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Karlheinz Biederbick - Galerie Rose

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<strong>Karlheinz</strong> <strong>Biederbick</strong><br />

Reliefminiaturen in Terracotta<br />

Reliefminiaturen in Terracotta


<strong>Karlheinz</strong> <strong>Biederbick</strong><br />

Reliefminiaturen in Terracotta<br />

1998 – 2008<br />

<strong>Galerie</strong> <strong>Rose</strong><br />

Hamburg 2009


© 2009 by <strong>Galerie</strong> <strong>Rose</strong>, Hamburg, <strong>Karlheinz</strong> <strong>Biederbick</strong>, Berlin<br />

Alle Rechte vorbehalten<br />

Reprophotos: Berger + Schink, Berlin, <strong>Karlheinz</strong> <strong>Biederbick</strong>, Berlin<br />

Gesamtherstellung: DMP Digital- und Offsetdruck GmbH, Berlin


<strong>Karlheinz</strong> <strong>Biederbick</strong><br />

Reliefminiaturen in Terracotta<br />

Um das Material Brennton habe ich lange<br />

einen großen Bogen gemacht. Es erschien<br />

mir zu gefällig und zu althergebracht.<br />

Indes war das Material Kunststoff – Polyesterharz<br />

– für mich und meine Frau<br />

Christa die richtige Wahl: synthetisch,<br />

gesichtslos, geschichtslos, provokativ. Es<br />

erlaubt Genauigkeit und Farbigkeit, zugleich<br />

ist es erschwinglich und von Hand<br />

in größeren Formen zu verarbeiten. Die<br />

Modelle hierzu entstanden aus Gips, der<br />

als Material mehrere ungefällige Seiten<br />

hat, und bei dem es einen langen Atem<br />

braucht, bis seine Oberfläche die Sinnlichkeit<br />

einer Eierschale annimmt, wie<br />

wir sie haben wollten. Später griffen wir<br />

zu Holz, das wir aber nicht schnitzten,<br />

behauten, sägten, sondern verleimten,<br />

raspelten, schliffen.<br />

Mit der Zeit spürte ich allerdings, daß die<br />

hölzernen Formstücke, welche Dingäquivalente<br />

für Gesehenes sein sollten, sich<br />

meinen Absichten eher verweigerten.<br />

Erst an einem schönen Tage im Jahre<br />

1998 griff ich in der Hobbyabteilung eines<br />

Baumarktes nach einem 10-kg-Paket<br />

mit weißem Brennton und lud es mit leiser<br />

Verachtung und ein wenig Neugier<br />

in meinen Drahtwagen. In der Werkstatt<br />

angekommen, nahm ich sogleich Kontakt<br />

zu dem Material auf und spürte, wie es<br />

auf einen Händedruck reagierte, wie es<br />

mir entgegenkam. Von diesem Moment<br />

an habe ich nicht mehr von diesem Stoff<br />

abgelassen und sehe nun, welcher Fehler<br />

der „große Bogen“ gewesen war.<br />

Die Miniatur lag mir nicht fern, doch<br />

wollte ich eigentlich immer größer hinaus.<br />

Erst in den achtziger und neunziger<br />

Jahren sind mehrere hölzerne Miniaturszenen<br />

entstanden.<br />

Das Relief interessierte mich anfangs<br />

nicht. Es erschien mir weder ein richtiges<br />

Bild, noch eine richtige Plastik zu sein,<br />

sondern eher eine Mischform, ein Zwitter.<br />

Erst später, bei Aufenthalten in Rom erkannte<br />

ich die großen formalen und erzählerischen<br />

Möglichkeiten dieses Mediums.<br />

Manche der antiken römischen<br />

Stücke haben in ihrer Plastizität und<br />

Stimmung einen tiefen Eindruck hinterlassen.<br />

Hier geht die Spannweite der formalen<br />

Mittel vom Flachrelief bis zu fast<br />

vollplastischen Elementen. Das habe ich<br />

für meine Arbeit übernommen.<br />

5


Zur Praxis<br />

Der Umgang mit dem Material Brennton<br />

brachte mich zur Kleinheit und zum Relief.<br />

Die Maße der Reliefs variieren um das<br />

Format DIN A 5, etwa zwischen 15 x 18<br />

und 18 x 26 cm. Das kleinteilige Arbeiten<br />

fördert den Rückzug in eine Vorstellungswelt,<br />

