretisch abstrakt mit ihr als führende Klasse beschäftigen. Obwohl <strong>der</strong> erste<br />

Hinweis dazu aber von Friedrich Engels als praktischem Theoretiker kam, war so besehen die<br />

Entdeckung <strong>der</strong> Arbeiterklasse als revolutionäres Subjekt eine geniales Werk durch beide<br />

großen Theoretiker.<br />

Der Arbeiter ist nicht aus moralischen Gründen von sich aus zu <strong>der</strong> nächst höheren<br />

Gesellschaftsform fähig, son<strong>der</strong>n wegen seiner Stellung zu den Produktionsmittel. Er ist<br />

objektiv internationalistisch. Was hat <strong>der</strong> VW-Kollege davon, wenn <strong>der</strong> südafrikanische<br />

Kollege nur 4 €uro verdient? Ihm schadet es nur, weil dann ein Dumping-Auto ihn arbeitslos<br />

macht. Er muss darunter leiden, wenn die Arbeitshetze steigt <strong>und</strong> <strong>der</strong> Lohn sinkt.<br />

Das Wesentlichste ist, dass er damit den Schlüssel zu <strong>der</strong> vernunftsorientierten<br />

Produktionsweise in <strong>der</strong> Hand hält. Der in Konkurrenz produzierende Kapitalist unterbietet<br />

seinen Konkurrenten, sonst wird er aus dem Markt geworfen. Er stellt die Bän<strong>der</strong> schneller <strong>und</strong><br />

entlässt Mitarbeiter. Die Arbeit ist aber die einzige Quelle des Mehrwerts. Dadurch setzt sich<br />

<strong>der</strong> tendenzielle Fall <strong>der</strong> Profitrate durch o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Fall <strong>der</strong> Rendite o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Verzinsung des<br />

angelegten Kapitals. Das will kein Kapitalist hinnehmen, also gibt es erst Handelskriege <strong>und</strong><br />

dann heiße. Arbeitslosigkeit, Bankenzusammenbrüche, Inflation <strong>und</strong> Hungerkatastrophen sind<br />

die heutigen Erscheinungen.<br />

Der Arbeiter aber wird nicht für einen blinden Markt produzieren, son<strong>der</strong>n für die<br />

Bestellungen im Internet aller Kollegen gerecht verteilt auf alle Betriebe. Das geht nur<br />

demokratisch <strong>und</strong> international. Solange wir nur in einem Land die Basisrätedemokratie haben,<br />

richten wir die solidarische Plangesellschaft dort ein <strong>und</strong> heben die Warenform dort auf, z.B.<br />

18 - Internationale Sozialisten


Lebensmittel <strong>und</strong> Wohnung billiger, Ges<strong>und</strong>heitswesen <strong>und</strong> Bus für den Nulltarif, Luxusgüter<br />

teurer. Außen herrscht noch <strong>der</strong> Weltmarkt, weshalb <strong>der</strong> Außenhandel über den Arbeiterstaat<br />

läuft.<br />

Kein Profit mehr zwingt den Menschen irgendetwas auf, aber auch kein Rüstungswettlauf<br />

o<strong>der</strong> Korruption von verblödenden Bürokraten wie Honecker, Che o<strong>der</strong> Mao. Dazu ist<br />

unbedingt notwendig, dass das Zentrum <strong>der</strong> Räte in den Betrieben liegt <strong>und</strong> dort regelmäßige<br />

(wöchentliche) Abteilungs- <strong>und</strong> Betriebsversammlungen stattfinden, die dort Delegierte für den<br />

Stadt-, Kreis, Län<strong>der</strong>- <strong>und</strong> B<strong>und</strong>essrat wählen, die<br />

je<strong>der</strong>zeit abwählbar sind<br />

höchstens eines Facharbeiterlohn verdienen <strong>und</strong><br />

an die Beschlüsse <strong>der</strong> Basis geb<strong>und</strong>en sind.<br />

Wir sind in Europa 85% Arbeiterklasse <strong>und</strong> da brauchen wir keine Angst vor sich<br />

verselbständigenden Bürokraten zu haben.<br />

Nun wollen wir untersuchen, wie realistisch dieses authentisch marxistische Konzept ist <strong>und</strong><br />

warum alle bisherigen Versuche gescheitert sind.<br />

Die Pariser Kommune 1871<br />

Erst 1871 bei <strong>der</strong> Pariser Kommune konnte Marx genauere Beobachtungen machen, aber bei<br />

einer unerfahrenen Arbeiterklasse <strong>und</strong> dementsprechend auch einer unerfahrenen Führung um<br />

Blanqui. Die revolutionäre Partei <strong>und</strong> die Basis haben kein unterschiedliches Interesse, <strong>der</strong><br />

Unterschied ist lediglich <strong>der</strong>, dass die Parteimitglie<strong>der</strong> nur in einer früheren Phase bewusst<br />

geworden sind, die Erfahrungen verallgmeinern <strong>und</strong> dies archivieren <strong>und</strong> schulen, mehr nicht.<br />

Die Kommune war ein Bündnis <strong>der</strong> Arbeiter mit dem Kleinbürgertum gegen die Privilegien<br />

<strong>der</strong> Bourgeoisie <strong>und</strong> <strong>der</strong> Großgr<strong>und</strong>besitzer <strong>und</strong> nutzte <strong>der</strong>en Kapitulation im deutschfranzösischen<br />

Krieg 70/71. Es war keine parlamentarische, son<strong>der</strong>n eine politisch-praktische<br />

Körperschaft, die in ihren Händen die gesetzgebende <strong>und</strong> vollziehende Gewalt vereinigte. Ihre<br />

Mitglie<strong>der</strong> waren von ihren Wählern je<strong>der</strong>zeit absetzbar. Alle Beamten waren wählbar. Marx<br />

schreibt in „Der Bürgerkrieg in Frankreich“<br />

»Ihr neues Merkmal ist, dass das Volk nach <strong>der</strong> ersten Erhebung nicht die Waffen nie<strong>der</strong>legt<br />

<strong>und</strong> seine Macht in die Hände <strong>der</strong> republikanischen Marktschreier <strong>der</strong> herrschenden Klassen<br />

übergeben hat, dass es durch die Errichtung <strong>der</strong> Kommune die wirkliche Leitung seiner<br />

Revolution in die eigenen Hände genommen <strong>und</strong> gleichzeitig das Mittel gef<strong>und</strong>en hat, sie im<br />

Falle des Erfolgs in den Händen des Volkes selbst zu halten, indem es die Staatsmaschinerie,<br />

die Regierungsmaschine <strong>der</strong> herrschenden Klassen, durch seine Regierungsmaschine<br />

ersetzt.«<br />

So gab die Kommune Marx eine Bestätigung als opponierende Klasse des Kapitals <strong>und</strong><br />

darüber hinaus trotz ihrer Unerfahrenheit eine große Anzahl praktischer Beispiele<br />

proletarischer For<strong>der</strong>ungen, die Engels im Vorwort zusammenfasst:<br />

„Am 26. März wurde die Pariser Kommune erwählt <strong>und</strong> am 28. proklamiert... Am 30.<br />

schaffte die Kommune … die stehende Armee ab <strong>und</strong> erklärte die Nationalgarde, zu <strong>der</strong> alle<br />

waffenfähigen Bürger gehören sollten, für die einzige bewaffnete Macht; sie erließ alle<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 19


Wohnungsmietsbeträge vom Oktober 1870 bis zum April, unter Anrechnung <strong>der</strong> bereits<br />

bezahlten Beträge auf künftige Mietszeit, <strong>und</strong> stellte alle Verkäufe von Pfän<strong>der</strong>n im<br />

städtischen Leihhaus ein. Am selben Tage wurden die in die Kommune gewählten Auslän<strong>der</strong><br />

in ihrem Amt bestätigt, da die „Fahne <strong>der</strong> Kommune die <strong>der</strong> Weltrepublik ist“. – Am 1 .April<br />

beschlossen, das höchste Gehalt eines bei <strong>der</strong> Kommune Angestellten, also auch ihrer<br />

Mitglie<strong>der</strong> selbst, dürfe 6.000 Franken (4.800 Mark) nicht übersteigen. Am folgenden Tage<br />

wurde die Trennung <strong>der</strong> Kirche vom Staat <strong>und</strong> die Abschaffung aller staatlichen Zahlungen<br />

für religiöse Zwecke sowie die Umwandlung aller geistlichen Güter in Nationaleigentum<br />

dekretiert; infolge davon wurde am 8. April die Verbannung aller religiösen Symbole, Bil<strong>der</strong>,<br />

Dogmen, Gebete, kurz, „alles dessen, was in den Bereich des Gewissens jedes einzelnen<br />

gehört“, aus den Schulen befohlen <strong>und</strong> allmählich durchgeführt... Am 6. wurde die<br />

Guillotine durch das 137. Bataillon <strong>der</strong> Nationalgarde herausgeholt <strong>und</strong> unter lautem<br />

Volksjubel öffentlich verbrannt. – Am 12. beschloss die Kommune, die nach dem Krieg von<br />

1809 von Napoleon aus eroberten Kanonen gegoßne Siegessäule des Vendôme-Platzes als<br />

Sinnbild des Chauvinismus <strong>und</strong> <strong>der</strong> Völkerverhetzung umzustürzen. Dies wurde am 16. Mai<br />

ausgeführt. – Am 16. April ordnete die Kommune eine statistische Aufstellung <strong>der</strong> von den<br />

Fabrikanten stillgesetzten Fabriken an <strong>und</strong> die Ausarbeitung von Plänen für den Betrieb<br />

dieser Fabriken durch die in Kooperativgenossenschaften zu vereinigenden, bisher darin<br />

beschäftigten Arbeiter, sowie für eine Organisation dieser Genossenschaften zu einem<br />

großen Verband. – Am 20. schaffte sie die Nachtarbeit <strong>der</strong> Bäcker ab … Am 30. April befahl<br />

sie die Aufhebung <strong>der</strong> Pfandhäuser, welche eine Privatexploitation <strong>der</strong> Arbeiter seien <strong>und</strong> im<br />

Wi<strong>der</strong>spruch ständen mit dem Recht <strong>der</strong> Arbeiter auf ihre Arbeitsinstrumente <strong>und</strong> auf<br />

Kredit.“<br />

Die je<strong>der</strong>zeitige Abwählbarkeit, <strong>der</strong> Höchstverdienst eines Facharbeiters <strong>und</strong> die Bindung an<br />

die Beschlüsse <strong>der</strong> Basis in <strong>der</strong> täglich tagenden Körperschaft sind aber alles schon Elemente<br />

<strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong>. Die wesentliche Erkenntnis aber ist die Spontaneität <strong>der</strong> Massen. Die<br />

Kommunarden haben nicht erst Marx gelesen, son<strong>der</strong>n, indem, dass sie gegen die bürgerliche<br />

Politik gekämpft hatten <strong>und</strong> nun unabhängig <strong>und</strong> frei von allen Profitzwängen entscheiden<br />

konnten haben sie die richtigen Schritte instinktiv unternommen. Das Experiment endete mit<br />

45.000 Erschießungen <strong>und</strong> 27.000 Todesurteilen bzw. Deportation in die Fieberhöllen. Hier<br />

sehen wir deutlich <strong>und</strong> klar, dass die Bourgeoisie gar keine wirkliche Demokratie für alle will,<br />

son<strong>der</strong>n das nur für die eigenen Profite heuchelt. In dem Moment, wo die Massen sich diese<br />

Demokratie nehmen, werden sie abgemetzelt wie Ungeziefer.<br />

So groß die Opfer auch waren, Marx hat ihre Erfahrungen für die Arbeiterbewegung<br />

verallgemeinert, damit ihre Bedeutung klar gezeichnet <strong>und</strong> ihre Opfer aufgewogen.<br />

Die Kommune war schon eine basisdemokratische Körperschaft mit <strong>der</strong> Bindung an die<br />

Beschlüsse <strong>der</strong> Basis, <strong>der</strong> je<strong>der</strong>zeitigen Abwählbarkeit <strong>und</strong> dem Facharbeiterhöchstlohn. Sie<br />

vereinigte die die gesetzgebende <strong>und</strong> vollziehende Gewalt <strong>und</strong> unterstellten statt <strong>der</strong><br />

heuchlerischen Trennung alle Beamte <strong>der</strong> Wählbarkeit. Was noch fehlte, war die Wahl <strong>und</strong> die<br />

regelmäßigen Versammlungen in den Betrieben. Wir sehen, das war keine Erfindung am<br />

grünen Tisch von Marx, son<strong>der</strong>n hat sich aus <strong>der</strong> Praxis spontan entwickelt, so wie auch die<br />

ersten <strong>Arbeiterräte</strong> aus den Streikräten wil<strong>der</strong> Streiks spontan entwickelt hat. Die<br />

Notwendigkeit <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> für die Massen ergibt sich nicht aus einer idealistischen<br />

kontinuierlichen, zähen Überzeugungsarbeit, son<strong>der</strong>n aus den historisch materialistischen<br />

Wi<strong>der</strong>sprüchen zwischen Kapital <strong>und</strong> Arbeit <strong>und</strong> erschien in <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> abrupt <strong>und</strong><br />

überraschend.<br />

20 - Internationale Sozialisten


Die richtige Organisationsform für die Arbeiterklasse mit den <strong>Arbeiterräte</strong>n zeigte sich aber<br />

erst nach Marx im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />

A. Holberg, Die Kommune, aus „Linke Opposition“ No. 8, S. 21<br />

Karl Marx, „Der Bürgerkrieg in Frankreich“<br />

Russland 1905<br />

Nach dem russisch-japanischen Krieg 1904 <strong>und</strong> nach einer Welle schwerer Streiks schossen<br />

am 9. Januar die Zarentruppen Tausende von unbewaffneten Streikenden <strong>und</strong> ihre Familien<br />

nie<strong>der</strong>, als diese versuchten, den Winterpalast des Zaren mit einer Petition zu erreichen, in <strong>der</strong><br />

sie um Reformen baten. Bis dahin waren die russischen Arbeiter frauenfeindlich sowie<br />

rassistisch gegen die Juden, Chinesen <strong>und</strong> an<strong>der</strong>er Min<strong>der</strong>heiten., glaubten an das große<br />

Russland, waren kriegsbegeisterte Patrioten <strong>und</strong> Zarenanhänger, ansonsten fatalistisch <strong>und</strong><br />

alkoholabhängig. Aber die Stimmung gegen den Krieg begann sich mit den immer schlechter<br />

werdenden Lebensbedingungen <strong>der</strong> Arbeiter zu verbinden - denn die Löhne selbst <strong>der</strong><br />

Bestbezahltesten fielen um etwa 25 Prozent.<br />

Bauernaufstände fanden statt, Soldaten meuterten, Matrosen erschossen ihre Offiziere beim<br />

Appell. Frauen, die nicht wählen gehen durften, sprengten Wahlveranstaltungen <strong>und</strong> kämpften<br />

gegen Soldaten, die geschickt wurden, um die Ordnung wie<strong>der</strong>herzustellen. Schüler in Polen<br />

(damals offiziell ein Teil von Russland) vertrieben russische Lehrer aus den Klassenzimmern.<br />

„Aber am eindruckvollsten, <strong>und</strong> für alle Herrscher am erschreckensten, war die Tatsache,<br />

dass Arbeiter aus den Betrieben marschierten, ihren Kampf ausweiteten <strong>und</strong> aus ihm Lehren<br />

zogen. Ein Unternehmer nach dem an<strong>der</strong>en wurde dazu gezwungen, einen Teil <strong>der</strong> vom Zaren<br />

so grob abgelehnten For<strong>der</strong>ungen zuzugestehen. Die weit voneinan<strong>der</strong> entfernten russischen<br />

Städte wurden eine nach <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en in den Kampf mit einbezogen. 1905 lernten die<br />

russischen Arbeiter ihre Feinde kennen <strong>und</strong> merkten, wie man sie bekämpfen muss - <strong>und</strong> sie<br />

kamen zu dieser Erkenntnis nicht durch einen plötzlichen Meinungswandel, nicht durch die<br />

Propaganda sozialistischer Prediger, son<strong>der</strong>n im Verlaufe des eigenen Kampfs.“ Pete<br />

Glatter, S. 3<br />

Inzwischen versuchte <strong>der</strong> Zarismus, die bürgerliche Opposition mit einer "Duma" zu<br />

beruhigen, einem Parlament, das keine wirkliche Macht haben würde <strong>und</strong> in dem die Arbeiter<br />

keine Vertretung haben sollten. Erst im August beendete die Regierung den katastrophalen <strong>und</strong><br />

unpopulären Krieg gegen Japan. Die Duma traf sich im April 1906 <strong>und</strong> wurde drei Monate<br />

später aufgelöst. Erst 2 Jahre nach ihrer Gründung konnten die letzten Reste <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong><br />

endgültig wie<strong>der</strong> ausgelöscht werden.<br />

Die <strong>Arbeiterräte</strong> sind am 13. Oktober 1905 spontan entstanden, nach einem konsequenten<br />

Kampf <strong>der</strong> Arbeiter um Versammlungs-, Organisations- <strong>und</strong> Demonstrationsfreiheit. Am 26.<br />

November wird Trotzki, <strong>der</strong> erst im Juli 1917 sich Lenins Bolschewiki anschloss, zum<br />

Vorsitzenden des Petersburger Sowjets gewählt. Die demokratischen Rechte müssen immer<br />

wie<strong>der</strong> erkämpft werden. »Man hat uns die Versammlungsfreiheit gegeben«, schrieb Trotzki in<br />

<strong>der</strong> 'Iswestija', »aber unsere Versammlungen werden von Truppen umringt Man gibt uns die<br />

Redefreiheit, aber die Zensur bleibt unversehrt... «<br />

Die Einstellung <strong>der</strong> Bolschewiki zu den Sowjets war anfangs noch wirr: Zuerst verurteilten<br />

sie die Sowjets als Verschwörungen gegen die Partei <strong>und</strong> versuchten, ihnen das eigene<br />

Programm aufzuerlegen. Krasikow, ein bolschewistischer Organisator, nannte den Sowjet<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 21


,,diese neue Intrige <strong>der</strong> Menschewiki" während viele Bolschewiki die Teilnahme nur<br />

unterstützten, um ,,den Sowjet von innen zu sprengen". Bei <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung dieser Lage war<br />

die von Lenin gespielte Rolle entscheidend. Er begriff rasch die Wichtigkeit <strong>der</strong> Sowjets als<br />

,,Organe des direkten Kampfs <strong>der</strong> Massen". Noch sah Lenin die Zeit für die Arbeiter noch<br />

nicht reif. Die Bolschewiken vertraten noch »die demokratische Diktatur des Proletariats <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Bauernschaft«, bis Lenin sich 1917 mit den Aprilthesen Trotzki anschloss. Letztlich lernte<br />

die Partei von <strong>der</strong> Basis, dass die Räte die zukünftige Regierung ist. Manche Arbeiter<br />

adressierten ihren Brief mit "An die Arbeiterregierung, Petersburg".<br />

Die Räte sind von unten an <strong>der</strong> Basis entstanden. Das Lernen zwischen Partei <strong>und</strong> Basis ist<br />

keine Einbahnstraße, son<strong>der</strong>n ein wechselseitiger Prozess. Die Räte werden automatisch bei<br />

einem übergroßen unlösbaren Wi<strong>der</strong>spruch zwischen Kapital <strong>und</strong> Arbeit aus den Streikräten<br />

entstehen <strong>und</strong> nur ihre Aufgaben bei <strong>der</strong> Übernahme <strong>der</strong> Macht benötigen die Erfahrungen <strong>der</strong><br />

Partei. Automatisch heißt aber nicht, dass wir so lange die Hände in den Schoss legen könnten.<br />

Mit kleineren Kämpfen wie Studentenstreiks kann man die großen Arbeiterkämpfe forcieren<br />

o<strong>der</strong> gar die Arbeiterkämpfe versuchen, manchmal anzustoßen. Dies könnte die<br />

Arbeiterkämpfe rechtzeitig herbeiführen, bevor die Reaktion alles zurück wirft.<br />

Nur Trotzki orientierte sich schon damals klar an <strong>der</strong> Arbeiterklasse. Seine Erfahrungen als<br />

Vorsitzen<strong>der</strong> des Arbeiterrates 1905 legte er 1906 mit <strong>der</strong> Schrift „Ergebnisse <strong>und</strong><br />

Perspektiven“ vor.<br />

Deutlich an diesem Beispiel wurde auch, dass erst, nachdem die Arbeiterklasse sich<br />

demokratische Freiheiten erkämpft hatte, erst die Räte sich entwickeln konnten. Die Monarchie<br />

hatte aber noch genügend Kraft, um sich wie<strong>der</strong> durchzusetzen. Am 3. Dezember wurden die<br />

Führer des Petersburger Sowjets verhaftet. Aber <strong>der</strong> Kampf <strong>der</strong> Arbeiterklasse war sehr<br />

wertvoll als Generalprobe für 1917.<br />

Pete Glatter: „Russland 1905“<br />

Russland Februarrevolution 1917<br />

Bis 1917 verdoppelte sich die Industrieproduktion in Russland <strong>und</strong> die Arbeiter gewannen<br />

wie<strong>der</strong> Selbstvertrauen. Bis zum Kriegsbeginn 1914 steigerten sich die Teilnehmer an<br />

politischen Streiks auf 1 Million.<br />

„…Fast alle Betriebe Petersburgs befanden sich im Streik o<strong>der</strong> waren ausgesperrt. Die<br />

Arbeiter lieferten sich erbitterte Straßenschlachten <strong>und</strong> Barrikadenkämpfe mit den Kosaken<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Polizei. Überall waren rote Fahnen zu sehen. Diese Zunahme von Streiks <strong>und</strong><br />

politischer Unrast wurde jedoch durch den Eintritt Russlands in den 1. Weltkrieg an <strong>der</strong><br />

Seite Englands <strong>und</strong> Frankreichs gegen Deutschland unterbrochen.“<br />

(Werner Halbauer)<br />

Die Teilnehmer <strong>der</strong> Streiks gingen 1915 erst einmal auf 156 Tausend zurück. Durch das<br />

Elend, die Toten <strong>und</strong> den Hunger in dem Krieg stiegen sie vor <strong>der</strong> Revolution auf 374 Tausend<br />

an. Am 23. Februar, dem internationalen Frauentag (Nach altem russischen Kalen<strong>der</strong>) entgegen<br />

dem Beschluss des von den Bolschewiken unterstützten Arbeiterkomitees traten am nächsten<br />

Morgen die Textilarbeiterinnen einiger Fabriken in den Ausstand <strong>und</strong> for<strong>der</strong>ten auch die<br />

Metallbetrieben auf, ihren Streik zu unterstützen. Mehr als die Arbeiter von St. Petersburg<br />

traten in den Streik. Diese Streiks entwickelten sich in den folgenden 5 Tagen <strong>und</strong> mit<br />

22 - Internationale Sozialisten


Unterstützung <strong>der</strong> Soldaten zur Revolution. Mehrere Kasernen liefen zur Revolution über.<br />

Schon während des Aufstandes gab es in den Betrieben Wahlen zu <strong>Arbeiterräte</strong>n.<br />

Der Bourgeoisie fehlte <strong>der</strong> Mittelstand <strong>und</strong> das internationale Großkapital. Die<br />

Großgr<strong>und</strong>besitzer waren als Adlige zu sehr mit dem Zaren verb<strong>und</strong>en. Sie wollten eigentlich<br />

keine Revolution, keine Republik <strong>und</strong> kein Duma-Parlament, die Machtübernahme war ihnen<br />

einfach peinlich <strong>und</strong> sie fürchteten sich vor den entschlossenen Massen. Der Sowjet musste die<br />

Bürgerlichen sozusagen zur Duma treiben. „Auch Vertreter <strong>der</strong> besitzenden Klasse werden,<br />

wenn auch zähneknirschend, beim Sowjet Schutz, Weisungen <strong>und</strong> Entscheidung bei Konflikten<br />

suchen.“, schreibt Trotzki. Die Führung <strong>der</strong> Revolution hatten die Bolschewiki, aber die<br />

Massen konnten nach 5 Tagen Bolschewiken <strong>und</strong> Menschewiken noch nicht auseinan<strong>der</strong><br />

halten, weshalb die letzten im Sowjet noch die übergroße Mehrheit hatten. Auch national<br />

bildeten die Bolschewiki nur eine kleine Min<strong>der</strong>heit <strong>und</strong> die Sozialdemokraten haben wie<br />

immer nichts Eiligeres zu tun, als dem Bürgertum die Macht hinterher zutragen. Aber das sollte<br />

sich in den folgenden Monaten nach <strong>der</strong> Reifung <strong>der</strong> Räte total än<strong>der</strong>n.<br />

Werner Halbauer: „Die Februarrevolution 1917“<br />

Leo Trotzki: „<strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> russischen Revolution, Band 1“<br />

Russland Oktoberrevolution 1917<br />

Nachdem Lenin aus dem Schweizer Exil zurückkehrte, trennte er sich als erstes von seiner<br />

alten For<strong>der</strong>ung nach <strong>der</strong> »demokratischen Diktatur des Proletariats <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bauernschaft«<br />

<strong>und</strong> schloss sich mit den Aprilthesen Trotzkis Orientierung an die <strong>Arbeiterräte</strong> an. Nachdem<br />

Trotzki im Juni in die Bolschewistische Partei entrat, wurde er in <strong>der</strong> Parteifrage Leninist. Die<br />

beiden großen Männer des Marxismus brachten gemeinsam die spontan entstandenen<br />

<strong>Arbeiterräte</strong> im Oktober in dem kaum kapitalistisch entwickelten Russland an die Macht. Alle<br />

an<strong>der</strong>en Beispiele <strong>der</strong> Rätedemokratie blieben mit <strong>der</strong> Revolution unvollendet, weil dort die<br />

Parteien entwe<strong>der</strong> noch nicht entwickelt waren o<strong>der</strong> aber ab 1924 mit dem Stalinismus sich<br />

vom Gedanken des authentischen Marxismus <strong>der</strong> Selbstbefreiung <strong>der</strong> Arbeiterklasse.<br />

Im Juli for<strong>der</strong>ten die Arbeitermassen in Petrograd von sich aus die Machtübernahme durch<br />

die Sowjets. Die Bürgerlichen in <strong>der</strong> Duma lösten einfach keine von <strong>der</strong> Revlution gestellten<br />

Aufgaben wie den Krieg zu beenden <strong>und</strong> Elend <strong>und</strong> Hunger abzuschaffen<br />

Aber die an<strong>der</strong>en Städte waren noch nicht so weit <strong>und</strong> so mussten die Bolschewiki die<br />

Arbeiter bremsen. Ohne Bolschewiki hätten die Julitage nur zu einem Blutvergießen durch die<br />

Bürgerlichen geführt. Die Propaganda des Kapitals schaffte das Märchen vom ersten<br />

Putschversuch <strong>der</strong> Bolschewiken, obwohl doch diese vor einer übereilten Aktion warnten.<br />

„Die bolschewistischen Zeitungen wurden verboten. Die bolschewistischen Truppenteile<br />

aufgelöst. Man nahm den Arbeitern die Waffen weg. Die Parteiführung mussten sich<br />

verbergen, die an<strong>der</strong>en saßen in Gefängnis.“ (“ Trotzki, 1917“)<br />

Im August wurde mit einem taktischen Geniestreich von Lenin <strong>und</strong> Trotzki alles we<strong>der</strong><br />

wettgemacht. Der Faschist Kornilow wollte die Diktatur errichten, was auch im Interesse vieler<br />

Bürgerlicher lag. Nun war Lenin vor dem sozialrevolutionären Präsidenten (etwa vergleichbar<br />

mit den Grünen) Kerenski nach Finnland geflüchtet <strong>und</strong> Trotzki saß im Gefängnis.<br />

Dennoch riefen sie zur Verteidigung von Kerenski auf. Dafür wurden die Arbeiter von <strong>der</strong><br />

Regierung extra wie<strong>der</strong> bewaffnet <strong>und</strong> alle, beson<strong>der</strong>s Soldaten <strong>und</strong> Eisenbahner, brachten<br />

triumphal die Kornilow-Bande kläglich zum Scheitern. Das brachte den Bolschewiki in ganz<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 23


Russland Mehrheiten in den Räten ein, so dass sie zur Planung <strong>der</strong> Revolution im Oktober<br />

übergehen konnten. In <strong>der</strong> Arbeiterschaft <strong>und</strong> in den Räten wollte man schon lange die<br />

Revolution durchführen, in Petrograd schon im Juli. Natürlich kann man den genauen Termin<br />

<strong>und</strong> die genau Aufstandsplanung nicht in aller Öffentlichkeit besprechen. Deshalb Lenin einen<br />

Putsch unterzustellen, wie wir es von <strong>der</strong> bürgerlichen Journaille kennen, ist bösartige<br />

Geschichtsfälschung.<br />

Im Oktober wurde Trotzki wie<strong>der</strong> zum Vorsitzenden des Arbeiterrates gewählt. Der von dem<br />

„Militärischem Revolutionskomitee“ unter Trotzkis Leitung vorbereiten Revolution schlossen<br />

sich alle Arbeiter an, sonst wäre sie gar nicht erfolgreich gewesen. Es gab nur sechs Tote, im<br />

Verhältnis zu den bürgerlichen Revolutionen wie <strong>der</strong> französischen ist das gar nichts. Das<br />

100fach fressen die herrschenden Kapitalisten jeden Tag zum Frühstück.<br />

Das Problem war, dass die Arbeiterklasse nur 4,5% betrug. Ohne Arbeiterklasse aber sind<br />

keine <strong>Arbeiterräte</strong> möglich. Das wussten selbstverständlich auch Lenin <strong>und</strong> Trotzki, aber sie<br />

haben die Revolution dennoch gemacht, damit sie als Fanal für die Weltarbeiterklasse diente.<br />

In einem Land lässt sich die Revolution zwar anfangen, aber nicht vollenden. Das entwickelte<br />

Trotzki in <strong>der</strong> „Permanenten Revolution“.<br />

16 imperialistische Staaten griffen den Arbeiterstaat Russland an <strong>und</strong> danach gab es nur noch<br />

2,5% desorientierte, hungernde <strong>und</strong> zermürbte Arbeiter. 1924 starb mit 54 Jahren Lenin <strong>und</strong><br />

nun hatte Stalin mit seinen Schlägerbanden, Arbeitslagern <strong>und</strong> Hinrichtungen leichtes Spiel,<br />

den Sozialismus von Marx in sein genaues Gegenteil zu verkehren.<br />

Schon 1924 lässt er die Theorie vom „Aufbau des Sozialismus in einem Lande“ ausarbeiten<br />

<strong>und</strong> erdreistet sich dabei noch, das Kleid des Marxismus überzuziehen. Um den<br />

Bürokratenplan 1929 zu verwirklichen, wurden die <strong>Arbeiterräte</strong> <strong>und</strong> die unabhängigen<br />

Gewerkschaften als Machtinstitute <strong>der</strong> Troika abgeschafft die <strong>Arbeiterräte</strong> „sollen vielmehr<br />

dabei helfen, die Ein-Mann-Leitung zu gewährleisten". 1936 richtete er in den Moskauer<br />

Prozessen den letzten Rest <strong>der</strong> marxistischen Führung hin. So stalinisiert er alle<br />

Kommunistischen Parteien <strong>der</strong> Welt <strong>und</strong> diese konnten damit, solange <strong>der</strong> Kapitalismus noch<br />

eine kleine Vitalität besaß, sehr leicht die angefangenen Revolutionen <strong>der</strong><br />

<strong>Arbeiterräte</strong>bewegung von unten im Verein mit den Privatkapitalisten ersticken.<br />

Leo Trotzki: „1917“, „Kopenhagener Rede“,<br />

Leo Trotzki: „<strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> russischen Revolution, Band 2+3“<br />

Deutschland 1918<br />

Der 1. Weltkrieg war eigentlich schon verloren, da befahl die Heeresführung noch einmal ein<br />

Auslaufen in den Ärmelkanal gegen die Briten. Am 30. Oktober 1918 meuterten die<br />

Wilhelmshavener Matrosen, die daraufhin nach Kiel verlegt wurden. Am 4. November<br />

brachten die Soldaten <strong>und</strong> Arbeiter die öffentlichen <strong>und</strong> militärischen Einrichtungen Kiels<br />

unter ihre Kontrolle. Am 9. November eskalieren die Arbeiteraufstand <strong>der</strong>art, dass Kaiser<br />

Wilhelm II nach Holland flieht. Betriebsbesetzungen fanden bis dahin kaum statt.<br />

„Vom 16. - 21 Dezember wurde auf dem ersten Rätekongress in Berlin die Frage nach <strong>der</strong><br />

Staatsform diskutiert (298 Delegierte = SPD, 101 = USPD, 25 = Demokraten - Liberale).<br />

Die SPD setzte sich mit ihrer Vorstellung durch, die Entscheidungen <strong>der</strong> am 19. Januar 1919<br />

zu wählenden verfassungsgebenden Nationalversammlung zu übertragen (344 dafür, 98<br />

dagegen).“ <strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong><br />

24 - Internationale Sozialisten


Die KPD wurde erst danach, am 31.12. mit 3-4 Tausend Mitglie<strong>der</strong>n gegründet. Rosa<br />

Luxemburg trat mit dem Spartacusb<strong>und</strong> als Fraktion <strong>der</strong> USPD zusammen mit diesem aus <strong>der</strong><br />

SPD ausgetreten, aber viel mehr als 2.000 waren e Neujahr 1918 auch nicht. Aber auch Lenins<br />

Organisation geleitet von Karl Radek, die „Bremer Linksradikalen“ kamen über 200<br />

Mitglie<strong>der</strong> nicht groß hinaus.<br />

Der Punkt war einfach <strong>der</strong>, dass <strong>der</strong> Kapitalismus noch nicht einmal angefangen hat. Die<br />

Kollegen hatten noch überhaupt keine Erfahrung mit ihm gemacht. Die Profitrate stand noch<br />

1919 nach Mandel bei 16,2% <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kapitalismus hatte noch sehr viel Vitalität.<br />

Im Januar 1919 provozierte die Regierung die Arbeiter mit <strong>der</strong> Verhaftung des USPD-<br />

Mitglieds <strong>und</strong> beliebten Berliner Polizeipräsidenten Eichhorn. Daraufhin liefern sich Tausend<br />

Arbeiter schwere Kämpfe mit Waffen mit den Regierungstruppen, von denen sich auch<br />

Liebknecht, Ledebour <strong>und</strong> Pieck mitreißen ließen. Das Ergebnis dieser sinnlosen Aktion war<br />

nur, dass<br />

„unter <strong>der</strong> Führung des SPD-Mitgliedes Noske die Freikorps in Berlin einrücken <strong>und</strong> ein<br />

blutiges Pogrom gegen die revolutionäre Arbeiterbewegung organisierten. Mit dem Mord an<br />

Luxemburg <strong>und</strong> Liebknecht wurde die revolutionäre Linke auch ihrer theoretischen Führer<br />

beraubt; die kurzen Novembertage fanden mit dem Anfang des Aufstiegs <strong>der</strong> SPD an die<br />

Macht ihr blutiges Ende.“ <strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong><br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong> „Novemberrevolution ohne Führung“<br />

Chris Harman: „Die Verlorene Revolution“<br />

Ungarn 1919<br />

Die Wirtschaft Ungarns bestand schon 1919 aus 30,4% Industrie, 60% <strong>der</strong> Großindustrie lag<br />

in Budapest. Dennoch arbeiten auf Latif<strong>und</strong>ien noch 1,8 Millionen mehrheitlich magyarische<br />

Landarbeiter (mit Angehörigen 4,4 Millionen).<br />

„„ DD e r rr EE r rr s ss t tte e WW e l ll t ttk k r rr i iie e g<br />

t tt r rr i iie e b<br />

d i iie e p o l ll i ii t tt i ii s ss c h e n ,, , s ss o z zz i iia a l llök öko<br />

o n o mm i ii s ss c h e n<br />

u nd nd<br />

n a t tt i iio o n a l lle e n<br />

KK on on<br />

f ff l lli iik k t tte e zzz<br />

u r rr r rr e v o l llu u t tt i iio o n ä r rr e n<br />

S i ii t ttu u a t tt i iion on<br />

,, , d i iie e –<br />

äh ähn<br />

n l ll i iic c h<br />

ww i iie e i iin n RR u ß l llan and<br />

d ,, , DD e u t tt s ss c h l lla a nd nd<br />

un <strong>und</strong><br />

d i iin n d de e r rr ö s ss t tte e r rr r rr e i iich ch<br />

i ii s ss c h e n<br />

RR e i iic c h s ss h ä l ll f fft tte e –<br />

i ii mm HH e r rr b s ss t tt 1 9 18 18<br />

i iin n<br />

UU n g a r rr n<br />

i iin n e i iin n e<br />

b ü r rr g e r rr l ll i iic c h - --d d e mm o k r rra a t tt i ii s ss c h e<br />

RR e v o l llu u t tt i iion on<br />

u mm s ss c h l llu u g .. . AA n f ffan ang<br />

g 1 91 917<br />

7 wwa a r rr e n<br />

v o n<br />

d e n<br />

3 ,, , 88 MM i ii l ll l ll i iio o n e n<br />

FF r rr o n t tt s ss o l lld d a t tte e n<br />

6 00 0 0 0 0<br />

g e f ffa a l ll l lle e n ,, , 8 1<br />

0 0 0<br />

d es ess<br />

e r rr t tti ii e r rr t tt ,, , 75 750<br />

0 0 0 0<br />

s ss c h ww e r rr v e r rr l lle e t tt z zz t tt u n d<br />

e b e n s sso o v i iie e l lle e i iin n GG e f ffa a n g e n s ss ch cha<br />

a f ff t tt<br />

g e r rr a t tte e n .. . DD a s ss o h n eh eh<br />

i iin n n i iie e d r rr i iig g e<br />

EE i iin n k omm o mm e n<br />

d e r rr VV o r rr k r rr i iie e g s ss z zz e i ii t tt s ss c h r rr u mm p f ff t tte e b e i ii d e n<br />

FF a c h a r rr b e i iit tte e r rr n<br />

u mm d i iie e HH ä l ll f ff t tte e ,, , b e i ii<br />

d e n<br />

TT a g e l llö ö hn hne<br />

e r rr n<br />

au au<br />

f ff 4 0<br />

PP r rr o z zz e n t tt .. . DD i iie e BB r rr o t ttr rr a t tt i iio o n e n<br />

p r rro o PP e r rr s ss o n<br />

ww u r rr d e n<br />

v on on<br />

J a n u a r rr bi bii<br />

s ss J u n i ii 1 19 9 1 8<br />

v on on<br />

1 0 0<br />

auu a f ff 5 0<br />

g<br />

h e r rr a b g e s ss e t tt z zz t tt .. . DD i iie e DD i iiv v i iid d e n d e n<br />

d e s ss GG r rr o ß k a p i ii t tta a l ll s ss s ss t tt i iie e g e n<br />

–<br />

a l ll l lle e i iin n i ii mm BB e r rr g b a u<br />

v o n<br />

1 9 16 16<br />

b i ii s ss 1 9 1 7<br />

u mm 3 8<br />

PP r rr o z zz en en<br />

t tt .. . ““<br />

(Karl-Heinz Gräfe, S. 887)<br />

Es kam im 31. Oktober zu großen Streiks <strong>und</strong> <strong>der</strong> Asternrevolution, die Wien veranlasste,<br />

einer bürgerlich-sozialdemokratischen Regierung einsetzen zu lassen.<br />

„Da die meisten bürgerlichen Minister die Konterrevolution unterstützten <strong>und</strong> die<br />

versprochenen sozialökonomischen Reformen hinauszögerten, teilten Bauern eigenmächtig<br />

