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Paul Wulf - UWZ - Archiv

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Zwangssterilisation ablehnt. Hier wie dort wird die Frage<br />

nach der Ursache, nach dem Wesen des Gegebenen als<br />

unfruchtbar außer Betracht gestellt. Dahinter verbirgt<br />

sich die gemeinsame Philosophie des Positivismus, die<br />

dort die Frage nach dem gesellschaftlich-historischen<br />

Kontext des ‘Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses’<br />

wie hier die Frage nach den psychogenen<br />

Faktoren von Berufsunfähigkeit für irrelevant erklärt.<br />

Das vom Sozialgericht in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten<br />

vom 5.12.1968 stellt als Gesundheitsstörung<br />

‘Debilität’ und eine ‘lebhafte vaso-motorische<br />

Erregbarkeit’ fest. Die Zwangssterilisation und ihre Folgen<br />

reduzieren sich auf eine Operationsnarbe: ‘Narbe<br />

nach Samenleiterdurchtrennung beiderseits’. Nicht nur,<br />

daß kein einziger Satz über die Zwangssterilisation verloren<br />

wird, selbst der Begriff taucht überhaupt nicht<br />

mehr auf. Wollen wir nun wissen, wie der Nervenarzt zu<br />

seinen Ergebnissen gekommen ist, müssen wir die angewandte<br />

Untersuchungsmethode betrachten. Zum entscheidenden<br />

Kriterium für die Diagnose ‘Schwachsinn’<br />

wird die Bestandsaufnahme des vorhandenen Schulwissens,<br />

und das ist mangelhaft. Die Fragen, die hier gestellt<br />

werden, unterscheiden sich in ihrem Inhalt nicht von<br />

dem Intelligenzprüfungsbogen, der in standardisierter<br />

Form in sogenannten ‘Erbgesundheitsverfahren’ des<br />

‘Dritten Reichs’ verwendet wurde:<br />

»7x18+81:3=«<br />

Bezeichne die fünf Erdteile:<br />

Bei wieviel Grad kocht Wasser?<br />

Nenne die Monate mit 31 Tagen:<br />

Wo geht die Sonne auf?<br />

Im Wald ist eine zerstückelte Leiche gefunden<br />

worden. Die Polizei vermutet Selbstmord. Was ist<br />

davon zu halten?«<br />

<strong>Paul</strong> W.s Antworten bestätigen dem Gutachter, was<br />

bereits 1937 diagnostiziert worden ist: ‘erblicher<br />

Schwachsinn’ - hier in umschriebener Form als Debilität<br />

bezeichnet. Damit klärt sich zwar auch der Tatbestand<br />

der seit 1951 auftretenden Anfälle. Der Arzt hat es nicht<br />

für nötig befunden, ein EEG anzufertigen, um der Frage<br />

nachzugehen, um welche Anfälle es sich handeln könnte;<br />

er geht davon aus, daß es sich bei <strong>Paul</strong> W. um einen<br />

Intelligenzrückstand vom Grade einer Debilität handelt.<br />

Die Frage, ob es sich um ‘erblichen Schwachsinn’ handele<br />

oder ob einer geburtsbedingten Hirnschädigung<br />

Bedeutung zukomme, brauche im Rahmen seines Gutachtens<br />

nicht weiter diskutiert werden. Wie kommt der<br />

Gutachter zu seiner Feststellung, <strong>Paul</strong> W. leide an einer<br />

‘lebhaften vasomotorischen Erregbarkeit’, wobei hier<br />

davon abgesehen wird, daß es einen solchen Krankheitsbegriff<br />

eigentlich nicht gibt? <strong>Paul</strong> W. hatte in den<br />

früheren Jahren immer wieder darauf hingewiesen, daß<br />

er sich durch die Zwangssterilisation in der Entfaltung<br />

seiner Persönlichkeit und im Sozialstatus erheblich<br />

beeinträchtigt fühle, ohne daraus explizit eine Minderung<br />

seiner Erwerbsfähigkeit abzuleiten. Ganz im<br />

Gegenteil hatte er immer regelmäßig gearbeitet. Dem<br />

Gutachter gegenüber gab er nun an, daß ihn besonders<br />

die moralische Seite der Zwangssterilisation mitgenommen<br />

habe. Der Gutachter ging jedoch in keiner Zeile auf<br />

die Zwangssterilisation ein, sondern beobachtete lediglich<br />

die Reaktionen von <strong>Paul</strong> W., sobald er auf dieses<br />

Thema zu sprechen kam. Je größer die Ablehnung des<br />

Intelligenzprüfbogen zur Zeit des Nationalsozialismus als Anlage zum Antrag auf Unfruchtbarmachung<br />

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