in die Imagination. Es entsteht eine<br />

Sogwirkung bis hinunter zur Größenordnung<br />

der Finger. Es öffnet sich für die<br />

Hände über der ausgerollten Tonplatte,<br />

aus welcher das Relief werden soll, ein realer<br />

Handlungsraum, in dem es spannend<br />

wird. Zugleich entsteht in der Fläche ein<br />

imaginärer Raum: Schon durch wenige<br />

formale Mittel, die perspektivisch gelesen<br />

werden können, erscheint Raumtiefe.<br />

Dieser Effekt macht die Tontafel zu einem<br />

Medium, welches die Darstellung räumlicher<br />

Gegebenheiten wie Landschaften,<br />

Architektur und figürliche Szenerien erlaubt.<br />

Damit habe ich auf einmal ein Mittel in<br />

der Hand, die über die Jahre in meinen<br />

Heften gesammelten Bleistiftskizzen von<br />

Landschaften, Figuren und Zeitungsbildern<br />

auszuwerten.<br />

Durch die Verwendung verschiedenfarbiger<br />

Tone weiß, grau, rosa, lederfarben,<br />

rot, ziegelrot, braun… wird die Bildwirkung<br />

unterstützt.<br />

Die Reliefs werden bei 960° C gebrannt<br />

(Schrühbrand). 1 Gelegentlich muß anschließend<br />

mit Aquarellfarben nachgetönt<br />

werden.<br />

1 für technische Hilfe und Beratung danke ich<br />

Angelika Dörbaum, der Keramikerin an der UDK<br />

Berlin<br />

Zur Präsentation wird hinter die Tontafel<br />

mit Montagekleber eine kleine Sperrholzplatte<br />

befestigt,die das Anschrauben an<br />

einen größeren Bildträger erlaubt.<br />

Für die Wirkung der Reliefs ist flach auftreffendes<br />

Licht unerläßlich.<br />

Der praktische Vorgang bei der Herstellung<br />

eines Reliefs ist ein aufbauender.<br />

Dazu ergreife ich vorausschauend eine<br />

bestimmte Menge des Tons. In der Hand<br />

und auf der Tischplatte wird der Ton vorgeformt,<br />

dann werden die Tonelemente<br />

in vorgeplanter Reihenfolge aufgelegt,<br />

verkettelt und überschichtet. Die Form<br />

entsteht durch „elementare“ Handlungen<br />

am Material, wie Rollen, Biegen, Tordieren,<br />

Abflachen, Quetschen, Anschneiden,<br />

wobei das Material auf die einwirkenden<br />

Kräfte antwortet. Das Ergebnis ist eine<br />

Spannung und Strukturierung der Oberfläche,<br />

wie man sie durch modellierendes<br />

Antragen und Abnehmen kleiner Teile<br />

nie erreichen würde.<br />

In der ersten Arbeitsphase geht es darum,<br />

die so erhaltenen Teile möglichst „unverletzt“<br />

in das Bildgefüge einzubringen, wo<br />

sie dann eine Darstellungsfunktion übernehmen<br />

müssen.<br />

Dieser Vorgang ist nach allen Seiten offen,<br />

dem Zufall ausgesetzt. Aber ich habe Vertrauen<br />

und lasse mich überraschen. Danach<br />

kommt die Phase der Korrekturen,<br />

des vorsichtigen Nachmodellierens. Aber<br />

immer ist es eine Folge von Entscheidungen<br />

beim „Knetwerk“, aus denen das Relief<br />

resultiert. Wir haben hier eine Parallele<br />

zu einem malerischen Konzept, mit wel-<br />

6


chem der Maler sein „Malwerk“ in Gang<br />

setzt.<br />

Dabei ist das Handeln am Material in die<br />

Zeit gestellt, ist ein Ereignis – es entsteht<br />

ein Spannungsbogen zwischen Anfang<br />

und Ende. Die Reliefs entstehen meistens<br />

in einem Durchgang in wenigen Stunden.<br />

Dabei arbeite ich immer nach Vorlage,<br />

einem Blatt Papier mit einer Notation,<br />

sei sie fotografisch oder zeichnerisch.<br />

Von dieser entsteht eine Interpretation,<br />

die immer zugleich auch Improvisation<br />

ist.<br />

Meine linearen, wenig schraffierten<br />

Handzeichnungen übernehmen diese<br />

Funktion der Vorlage. Die Linie als gegenwärtige<br />

Handlungsspur nimmt die<br />