Magnatenland auf, verschafften sich Arbeiter Waffen <strong>und</strong> kontrollierten Betriebe. Auch die<br />

700 000 aus <strong>der</strong> Kriegsgefangenschaft Entlassenen, die 100 000 Arbeitslosen, die 260 000<br />

Invaliden sowie die aus den besetzten Gebieten Geflüchteten erwarteten mehr von <strong>der</strong><br />

Revolution.“ (Karl-Heinz Gräfe, S. 890)<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 25


Es kam immer wie<strong>der</strong> zu Streiks, Schießerei von <strong>der</strong> Polizei, Verhaftungen <strong>und</strong> Folter an<br />

KP-Führer Bela Kun. Trotzdem half das alles nicht mehr <strong>der</strong> bürgerlichen Regierung.<br />

„Die Sowjetrepublik wurde friedlich am 21. März 1919 gegründet… Was sie allerdings nicht<br />

tat, war, <strong>der</strong> Masse des ungarischen Volkes, <strong>der</strong> Bauernschaft, einen Anteil an <strong>der</strong> neuen<br />

Ordnung zu geben. Trotz aller Ratschläge <strong>und</strong> dringenden Bitten aus Moskau wurden die<br />

großen Län<strong>der</strong>eien einfach verstaatlicht mit dem Ergebnis, »dass die Errichtung <strong>der</strong><br />

proletarischen Diktatur im ungarischen Dorf fast nichts än<strong>der</strong>te, dass die Tagelöhner nichts<br />

merkten <strong>und</strong> die Kleinbauern nichts erhielten«<br />

(Duncan Hallas, S. 37)<br />

Die Sowjetregierung hat nicht nur <strong>der</strong> Bauernschaft trotz dringen<strong>der</strong> Bitten aus Moskau<br />

keinen Anteil an <strong>der</strong> neuen Ordnung gegeben, son<strong>der</strong>n es wurden sogar noch die alten<br />

Großgr<strong>und</strong>besitzer als Leitung eingesetzt. Die europäischen Kommunisten wollten nicht<br />

einsehen, dass sie n einem noch agrarischem Land die Bauern einbinden mussten (Die<br />

Landarbeiter sowieso). Die Taktik ist nun eine Sache <strong>der</strong> Führung, nicht <strong>der</strong> Arbeiterbasis. Es<br />

hat sich hier schon ausgedrückt, dass die ungarische Partei keine so genialen Taktiker wie<br />

Lenin <strong>und</strong> Trotzki in ihren Reihen hatte. So fand <strong>der</strong> ungarische Räteversuch schon im August<br />

1919 durch den Angriff <strong>der</strong> Franzosen <strong>und</strong> Tschechen sein Ende.<br />

Duncan Hallas „Die Komintern“, S.36, Die Bauern <strong>und</strong> die Kolonialwelt<br />

Karl-Heinz Gräfe: „Von <strong>der</strong> Asternrevolution zur Räterepublik. Ungarn 1918/19“<br />

Italien 1919/20<br />

„Italien ging aus dem Ersten Weltkrieg als <strong>der</strong> schwächste unter den "Siegern" hervor. Die<br />

Herrschenden hatten wenig anzubieten als Gegenleistung für die halbe Million Tote <strong>und</strong> die<br />

riesigen Kriegsschulden. Die Lebenshaltungskosten waren seit <strong>der</strong> Vorkriegszeit um das<br />

Sechsfache gestiegen <strong>und</strong> liefen immer noch davon. Das Ergebnis waren jene zwei Jahre, die<br />

in die italienische <strong>Geschichte</strong> unter dem Namen "Biennio Rosso" - "die Zwei Roten Jahre" -<br />

eingegangen sind.“ (Duncan Hallas, S. 45)<br />

Es folgte eine Welle von Streiks, Fabrik- <strong>und</strong> Landbesetzungen, Demonstrationen <strong>und</strong><br />

Straßenkämpfen. Wegen <strong>der</strong> steigenden Lebensmittelpreise entwickelte <strong>der</strong> Protest sich zu<br />

Aufständen. Angefangen in Turin gründeten die Arbeiter Fabrikkomitees. Die Arbeiterbasis<br />

war reif für die Revolution. Der Vertreter einer Transportfirma rief bei den Fiat-Werken in<br />

Turin an in <strong>der</strong> Hoffnung, den Manager zu sprechen:<br />

»Hallo. Wer ist da?«<br />

»Hier ist <strong>der</strong> Fiat-Sowjet.«<br />

»Ah!... Entschuldigung... Ich rufe wie<strong>der</strong> zurück...«<br />

Jetzt könnten die Parteien leicht die Arbeitermassen in die Revolution <strong>und</strong> an die Macht<br />

führen, aber Pustekuchen, die PSI bezeichnete die Landbesetzungen als kleinbürgerlich <strong>und</strong> die<br />

Fabrikräte als „Reich des Irrsinns“. Sie entwickelte überhaupt keinen Plan, die Arbeiter an die<br />

Macht zu führen. Die PCI spaltete sich erst im September 1921 ab, weil die PSI in <strong>der</strong><br />

Komintern war. Lenins Taktik <strong>der</strong> Einbindung <strong>der</strong> reformistischen Parteien mit den 21<br />

26 - Internationale Sozialisten


Bedingungen klappten bei <strong>der</strong> PSI wie bei <strong>der</strong> USPD keineswegs. Das italienische Debakel<br />

endete dann 1922 im Faschismus.<br />

Duncan Hallas „Die Komintern“, S.45, Das italienische Debakel<br />

Chris Harman: „Gramsci gegen Reformismus“<br />

Alle bisherigen Räteversuche waren Ergebnis von Kriegen <strong>und</strong> des Hungers. Sie standen alle<br />

am Anfang des Kapitalismus, als diesem noch eine Zukunftsaussicht stark machte. Alle<br />

Räteversuche kamen wegen <strong>der</strong> Unerfahrenheit <strong>der</strong> marxistischen Parteien über das<br />

Spontanstadium nicht hinaus, mit Ausnahme von Russland 1917 dank <strong>der</strong> taktischen Genies<br />

von Lenin <strong>und</strong> Trotzki. Nur konnte hier nach Lenins Tod 1924 wegen <strong>der</strong> kleinen<br />

Arbeiterklasse von 2,5% Stalin seine Konterrevolution durchführen.<br />

Alle im Arbeiterrat vertretenen Parteien gingen ab 1918 mit Anschlägen <strong>und</strong> Bomben gegen<br />

die Arbeiterverfassung vor <strong>und</strong> mussten selbstverständlich verboten werden, wobei die<br />

Bolschewiken immer wie<strong>der</strong> betonten, so schnell wie möglich <strong>und</strong> die Wirtschaft es zulässt<br />

wie<strong>der</strong> zur Demokratie zurückzukehren. Aus <strong>der</strong> Not <strong>der</strong> authentischen Marxisten machte<br />

Stalin eine Tugend <strong>und</strong> verkehrte den Marxismus in sein genaues Gegenteil.<br />

Nun stalinisierte er alle kommunistische Parteien in <strong>der</strong> Welt. Ihre Aufgabe war es jetzt nicht<br />

mehr, <strong>der</strong> Arbeiterklasse bei ihrer Emanzipation zu helfen, das wäre für herrschende russische<br />

Bürokratie ein Dilemma gewesen, alle Verbündete wären ihnen in Scharen wie<strong>der</strong> davon<br />

gelaufen. Deshalb mussten die KPen jede Emanzipationsbewegung konterkarieren. Spanien<br />

1936 läutete diese Etappe bis zum Untergang des Staatskapitalismus 1989 ein. Die Moskau-<br />

Stalinisten lösten sich in reformistische Parteien auf <strong>und</strong> spielen nur noch eine Rolle wie die<br />

linke SPD.<br />

Die Mao-Stalinisten haben sich im KBW in den grünen Reformisten, <strong>der</strong> BWK bei den linke<br />

Reform-Stalinisten <strong>und</strong> <strong>der</strong> Rest hat keine Bedeutung mehr <strong>und</strong> können <strong>und</strong> manche wollen<br />

auch nicht mehr wie im Iran 1979 das Aufkommen von Räten durch Ignoranz behin<strong>der</strong>n.<br />

Spanien 1936<br />

Da es in Spanien nach 1918 keine Rätebewegung gegeben hat, wurden die alten Probleme<br />

nicht angegangen <strong>und</strong> warteten noch auf eine Lösung:<br />

<strong>der</strong> völlig unterprivilegierten Stellung <strong>der</strong> Land- <strong>und</strong> Industriearbeiterschaft, die zum Teil<br />

radikale gesellschaftliche Umbrüche anstrebte<br />

1. <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung um das kulturelle Monopol <strong>der</strong> Katholischen Kirche<br />

2. dem auf heftigen Wi<strong>der</strong>stand treffenden Bestreben <strong>der</strong> Basken <strong>und</strong> Katalanen, sich von <strong>der</strong><br />

Zentralregierung zu emanzipieren<br />

3. <strong>der</strong> mangelnden Kontrolle des Militärs durch die Regierung, seiner Entfremdung von weiten<br />

Teilen <strong>der</strong> Gesellschaft <strong>und</strong> seiner Rolle als „Staat im Staate“.<br />

1936 gewann das Volksfront-Bündnis mit Sozialdemokraten, Liberale <strong>und</strong> Stalinisten die<br />

Wahlen. In <strong>der</strong> Folge kam es zu Landbesetzungen, <strong>Arbeiterräte</strong>n, Streiks <strong>und</strong> Straßenkämpfen<br />

mit <strong>der</strong> faschistischen Falange, die einen Krieg unter Franco von Marokko aus anfing. Die<br />

spanische Rätebewegung war sozusagen eine nachgeholte Bewegung für die Gr<strong>und</strong>fragen des<br />

Kapitalismus bei seiner Gründung.<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 27


Die absolute Führung bei den Arbeitern hatten die Anarchosyndikalisten von <strong>der</strong> FAI. In<br />

ihrer Gewerkschaft CNT waren 1,5 Millionen Mitglie<strong>der</strong>. Die Massen wollten mehr als das<br />

Bürgertum, nicht aber die FAI.<br />

Sie lehnten es aber ab, einen zentralen Arbeiterrat in Madrid einzurichten. Dieser ist aber<br />

notwendig für eine gemeinsame Sozial-, Wirtschafts- <strong>und</strong> erst recht Kriegspolitik gegen Franco<br />

<strong>und</strong> … für die Revolution. Auf sie verzichteten sie mit dem Argument, dann könnte sich ja<br />

auch England <strong>und</strong> Frankreich gegen sie stellen. Der mangelnden unterstützung hätte die<br />

Volksfront aber so begegnen können, indem sie Marokko die Unabhängigkeit geben können.<br />

Statt einer Zentralisierung des Arbeiterrates für eine sofortige Doppelherrschaft traten sie am<br />

26.9.36 in die liberale Regierung ein. Der führende Genosse <strong>der</strong> Anarchosyndikalisten hieß<br />

dann »Seine Exzellenz, <strong>der</strong> Herr Minister <strong>der</strong> Justiz, Genosse Garcia Oliver...« (Sommer, S<br />

10). Das erinnert doch stark an den Ex-Sponti-Anarchist „Seine Exzellenz, <strong>der</strong> Herr Minister<br />

des Äußeren, Ex-Genosse Joschka Fischer“. Nur seine Aufgabe ist ja nicht mehr die Führung<br />

<strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong>.<br />

Den Eintritt in die liberale Regierung mussten die Anarchisten mit <strong>der</strong> Entwaffnung ihrer<br />

Arbeiterbasis bezahlen. Es gab noch die Abspaltung um Durutti. Nur er verstand auch nicht,<br />

dass das Dilemma <strong>der</strong> Anarchisten darin liegt, die Arbeiter gar nicht an die Macht führen zu<br />

wollen. „Keine Macht für Niemand“ ist aber erst in <strong>der</strong> klassenlosen Gesellschaft möglich,<br />

nicht bei den Stalinisten <strong>und</strong> bei Francos Anmarsch.<br />

Auf den Barrikaden Barcelonas zerrissen die Arbeiter dann die Anarchozeitung. Der Verrat<br />

<strong>der</strong> Stalinisten gepaart mit <strong>der</strong> Unfähigkeit <strong>der</strong> FAI eröffnete den Sieg von Franco.<br />

Fred Sommer: Anarchismus ohne Organisation? Am Beispiel Spanien 1936<br />

Spanischer Bürgerkrieg – Wikipedia<br />

Der Kapitalismus hatte noch ein langes Leben. Nach dem 2. Weltkrieg entfaltete er durch<br />

den Rüstungskapitalismus des Korea-Krieges erst richtig in Schwung gebracht eine lange<br />

Aufschwungsphase, die erst 1972 ihr Ende fand. Aber er schleppte sich noch bis 2001 dahin.<br />

In dieser Zeit erstritten die Arbeiter mehrere Rätebewegungen. Wir werden im 2. Teil die<br />

<strong>Arbeiterräte</strong> von Ungarn 1956, Portugal 1974, Iran 1979 <strong>und</strong> Oaxaca 2006 beleuchte. Oaxaca<br />

war auch schon <strong>der</strong> 1. Testlauf für die kommenden Rätebewegungen in <strong>der</strong> Agonie <strong>der</strong><br />

Marktwirtschaft, die dann von den Rätedemokratien abgelöst wird.<br />

Wir haben schon gesehen, dass alle bisherigen Räte am Beginn des Kapitalismus standen<br />

<strong>und</strong> dort die eigentlichen Aufgaben des Bürgertums übernahmen, die diese nur zögerlich<br />

angingen. Wie die Machtübernahme, das allgemeine Wahlrecht beson<strong>der</strong>s für Frauen,<br />

Organisations-, Versammlungs- <strong>und</strong> Demonstrationsfreiheit, Ges<strong>und</strong>heitsfürsorge. In Spanien<br />

wurden diese Aufgaben erst 1936 nachgeholt. Genauso verhält es sich mit den<br />

Nachkriegsrätebewegungen Portugal <strong>und</strong> Iran, wobei Ungarn 1956 durch den Stalinismus<br />

zurückgeworfen wurde. Der nach dem spontanen 1. Schritt folgende organisierte 2. Schritt <strong>der</strong><br />

Machtübernahme blieb am Anfang außer in Russland wegen dem mangelnden<br />

Differenzierungsprozesses <strong>der</strong> Parteien aus. Ab 1936 verhin<strong>der</strong>te <strong>der</strong> Stalinismus eine<br />

Bewegung von unten.<br />

28 - Internationale Sozialisten


Oaxaca 2006 war <strong>der</strong> erste Räteversuch am Ende <strong>der</strong> Marktwirtschaft, <strong>der</strong> aber nur in einem<br />

kleinen Landsteil durchgeführt wurde. Wird die Bewegung auch eine starke revolutionäre<br />

Arbeiterpartei entwickeln, die die Interessen <strong>der</strong> Arbeiterklasse vertritt <strong>und</strong> die Bewegung<br />

voran bringen kann? Sind solche Kerne schon vorhanden? Das werden die wichtigsten Fragen<br />

sein, die uns auch in <strong>der</strong> Nachkriegsgeschichte <strong>der</strong> Rätewegung beschäftigen werden.<br />

<strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Rätedemokratiebewegung!<br />

2. Nach dem 2.<br />

Weltkrieg<br />

Direkt nach dem 2. Weltkrieg,<br />

noch vor dem offiziellen Ende,<br />

bildete hauptsächlich die KPD in<br />

allen Städten ganz Deutschlands<br />

<strong>Arbeiterräte</strong>. Sie nannten sich<br />

Antifa-Komitees <strong>und</strong> am 19. April<br />

1945, also einen Monat vor <strong>der</strong><br />

offiziellen Kapitulation, fand<br />

bereits das erste Treffen von<br />

Betriebsräten aus sechs<br />

Ruhrstädten illegal statt. In einem<br />

Bericht <strong>der</strong> amerikanischen<br />

Historiker Almond <strong>und</strong> Kraus<br />

werden diese Verhältnisse<br />

deutlich:<br />

»Fast ausnahmslos wurden die<br />

alliierten Truppen bei <strong>der</strong><br />

Besetzung größerer deutscher<br />

Städte von Delegationen linker<br />

Antifaschisten empfangen, die<br />

fertige Programme, Kandidaten<br />

für die örtliche Verwaltung <strong>und</strong><br />

Unterstützung bei <strong>der</strong><br />

Durchführung Entnazifizierung<br />

bereit hielten. Ihre<br />

Untergr<strong>und</strong>organisationen<br />

hatten die Gr<strong>und</strong>lage für eine<br />

rasche Rekrutierungskampagne<br />

vorbereitet.«<br />

Nur, weil die Räte nicht selber<br />

spontan erkämpft waren, wurden<br />

sie auch am 19.4.45 von den USA <strong>und</strong> den Russen verboten. In dem Moment, wo sie von oben<br />

organisiert gegründet wurden, waren sie auch schon verboten, weil keine breite Bewegung<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 29


dahinter stand. Nach dem Krieg gab es zwar eine Zustimmung zum Sozialismus in ganz<br />

Deutschland von 80%, aber die Menschen waren mit dem direkten Überleben beschäftigt.<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: „Generalstreik 1948: Nie wie<strong>der</strong> Krupp!“<br />

Typisch spontan entstandene <strong>Arbeiterräte</strong> wie die vor dem Krieg sind die ersten nach dem<br />

Krieg die von Ungarn 1956, weil es hier gar keine wirkliche Arbeiterpartei unten geben durfte<br />

<strong>und</strong> damals noch nicht im Untergr<strong>und</strong> gegeben hat, die sie organisiert hätten. Hier wurden die<br />

demokratischen Kräfte zwar schon 1919 entwickelt, aber erst die habsburgischen Monarchie,<br />

<strong>der</strong> Nationalsozialismus <strong>und</strong> dann <strong>der</strong> Stalinismus hatten diese Entwicklung wie<strong>der</strong> zunichte<br />

gemacht.<br />

Ungarn 1956<br />

1953 starb Stalin <strong>und</strong> 1956 distanzierte sich Chruschtschow in <strong>der</strong> Geheimrede von seinem<br />

Terror, ohne aber das staatskapitalistische System zu kritisieren. Daraufhin entwickelte sich die<br />

Bürokratie im Warschauer Pakt liberaler. Der kommende Mann in Polen Gomulka machte den<br />

Arbeitern, Intellektuellen <strong>und</strong> nie<strong>der</strong>en Funktionäre Zugeständnisse beim Lohn <strong>und</strong><br />

Verän<strong>der</strong>ungen, da ein Streik, Demonstrationen <strong>und</strong> Aufstände die Bürokratie unter Druck<br />

setzte.<br />

Das wie<strong>der</strong>um inspirierte die Ungarn zu weiteren Aktionen. Am 23. Oktober for<strong>der</strong>ten die<br />

Studenten um den Petöfi-Kreis den Abzug <strong>der</strong> russischen Truppen <strong>und</strong> das Streikrecht für die<br />

Arbeiter. die politische Polizei <strong>und</strong> die Russen eröffneten das Feuer auf sie, das wie<strong>der</strong>um die<br />

Arbeiter massenhaft auf die Straße trieb. Der liberale Bürokrat Imre Nagy wurde zum<br />

Ministerpräsident ernannt. Schon am 24. entstanden überall <strong>Arbeiterräte</strong>.<br />

Das bürokratische System ist nicht in <strong>der</strong> Lage, eine optimale, rationelle Produktion zu<br />

organisieren. Erst wenn <strong>der</strong> Arbeiter total frei ist <strong>und</strong> auch über die Produktionsmittel verfügt,<br />

wird er sich Gedanken über ein rationellen, umweltschonenden, ges<strong>und</strong>eren Arbeitsablauf<br />

machen. Der Rüstungswettlauf zwischen Ost <strong>und</strong> West setzte das Akkumulationsgesetz auch<br />

im Osten durch. Der Arbeiter würde statt mit teuren Raketen mit Flugblättern <strong>und</strong><br />

Gefangenenfeilassung wie Lenin 1919 mit den Ungarn die Köpfe <strong>der</strong> Arbeitersoldaten <strong>der</strong><br />

Feinde gewinnen.<br />

Das Ergebnis war, dass 3,5 Millionen ungarische produktive Arbeiter alleine 1 Millionen<br />

Staatsbedienstete mit den Staatssicherheitsparasiten ernähren mussten. So zwangen ständige<br />

Normerhöhungen <strong>und</strong> Arbeitshetze trotz minimaler Löhne <strong>und</strong> Unterproduktion die Arbeiter<br />

geradezu zum Aufstand.<br />

„In Budapest zogen die Arbeiter auf die Straßen - <strong>und</strong> im Verlauf <strong>der</strong> Kämpfe erfolgten die<br />

heftigsten Zusammenstöße in den industriellen Vororten. Auch in an<strong>der</strong>en Landesteilen<br />

erhoben die Arbeiter ihre For<strong>der</strong>ungen; im Nordosten Ungarns wählten dreißigtausend<br />

Bergarbeiter Delegierte, die den Ruf nach freien Wahlen erheben sollten. Die Bauern r<strong>und</strong><br />

um Budapest versorgten die Kämpfenden mit Lebensmitteln.<br />

Zwischen dem 28. <strong>und</strong> 30. Oktober breiteten sich die <strong>Arbeiterräte</strong> wie ein Lauffeuer in ganz<br />

Ungarn aus, … ihre Ziele waren überall ähnlich: die Lebensmittelversorgung zu<br />

organisieren, mit den sowjetischen Truppen zu verhandeln, die Ordnung aufrechtzuerhalten<br />

30 - Internationale Sozialisten


<strong>und</strong> ungezügelte Elemente in den eigenen Reihen zurückzuhalten. Sie warfen auch die<br />

allgemeine Frage <strong>der</strong> Kontrolle <strong>der</strong> gesellschaftlichen Produktion auf.“ Birchall, S. 57<br />

Am 28. Oktober erkannte Nagy offiziell die Revolution an. Er bildete eine Mehrparteien-<br />

Regierung <strong>und</strong> for<strong>der</strong>te die parlamentarische Demokratie <strong>und</strong> die Neutralität Ungarns.<br />

Ungarische Armee <strong>und</strong> Freiheitskämpfer wurden zur Nationalgarde vereinigt <strong>und</strong> unter die<br />

Führung von Béla Király gestellt.<br />

Am 4. November überfiel Russland mit seinen Panzern wie<strong>der</strong> das kleine Land, aber von den<br />

kurzen Träumen blieb immerhin eine Lohnerhöhung <strong>und</strong> die Rücknahme <strong>der</strong><br />

Produktionsnormen. Nagy flüchtete in die jugoslawische Botschaft <strong>und</strong> János Kádár wurde von<br />

den Russen wie<strong>der</strong> als Ministerpräsidenten eingesetzt.<br />

Die <strong>Arbeiterräte</strong> stellten aber immer noch gegenüber <strong>der</strong> Regierung beinah eine zweite<br />

Macht dar, eine Doppelmacht. Kádár versuchte nun, den Arbeiterrat in die Regierung<br />

einzubinden <strong>und</strong> bot dem Vorsitzenden des Arbeiterrates Sándor Rácz an, drei Mitglie<strong>der</strong> des<br />

Zentralen Arbeiterrates in die Regierung aufzunehmen. Rácz lehnte dieses Ansinnen nicht nur<br />

ab, son<strong>der</strong>n fragte: „Wann ziehen die sowjetischen. Truppen ab, wann kehrt Imre Nágy in die<br />

Spitze <strong>der</strong> Regierung zurück, <strong>und</strong> wann werden die <strong>Arbeiterräte</strong> gesetzlich anerkannt?“ Am 23.<br />

November erfolgte seitens <strong>der</strong> Regierung die Anerkennung des Arbeiterrats. Aber bereits am 9.<br />

Dezember wurde <strong>der</strong> Budapester Arbeiterrat zusammen mit allen regionalen <strong>Arbeiterräte</strong>n<br />

verboten. Anlass war <strong>der</strong> erfolgreiche Aufruf des Zentralen Arbeiterrates zu einem<br />

Generalstreik. Erst am 8. Januar 1957 löste <strong>der</strong> Arbeiterrat sich dann endgültig auf. Der<br />

Versuch <strong>der</strong> Arbeiter, die von Marx vorgeschlagene Rolle als führende Klasse zu übernehmen,<br />

ist damit im Staatskapitalismus vor seiner Auflösung endgültig beendet worden.<br />

Die Moskau-Stalinisten nennen den Versuch <strong>der</strong> ungarischen Arbeiter, sich selber zu<br />

befreien immer noch eine Konterrevolution. Damit zeigen sie letztlich, dass sie nichts, aber<br />

auch gar nichts mit Marx am Hut haben, son<strong>der</strong>n nur das genaue Gegenteil, aber das werden<br />

wir in <strong>der</strong> weiteren Betrachtung noch eingehend beleuchten müssen.<br />

Ian Birchall: Arbeiterbewegung <strong>und</strong> Parteiherrschaft, Ungarn, S. 56<br />

http://www.sozialismus.info/?sid=1807<br />

Portugal 1974/5<br />

Das kleine faschistische rückständige Agrarland Portugal betrieb noch 1974 das drittgrößte<br />

Imperium in <strong>der</strong> Welt. Die Kosten <strong>der</strong> Unterdrückung stiegen ins Unermässliche. Die<br />

Militärausgaben stiegen 1960 von 20% auf 43% in 1973. Die Produktivität betrug nur 2/3 des<br />

spanischen Standards, die Inflation stieg 1973 von 21% auf 24% in 1974. Die wegen <strong>der</strong> hohen<br />

Militärausgaben unterlassene Behandlung <strong>der</strong> sozialen Probleme verhin<strong>der</strong>te ein weiteres<br />

Wachstum <strong>der</strong> portugiesischen Wirtschaft. Somit konnte die Industrie mit dem restlichen<br />

Europa nicht mithalten.<br />

Das klerikal-faschistische Regime Caetanos wollte sich nicht mehr bewegen. Caetano, <strong>der</strong><br />

Nachfolger Salazars, konnte dann bei <strong>der</strong> weltweiten Verwandlung des Kolonialismus in den<br />

Neokolonialismus nicht mehr mitmachen. Der Neokolonialismus räumt zwar formell ihren<br />

früheren Kolonien nationale politische Unabhängigkeit ein, behält aber über<br />

Kapitalbeteiligungen in Schlüsselindustrien beson<strong>der</strong>s des Rohstoffsektors ein großes Maß an<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 31


ökonomischer <strong>und</strong> damit auch indirekter politischer Kontrolle. Um also nicht ganz die<br />

Kontrolle in Afrika zu verlieren, musste Portugal dort weiter die politische Herrschaft um jeden<br />

Preis behalten. Dieser Preis wurde in den 70er Jahren zu hoch. Eine Armee von 200.000 Mann<br />

verschlang bald die Hälfte des Staatshaushaltes.<br />

Dazu war das mittlere Offizierskorps unterbezahlt. Ihre Kritik an <strong>der</strong> Soldhöhe wechselte<br />

bald um in eine gr<strong>und</strong>sätzliche Kritik am Kolonialkrieg. Nachdem General Spinola zu <strong>der</strong><br />

Überzeugung gelangte, dass <strong>der</strong> Krieg in Afrika nicht zu gewinnen ist, setzte er sich von<br />

Caetano mit dem Buch "Portugal <strong>und</strong> die Zukunft" (Februar 1974) offen ab. Spinola, selber<br />

afrikanisches Blut an seinen Händen, konnte am ehesten die Interessen <strong>der</strong> Konzerne <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Offiziere unter einen Hut bringen.<br />

400 Offiziere putschten organisiert im MFA am 25.4.1973, aber es war niemand mehr da,<br />

<strong>der</strong> das faschistische Regime retten wollte. Seit 1920 herrschte dort <strong>der</strong> Faschismus, insofern<br />

mussten hier alle Aufgaben <strong>der</strong> Bourgeoisie von den Anfängen des Kapitalismus erst<br />

nachgeholt werden. Die Zeit für die Arbeiter, ob Hand- o<strong>der</strong> Kopfarbeiter, die Frauen o<strong>der</strong> die<br />

Jugend war praktisch stehen geblieben <strong>und</strong> <strong>der</strong> 25. war für alle eine unwahrscheinliche<br />

Befreiung. Dass die MFA erst einmal gar nicht so weit nach links gehen wollte, zeigte sich<br />

daran, dass sie den Ex-Faschisten-General Spinola zum General erhoben. Aber die Arbeiter<br />

interpretierten ihre neue Freiheit an<strong>der</strong>s. Gleich nach dem Putsch gründeten sie im ganzen<br />

Land Fabrikkomitees<br />

Mit ihnen entstand sehr schnell eine Doppelherrschaft. Die Komitees führten eine<br />

Preiskontrolle durch, die Bankangestellten verhin<strong>der</strong>ten die Kapitalflucht <strong>der</strong> Kapitalsten <strong>und</strong><br />

veröffentlichten auf Wandzeitungen vor ihrer Bank jeden Fluchtversuch. Es wurden beson<strong>der</strong>s<br />

im Alentejo im Süden von den Landarbeitern auf dem besetzten Großgr<strong>und</strong>besitz revolutionäre<br />

Richter gewählt, die Komitees organisierten Hausbelegungen <strong>und</strong> die Arbeiter besetzten die<br />

Betriebe <strong>und</strong> die gewählten Räte leiteten sie basisdemokratisch. Aber hier lagen schon zwei<br />

Fußangeln.<br />

Die MFA rückte mit dem Druck <strong>der</strong> Massen immer weiter nach links <strong>und</strong> sozialisierte das<br />

nationale Kapital, nicht aber das internationale. Ohne aber das wesentliche internationale<br />

Kapital zu verstaatlichen, kann man keine erfolgreiche Wirtschaftspolitik durchführen <strong>und</strong> mit<br />

<strong>der</strong> Wirtschaft ging es immer weiter bergab. Da nun die MFA auf Druck <strong>der</strong> Arbeiter immerhin<br />

das nationale Kapital verstaatlichte, glaubten die Massen ihre Sache bei <strong>der</strong> MFA noch in<br />

guten Händen <strong>und</strong> sahen noch nicht die Notwendigkeit, die <strong>Arbeiterräte</strong> auch zu zentralisieren<br />

<strong>und</strong> damit <strong>der</strong> MFA ein Machtinstrument entgegenzusetzen, noch nicht.<br />

Im April 1975 gründete dann die PRP einen nationalen Arbeiterrat, den CRTSM, die „Räte<br />

<strong>der</strong> Revolutionären Arbeiter, Soldaten <strong>und</strong> Matrosen“, <strong>der</strong> aber nur die von den<br />

Revolutionären beeinflussten Räte umfasste. Die Hoffnung war, dass diese dann auch alle<br />

Betriebe inspirieren werden, noch waren sie auf Lissabon <strong>und</strong> den Alentejo konzentriert.<br />

Die PRP (Halbschwesterorganisation des IS) war beim Putsch 200 Mitglie<strong>der</strong> stark, eine von<br />

<strong>der</strong> PCP abgespaltenen militanten Gruppe. Bei <strong>der</strong> Konterrevolution ein Jahr danach umfassten<br />

sie immerhin 40.000 Mitglie<strong>der</strong>, aber noch auf <strong>der</strong> Suche. Sie wiesen aber als einzige Linke<br />

den Arbeitern einen revolutionären Weg auf. So konnten sie im Revolutionären Rat zusammen<br />

mit <strong>der</strong> zentristischen MES (Schwesterorganisation des KB) über 60% stellen. Die PCP kam<br />

32 - Internationale Sozialisten


auf knapp über 30% <strong>und</strong> die maoistische MRPP auf 6%. Wohlgemerkt, das waren nur die<br />

revolutionären Räte <strong>und</strong> schon gar keine bürgerliche Wahl.<br />

Die PCP kam bei den revolutionären Räten nur auf einen für sie so geringen Anteil, weil sie<br />

sich schon öfters bei Besetzungsstreiks o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Kämpfen den Arbeitern in den Rücken<br />

gefallen ist, wie bei den „Werftarbeitern von Lisnave, dem technischen Personal <strong>der</strong> TAP, die<br />

Arbeiter des Jornal do Comercio o<strong>der</strong> den Postarbeitern, denen die PCP vorgeworfen hatte, von<br />

"Reaktionären" angeführt zu sein“. (Cliff, S. 62) Bei <strong>der</strong> im harten Besetzungskampf stehenden<br />

Zeitung Republika umfassten sie nur eine Min<strong>der</strong>heit, 2 von 15 Arbeitern. Politisch war die<br />

PCP innerhalb <strong>der</strong> Arbeiterklasse völlig isoliert.<br />

Dies ist das Ergebnis des Verrats an <strong>der</strong> Arbeiterklasse wie das auch bei den Basisräten in<br />

Spanien 1936 <strong>und</strong> Ungarn 1956, ein klares Zeichen dafür, dass die Führung <strong>der</strong> sogenannten<br />

Kommunisten den Sozialismus gar bekämpfen, jedenfalls den Marxistischen, wonach die<br />

Befreiung <strong>der</strong> Arbeiter nur ihr eigenes Werk sein kann, Betonung auf nur.<br />

Die Arbeiterklasse in Portugal war schon stark genug, um sich gegen das portugiesische<br />

Kapital durchzusetzen. Die MFA war schon schwächer <strong>und</strong> die bürgerlichen Parteien inklusive<br />

<strong>der</strong> Rechteen. Das sah man beson<strong>der</strong>s an den zwei Putschversuchen von Spinola, die kläglich<br />

endeten. Man fühlte sich schon nach Russland versetzt. Als Spinola seine Son<strong>der</strong>truppen in<br />

Marsch setzte, stoppten die Eisenbahner die Truppentransporte, die Arbeiter aus den Betrieben<br />

kontrollierten die Autos <strong>und</strong> bewaffneten sich in den Polizeiwachen. Zum Schluss musste<br />

Spinola in das Ausland flüchten.<br />

Wir von <strong>der</strong> SAG, <strong>der</strong> Halbschwester <strong>der</strong> PRP/BR, hatten im August 1975 eine<br />

Veranstaltung mit ihr über die aktuelle Lage durchgeführt. Die Genossen berichteten, dass es<br />

nicht mehr lange dauern werde, <strong>und</strong> <strong>der</strong> Sieg für die Arbeiterklasse sei nicht mehr umkehrbar.<br />

Deshalb steige die Gefahr, bevor es nicht mehr umkehrbar ist, dass das Bürgertum einen<br />

massiven Putsch plane <strong>und</strong> dazu eine Provokation plane. Die Gefahr bestehe, dass Teile <strong>der</strong><br />

Linken in diese Falle tappen werde..<br />

Die Bourgeoisie von Portugal selber war in <strong>der</strong> Tat<br />

schon zu schwach <strong>und</strong> demoralisiert, um <strong>der</strong><br />

Arbeiterklasse mit vitaler Kraft eine eigene starke Vision<br />

entgegensetzen zu können. Aber die EWG war 1975<br />

noch lange nicht zu Ende wie 2008. So eilte Willy Brandt<br />

Mario Soares mit CIA-Gel<strong>der</strong>n zu Hilfe.<br />

Im September 1975 wurde <strong>der</strong> linke General <strong>und</strong><br />

Copcon-Vorsitzen<strong>der</strong> Otelo Carvalho mit einem<br />

Vorwand verhaftet <strong>und</strong> nun ist das geschehen, wovor<br />

Cliff <strong>und</strong> die PRP immer gewarnt hatten. 3 RAL-<br />

Kasernen, die unter <strong>der</strong> Führung <strong>der</strong> Anarchisten standen,<br />

versuchten Carvalho wie<strong>der</strong> zu befreien. Das nutzte<br />

Panzergeneral Eanes, Parteifre<strong>und</strong> von Soares, um gegen<br />

alle Revolutionäre vorzugehen <strong>und</strong> verhaftete die ganze<br />

Führung <strong>der</strong> PRP.<br />

Die Provokation des Kapitals lief nach dem gleichen<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 33


Muster wie 1919 in Deutschland. Am 5. Januar erließ die Reichsregierung unter Führung von<br />

Friedrich Ebert gegen den beliebten Berliner USPD-Polizeipräsidenten Emil Eichhorn die<br />

Absetzung <strong>und</strong> einen Haftbefehl. Daraufhin ließen sich eine Min<strong>der</strong>heit <strong>der</strong> Arbeiter mit Karl<br />

Liebknecht im Berliner Zeitungsviertel zum stellvertretenden bewaffneten Spartakusaufstand<br />

provozieren. Nun hatte die SPD eine Begründung, am 15. Januar Luxemburg <strong>und</strong> Liebknecht<br />

ermorden zu lassen. Damit fand die Novemberrevolution ihren vorläufigen Höhepunkt. Im<br />

Gegensatz zu Portugal hatte <strong>der</strong> Arbeiterrat eine Massenbasis, <strong>und</strong> damit ergaben sich noch<br />

einige Möglichkeiten des Protestes.<br />

In Portugal wuchs die PRP/BR innerhalb eines Jahres von 200 Mitglie<strong>der</strong>n auf 40.000 an.<br />

Sie blieb aber trotz Kritik aus London <strong>und</strong> Warnungen von Tony Cliff ihrer militärischen<br />

Denkungsweise bis zum Schluss verhaftet. So erläuterte sie auf <strong>der</strong> Doppelinnenseite, wie eine<br />

Pistole gereinigt wird. Sie versäumte somit eine theoretische Weiterbildung ihrer Genossen.<br />

Nach <strong>der</strong> Verhaftung ihres gesamten Führungska<strong>der</strong>s stoben <strong>der</strong> Rest <strong>der</strong> 40.000 in alle Winde<br />

auseinan<strong>der</strong>.<br />

Am 25.11.75 entmachtete Panzergeneral Eanes den linken General Otelo Carvalho. Damit<br />

war das Kapitel <strong>der</strong> portugiesischen Revolution beendet. Dank <strong>der</strong> genialen Arbeit von Tony<br />

Cliff aber kann sie wie die Bearbeitung <strong>der</strong> Oktoberrevolution durch Lenin <strong>und</strong> Trotzki als<br />

Wegweiser für die künftigen Rätebewegungen des ausgehenden Kapitalismus dienen.<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: Alle Macht denen, die arbeiten!<br />

Tony Cliff: Portugal vor <strong>der</strong> Entscheidung<br />

Dieses Buch ist jedem überzeugtem Rätedemokratieanhänger wärmstens zu empfehlen, da es<br />

die Revolution einer mo<strong>der</strong>nen Arbeiterklasse in Europa beschreibt <strong>und</strong> analysiert.<br />

Iran 1979<br />

Im Iran 1979 wurde dann die letzte Revolution durchgeführt, bei <strong>der</strong> die Arbeiterklasse die<br />

Aufgaben des Bürgertums vom Anfang des Kapitalismus durchgeführt hatten. Es gab im Iran<br />

nur wenig bürgerliche Demokratie. Erst die Madschles, die die Jungperser erkämpften. „Als<br />