soeben gesehenen Formzüge auf. Aus diesen<br />

lassen sich die Volumina herauslesen,<br />

interpretieren.<br />

Auch bei Fotos erschließen sich über tatsächliches<br />

oder vorgestelltes Ab-Zeichnen<br />

die Volumina und ihre Kombination.<br />

In den Printmedien und den bewegten<br />

Medien erscheint das Abgebildete flächig,<br />

ein Umstand, der uns kaum noch auffällt<br />

oder interessiert, obwohl von der Realität<br />

ein erheblicher Teil abgestreift wurde:<br />

ihre räumliche und plastische „Qualität“.<br />

Indem die Reliefminiatur als Ergebnis von<br />

Handlungen am Material im Raum das<br />

Fehlende zitiert, macht sie sich als Medium<br />

„welthaltiger“.<br />

Die Tonplatte nimmt plastische Werte<br />

auf, es entstehen „greifbare“ Bilder, an<br />

denen der Macher Spuren hinterlassen<br />

hat. Es sind Bilder, die „Fingerabdrücke“<br />

haben. Zum Schluß erhalten sie einen<br />

Stempel mit dem Entstehungsdatum.<br />

7


Urszene<br />

Masse und Geometrie<br />

Ort: Westküste der Insel Stromboli.<br />

In den zum Wasser hinstürzenden und<br />

aus diesem aufragenden Felsmassen in ihrem<br />

zwerwühlten Gegeneinander haben<br />

wir ein Stück unberührte Natur als Spur<br />

von Kraftwirkungen. Es ist ein großes<br />

Relief, das meinen Raum vor dem unaufgeschlossenen<br />

Dunkel definiert. Die Formen<br />

sind unfaßbar vielfältig. Der Blick<br />

findet keinen Ruhepunkt.<br />

Die Massen in ihrem wüsten Andrang<br />

fühlen wir als Druck auf der Seele.<br />

Es meldet sich die Urangst.<br />

Immerhin gibt es bei diesem Anblick einen<br />

Halt, die Wasserlinie, die Horizontale.<br />

Mit dieser kommt unauffällig ein ordnendes<br />

Element in das Chaos. Es ist die von<br />

der Planetenoberfläche geliehene Geometrie.<br />

Indem wir in die Ordnung gebende<br />

Flüssigkeit eintauchen, werden wir getragen,<br />

umhüllt, aufgehoben. Vom Wasser<br />

aus blicken wir auf die Felsenküste,<br />

suchen einen Landeplatz, einen Raum<br />

zwischen den Klippen. Indem wir diesen<br />

finden, meldet sich so etwas wie Urvertrauen.<br />

Dieses hat aus der gegebenen Situation<br />

eine Verbindung zur Geometrie.<br />

Im Anlanden zeigt sich Raum als das<br />

Erfahrbare, Begehbare, in welches wir<br />

durch unseren Stand die Vertikale einbringen.<br />

Das Blatt des Zeichners ist immer schon<br />

ein Symbol für die Verbindung von Horizontale<br />

und Vertikale. Es stiftet die Koordination.<br />

Diese begründet alles Weitere.<br />

Manchmal rollte ich ein paar solcher<br />

Blätter in eine wasserdichte Kapsel und<br />

schwamm damit die Küste entlang. Auf<br />

irgend einer einsamen Klippe setzte ich<br />

mich, nahm eine Schwimmflosse als Zeichenbrett<br />

und konzentrierte mich bei<br />

Salzgeschmack, trocknender Haut, Wind,<br />

Sonne und hartem Untergrund auf Papier<br />

und Bleistift. Die unruhige, laufende und<br />

springende Linie reagiert auf die komplizierten<br />

Seheindrücke, zugleich folgt sie<br />

den Formcharakteren der einzelnen Gebilde.<br />

Die Formcharaktere definieren sich aus<br />

dem Runden, Spitzen und Eckigen, also<br />

aus den geometrischen Grundfiguren und<br />

Grundkörpern.<br />

So trägt sich mit der Zeichnung notwendig<br />

die Geometrie in das Blatt ein, in die<br />

Koordinaten.<br />

In dieser Aktion ist die Geometrie das<br />

Rettende vor dem Unfaßbaren.<br />

8


Zeichnungen aus der wasserdichten Kapsel:<br />

Westküste des Stromboli I und II. Bleistift, etwa Originalgröße<br />

9


Westküste des Stromboli III. Bleistift, etwa Originalgröße<br />

10


Westküste des Stromboli IV und V. Bleistift, etwa Originalgröße<br />

11


Gegenstandslosigkeit, Konstellation:<br />

Andererseits gibt es für den Zeichner<br />

vor der Wasseroberfläche und den Steinmassen<br />

keine „Rettung“: beide Elemente<br />

entziehen sich, sind im Grunde unfaßbar,<br />

auch wenn wir von Wellen sprechen, Fels<br />

und Geröll. Kaum haben wir eine Welle<br />

angeschaut, verschwindet sie und macht<br />

der nächsten Platz. Die Wasseroberfläche<br />

liegt in der Raumzeit und ist unbegreifbar.<br />

Sie ist weder zeichnerisch noch plastisch<br />

darstellbar. Die Momentaufnahme, das<br />

Foto mit seinem Reiz, verfehlt ihr unruhiges<br />

Wesen.<br />

Ähnlich ist es im Grunde bei den Steinmassen,<br />

die aus Lapillifall und Lavaflüssen<br />

hevorgingen und sich im Niederbrechen<br />

und Abrutschen befinden. Die<br />

Langsamkeit der Vorgänge verschafft uns<br />

jedoch einen Anblick. Die nachfühlbaren<br />

Formzüge bringe ich mit den Koordinaten<br />

meines Blattes in Verbindung. Das hat<br />

zur Folge, daß im Sehen die Bewegung<br />

der Masse, die dynamischen Formen ihre<br />

Dominanz verlieren. Beherrschend wird<br />

die Anordnung der Bögen, Spitzen, Grate,<br />

Punkte und Flächen im Format des Blattes:<br />

die Konstellation.<br />

Hiermit verbindet sich manchmal und<br />

plötzlich die Empfindung großer Schönheit,<br />

ein Geist ist anwesend, etwas von<br />

der „anderen Seite“.<br />

Bei dieser Form der Wahrnehmung ist<br />

eine weiträumige Aktivierung des Gehirns<br />

anzunehmen, die wir uns wie die<br />

Wasseroberfläche als in der Raumzeit liegend<br />

vorstellen müssen. Diese Teilhabe<br />

ist für uns als dem Wasser entstiegene<br />

Lebewesen nicht unbedingt abwegig.<br />

Die von solchen Augenblicken zurückbleibende<br />

Zeichnung wird Notation für<br />

ein Terracotta-Relief. Sie enthält die Konstellation.<br />

Zugleich kommt eine Ahnung<br />

für den Andrang der Masse zurück. In<br />

der Gegenstandslosigkeit der Felsmassen<br />

zeigt sich der „Gegen-Stand“.<br />

Wenn auch die Naturformen in ihrer Verbindung<br />

zum Unendlichen undarstellbar<br />

sind, kann das Relief diesen „Stand“ und<br />

Druck vermitteln. Der „wüste“ Andrang<br />

der Masse ist Hintergrund aller Plastizität,<br />

ist im Grunde hinter allem, hinter der<br />

„Welt“. Das plastische Objekt ist aus diesem<br />

Grunde „welthaltig“.<br />

Die Gegenstandslosigkeit ist schlecht zu<br />

ertragen. Wir Ausgesetzten antworten<br />

auf die Härte, Wölbung, Zerklüftung des<br />

Anstehenden mit dem Hineinsehen von<br />

Bekanntem, mit der Projektion.<br />

Da ist Dantes Profil, dort ein liegendes<br />

Pferd, Drachenkopf und Wal.<br />

Zugleich sucht das Auge in der Maßstabslosigkeit<br />

von Fels und Geröll nach<br />

bekannten Gegenständen. So steuern<br />

Badende und Boote vor der sonnenbeschienenen<br />

Küste, selbst die auf runden<br />

Steinen liegenden Eisenteile eines gestrandeten<br />

Schiffes die Wahrnehmung.<br />

Es entsteht eine Dankbarkeit gegenüber<br />

dem Benennbaren. Trotzdem haftet beim<br />

Zeichnen der Blick nicht an den benennbaren<br />

Gegenständen. In der Umsicht liegt<br />

vielmehr ein Nachfühlen von Bewegungen<br />

und ein Vernehmen von Verdichtungen<br />

und Schwerpunkten im Formgezüge.<br />

Solche Haltepunkte für den Blick sind eigenwüchsig,<br />

sie wechseln im Sehen. Mit<br />

ihnen gruppieren sich die Formen und<br />

entwickeln Bindekräfte. Das Produkt der<br />

sich bindenden Teile ist das Motiv.<br />

12


Westküste des Stromboli VI und VII. Bleistift, etwa Originalgröße, vgl. S. 174 und 169<br />