Vorlage diente die belgische Verfassung. Jedoch wurde das Parlament in <strong>der</strong> Folgezeit<br />

mehrmals vom herrschenden Monarchen aufgelöst <strong>und</strong> nach Protesten <strong>und</strong> Unruhen wie<strong>der</strong><br />

gebildet (Erste Madschles 1906–08, Zweite Madschles 1909–11, Dritte Madschles 1915–18).<br />

[Die Nationalversammlung regierte also nur nach des Monarchen Gnaden.] Mit Beginn <strong>der</strong><br />

Herrschaft Reza Schah Pahlavis (1926) hat das iranische Parlament regelmäßig getagt.“<br />

Streiks <strong>und</strong> Demonstrationen brachten 1951 Dr. Mossadegh an die Macht, <strong>der</strong> gleich die<br />

Anglo-Iranian-Oil Compony (heutige BP) verstaatlichte. 1953 wurde daraufhin Mossadegh mit<br />

Hilfe des CIA <strong>und</strong> des britischen Geheimdienstes in <strong>der</strong> „Operation Ajax“ gestürzt <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Sohn von Reza Schah, Mohammad Reza Schah Pahlavi als blutiger Diktator eingesetzt. Die<br />

Zeit <strong>der</strong> konstitutionellen Monarchie von 1926-53 war vorüber. “Angesichts <strong>der</strong> populären<br />

Demonstrationen, die eine vollkommene Säuberung <strong>der</strong> iranischen Politik for<strong>der</strong>ten, machte<br />

Mossadegh danach jedoch einen Rückzieher <strong>und</strong> rief die Armee zur Hilfe, um die Straßen zu<br />

säubern <strong>und</strong> Gesetz <strong>und</strong> Ordnung wie<strong>der</strong>herzustellen. Auf diese Weise wurden gerade jene<br />

Kräfte nach Hause geschickt, die die Regierung Mossadeghs hätten retten können.“ (M. Poya,<br />

S. 4)<br />

34 - Internationale Sozialisten


Anfangs arbeitete <strong>der</strong> Schah noch mit dem Klerus zusammen, aber Khomeini wurde,<br />

hauptsächlich wegen seiner Opposition gegen die weitere kapitalistische Mo<strong>der</strong>nisierung 1963<br />

vom Schah ins Exil geschickt. Mit <strong>der</strong> Hilfe des Geheimdienstes Savak errichtete <strong>der</strong> Schah ein<br />

Terrorregime, das in <strong>der</strong> Neuzeit Chiles Pinochet noch weit übertrifft. Mord, Entführung <strong>und</strong><br />

Folter waren alltägliche Waffen des Staates. Der Schah reagierte auf Opposition nur mit<br />

brutaler Unterdrückung. Nach Streiks <strong>und</strong> Studentenkämpfen wurden 1963 auf einer<br />

Demonstration Zehntausend abgeschlachtet. Nur für das Lesen von Maxim Gorkis „Die<br />

Mutter“ gab es die Todesstrafe. In den Gefängnissen saßen bis zu 100.000 Oppositionelle <strong>und</strong><br />

die zu Todesstrafe verurteilten wurden an Kränen öffentlich aufgehängt. Der CIA hatte wie<br />

immer brutalste Beraterarbeit geleistet.<br />

In den 70er Jahren ging es zwar mit <strong>der</strong> Wirtschaft aufwärts, aber damit finanziere <strong>der</strong> Schah<br />

hauptsächlich den Unterdrückungsapparat, Iran war <strong>der</strong> größte Waffenimporteur. Ab 1977 ging<br />

die Wirtschaft wie<strong>der</strong> zurück <strong>und</strong> nun erschütterte eine Streikwelle das Land. Die Slums im<br />

Süden sollten nie<strong>der</strong>gewalzt werden, da führten die Armen eine Demonstration durch, die wie<br />

immer mit Todesschüssen endete. Die Opposition lebte wie<strong>der</strong> auf. Der Wi<strong>der</strong>stand gegen den<br />

Schah wurde jetzt überlaut <strong>und</strong> deutlich verkündet. Die Lage spitze sich zu. Im September 78<br />

streikten die Ölarbeiter für<br />

politische For<strong>der</strong>ungen. Die<br />

For<strong>der</strong>ungen aller Industriearbeiter<br />

wurden immer politischer. Die<br />

Ölarbeiter för<strong>der</strong>ten nur noch für<br />

den heimischen Markt. Außer Gas,<br />

Strom <strong>und</strong> Telefon wurden alle<br />

Industrieanlagen voll bestreikt. Die<br />

Hafenarbeiter <strong>und</strong> Seeleute<br />

entluden nur noch Nahrungsmittel,<br />

medizinischen Nachschub <strong>und</strong> das<br />

für die politische Aktivität<br />

notwendige Papier. Ab November<br />

begann Khomeini aus seinem Exil<br />

in Paris, zum Sturz des Schahs <strong>und</strong><br />

des ganzen kaiserlichen Systems<br />

aufzurufen.<br />

Noch wussten die Arbeiter nicht, dass sie selber mit den <strong>Arbeiterräte</strong>n (Schoras) die<br />

Machtfrage stellen werden. Maryam beschreibt <strong>der</strong>en anfänglichen Illusionen: „Die Arbeiter<br />

begannen, sich ihre eigenen Gedanken um die politische Zukunft zu machen. Die Ölarbeiter<br />

schrieben einen offenen Brief an Khomeini, in dem sie ihm ihre Unterstützung zusicherten,<br />

gleichzeitig aber die Arbeiterbeteiligung an <strong>der</strong> zukünftigen Regierung for<strong>der</strong>ten.“ (S. 18)<br />

Im Winter flüchteten die ersten Kapitalisten ins Ausland <strong>und</strong> gewählte Streikkomitees<br />

übernahmen die Führung <strong>der</strong> Fabriken. Der SAVAK konnte schon ab Herbst 78 keinen<br />

Einfluss mehr auf die Streikkomitees ausüben. Die Arbeiter traten immer selbstbewusster auf.<br />

Am 5. Januar 1979 verabredeten die westlichen Alliierten USA, England, Frankreich <strong>und</strong><br />

Deutschland auf <strong>der</strong> Konferenz von Guadeloupe, wohl aus Furcht vor <strong>der</strong> Macht <strong>der</strong><br />

<strong>Arbeiterräte</strong>, Khomeini die Macht zu übertragen.<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 35


Am 16. Januar 1979, nach achtzehn Monaten bitterer Kämpfe, wurde <strong>der</strong> Schah zum<br />

Verlassen des Irans gezwungen. Seine Abreise war <strong>der</strong> Anlass für einen regelrechten Karneval<br />

<strong>der</strong> öffentlichen Freude. Arbeiter <strong>und</strong> Soldaten lagen sich überglücklich in den Armen.<br />

Am 1. Februar 1979 kam dann Khomeini aus dem Exil zurück <strong>und</strong> bildete als<br />

Staatsoberhaupt <strong>und</strong> mit Bazargan von <strong>der</strong> Nationalen Front als Premierminister die Regierung.<br />

Ein Arbeiter von Rofhan Pars, einem Tochterunternehmen von Shell, beschrieb das Dilemma<br />

<strong>der</strong> Kollegen: »Die Revolution war siegreich wegen des Arbeiterstreiks. Wir jagten den Schah<br />

fort <strong>und</strong> zerschlugen sein politisches System, aber alles ist so geblieben, wie es früher war. Die<br />

vom Staat ernannten Manager haben die gleiche Einstellung wie die alten Manager. Wir<br />

müssen unsere Schoras stärken, denn das Management fürchtet sich vor ihnen. Die wissen, daß<br />

ihr Schicksal besiegelt ist, wenn die Schoras ihre Macht behalten. Sie können ihre<br />

arbeiterfeindliche Politik nicht direkt umsetzen; also bekämpfen sie die Schoras erstmals auf<br />

<strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage des religiösen Glaubens. Wenn wir den M<strong>und</strong> aufmachen, ist ihre Antwort:<br />

"Das ist eine kommunistische Verschwörung, um euren religiösen Glauben zu schwächen".<br />

Was ich gerne wissen möchte, ist, was haben denn Schoras mit Religion zu tun? Arbeiter<br />

werden alle gleich ausgebeutet, die moslemischen, die christlichen <strong>und</strong> die aller an<strong>der</strong>en<br />

Religionen. Dieser blutrünstige Manager, <strong>der</strong> unseren Lebenssaft saugt, ist auf einmal guter<br />

Moslem geworden <strong>und</strong> versucht, uns wegen unserer Religion zu spalten; wir sollten wissen,<br />

daß wir nur siegen können, wenn wir unsere Einheit durch den Schora aufrechterhalten.«<br />

(Maryam Poya, S. 23).<br />

Iran wurde vom Imperialismus ökonomisch in Abhängigkeit gehalten, indem hauptsächlich<br />

nur Montagebetriebe <strong>der</strong> Industrielän<strong>der</strong>, mehr als in Portugal, dort investiert wurden. Die<br />

Arbeiter waren also abhängig von <strong>der</strong> Lieferung <strong>der</strong> Halbfertigfabrikaten aus dem Ausland <strong>der</strong><br />

Mutterfirmen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Vorfinanzierung durch die Staatsbanken. Gleichzeitig waren sie noch<br />

abhängig von dem Know-How <strong>der</strong> im Ausland studierten Ingenieure, die in <strong>der</strong> Regel mit dem<br />

Management zusammenarbeiteten. Die Idee <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> ist beson<strong>der</strong>s in <strong>der</strong> Mittelschicht<br />

des Nahen Ostens sehr unpopulär, da sie die staatliche Schwäche dort eher mit einer<br />

Zentralisierung des Kapitals bei einem starken Staat kompensieren will. Das gilt für die rechten<br />

<strong>und</strong> linken Kleinbürger. Trotz <strong>der</strong> ganzen Wi<strong>der</strong>stände haben es die Arbeiter geschafft, 8<br />

Monate die Doppelherrschaft aufrecht zu erhalten.<br />

Am 1. März gründeten die <strong>Arbeiterräte</strong> den Nationalen Arbeiterrat, die „Iranische Nationale<br />

Arbeiterunion“, um ihre Interessen besser durchsetzen zu können <strong>und</strong> verabschiedeten ein<br />

Manifest mit 24 For<strong>der</strong>ungen<br />

»Wir, die Arbeiter Irans, haben durch unsere Streiks, Besetzungen <strong>und</strong> Demonstrationen den<br />

Schah gestürzt. Während dieser Streikmonate haben wir Arbeitslosigkeit, Armut <strong>und</strong> sogar<br />

Hunger erduldet. Viele von uns wurden im Kampf getötet. Wir taten dies alles, um einen Iran<br />

frei von Unterdrückung <strong>und</strong> frei von Ausbeutung zu schaffen. Wir machten die Revolution,<br />

um <strong>der</strong> Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> <strong>der</strong> Obdachlosigkeit ein Ende zu setzen, um die SAVAKorientierten<br />

Syndikate durch unabhängige Arbeiterschoras zu ersetzen, die durch die<br />

Arbeiter eines jeden Betriebes für die eigenen wirtschaftlichen <strong>und</strong> politischen Bedürfnisse<br />

gebildet wurden. Deshalb for<strong>der</strong>n wir:<br />

1. Anerkennung <strong>der</strong> Schoras durch die Regierung;<br />

2. Abschaffung des Arbeitsgesetzes des Schahs <strong>und</strong> Inkrafttreten einer neuen<br />

Arbeitsgesetzgebung, die von den Arbeitern selbst geschrieben wurde;<br />

36 - Internationale Sozialisten


3. Lohnausgleich für die steigenden Lebenshaltungskosten;<br />

4. steuerfreie Zulagen;<br />

5. ein kostenloses Ges<strong>und</strong>heitswesen anstelle des gegenwärtigen halbprivaten<br />

Versicherungswesens;<br />

6. Wohnungszulagen sobald wie möglich;<br />

7. Lohnfortzahlung<br />

8. Eine Vierzigst<strong>und</strong>en- <strong>und</strong> Fünftagewoche;<br />

9. Entlassung aller Elemente, die mit dem alten Regime verstrickt sin d;<br />

10. Ausweisung aller ausländischen Experten <strong>und</strong> ausländischen <strong>und</strong> iranischen Kapitalisten<br />

<strong>und</strong> die Beschlagnahmung ihres Kapitals im Interesse aller Arbeiter;<br />

11. ein Ende <strong>der</strong> Herabstufung <strong>der</strong> Arbeiter gegenüber den Angestellten <strong>und</strong> einen<br />

verlängerten Jahresurlaub von einem Monat;<br />

12. bessere ges<strong>und</strong>heitliche Bedingungen in den Fabriken;<br />

13. Lohnfortzahlung;<br />

14. ein Ende <strong>der</strong> disziplinarischen Bestrafungen <strong>und</strong> Strafgel<strong>der</strong>;<br />

15. ein Ende <strong>der</strong> Intervention <strong>der</strong> Polizei, <strong>der</strong> Armee <strong>und</strong> <strong>der</strong> Regierung in betriebliche<br />

Kämpfe;<br />

16. Beteiligung <strong>der</strong> Arbeiterschoras an den betrieblichen Entscheidungen in bezug auf die<br />

Investitionen <strong>und</strong> den allgemeinen Zustand die Preisfestsetzung <strong>und</strong> die Gewinnverteilung;<br />

17. Bestimmungsrecht <strong>der</strong> Schoras über Einstellungen <strong>und</strong> Entlassungen;<br />

18. Demonstrations- <strong>und</strong> Protestfreiheit <strong>und</strong> das Streikrecht;<br />

19. Rückführung des Kapitals <strong>der</strong> Kooperativen an die Arbeiter;<br />

20. kostenlose Mahlzeiten <strong>und</strong> Wascheinrichtungen sowie verbesserte<br />

Sicherheitsbestimmungen am Arbeitsplatz;<br />

21. Zurverfügungstellung einer Ambulanz, einer Krankenschwester, eines Bades <strong>und</strong> einer<br />

Kin<strong>der</strong>tagesstätte in den Arbeitsstätten;<br />

22. gesetzliche Verträge <strong>und</strong> Arbeitsplatzsicherheit für alle Zeitarbeiter;<br />

23. Bildung einer ärztlichen Beraterkörperschaft, um den Zustand von unges<strong>und</strong>en <strong>und</strong><br />

kranken Arbeiter zu überprüfen <strong>und</strong> ihnen die Befreiung von <strong>der</strong> Arbeit <strong>und</strong> eine Rente zu<br />

gewähren;<br />

24. Herabsetzung des Rentenalters im Bergbau <strong>und</strong> in den Gießereien von zur Zeit 30 auf 20<br />

Dienstjahre.«<br />

Die Regierung Bazargans aber wollte eine islamische Republik. Die Regierung erklärte die<br />

Schoras für anarchistisch <strong>und</strong> drohte mit ihren Auflösungen. Aber die <strong>Arbeiterräte</strong> ließen sich<br />

davon nicht einschüchtern. Der Schora auf den Ölför<strong>der</strong>anlagen warf den Aufsichtsrat wegen<br />

»Korruptheit <strong>und</strong> Arbeiterfeindlichkeit« aus dem Werk.<br />

Ein großes Problem war auch die hohe Arbeitslosigkeit. Es arbeiten nur 50% aller<br />

Industriebetriebe. Khomeini ließ die Arbeiter für die Wirtschaftskrise bluten. In Isfahan wurde<br />

ein Arbeiter bei einer Arbeitslosendemonstration von Khomeinis „Revolutionsgarden“ getötet.<br />

Nun besetzten die Arbeitslosen das Arbeitsmininisterium.<br />

„Die Arbeitslosen verwandelten das ehemalige Hauptquartier <strong>der</strong> alten SAVAKkontrollierten<br />

Gewerkschaften in Teheran in ein Versammlungszentrum. Sie nannten das<br />

Gebäude 'Kaneh Kargar' (Arbeiterheim). Jeden Tag schickten erwerbslose Arbeiter aus<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 37


verschiedenen Städten Delegierte ins Haus, um örtliche Probleme <strong>der</strong> Arbeitslosigkeit zu<br />

diskutieren, zukünftige Aktionen festzulegen <strong>und</strong> an Sitzstreiks, Demonstrationen <strong>und</strong><br />

Besetzungen teilzunehmen. Die Schoras verschiedener Betriebe schickten auch Delegierte<br />

ins Khaneh Kargar Haus, um ihre Solidarität mit den Arbeitslosen zu bek<strong>und</strong>en <strong>und</strong> sie<br />

aufzufor<strong>der</strong>n, sich am Kampf zur Verteidigung <strong>der</strong> Schoras zu beteiligen.“<br />

Bei <strong>der</strong> folgenden Demonstration am 1. Mai marschierten die Arbeitslosen durch Teheran an<br />

<strong>der</strong> Spitze mit 1 ½ Millionen Kollegen. Die Mullahs dagegen brachten auf ihrer Demonstration<br />

nur einige Tausend zusammen. Man sollte meinen, dass die Revolution auf alle Fälle<br />

zugunsten <strong>der</strong> Arbeiter ausgehen werde. Die <strong>Arbeiterräte</strong> bilden sich zwar in revolutionären<br />

Zeiten spontan, aber für ihre Machtübernahme ist eine entschlossene marxistische<br />

Arbeiterpartei notwendig, die sich auch in den <strong>Arbeiterräte</strong>n zur Wahl stellt. Es gab aber nur<br />

die moskauorientierte Tudeh-Partei (KP), die mit den Mullahs zusammen gegen die Arbeiter in<br />

<strong>der</strong> 1. Regierung saß <strong>und</strong> einige Mao-Stalinisten wie die von den Modscheddin abgespaltene<br />

Peykar, <strong>und</strong> kleinere wie Razmandegan, Ettehadiehe Kommonistha, Arman Baraye Azadieh<br />

Tabagheh Kargar, Ranjbaran, Toofan, <strong>und</strong> Sahand (CIS <strong>und</strong> CISNU), die die <strong>Arbeiterräte</strong><br />

überhaupt nicht zur Kenntnis genommen haben <strong>und</strong> sektiererisch nur ihrem eigenen Aufbau<br />

verpflichtet waren, also alles die Organisationen, die von linken Kleinbürgern angeführt<br />

werden <strong>und</strong> die die <strong>Arbeiterräte</strong> als Gegner ansehen. Manche Mitglie<strong>der</strong> mögen auch gedacht<br />

haben, die „Iranische Nationale Arbeiterunion“ sei vielleicht eine Konkurrenzpartei. Es gab<br />

auch sich trotzkistisch nennende Organisationen, die aber auch idealistisch geprägt waren <strong>und</strong><br />

sich von dem Stalinismus nicht sehr unterschieden. Zwei von ihnen arbeiteten gar mit<br />

Khomeini, dem Klassenfeind zusammen.<br />

In Chile unter Alliende 1973 entwickelten sich auch zaghaft <strong>Arbeiterräte</strong>. Die wichtigste<br />

revolutionäre Partei, die mao-stalinsche MIR nahm diese immerhin zur Kenntnis, sah sie auch<br />

nicht als die zukünftigen Staatsorgane <strong>und</strong> empfahl ihnen eine Unterordnung unter die MIR:<br />

„Nach <strong>der</strong> Vorstellung <strong>der</strong> MIR sollten sich die Cordónes [<strong>Arbeiterräte</strong>] entwe<strong>der</strong> in den<br />

Gewerkschaftsverband CUT o<strong>der</strong> in die Comandos comunales [Mit MIR Beteiligung] o<strong>der</strong> gar<br />

in die von <strong>der</strong> MIR kontrollierte "Revolutionäre Arbeiterfront" integrieren, aber jedenfalls<br />

keine selbständige Rolle spielen.“ (Mike Gonzales: Eine Illusion begraben, in Linke<br />

Opposition Nr. 7, S.31, Köln)<br />

Das Arbeiterparlament soll also in die MIR eintreten <strong>und</strong> die Arbeiter dürfen dann nur noch<br />

zwischen MIR-links <strong>und</strong> MIR-rechts entscheiden. Das wäre etwa so im Bürgerlichen, als wenn<br />

<strong>der</strong> B<strong>und</strong>estag geschlossen in die FDP eintreten muss. 2008 erklärt uns ohne Umschweife ein<br />

maoistischer iranischer Fre<strong>und</strong>, dass die Arbeiter zu dumm seien für die Macht <strong>und</strong> er deshalb<br />

als Kleinbürger will, dass die Kleinbürger wie in China von den Bauern an die Macht, hier von<br />

den Arbeitermassen gehoben werden sollten. Diese Offenheit hätte was sympathisches an sich,<br />

aber er gibt das dann für Marxismus aus. Diese Haltung spiegelt das ganze Dilemma <strong>der</strong><br />

iranischen Linken wie<strong>der</strong>.<br />

Die Arbeiterklasse hatte gute Chancen gehabt, die Macht zu erobern <strong>und</strong> sie selber erfüllten<br />

auch ihre Mission. Versagt hatten 1979 wie<strong>der</strong> die revolutionären Arbeiterparteien. Nichts<br />

hatten sie außer leere Phrasen mit den Arbeitern zu tun gehabt. Ein<strong>und</strong>einehalbe Million gegen<br />

ein paar Tausend, <strong>und</strong>, nichts. Aber auch das zeigt die unbedingte Wahrheit von Marx, dass die<br />

Arbeiter sich nur auf sich selber verlassen können <strong>und</strong> dabei nur auf die vertrauen sollten, die<br />

auch die Arbeiter anleiten, wie sie selber die Macht erobern können. Alles an<strong>der</strong>e ist<br />

hoffnungsloser Utopismus <strong>und</strong> Phrasendrescherei. Alle linken Parteien unterstellten den<br />

38 - Internationale Sozialisten


Arbeitern überheblich einen "niedrigen Bewußtseinsstand" <strong>und</strong> dass die For<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong><br />

Schoras bloß wirtschaftlichen Charakter trügen. Erstens stimmt das nicht, Punkt 5 aus dem<br />

obigen For<strong>der</strong>ungskatalog beispielsweise „kostenloses Ges<strong>und</strong>heitswesen“, ist eine<br />

sozialpolitische For<strong>der</strong>ung <strong>und</strong> 9. „Entlassung aller Elemente, die mit dem alten Regime<br />

verstrickt sind“ eine reine politische, abgesehen von den massenweise politischen For<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>der</strong> Einzelschoras. Zweitens verstehen die Stalinisten nicht die Dynamik des revolutionären<br />

Klassenkampfes, <strong>der</strong> immer nur ökonomisch anfängt, aber immer politisch endet. Der<br />

ökonomische Kampf schlägt bei hoher Quantität um in einen politischen, er wird gezwungen<br />

dazu, um dann bei noch höherer wie<strong>der</strong> in einen ökonomischen umzuschlagen. Wenn die<br />

Arbeiter konsequent, ohne faule Kompromisse ihren gleich bleibenden Teil von <strong>der</strong><br />

Wertschöpfung for<strong>der</strong>n, werden sie letztlich feststellen, dass <strong>der</strong> Kapitalist auf Gr<strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

internationalen Konkurrenz gar nicht mehr zahlen kann, die Enteignung <strong>und</strong> auch ein<br />

vernünftiges, planvolles Wirtschaftssystem unter Arbeiterkontrolle for<strong>der</strong>n müssen. So werden<br />

sich politische <strong>und</strong> politische For<strong>der</strong>ungen letztlich nicht ausschließen können. Marx sah<br />

immer bei seinen Untersuchungen den Prozess, nicht nur den statischen Moment.<br />

Heute schon treffen wir bei den Linken kaum auf ein Verständnis für den tendenziellen Fall<br />

<strong>der</strong> Profitrate. Meistens kriegt man dann geantwortet, dass doch die Gewinne steigen würden<br />

<strong>und</strong> damit immer die absoluten meinen. Der einfache Gewerkschafter weiß sehr wohl, dass es<br />

bei <strong>der</strong> Rendite immer auf die Verzinsung des investierten Kapitals, also dem relativen<br />

Mehrwert ankommt. Bei den vermeintlich revolutionären Linken treffen wir trotz Bankenkrise,<br />

Inflation <strong>und</strong> Ölkriege noch auf ein großes Vertrauen in den Kapitalismus, wobei <strong>der</strong><br />

Basisgewerkschafter eher darauf keinen Pfifferling mehr wettet. Es bleibt auch relativ, woran<br />

man den "niedrigen Bewusstseinsstand" misst.<br />

Bei <strong>der</strong> Feststellung <strong>der</strong> „Nur ökonomischen For<strong>der</strong>ungen“ ging es den Stalinisten auch nur<br />

darum, damit nur ihr eigenen Diktaturanspruch zu begründen. So musste kommen, was<br />

kommen musste.<br />

Bei <strong>der</strong> Frauendemonstration von Millionen Frauen am 8. März 79 wurde gegen die<br />

sogenannten islamischen Gesetze demonstriert, die tags vorher gegen die Frauen erlassen<br />

wurden, wie die Möglichkeit für die Männer, wie<strong>der</strong> 4 Frauen zu heiraten <strong>und</strong> eine unbegrenzte<br />

Zahl von vorübergehenden Ehefrauen (Sighe) ohne die Zustimmung <strong>der</strong> ersten Ehefrau zu<br />

nehmen, das Hejab-Tragen Gebot <strong>und</strong> das Berufsverbot für Richterinnen. Eine kleine Gruppe<br />

von Khomeinis „Schlägern <strong>der</strong> Hesbollahs, <strong>der</strong> "Partei Gottes", griffen Frauen mit Steinen an,<br />

<strong>und</strong> islamische F<strong>und</strong>amentalisten <strong>der</strong> Komitehs <strong>und</strong> <strong>der</strong> Pasdaran (<strong>der</strong> Khomeinigarden)<br />

eröffneten das Feuer auf Demonstrantinnen. Die iranische Linke unternahm keinen<br />

Versuch, Solidarität für die Frauensache unter den Arbeitern zu organisieren, son<strong>der</strong>n<br />

ginge <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung größtenteils aus dem Weg. Einige argumentierten sogar, daß<br />

die Frauenfor<strong>der</strong>ungen bloß "bürgerliche For<strong>der</strong>ungen" seien, die es nicht zu unterstützen<br />

galt.“ Die Linke als Führung ging <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung größtenteils aus dem Weg, woran<br />

sollen sich die Arbeitemassen dann orientieren?<br />

Spätestens hier hätte eine linke Arbeiterpartei die verschiedenen Gruppen <strong>der</strong> Schoras, <strong>der</strong><br />

Arbeitslosen, <strong>der</strong> Frauen <strong>und</strong> <strong>der</strong> nationalen Min<strong>der</strong>heiten, die auch noch nicht von den<br />

Mullahs kontrolliert wurden (Kurden, Aseris, Araber, Belutschen) zusammenbringen müssen<br />

<strong>und</strong> eine Strategie gegen die Provokationen zu entwickeln. Hier wäre dies noch möglich<br />

gewesen. Aber nichts außer politischer Aufschnei<strong>der</strong>ei.<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 39


So ging das weiter, auch am 1. Mai, wie<strong>der</strong> ein Zurückweichen <strong>der</strong> Linken mit 1,5 Millionen<br />

vor einer kleinen Schlägertruppe. So überließ man Khomeini das Feld. Vielleicht ist man <strong>der</strong><br />

Konfrontation deshalb aus dem Weg gegangen, damit die Khomeini-Truppen nicht schießen.<br />

Aber damit müssen wir in einer Revolution rechnen. Dann hätten die Massen gleich gesehen,<br />

dass sie sich bewaffnen müssen <strong>und</strong> bei den Mullahs genau so verraten sind wie beim Schah.<br />

Die endgültige <strong>und</strong> Dauerverwirrung holte die Stalinisten dann aber bei <strong>der</strong> Besetzung <strong>der</strong><br />

US-Botschaft am 4. November 1979 heim, was dann das endgültige Aus für die Revolution<br />

bedeutete. Die Besetzung <strong>der</strong> Botschaft gegen das internationale Großkapital hieß auch die<br />

Stärkung des nationalen Kleinkapitals „Unter den Bedingungen <strong>der</strong> US-Botschaftsbesetzung,<br />

darin waren sich alle Linken einig, müßten alle Kräfte eine Einheit mit <strong>der</strong> "progressiven<br />

antiimperialistischen Bourgeoisie" bilden.“ Das entsprach ganz <strong>der</strong> stalinistischen<br />

„Stamukaptheorie“ (Staatsmonopolistischer Kapitalismus), wonach nur die internationalen<br />

Monopole das Übel an <strong>der</strong> kapitalistischen Misere seien. So stimmten die „Linken“ mit dem<br />

antiimperialistischem Etikett <strong>der</strong> Mullahs überein, das machen sie alle heute noch, die Muftis<br />

seien antiimperialistisch, dabei sind sie die Mullahs subimperialistisch, die Iraner haben als<br />

kapitalistisches Land große Immobilienbesitze in Istanbul, kontrollieren die Hisbollah im<br />

Libanon <strong>und</strong> die Hamas in Gazah, unterstützen Amerikas Rivalen, die Imperialisten<br />

China/Russland im Shanghai-Bündnis. Sie sind selber Teil des imperialistischen Systems, nur<br />

weil sie gegen Amerika sind, sagen die Stalin-Gläubigen, seien sie antiimperialistisch. Sie<br />

verwechseln antiamerikanisch (gegen die amerikanische Regierung) mit antiimperialistisch, so,<br />

wie sie eine nationale Revolution mit einer sozialistischen verwechseln.<br />

Stamokap, Volksfront mit <strong>der</strong> Tudeh, Diktatur, Antiimperialismus, alles passte doch den<br />

Stalinisten prima ins Konzept, außer, das sie nicht zu den Diktatoren gehörten. Da gab es eine<br />

theoretische Verwandtschaft des Stalin-Kleinbürgers mit dem Mullah-Kleinürger, nicht mit<br />

dem Arbeiter mit dem „niedrigem Bewusstseinstand“, da kann man über manche Mullah-<br />

Terror-Anschläge hinwegsehen. Erst als sie alle sich in den Folterkerkern wie<strong>der</strong>trafen,<br />

wachten sie auf. Die Mullahs hatten musterschülerreif das Folterhandwerk von CIA/Savak<br />

gelernt. Mit <strong>der</strong> Legitimation des Vertrages von Guadeloupe <strong>der</strong> Alliierten <strong>und</strong> dem<br />

überheblichen Versagen <strong>der</strong> „Linken“ konnte Khomeini seine Diktatur errichten.<br />

Wir haben uns mit Iran etwas ausführlicher beschäftigt, weil es ein gutes Beispiel ist, bei<br />

dem man sehr gut den wirklichen Gr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage analysieren kann. Es war nicht die<br />

Arbeiterklasse, die versagt hatte, son<strong>der</strong>n die iranische Revolution wurde verloren, gerade weil<br />

es die „Linke“ gibt. Die „Linke“ ist weltweit das Ergebnis <strong>der</strong> kleinbürgerlichen<br />

Studentenbewegung 1968. Sicher hätte sich sonst in revolutionären Kämpfen eine proletarische<br />

Führung entwickeln können.<br />

In Iran wurde die letzte Revolution des angefangenen Kapitalismus nachgeholt. Inzwischen<br />

ist <strong>der</strong> Staatskapitalismus 1989 in Moskau zusammengebrochen <strong>und</strong> hat sich in China 1976 mit<br />

dem Tode Maos ergeben. Die alte neue „Linke“ lebt nur noch in einzelnen versprengten<br />

Gruppen fort, die sich bei proletarischen Kämpfen bei <strong>der</strong> Herausbildung einer proletarischen<br />

neuen authentisch marxistischen Führung dieser anschließen könnten. Der Kapitalismus<br />

befindet sich seit 2001 in <strong>der</strong> Phase des Nie<strong>der</strong>gangs, <strong>der</strong> sich immer mehr beschleunigt. Hier<br />

geschah schon eine Vorübung einer kleinen Revolution in einem Gebiet in Mexiko, dem wir<br />

uns zum Schluss zuwenden wollen.<br />

Maryam Poya: Iran 1979<br />

40 - Internationale Sozialisten


0axaca 2006<br />

In Oaxaca gab es den ersten Kampf in<br />

<strong>der</strong> Agonie des Kapitalismus. Im<br />

September, während diese Zeilen<br />

geschrieben werden, droht ein<br />

Zusammenbruch <strong>der</strong> Finanzmärkte <strong>und</strong> die<br />

Herrschenden streiten sich in allen<br />

Län<strong>der</strong>n fürchterlich darüber, ob <strong>und</strong> wie<br />

das ganze System zu retten ist.<br />

Das ist <strong>der</strong> Stoff, aus dem die<br />

Revolutionen gemacht werden. Die<br />

Arbeiterklasse wird, wenn die Macht-Elite<br />

sich streitet <strong>und</strong> nichts mehr zu verteilen<br />

hat ihren Mut zusammenfassen <strong>und</strong> die<br />

Bühne <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> betreten.<br />

Wir alle konnten am Beispiel Oacaca<br />

sehen, dass mit dem Arbeiterrat, <strong>der</strong> Volksversammlung APPO <strong>und</strong> ihren 350 bis zu 600<br />

angeschlossenen Organisationen eine von unten aufgebaute Gesellschaft machbar ist, die alle<br />

Bevölkerungsgruppen außer dem Kapital umfasst.<br />

„Am 1. Mai verlangte die Sektion 22 <strong>der</strong> Gewerkschaft <strong>der</strong> Bildungsarbeiter (Sindicato<br />

Nacional de Trabajadores de la Educación,), die für den B<strong>und</strong>esstaat Oaxaca zuständig ist,<br />

die Erhöhung <strong>der</strong> Löhne <strong>der</strong> Lehrer <strong>und</strong> Angestellten im öffentlichen Bildungssektor, sowie<br />

die bessere Ausstattung <strong>der</strong> Schulen <strong>und</strong> soziale Leistungen, wie z.B. Frühstück für die<br />

Schulkin<strong>der</strong>, die oft hungrig zum Unterricht kommen. Doch Ulises Ruiz weigert sich auf<br />

jegliche For<strong>der</strong>ungen einzugehen <strong>und</strong> startete in den Medien eine Rufmordkampagne gegen<br />

die Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer.<br />

Am 22. Mai rief die Gewerkschaft zu einem landesweiten Streik an den öffentlichen Schulen<br />

auf. Die Streikenden wählten den Zocalo von Oaxaca Stadt als ihren Hauptplatz für<br />

K<strong>und</strong>gebungen <strong>und</strong> als Ausgangspunkt für Protestmärsche mit denen sie oft jeglichen<br />

Verkehr in <strong>der</strong> Stadt zum Erliegen brachten. Der Zocalo entwickelte sich auch nach einiger<br />

Zeit mehr <strong>und</strong> mehr zu einem Feldlager: Es wurden Stände <strong>und</strong> Zelte aufgebaut, Plakate<br />

aufgehängt…“ (Wikipedia)<br />

Seit dem 22. Mai 2006 errichteten tausende Lehrer im Zentrum von Oaxaca zur<br />

Durchsetzung ihrer For<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> 70.000 Lehrer nach mehr Lohn <strong>und</strong> Verbesserung <strong>der</strong><br />

Schulsituation ein Protestcamp. Es handelt sich hier wie überall in <strong>der</strong> Welt um den Kampf für<br />

menschenwürdige Löhne <strong>und</strong> bessere Schulbedingungen für die Kin<strong>der</strong>, z.B. eine Mahlzeit<br />

mehr <strong>und</strong> mehr Schulbücher. Statt mit <strong>der</strong> Lehrergewerkschaft zu verhandeln, wurde ihr<br />

Protest durch die Polizeitruppe des autoritären Gouverneurs Ulises Ruiz <strong>der</strong> PRI nach 23<br />

Tagen am 14.606 mit massivem Einsatz von Tränengasgranaten, H<strong>und</strong>en, Luftunterstützung<br />

<strong>und</strong> mit scharfer Munition bewaffnet mit 11 Morden, darunter 3 Kin<strong>der</strong>n, blutig nie<strong>der</strong>gewalzt.<br />

Das führte aber nun dazu, dass sich alle gewerkschaftlichen, sozialen <strong>und</strong> indigenen<br />

Bewegungen mit den Lehrern solidarisierten, letztlich stand <strong>der</strong> ganze B<strong>und</strong>esstaat gegen Ruiz<br />

<strong>und</strong> es entwickelte sich die For<strong>der</strong>ung nach dem Rücktritt von Ulises Ruiz zur Hauptfor<strong>der</strong>ung.<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 41


Was in Oaxaca im Mai als Protest streiken<strong>der</strong> Lehrer begann, hat sich im Laufe <strong>der</strong><br />

folgenden Wochen <strong>und</strong> Monate zu einer Revolte entwickelt, die den gesamten B<strong>und</strong>esstaat<br />

Oaxaca erfasst hat. Mehr als 80 Regierungsgebäude, die wichtigsten TV- <strong>und</strong> Radiostationen<br />

wurden von den Aufständischen eingenommen. Die lokale Regierung flüchtete in Luxushotels<br />

<strong>und</strong> die Volksversammlung APPO (Asamblea Popular de los Pueblos de Oaxaca –<br />

Volksversammlung <strong>der</strong> Völker von Oaxaca), getragen von allen Gewerkschaften <strong>und</strong> 600<br />

Organisationen, hat den B<strong>und</strong>esstaat in ihren Händen.<br />

Der zentrale Arbeiterrat APPO tagte täglich. Er setzte sich aus allen Arbeitergruppen<br />

zusammen, den Lehrern, Postlern, Eisenbahnern, Busfahrern, Textilarbeitern, Journalisten,<br />

Krankenhauspersonal, Kunstschaffenden, Bauarbeiter usw., den Bauern, Rentnern,<br />

Erwerbslosen, Zeitungsmachern <strong>und</strong> kleinen Ladenbesitzern sowie den indigenen Völkern.<br />

Diese Gruppen trafen sich auch jeweils regelmäßig <strong>und</strong> ihre Delegierten im zentralen APPO-<br />

Rat waren an die Beschlüsse <strong>der</strong> Basis geb<strong>und</strong>en. Die Vollversammlung <strong>der</strong> APPO tagte auch<br />

regelmäßig. Die APPO übernahm schon viele staatliche Aufgaben vom Ges<strong>und</strong>heitswesen bis<br />

zum Sozialwesen, so dass man schon von <strong>der</strong> lokalen Doppelherrschaft reden konnte.<br />

1.500 Barrikaden wurden tagsüber errichtet. Die Lehrer streikten das gesamte halbe Jahr<br />

über. Ständig gab es kleine <strong>und</strong> große Demonstrationen. Auf allen Fotos im Internet tauchte<br />

kein Transparent mit dem sonst in Lateinamerika so populären Che Guevera auf, <strong>der</strong> aber die<br />

Arbeiter als reaktionär <strong>und</strong> die Bauern als progressiv ansieht, o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en stalinistischen<br />

Utopisten. Ein klarer Differenzierungsprozess wie in Portugal konnte sich natürlich nicht<br />

vollziehen, da es sich nur um eine lokale Bewegung handelte. Im Wesentlichen versuchten<br />

trotzkistische, anarchistische Gruppen <strong>und</strong> internationale Sozialisten ihren Einfluss auszuüben.<br />

Bei den Bauern am Rande gab es auch idealistisch stalinistische Gruppen wie die Zapatistas.<br />

Die offizielle Regierungsarbeit war praktisch auf ein Minimum reduziert bis auf eines. Ständig<br />

gab es gewalttätige Angriffe <strong>der</strong> Polizei o<strong>der</strong> von Terrorkommandos.<br />