13


Westküste des Stromboli VIII. Bleistift, etwa Originalgröße<br />

16


Westküste des Stromboli IX und X. Bleistift, etwa Originalgröße<br />

15


Westküste des Stromboli XI. Bleistift, etwa Originalgröße, vgl. S. 171<br />

16


Linien und Leitbilder<br />

Der Grund von allem ist ein Blatt Papier,<br />

der Bleistift und ein bißchen seelisches<br />

Gleichgewicht. Die Linie hält in ihrem<br />

Enstehen die „auftauchenden“ Gegenstände<br />

und ihre Gruppierungen fest. Sie<br />

bleibt dabei sanft und frei. Wenn das Gegenständliche<br />

Halt und Trost gegen das<br />

Chaos gibt, so wirkt dieses umgekehrt<br />

befreiend hinter der Feststellung und Aufzählung<br />

der Dinge.<br />

Die bei der Umsicht gefühlten Schwerpunkte<br />

werden auf das Viereck des Zeichenblattes<br />

übertragen und vernetzt. Es<br />

entsteht ein Niederschlag der gesehenen<br />

Motive, der allerdings eine Mehrdeutigkeit<br />

und Streuung behält. Der Grund<br />

hierfür ist, daß die Zeichnung drei Aspekte<br />

hat, die in der Empfindung in Wechselwirkung<br />

sind:<br />

Zeichnen ist Linienziehen, Zeichensetzen<br />

und Bezeichnen.<br />

Das Linienziehen ist emotional, das Zeichensetzen<br />

ist abstrakt und magisch, das<br />

Bezeichnen ist sachlich, es erfaßt die Konturen<br />

und Formcharaktere. Allerdings<br />

gewinnt die Zeichnung ihre Brauchbarkeit<br />

als Vorlage nicht aus der Ähnlichmachung,<br />

dem Stricheln und Schattieren,<br />

sondern ganz entscheidend aus der Aktion,<br />

der Geste, der Umschreibung.<br />

Von der damit gegebenen Offenheit lebt<br />

die plastische Interpretation im Relief.<br />

Das Relief zitiert die namenlose Masse,<br />

sucht Ordnung im Format, die Konstellation<br />

und Geometrie und spürt die motivischen<br />

Bindekräfte auf.<br />

Trotzdem meldet sich dabei permanent<br />

ein Widerspruch aus dem lustvollen Streben<br />

nach Ähnlichkeit und Erzählung.<br />

Leitbilder für die Haltung der Reliefs sind<br />

die alten chinesischen Landschaftsdarstellungen,<br />

bei denen mit leichter Hand<br />

gestaffelte Berge in ihrer plastischen Kraft<br />

gezeigt werden, sich schlängelnde Wege<br />

im begehbaren Talraum, zarte Brücken,<br />

Wasserfälle, überhängende Bäume am<br />

Ufer, Felsen, Boote, Häuser und ab und<br />

zu einige kleine Menschen in ihrem alltäglichen<br />

Tun.<br />

17


Reisebilder – Fernbilder – Inbilder<br />

Die hier vorgestellten Reisebilder sind<br />

nicht die Bilder, wie man sie von interessanten<br />

Reisen mitbringt, sondern<br />

vielmehr Ergebnisse des Ablösens, des<br />

Wechsels in die Stille, des Vertiefens.<br />

Die Rückkehr an die selben Orte verinnerlicht<br />

die Bilder, welhalb sie „Inbilder“<br />

genannt werden können. Ein solcher Ort<br />

der Rückkehr ist für mich die Westseite<br />

des Stromboli.<br />

Die Bewegung der Bergmasse in Abhang<br />

und Steilküste ist der tragende Grund.<br />

Mit diesem erscheint die alte Hafenanlage,<br />

Boote, die Häuser von Ginostra, Mauern,<br />

Wege, Terrassierungen, Buschwerk,<br />

gedrungene Olivenbäume, der alte Friedhof<br />

am Hang. Diese Gegenstände geben<br />

dem Auge Halt in der räumlichen Weite.<br />

Es entstehen von meinem Standpunkt aus<br />

Fernbilder, in denen nun, besonders im<br />

Abendlicht, alles Sichtbare in ein reiches<br />

Muster verwandelt wird, in welches ich<br />

mich beim Zeichnen suchend einfühle.<br />

Dabei ist der Abstand, die momentane<br />

Unerreichbarkeit die Bedingung für das<br />

Hineinsehen, für die Annäherung, das<br />

„Heim-Kommen“. Es ist der Schein, der<br />

diese Empfindung erzeugt.<br />

Ginostra. Bleistift<br />

18


Stromboli, Westseite I und II. Bleistift<br />

19


Westküste des Stromboli I und II. Bleistift<br />

20


Hafen von Ginostra I und Ii. Bleistift, vgl. S. 182 ff<br />

21


Die Stille und Einsamkeit lasse ich zurück,<br />

wenn ich an die Ostseite der Insel<br />

wechsele, an den Strand von Stromboli.<br />

Die Fülle der Gegenstände dort – Boote,<br />

Raupenschlepper, Fässer, Buden, Taue,<br />

Netze, Kisten, Folien, Abfall, Schirme<br />

und bewegte Menschen – geben im Sehen<br />

wandernde Schwerpunkte, wechselnde<br />

Motive, die ich mit eilendem Stift<br />

auffange.<br />

Diese gegenwärtige Stimmung in Präsenz<br />

und Schnelligkeit überdeckt allerdings<br />

eine andere Gefühlslage, in welcher die<br />

Linie sanft und langsam werden will,<br />

bauend, sachlich.<br />

Von dort her meldet sich ein Widerspruch,<br />

eine Zügelung.<br />

Die von den nachfolgenden Zeichnungen<br />

entstandenen Reliefs finden sich auf den<br />

Seiten 187 ff.<br />

Stromboli Strand I und II. Bleistift, vgl. S. 187–192<br />

22


Stromboli Strand III – V. Bleistift, vgl. S. 187–192<br />

23


Napoli Hafen:<br />

Nach einer Nachtfahrt von Stromboli in<br />

Neapel angekommen, verweile ich mit<br />

meinem Zeichenheft auf der Hafenmole.<br />

Die Stimmung vor Sonnenaufgang läßt<br />

keinen Platz für nüchterne Betrachtungen.<br />

Die Strukturen der Hafenindustrie<br />

erstrecken sich unter der Kontur des<br />

Doppelgipfels des Vesuvs. Gegen das frühe<br />

Tageslicht stehen Kräne und Schlote<br />

im Dunst, aufsteigender weißer Rauch.<br />

Kessel, Hallen, Docks, Kähne, ein einfahrendes<br />

Containerschiff, all dies verbindet<br />

sich zu einer zusammenhängenden unruhigen<br />

Struktur, aus welcher im Hinsehen<br />

wechselnde Gebilde auftauchen.<br />

Die Dinge staffeln sich im Raum über der<br />

Wasserfläche – vor dem Berg, über dessen<br />

rechten Hang, dem Südhang, damals für<br />

Pompeji und Herculaneum die Vernichtung<br />

niederging.<br />

Von dort her liegt ein Nachklang über<br />

dem Golf:<br />

Vor den geretteten Fresken fühle ich die<br />

damalige Kunstdichte. Ich sehe, wie mit<br />

einem Vorrat an Motiven, gekonnt und<br />

zügig das Dekor entstand. Es ist so, als ob<br />

ich den Malern bei der Arbeit zuschaute,<br />

es ist ein unmittelbares Sprechen „jetzt“<br />

mit dem Pinselstrich unter Verwendung<br />

vorgeplanter Farbstufen: Da haben wir<br />

wieder das „Malwerk“.<br />

Es ist nun auch für mich bei der plastischen<br />

Umsetzung der gezeichneten Bilder<br />

– wie hier der Hafenbilder – wichtig,<br />

die Mittel knapp und einfach einzusetzen.<br />

Die Kontur des Vesuvs entsteht z.B.<br />

durch Eindrücken einer zugeschnittenen<br />

Sperrholzschablone in die frische Tonplatte.<br />

Sie wäre durch modellieren nicht<br />

darstellbar. Die Hafenindustrie bildet sich<br />

mit dem Zusammensetzen kleiner vorgeformter<br />

Tonstücke, die beim Andrücken<br />

ihr eigenes Wesen treiben dürfen und<br />

dann im Zeigen von Dingen immer auch<br />

namenlose Gebilde bleiben.<br />

Hinzu kommen leichte Prägungen mit<br />

vorgefertigten Holzstempeln, Ritzungen<br />

und vielleicht ein paar Pinselstriche mit<br />

Tonschlicker (Engobe).<br />

Bei anderen Fernbildern sind die plastischen<br />

Mittel oft weniger knapp eingesetzt,<br />

und zwar dann, wenn es darum<br />

geht, eine gewisse Dramatisierung in die<br />

Erdoberfläche hineinzubekommen.<br />

Der Modellierton steht dabei nicht allein<br />

im Dienste des Visuellen, er hält stofflichen<br />

Kontakt zu dem, was er darstellt, er<br />

steht unmittelbar für „Erde“: Beispiele:<br />

Olevano S. 210, Panarea S. 193-195<br />

Das Verfahren bleibt riskant. Auf jeden<br />

Fall muß zum Vordergrund hin ganz<br />

energisch die Masse weggenommen werden,<br />

sonst entsteht kein Raumeindruck.<br />

Die Raumvorstellung bindet sich an die<br />

Fläche.<br />

24


Napoli Hafen. 2002, Terracotta, Detail, vgl. S. 200<br />

25


Stoff, Licht und Leere<br />

Rom 1979:<br />

Als Besucher während des Aufenthalts<br />

meiner Frau in der Villa Massimo nahm<br />

ich die Glegenheit wahr, mit dem Auto in<br />

südöstlicher Richtung in die Außenbezirke<br />

und ins Umland zu fahren.<br />

Von verschiedenen Haltepunkten aus unternahm<br />

ich mit der Kamera in der Hand<br />

Streifzüge über menschenleere Straßen<br />