Die Regierung schickte oft Provokateure, um einen Anlass zum Angriff zu haben. Aber die<br />

Provokateure konnten bis Oktober immer isoliert werden <strong>und</strong> seitens <strong>der</strong> Demonstranten gab es<br />

keine Gewalt gegen Personen. Nagelbretter für die Polizeireifen waren die Waffen <strong>der</strong><br />

Bewegung um sich zu schützen. Jedenfalls gab es bei <strong>der</strong> Polizei keine Toten. Die Aufrufe <strong>der</strong><br />

APPO, sich nicht provozieren zu lassen, wurde von <strong>der</strong> Bewegung getragen. Der lang<br />

andauernde Kampf, seine geschlossene Einheit <strong>und</strong> die gewaltfreie Disziplin <strong>der</strong> Bewegung<br />

drücken ihren hohen Reifegrad aus.<br />

Am 6. November gab es in Mexiko-City mehrere Brandanschläge, von denen sich aber die<br />

APPO distanzierte, nur 5 linke Gruppen bekannten sich dazu. Ab dem 14. November bildete<br />

sich die APPO neu <strong>und</strong> bildete einen „Staatsrat“, <strong>der</strong> aber nur von 260 Gruppen getragen<br />

wurde.<br />

Am 27. November stellte <strong>der</strong> Chef <strong>der</strong> B<strong>und</strong>espolizei fest, dass es keine Toleranz mehr für<br />

den APPO geben würde <strong>und</strong> am 4. Dezember wurde <strong>der</strong> symbolische Führer <strong>der</strong> APPO <strong>und</strong><br />

PRD-Sprecher <strong>der</strong> linken Reformisten, Flavio Sosa, wegen Vandalismus verhaftet. Nun<br />

wurden alle Führungspersonen <strong>der</strong> APPO verhaftet <strong>und</strong> die Regierung Ruiz nahm ihre normale<br />

Tätigkeit wie<strong>der</strong> auf. Der Kampf radikalisierte sich unter den Provokationen aber zusehends.<br />

Auch ein erneuter Versuch, den Hauptplatz Zócalo <strong>der</strong> Stadt wie<strong>der</strong> einzunehmen endete nur<br />

an den Tränengasgranaten <strong>und</strong> Gummigeschossen <strong>der</strong> Polizei. Der 6. November markiert den<br />

Wendepunkt für die Ausweitung <strong>der</strong> Bewegung.<br />

42 - Internationale Sozialisten


Es gab zwar noch unabhängig von <strong>der</strong> Militanz Treffen <strong>der</strong> APPO <strong>und</strong> zwei weitere<br />

Megamärsche, aber die Bewegung wurde durch die Militanz ohne Siegesaussichten nicht mehr<br />

von <strong>der</strong> Breite <strong>der</strong> Bevölkerung getragen. Im Oktober hätte eine mexikoübergreifende<br />

For<strong>der</strong>ung noch zu einer unbedingt notwendigen Verbreiterung führen können. Da diese sich<br />

noch nicht anbot, hätte ein vorübergehend taktischer Rückzug die breite Bewegung vielleicht<br />

noch bis zum Höhepunkt <strong>der</strong> Tortilla-Bewegung im Oktober 2007 gegen die hohen Maispreise<br />

retten können. Bis Oktober aber lief die Rätebewegung trotz ihres regionalen Charakters<br />

lehrbuchreif.<br />

Die Oktobertage von Oaxaca<br />

2006 erinnern sehr an die Juni-<br />

/Julitage von Petrograd 1917. Im<br />

Juni <strong>und</strong> im Juli traten die Massen<br />

spontan <strong>und</strong> bewaffnet auf die<br />

Straße <strong>und</strong> demonstrierten dafür,<br />

dass die bürgerliche Regierung ihr<br />

Versprechen - Brot <strong>und</strong> Frieden –<br />

endlich einlöste. Entgegen <strong>der</strong><br />

landläufigen Behauptung, dass die<br />

Bolschewiken die Aufrührer seien,<br />

beschworen diese aber die<br />

Demonstranten, den endgültigen<br />

Schlag noch nicht zu führen, die<br />

Gewehre zu Hause zu lassen, weil<br />

die Bewegung in den an<strong>der</strong>en<br />

Städten, Moskau, Kiew o<strong>der</strong><br />

Odessa noch nicht so weit<br />

vorangeschritten war. Wenn nur in einer Stadt <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>stand bereit ist, die Machtfrage zu<br />

stellen, kann die Bourgeoisie ihr ganzes Militär in dieser Stadt konzentrieren <strong>und</strong> ihn somit<br />

leicht militärisch brechen. Diese bittere Lehre mussten die Räterepublik München am 1. Mai<br />

1919 machen.<br />

Die APPO-Bewegung werden die Kollegen nicht mehr so schnell vergessen <strong>und</strong> ihnen in<br />

künftigen Kämpfen helfen, schnelle Antworten in <strong>der</strong> Agonie des Kapitalismus zu finden.<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: Sie machen Kriege, wir machen Emanzipation<br />

Die Lehren des Oktobers 2006 in Oaxaca!<br />

Du bist Oaxaca!<br />

Francis Byrne Von Petersburg bis Oaxaca<br />

LabourNet Oaxaca<br />

Mexikanische Gewekschaften, Mindestlohn<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 43


Lehren aus <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong><br />

1. Allein in Deutschland sind 51% inzwischen aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Sozialkürzungen, Kriege <strong>und</strong><br />

Finanzkrisen gegen die bürgerliche Demokratie, aber auch noch gegen die Revolution. Nur,<br />

die momentane Überzeugung <strong>der</strong> Arbeiter (<strong>und</strong> Angestellten = Kopfarbeiter) spielt bei<br />

diesem Prozess überhaupt keine Rolle, dann hätte es in <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> ja nie eine<br />

Revolution gegeben. Heute den einfachen Kollegen den Marxismus zu erklären, wäre, wie<br />

Marx sagt, wie einem Kleinkind höhere Mathematik beibringen zu wollen. Das ist nicht<br />

deshalb, weil sie beson<strong>der</strong>s dumm <strong>und</strong> die Linken beson<strong>der</strong>s schlau seien, son<strong>der</strong>n nur<br />

deshalb, weil die Linken zufällig 1968 die Studentenbewegung miterlebt haben <strong>und</strong> die<br />

Massen noch nicht.<br />

In Deutschland zogen die Arbeiter noch 1914 mit Hurra in den Krieg <strong>und</strong> jagten 1918 den<br />

Kaiser davon. Auch in Russland waren sie 1904 noch Antisemiten <strong>und</strong> wählten 1905einen<br />

Juden, Leo Trotzki, zum Vorsitzenden. In allen an<strong>der</strong>en Rätebewegungen än<strong>der</strong>ten sie auch<br />

über Nacht ihre Weltanschauung.<br />

Die Massen <strong>der</strong> Kollegen lernen in den emanzipierten Kämpfen ohne die reformistische,<br />

sozialdemokratische Gewerkschaftsführung. Diese Kämpfe werden unweigerlich verursacht<br />

durch den Wi<strong>der</strong>spruch zwischen Kapital <strong>und</strong> Arbeit. Gerade heute zum Ende <strong>der</strong><br />

Marktwirtschaft wird dieser Wi<strong>der</strong>spruch auf die Spitze getrieben. Die Waren bestehen nur<br />

noch aus einem verschwindenden Anteil <strong>der</strong> lebendigen Arbeit, die Quelle des Mehrwertes<br />

bzw. dem Neuwert o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Wertschöpfung. Und aus diesem verschwindenden Neuwert<br />

muss <strong>der</strong> gesamte Warenvorschuss verzinst werden. Da bleibt für die Lohnabhängigen nur<br />

noch ein Bettellohn übrig.<br />

2. Die Kollegen werden auf <strong>der</strong> ganzen Welt vom Akkumulationsgesetz gezwungen zur<br />

Revolution, es sei denn, die Geldelite des Kapitalismus schafft den Markt für die Arbeit<br />

<strong>und</strong> Waren ab. Das würde aber nur mit einer Weltdiktatur gehen <strong>und</strong> die würde dann an<br />

dem dazu notwendigen Weltkrieg, den Bush in Georgien provozieren will, mit <strong>der</strong><br />

Auslöschung <strong>der</strong> Menschheit durch Atombomben scheitern.<br />

Wir erleben momentan harte Kämpfe in Ägypten o<strong>der</strong> Nordvietnam o<strong>der</strong> die<br />

Hungeraufstände in 37 Län<strong>der</strong>n. Noch kratzen die Herrschenden jeden Cent zusammen, die<br />

sie für ihre Bonbons erübrigen können. Geld wird in Unmengen da sein, nur es wird nichts<br />

mehr wert sein. Da die zahlungskräftigen K<strong>und</strong>en ausbleiben, wird in den nächsten 10/20<br />

Jahren jegliche Wirtschaftstätigkeit einschlafen. Aber wenn dann ihre Taschen leer sind<br />

<strong>und</strong> sie sich wie die Kesselflicker streiten, dann Gnade ihnen ihr Ersatzsinngeber.<br />

3 Die Arbeiter werden bei emanzipierten Kämpfen spontan Streikräte bilden. Diese werden<br />

bei Zunahme <strong>der</strong> Kämpfe spontan in <strong>Arbeiterräte</strong> umgenannt.<br />

4. Alle Kämpfe entstanden auch erst einmal spontan. Erst für die 2. Phase <strong>der</strong><br />

Machtübernahme benötigt die Bewegung eine revolutionäre Arbeiterpartei. Nun gibt es auf<br />

<strong>der</strong> ganzen Welt Gruppen, die für die <strong>Arbeiterräte</strong> sich einsetzen, wie die Internationalen<br />

Sozialistische Tendenz o<strong>der</strong> ähnliche. Wir haben in Portugal gesehen, dass die PRP/BR in<br />

dem einen Jahr <strong>der</strong> revolutionären Kämpfe von 200 Aktiven auf 40.000 wuchs. Und da<br />

hatte das Kapital in Portugal in <strong>der</strong> EU sogar noch Perspektiven.<br />

Heute, wo sie mit ihren Finanzkrisen, Kriegen <strong>und</strong> Marktverengungen am Ende stehen,<br />

wird das noch schneller gehen. Die Rätebewegung wird also auch ihre revolutionäre<br />

Arbeiterpartei aufbauen, die ihre objektiven Interessen ausdrückt.<br />

44 - Internationale Sozialisten


Das heißt natürlich nicht, dass wir so lange die Hände in den Schoß legen <strong>und</strong> abwarten<br />

könnten. Das Kapital wird bei seinem Weg in die Barbarei noch viele Menschen verelenden<br />

<strong>und</strong> töten. Je früher Du aktiv wirst, umso weniger Opfer wird es geben. Außerdem müssen<br />

wir rechtzeitig den Weg in die Räte schaffen, bevor uns das Kapital in den Orkus <strong>der</strong><br />

Barbarei zieht. In den USA bahnt sich nach Gerüchten „gut informierter Kreise“<br />

(Russischer Geimdienst) schon Mitte Oktober noch vor <strong>der</strong> Wahl am 4. November <strong>der</strong><br />

nächste Krieg <strong>und</strong> die Diktatur an. Da gibt es viel zu tun. Aber den sinnlosen Arzt am<br />

Krankenbett des Kapitalismus in seiner Agonie sollten wir wirklich nicht mehr machen.<br />

Mit dem hohen Automationsgrad <strong>und</strong> <strong>der</strong> Marktverengung ist er wirklich nicht mehr<br />

lebensfähig.<br />

5. Das Wesentlichste wird sein, dass die Arbeiterbewegung von unten neben <strong>der</strong> tatsächlichen<br />

Gleichheit, <strong>der</strong> Abschaffung <strong>der</strong> Entfremdung zu allen Menschen, Dingen <strong>und</strong> dem Wissen<br />

auch das erste Mal in <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Menschheit eine vernünftige Wirtschaftspolitik<br />

durchführen wird. Marx nannte deshalb auch alle bisherigen Gesellschafssysteme<br />

„Vorgeschichte <strong>der</strong> Menschheit“ <strong>und</strong> den Sozialismus von unten „Reich <strong>der</strong> Vernunft“.<br />

Der Kapitalist produziert für einen blinden Markt. Die Käufer kennt er noch nicht. Dann<br />

versucht er zu rationalisieren, billiger zu produzieren <strong>und</strong> die Konkurrenz zu unterbieten<br />

<strong>und</strong> sie somit vom Markt zu verdrängen. Die Arbeit ist aber die einzige Quelle <strong>der</strong><br />

Wertschöpfung <strong>und</strong> wenn ihr Anteil geringer wird, dann sinkt die Profitrate. Strebt sie in<br />

<strong>der</strong> Produktion gegen Null, wird das Kapital versuchen, die niedrige Profitrate mit<br />

Heuschrecken, die von <strong>der</strong> Substanz leben, <strong>und</strong> mit Kriegen <strong>und</strong> Rohstoffdiebstahl zu<br />

kompensieren. Die Handelskriege verschärfen sich, verwandeln sich in heiße Kriege,<br />

Weltkriege, Diktatur <strong>und</strong> Völkermorde.<br />

Die Arbeiteiter aber haben das objektive Interesse für gleichen Lohn in <strong>der</strong> ganzen Welt.<br />

Was nutzt es dem Kollegen von Miele z.B. in Deutschland, wenn sein Kollege bei Haier in<br />

China nur 10% von seinem Lohn verdient? Nichts, denn bald wird eine Dumping.-<br />

Waschmaschine hier verkauft <strong>und</strong> sein Band wird schneller gestellt, sein Lohn um 25%<br />

gesenkt <strong>und</strong> dann sein Arbeitsplatz nach Rumänien verlagert. Also wird er bei freier<br />

Entscheidung ohne den brutalem Marktgesetz so wie in Oaxaka gleichen Lohn anstreben<br />

<strong>und</strong> die Produktion für den Weltbedarf solidarisch verteilen müssen. Der authentische<br />

Marxismus ist eigentlich ganz einfach, wenn man sich nicht dagegen sträubt, weil man ihn<br />

mit <strong>der</strong> DDR o<strong>der</strong> Mao-China verwechselt.<br />

Die DDR war gar keine Planwirtschaft, obwohl alle kleinbürgerlichen „Linken“ das<br />

behaupten. Sie war eine bürokratische Zwangswirtschaft <strong>und</strong> unterlag dem Preisdiktat<br />

Moskaus. Dieser wurde angetrieben von dem Rüstungswettlauf zwischen Privat- <strong>und</strong><br />

Staatskapitalismus.. Die Arbeiter würden dem „Wettlauf“ (S 12) zwischen Arbeiterstaat<br />

<strong>und</strong> Privatkapitalismus aber nicht mit 100 neuen Raketen begegnen, son<strong>der</strong>n mit Millionen<br />

Flugplättern, den revolutionären Defätismus <strong>und</strong> <strong>der</strong> permanenten Revolution, <strong>der</strong><br />

internationalen Ausdehnung <strong>der</strong> solidarischen Arbeiterstaaten. Wir wollen die Köpfe <strong>der</strong><br />

internationalen Kollegen gewinnen <strong>und</strong> sie nicht totschießen.<br />

Noch aber sind die Kollegen nur erstarrt, erschüttert, wütend über eine <strong>der</strong>artige<br />

Unverschämtheit, dass die Banken die H<strong>und</strong>erte Milliarden nur so nachgeschmissen<br />

bekommen <strong>und</strong> sie für 0,1% mehr Lohn ein Monat streiken müssen. Der sterbende<br />

Kapitalismus treibt die Entwürdigung des Menschen auf die Spitze. Das bürgerliche Parlament<br />

schützt nur das Kapital, das die wirtschaftlichen Aufgaben des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts mit seiner<br />

Wettbewerbslogik nicht mehr wird lösen können. Die Rettungspakete, die sie jetzt für die<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 45


Pokerkasse des Kapitals schmieden, sind am nächsten Tag schon wie<strong>der</strong> in Luft aufgelöst. Sie<br />

verschlimmern nur die sogenannte Liquiditätskrise, weil sie auch wie<strong>der</strong> verwettet werden.<br />

Wie die Sterne in das „Schwarze Loch gesaugt werden, so wird das ganze gesellschaftliche<br />

Vermögen verdampft <strong>und</strong> in das Haushaltsloch gesaugt.<br />

Für uns Sozialisten ist es eine große Genugtuung, zu sehen, wie <strong>der</strong> Kapitalismus untergeht<br />

<strong>und</strong> zu wissen, dass dann endlich die Kollegen selber die Bühne <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> betreten<br />

werden. Alle Kollegen in den Betrieben, die Arbeitslosengruppen, Frauenverbände,<br />

Rentnergruppen, Ärztevereinigungen, kleine Ladenbesitzer, die Medien, die auf <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong><br />

Arbeiterbewegung stehen etc. werden nicht ewig zuschauen, wie das Kapital unsere<br />

Gesellschaft in den Untergang reißt, nun ist ihre Zeit gekommen, die Menschen in das Reich<br />

<strong>der</strong> Vernunft zu führen.<br />

46 - Internationale Sozialisten


DER KONSEQUENTE KOLLEGE<br />

Gewerkschaft <strong>und</strong> Marxisten<br />

Einführung<br />

Marxisten gehen bei <strong>der</strong> Gewerkschaftsarbeit von dem<br />

Prinzip <strong>der</strong> Einheitsgewerkschaft aus. Sie ist das<br />

Organisationsinstrument <strong>der</strong> gesamten Arbeiterklasse. Um<br />

stark gegen das Kapital zu sein, brauchen die Arbeiter<br />

unbedingt die Einheit im Kampf. Getrennt marschieren wir<br />

bei den politischen, langfristigen Fragen. Hier müssen wir<br />

uns unabhängig organisieren. Nur im Kampf zählt die<br />

Einheit, <strong>und</strong> die heißt bei den Arbeitern<br />

Einheitsgewerkschaft.<br />

Manche "Linke" wie <strong>der</strong> IKS, die FAU, Wildcat o<strong>der</strong> die PSG wollen aber auch eine<br />

getrennte Gewerkschaftsorganisation. Hierfür haben sie auch auf den ersten Blick gute<br />

Argumente. Schon immer haben die SPD-Gewerkschaftsführer die Basis verraten. Sie gaukeln<br />

ihnen ständig die Abschlüsse höherer Tarife vor aber handeln in Wirklichkeit nur<br />

Reallohnverluste aus. Sie handeln sogar Lohnkürzungen gegen scheinbaren Arbeitsplatzerhalt<br />

aus, was sich immer später als Windei herausstellt. Ja, sie machen bei den Zockerei noch mit,<br />

indem sie die Pensionsgel<strong>der</strong> ihrer Angestellten bei <strong>der</strong> übelsten Heuschrecke Blackstone<br />

anlegen. Die Reformisten sehen jeden Kampf nur als Unterstützung für ihre Verhandlungen an,<br />

nicht als einen selbsttätigen Kampf <strong>der</strong> Massen, um die Sache in ihre eigene Hand zu nehmen.<br />

Weil man über Verhandlungen nicht konsequent gegen die Kapitallogik angehen kann, kettet<br />

die Sozialdemokratie somit die Arbeiter an die Marktgesetze des Kapitals.<br />

Wir linken Arbeiterinnen <strong>und</strong> Arbeiter sind aber nicht wegen den korrupten Bonzen in <strong>der</strong><br />

Gewerkschaft, son<strong>der</strong>n wegen <strong>der</strong> Basis. Es waren die Vertrauensleute <strong>der</strong> IGM bei Opel<br />

Bochum, die den wilden Streik 2004 organisiert hatten. Bei <strong>der</strong> IGM haben sie lange<br />

gemeinsam gearbeitet, gekämpft <strong>und</strong> Vertrauen zueinan<strong>der</strong> aufbauen können <strong>und</strong> so können<br />

wir bei einer Ausweitung <strong>der</strong> Kämpfe dann auch die reformistischen durch revolutionäre<br />

Arbeiterführer auswechseln. Unabhängige Gewerkschaften können nur für einzelne wenige<br />

Berufsgruppen erfolgreich sein <strong>und</strong> Pilotabschlüsse tätigen, aber für die Masse <strong>der</strong> Kollegen<br />

geht nur die Einheitsgewerkschaft.<br />

Aus ihrer Kritik heraus aber an <strong>der</strong> ganzen Gewerkschaft versuchten <strong>und</strong> versuchen manche<br />

Ultralinken, eine geson<strong>der</strong>te revolutionäre Gewerkschaft aufzubauen <strong>und</strong> sich gegen die<br />

allgemeine Gewerkschaft zu stellen. 1 Als Marxist muss man aber gerade die ansprechen, die<br />

von einem revolutionären Schritt <strong>der</strong> Arbeiterklasse noch nicht überzeugt sind.<br />

Jede erkämpfte Mark wird uns wie<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> nächsten Krise weggenommen. Was aber<br />

bleibt vom Kampf, ist das Bewusstsein, das, was wir aus dem Kampf gelernt haben.<br />

Luxemburg weist auf diese Dialektik hin:<br />

1 Die syndikalistische FAU (Freie Arbeiter Union) geht sogar so weit, daß sie sich mit wenigen h<strong>und</strong>ert Mitglie<strong>der</strong>n in<br />

Deutschland als Gewerkschaft versteht. Das ist Kastrierung <strong>der</strong> Arbeiterklasse in Reinform.<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 47


»Die große sozialistische Bedeutung des gewerkschaftlichen <strong>und</strong> politischen Kampfes besteht<br />

darin, dass sie die Erkenntnis, das Bewusstsein des Proletariats sozialisieren, es als Klasse<br />

organisieren.« 2<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong>e müssen wir auch reformistische Kämpfe unterstützen. Mit den bereits<br />

bewussten Kollegen können wir uns schon vorher politisch zusammenschließen.<br />

Jegliche Taktik in Kämpfen, die wir machen, machen wir für die noch nicht bewussten<br />

Kollegen - für die revolutionären Kollegen benötigen wir keine Taktik, sie stehen schon auf<br />

unserer Seite. Wären alle 100% bewusst, bräuchte ich überhaupt keine Gewerkschaft, son<strong>der</strong>n<br />

würde gleich die Weltrevolution machen. Gewerkschaftsarbeit mache ich deshalb gerade nur<br />

wegen <strong>der</strong> noch unbewussten Kollegen; <strong>der</strong> Nachzügler im revolutionären Kampf - <strong>und</strong> diese<br />

kann ich nur in <strong>der</strong> Einheitsgewerkschaft finden. Nur dort treffe ich auf die Nachzügler.<br />

Für Marx, Luxemburg, Lenin <strong>und</strong> Trotzki waren dies Selbstverständlichkeiten. Weil<br />

manchen Linken ein Kurs innerhalb <strong>der</strong> Einheitsgewerkschaft nicht gefällt, greifen sie zu<br />

einem Trick. Sie sagen, die Welt seit Marx habe sich gr<strong>und</strong>sätzlich geän<strong>der</strong>t. Die PSG stellt<br />

z.B. fest: »Was die Gewerkschaften betrifft, so haben sie sich aus einer Interessenvertretung<br />

<strong>der</strong> Arbeiter in eine Betriebspolizei <strong>der</strong> Unternehmer verwandelt.« 3<br />

Erstens kann die PSG nicht unterscheiden zwischen Führung <strong>und</strong> Basis (die Gewerkschaft<br />

sind auch die Arbeiter in den Betrieben <strong>und</strong> keine Betriebspolizei <strong>der</strong> Unternehmer.) <strong>und</strong><br />

zweitens <strong>und</strong> was wichtiger ist, die Führung selber hat schon immer im Interesse des Kapitals<br />

gehandelt. Es gab bei <strong>der</strong> Führung nur 1878 wegen <strong>der</strong> „Sozialistengesetze“, die Bismarck<br />

wegen <strong>der</strong> Attentate auf den Kaiser erließ, mit denen die SPD aber nichts zu tun hatte, einen<br />

kurzen scheinbaren Linksschwenk. Warum scheinbar, dazu unten (S. 6) mehr. Die Gründung<br />

<strong>der</strong> SPD 1875 wurde zugelassen, weil sich Bismarck mit ihr einen Ordnungsfaktor (S.4)<br />

schaffen wollte <strong>und</strong> auch schuf. »Vor 1870 haben die Mobilmachungen [Aufgebote zum Krieg]<br />

an nicht wenigen Orten oft nur mit Gewalt durchgesetzt werden können« 4 Somit wurde <strong>der</strong><br />

Ordnungsfaktor innerhalb <strong>der</strong> Arbeiterklasse für den Kaiser notwendig <strong>und</strong> man fand ihn in <strong>der</strong><br />

SPD<br />

Der Glaube, dass die Führung des ADGB's früher radikaler gewesen sei <strong>und</strong> mit <strong>der</strong> Zeit<br />

korrumpiert ist, führt bei an<strong>der</strong>en rechteren Organisationen innerhalb <strong>der</strong> Radikalen wie<strong>der</strong> zu<br />

einer umgekehrten Haltung, nämlich den Illusionen, dass sich die Gewerkschaftsführung<br />

immer dann radikalisieren würde, wenn sie kämpferische Reden hält. Nur, darin war sie schon<br />

immer Meister, wenn es von <strong>der</strong> Basis Druck gibt, verbalradikal zu tönen, um in <strong>der</strong> Praxis<br />

jeden Kampf auszubremsen. Die Konsequenz aus dem Irrglauben, dass die<br />

Gewerkschaftsführung nach rechts gegangen sei, führt zu <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite <strong>der</strong> Medaille, dass<br />

sie dann auch wie<strong>der</strong> nach links gehen könnte.<br />

Dabei hat die Führung immer die gleiche Stellung im Produktionsprozess, nämlich die <strong>der</strong><br />

Bürokratie <strong>der</strong> Gewerkschaft. Ihr Interesse ist es immer, innerhalb des Kapitalismus eine feste<br />

Arbeitsstelle zu haben, aber bezahlt von den Arbeitern. Sie muss jedoch auch manchmal unter<br />

dem Druck <strong>der</strong> Arbeiterbasis zu Streiks aufrufen. Sie ist dadurch natürlich einerseits ein<br />

integrieren<strong>der</strong> Bestandteil des kapitalistischen Systems, an<strong>der</strong>erseits aber auch <strong>der</strong> Stachel im<br />

2 Rosa Luxemburg: "Sozialreform o<strong>der</strong> Revolution", IS-Broschüre, S.23<br />

3<br />

PSG: Partei für soziale Gerechtigkeit, Ex-BSA: "Eine politische Antwort auf Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> Sozialabbau",<br />

Flugblatt Juni 1996<br />

4 Prof. Dellbrück in den Preußischen Jahrbüchern , September 1914 (nach KK, Nr. 65, Seite 12)<br />

48 - Internationale Sozialisten


Fleisch. Die Gewerkschaftsführung ist kein direkter Befehlsempfänger des Kapitals. Wäre sie<br />

es, würden nicht die Millionen Arbeiter in die Gewerkschaft eintreten:<br />

»Eine sich nicht nur in den bürgerlichen Staatsapparat, son<strong>der</strong>n sogar in die tägliche<br />

Betriebsführung des Kapitalismus integrierende Gewerkschaft wäre keine "systemkonforme"<br />

Gewerkschaft, sie würde rasch aufhören, überhaupt noch eine wirkliche Gewerkschaft zu<br />

sein. Die Lohnabhängigen werden keinerlei Gr<strong>und</strong> mehr erkennen, solchen<br />

Arbeitskontrolleuren <strong>und</strong> Arbeitsdirektoren noch Teile des schwer erarbeiteten Lohnes in<br />

Form von freiwilligen Beiträgen zuzuschanzen ... « 5<br />

Wenn die Mitglie<strong>der</strong>zahl sinkt, wenn die Gewerkschaft in ihren Gr<strong>und</strong>festen bedroht ist,<br />

dann muss auch die Bürokratie sich regen. Weil speziell in Deutschland die reformistische<br />

Bürokratie eine herausragende Stellung hat, konnte sie lange die Basis still halten, aber sie ist<br />

auch nicht so leicht m<strong>und</strong>tot zu machen wie in den USA o<strong>der</strong> Britannien. Wenn es zu einem<br />

Frontalangriff kommt, wie bei Maggie Thatcher, dann kann sie leicht 400.000 Demonstranten<br />

mobilisieren <strong>und</strong> die Attacke abwehren, wenn die Gewerkschaftsorganisation bedroht ist.<br />

Von den Anfängen bis zur Gründung <strong>der</strong> Gewerkschaften<br />

Die Gewerkschaften an <strong>der</strong> Basis <strong>und</strong> ein konsequenter Kampf sind keine Erfindung <strong>der</strong><br />

Kommunisten. Marx hatte sich an den Kämpfen <strong>der</strong> Lyoner Textilarbeiter <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Chartistenbewegung im England <strong>der</strong> 1830er Jahre orientiert, als er seine Theorie von <strong>der</strong><br />

Arbeiterklasse als revolutionäres Subjekt entwickelte.<br />

Die Vereinigung <strong>der</strong> Arbeiter wurde in dieser Zeit noch in <strong>der</strong> Tradition des Feudalismus<br />

verboten. Die Wi<strong>der</strong>sprüche eines sich entwickelnden Kapitalismus zwangen aber dennoch die<br />

Arbeiter dazu, für ihre Interessen mit dem Ziel zu kämpfen, sie letztlich auch durchzusetzen.<br />

Abendroth 6 beschreibt die Anfänge:<br />

»... Zudem war in Deutschland das Verbot <strong>der</strong> Gesellenbünde durch die Reichszunftordnung<br />

von 1731 (...) in die Gesetzgebung des territorialstaatlichen Absolutismus übernommen<br />

worden. Die monarchistischen deutschen Staaten <strong>der</strong> Restaurationsperiode mussten um so<br />

mehr an diesem Verbot festhalten, als hinter jedem Zusammenschluss <strong>der</strong> unteren<br />

Gesellschaftsgruppen das Gespenst <strong>der</strong> demokratischen Revolution zu lauern schien...<br />

1845 for<strong>der</strong>ten die Leipziger Buchdrucker von ihren Arbeitergebern Verhandlungen über<br />

einen Tarifvertragsentwurf..<br />

Im gleichen Jahr legten die Maurergesellen <strong>der</strong> Hansestädte <strong>und</strong> Schleswig-Holsteins<br />

gemeinschaftlich die Arbeit nie<strong>der</strong>, um bessere Löhne zu erstreiten ...<br />

Die Nie<strong>der</strong>lage <strong>der</strong> [1848-]Revolution <strong>und</strong> <strong>der</strong> Sieg <strong>der</strong> Reaktion - durch die<br />

Unentschlossenheit des Bürgertums gegenüber dem preußischen monarchistischen System<br />

verschuldet - setzten allen diesen hoffnungsvollen Anfängen ein Ende« 7<br />

Bis zur bürgerlichen Revolution verliefen die Streiks noch recht spontan, die Vereine<br />

entwickelten sich aus diesen Kämpfen nur sporadisch <strong>und</strong> waren von kurzer Lebensdauer:<br />

»Die Gewerkschaftsbewegung begann in <strong>der</strong> frühkapitalistischen Wirtschaft mit impulsiven<br />

Revolten <strong>der</strong> Lohnarbeiter gegen ihre Unternehmer wegen Herabsetzung <strong>der</strong> Löhne <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

5 Ernest Mandel: "Die mo<strong>der</strong>ne Gewerkschaftsbewegung", 'Gewerkschaftliche Monatshefte', Juni 1970, Heft 6<br />

6 Professor für "Wissenschaftliche Politik" von 1951 bis 1972 in Marburg<br />

7 Wolfgang Abendroth: "Die deutschen Gewerkschaften", Kollektiv-Verlag, Seite 6 u. 7<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 49


Verschlechterung <strong>der</strong> Arbeitsbedingungen. Waren es zunächst spontane<br />

Arbeitsverweigerungen, örtlich <strong>und</strong> zeitlich begrenzt, so waren es später planmäßige<br />

Arbeitsnie<strong>der</strong>legungen (Streiks), die zu zeitweiligen Vereinsbildungen führten. Aus diesen<br />

örtlichen Vereinsbildungen entstanden mit <strong>der</strong> Zeit dauernde <strong>und</strong> feste Lohnarbeiter-<br />

Vereinigungen (Koalitionen), die planmäßige Aktionen zur Erkämpfung besserer Löhne <strong>und</strong><br />

Arbeitsbedingungen durchführten.«8<br />

»So verliefen diese sozialen Bewegungen unter Arbeitern <strong>und</strong> Handwerkern in dieser Phase<br />

durchweg noch sporadisch, lokal geb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> fast gar nicht organisiert. Die<br />

Landbevölkerung wurde von all dem kaum berührt. Dennoch bedeutete die<br />

Koalitionsfreiheit, die diese Revolution gebracht hatte, eine Chance für solche<br />

Organisationen. In Berlin hatte Stefan Born <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e die Parole <strong>der</strong> französischen<br />

Frühsozialisten um Louis Blanc's "Organisation <strong>der</strong> Arbeit" aufgenommen <strong>und</strong> wollten<br />

zentral von Berlin aus eine "Organisation <strong>der</strong> Arbeit" vorantreiben. Sie hatten im April 1848<br />

in Berlin ein "Zentralkomitee für die deutschen Arbeiter" begründet <strong>und</strong> ein Programm<br />

aufgestellt, das die politischen <strong>und</strong> ökonomischen Vorstellungen des politisch aktiv<br />

gewordenen Teils <strong>der</strong> Arbeiterschaft artikulierte ... In diesen Zeiten entstanden an vielen<br />

Orten ähnliche Vereine <strong>und</strong> "Assoziationen von Arbeitern".<br />

Im September des Jahres 1848 kam es auf Einladung <strong>der</strong> Berliner "Arbeiterverbrü<strong>der</strong>ung"<br />

zu einem ersten übergreifenden Arbeiterkongreß, auf dem 35 örtliche Arbeitervereine<br />

vertreten waren.«9<br />

Diesen ersten Versuchen von Arbeiterorganisationen war ein schnelles Ende beschieden.<br />

»Die spätestens 1850 mit aller Härte einsetzende Zeit <strong>der</strong> Reaktion traf gerade die<br />

Arbeiterschaft beson<strong>der</strong>s massiv. Obwohl sich schon 1848/49 ein wirtschaftlicher<br />

Aufschwung angekündigt hatte, dem zu Beginn <strong>der</strong> 50er Jahre eine Hochkonjunktur folgte,<br />

die es sicherlich dem Bürgertum auch leichter gemacht hat, sich mit <strong>der</strong> politischen Rechten<br />

abzufinden, wurden die in <strong>der</strong> Revolutionszeit errungenen Lohnerhöhungen <strong>und</strong><br />

Arbeitszeitverkürzungen wie<strong>der</strong> abgebaut, die Arbeitervereine aufgelöst, ihre Zeitungen<br />

verboten <strong>und</strong> auch alle gewerkschaftlichen Bestrebungen unterdrückt.« 10<br />

Die bürgerliche 48er-Revolution hat die Organisations- <strong>und</strong> Versammlungsfreiheit für die<br />

Arbeiter mitgebracht. Die Nie<strong>der</strong>schlagung <strong>der</strong> Revolution bedeutete aber auch die<br />

Nie<strong>der</strong>schlagung <strong>der</strong> Errungenschaften für die Arbeiter. Aber mit dem Kapitalismus wuchs<br />

auch die Arbeiterklasse an <strong>und</strong> verschaffte ihren For<strong>der</strong>ungen immer mehr Geltung:<br />

»Im Jahre 1864 war die Arbeiterbewegung stark angewachsen, blieb aber in Bezug auf die<br />

Entwicklung des Klassenbewusstseins hinter <strong>der</strong> kleinen revolutionären Avantgarde von<br />

1848 zurück.«11<br />

Unter dem Druck <strong>der</strong> Bourgeoisie hatte bereits <strong>der</strong> letzte Kaiser Wilhelm die Interessen des<br />

Kapitals weitgehend berücksichtigt, <strong>und</strong> in diesem Maße konnte auch die Arbeiterklasse sich<br />

reorganisieren.<br />

8 En<strong>der</strong>le, Schreiner ... : "Das rote Gewerkschaftsbuch", 1932, Seite 67<br />

9 Klönne, Reese: "Die deutsche Gewerkschaftsbewegung", Hamburg 1984, Seite 16<br />

10 Ebenda, Seite 19<br />

11 SAG: "Die Wurzeln <strong>der</strong> deutschen Arbeiterbewegung", Seite 8, IS-Broschüre<br />

50 - Internationale Sozialisten


Die Nach-48er-Vereine, die direkten Vorläufer <strong>der</strong> DGB-Gewerkschaften, wurden nie von<br />

den Arbeitern selber als Kampforganisationen gegründet, son<strong>der</strong>n sind von den Kleinbürgern,<br />

die in Vorgängerorganisationen <strong>der</strong> SPD organisiert waren, als Arbeiterbildungsvereine<br />

gegründet worden. Die Erfahrungen von 1848 hatten den Intellektuellen den Weg aufgezeigt,<br />

wie sie sich als "Retter" <strong>der</strong> Armen aufspielen konnten.<br />

»Die Entwicklung von Gewerkschaften in Deutschland muss zum einen im Zusammenhang<br />

<strong>der</strong> allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung <strong>der</strong> industriell-kapitalistischen Gesellschaft,<br />

zum an<strong>der</strong>en aber unter den beson<strong>der</strong>en deutschen politischen Bedingungen, so vor allem<br />

dem "Primat <strong>der</strong> Politik", dem Vorrang <strong>der</strong> Entwicklung politischer Organisationen <strong>der</strong><br />

Arbeiterschaft, gesehen werden. Dieser, von <strong>der</strong> englischen, aber auch französischen<br />

Entwicklung sich abhebende Prozeß <strong>der</strong> Herausbildung einer deutschen Arbeiterbewegung<br />

verleiht ihr eine beson<strong>der</strong>e Stellung in <strong>der</strong> internationalen Arbeiterbewegung. «12<br />

Die Arbeitervereine wurden also von Anfang an von den Reformisten kontrolliert. Lasalle<br />

schwärmte vom deutschen Kaiser, <strong>der</strong> als Diktator einen guten Führer <strong>der</strong> deutschen<br />

Arbeiterklasse abgäbe:<br />

»... wie wahr es ist, das sich <strong>der</strong> Arbeiterstand instinktmäßig zur Diktatur geneigt fühlt ...<br />

<strong>und</strong> wie sehr er daher ... geneigt sein würde ... in <strong>der</strong> Krone den natürlichen Träger <strong>der</strong><br />

sozialen Diktatur, im Gegensatz zu dem Egoismus <strong>der</strong> bürgerlichen Gesellschaft zu sehen,<br />

wenn die Krone ihrerseits sich jemals zu dem - freilich sehr unwahrscheinlichen - Schritt<br />

entschließen könnte, eine wahrhaft revolutionäre <strong>und</strong> nationale Richtung einzuschlagen <strong>und</strong><br />

sich aus dem Königstum <strong>der</strong> bevorrechteten Stände in ein soziales <strong>und</strong> revolutionäres<br />

Volkskönigstum umzuwandeln.« 13<br />

Die Eisenacher sahen ihren Bündnispartner nicht im König von Gottes Gnaden, son<strong>der</strong>n in<br />

<strong>der</strong> liberalen Bourgeoisie. »Bebel <strong>und</strong> Liebknecht waren erbitterte Gegner des preußischen<br />