und über unbefestigte Wege.<br />

Mit dem Auge und dem Objektiv haftete<br />

ich an den Dingen, an ihren stofflichen<br />

Oberflächen und dies durchaus mit Leidenschaft,<br />

vor allem wenn ich an die<br />

unerträgliche Leere über dem Himmelsblau<br />

dachte: Gras, Sand und Pflaster,<br />

Asphalt, Stein, Beton, Putz, rostendes<br />

Wellblech, Eisenteile, Eisentore, Pfosten,<br />

Autoschrott, Kies, Bagger, Maschendraht<br />

– alles ist sehr schön unter dem südlichen<br />

Licht. Wenn man sich dabei als „außerirdischer“<br />

und vorübergehender Besucher<br />

fühlt, bekommt ein Augenblick – ein<br />

Blick im Moment – ein Gewicht, das die<br />

Suche nach interessanten Motiven zu Boden<br />

zieht. Auf einmal zeigt das zufällig<br />

Gegebene seinen Reichtum an Form und<br />

Struktur, und es schließt Räume auf, in<br />

denen der fremde Gast ganz zu Hause ist.<br />

In Erinnerung blieben auch drei „Gestalten“<br />

auf freiem Feld: Die weiße, die rote<br />

und die gelbe Fabrik. Die weiße war eine<br />

aufgegebene Zementfabrik – Dach, Kamine,<br />

Mauern, Geräte in öden Räumen, ein<br />

Mahlwerk- alles dick weißlich überstaubt,<br />

davor ein Cinquecento auf dem Dach<br />

liegend. Die rote war eine Chemiebude<br />

mit angerosteten Kesseln auf dem Dach,<br />

blinder Verglasung, Gitterwerk, die gelbe<br />

holzverarbeitend. Die drei verlangten von<br />

mir, dargestellt zu werden, dringend, ich<br />

fand aber kein Mittel. Erst zwanzig Jahre<br />

später konnten sie als Terracotta-Miniatur<br />

im Zyklus „Rom, Vorstadt – Rom, vor der<br />

Stadt“ erscheinen (siehe Bilder S. 215-<br />

232).<br />

Als Vorlagen für diesen Zyklus dienten<br />

die Fotos von 1979, zu denen mich der<br />

Stoffkontakt, Erdkontakt motiviert hatte.<br />

26


Rom, vor der Stadt. Autoschrott II.<br />

2008, Terracotta, Detail, vgl. S. 231<br />

27


Erdlandung<br />

Den Erdkontakt suchte ich in dieser Zeit<br />

und Lebensphase noch auf andere Weise.<br />

In Berlin im Tiergarten, am Grunewaldsee<br />

oder der Krummen Lanke zog es mich<br />

im Sommer zu Liegewiese und Strand.<br />

Ich breitete meine Decke auf Gras und<br />

Sand, spürte den Boden unter mir und<br />

hatte das Zeichenheft vor mir. Es waren<br />

gute Momente, in denen ich Figuren und<br />

bewegte Szenerien mit dem Stift einfing.<br />

Die Mondlandung war vor nicht langer<br />

Zeit geschehen und unter diesem Eindruck<br />

erschien mir der Aufenthalt dieser<br />

Menschen auf unserer Planetenoberfläche<br />

als merkwürdig, als eine Ausnahme,<br />

als prekär.<br />

Zugleich liebte ich das bunte Treiben in<br />

diesem Frieden, den das Verharren der<br />

hochgerüsteten Militärblöcke gebracht<br />

hatte.<br />

Die in Sommer und Frieden entstandenen<br />

Zeichnungen übersetzte ich in Holzminiaturen,<br />

bei denen die Einzelteile<br />

momentan wahrgenommene Formzüge<br />

darstellten. Die Miniaturen waren keine<br />

Nachbildungen sondern Nachbilder<br />

augenblicklicher Erscheinungen: Augenblicksbilder<br />

(hierzu die folgenden Abb.).<br />

28


Polyester-Realismus… die „gefrorene Sekunde“<br />

Unter dieser soeben beschriebenen<br />

Schicht, also zeitlich früher, liegt die<br />

Phase der lebensgroßen, realistischen<br />

Polyesterplastiken. Auch hier spielte der<br />

Kontakt des Menschen zur Erdoberfläche<br />

und den zu ihr gehörenden Dingen<br />

eine wesentliche Rolle. Die Figuren haben<br />

aus diesem Grunde keine Sockel.<br />

Hier taucht schon das Thema „Liegewiese“<br />

auf: „Liegendes Paar“, „Urlauber in<br />

Sandburg“, „Badegesellschaft“, „Großer<br />

Schwimmer“, – dazu die Arbeiten meiner<br />

Frau – weiter „Mann auf Badewanne“,<br />

„Fallschirmspringer“ (Erdlandung),<br />

„Teerarbeiter“ (in Holz und Wachs),<br />

„Mann auf Treppe“ (der gehetzte Funktionär),<br />

„Eishockey“ (Gemeinschaftsarbeit<br />

mit Christa B.), „Arbeiter mit<br />

Preßlufthammer“ (dessen Aktionen sich<br />

gegen die geliebte Oberfläche richten).<br />