Führungsanspruchs... An<strong>der</strong>s als Lasalle hielten sie auch ein Zusammengehen mit liberaldemokratischen<br />

Teilen des Bürgertums für möglich.« 14<br />

Der Historiker Klönne kommt bei <strong>der</strong> Betrachtung <strong>der</strong> beiden Gründungsgruppen zu einem<br />

ähnlichen Schluß wie schon Marx zuvor: »An eine "revolutionäre" Lösung im Sinne des<br />

späteren kommunistischen Konzepts <strong>der</strong> "Diktatur des Proletariats" dachten we<strong>der</strong> Lasalle<br />

noch Bebel <strong>und</strong> Liebknecht.« 15<br />

»Die ersten Ansätze einer beson<strong>der</strong>en politischen o<strong>der</strong> sozialen Organisation von Arbeitern<br />

<strong>und</strong> Verbesserung <strong>der</strong> Lage <strong>der</strong> Arbeiterschaft um 1860 in Deutschland waren durchweg<br />

integriert in das aufblühende Vereinswesen <strong>der</strong> verschiedenen Richtungen des Liberalismus.<br />

Liberale Politiker för<strong>der</strong>ten die Gründung von Arbeiterbildungsvereinen o<strong>der</strong><br />

Arbeiterunterstützungsassoziationen im Rahmen <strong>der</strong> liberalen Bewegung.«16<br />

Die Überzeugung dieser Liberalen war weit davon entfernt, marxistisch zu sein. Es war <strong>der</strong><br />

Typ aufgeklärter Kleinbürger, die den Menschen das Paradies schenken wollen. Ein Paradies,<br />

wie es <strong>der</strong> romantische Zeichner Ludwig Richter verklärt darstellt: Liebe pausbäckige Kin<strong>der</strong><br />

12<br />

Klönne, Reese: "Die deutsche Gewerkschaftsbewegung", Hamburg 1984. Seite 11<br />

13<br />

Lasalle: Brief an Bismarck, nach Klönne: "Die deutsche Arbeiterbewegung". S.46<br />

14<br />

Klönne, S.47<br />

15<br />

Ebda., S.48<br />

16<br />

Klönne: "Die deutsche Arbeiterbewegung", Seite 44<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 51


spielen vor den sich umarmenden Eltern auf <strong>der</strong> Bank unter dem Apfelbaum vor dem<br />

blitzblanken Häuschen. Der Utopist Moses Hess beschreibt, was <strong>der</strong> Liberale damals fühlte<br />

<strong>und</strong> dachte:<br />

»Keine Jahrh<strong>und</strong>erte ... werden mehr vergehen ... <strong>und</strong> die h<strong>und</strong>ertfältig gesteigerten<br />

Produktivkräfte werden die große Mehrzahl <strong>der</strong>er, die von ihrer Hände Arbeit leben müssen,<br />

ins tiefste Elend gestürzt haben, weil ihre Hände wertlos geworden sind: während einige<br />

Wenige, die sich mit <strong>der</strong> Anhäufung <strong>der</strong> Kapitalien beschäftigen, im Überfluss schwelgen<br />

<strong>und</strong> in ekler Genusssucht untergehen werden, wenn sie nicht vorher schon <strong>der</strong> Stimme <strong>der</strong><br />

Liebe <strong>und</strong> Vernunft Gehör gegeben o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gewalt nachgegeben haben.«17<br />

Also, bei den Liberalen war nicht die Emanzipation <strong>der</strong> Massen angesagt, son<strong>der</strong>n das Motiv<br />

des Handelns war scheinbar die Liebe. »Diese Intelligenz hält sich für den bedeutendsten<br />

Akteur des Geschehens. Sie hat das nötige Wissen für die Aufklärung; sie überredet die<br />

Herrschenden o<strong>der</strong> trägt Bewusstsein in das Proletariat, um es für die Revolution zu<br />

befähigen.« 18 Das aufgeklärte Bürgertum, die Grün<strong>der</strong>väter des Reformismus, ist von einer<br />

Weltanschauung geprägt, <strong>der</strong> man bei <strong>der</strong> "radikalen" 68er Studentenbewegung wie<strong>der</strong><br />

begegnet ist.<br />

Die Führung <strong>der</strong> Arbeitervereine än<strong>der</strong>te sich auch weiterhin nicht, wie von vielen Linken<br />

später angenommen.<br />

»Die SPD wurde in <strong>der</strong> Zeit des Sozialistengesetzes [1878] keineswegs, wie vielfach<br />

behauptet, radikalisiert. Das Ausnahmegesetz zeitigte auch gegenteilige Wirkungen. Die<br />

Unterdrückung aller an<strong>der</strong>en politischen Betätigungsformen führte zur Konzentrierung aller<br />

Bemühungen auf die Wahlkämpfe <strong>und</strong> verschaffte <strong>der</strong> Reichstagsfraktion eine starke Position<br />

gegenüber den an<strong>der</strong>en Parteiführern, die sie auch nach Aufhebung des Gesetzes nicht<br />

wie<strong>der</strong> verlor, genauso, wie die parlamentarische Praxis die einzige parteioffiziell<br />

idealisierte Form des politischen Machtkampfes blieb. Und die damals noch nicht durch<br />

Diäten saturierten sozialdemokratischen Abgeordneten einigermaßen <strong>der</strong> wirtschaftlichen<br />

Alltagsnöte zu entheben, hatte ihnen die Partei zur Schaffung kleinbürgerlicher Existenzen<br />

als Gastwirte, selbständige Kaufleute, Redakteure u.ä. verholfen, was mit <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong><br />

Fraktion <strong>und</strong> darüber hinaus auch <strong>der</strong> ja stark von ihr beeinflussten Partei jene philiströsen<br />

Züge verlieh, von denen Eleonor Marx an Friedrich Engels vom Parteitag in Halle 1890<br />

berichtete.«19<br />

Die SPD gab sich 1891, nachdem die Zeit <strong>der</strong> Sozialistengesetze vorbei war <strong>und</strong> die ganz<br />

Rechten wie Lasalle ausstarben, ein neues Programm, das Erfurter Programm, das nur unter<br />

dem Druck von Engels die Passagen zum Parlamentarismus neutralisierte (In Deutschland war<br />

es noch verboten, von einer Revolution zu sprechen, man musste aber zumindest darauf<br />

hinweisen, dass man keine Illusionen in das Parlament hat.) Aber Programme sind immer<br />

geduldig. Wichtiger war dann die Frage nach den konkreten For<strong>der</strong>ungen, <strong>und</strong> dazu sagte<br />

Engels: »Die praktischen For<strong>der</strong>ungen haben allerlei Haken, manche sehn - auf heutige<br />

Verhältnisse angewandt - spießbürgerlich aus ... « 20<br />

17 Moses Heß: "Zwei Reden über Kommunismus", nach Rabehl: "<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> Klassenkampf", Berlin, 1973, S. 14<br />

18 Bernd Rabehl: "<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> Klassenkampf", Berlin, 1973, Seite 15<br />

19<br />

Conert: "Die politischen Gr<strong>und</strong>richtungen innerhalb <strong>der</strong> deutschen Sozialdemokratie vor dem ersten Weltkrieg.",<br />

Offenbach. 1973. Seite 16<br />

20 Engels: "Brief an Kautsky. 31.12.1891". MEW, Bd.38. S.234<br />

52 - Internationale Sozialisten


Dennoch entwickelten sich die Vereine unter dem Druck <strong>der</strong> Arbeiter zu<br />

Kampforganisationen. Es passierte also schon in den Anfängen das, was das Wesen des<br />

Reformismus ausmacht. Die reformistischen Kleinbürger unterhalten nur die<br />

Arbeiterorganisationen, um den Arbeitermassen von oben alle Wohltaten zu geben, um selber<br />

sich dabei einen goldenen Bürokratensessel zu verdienen. Wenn es den Massen schlecht geht,<br />

machen diese Druck von unten. Die Bürokratie gibt diesem Druck nach, um "ihre" Mitglie<strong>der</strong><br />

zu behalten, <strong>und</strong> versucht zum Schluss, ihn auszubremsen.<br />

Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, wenn man glaubt, dass die SPD früher marxistischer war.<br />

Sie war immer reformistisch <strong>und</strong> im entscheidenden Augenblick immer auf <strong>der</strong> Seite des<br />

Kapitals. Sie kontrollierte von Anfang an die Gewerkschaftsbewegung. Trotzdem <strong>und</strong> gerade<br />

deshalb betonten alle klassischen Marxisten von Marx bis Lenin, in diesen Gewerkschaften<br />

arbeiten zu müssen.<br />

Sicher gab es hier o<strong>der</strong> da einmal Illusionen über den revolutionären Charakter <strong>der</strong><br />

Sozialdemokratie. Diese Illusionen müssen wir klar beim Namen nennen, dürfen sie aber auch<br />

nicht überbewerten. Allen Klassikern war gemein, kritisch in diesen Gewerkschaften zu<br />

arbeiten. Die Kommunisten müssen um die Führung kämpfen <strong>und</strong> dazu politisch sich von <strong>der</strong><br />

SPD getrennt organisieren.<br />

SPD <strong>und</strong> DGB haben sich im Spektrum <strong>der</strong> kapitalistischen Weltanschauungen nie geän<strong>der</strong>t.<br />

Deshalb gilt es auch, heute die gleiche Taktik zum DGB anzuwenden wie die Grün<strong>der</strong> des<br />

Kommunismus: Kritische Unterstützung! Wenn die Führung heute, wenn sie Druck von unten<br />

bekommt, "kämpferische" Reden hält, müssen wir sie nach den Taten bewerten <strong>und</strong> nicht von<br />

ihrer Radikalität schwärmen. An<strong>der</strong>erseits dürfen wir auch nicht abseits stehen <strong>und</strong> die ganze<br />

Arbeiterklasse mit unserer Gegnerschaft bestrafen, nur weil sie noch nicht genug Bewusstsein<br />

hat, um sich eine revolutionäre Führung zu geben.<br />

Zur Taktik im DGB<br />

Wir wollen untersuchen, welche Taktik die Grün<strong>der</strong>väter des Kommunismus eingeschlagen<br />

haben.<br />

Die Bedeutung <strong>der</strong> Gewerkschaftsarbeit für klassenkämpferische Marxisten wurde schon in<br />

den Anfängen festgestellt. Eine konsequente Schrift haben wir mit dem "Roten<br />

Gewerkschaftsbuch". Da es 1932 erst geschrieben wurde, waren die in <strong>der</strong> Praxis arbeitenden<br />

Autoren zu <strong>der</strong> Zeit bereits Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> SAP (Sozialistische Arbeiter Partei). Die KPD selber<br />

war schon stalinisiert, also nicht mehr marxistisch.<br />

»Demgegenüber muss revolutionäre Gewerkschaftstätigkeit immer darauf gerichtet sein,<br />

dass das Hauptgewicht auf den Kampfcharakter <strong>der</strong> gewerkschaftlichen Einrichtungen<br />

gelegt wird.«21<br />

Rosa Luxemburg weist auf den Unterschied zu <strong>der</strong> Sozialdemokratie hin, den wir den<br />

Arbeiterkämpfen beimessen.<br />

»Der sozialistische Charakter des gewerkschaftlichen <strong>und</strong> parlamentarischen Kampfes liegt<br />

also bei <strong>der</strong> Bernsteinschen Auffassung in dem Glauben an dessen stufenweise<br />

sozialisierende Einwirkung auf die kapitalistische Wirtschaft. Eine solche Einwirkung ist<br />

aber tatsächlich - wie wir darzutun suchten - bloße Einbildung. Die kapitalistischen<br />

Eigentums- <strong>und</strong> Staatseinrichtungen entwickeln sich nach einer entgegengesetzten Richtung.<br />

Damit aber verliert <strong>der</strong> praktische Tageskampf <strong>der</strong> Sozialdemokratie in letzter Linie<br />

21 En<strong>der</strong>le ... : "Das rote Gewerkschaftsbuch", 1932, Seite 73<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 53


überhaupt jede Beziehung zum Sozialismus. Die große sozialistische Bedeutung des<br />

gewerkschaftlichen <strong>und</strong> politischen Kampfes besteht darin, dass sie die Erkenntnis, das<br />

Bewusstsein des Proletariats sozialisieren, es als Klasse organisieren. Indem man sie als<br />

Mittel <strong>der</strong> unmittelbaren Sozialisierung <strong>der</strong> kapitalistischen Wirtschaft auffasst, versagen sie<br />

nicht nur diese ihnen angedichtete Wirkung, son<strong>der</strong>n büßen zugleich auch die an<strong>der</strong>e<br />

Bedeutung ein: sie hören auf, Erziehungsmittel <strong>der</strong> Arbeiterklasse zur proletarischen<br />

Machtergreifung zu sein.«22<br />

Durch den gewerkschaftlichen Kampf, <strong>der</strong> mit Erfolgen endet, werden wir uns also nicht<br />

Stück für Stück dem Sozialismus nähern. Jede Tariferrungenschaft bekommen wir wie<strong>der</strong> bei<br />

<strong>der</strong> nächsten Preiserhöhung weggenommen. Was aber bleibt, ist das Bewusstsein, das, was <strong>der</strong><br />

Kollege im Kampf gelernt hat. Bleibt <strong>der</strong> Kollege nach dem Kampf nur unter den<br />

Zurückgebliebenen, wird er diese Erfahrungen wie<strong>der</strong> vergessen. Der graue Alltag des<br />

Kapitalismus wird ihm wie<strong>der</strong> seinen Stempel aufdrücken. Daher muss er sich mit<br />

Gleichbewussten zusammenschließen <strong>und</strong> gemeinsam mit ihnen, dem kollektiven Gedächtnis,<br />

die nächste Generation von Kämpfenden beeinflussen <strong>und</strong> organisieren. Nichts an<strong>der</strong>es ist eine<br />

Partei; nicht ein Club von Oberintelligenzlern, son<strong>der</strong>n nur <strong>der</strong> Zusammenschluss <strong>der</strong> bereits<br />

erwachten Kollegen.<br />

Klassenbewusstsein wird nur die Basis <strong>der</strong> Arbeiterklasse bekommen, diejenigen, die ihr<br />

ureigenes Interesse nur im konsequenten Kampf erreichen können. Deshalb ist es notwendig,<br />

sich immer auf die Basis im Betrieb zu stützen, auch nicht auf eine "linke" Bürokratie. Diese<br />

ordnete sich immer <strong>der</strong> rechten Bürokratie unter. Es galt, auch keinen ultralinken Kurs gegen<br />

die Arbeitermassen zu fahren wie die KABD, die 1923 die Arbeitslosen zu<br />

Betriebsbesetzungen aufrief. Die Arbeitslosen wurden von den Arbeitern verprügelt, was dann<br />

zur Auflösung des KABD führte.<br />

Für den Träger <strong>der</strong> revolutionären Position muss man eine unabhängige Partei haben:<br />

»Eine Parteispaltung kann unter Umständen für die weitere Entwicklung des Kampfes <strong>der</strong><br />

Arbeiterklasse um ihre Befreiung notwendig <strong>und</strong> nützlich sein... Ganz an<strong>der</strong>s liegen die<br />

Verhältnisse in <strong>der</strong> Gewerkschaftsbewegung. Auf gewerkschaftlichen Gebiet ist jede<br />

Spaltung prinzipiell abzulehnen. Sie schwächt die Wi<strong>der</strong>standskraft <strong>der</strong> beteiligten Arbeiter<br />

<strong>und</strong> steht daher unter allen Umständen im Wi<strong>der</strong>spruch mit den Interessen <strong>der</strong><br />

Arbeiterbewegung.«23<br />

Für die Taktik in den Gewerkschaften selber kommen die konsequenten Marxisten immer zu<br />

dem Schluss <strong>der</strong> Einheitsgewerkschaft:<br />

»Die Gewerkschaften verneinen, sie gar bekämpfen <strong>und</strong> ihnen neue "bessere"<br />

entgegenstellen zu wollen, weil sie sich so, wie oben geschil<strong>der</strong>t, teilweise "fehlentwickelt"<br />

haben, wäre daher gr<strong>und</strong>falsch. Ganz abgesehen davon, dass alle Erfahrung bei den vielen<br />

Neugründungen die Erfolglosigkeit dieser Bemühungen beweist. Unsere Aufgabe <strong>und</strong> die<br />

aller revolutionär-oppositionell eingestellten Gewerkschafter ist es vielmehr, die<br />

Bonzokratisierung zu verhin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> zu beseitigen, indem wir unablässig kämpfen gegen<br />

den ganzen reformistischen Kurs, für die Revolutionierung <strong>der</strong> Gewerkschaften.<br />

Die gegenwärtige "Tolerierungspolitik" <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> gegenüber den reformistischen<br />

Gewerkschaftsführern wird im tagtäglichen proletarischen Anschauungsunterricht schon<br />

22 Rosa Luxemburg; "Sozialreform o<strong>der</strong> Revolution", IS-Broschüre, S.23<br />

23 En<strong>der</strong>le ... : "Das rote Gewerkschaftsbuch", 1932, Seite 97<br />

54 - Internationale Sozialisten


ald zu Ende gehen. Die Mitglie<strong>der</strong> werden <strong>und</strong> müssen dann die in ihren Verbänden<br />

eingetretene Apparatisierung, Autokratisierung, Bürokratisierung, <strong>und</strong> Bonzokratisierung<br />

radikal überwinden, um die Kampfformen <strong>der</strong> Gewerkschaft wie<strong>der</strong> aktionsfähig zu machen<br />

<strong>und</strong> die Verwaltungsformen entsprechend reorganisieren zu können. Denn die<br />

Gewerkschaften sind "trotz <strong>der</strong> katastrophalen Auswirkungen des reformistischen<br />

Gewerkschaftskurses heute noch das letzte Bollwerk <strong>der</strong> Arbeiterklasse. Ihre Erhaltung,<br />

Aktivisierung <strong>und</strong> Kräftigung ist die entscheidende Vorbedingung eines erfolgreichen<br />

Abwehr- <strong>und</strong> Angriffskampfes gegen die Sozialreaktion <strong>und</strong> den Faschismus!"«24 ("-" =<br />

Gewerkschaftsresolution <strong>der</strong> SAP.)<br />

Manche Scheinlinke gehen sogar so weit, die Gewerkschaft mit irgendwelchen<br />

kapitalistischen Organisationen gleichzusetzen. Aber trotz <strong>der</strong> konservativen, kleinbürgerlichen<br />

Führung gibt es einen wesentlichen Unterschied zu kapitalistischen Standesorganisationen. Die<br />

DGB-Führung wird von ihrer Basis immer wie<strong>der</strong> unter Druck gesetzt <strong>und</strong> muss deshalb<br />

immer wie<strong>der</strong> den Kampf aufnehmen. Das Interesse <strong>der</strong> Bürokratie ist ihr Posten. Sie werden<br />

diese aber verlieren, sollten die Mitglie<strong>der</strong> weggehen. Deshalb müssen sie von Fall zu Fall zum<br />

Kampf aufrufen, aber nur, um diesen wie<strong>der</strong> zu verraten.<br />

Dies unterscheidet sie f<strong>und</strong>amental von den klassischen Kleinbürgern, die zum Faschismus<br />

neigen. Die Bürokraten müssen zum Klassenkampf von unten aufrufen, die Faschisten rufen<br />

aber immer nur zum Frontalangriff gegen die Arbeiterklasse auf.<br />

Wenn natürlich eine Gewerkschaft in eine faschistische Standesorganisation verwandelt<br />

wird, dann wird es eine Organisation des Gegners, <strong>und</strong> keine Taktik wird uns die Massen<br />

näherbringen. Solange aber auch nur formale Demokratie in <strong>der</strong> Gewerkschaft herrscht, wird<br />

unser Platz dort an <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Arbeiter sein.<br />

Die Kleinbürger stehen zwischen den Klassen. Die Gewerkschaftsbürokratie kann aber in <strong>der</strong><br />

Regel nicht zum Faschismus, wie die kleinen Ladenbesitzer, neigen, weil sie von den Arbeitern<br />

nach links gedrückt werden. 25 Wir dürfen uns aber nicht auf die linken Bürokraten stützen,<br />

weil diese sich in Auseinan<strong>der</strong>setzungen immer wie<strong>der</strong> den rechten unterordnen werden, Wir<br />

können uns nur auf die Basis stützen. Trotz <strong>der</strong> Gewerkschaftsführung ist es für Revolutionäre<br />

notwendig, in den reaktionären Gewerkschaften zu arbeiten:<br />

»Der Kapitalismus hinterlässt dem Sozialismus unvermeidlich einerseits die alten, in<br />

Jahrh<strong>und</strong>erten herausgebildeten beruflichen <strong>und</strong> gewerblichen Unterschiede zwischen den<br />

Arbeitern <strong>und</strong> andrerseits die Gewerkschaften. Diese können <strong>und</strong> werden sich nur sehr<br />

langsam, im Laufe vieler Jahre zu breiteren, weniger zünftlerischen Produktionsverbänden<br />

(die ganze Produktionszweige <strong>und</strong> nicht nur einzelne Branchen, Gewerbe <strong>und</strong> Berufe<br />

umfassen) entwickeln 26 <strong>und</strong> erst dann dazu übergehen, vermittels dieser<br />

Produktionsverbände die Arbeitsteilung unter den Menschen aufzuheben <strong>und</strong> allseitig<br />

entwickelte <strong>und</strong> allseitig geschulte Menschen, die alles machen können, zu erziehen, zu<br />

unterweisen <strong>und</strong> heranzubilden. Dahin steuert <strong>der</strong> Kommunismus, dahin muss <strong>und</strong> wird er<br />

24 Ebenda, S.95<br />

25 Vgl. Molyneux: "Was ist die wirklich marxistische Tradition", IS-Broschüre, Seite 24 unten: Die<br />

Gewerkschaftsführer (rechter als SPD) waren gegen Massenstreik, griffen aber dann doch zum politischen<br />

Massenstreik in Sachen Wahlrecht.<br />

26 Im "Roten Gewerkschaftsbuch" wird <strong>der</strong> Schritt <strong>der</strong> Ausführung Lenins Vorschlag in Deutschland beschrieben:<br />

»Auf dem Leipziger Gewerkschaftskongress 1922 wurde zum ersten Male als beson<strong>der</strong>er Tagesordnungspunkt <strong>und</strong> in<br />

bestimmt formulierten Anträgen die Umwandlung <strong>der</strong> Berufsverbände in Industrieorganisationen zur Debatte<br />

gestellt.«, S.69<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 55


gelangen, aber erst nach einer langen Reihe von Jahren. Der Versuch, heute dieses künftige<br />

Ergebnis des vollkommen entwickelten, vollkommen gefestigten <strong>und</strong> herausgebildeten,<br />

vollkommen entfalteten <strong>und</strong> reifen Kommunismus praktisch vorwegzunehmen, wäre<br />

gleichbedeutend damit, einem vierjährigen Kind höhere Mathematik beibringen zu wollen.<br />

Wir können (<strong>und</strong> müssen) beginnen, den Sozialismus aufzubauen, <strong>und</strong> zwar nicht aus einem<br />

phantastischen <strong>und</strong> nicht aus einem von uns speziell geschaffenen Menschenmaterial,<br />

son<strong>der</strong>n aus dem Material, das uns <strong>der</strong> Kapitalismus als Erbteil hinterlassen hat. Das ist<br />

sehr "schwer", wer will es leugnen, aber jedes an<strong>der</strong>e Herangehen an diese Aufgabe ist so<br />

wenig ernst, dass es gar nicht lohnt, davon zu reden.<br />

Zu Beginn <strong>der</strong> Entwicklung des Kapitalismus bedeuteten die Gewerkschaften als Übergang<br />

von <strong>der</strong> Zersplitterung <strong>und</strong> Hilflosigkeit <strong>der</strong> Arbeiter zu den Anfängen einer<br />

Klassenvereinigung einen riesigen Fortschritt <strong>der</strong> Arbeiterklasse. Als die höchste Form <strong>der</strong><br />

Klassenvereinigung <strong>der</strong> Proletarier, die revolutionäre Partei des Proletariats (die ihren<br />

Namen nicht verdient, solange sie es nicht gelernt hat, die Führer mit <strong>der</strong> Klasse <strong>und</strong> mit den<br />

Massen zu einem Ganzen, zu etwas Untrennbarem zu verbinden), sich herauszubilden<br />

anfing, da begannen die Gewerkschaften unvermeidlich gewisse reaktionäre Züge zu<br />

offenbaren, eine gewisse zünftlerische Beschränktheit, eine gewisse Neigung zur politischen<br />

Indifferenz, eine gewisse Stagnation usw. Aber an<strong>der</strong>s als vermittels <strong>der</strong> Gewerkschaften,<br />

an<strong>der</strong>s als durch ihr Zusammenwirken mit <strong>der</strong> Partei <strong>der</strong> Arbeiterklasse ging die<br />

Entwicklung des Proletariats nirgendwo in <strong>der</strong> Welt vor sich <strong>und</strong> konnte auch nicht vor sich<br />

gehen. Die Eroberung <strong>der</strong> politischen Macht durch das Proletariat bedeutet für das<br />

Proletariat als Klasse einen riesigen Schritt vorwärts, <strong>und</strong> die Partei muss noch mehr <strong>und</strong><br />

auf neue, nicht nur auf alte Art die Gewerkschaften erziehen <strong>und</strong> leiten, darf aber<br />

gleichzeitig nicht vergessen, dasx sie eine unentbehrliche "Schule des Kommunismus" sind<br />

<strong>und</strong> noch lange bleiben werden, eine Vorbereitungsschule für die Proletarier zur<br />

Verwirklichung ihrer Diktatur, eine unentbehrliche Vereinigung <strong>der</strong> Arbeiter für den<br />

allmählichen Übergang <strong>der</strong> Verwaltung <strong>der</strong> gesamten Wirtschaft des Landes in die Hände<br />

<strong>der</strong> Arbeiterklasse (aber nicht einzelner Berufszweige) <strong>und</strong> sodann aller Werktätigen.« 27<br />

Die Gewerkschaft nach 1945<br />

Nach 1945 entwickelten sich neue Chancen für eine Radikalität. Überall in Deutschland<br />

gründeten sich an <strong>der</strong> Basis "Antifa-Komitees", die die Betriebsorganisationen ohne Kontrolle<br />

einer reformistischen Gewerkschaftsführung selbständig in die Hand nahmen. Nicht nur die<br />

Betriebe wurden in Selbstverwaltung wie<strong>der</strong> aufgebaut, son<strong>der</strong>n auch die Organisation in den<br />

Städten wurden von ihnen angegangen:<br />

»Fast ausnahmslos wurden die alliierten Truppen bei <strong>der</strong> Besetzung größerer deutscher<br />

Städte von Delegationen linker Antifaschisten empfangen, die fertige Programme,<br />

Kandidaten für die örtliche Verwaltung <strong>und</strong> Unterstützung bei <strong>der</strong> Durchführung <strong>der</strong><br />

Entnazifizierung bereit hielten. Ihre Untergr<strong>und</strong>organisationen hatten die Gr<strong>und</strong>lage für<br />

eine rasche Rekrutierungskampagne vorbereitet. « 28<br />

Es gab insgesamt gute Bedingungen für den Aufbau einer neuen Gewerkschaft von unten.<br />

Die US-Amerikaner hatten aber schon vorsorglich zusammen mit <strong>der</strong> SPD <strong>und</strong> den KPD'lern<br />

den Aufbau <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gewerkschaften in Amerika, wo sich ein großer Teil<br />

<strong>der</strong> Emigranten befand, gut durchorganisiert <strong>und</strong> jegliche Selbstorganisation untersagt. Die<br />

27 W.I. Lenin: "Der 'linke Radikalismus', die Kin<strong>der</strong>krankeit im Kommunismus", April 1920. Seite 20, IS-Broschüre<br />

28 Schmidt/Fichter: "Der erzwungene Kapitalismus", Berlin, 1971, Seite 9<br />

56 - Internationale Sozialisten


eingesetzten Gewerkschaftsführer in den englischen Zonen glaubten sogar, mit dem britischen<br />

Militär den "Sozialismus" einzuführen, schließlich war dort ja die Labour-Party an <strong>der</strong><br />

Regierung.<br />

Da es den Druck von unten in Richtung Arbeiterkontrolle gab, wurden Scheinmaßnahmen<br />

durchgeführt. Die Entflechtung <strong>der</strong> Großkonzerne, z.B. des Chemie-Monopols <strong>der</strong> IG Farben<br />

in Hoechst, Bayer <strong>und</strong> BASF wurde als Sozialismus ausgegeben, treu <strong>der</strong> Maxime, dass die<br />

Monopole allein schuld an <strong>der</strong> kapitalistischen Misswirtschaft <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kollaboration mit Hitler<br />

seien. Dabei diente die Entflechtung nichts an<strong>der</strong>em als <strong>der</strong> besseren Ausgangsposition <strong>der</strong><br />

Alliierten im weltweiten Konkurrenzkampf <strong>und</strong> <strong>der</strong> politischen Stärkung <strong>der</strong> alliierten<br />

Kommissare.<br />

Die Vorgänge von 1945 belegen, dass die DGB-Gewerkschaftsführer für eine<br />

Sozialpartnerschaft <strong>und</strong> nicht für den Klassenkampf eintreten. 29 Im Betriebsverfassungsgesetz<br />

wurde die Pflicht zur Sozialpartnerschaft <strong>und</strong> die Absage an den Klassenkampf verankert.<br />

Im Betriebsverfassungsgesetz von 1934 wurde <strong>der</strong> Kampf für den Nutzen des Volkes<br />

festgeschrieben.<br />

»Im Betriebe arbeiten <strong>der</strong> Unternehmer als Führer des Betriebs, die Angestellten <strong>und</strong><br />

Arbeiter als Gefolgschaft gemeinsam zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Betriebszwecke <strong>und</strong> zum gemeinen<br />

Nutzen von Volk <strong>und</strong> Staat.« 30<br />

Im BVG von 1952 wurden die Gewerkschafter immer noch im § 2 auf das Gemeinwohl<br />

festgesetzt:<br />

»Arbeitgeber <strong>und</strong> Betriebsrat arbeiten im Rahmen <strong>der</strong> geltenden Tarifverträge<br />

vertrauensvoll <strong>und</strong> im Zusammenwirken mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften <strong>und</strong><br />

Arbeitgebervereinigungen zum Wohl des Betriebes <strong>und</strong> seiner Arbeitnehmer unter<br />

Berücksichtigung des Gemeinwohles zusammen« 31<br />

Ob also Faschismus o<strong>der</strong> liberale Demokratie, beides mal muss das gleiche Interesse dahinter<br />

stehen, das des großen Geldes. In dem BVG 1972 wurde zwar das Gemeinwohl gestrichen,<br />

aber es ist inzwischen soweit von <strong>der</strong> Öffentlichkeit verinnerlicht worden, dass es im Gesetz<br />

nicht mehr notwendig schien. Wie selbstverständlich wird regelmäßig bei jedem Streik von <strong>der</strong><br />

bürgerlichen Journaille ohne größere Proteste mit dem Hinweis auf ein "Gemeinwohl" gegen<br />

jeden Streik zu Felde gezogen.<br />

Der Betriebsrat darf sich nicht für die Interessen <strong>der</strong> Arbeiter einsetzen, son<strong>der</strong>n muss den<br />

"Betriebsfrieden" wahren, er ist nach dem BVG lediglich Vermittler zwischen Kapital <strong>und</strong><br />

Arbeit. Auf diese Funktion wurden auch die jetzigen Arbeitervertreter von den Alliierten<br />

zurechtgestutzt. Die SPD-Bürokraten spielten natürlich dieses Spiel mit. Sie trugen nicht<br />

darum Sorge, dass <strong>der</strong> Einfluss <strong>der</strong> alten faschistischen Unternehmer wie<strong>der</strong> eingeführt wurde,<br />

son<strong>der</strong>n dass die Arbeiter selbsttätig werden könnten:<br />

»In <strong>der</strong> Bereitschaft <strong>der</strong> verhandelnden Gewerkschaftsfunktionäre, sich den Bedingungen<br />

<strong>der</strong> Militärregierungen zu unterwerfen, ohne die Arbeiter zur Durchsetzung ihrer<br />

For<strong>der</strong>ungen zu mobilisieren, kündigt sich bereits das spätere Verhältnis von<br />

Gewerkschaftsspitze <strong>und</strong> <strong>der</strong> Masse <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> an.« 32<br />

29 Vgl. <strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: "Generalstreik 1948. Nie wie<strong>der</strong> Krupp". S.37<br />

30 BVG, Nachrichten-Verlags-Gesellschaft, Ffm., 1972, Seite 14<br />

31 Ebda., Seite 14<br />

32 Ebda., Seite 21<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 57


»Um den wachsenden Einfluss linker Betriebsräte zurückzudrängen, führte die britische<br />

Militärregierung die paritätische Mitbestimmung ein, mit <strong>der</strong> Absicht, die Gewerkschaften<br />

zum Ordnungsfaktor zu machen.« 33<br />

Böckler for<strong>der</strong>te schon 1918, dass Betriebsräte Vermittler sein sollen, nicht Vertreter <strong>der</strong><br />

Arbeiter.<br />

Auch die stalinisierte KPD verfolgte kein an<strong>der</strong>es Programm:<br />

»Die Taktik wurde auf dem Bezirksparteitag <strong>der</strong> KPD-Ruhrgebiet am 9.2.1947 festgelegt:<br />

"In <strong>der</strong> Agitation unter den Massen kommt es darauf an, den notwendigen politischen Druck<br />

zu erzeugen, um die endgültigen Schritte zur Entmachtung <strong>der</strong> Monopolisten durch<br />

Übereignung <strong>der</strong> Betriebe in die öffentliche Hand zu tun. Wir wollen diese konkreten Schritte<br />

gemeinsam mit <strong>der</strong> SPD, den Gewerkschaften <strong>und</strong> den fortschrittlichen Kräfte des<br />

Bürgertums, die dazu bereit sind, tun..."« 34<br />

Schließlich ging es darum, im Interesse des russischen Außenhandels <strong>und</strong> nach den<br />

Arrangements von Jalta die Kommunistischen Parteien dazu zu bewegen, den Sowjets Respekt<br />

in <strong>der</strong> Welt zu verschaffen:<br />

»Wo immer sich die Möglichkeit bot«, schreibt lan Birchall, »strebten die KPen die<br />

Beteiligung an Koalitionsregierungen an. Unter den Län<strong>der</strong>n, die Anfang 1947 KP-Minister<br />

hatten, waren Österreich, Belgien, Frankreich, Island, Italien, Chile <strong>und</strong> Finnland. Das<br />

Schema - Unterstützung <strong>der</strong> Produktion <strong>und</strong> Opposition gegen Streiks - war überall<br />

ähnlich.« 35<br />

Auch nach Stalins Tod sollte sich die Linie <strong>der</strong> Kommunistischen Parteien für die<br />

Sozialpartnerschaft bzw. den Sozialfrieden <strong>und</strong> gegen den Klassenkampf nicht än<strong>der</strong>n. Im<br />

November 1960 erklärten in Moskau ein<strong>und</strong>achtzig KPen noch deutlicher:<br />

»Die Politik <strong>der</strong> friedlichen Koexistenz entspricht den Gr<strong>und</strong>interessen aller Völker, die alle<br />

keine grausamen Kriege wollen <strong>und</strong> dauerhaften Frieden suchen. Diese Politik stärkt die<br />

Positionen des Sozialismus, steigert das Ansehen <strong>und</strong> den internationalen Einfluss <strong>der</strong><br />

sozialistischen Län<strong>der</strong> <strong>und</strong> för<strong>der</strong>t das Ansehen <strong>und</strong> den Einfluss <strong>der</strong> kommunistischen<br />

Parteien in den kapitalistischen Län<strong>der</strong>n. Der Friede ist ein zuverlässiger Verbündeter des<br />

Sozialismus, denn die Zeit arbeitet für den Sozialismus, gegen den Kapitalismus.« 36<br />

Dieses Dokument spiegelt den Reformismus <strong>der</strong> Moskau-"Kommunisten" überdeutlich<br />

wie<strong>der</strong>. »Einfluss <strong>der</strong> kommunistischen Parteien in den kapitalistischen Län<strong>der</strong>n« heißt nichts<br />

an<strong>der</strong>es als die Verneinung <strong>der</strong> marxistischen Staatstheorie, die besagt, dass <strong>der</strong> Staat das<br />

Instrument <strong>der</strong> herrschenden Klasse ist, im Kapitalismus ist er <strong>der</strong> relativ unabhängige ideelle<br />

Gesamtkapitalist. Das Kapital entscheidet also letztlich langfristig <strong>und</strong> <strong>der</strong> Einfluss von<br />

Kommunisten ist gleich Null.<br />

Unser Einfluss muss bei <strong>der</strong> Arbeiterbasis liegen <strong>und</strong> nur in <strong>der</strong> Richtung des konsequenten<br />

Gewerkschafters, <strong>der</strong> keinen "Frieden" mit dem System macht; einen Frieden, den es nur in<br />

den Wunschvorstellungen von irgendwelchen stalinistischen Funktionären gibt - die<br />

herrschende Klasse im Kapitalismus jedenfalls erklärt uns Arbeitern den Krieg jeden Tag aufs<br />

Neue.<br />

Die Gewerkschaften hatten nicht nur seit ihrer Gründung antimarxistische Führer. Auch bei<br />

ihrer Neugründung 1945 spannten die Reformisten den DGB vor ihren Karren <strong>und</strong> die<br />

33<br />

Ebda., Seite 33<br />

34<br />

Schmidt, Fichter: "Der erzwungene Kapitalismus", 1971, Seite 24<br />

35<br />

Ian Birchall: "Arbeiterbewegung <strong>und</strong> Parteiherrschaft", S.48 Ebda., S.94<br />

36 Ebda., S.94<br />

58 - Internationale Sozialisten


sogenannten Kommunisten in <strong>der</strong> KPD bildeten keine Ausnahme. Die Chance, für einen<br />

basisorientierten Wie<strong>der</strong>aufbau wurde mit Hilfe <strong>der</strong> Alliierten, <strong>der</strong> SPD <strong>und</strong> <strong>der</strong> KPD vertan.<br />

Ab Mitte <strong>der</strong> 50er bis hinein in die frühen 70er Jahre erlebte die BRD einen langanhaltenden<br />

Aufschwung. Der Rüstungshaushalt <strong>der</strong> USA betrug noch vor dem Krieg in Friedenszeiten nur<br />

1,5% vom Bruttosozialprodukt, 1945 stieg er bis zum Ende des Vietnam-Krieges<br />

durchschnittlich auf 10%. Dies führte weltweit zu einer massenhaften zusätzlichen<br />

Nachfrage 37 . Der langanhaltende Aufschwung führte zur weiteren Stärkung des Reformismus.<br />

Der Verteilungsspielraum wurde beson<strong>der</strong>s bei den lmperialisten größer. Es konnte über<br />

Verhandlungen noch etwas rausgeholt werden. Verhandlungsführer waren die<br />

Sozialdemokraten. Daher rührt ihre Stärke. Die Reformisten verstehen Demonstrationen immer<br />

nur als Unterstützung für ihre Verhandlungen, nicht als einen Kampf <strong>der</strong> Basis für ihre eigenen<br />

Interessen. Aber nur in einem Kampf, den die Arbeiter für ihre eigenen Interessen, nicht denen<br />

<strong>der</strong> Bürokraten, führen, entsteht Klassenbewusstsein.<br />

Dennoch müssen die Kommunisten auch diese Kämpfe unterstützen, weil sie letztlich die<br />

Schule für weitergehende Kämpfe sind. Nur hier können die Arbeitermassen lernen, dass in<br />

von Reformisten geführten Kämpfen sie ihre Interessen nicht durchsetzen können. Nur <strong>der</strong><br />

konsequente Kampf wird sie zum Sieg führen können.<br />

Ein relativ großer Stillstand im Klassenkampf herrschte über 30 Jahre. Erst Ende <strong>der</strong> 60er<br />

Jahre än<strong>der</strong>te sich die Lage. In den Universitäten <strong>der</strong> Welt entstand 65/66 eine radikale<br />

Bewegung, die sich gegen die autoritären Strukturen auflehnte. Sie inspirierte die<br />

Arbeiterbewegung. lm Mai 1968 traten 10 Millionen Arbeiter in Frankreich in den<br />

Generalstreik, so dass De Gaulle schon an eine Flucht dachte. Erst <strong>der</strong> Verrat <strong>der</strong> Sozialisten<br />

<strong>und</strong> Moskau-"Kommunisten" rettete die Regierung.<br />

Erst die Radikalität <strong>der</strong> Arbeiter führte die Studenten zu <strong>der</strong> kommunistischen Haltung, dass<br />

die Arbeiterklasse das revolutionäre Subjekt ist. Dies geschah aber nur in <strong>der</strong> kleinbürgerlichen<br />

Form des orthodoxen Moskau-Stalinismus, des Mao-Stalinismus im reinen Peking o<strong>der</strong> Tirana-<br />

Kleid <strong>und</strong> auch dem Che-Utopismus o<strong>der</strong> höchstens in <strong>der</strong> orthodoxen trotzkistischen Form als<br />

Steigbügelhalter des Stalinismus.<br />

Die Doppelstrategie <strong>der</strong> "neuen" Linken im DGB<br />

Da die DGB-Führung sich orientiert am Reformismus, an <strong>der</strong> Klassenversöhnung, muss man<br />

natürlich eine konsequente Opposition aufbauen, aber im DGB. Wie anfangs schon<br />

beschrieben, sind wir als Kommunisten für eine Einheitsgewerkschaft <strong>und</strong> gegen eine<br />

stalinistische RGO-Politik 38 . Aber nicht um jeden Preis. Wir müssen auch eine konsequente<br />

Gewerkschaftsarbeit durchführen, auch unter <strong>der</strong> Gefahr, von <strong>der</strong> Gewerkschaftsführung<br />

ausgeschlossen <strong>und</strong> damit auch mit <strong>der</strong> Kündigung bedroht zu werden. Unser Ziel muss es<br />

37 Vgl. Christoph Deutschmann: "Der linke Keynesianismus", S.139. Bei <strong>der</strong> Heranziehung dieser Zahlen weist<br />

Deutschmann noch darauf hin, dass in <strong>der</strong> gleichen Zeit die Sozialausgaben kaum verän<strong>der</strong>t wurden (1929 = 10,7%,<br />

1959 = 10,9% vom Bruttosozialprodukt)<br />

38 Revolutionäre Gewerkschafs-Opposition: Die Politik <strong>der</strong> RGO beruhte auf <strong>der</strong> Einschätzung <strong>der</strong> reformistischen<br />

Gewerkschaften als direktes Werkzeug <strong>der</strong> kapitalistischen Organisationen. Die von <strong>der</strong> (stalinistischen) KPD unter<br />

Thälmann seit 1928 propagierte RGO-Politik verzichtete zunächst auf die Bildung selbständiger Gewerkschaften.<br />

Erstes Ziel war das Herausdrängen <strong>der</strong> reformistischen Führung <strong>und</strong> das Führen von gewerkschaftlichen Kämpfen<br />

ohne <strong>und</strong> gegen die Gewerkschaften. Bald wurden jedoch für die in den Betrieben arbeitenden Gruppen <strong>der</strong> RGO<br />

eigene Mitgliedskarten ausgegeben <strong>und</strong> bei den Betriebsratswahlen eigene Listen aufgestellt. Schließlich wurden die<br />

ersten selbständigen Verbände gebildet <strong>und</strong> auch die For<strong>der</strong>ung "Hinein in die Gewerkschaften" aufgegeben. Die<br />

Praxis lief auf eine Spaltung hinaus, die - zusammen mit <strong>der</strong> Sozialfaschismustheorie, die die SPD zum Hauptfeind<br />

erklärte - zu einer Schwächung <strong>der</strong> Arbeiterbewegung im Kampf gegen den Faschismus führte.<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 59


dabei aber immer bleiben, den Kampf zu führen, um in die Einheitsgewerkschaft wie<strong>der</strong><br />

zurück zu kommen.<br />

Die Gewerkschaftsführung war schon seit ihren Anfängen rechts, <strong>und</strong> trotzdem haben die<br />

Väter des Kommunismus wie Rosa Luxemburg <strong>und</strong> die leninistischen KPD’ler in ihr<br />

gearbeitet. Es ist daher vollkommen falsch, nur heute den DGB als Integrationsfaktor zu<br />

bestimmen <strong>und</strong> daraus abzuleiten, dass man deshalb nur in "autonomen Gruppen" arbeiten<br />

müsse. An<strong>der</strong>erseits ist es auch vollkommen illusionär, zu glauben, dass die Kommunisten die<br />

Gewerkschaftsführung zu radikalen Positionen drängen könnten.<br />

Auch die linken Bürokraten können als Gruppe nicht zu konsequenten Positionen kommen,<br />

höchstens einzelne. Die linke Bürokratie wird von <strong>der</strong> rechten bezahlt <strong>und</strong> deshalb immer sich<br />

ihnen unterordnen <strong>und</strong> den Weg <strong>der</strong> "faulen" Kompromisse gehen. Daher dürfen wir uns<br />

immer nur auf die Basis in den Betrieben stützen.<br />

Die DGB-Führung fand immer einen Weg, um unliebsame Kollegen auszuschließen, <strong>und</strong> ein<br />

Ausschluss aus <strong>der</strong> Gewerkschaft ist meist auch ein Signal für die Kapitalisten, den Arbeiter zu<br />

kündigen.<br />

Der Vorstand des DGB hatte am 3.10.1973 die "Unvereinbarkeitsbeschlüsse" erlassen.<br />

Danach war die Tätigkeit (Mitgliedschaft) o<strong>der</strong> die Unterstützung von linksextremen<br />

"gegnerischen" Parteien wie <strong>der</strong> Mao-KPD <strong>und</strong> <strong>der</strong> KPD/ML o<strong>der</strong> dem KBW mit <strong>der</strong><br />

Mitgliedschaft in <strong>der</strong> IGM unvereinbar.<br />

Ausschlüsse hagelte es nicht nur gegen Kommunisten. Auch konsequente Gewerkschafter,<br />

ganze Gruppen o<strong>der</strong> auch einzelne "linke" Bürokraten, die sich mit <strong>der</strong> Basis solidarisierten,<br />

wurden ausgeschlossen. Die GEW schloss sogar den ganzen Berliner Landesverband aus.<br />

Die Unterdrückung <strong>der</strong> klassenkämpferischen Kollegen durch das Kapital ist bekannt.<br />

Schließlich hat es viel zu verlieren. Aber zu welchen kriminellen Methoden es dabei manchmal<br />

greift, verschlägt einem doch den Atem:<br />

»Der Fall ist durch die bürgerliche Presse gegangen: <strong>der</strong> 23 Jahre alte Walter Zaschke,<br />

Warenannahmeleiter bei <strong>der</strong> Lebensmittelkette toom in Taunusstein bei Frankfurt,<br />

Betriebsratsvorsitzen<strong>der</strong>, sollte mit Hilfe einer fingierten Rauschgift-Affäre entlassen<br />

werden. Ein Detektiv, früher Hauptmeister bei <strong>der</strong> Frankfurter Kripo, stellte die Falle. Er<br />

legte in ein Schließfach im Frankfurter U-Bahnhof Hauptwache eine Tasche mit einem<br />

geladenen Trommelrevolver, Morphium <strong>und</strong> Spritzen. In <strong>der</strong> Innentasche steckte ein Zettel<br />

mit <strong>der</strong> Adresse von Walter Zaschke. Dann verständigte er die Polizei. Als er später selbst<br />

reingefallen war, nannte er seine Hintermänner: den "toom"-Geschäftsführer Siegfried<br />

Hübner <strong>und</strong> dessen Assistent Dieter Hoffman ... «39<br />

Die Gewerkschaftsbonzen sind nur Handlanger dieser kriminellen Vereinigung. Dennoch<br />

kommen sie sich nicht zu blöd vor, auch die offenste Zusammenarbeit mit dem Kapital als<br />

Vertretung für die Arbeiter auszugeben. Hierfür nur ein schönes Beispiel von <strong>der</strong> damaligen<br />

Farbwerke Hoechst:<br />

»Im September 1974 wurde einigen Kollegen bekannt, dass versteckt am Haupttor <strong>der</strong><br />

Hoechst AG, eine Fernsehkamera mit Nahaufnahmemöglichkeit eingebaut worden war. Auf<br />

den Betriebsversammlungen Anfang Oktober wurde, von den heute vom Ausschluss<br />

bedrohten Kollegen, die Unternehmensleitung aufgefor<strong>der</strong>t, die Kamera wie<strong>der</strong> abzubauen,<br />

da sie mitbestimmungspflichtig sei (§87,6) <strong>und</strong> <strong>der</strong> BR sicherlich nicht zugestimmt hätte.<br />

Daraufhin antwortete <strong>der</strong> BR-Vorsitzende Rolf Brand, anstelle <strong>der</strong> angesprochenen<br />

39 Informations-Dienst, Frankfurt, 12.3.1977<br />

60 - Internationale Sozialisten


Werksleitung, die Kamera diene nur zur Verkehrsüberwachung <strong>und</strong> sei daher nicht<br />

mitbestimmungspflichtig. Direktor Boullion bestätigte dies.« 40<br />

Das sind nur 2 Beispiele <strong>der</strong> kriminellen Machenschaften des Kapitals <strong>und</strong> ihrer Handlanger<br />

<strong>und</strong> von Verfolgungen kämpferischer Gewerkschafter. Diese Beispiele ließen sich ellenlang<br />

fortsetzen. Dies ist aber nicht Ziel dieses Artikels, <strong>der</strong> sich auf diese beiden Beispiele<br />

beschränken soll, die aber symptomatisch sind dafür, was uns Kommunisten in den Betrieben<br />

erwartet.<br />

Wir wollen also nicht verniedlichen, zu welchen perfiden Mitteln die Gewerkschaftsführung<br />

greifen kann. Dennoch können wir auf die Massen <strong>der</strong> Arbeiterschaft nur im DGB treffen.<br />

Deshalb arbeiten wir einerseits im DGB <strong>und</strong> seinen Strukturen wie Vertrauensleutekörper,<br />

an<strong>der</strong>erseits müssen wir auch in kämpferischen Zeiten die kämpferischen Kollegen unabhängig<br />

von <strong>der</strong> Führung organisieren.<br />

Wir dürfen nicht die Pflicht zur Einheit o<strong>der</strong> die Einrichtung "autonomer" Gruppen als<br />

Alternative sehen. Man sollte einfach beides machen: in <strong>der</strong> Gewerkschaft arbeiten <strong>und</strong> dabei<br />

sich unabhängig organisieren. Wenn wir Einfluss auf die gewerkschaftliche Betriebsarbeit, auf<br />

die gewerkschaftliche Ortsgruppenarbeit etc. nehmen wollen, können wir das nicht vereinzelt,<br />

son<strong>der</strong>n nur organisiert.<br />

Die Radikalität <strong>der</strong> Studenten konnte trotz Stalinismus vereinzelt auf die Arbeiterklasse<br />

rückwirken. Schon Ende <strong>der</strong> 60er ergaben sich erste Unzufriedenheiten in <strong>der</strong> Arbeiterschaft.<br />

Einerseits belasteten erste Anzeichen <strong>der</strong> kommenden Krise die Arbeiter, an<strong>der</strong>erseits gab es<br />

noch keine Massenarbeitslosigkeit, die die Arbeiter meistens zu spalten droht. Zu den Kollegen<br />

gab es erste Kontakte auf den Demonstrationen <strong>und</strong> in den Universitäten - zu <strong>der</strong>en<br />

Diskussionen auch die interessierten Arbeiter kamen. Nach dem Studium gingen auch bewusst<br />

manche Ex-Studenten in die Großbetriebe.<br />

Mit zu den ersten Ergebnissen <strong>der</strong> wenigen Kontakte zwischen radikalisierten Studenten <strong>und</strong><br />

Arbeiter zählte <strong>der</strong> Streik bei Ford Köln im August 1973 <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kampf <strong>der</strong> Frauen bei<br />

Pierburg, Neuss, am 13.8.73 gegen die niedrigen Frauentarife. Trotz des massiven Einsatzes<br />

<strong>der</strong> Polizei in Köln <strong>und</strong> Neuss kämpften die Frauen bei Pierburg konsequent weiter gegen die<br />

"Leichtlohngruppe". In Köln gelang <strong>der</strong> Geschäftsleitung mit Hilfe des IGM-Betriebsrates die<br />

Spaltung in deutsche <strong>und</strong> ausländische Arbeiter, <strong>und</strong> sie konnte so den Streik zerschlagen. In<br />

Neuss aber solidarisierten sich die deutschen Facharbeiter, die meist das doppelte verdienten,<br />

mit den ausländischen Frauen. Somit konnte <strong>der</strong> Kampf um die Abschaffung <strong>der</strong><br />

"Leichtlohngruppe" erfolgreich beendet werden.<br />

Ein Pierburg-Arbeiter beschrieb damals die Ereignisse:<br />

»Der Hof füllte sich, <strong>und</strong> um genau 900 Uhr legen <strong>der</strong> Werkzeugbau <strong>und</strong> weitere<br />

Facharbeiter die Arbeit nie<strong>der</strong>. Die Werkstore sind plötzlich offen, <strong>und</strong> die Frauen strömen<br />

den deutschen Männern entgegen. Eine echte Welle <strong>der</strong> Solidarität breitet sich in<br />

Sek<strong>und</strong>enschnelle über den gesamten Betrieb aus. Man umarmt sich, ruft gemeinsam<br />

Parolen. Im Nu hat es sich überall herumgesprochen: Die deutschen Männer haben den<br />

Hammer fallen lassen. Damit hatten die Manager nicht gerechnet. Die jahrelange Mühe <strong>und</strong><br />

Diskriminisierungsarbeit waren vergeblich gewesen.« 41<br />

Aus dem Jahr 1973 gingen auch weitere Kämpfe von Mannesmann in Duisburg,<br />

Küppersbusch in Gelsenkirchen, Rheinstahl in Brackwede, <strong>der</strong> Saarbergleute usw. <strong>und</strong> 1974<br />

40 Dokumentation zum Ausschlußantrag gegen 6 IG-Chemie-Kollegen in <strong>der</strong> Hoechst AG", 1976, S.2<br />

41 nach SAG: "Die ausländischen Arbeiter in <strong>der</strong> Krise", Ffm. 1975, S.69<br />

41<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 61


<strong>der</strong> Besetzungsstreik bei den Zementwerken Seibel & Söhne in Erwitte in die<br />

Arbeitergeschichte ein.<br />

Diese Kämpfe ab 1969 inspirierten wie<strong>der</strong>um die linken Gruppen zu einer kontinuierlichen<br />

Betriebsarbeit. Bekannt wurden die Gruppen bei Mercedes um Hoss (später grüner Europa-<br />

Abgeordneter) <strong>und</strong> Mühleisen <strong>und</strong> bei Opel-Bochum. Von Anfang an hatten alle mit einer<br />

Diffarmierungskampagne seitens <strong>der</strong> Gewerkschaftsführung zu tun.<br />

Zuerst ist es immer im Betrieb wichtig, eine kontinuierliche Vertrauensleutearbeit zu<br />

machen. Die Vertrauensleute vertreten die gewerkschaftlich Organisierten im Betrieb.<br />

Diese Vertrauensleutearbeit sollte man fast immer machen, weil man hier die Diskussionen,<br />

die im Betrieb unter den Arbeitern laufen, sehr genau mitbekommt. Vertrauensleutekörper<br />

werden 2008 aber lei<strong>der</strong> nur noch in wenigen Metallbetrieben installiert, weil die<br />

Gewerkschaftsführung den Linken eben möglichst wenig Plattformen zu bieten.<br />

Wie wir bereits aus <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> des DGB wissen, hatte er sich immer mehr vom<br />

Vertrauensleutekörper wegorientiert. Noch vor dem ersten Weltkrieg standen die<br />

gewerkschaftlichen Vertrauensleute im Mittelpunkt <strong>der</strong> gewerkschaftlichen Arbeit <strong>und</strong><br />

befanden sich oft in organisierter Opposition zu ihrer Gewerkschaftsführung. Die<br />

revolutionären Obleute (Vertrauensleute) stellten schließlich die Kerne <strong>der</strong> revolutionären<br />

Bewegung 1918 in den Betrieben. Sie waren allerdings sehr schlecht von <strong>der</strong><br />

Gewerkschaftsbrükratie zu kontrollieren. Mit Hilfe <strong>der</strong> Alliierten konnte dieses Zentrum aber<br />

zerschlagen werden. Es gab Vorstellungen, sogar in den Betrieben selbst keinerlei<br />

Organisationen aufzubauen, weil eine Betriebsorganisation dem Gewerkschaftsapparat<br />

gefährlich werden könnte.<br />

Daher statteten die Sozialdemokraten die Betriebsräte mit größerer Macht aus. Diese wurden<br />

vom Kapital bezahlt <strong>und</strong> waren deshalb auch eher bereit, sich korrumpieren zu lassen.<br />

Beson<strong>der</strong>s das Betriebsverfassungsgesetz von 1976 gab den Betriebsräten mehr Bedeutung.<br />

Die Gewerkschaftsführung stützte sich fortan auf diese, nicht mehr auf den VLK. Wie es <strong>der</strong><br />

Vorstand <strong>der</strong> IGM ausdrückt, brauchen die »Betriebsräte beson<strong>der</strong>e Unterstützung <strong>der</strong> IG-<br />

Metall«. 42 »Die Zusammenarbeit von Vertrauenskörper, Betriebsrat <strong>und</strong> Jugendvertretung<br />

hebt die Unabhängigkeit dieser Organe nicht auf ...« 43 Dies bedeutet nichts an<strong>der</strong>es, als dass<br />

die ursprüngliche Aufgabe des VLK, die Interessen <strong>der</strong> gewerkschaftlichen Belegschaft im<br />

Betrieb <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Gewerkschaft zu vertreten, nicht mehr galt. Statt dessen mussten die<br />

Vertrauensleute die Beschlüsse <strong>der</strong> Betriebsräte <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gewerkschaftsführung in ihren<br />

Abteilungen bekannt geben <strong>und</strong> durchsetzen.<br />

Weil <strong>der</strong> Betriebsrat heute mehr Aufgaben hat, ist es aber unumgänglich für eine ernsthafte<br />

Politik in kämpferischen Zeiten, auch Betriebsratsarbeit zu machen. Die Betriebsräte werden<br />

von allen Kollegen gewählt <strong>und</strong> sollten <strong>der</strong>en Interessen vertreten. Das Kapital <strong>und</strong> sein<br />

sozialdemokratischer Handlanger will den Betriebsrat aber immer auf die Vermittlerrolle<br />

festlegen. Die Betonung liegt hier auf "kämpferische Zeiten". Vertrauensleutearbeit gilt es,<br />

je<strong>der</strong>zeit zu machen, weil hier die Aufgabe, die Interessen <strong>der</strong> Kollegen zu vertreten, klar<br />

eingeschränkt ist. Bei <strong>der</strong> Betriebsratsarbeit aber gerät man schnell in die Gefahr,<br />

stellvertretend für die Kollegen zu handeln. Man ist frei gestellt, daher beson<strong>der</strong>s privilegiert,<br />

man verfügt über Büro <strong>und</strong> Material <strong>und</strong> über alle wichtigen Informationen. Also Vorsicht vor<br />

Stellvertretertum <strong>und</strong> Substitutionismus. Es ist eine revolutionäre Betriebsratarbeit nur bei<br />

einer kämpferischen Belegschaft denkbar. So, wie jetzt im Dezember 2008 die stürzenden<br />

42 Leitsätze zur Vertrauenleutearbeit, Ziffer 10<br />

43 ebda., Ziffer 12<br />

62 - Internationale Sozialisten


Wirtschaftsmeldungen hereinflattern, ist aber auch eine ruhige Belegschaft nicht mehr lange<br />

denkbar.<br />

Wichtig ist aber, Vertrauensleute <strong>und</strong> Betriebsräte in einer Betriebsgruppe<br />

zusammenzufassen <strong>und</strong> mit allen Aktiven im Betrieb gemeinsam alle anstehenden<br />

betrieblichen <strong>und</strong> überbetrieblichen Probleme zu diskutieren. Gerade jetzt sind die<br />

Lügentlarvungen über das Wi<strong>der</strong>aufschwungsgefasel wichtig, da haben alle Aktiven,<br />

Vertrauensleute <strong>und</strong> Betriebsräte in allen Abteilungen <strong>und</strong> Gruppen voll zu tun.<br />

Unterschriftensammeln, Spuckis im Betrieb kleben, Flugblatt schreiben <strong>und</strong> Vereilung<br />

organisieren, es gibt viel für eine revolutionäre Betriebsgruppe zu tun<br />

Die konsequente Vertretung <strong>der</strong> Basis, beson<strong>der</strong>s einer kämpferischen, ist natürlich den<br />

Klassenversöhnlern immer suspekt. Sie versuchen daher, mit allen Mitteln die persönliche<br />

Kandidatur von Klassenkämpfern immer zu verhin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> taten dies auch in den 70ern. Ein<br />

Kollege von Opel Bochum berichtete von einem Treffen des IGM-Vorstandes zu den<br />

Betriebsratswahlen 1975:<br />

»Schon Anfang November trafen sich beim IGM- Vorstand in Frankfurt vorstandstreue<br />

Betriebsratsvorsitzende aus mehreren Betrieben. Dort wurde unter an<strong>der</strong>em <strong>der</strong> Vorschlag<br />

diskutiert, dass einige "bewährte" Betriebsratsmitglie<strong>der</strong> eine zweite Liste einreichen sollen,<br />

wenn die fortschrittlichen Kollegen nicht von <strong>der</strong> Einheitsliste ferngehalten werden können.<br />

Somit wurde die Persönlichkeitswahl verhin<strong>der</strong>t... « 44<br />

Die Gewerkschaftsbonzen verhin<strong>der</strong>n dann, dass die konsequenten Kollegen auf die<br />

Gewerkschaftsliste kommen <strong>und</strong> isolieren somit die Kommunisten im Betrieb. Diese werden<br />

somit gezwungen, eine eigene Liste aufzustellen, müssen dabei aber immer weiterhin die<br />

Persönlichkeitswahl for<strong>der</strong>n. Ein linker Betriebsrat von Opel/Bochum berichtet von ihrem<br />

weiteren Vorgehen:<br />

»Wir for<strong>der</strong>ten zunächst durch verschiedene Handzettel im Betrieb eine demokratische<br />

Aufstellung <strong>der</strong> offiziellen IGM-Liste durch die aktive Teilnahme aller organisierten<br />

Kollegen. Zur Information: Bei Opel-Bochum sind r<strong>und</strong> 90% <strong>der</strong> Kollegen gewerkschaftlich<br />

organisiert. Wir prangerten die Hinterstübchenpolitik <strong>der</strong> Spitzenfunktionäre um den<br />

Betriebsratsvorsitzenden Günter Perschke an, die schon die ersten 25 Listenplätze, von 39 zu<br />

wählenden Betriebsräten, unter sich ausgemacht hatten. Als die IGM-Liste trotzdem über die<br />

Köpfe, <strong>der</strong> Kollegen hinweg aufgestellt wurde, <strong>und</strong> als die Listenwahl bereits feststand, da<br />

stellten wir eine eigene Liste mit neun Kandidaten auf« 45<br />

»Diese spektakuläre Form des Protestes gegen vorgefertigte politische Strukturen <strong>und</strong><br />

sozialpartnerschaftliche Stellvertreterpolitik konzentrierte sich auf Großbetriebe<br />

vornehmlich <strong>der</strong> IG-Metall- <strong>und</strong> IG-Chemie-Organisationsbereiches <strong>und</strong> erreichte 1981<br />

einen Höhepunkt. Waren es 1972 kaum eine Handvoll, so wuchs die Zahl<br />

linksoppositioneller Listen 1981 auf etwa 40.« 46<br />

Die Zahl 40 umreißt aber nur die oppositionellen Gruppen, die auch auf Dauer oppositionelle<br />

Betriebsratsarbeit durchführten. Klassenkämpferische Gruppen, die mangels Verankerung ihre<br />

Oppositionsarbeit auf den Vertrauenskörper beschränkten, gab es damals in jedem Großbetrieb,<br />

in 2008 gibt es kaum mehr revolutionäre Gewerkschaftsgruppen.<br />

44 aus "Opel Bochum 1972-1975, Eine Belegschaft sammelt Erfahrungen!", 9/75, S.99<br />

45 "Referat eines BR von Opel/Bochum" aus: "Betriebsräte, Veranstaltung Hamburg vom 6.12.1975", S.11<br />

46 "Politische Trends bei den Betriebsratswahlen 1984", 'Revier', Juli 1984<br />

44<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 63


Die Gefahr bei diesen Gruppen war immer die des Syndikalismus. Nach diesem habe die<br />

Gewerkschaft die Aufgabe <strong>der</strong> Partei, die Arbeiter zum Sozialismus zu führen. Hierbei muss<br />

man sich aber an die letzten zurückgebliebenen Kollegen orientieren. Man kann also nicht<br />

vorantreiben <strong>und</strong> ist <strong>der</strong> reaktionären Agitation <strong>der</strong> Sozialdemokraten schutzlos ausgeliefert.<br />

Am Anfang orientierten die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> oppositionellen Gewerkschafter sich noch am<br />

Leninismus o<strong>der</strong> das, was sie dafür hielten. Mit dem Nie<strong>der</strong>gang <strong>der</strong> Arbeiterbewegung aber<br />

verstanden sie nicht, ihren Schwerpunkt wie<strong>der</strong> auf theoretische Arbeit zu legen <strong>und</strong><br />

entwickelten sich immer mehr zu Nurgewerkschaftern <strong>und</strong> entsprechend zu<br />

Stellvertreterpolitikern, die für die Kollegen handelten, nicht mehr mit ihnen. Das weitere<br />

Ergebnis davon ist, dass man eine Trennung von sozialen <strong>und</strong> politischen Kämpfen vollzieht.<br />

Weil die Kollegen nicht mehr auf eine Antifa-Demo gehen, hielt man es nicht für sinnvoll, wie<br />

Anfang <strong>der</strong> 70er Jahre, dorthin zu mobilisieren.<br />

An wichtige kommunistische For<strong>der</strong>ungen aber orientierten die oppositionellen Gruppen sich<br />

noch. Einige davon sind:<br />

Je<strong>der</strong>zeitige Abwählbarkeit <strong>der</strong> Vertrauensleute <strong>und</strong> Betriebsräte!<br />

Bei Streiks müssen wir Streikkomitees wählen lassen. Neue Kollegen, beson<strong>der</strong>s die<br />

radikalen, entwickeln sich in diesem dialektischen Prozess zu führenden Kollegen <strong>und</strong> müssen<br />

in den Räten die alten müden Kollegen ablösen.<br />

Lineare Lohnerhöhung, das heißt einen festen Betrag für alle. Eine Prozentfor<strong>der</strong>ung führt<br />

dazu, das die Gutbezahlten mehr bekommen <strong>und</strong> die Schlechtbezahlten wenig, also zu einer<br />

Spaltung <strong>der</strong> Belegschaft.<br />

Eine Spaltung wird auch durch unterschiedliche Sozialpläne herbeigeführt. Deshalb ist es<br />

wichtig, wenn wir Schließung <strong>und</strong> Sozialpläne schon nicht verhin<strong>der</strong>n können, für alle den<br />

gleichen Betrag, zu for<strong>der</strong>n.<br />

Flächentarifverträge, keine Firmentarife 47 . Diese For<strong>der</strong>ung, wird gerade heute wie<strong>der</strong><br />

hochaktuell, weil es Angriffe auf den Flächentarifvertrag von den Unternehmern hagelt <strong>und</strong> die<br />

Gewerkschaftsführung keinerlei Anstalten unternimmt, diese zu verteidigen.<br />

Kompromisse muss man bei Kämpfen eingehen, aber keine faulen Kompromisse. Wir<br />

müssen immer das volle Kampfpotential <strong>der</strong> Massen ausnutzen.<br />

Es gilt, die Fortschrittlichen um sich zu sammeln, aber den Kontakt zu den Massen dabei<br />

immer zu behalten.<br />

Insgesamt kann man sagen, dass die oppositionellen Arbeiten in <strong>der</strong> Gewerkschaft mehr o<strong>der</strong><br />

weniger erfolgreich liefen. Sie fanden ein vorläufiges Ende, weil die Arbeiterbewegung erst<br />

einmal sich in die Ruhestellung begeben hat. Der revolutionäre Aufschwung <strong>der</strong> 68er bekam<br />

durch die revolutionäre Bewegung in Portugal 1974 noch einmal einen Schwung. Spätestens<br />

aber mit <strong>der</strong> Erwürgung dieser Revolution mit Hilfe von Willy Brandt <strong>und</strong> dem CIA resignierte<br />

die Arbeiterbewegung zusehends <strong>und</strong> fand in den 80er Jahren einen absoluten Stillstand.<br />

Diese Verhältnisse haben sich jedoch in den 90ern immer noch nicht umgekehrt. Die Krise<br />

des Kapitalismus wird aber immer offensichtlicher, die herrschende Klasse hat immer weniger<br />

eine glaubhafte Alternative anzubieten. Ganz beson<strong>der</strong>s deutlich wurde das Anfang des 3.<br />

Jahrtausends. Für die Produktionsbetriebe<br />

Die Arbeitermassen verhalten sich aber noch ruhig, so dass man sagen kann, dass momentan<br />

die Ruhe vor dem Sturm herrscht. Man muss aber je<strong>der</strong>zeit darauf vorbereitet sein, dass die<br />

Verhältnisse sich umkehren werden.<br />

Lenin weist auf folgenden Punkt hin, <strong>der</strong> wichtig für kämpferische Zeiten ist:<br />

47 Vgl. dazu "RGB". Seite 149<br />

64 - Internationale Sozialisten


»Welches sind, allgemein gesprochen, die Merkmale einer revolutionären Situation? Wir<br />

gehen sicherlich nicht fehl, wenn wir folgende drei Hauptmerkmale anführen: 1. Für die<br />

herrschende Klasse ist es unmöglich, ihre Herrschaft unverän<strong>der</strong>t aufrechtzuerhalten: die<br />

eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Krise <strong>der</strong> "oberen Schicht", eine Krise <strong>der</strong> Politik <strong>der</strong> herrschenden Klasse,<br />

die einen Riss entstehen lässt, durch den sich die Unzufriedenheit <strong>und</strong> Empörung <strong>der</strong><br />

unterdrückten Klassen Bahn bricht. Damit es zur Revolution kommt, genügt es in <strong>der</strong> Regel<br />

nicht, dass die "unteren Schichten" in <strong>der</strong> alten Weise "nicht leben wollen", es ist noch<br />

erfor<strong>der</strong>lich, dass die "oberen Schichten" in <strong>der</strong> alten Weise "nicht mehr leben können".« 48<br />

Das letzte Merkmal, „dass die "oberen Schichten" in <strong>der</strong> alten Weise "nicht mehr leben<br />

können", wird auch in Deutschland in den nächsten Jahren sich zeigen. Nicht nur, dass ihnen<br />

die Umsätze massenweise wegbrechen <strong>und</strong> sie die Lohnkürzungsspirale weiter beschleunigen<br />

werden, nein, sie werden auch kaum mehr lukrative Anlagemöglichkeiten im<br />

Produktionssektor finden. Massenarbeitslosigkeit von 50% wird das Kennzeichen des 3.<br />

Jahrtausends. Die Gewerkschaftsführer nehmen immer sehr leicht Lohnkürzungen für eine<br />

scheinbare Sicherheit <strong>der</strong> Arbeitsplätze in Kauf. In dieser Situation wird es in den Betrieben<br />

rumoren <strong>und</strong> die Kollegen werden sich an neuen kämpferischen Köpfen orientieren.<br />

Weltweit wird die Profitrate weiter sinkan. Der deutsche lmperialismus fällt noch dazu<br />

zurück. Nicht, weil die eigenen Bedingungen schlechter werden, son<strong>der</strong>n weil die<br />

Schwellenlän<strong>der</strong> in Südostasien die alten Metropolen immer mehr einholen. Der Kapitalismus<br />

konnte sich so lange halten, weil die gegenläufigen Faktoren zum tendenziellen Fall <strong>der</strong><br />

Profitrate bewusst von den Imperialisten eingesetzt wurden <strong>und</strong> somit den Fall abfe<strong>der</strong>ten. Die<br />

wichtigen gegenläufigen Faktoren sind aber voll ausgeschöpft.<br />

Die Lagerbestände, die sehr viel Kapital binden, sind mit Hilfe <strong>der</strong> "Just in Time"-Technik,<br />

weitgehend auf Null gebracht worden <strong>und</strong> können nicht weiter abgebaut werden. Die Löhne,<br />

die ebenfalls viel Kapital binden, werden schon oft erst dann ausbezahlt, wenn <strong>der</strong> Kapitalist<br />

das Geld für die produzierte Ware erhalten hat, d.h. v (variables Kapital, also Löhne) ist seither<br />

fast Null <strong>und</strong> kaum mehr weiter einzusparen.<br />

Weltweit rettete sich das Kapital deshalb seit Anfang <strong>der</strong> 80er Jahre zu einer Erhöhung <strong>der</strong><br />

Profite auf Kosten <strong>der</strong> Löhne. Die Profitrate wurde noch einmal mit Hilfe <strong>der</strong> Erhöhung <strong>der</strong><br />

Mehrwertrate hoch gebracht. Dabei ist aber zu sehen, dass das Kapital hier auf eine natürliche<br />

Grenze stößt, <strong>und</strong> zwar die, dass die Arbeitskraft sich noch reproduzieren kann. Der Spielraum<br />

für das Kapital, die durchschnittliche Profitrate zu erhöhen, wurde also immer enger.<br />

Nachdem man in den 90er Jahre sich auf den Sharehol<strong>der</strong>-Value-Kapitalismus verlegte -<br />

man machte Gewinne nicht mit Aktiendividende, son<strong>der</strong>n mit einem günstigem Kauf <strong>und</strong><br />

Verkauf <strong>der</strong> Aktien - suchte man ab 2002 das Heil in von <strong>der</strong> Substanz <strong>der</strong> Betriebe lebenden<br />

Heuschrecken. Da durch die Finanzkrise die Geierhäuser keine Kredite mehr erhalten, suchte<br />

man ab 2008 die Rettung im Bettel-Kapitalismus. Die Konzerne bettelten den Staat um<br />

Unterstützung an. Beson<strong>der</strong>s Amerika, Sarkozy <strong>und</strong> Browne gingen mit den Banken- <strong>und</strong><br />

Konzernrettungsfonds voran. Das bedeutet letztlich, dass die Arbeiter von ihrem schon<br />

geringen Lohn noch einmal eine Kapitalistenabgabe abgezogen bekommen. Da bleibt doch nur<br />

die Frage, wer überhaupt noch den ganzen Schrott kaufen soll. Die BMW-Verkäufe sind um<br />

37,5% eingebrochen, während China meldet, das sein Wirtschaftswachstum auf 5% gefallen ist<br />

<strong>und</strong> „Chinas Wirtschaftswachstum sich im kommenden Jahr zu halbieren <strong>und</strong> damit die<br />

gesamte Weltwirtschaft in die Rezession zu stürzen droht. Davor warnte <strong>der</strong> Chef des<br />

48 W.I. Lenin: "Der Zusammenbruch <strong>der</strong> II. Internationale", Werke, Bd. 21, Berlin 1972, S. 206<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 65<br />

48


Internationalen Währungsfonds (IWF), Dominique Strauss-Kahn.“ 2009 wird die Rezession in<br />

eine Depression übergehen.<br />

„Große Dax-Konzerne schlagen vor, 2009 auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten ,<br />

liegt ein schwieriges Jahr 2009 vor uns.“ Und weiter heißt es bei Spiegel-online: „Das müsse<br />

man den Menschen sagen. Alle - Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> Gewerkschaften - müssten jetzt<br />

"kraftvoll, aber auch mit Köpfchen handeln". 2009 dürfe nicht das Jahr <strong>der</strong> Entlassungen<br />

werden, es gelte, die Menschen so lange wie möglich in den Betrieben zu halten.“ 49<br />

Das ist<br />

doch Dünnschiss. Wer soll denn so ein Quatsch glauben, <strong>der</strong> Kapitalismus ist doch am<br />

Zusammenbrechen. Viele Werke machen doch 2009 zu: Mercedes, Opel, Thyssen/Krupp usw.<br />

Man rechnet mindestens mit 1 Million mehr Arbeitslosen, da hilft auch kein<br />

Komjunkturprogramm mehr, die Lohnabhängigen haben einfach kein Geld mehr für den<br />

Autokauf <strong>und</strong> das Finanzsystem ist zusammengebrochen. Der IWF rechnet für Deutschland<br />

2009 mit 4,0% Wirtschaftsrückgang.<br />

Die Finanzmarktkatastrophen von China bis Amerika rollen doch jetzt schon im Minutentakt<br />

ein. Jetzt gilt es, die Kollegen über die Wahrheit aufzuklären. Ein Wirtschaftaufschwung durch<br />

Lohnverzicht ist nur Betrug.<br />

Wenn die Kollegen jetzt im Betrieb wie<strong>der</strong> aktiv werden, dann können wir die<br />

Gewerkschaften wie<strong>der</strong> zu Kampforganisationen <strong>der</strong> Arbeiterklasse machen <strong>und</strong> mit den<br />

Massen gemeinsam die Menschheit aus ihrer Vorgeschichte heraus in ihre <strong>Geschichte</strong><br />

49 Spiegel-online, 15.12.<br />

66 - Internationale Sozialisten


Die freie Gesellschaft<br />

Das Ziel <strong>der</strong> Marxisten ist nicht die<br />

<strong>Arbeiterräte</strong>gesellschaft, son<strong>der</strong>n die freie<br />

Gesellschaft. Die demokratische<br />

<strong>Arbeiterräte</strong>gesellschaft ist nur eine<br />

notwendige Übergangsform für die freie<br />

Gesellschaft.<br />

Hier wird es keine Arbeiter mehr geben,<br />

son<strong>der</strong>n nur noch gleichberechtigte<br />

Menschen die nach dem Prinzip leben,<br />

„Jedem nach seinen Bedürfnissen, Jedem<br />

nach seinen Fähigkeiten“. Das wird aber<br />

letztlich nur möglich sein, wenn das Geld, <strong>der</strong> Leistungsdruck <strong>und</strong> <strong>der</strong> Staat als Kontrollorgan<br />

abgeschafft sind. Und hier erkennt man schon das Problem, warum man diese Gesellschaft<br />

nicht direkt einführen kann, wie es die Anarchisten wollen. Anfangs werden noch einige<br />

Kapitalisten o<strong>der</strong> Kapitalistenhelfer trotz ihrer kleinen Min<strong>der</strong>heit von 5% in Europa im<br />

Untergr<strong>und</strong> alle Hebel in Bewegung setzen, um ihre Entmachtung wie<strong>der</strong> rückgängig zu<br />

machen.<br />

Außerdem kann die freie Gesellschaft nicht mit „ordre de mufti“ von oben eingeführt<br />

werden. Wir haben doch alle die Erfahrung gemacht, dass man einen Kapitalismusanhänger<br />

kaum von <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong>republik überzeugen kann, <strong>und</strong> sei er schon seit 40 Jahre Arbeiter.<br />

Die Ideen <strong>der</strong> Herrschenden sind immer noch die herrschende Meinung. Die Herrschenden<br />

verbreiten ihre Meinungen mit <strong>der</strong> „Millionäspresse“. Der Verleger muss auch wie alle<br />

Kapitalisten eine Millionen besitzen, um eine Zeitung drucken zu können. Die Werbung wird<br />

da nur geschaltet, wenn sie staatstragend ist, wenn sie beispielsweise auf Seiten Israels ist.<br />

Ausnahme bildet jetzt das Internet, aber denen glaubt <strong>der</strong> Uninformierte einfach nicht. Das<br />

Internet führt noch eher zu kleinbürgerlichen Theorien wie Geld- 3.- Weg- o<strong>der</strong><br />

Verschwörungstheorien, denn zur Emanzipation. Jedenfalls führen die Infos <strong>der</strong> unterdrückten<br />

Nachrichten nur im Kleinbürgertum wie z.B. über die „Online-Überwachung“ zu stärkeren<br />

Demos wie 1984 mit <strong>der</strong> Volkszählung, aber immerhin. Im Arbeiterbereich bleibt die<br />

Mobilisierung zu Internetzeiten eher unter denen, <strong>der</strong> 70 er Jahre. Das hat noch mit <strong>der</strong> 68-<br />

Bewegung zu tun.<br />

In Deutschland ist sie noch weit hinter den Wirtschaftskrisen zurückgeblieben. Aber viele<br />

an<strong>der</strong>e Län<strong>der</strong> sind ja schon viel weiter, gibt es schon viel mehr von <strong>der</strong> reformistischen<br />

Gewerkschaftsführung unabhängige emanzipierte Kämpfe, <strong>und</strong> dabei wirft auch <strong>der</strong> Arbeiter<br />

ganz schnell seine alte Weltanschauung über Bord <strong>und</strong> lernt aus dem Internet. Über Ägypten<br />

<strong>und</strong> Griechenland sind wir hier ja schon bestens informiert. In Italien wurden schon bei den<br />

Betriebsbesetzungen bei INNSE Mailand, IVECO Suzzara, in <strong>der</strong> Schweiz bei Officine von<br />

Bellinzona <strong>und</strong> Borregaard-Attisholz bei Solothurn <strong>und</strong> in Spanien bei Holcim Torredonjimeno<br />

erste Erfahrungen mit Streikräten gesammelt. In England ist die Bewegung mit eine ganzen<br />

Reihe von Streiks <strong>der</strong> nicht rituellen Art, mehrere heftige Konfrontationen bei<br />

Demonstrationen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>gebungen <strong>der</strong> allerjüngsten Zeit schon eine ganze weiter als hier, so<br />

dass die Polizei für den Sommer schon Unruhen erwartet.<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 67


In all diesen Kämpfen wurden schon demokratische Streikräte gewählt, die noch in <strong>der</strong> Phase<br />

<strong>der</strong> Doppelherrschaft in <strong>Arbeiterräte</strong> verwandelt werden. Sie handeln auch nach den drei<br />

Prinzipien<br />

• je<strong>der</strong>zeitige Abwählbarkeit<br />

• höchstens einen Facharbeiterlohn verdienen <strong>und</strong><br />

• an die Beschlüsse <strong>der</strong> Basis geb<strong>und</strong>en sind.<br />

Bis dahin wird alles spontan verlaufen, wie wir das bei <strong>der</strong> Untersuchung <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong><br />

Rätedemokratiebewegung nachgewiesen haben. Die emanzipierte Arbeiterbewegung wird in<br />

revolutionären Verhältnissen die Partei, die ihre objektiven Interessen vertritt, aufbauen<br />

(Russland, Portugal), also nicht die Parteien, die an<strong>der</strong>e Staaten mit kleinbürgerlicher Führung<br />

vertreten. Diese revolutionäre Arbeiterpartei wird die objektiven Interessen vorantreiben <strong>und</strong><br />

nach <strong>der</strong> Machtübernahme durch die Arbeitermassen sehr schnell in einer Basisplanwirtschaft<br />

gleichen Lohn in allen Arbeiterstaaten <strong>und</strong> Austausch <strong>der</strong> Patente einführen damit auch in allen<br />

Arbeiterstaaten nach einer Übergangszeit die gleiche Bedingungen herrschen. Nun herrscht<br />

nicht mehr die kleine Min<strong>der</strong>heit <strong>der</strong> 5% Kapitalisten über die große Mehrheit <strong>der</strong> 85%<br />

Arbeiterklasse, son<strong>der</strong>n umgekehrt, die große Mehrheit <strong>der</strong> Arbeiter herrscht dann über die<br />

kleine Min<strong>der</strong>heit. Die Arbeiter unter sich <strong>und</strong> mit dem größten Teil des 10% Kleinbürgertums<br />

sind dann basisdemokratisch organisiert, zusammen unterbinden sie aber dem Kapital, an<strong>der</strong>e<br />

ausbeuten zu können, von ihrer Wertschöpfung den Mehrwert zu unterschlagen, sie üben ihnen<br />

gegenüber also noch eine Diktatur aus. Dies meinte Marx mit dem missverständlichen Begriff<br />

<strong>der</strong> „Diktatur des Proletariats“, nicht das, was Stalin dann daraus machte, seine Diktatur über<br />

die Arbeiterklasse.<br />

Da aber nun die Arbeitenden selber über das Produktionskapital <strong>und</strong> seine Verwendung<br />

verfügen <strong>und</strong> das Privatvermögen auf eine kleine Höhe von ihnen begrenzt wird, wird <strong>der</strong><br />

ehemalige Kapitalist dann wie alle an<strong>der</strong>en auch selber arbeiten müssen. Die 85% (Europa)<br />

umfassende Arbeiterklasse wird dadurch innerhalb kürzester Zeit die an<strong>der</strong>en Klassen zu sich<br />

herabziehen <strong>und</strong> in sich integrieren. Wenn die Arbeiterklasse dann die ganze Gesellschaft<br />

umfasst, wird es keine Klassengegensätze mehr geben. Keine Profitinteressen treiben mehr die<br />

Menschen auseinan<strong>der</strong>, <strong>der</strong> Mensch kann endlich nach <strong>der</strong> Vernunft seine Entscheidungen<br />

treffen, er tritt ins Zeitalter <strong>der</strong> Vernunft ein.<br />

Die historische Mission des Geldes, <strong>der</strong> Staaten <strong>und</strong> <strong>der</strong> Arbeiterpartei hat sich damit erfüllt.<br />

Der Staat ist abgestorben. Diese Situation wird umso schneller erreicht werden, je mehr Län<strong>der</strong><br />

diesen Reifegrad erreichen. Bei <strong>der</strong> Globalisierung <strong>der</strong> Wirtschaftskrise <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kriege wird<br />

dieser Punkt sehr schnell, innerhalb von eins, zwei Generationen nach <strong>der</strong> ersten Revolution<br />

erreicht werden.<br />

Es gibt keine Arbeiter mehr <strong>und</strong> keinen Kapitalisten mehr, es gibt nur Menschen, wir leben<br />

dann nach dem Prinzip „Jedem nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“.<br />

Das nennen wir Marxisten „Kommunismus“, wie in einer Kommune, du arbeitest o<strong>der</strong> nicht,<br />

was Du willst, morgens Arzt, nachmittags Kin<strong>der</strong>gärtner <strong>und</strong> in einem Jahr schaust Du Dir<br />

Amerika an <strong>und</strong> arbeitest in Peru nach dem Studium als Archäologe. Wenn Du eine neue<br />

Küche brauchst für Dein Haus, gehst Du zur städtischen Lagerverwaltung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Verwalter<br />

wird für Dich eine schöne raussuchen <strong>und</strong> noch ein besseres Fahrrad, alles ohne Geld.<br />

Wie das, dann wird doch niemand mehr arbeiten wollen?<br />

68 - Internationale Sozialisten


Engels hat in seiner Untersuchung „Anteil <strong>der</strong> Arbeit an <strong>der</strong> Menschwerdung des Affen“<br />

festgestellt, dass <strong>der</strong> Mensch durch die Arbeit (nicht Lohnarbeit) zum Menschen wurde. Wenn<br />

Du faul auf dem Sofa rumliegst, fühlst Du doch nur das Tierische in Dir. Du wirst dann<br />

Mensch, wenn Du schöpferisch bist. In einem Phoenix-Film über einen brasilianischen<br />

Indianerstamm baut ein angesehener Blasrohrbauer einem Jungen ein Blasrohr <strong>und</strong> zeigt ihm<br />

die recht komplizierte Fertigung, für null Euro, denn Geld kennen die überhaupt nicht. Nicht<br />

wegen 3,50 Unzen, son<strong>der</strong>n einfach nur aus Spaß, für die Anerkennung o<strong>der</strong> die Liebe o<strong>der</strong><br />

Solidarität seines Stammes. Wenn er wegen des Spaßes arbeitet, wird doch <strong>der</strong> Mensch zu viel<br />

größeren Entwicklungen fähig sein, als wenn er für Drei, Fünfzig arbeiten würde.<br />

Na gut, aber <strong>der</strong> eine Mensch ist doch genialer als <strong>der</strong> Fensterputzer, das<br />

müsste man doch honerieren.<br />

In einer freien Gesellschaft sind alle Menschen Genies. Unser Gehirn ist nur zu 10%<br />

ausgelastet, warum? Von Geburt an kann je<strong>der</strong> Mensch singen <strong>und</strong> malen. Im Kapitalismus<br />

werden alle Fähigkeiten wegen <strong>der</strong> Zweckorientiertheit kaputt gemacht. Schon das<br />

Schulsystem muss die Kin<strong>der</strong> in Elite, Handarbeiter <strong>und</strong> Überflüssige aussortieren. Da wird<br />

alles Geniale abgetötet. In <strong>der</strong> portugiesischen Revolution 1974 haben sie eine<br />

Arbeiteruniversität gegründet, da haben die Arbeiter die griechischen Philosophen studiert o<strong>der</strong><br />

die Relativitätstheorie.<br />

Außerdem gibt je<strong>der</strong> das was er kann, ohne Profit da brauchen wir keine Aufrechnung mehr.<br />

Und wer macht die Kanalisation sauber?<br />

Der Mensch ist von Natur aus ordentlich <strong>und</strong> hat es gerne, wenn alles um ihn herum<br />

übersichtlich ist. Da sammelt <strong>der</strong> Mathematiker auch nachmittags um das Haus den wenigen<br />

Müll ein. Außerdem gibt es viel mehr Roboter <strong>und</strong> den Rest kann man sich im Wohnblock<br />

aufteilen. Wenn man hochkonzentriert schwierige Probleme löst, führt man gerne<br />

zwischendurch zur Entspannung auch mal stupide Arbeiten aus.<br />

Es wurde ausgerechnet, wenn man sich auf das Notwendige beschränken würde, würde man<br />

weltweit nur 2 St<strong>und</strong>en pro Tag arbeiten müssen. Wenn die ganze überflüssige Arbeit wie<br />

Waffenproduktion, Kriegsspiel, Werbung, Patentamtsarbeit, Reparatur von Billigware,<br />

Krankenpflege von sozial Kranken, Bau von Luxusautos <strong>und</strong> Luxusyachten, Transport wegen<br />

Zollersparnis <strong>und</strong> <strong>und</strong> <strong>und</strong> wegfallen würde, könnte man viel mehr Zeit für die<br />

Kin<strong>der</strong>erziehung, für Hobbys <strong>und</strong> Weiterbildung verwenden, so, dass man letztlich den<br />

Unterschied zwischen Arbeit <strong>und</strong> Hobby feststellen könnte. Die Unterteilung in Kopf- <strong>und</strong><br />

Handarbeit ist auch aufgehoben. Der Arbeitsablauf wird nicht mehr in Sek<strong>und</strong>enschritten<br />

unterteilt <strong>und</strong> Du behälst den Überblick über den gesamten Produktionsvorgang.<br />

Und wenn alle ein Porsche wollen?<br />

Die Ware hat nicht mehr die Form eines Befriedigungsersatzes. Wenn im Kapitalismus<br />

jemand Porsche fährt, steigt seine Anerkennung. In <strong>der</strong> freien Gesellschaft werden die<br />

Menschen wahrscheinlich gar keinen Porsche mehr bauen, aber das entscheiden sie ja selber.<br />

Sollte einer noch einen alten Porsche haben, werden die Menschen denken, „Oh, ein Angeber<br />

mit einem Penisersatz. Dem wollen wir doch den letzten Therapeuten empfehlen.“ Die<br />

gesellschaftliche Anerkennung fällt auf Null.<br />

Warum gibt es keinen Staat mehr? Es muss doch weiter ein Wirtschaftsministerium o<strong>der</strong><br />

einen Familienminister geben?<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 69


Verwaltungen, die das Wirtschaften organisieren usw. wird es natürlich geben. In <strong>der</strong><br />

Naturgesellschaft werden all diese Aufgaben auch gesellschaftlich abgestimmt <strong>und</strong> vom<br />

gewählten Häuptling umgesetzt. Staaten gab es erst mit den Klassengesellschaften <strong>und</strong><br />

Nationalstaaten mit Pass <strong>und</strong> Staatsbürgern erst mit dem Kapitalismus. Die Aufgabe des<br />

Staates ist die Kontrolle <strong>der</strong> unterdrückten Klasse durch das Innenministerium, die Justiz <strong>und</strong><br />

den Geheimdienst.<br />

In <strong>der</strong> Naturgesellschaft stand <strong>der</strong> Mensch im Wi<strong>der</strong>spruch zur Natur, in den<br />

Klassengesellschaften steht <strong>der</strong> Mensch im Wi<strong>der</strong>spruch zum Mensch <strong>und</strong> in <strong>der</strong> freien<br />

Gesellschaft aber wird <strong>der</strong> Mensch mit sich in Harmonie leben können. In <strong>der</strong><br />

Naturgesellschaft herrschte noch Mangel, deshalb konnten die basisdemokratischen<br />

Verhältnisse sich nur innerhalb des Stammes durchsetzen. Der Kapitalismus leidet am<br />

Überfluss, da können wir leicht eine Welt aufbauen, in <strong>der</strong> alle Menschen gleichberechtigt<br />

solidarisch zusammenleben, ohne Grenzen zwischen den Völkern <strong>und</strong> zwischen den<br />

Menschen.<br />

Das ist ja wie im Schlaraffenland<br />

Ja richtig. Aber das hier ist wie Tollhaus, zu Krieg sagen wir Frieden <strong>und</strong> wenn wir einen<br />

Hungerlohn verdienen, dann tun wir was für die Arbeitsplätze. In <strong>der</strong> WG o<strong>der</strong> Familie kochst<br />

Du gerne für alle Kaffee, aber im Kapitalismus hisst es, <strong>der</strong> nimmt mir einen Arbeitsplatz weg.<br />

Wenn weniger produziert wird, dann spricht man vom Ges<strong>und</strong>schrumpfen <strong>und</strong> wer die<br />

Wahrheit spricht, ist ein Verschwörungstheoretiker <strong>und</strong> ein Spinner. Es wird Milliarden für<br />

Satelliten ausgegeben für eine bessere Ernte <strong>und</strong> dann wird sie vernichtet, damit nicht zu viel<br />

auf den europäischen Markt angeboten wird <strong>und</strong> jeden Tag verhungern 30.000 Kin<strong>der</strong>, alles<br />

ganz logisch.<br />

Es gibt ein Überfluss an Gütern, aber zu viel Armut für eine kaufkräftige Nachfrage. Dieser<br />

Wi<strong>der</strong>spruch wird schon in <strong>der</strong> solidarischen Basisräterepublik aufgehoben <strong>und</strong> wenn kein<br />

Mangel mehr herrscht, braucht es auch kein Marktregulierungsmechanismus mehr, nur die<br />

Vernunft, das ist alles.<br />

70 - Internationale Sozialisten


Von <strong>der</strong> Vorgeschichte zur <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong><br />

Menschheit.<br />

Nun wird es immer deutlicher, dass die Marktwirtschaft ihrem Ende zusteuert. Auch, wenn<br />

alle wesentlichen Staaten massiv zusammengebrochen sind, glauben die unermüdlichen<br />

Kapitalismus-Gläubigen noch immer, dass letztlich die Produktion auch wie<strong>der</strong> seine eigenen<br />

Käufer schafft. Hier liegt aber ein gr<strong>und</strong>legen<strong>der</strong> Irrtum vor.<br />

Der Arbeiter als Produzent <strong>der</strong> Ware erhält von seiner Wertschöpfung nur den Anteil<br />

abzüglich des Profits, das sind <strong>der</strong>zeit nur 2/3 <strong>der</strong> Wertschöpfung. Nur <strong>der</strong> Arbeiter wird aber<br />

auch seinen Lohn wie<strong>der</strong> konsumieren. Der Kapitalist aber, <strong>der</strong> das restliche r<strong>und</strong> 1/3 sich<br />

abpresst, wird außer dem eigenen Konsum, <strong>der</strong> revenue, das nur wie<strong>der</strong> in Investitionswaren<br />

kapitalisieren, wenn mit einem aussichtreichen profitablen Absatz zu rechnen ist. Damit ist<br />

heute aber weltweit nicht mehr zu rechnen. Auch nicht mit einem neuen Massenprodukt, dass<br />

<strong>der</strong> Arbeiter mit Schulden kaufen könnte. Außerdem ist die durchschnittliche Rendite nahe<br />

Null <strong>und</strong> die Grenze des Marktes erreicht, o<strong>der</strong>, um es mit Marx’ Worten auszudrücken, <strong>der</strong><br />

Weltmarkt hat sich fasst endgültig zusammenzogen. 50<br />

Für den einzelnen Lohnabhängigen werden die Tage <strong>der</strong> Umwälzungen großartige Feiertage<br />

bedeuten. Wir wollen beleuchten, was sie historisch für die gesamte Menschheitsentwicklung<br />

darstellen.<br />

Der Mensch hat sich als homo erectus vor 2,5 Millionen Jahren aus dem Vormenschen<br />

entwickelt. Bei seiner Entwicklung waren die freiwerdenden Hände ausschlaggebend. Mit<br />

ihnen konnte er gestalten <strong>und</strong> versuchte, zu begreifen, was er mit ihnen gestaltete, er arbeitete.<br />

Für sein Buch, Anteil <strong>der</strong> Arbeit an <strong>der</strong> Menschwerdung des Affen von Friedrich Engels war<br />

das auch ausschlaggebend. Diese Feststellung ist für heute wichtig, denn sie besagt, dass<br />

niemand freiwillig auf <strong>der</strong> faulen Haut liegt, denn dann fühlt man sich nicht als Mensch. Wenn<br />

50 Vgl. Lohnarbeit <strong>und</strong> Kapital, Seite 107<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 71


jemand nicht arbeiten kann, dann hat das System ihn krank gemacht o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e vom System<br />

kranke Menschen.<br />

In den ersten 2,5 Millionen Jahren <strong>der</strong> Menschheit konnte noch kein<br />

Mehrprodukt erarbeitet werden <strong>und</strong> es konnte sich auch keine Klasse bilden,<br />

die dieses sich angeeignet hätte. Man lebte in totaler Abhängigkeit von dem,<br />

was die Natur anbot. Der Familienverband, Clan o<strong>der</strong> Gens, wie Engels ihn<br />

nannte, führte regelmäßig Clanversammlungen durch, bei denen alle<br />

Stammesmitglie<strong>der</strong> gleiche Rechte hatten. Die Urgesellschaften konnten frei<br />

von Repressionen im Sinne von Klassenunterdrückung aufgebaut werden, wie<br />

Engels dies über die Irokesen in "Ursprung <strong>der</strong> Familie..." beschreibt:<br />

»»UUnndd ees s iis ist<br />

tt eei iinnee wwuunnddeer rbbaar ree VVeer rf ffaas ss suunngg iinn i aal lll ll iihhr i reer r KKi iinnddl lli iicchhkkeei iit tt uunndd EEi iinnf ffaacchhhheei iit tt, ,, ddi iiees see<br />

GGeennt tti iil llvveer rf ffaas ss suunngg! ! OOhhnnee SSool llddaat tteenn, ,, GGeennddaar rmmeenn uunndd PPool lli iiz zi iis st tteenn, ,, oohhnnee AAddeel ll, ,, KKöönni iiggee, ,, SSt ttaat ttt tthhaal llt tteer r, ,,<br />

PPr rääf ffeekkt tteenn ooddeer r RRi iicchht tteer r, ,, oohhnnee GGeef ffäännggnni iis ss see, ,, oohhnnee PPr rooz zees ss see ggeehht tt aal lll llees s seei s iinneenn ggeer reeggeel llt tteenn GGaanngg. ..<br />

AAllll lleenn ZZaannkk uunndd SSt ttr reei iit tt eennt tts scchheei iiddeet tt ddi iiee GGees saammt tthheei iit tt ddeer reer r, ,, ddi iiee ees s aannggeehht tt, ,, ddi iiee GGeenns s ooddeer r ddeer r<br />

SSt ttaammmm, ,, ooddeer r ddi iiee eei iinnz zeel llnneenn GGeennt ttees s uunnt tteer r si siicchh<br />

-<br />

nnuur r aal lls s ääuußßeer rs st ttees s, ,, seel s llt tteenn aannggeewwaannddt ttees s Mi iit ttttteel ll<br />

ddr roohht tt ddi iiee BBl lluut ttr raacchhee. ... ... ..«« 51 5511 .. .<br />

EEr rs st tt ddeer r HHoommoo EEr reecct ttuus s vveer rf füüggt ttee vvoor r 22, ,,55 Mi iil lll lli iioonneenn Jaahhr J reenn üübbeer r AAnns säät ttzzee eei iinnees s SSppr raacchhaappppaar raat ttees s, ,,<br />

ddi iiee ddaannnn ddeenn mmooddeer rnneenn Meenns scchheenn vvoor r 115500. ..000000 Jaahhr J reenn iinn i SSüüddaaf fr ri iikkaa bbeef fäähhi iiggt tteenn, ,, kkoommppl lli iizzi iieer rt ttee<br />

SSäät ttzzee zzuu bbi iil llddeenn. .. NNuunn eer rs st tt wwaarr ddeer r SScchhr ri iit ttt tt zzuu ddeemmookkr raat tti iis scchheenn SSt ttr ruukktttuur reenn iinn i ddeer r<br />

SSt ttaammmmees sggees seel lll lls scchhaaf ft tt ggeeeebbnneet tt. ..<br />

EEnnggeel lls s zzi iit tti iieer rt tt ddaas s BBeei iis sppi iieel ll eei iinneer r hhaar rmmoonni iis scchheenn ddeemmookkr raat tti iis scchheenn GGees seel lll lls scchhaaf ft tt ddees s<br />

FFr rüühhmmeenns scchheennf foor rs scchheer rs s LLeewwi iis s HH. .. Moor rggaann. ..<br />

»»AAl lll llee Mi iit ttggl lli iieeddeer r eei iinneer r iir irookkees<br />

si iis scchheenn GGeenns s wwaar reenn ppeer rs söönnl lli iicchh ffr freei<br />

ii uunndd vveer rppf ffl lli iicchht tteet tt, ,, eei iinneer r ddees s<br />

aannddeer reenn FFr reei iihheei iit tt zuu z scchhüüt s ttz zeenn; ; si siiee<br />

wwaar reenn eei iinnaannddeer r ggl<br />

lleei iicchh iinn i BBeef ffuuggnni iis ss seenn uunndd ppeer rs söönnl lli iicchheenn<br />

RReecchht tteenn, ,, ddeennnn wweeddeer r SSaacchheemms s nnoocchh HHääuuppt ttl lli iinnggee bbeeaanns<br />

sppr ruucchht tteenn iir ireeggeennddwweel<br />

llcchheenn VVoor rr raanngg, ,, uunndd<br />

si siiee<br />

wwaar reenn eei iinnee dduur rcchh BBl lluut ttbbaannddee vveer rkknnüüppf fft ttee BBr ruuddeer rs scchhaaf fft tt. .. FFr reei iihheei iit tt, ,, GGl lleei iicchhhheei iit tt uunndd<br />

BBr rüüddeer rl lliiicchhkkeei iit tt, ,, oobbwwoohhl ll nni iiee ffoor f rmmuul lliiieer rt tt, ,, wwaar reenn ddi iiee GGr ruunnddppr ri iinnz zi iippi iieenn ddeer r GGeenns s. .. DDi iiees see TTaat tts saacchheenn<br />

si siinndd<br />

wweesseennt ttl lli iicchh, ,, wweeiiil ll ddi iiee GGeenns s ddi iiee EEi iinnhheei iit tt eei<br />

iinnees s ggaannz zeenn ggees seel lll lls scchhaaf fft ttl lli iicchheenn SSyys st tteemms s wwaar r, ,, ddi iiee<br />

GGr ruunnddl llaaggee, ,, aauuf ff wweel llcchheer r ddi iiee Innddi I iiaanneer rggees seel lll lls scchhaaf fft tt oor rggaanni iis si iieer rt tt w waar r. .. EEi iinn aauus s sool s llcchheenn EEi iinnhheei iit tteenn<br />

zuus z saammmmeennggeef ffüüggt tteer r BBaauu mmuus ss st ttee nnoot ttwweennddi iigg ddi iiee Meer rkkmmaal llee iihhr i rees s CChhaar raakkt tteer rs s zeei z iiggeenn, ,, ddeennnn wwi iiee<br />

ddi iiee EEi iinnhheei iit tteenn, ,, soo s ddaas s aauus s iihhnneenn i zuus z saammmmeennggees seet ttz zt ttee GGaannz zee. .. DDi iiees s eer rkkl lläär rt tt hhi iinnl lläännggl lli iicchh ddeenn<br />

UUnnaabbhhäännggi iiggkkeei iit tts ss si iinnnn uunndd ddi iiee ppeer rs söönnl lli iicchhee Wüür rddee ddees s A Auuf fft ttr reet tteenns s, ,, ddi iiee aal lll llggeemmeei iinn aal lls s AAt ttt ttr ri iibbuutttee<br />

ddees s Innddi I iiaanneer rcchhaar raakkt tteer rs s aanneer rkkaannnnt tt si siinndd.<br />

..«« 52 5522<br />

Nicht nur bei den Irokesen wurde diese urkommunistische demokratische<br />

Gesellschaft beobachtet. Rosa Luxemburg fasst die verschiedenen<br />

Beobachtungen zusammen:<br />

»»NNaacchhddeemm mmaann ddeenn AAggr raar rkkoommmmuunni iis smmuus s eer rs st tt aal lls s eei iinnee ggeer rmmaanni iis scchhee VVool llkks seei iiggeennt ttüümml lli iicchhkkeei iit tt, ,,<br />

ddaannnn aallls s eei iinnee sl sllaawwi<br />

iis scchhee, ,, iinnddi i iis scchhee, ,, aar raabbi iis scchh- -kkaabbyyl lli iis scchhee, ,, aal llt ttmmeexxi iikkaanni iis scchhee, ,, aal llss ddeenn<br />

51<br />

Friedrich Engels: "Der Ursprung <strong>der</strong> Familie, des Privatreigentums <strong>und</strong> des Staates", MEW, Berlin 1962, Band<br />

21, S. 95<br />

52<br />

Lewis H. Morgan: "Die Urgesellschaft. Untersuchungen über den Fortschritt <strong>der</strong> Menschheit aus <strong>der</strong> Wildnis durch<br />

die Barbarei zur Zivilisation-2, Stuttgart 1908, S. 73, nach Fiedrich Engels<br />

72 - Internationale Sozialisten


<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 73<br />

Wuunnddeer<br />

rs<br />

st<br />

ttaaaat<br />

tt<br />

ddeer<br />

r<br />

ppeer<br />

ruuaanni<br />

iis<br />

scchheenn<br />

I<br />

Innkkaas<br />

s<br />

uunndd<br />

i<br />

iinn<br />

nnoocchh<br />

vvi<br />

iieel<br />

lleenn<br />

aannddeer<br />

reenn<br />

""s<br />

sppeez<br />

zi<br />

iif<br />

ffi<br />

iis<br />

scchheenn""<br />

VVööl<br />

llkkeer<br />

rt<br />

ttyyppeenn<br />

i<br />

iinn<br />

aal<br />

lll<br />

lleenn<br />

Weel<br />

llt<br />

ttt<br />

tteei<br />

iil<br />

lleenn<br />

eennt<br />

ttddeecckkt<br />

tt<br />

hhaat<br />

ttt<br />

ttee,<br />

,,<br />

ddr<br />

räännggt<br />

ttee<br />

s<br />

si<br />

iicchh<br />

vvoonn<br />

s<br />

seel<br />

llbbs<br />

st<br />

tt<br />

ddeer<br />

r<br />

SScchhl<br />

lluus<br />

ss<br />

s<br />

aauuf<br />

ff,<br />

,, ddaas<br />

ss<br />

s<br />

ddi<br />

iiees<br />

seer<br />

r<br />

DDoor<br />

rf<br />

ffkkoommmmuunni<br />

iis<br />

smmuus<br />

s<br />

üübbeer<br />

rhhaauuppt<br />

tt<br />

kkeei<br />

iinnee<br />

""VVool<br />

llkks<br />

seei<br />

iiggeenntttüümmllli<br />

iicchhkkeei<br />

iit<br />

tt""<br />

i<br />

iir<br />

rggeennddeei<br />

iinneer<br />

r<br />

RRaas<br />

ss<br />

see<br />

ooddeer<br />

r<br />

eeiiinnees<br />

s<br />

Weel<br />

llt<br />

ttt<br />

tteei<br />

iil<br />

llees<br />

s<br />

s<br />

seei<br />

ii,<br />

,,<br />

s<br />

soonnddeer<br />

rnn<br />

ddi<br />

iiee<br />

aal<br />

lll<br />

llggeemmeei<br />

iinnee<br />

t<br />

ttyyppi<br />

iis<br />

scchhee<br />

FFoor<br />

rmm<br />

ddeer<br />

r<br />

mmeenns<br />

scchhl<br />

lli<br />

iicchheenn<br />

GGees<br />

seel<br />

lll<br />

lls<br />

scchhaaf<br />

fft<br />

tt<br />

aauuf<br />

ff<br />

eei<br />

iinneer<br />

r<br />

bbees<br />

st<br />

tti<br />

iimmmmt<br />

tteenn<br />

HHööhhee<br />

ddeer<br />

r<br />

KKuul<br />

llt<br />

ttuur<br />

reennt<br />

ttwwi<br />

iicckkl<br />

lluunngg.<br />

..«« 53<br />

5533<br />

uunndd<br />

wweei<br />

iit<br />

tteer<br />

r:<br />

::<br />

»»AAuucchh<br />

ddi<br />

iiee<br />

bbeei<br />

iiddeenn<br />

s<br />

sppäät<br />

tteer<br />

reenn<br />

RReecchht<br />

tts<br />

sbbüücchheer<br />

r<br />

aauus<br />

s<br />

ddeemm<br />

55.<br />

..<br />

JJaahhr<br />

rhhuunnddeer<br />

rt<br />

tt<br />

""JJaadds<br />

scchhnnaawwaal<br />

llkkj<br />

jjaa<br />

"" uunndd<br />

""NNaar<br />

raaddaa""<br />

eer<br />

rkkeennnneenn<br />

ddeenn<br />

GGees<br />

scchhl<br />

lleecchht<br />

tts<br />

svveer<br />

rbbaanndd<br />

aal<br />

lls<br />

s<br />

ddi<br />

iiee<br />

s<br />

sooz<br />

zi<br />

iiaal<br />

llee<br />

OOr<br />

rggaanni<br />

iis<br />

saat<br />

tti<br />

iioonn<br />

aann,<br />

,,<br />

uunndd<br />

ddi<br />

iiee<br />

ööf<br />

fff<br />

ffeennt<br />

ttl<br />

lli<br />

iicchhee<br />

GGeewwaal<br />

llttt<br />

s<br />

soowwi<br />

iiee<br />

ddi<br />

iiee<br />

GGeer<br />

ri<br />

iicchht<br />

tts<br />

sbbaar<br />

rkkeei<br />

iit<br />

tt<br />

r<br />

ruuhht<br />

tt<br />

i<br />

iinn<br />

ddeenn<br />

HHäännddeenn<br />

ddeer<br />

r<br />

VVeer<br />

rs<br />

saammmml<br />

lluunngg<br />

ddeer<br />

r<br />

Maar<br />

rkkggeennoos<br />

ss<br />

seenn.<br />

..<br />

DDi<br />

iiees<br />

see<br />

hhaaf<br />

fft<br />

tteenn<br />

s<br />

sool<br />

lli<br />

iiddaar<br />

ri<br />

iis<br />

scchh f<br />

ffüür<br />

r<br />

VVeer<br />

rggeehheenn<br />

uunndd<br />

VVeer<br />

rbbeecchheenn<br />

ddeer<br />

r<br />

Maar<br />

rkkggeennoos<br />

ss<br />

seenn«« 54<br />

5544<br />

KKr<br />

ri<br />

iieegg<br />

wwaar<br />

r<br />

nnoocchh<br />

kkeei<br />

iinnee<br />

r<br />

reeggeel<br />

llmmääßßi<br />

iiggee<br />

EEr<br />

rs<br />

scchheei<br />

iinnuunngg,<br />

,,<br />

wwi<br />

iiee<br />

s<br />

sppäät<br />

tteer<br />

r<br />

i<br />

iinn<br />

ddeenn<br />

KKl<br />

llaas<br />

ss<br />

seennggees<br />

seel<br />

lll<br />

lls<br />

scchhaaf<br />

ft<br />

tteenn.<br />

..<br />

GGeef<br />

faannggeennee<br />

wwuur<br />

rddeenn<br />

aabbeer<br />

r<br />

nni<br />

iicchht<br />

tt<br />

ggeemmaacchht<br />

tt,<br />

,,<br />

ddaa<br />

mmaann<br />

nnoocchh<br />

üübbeer<br />

r<br />

kkeei<br />

iinn<br />

Meehhr<br />

rppr<br />

roodduukkt<br />

tt<br />

vveer<br />

rf<br />

füüggt<br />

ttee<br />

uunndd<br />

s<br />

si<br />

iiee<br />

nnoocchh<br />

ggaar<br />

r<br />

nni<br />

iicchht<br />

tt<br />

hhäät<br />

ttt<br />

ttee<br />

eer<br />

rnnäähhr<br />

reenn<br />

kköönnnneenn.<br />

..<br />

DDi<br />

iiees<br />

s<br />

wwaar<br />

r<br />

aal<br />

lls<br />

soo<br />

nnoocchh<br />

ggaar<br />

r<br />

kkeei<br />

iinn<br />

VVeer<br />

rbbr<br />

reecchheenn,<br />

,,<br />

s<br />

soonnddeer<br />

rnn<br />

eei<br />

iinnee<br />

NNoot<br />

ttwweennddi<br />

iiggkkeei<br />

iit<br />

tt.<br />

..<br />

DDaas<br />

s<br />

kkoonnnnt<br />

ttee<br />

mmaann<br />

eer<br />

rs<br />

st<br />

tt<br />

äännddeer<br />

rnn,<br />

,,<br />

wweennnn<br />

mmaann<br />

mmeehhr<br />

r<br />

ppr<br />

roodduuzzi<br />

iieer<br />

reenn<br />

kkoonnnnt<br />

ttee,<br />

,,<br />

aal<br />

lls<br />

s<br />

ddeer<br />

r<br />

CCl<br />

llaann<br />

s<br />

seel<br />

llbbeer<br />

r<br />

zzuumm<br />

ÜÜbbeer<br />

rllleebbeenn<br />

bbeennööt<br />

tti<br />

iiggt<br />

ttee.<br />

..<br />

DDi<br />

iiees<br />

see<br />

Mööggl<br />

lli<br />

iicchhkkeei<br />

iit<br />

tt e<br />

er<br />

rhhi<br />

iieel<br />

llt<br />

tt<br />

ddeer<br />

r<br />

HHoommoo<br />

s<br />

saappi<br />

iieenns<br />

s<br />

eer<br />

rs<br />

st<br />

tt<br />

mmi<br />

iit<br />

tt<br />

ddeemm<br />

GGaar<br />

rt<br />

tteennbbaauu<br />

ooddeer<br />

r<br />

ddeer<br />

r<br />

HHeer<br />

rddeennhhaal<br />

llt<br />

ttuunngg.<br />

..<br />

VVoor<br />

r<br />

1155.<br />

..000000<br />

J<br />

Jaahhr<br />

reenn<br />

t<br />

ttaauucchht<br />

ttee<br />

nnaacchh<br />

EEt<br />

tthhnnool<br />

llooggeenn,<br />

,,<br />

LLi<br />

iinngguui<br />

iis<br />

st<br />

tteenn,<br />

,,<br />

GGeennf<br />

foor<br />

rs<br />

scchheer<br />

rnn<br />

uunndd<br />

1122<br />

wweei<br />

iit<br />

tteer<br />

reenn<br />

Wi<br />

iis<br />

ss<br />

seenns<br />

scchhaaf<br />

ft<br />

tts<br />

saar<br />

rt<br />

tteenn<br />

i<br />

iimm<br />

aannaat<br />

ttool<br />

lli<br />

iis<br />

scchheenn B<br />

Beer<br />

reei<br />

iicchh<br />

vvoonn<br />

SSüüddr<br />

ruus<br />

ss<br />

sl<br />

llaanndd<br />

bbi<br />

iis<br />

s<br />

AAr<br />

raabbi<br />

iieenn<br />

zzuumm<br />

eer<br />

rs<br />

st<br />

tteenn<br />

Maal<br />

ll ddeer<br />

r<br />

BBeeggr<br />

ri<br />

iif<br />

ff<br />

f<br />

f<br />

füür<br />

r<br />

eei<br />

iinnee<br />

KKuul<br />

llt<br />

ttuur<br />

rppf<br />

fl<br />

llaannzzee<br />

aauuf<br />

f.<br />

..<br />

Mi<br />

iit<br />

tt<br />

ddeer<br />

r<br />

AAnnppf<br />

fl<br />

llaannzzuunngg<br />

vvoonn<br />

GGeet<br />

ttr<br />

reei<br />

iiddee<br />

uunndd<br />

OObbs<br />

st<br />

tt<br />

kkoonnnnt<br />

ttee<br />

ddeer<br />

r<br />

Meenns<br />

scchh<br />

nnuunn<br />

eei<br />

iinn<br />

Meehhr<br />

rppr<br />

roodduukkt<br />

tt<br />

s<br />

scchhaaf<br />

ff<br />

feenn,<br />

,,<br />

ddaas<br />

s<br />

i<br />

iihhnn<br />

ddi<br />

iiee<br />

VVoor<br />

rr<br />

raat<br />

tts<br />

shhaalllt<br />

ttuunngg<br />

eer<br />

rmmööggl<br />

lli<br />

iicchht<br />

ttee<br />

uunndd<br />

s<br />

si<br />

iicchh<br />

uumm<br />

DDi<br />

iinnggee<br />

üübbeer<br />

r<br />

ddi<br />

iiee<br />

LLeebbeenns<br />

shhaal<br />

llt<br />

ttuunngg h<br />

hi<br />

iinnaauus<br />

s<br />

zzuu<br />

kküümmmmeer<br />

rnn,<br />

,,<br />

wwi<br />

iiee<br />

SSt<br />

tteer<br />

rnneennkkuunnddee,<br />

,,<br />

SSt<br />

ttääddt<br />

tteebbaauu,<br />

,,<br />

KKaannaal<br />

llbbaauu<br />

ooddeer<br />

r<br />

Maat<br />

tthheemmaat<br />

tti<br />

iikk.<br />

..<br />

DDi<br />

iiees<br />

see<br />

ZZeei<br />

iit<br />

tt<br />

i<br />

iis<br />

st<br />

tt<br />

eet<br />

ttwwaa<br />

mmi<br />

iit<br />

tt<br />

ddeer<br />

r<br />

vvoonn<br />

EEnnggeel<br />

lls<br />

s<br />

eei<br />

iinnggeet<br />

tteei<br />

iil<br />

llt<br />

tteenn<br />

OObbeer<br />

rs<br />

st<br />

ttuuf<br />

fee<br />

ddeer<br />

r<br />

Wi<br />

iil<br />

llddhheei<br />

iit<br />

tt<br />

vveer<br />

rggl<br />

lleei<br />

iicchhbbaar<br />

r.<br />

..<br />

EEs<br />

s<br />

ggaabb<br />

s<br />

scchhoonn<br />

eei<br />

iinn<br />

Meehhr<br />

rppr<br />

roodduukkt<br />

tt,<br />

,,<br />

nnoocchh<br />

aabbeer<br />

r<br />

hhaabbeenn<br />

s<br />

si<br />

iicchh<br />

ddaas<br />

s<br />

ddi<br />

iiee C<br />

Cl<br />

llaannhhääuuppt<br />

ttl<br />

lli<br />

iinnggee<br />

nni<br />

iicchht<br />

tt<br />

aannggeeeei<br />

iiggnneet<br />

tt.<br />

.. N<br />

Noocchh<br />

t<br />

ttaauus<br />

scchht<br />

tteenn<br />

s<br />

si<br />

iiee<br />

ddi<br />

iiees<br />

sees<br />

s<br />

i<br />

iimm<br />

NNaammeenn<br />

ddees<br />

s<br />

ggaannzzeenn<br />

SSt<br />

ttaammmmees<br />

s<br />

mmi<br />

iit<br />

tt<br />

aannddeer<br />

reenn<br />

SSt<br />

ttäämmmmeenn.<br />

..<br />

DDi<br />

iiee<br />

OObbeer<br />

rs<br />

st<br />

ttuuf<br />

fee<br />

ddeer<br />

r<br />

BBaar<br />

rbbaar<br />

reei<br />

ii<br />

wwaar<br />

r<br />

eei<br />

iinnee<br />

ÜÜbbeer<br />

rggaannggs<br />

sggees<br />

seel<br />

lll<br />

lls<br />

scchhaaf<br />

ft<br />

tt,<br />

,,<br />

i<br />

iinn<br />

ddeerr<br />

ddi<br />

iiee<br />

HHääuuppt<br />

ttl<br />

lli<br />

iinnggee<br />

nnaacchh<br />

uunndd<br />

nnaacchh<br />

ddaas<br />

s<br />

Meehhr<br />

rppr<br />

rroodduukkt<br />

tt<br />

s<br />

si<br />

iicchh<br />

aanneei<br />

iiggnneet<br />

tteenn,<br />

,,<br />

i<br />

iinn<br />

ddeenn<br />

AAddeel<br />

ll<br />

vveer<br />

rwwaannddeel<br />

llt<br />

tteenn<br />

uunndd<br />

ddi<br />

iiee<br />

Maacchht<br />

tt<br />

aann<br />

i<br />

iihhr<br />

ree<br />

SSööhhnnee<br />

vveer<br />

reer<br />

rbbt<br />

tteenn.<br />

..<br />

I<br />

Inn<br />

ddeer<br />

r<br />

r<br />

reei<br />

iinneenn<br />

KKaas<br />

ss<br />

seennggees<br />

seel<br />

lll<br />

lls<br />

scchhaaf<br />

ft<br />

tt<br />

ddeer<br />

r G<br />

Gr<br />

ri<br />

iieecchheenn<br />

nnaacchh<br />

ddeer<br />

r<br />

HHeer<br />

rooeennzzeei<br />

iit<br />

tt<br />

aabb<br />

559944 v<br />

v.<br />

..uu.<br />

..ZZ.<br />

..,<br />

,,<br />

nnaacchh<br />

ddeer<br />

r<br />

eer<br />

rs<br />

st<br />

tteenn<br />

KKl<br />

llaas<br />

ss<br />

seennr<br />

reevvool<br />

lluut<br />

tti<br />

iioonn<br />

uunndd<br />

Solons<br />

Sollons VVeer<br />

rf<br />

faas<br />

ss<br />

suunnggs<br />

sr<br />

reef<br />

foor<br />

rmm,<br />

,,<br />

bbeei<br />

ii<br />

ddeer<br />

r<br />

ddeer<br />

r<br />

AAddeel<br />

ll<br />

eennt<br />

ttmmaacchht<br />

tteet<br />

tt<br />

wwuur<br />

rddeenn,<br />

,,<br />

eennt<br />

ttwwi<br />

iicckkeel<br />

llt<br />

ttee<br />

s<br />

si<br />

iicchh<br />

aauucchh<br />

eei<br />

iinnee<br />

KKl<br />

llaasss<br />

see<br />

vvoonn<br />

SSkkl<br />

llaavveennhhaal<br />

llt<br />

tteer<br />

rnn<br />

aauus<br />

s<br />

ddeenn<br />

EEt<br />

ttaabbl<br />

lli<br />

iieer<br />

rt<br />

tteenn<br />

ddees<br />

s<br />

SSt<br />

ttaammmmees<br />

s.<br />

..<br />

I<br />

Inn<br />

ddeenn<br />

NNaat<br />

ttuur<br />

rggeesseel<br />

lll<br />

lls<br />

scchhaaf<br />

ft<br />

tteenn<br />

bbeehheer<br />

rr<br />

rs<br />

scchht<br />

ttee<br />

ddi<br />

iiee<br />

NNaat<br />

ttuur<br />

r<br />

ddeenn<br />

Meenns<br />

scchheenn.<br />

..<br />

I<br />

Inn<br />

ddeer<br />

r<br />

KKl<br />

llaas<br />

ss<br />

seennggees<br />

seel<br />

lll<br />

lls<br />

scchhaaf<br />

ft<br />

tt<br />

bbeehheerrr<br />

rs<br />

scchht<br />

ttee d<br />

deer<br />

r<br />

Meenns<br />

scchh<br />

ddeer<br />

r<br />

hheer<br />

rr<br />

rs<br />

scchheennddeenn<br />

KKl<br />

llaas<br />

ss<br />

see<br />

ddeenn<br />

Meenns<br />

scchheenn...<br />

EEr<br />

rs<br />

st<br />

tt<br />

i<br />

iinn<br />

ddeer<br />

r<br />

bbaassi<br />

iis<br />

sddeemmookkr<br />

raat<br />

tti<br />

iis<br />

scchheenn<br />

AAr<br />

rbbeei<br />

iit<br />

tteer<br />

rr<br />

räät<br />

tteer<br />

reeppuubbl<br />

lli<br />

iikk,<br />

,,<br />

ddeemm Maar<br />

rxx.<br />

..s<br />

scchheenn<br />

aauut<br />

tthheennt<br />

tti<br />

iis<br />

scchheenn<br />

SSoozzi<br />

iiaal<br />

lli<br />

iis<br />

smmuus<br />

s,<br />

,,<br />

wwi<br />

iir<br />

rdd<br />

ddeer<br />

r Meenns<br />

scchh<br />

f<br />

fr<br />

reei<br />

ii<br />

üübbeer<br />

r<br />

s<br />

si<br />

iicchh<br />

s<br />

seel<br />

llbbeer<br />

r<br />

eennt<br />

tts<br />

scchheei<br />

iiddeenn<br />

kköönnnneenn.<br />

..<br />

Die Klassengesellschaften rechnete Marx aber ebenfalls zu <strong>der</strong> Vorgeschichte<br />

des Menschen, weil hier <strong>der</strong> Mensch ebenfalls keinen Einfluss hatte. James<br />

Watt wusste zwar, wie viel PS seine Dampfmaschine hatte, aber er wusste<br />

nicht, dass er damit die Voraussetzung für den Kapitalismus schuf. Hier war<br />

z.B. die Dynamik des Akkumulationsgesetzes entscheidend, nicht <strong>der</strong> Wille<br />

des Menschen. Bei Strafe des Untergangs musste je<strong>der</strong> Kapitalist Kapital<br />

53 Rosa Luxemburg "Einführung in die Nationalökonomie", GW 5, Berlin 1990, S. 604<br />

54 Rosa Luxemburg "Einführung in die Nationalökonomie", GW 5, Berlin 1990, S. 673


anhäufen, ohne Ende. Akkumulieren um <strong>der</strong> Akkumulation willen heißt fortan<br />

das Credo <strong>der</strong> herrschenden Klasse.<br />

In Kurdistan noch fand<br />

man eine 11.000 Jahre alte<br />

Religionsstätte mit schönen<br />

Tierfigurenreliefen auf<br />

Steinstelen, Göbekli Tepe.<br />

In Çatal Hüyük in Anatolien<br />

lebten vor 8.000 Jahren dann<br />

schon 5-6.000 Menschen.<br />

Die Häuser wurden ohne<br />

Straßen aus Schutz vor<br />

Angreifern direkt<br />

aneinan<strong>der</strong>gebaut <strong>und</strong> man<br />

lief über die Dächer nach<br />

Hause<br />

In dem Palast in Arslan Tepe aber wurde vor 5.000 Jahren die erste<br />

organisierte Waffenproduktion aus Kupfer <strong>und</strong> Arsen geboren, die für den<br />

Fernhandel notwendige Voraussetzung waren. Dort fanden sich auch mehrere<br />

Tausend Rollsiegel, die Lieferscheine für die Kupferlieferungen. Die Rollsiegel<br />

mit Menschenfiguren <strong>und</strong> verschiedenen Tieren waren die Anfänge <strong>der</strong> Schrift.<br />

Die Schrift ist also wegen des Misstrauens entstanden. In Arslan Tepe<br />

verwandelten sich die<br />

Priesterkönige zu<br />

Kriegsgerren. Im<br />

benachbarten Jordanien fand<br />

man in Fenan eine<br />

fünftausend Jahre alte<br />

Schmiedewerkstatt, in <strong>der</strong><br />

bereits 100 Menschen<br />

gearbeitet haben.<br />

Bei dem gewaltsamen Übergang<br />

von <strong>der</strong> Stammesgesellschaft zur Klassengesellschaft wehrten sich die alten Mitglie<strong>der</strong> oft<br />

revolutionär. In den alten Stämmen waren ja alle Mitglie<strong>der</strong> gleichberechtigt. Da <strong>der</strong> Haushalt,<br />

<strong>der</strong> von den gebärenden <strong>und</strong> alten Frauen – die starken Frauen befanden sich mit auf <strong>der</strong> Jagd –<br />

im gemeinschaftlichen Haushalt noch „öffentlich“ für alle Stammesmitglie<strong>der</strong> durchgeführt<br />

wurde, genossen die Frauen auch die gleiche Anerkennung wie die Männer, die Stämme waren<br />

sogar nach dem Mutterrecht organisiert. Der Vater eines Kindes stand oft nicht fest, weshalb<br />

<strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> <strong>der</strong> Mutter für das Kind die Rolle des Vaters übernommen hatte. Das Kind erbte<br />

den Namen <strong>der</strong> Mutter. Die Mutter vererbte ihre persönlichen Sachen an die Tochter. Diese<br />

Mutterrechtsform kennt man heute noch in manchen südostasiatischen Völkern o<strong>der</strong> bei den<br />

74 - Internationale Sozialisten


Tuaregs. Hier erben nur die Frauen die Häuser. Damit sie in <strong>der</strong> Wüste versorgt sind, die<br />

Männer gehen ihren Beruf als Karawanentreiber nach. Die Frauen waren die Göttinnen.<br />

Als nun vor 11.500 Jahren im Nahen Osten <strong>der</strong> Ackerbau eingeführt wurde, <strong>der</strong> anfangs noch<br />

gemeinschaftlich bearbeitet wurde, ging man ca. vor 8.000 bis 7.000 Jahren dazu über, den<br />

Acker auf die Stammesmitglie<strong>der</strong> aufzuteilen <strong>und</strong> zu privatisieren. Die Männer holten sich<br />

gewaltsam das Vaterrecht, ordneten sich die Frauen unter <strong>und</strong> erhoben den Mann zum Gott.<br />

Um aber den Acker auch ihrem leiblichen Sohn zu vermachen können, wurde das Vaterrecht<br />

eingeführt. Mit <strong>der</strong> Privatisierung <strong>der</strong> Fel<strong>der</strong> geschah <strong>der</strong> Wechsel vom Mutterrecht zum<br />

Patriarchat, <strong>der</strong> Herrschaft des Mannes über <strong>der</strong> Frau.<br />

Dagegen rebellierten die Frauen, erfolglos. „In Alalakh, einer weiteren Stadt in Anatolien,<br />

zeigen die Ausgrabungen, dass sich mutterechtliche <strong>und</strong> patriarchale (Herrschaft des Mannes<br />

über die Frau) Verhältnisse abwechselten. Im 3. Jahrtausend v.u.Z. wurde Alalakh von<br />

Nomaden erobert, die Heiligtümer <strong>der</strong> Göttin in solche eines Gottes umwandelten. Im 19.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert v.u.Z. kam es zu einem Aufstand <strong>der</strong> matriarchalen Ur-EinwohnerInnen, <strong>der</strong><br />

Tempel <strong>der</strong> neuen Götter <strong>und</strong> <strong>der</strong> Palast des patriarchalen Königs wurde zerstört.“ Die<br />

Herrschaft des Mannes war schon zementiert. (Nur er konnte Entscheidungen treffen,<br />

Familienrichter)<br />

Die Entstehung <strong>der</strong> Klassengesellschaften ging einher mit regelmäßigen<br />

Kriegen. Nach Engels entwickelt sich die Gentilgesellschaft in <strong>der</strong> Oberstufe<br />

<strong>der</strong> Barbarei - also <strong>der</strong> Übergangsgesellschaft - zur »militärischen<br />

Demokratie«, <strong>und</strong> zwar deshalb<br />

»...Militärisch - denn <strong>der</strong> Krieg <strong>und</strong> die Organisation zum Krieg sind jetzt regelmäßige<br />

Funktionen des Volkslebens geworden. Die Reichtümer <strong>der</strong> Nachbarn reizen die Habgier<br />

von Völkern, bei denen Reichtumserwerb schon als einer <strong>der</strong> ersten Lebenszwecke erscheint.<br />

Sie sind Barbaren: Rauben gilt ihnen für leichter <strong>und</strong> selbst ehrenvoller als Erarbeiten. Der<br />

Krieg, früher nur geführt zur Rache für Übergriffe o<strong>der</strong> zur Ausdehnung des unzureichend<br />

gewordenen Gebiets, wird jetzt des bloßen Raubs wegen geführt, wird stehen<strong>der</strong><br />

Erwerbszweig. In ihren Gräben gähnt das Grab <strong>der</strong> Gentilverfassung <strong>und</strong> ihre Türme ragen<br />

bereits hinein in die Zivilisation. Und ebenso geht es im Innern. Die Raubkriege erhöhen die<br />

Macht des obersten Heerführers wie die <strong>der</strong> Unterführer; die gewohnheitsmäßige Wahl <strong>der</strong><br />

Nachfolger in denselben Familien geht, namentlich seit Einführung des Vaterrechts,<br />

allmählich aber in erst geduldete, dann beanpruchte, endlich usurpierte Erblichkeit; die<br />

Gr<strong>und</strong>lage des Erbkönigtums <strong>und</strong> des Erbadels ist gelegt. So reißen sich die Organe <strong>der</strong><br />

Gentilverfassung allmählich los von ihrer Wurzel im Volk, in Gens, Phratie, Stamm, <strong>und</strong> die<br />

ganze Gentilverfassung verkehrt sich in ihr Gegenteil: Aus einer Organisation von Stämmen<br />

zur freien Ordnung ihrer eignen Angelegenheiten wird sie eine Organisation zur Plün<strong>der</strong>ung<br />

<strong>und</strong> Bedrückung <strong>der</strong> Nachbarn, <strong>und</strong> dementsprechend werden ihre Organe aus Werkzeugen<br />

des Volkswillens zu selbständigen Organen <strong>der</strong> Herrschaft <strong>und</strong> Bedrückung gegenüber dem<br />

eigenen Volk...« 55<br />

55 Ebda., 9. 159<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 75


In dem folgendendem Schema kennzeichnet die Unter- <strong>und</strong> Mittelstufe <strong>der</strong> Wildheit<br />

die Zeit des Homo Erectus. Hier wurde nur eine rudimentäre Sprache entwickelt. Ab<br />

<strong>der</strong> Mittelstufe <strong>der</strong> Wildheit betritt dann <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ne Mensch vor 150.000 Jahren die<br />

Weltbühne <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong>. Mit <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Produktivkräfte entwickele sich<br />

auch in <strong>der</strong> Naturgesellschaft die Familienverhältnisse <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Zivilisation die<br />

Gesellschaftssysteme, die Produktionsverhältnisse<br />

Tabellenüberdicht:<br />

Vorgeschichte <strong>der</strong> Menschheit (Frühgeschichte <strong>und</strong><br />

Zivilisation) nach Engels: Ursprung <strong>der</strong> Familie ...<br />

76 - Internationale Sozialisten


1. Engels vermutet einmal, dass das massive Wachstum des Gehirns in dieser Zeit auf den<br />

regelmäßigen Konsum von Fleisch zurückzuführen ist, zum an<strong>der</strong>en aber auch, dass<br />

aber die regelmäßige Jagd zu einem planvollen, kollektiven Handeln zwang. Um<br />

gemeinsam ein großes Tier zu erlegen, musste nach einem durchdachten Plan z.B.<br />

eine Grube gemeinsam ausgehoben <strong>und</strong> sich dabei genau abgesprochen werden. Das<br />

zwang zur Verfeinerung <strong>der</strong> Sprache <strong>und</strong> des in die Zukunft gerichteten abstrakten<br />

Denkens. Dies würde mehr mit seiner Theorie übereinstimmen, dass die Arbeit die<br />

Menschwerdung des Affen hervorbrachte. Vielleicht stimmt aber auch beides.<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 77


2. Nutztierzähmung kann nur dort durchgeführt werden, wo zähmbare Tiere vorhanden<br />

sind. Hier trennt sich die Entwicklung <strong>der</strong> Menschheit in die Völker, die Tiere<br />

zum Zähmen vorfinden (Europa, Asien) <strong>und</strong> die, die mit keinen zähmbaren Tieren<br />

leben (Amerika, Australien, Afrika). Nutztierzähmung führt zur ersten Arbeitsteilung<br />

zwischen den Stämmen.<br />

3. Handwerk <strong>und</strong> Handel führt zur Arbeitsteilung zwischen Individuen. Der Händler ist<br />

selber nicht am Produktionsprozess beteiligt, schöpft aber vom Mehrprodukt ab.<br />

4. Ackerbau mit Pflug führt zur Privataneignung durch die Männer, da für seine<br />

Bedienung sehr viel körperliche Kraft benötigt wird. Haushalt ist nicht mehr<br />

öffentliche Produktion. Die Frau verliert an gesellschaftlichem Ansehen.<br />

Die Arbeitsteilung führte zu unterschiedlichem Reichtum <strong>der</strong> Stämme. Sie führte zur<br />

Abson<strong>der</strong>ung einer beson<strong>der</strong>en Schicht, die sich nicht um den täglichen Nahrungserwerb<br />

78 - Internationale Sozialisten


kümmern musste <strong>und</strong> sich somit zu einer herrschenden Klasse aufschwingen konnte. Zur<br />

Absicherung ihrer Macht benötigte sie aber einen Unterdrückungsapparat, <strong>der</strong> von den übrigen<br />

Volksmitglie<strong>der</strong>n getrennt wurde <strong>und</strong> von <strong>der</strong> privilegierten Klasse bezahlt werden musste. In<br />

den Urgesellschaften war es allein auf Gr<strong>und</strong> fehlen<strong>der</strong> natürlicher Ressourcen notwendig, den<br />

Mangel durch Ausweitung auf Territorien an<strong>der</strong>er Gruppen zu kompensieren. Wenn in <strong>der</strong><br />

Zivilisation aber auch kein Mangel herrschte, reizte allein <strong>der</strong> Reichtum an<strong>der</strong>er Völker zu<br />

Mord <strong>und</strong> Totschlag. Durch Anhäufung frem<strong>der</strong> Reichtümer konnten die Herrschenden ihre<br />

Macht gegenüber dem eigenen Volk <strong>und</strong> fremden Völkern erhalten <strong>und</strong> ausweiten. Somit<br />

konnten sie mehr Soldaten bezahlen. Es entstand ein vom Volk getrennter Repressionsapparat,<br />

<strong>der</strong> aber auch bezahlt werden musste: aus Raub <strong>und</strong> Plün<strong>der</strong>ung. Das Verbrechen erlebte seine<br />

Sanktionierung dadurch, dass <strong>der</strong> geraubte Reichtum notwendig schien zur Erhaltung des<br />

Unterdrückungsapparates gegen außen <strong>und</strong> Abtrünnige. Er wurde aber gleichzeitig eingesetzt<br />

zur Unterdrückung des eigenen Volkes. In Griechenland hieß dieser Repressionsapparat<br />

„policia”.<br />

Die Polizei wurde also nicht aufgebaut, um das Verbrechen zu bekämpfen, son<strong>der</strong>n um das<br />

Verbrechen durchführen zu können. Die Polizei als Geburtshelfer <strong>der</strong><br />

Unterdrückungsgesellschaften tritt auf als die erste kriminelle Verbrecherorganisation in <strong>der</strong><br />

Menscheitsgeschichte. Ihre Mitglie<strong>der</strong> verabredeten sich zum gemeinsamen Raub für ihren<br />

Fürst. Heute ist die Umkehrung von Verbrecherorganisation in Schutzorganisation offizieller<br />

Stanpunkt, wie alles in sein Gegenteil verkehrt wurde: Krieg heißt Frieden - Arbeisplatzabbau<br />

ist Betriebssicherung - statt sich zu freuen, dass einem bei <strong>der</strong> Arbeit geholfen wird, sagt man,<br />

<strong>der</strong> nimmt mir den Arbeitsplatz weg, statt an sich zu glauben, glaubt man einen religiösen<br />

Ersatz <strong>und</strong> ein Kämpfer für die Freiheit ist ein Aufwiegler. Engels beschreibt, dass <strong>der</strong> freie<br />

Athener sich zu <strong>der</strong> Schmachtat des »entwürdigendenden Schergendienst« bei <strong>der</strong> Polizei nicht<br />

hergab.<br />

»Wir sahn, daß ein wesentliches Kennzeichen des Staats in einer von <strong>der</strong> Masse des Volks<br />

unterschiednen öffentlichen Gewalt besteht. Athen hatte damals nur erst ein Volksheer <strong>und</strong><br />

eine unmittelbar vom Volk gestellte Flotte; diese schützten nach außen <strong>und</strong> hielten die<br />

Sklaven im Zaum, die schon damals die große Mehrzahl <strong>der</strong> Bevölkerung bildeten.<br />

Gegenüber den Bürgern bestand die öffentliche Gewalt zunächst nur als die Polizei, die so<br />

alt ist wie <strong>der</strong> Staat, weshalb die naiven Franzosen des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts auch nicht von<br />

zivilisierten Völkern sprachen, son<strong>der</strong>n von polizierten (nations policées). Die Athener<br />

richteten also gleichzeitig mit ihrem Staat auch eine Polizei ein, eine wahre Gendarmerie<br />

von Bogenschützen zu Fuß <strong>und</strong> zu Pferd - Landjäger, wie man in Süddeutschland <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Schweiz sagt. Diese Gendarmerie aber wurde gebildet - aus Sklaven. So entwürdigend kam<br />

dieser Schergendienst dem freien Athener vor, dass er sich lieber vom bewaffneten Sklaven<br />

verhaften ließ, als dass er selbst sich zu solcher Schmachtat hergab. Das war noch die alte<br />

Gentilgesinnung. Der Staat konnte ohne die Polizei nicht bestehn, aber er war noch jung <strong>und</strong><br />

hatte noch nicht moralischen Respekt genug, um ein Handwerk achtungswert zu machen, das<br />

den alten Gentilgenossen notwendig infam erschien.« 56<br />

»Wir sehn also in <strong>der</strong> griechischen Verfassung <strong>der</strong> Heldenzeit die alte Gentilorganisation<br />

noch in lebendiger Kraft, aber auch schon den Anfang ihrer Untergrabung: Vaterrecht mit<br />

Vererbung des Vermögens an die Kin<strong>der</strong>, wodurch die Reichtumsanhäufung in <strong>der</strong> Familie<br />

begünstigt <strong>und</strong> die Familie eine Macht wurde gegenüber <strong>der</strong> Gens; Rückwirkung <strong>der</strong><br />

Reichtumsverschiedenheit auf die Verfassung vermittelst Bildung <strong>der</strong> ersten Ansätze zu<br />

56 Engels:"Der Ursprung <strong>der</strong> Familie, des Privateigentums <strong>und</strong> des Staats." , MEW Bd.21, S. 115<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 79


einem erblichen Adel <strong>und</strong> Königtum; Sklaverei, zunächst noch bloß von Kriegsgefangnen,<br />

aber schon die Aussicht eröffnend auf Versklavung <strong>der</strong> eignen Stammes- <strong>und</strong> selbst<br />

Gentilgenossen; <strong>der</strong> alte Krieg von Stamm gegen Stamm bereits ausartend in systematische<br />

Räuberei zu Land <strong>und</strong> zur See, um Vieh, Sklaven, Schätze zu erobern, in regelrechte<br />

Erwerbsquelle; kurz, Reichtum gepriesen <strong>und</strong> geachtet als höchstes Gut <strong>und</strong> die alten<br />

Gentilordnungen gemißbraucht, um den gewaltsamen Raub von Reichtümern zu<br />

rechtfertigen. Es fehlte nur noch eins: eine Einrichtung, die die neuerworbnen Reichtümer<br />

<strong>der</strong> einzelnen nicht nur gegen die kommunistischen Traditionen <strong>der</strong> Gentilordnung<br />

sicherstellte, die nicht nur das früher so geringgeschätzte Privateigentum heiligte <strong>und</strong> diese<br />

Heiligung für den höchsten Zweck aller menschlichen Gemeinschaft erklärte, son<strong>der</strong>n die<br />

auch die nacheinan<strong>der</strong> sich entwickelnden neuen Formen <strong>der</strong> Eigentumserwerbung, also <strong>der</strong><br />

stets beschleunigten Vermehrung des Reichtums mit dem Stempel allgemein<br />

gesellschaftlicher Anerkennung versah; eine Einrichtung, die nicht nur die aufkommende<br />

Spaltung <strong>der</strong> Gesellschaft in Klassen verewigte, son<strong>der</strong>n auch das Recht <strong>der</strong> besitzenden<br />

Klasse auf Ausheutung <strong>der</strong> nichtbesitzenden <strong>und</strong> die Herrschaft jener über diese.« 57<br />

So, wie <strong>der</strong> Mensch die Produktionsverhältnisse än<strong>der</strong>t, so verän<strong>der</strong>te er sich selber Er<br />

drängte immer dann zu neuen Produktionsverhältnissen, wenn die alten<br />

Produktionsverhältnisse zu den neuen Produktivkräfte zu weit in Wi<strong>der</strong>spruch gerieten. Marx<br />

trägt mit seinem historischen Materialismus sowohl dem Materialismus von Feuerbach, wie<br />

auch <strong>der</strong> Dialektik von Hegel Rechnung, wenn er sagt: »Es ist nicht das Bewusstsein <strong>der</strong><br />

Menschen, das ihr Sein, son<strong>der</strong>n umgekehrt, ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein<br />

bestimmt.« (4)<br />

Der Ackerbau <strong>und</strong> die Metallurgie hatte zur Sklavenhaltergesellschaft geführt. Die<br />

Vierfel<strong>der</strong>-Wirtschaft hat aber dann den Feudalismus notwendig gemacht. Diese komplizierte<br />

Wirtschaftsform konnte mit Sklaven nicht mehr durchgeführt werden. Es bedurfte des<br />

Leibeigenen, <strong>der</strong> sich mit seinem Anteil auch identifizierte <strong>und</strong> sich Gedanken machte zu<br />

seiner Vermehrung. Er war damit <strong>der</strong> Sklavenhalterwirtschaft überlegen. Beson<strong>der</strong>s die<br />

aufkommende Mühlenproduktionsweise verdrängte um 1000 n.Ch. endgültig mit ihrer<br />

Überlegenheit über den Sklaven den Sklavenhalter. Die Mühle brauchte kein Essen, wurde<br />

nicht krank <strong>und</strong> rebellierte nicht. Mühlen waren schon früher bekannt, aber erst waren noch die<br />

Sklaven billiger als die Investition für eine Mühle. Aber sie führte letztlich wie<strong>der</strong> zur Blüte im<br />

Mittelalter. Die Pflüge wurden doppelt so schnell von Pferden wie die in <strong>der</strong> Antike üblichen<br />

Kühe gezogen, was diese Blüte noch verstärkte. In Europa konnte sich die ab dem 14. Jhdt. In<br />

Florenz <strong>und</strong> Venedig aufkommende Bourgeoisie sich schnell entwickeln, weil sie durch die<br />

zerklüftete Geographie entstandenen kleinen Län<strong>der</strong> <strong>und</strong> Konkurrenz unter den Königen<br />

ausnutzen konnte 58 .<br />

Schließlich sprengte die Entwicklung <strong>der</strong> Dampfmaschine 1712 bzw. 1769 das<br />

mittelalterliche, feudalistische Zunftwesen. Arbeitseinsparende Maschinen waren in <strong>der</strong><br />

städtischen Zunft im bei<strong>der</strong>seitigen Interesse des Königs <strong>und</strong> des Meisters verboten. Der König<br />

fürchtete die reicher als er werdende Bourgeoisie <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gildemeister den Konkurrenten.<br />

Deshalb wurden in Deutschland viele Entwicklungen wie die von Siemens o<strong>der</strong> Bosch auch<br />

auf dem Lande durchgeführt. James Watt konnte bei seinen Dampfmaschinen genau ihre<br />

Pferdestärke berechnen, aber er konnte nicht voraussehen, dass er mit dieser Maschine den<br />

57 Friedrich Engels: "Der Ursprung <strong>der</strong> Familie,...", MEW 21, S. 105<br />

58<br />

Vgl. Janossi<br />

80 - Internationale Sozialisten


Siegeszug des Kapitalismus <strong>und</strong> damit die Arbeiterklasse als Totengräber aller<br />

Klassengesellschaften eingeläutet hat.<br />

In den einfachen Warengesellschaften bestand <strong>der</strong> Produktionskreislauf aus Ware – Geld –<br />

Ware. Der Schuster im Feudalismus stellte also keine Schuhe her, um damit Profit zu machen.<br />

Er fertigte nur Schuhe, um sie z.B. für einen Sack Mehl einzutauschen. Er hatte also noch nicht<br />

das Interesse, Kapital anzuhäufen, zu akkumulieren. Er musste daher seinen Konkurrenten in<br />

den Gilden die Kapitalakkumulation mittels arbeitssparen<strong>der</strong> Maschinen untersagen, sonst<br />

hätte <strong>der</strong> ihn totrationalisiert. Die Mühlenproduktion war noch das Äußerste, was <strong>der</strong><br />

Feudalismus vertrug. Aber auf lange Sicht konnte die Bourgeoisie damit nicht leben <strong>und</strong> sich<br />

entfalten.<br />

In <strong>der</strong> kapitalistischen Warengesellschaft wird nach dem Prinzip Geld – Ware – Geld<br />

gehandelt. Dies führt zwar zu einer immensen explosionsartigen Zunahme <strong>der</strong> Produktivkräfte,<br />

aber gleichzeitig entwickelt damit das Kapital auch seinen eigenen Totengräber, die<br />

Arbeiterklasse. die im Wi<strong>der</strong>spruch zum Kapital steht. Auch <strong>der</strong> Wohlstand <strong>der</strong> Arbeiter hat<br />

absolut bis 1980 zugenommen, aber relativ wurde er zum Wohlstand <strong>der</strong> Aktienhalter immer<br />

kleiner. Der Lohnabhängige baut Villen <strong>und</strong> haust in Sozialwohnungen.<br />

Der Anteil in den Waren des Lohnes wird immer geringer. Er ist für den Kapitalist die<br />

einzige Quelle des Mehrwerts. Die Maschinen musste er schon an den Vorkapitalisten<br />

bezahlen <strong>und</strong> kann davon nichts mehr einbehalten. In Deutschland sank die Profitrate nach den<br />

Angaben des DGB 1982 schon auf den historischen Tiefststand von 5,4%. Die FDP hatte Kohl<br />

an die Macht geputscht <strong>und</strong> nun konnten die Konzerne sich die fehlenden Gewinne von den<br />

Lohnempfängern nehmen. Seit dieser Zeit sind auch auf dem europäischen Kontinent <strong>und</strong> in<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 81


Japan die absoluten Löhne nicht mehr gestiegen, in Amerika <strong>und</strong> in England sogar dank<br />

Reagan <strong>und</strong> Thatcher schon seit 1970. Das hat zwar zu einer vorübergehenden Steigerung <strong>der</strong><br />

Profitrate geführt, aber im neuen Jahrtausend fiel die Rate des Profits wie<strong>der</strong> unter ihren<br />

Tiefststand von 1982.1993 betrug sie nach Robert Brenner in produzierenden Gewerbe nur<br />

noch 3,5% gefallen. In China gab es 2005 noch 30%. Du wirst Dein Geld auch nicht auf ein<br />

Sparbuch bringen, was nur 1% Zinsen in dem Schneeballsystem Kapitalismus ausgibt. Also<br />

verwetten die Bosse ihren Schatz lieber bei den Derivaten-Wetten, Produktion mit einem<br />

Konkurrenzsystem lohnt sich nicht mehr.<br />

Vermehrt gingen die Produktionsbetriebe dazu über, die niedrigen Gewinne auf dem<br />

Finanzmarkt u.a.. mit Aktienhandel zu kompensieren, dem Sharehol<strong>der</strong>-Value o<strong>der</strong> Kasino-<br />

Kapitalismus. Nach dem letzten Crash 2000 ist auch das nicht mehr viel versprechend <strong>und</strong> man<br />

verlegte sich auf die Papiere <strong>der</strong> Private-Equitis- <strong>und</strong> Hedgefonds, die nur noch mit <strong>der</strong><br />

Zerstörung von Produktionsmittel Riesen-Profite machen, sie leben von <strong>der</strong> Substanz.. 90%<br />

aller Gewinne stammen aus dem oft kriminellen Finanzbereich <strong>der</strong> weißgewaschenen Waffen-<br />

o<strong>der</strong> Drogengeschäfte o<strong>der</strong> <strong>der</strong>. In Amerika haben die Heuschrecken weitgehend alles<br />

abgegrast, so dass im beginnenden 3. Jahrtausend die Zentren des alten Kapitals sich wie die<br />

alten Raubritter <strong>und</strong> Wegelagerer von dem Rohstoffklau in den ärmeren Län<strong>der</strong>n leben. Ab<br />

2008 sind sie nun übergegangen zum Bettekapitalismus. Über 1.000 Firmen wollen schon Geld<br />

vom Steuerzahler, sogar so renommierte Firmen wie Porsche <strong>und</strong> BMW betteln uns an. Bei<br />

Karmann gab es schon ein Bossnapping, die Ärmsten. Jetzt fehlt nur noch, dass die Massen<br />

mitkriegen, dass die Kassen leer sind, dann gibt es ein neues Leipzig 89. 312 Mrd. fehlen im<br />

Haushalt allein bis 2013, dann wird den Bossen bald niemand mehr helfen, keine Polizei, keine<br />

Armee <strong>und</strong> kein Richter.<br />

Wir Arbeiter werden eine Welt bauen,<br />

in <strong>der</strong> nicht mehr in Konkurrenz für<br />

einen blinden Markt o<strong>der</strong> für den<br />

Rüstungswettlauf wie in <strong>der</strong> DDR<br />

produziert wird, son<strong>der</strong>n nur noch<br />

planvoll für uns selber, weltweit<br />

koordiniert <strong>und</strong> weltweit verdienen wir<br />

alle das gleiche weil auch alles Wissen<br />

<strong>und</strong> alle Lizenzen allen zugänglich ist,<br />

<strong>und</strong> das können nur basisdemokratisch<br />

die Lohnabhängigen, niemand an<strong>der</strong>es.<br />

That’s all.<br />

In <strong>der</strong> Wildheit <strong>und</strong> <strong>der</strong> Barbarei<br />

herrschte die Natur über den Menschen<br />

<strong>und</strong> in den Klassengesellschaften das<br />

Gespenst <strong>der</strong> Gier <strong>der</strong> herrschenden<br />

Klassen über ihn. Diese Epoche <strong>der</strong><br />

Vorgeschichte <strong>der</strong> Menschheit, in <strong>der</strong><br />

die Menschen über ihre Geschicke nicht<br />

selber entscheiden, klingt nun aus in<br />

einem riesigen blutgetränkten<br />

Feuerwerk.<br />

82 - Internationale Sozialisten


Die historische Aufgabe <strong>der</strong> Klassengesellschaften, die Produktionskräfte für einen Überfluss<br />

zu entwickeln ist nun erledigt <strong>und</strong> jetzt entwickelt <strong>der</strong> Kapitalismus die Produktionskräfte nur<br />

noch gegen sich. Für die Menschheit dauerte das Leid <strong>der</strong> Klassengesellschaften historisch nur<br />

ein Augenzwinkern lang<br />

Wie ein gewaltiges Erdbeben schüttelt es die Menschen noch gehörig durcheinan<strong>der</strong>. Das<br />

Inferno verwandelt sich in Geburtswehen <strong>und</strong> <strong>der</strong> neue Mensch entsteigt inmitten aus <strong>der</strong><br />

glühenden, kotzenden Lava. Vor ihm liegt das Reich <strong>der</strong> Vernunft, jungfräulich <strong>und</strong><br />

transparent, keine Gespenster können sich hinter dunklen Ecken verbergen. Lasst die Festtage<br />

<strong>der</strong> Arbeitermassen beginnen. Nun wird <strong>der</strong> Mensch nach <strong>der</strong> Vernunft produzieren,<br />

solidarisch nach dem Bedarf aller Menschen <strong>der</strong> Welt.<br />

Flieg doch einfach mit.<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Nelte</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Logik</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeiterräte</strong> - 83

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!