Die drei zuletzt genannten Arbeiten<br />

enthalten Formstaffelungen, festgestellte<br />

Bewegungsphasen.<br />

Die Polyesterplastiken bestehen materiell<br />

aus einer synthetischen, in den Raum<br />

gezogenen Haut.<br />

Es sind keine Naturabgüsse, sie sind vielmehr<br />

nach der klassischen Hierarchie<br />

der Formen – Gundformen, Zwischenformen,<br />

Oberflächenformen – mit Genauigkeit<br />

modelliert. Dennoch sind sie<br />

nicht auf das Ideal-Schöne bezogen, sie<br />

zielen eher auf das Provokant-Gewöhnliche<br />

von Alltagsfiguren, ausgestattet mit<br />

einer glatten und kalten Oberfläche.<br />

Die Polyesterfiguren stehen gewissermaßen<br />

im Dienste einer Provokation: sie<br />

führen eine Momentaufnahme vor, einen<br />

wahllos festgehaltenen Augenblick,<br />

die „gefrorene Sekunde“, die feststellende<br />

Beziehung zur Wirklichkeit.<br />

Immerhin spielt diese zugleich auf eine<br />

Jetzterfahrung an: Der Pilzsucher erfährt<br />

dies, wenn er auf dem Waldboden<br />

einen Pilz entdeckt, als kleinen<br />

freudigen Schreck. Ähnlich geht es<br />

bei der Entdeckung eines Motivs und<br />

schließlich bei der Gestaltfindung: Die<br />

Zeit wird „diskontinuierlich“. Wir nennen<br />

dies den Augenblick. Der Blick der<br />

Augen ist grundsätzlich in Erwartung<br />

einer Entdeckung. Das beschreibt die<br />

Ausgangslage der Tätigkeiten, um die es<br />

hier geht.<br />

30


Liegendes Paar. 1971/72, Polyester, 50 x 153 x 118 cm<br />

folgende Seiten:<br />

Arbeiter mit Preßlufthammer. 1970/72, Polyester, 162 x 75 x 75 cm<br />

Mann auf Badewanne. 1971, Polyester, 170 x 80 x 160 cm<br />

31


Eishockey. 1974 (gemeinsam mit Christa <strong>Biederbick</strong>),<br />

Polyester, 153 x 250 x 120 cm und 123 x 225 x 90 cm<br />

folgende Seiten:<br />

Mann auf Treppe. 1975/76, Polyester, 230 x 110 x 110 cm (Detail)<br />

Fallschirmspringer. 1973, Polyester,<br />

Figur: 210 x 65 x 65 cm, Fallschirm 250 x 350 x 200 cm<br />

34


Kranzniederlegung. 1979, Polyester, 232 x 255 x 100 cm<br />

38


Zeitungsbilder – Puppentheater<br />

Die ankommenden, kostbaren, taufrischen<br />

und ungetrübten „Zeit-Tropfen“<br />

werden normalerweise zusammenfliessend<br />

auf das Mühlrad des Tagesprogrammes<br />

geleitet und so „nutzbar“ gemacht.<br />

Falls sie aber zuvor – um im Bild zu bleiben<br />

– in einen Mühlteich gelangen, öffnet<br />

sich mit diesem ein Bewegungsraum für<br />

von uns nicht steuerbaren Wassertierchen.<br />

Beim Betrachten von Zeitungsfotos, besonders<br />

der älteren Schwarzweiß-Aufnahmen,<br />

setzt sich etwas fest, wozu die<br />

Gedanken immer wieder zurückkehren.<br />

Es verlangt wiederholte Betrachtung bis<br />

plötzlich die Entdeckungen da sind, die<br />

Motive auftauchen, die nun von mir verlangen,<br />

festgehalten zu werden.<br />

Das bedruckte Papier mit Text und Bild<br />

fördert einerseits den Rückzug von der<br />

punktuellen und augenblicklichen Wahrnehmung,<br />

von der zugreifenden Wirklichkeit,<br />

entspannt und erweitert nützlich<br />

den Horizont, andererseits wird es zum<br />

Mühlteich.<br />

Eines Tages stieß ich als gewohnheitsmässiger<br />

Nutzer der Hamburger Printmedien<br />

auf ein Foto mit dem Titel: „Kundgebung<br />

der Deutschen Wissenschaft am 11. Nov.<br />

1933 in Leipzig“ („Spiegel“ etwa 1977).<br />

Die alte Schwarzweiß-Vorlage und der<br />

Druck reduzierten die Helligkeitsstufen,<br />

weshalb das Licht wie Mehltau über<br />

der Szene lag und den Ausdruck für die<br />

Blendung und Lähmung der Akteure erzeugte.<br />

Dieses Zeitungsbild brachte mich<br />

zur Reduktion der Figur ins Puppenhafte,<br />

wobei Helligkeitsstufen zu Reliefstufen<br />

werden konnten. Die Figuren wurden in<br />

einem Holzgestell von 305 x 305 cm in<br />

einem reliefnahen Raum wie in einem<br />

Puppentheater versammelt. Vorn eine<br />

schräge Tischfläche mit den Professoren,<br />

dahinter die uniformierten Studenten mit<br />

Fahnen, oben auf dem Podest mit Rednerpult<br />

und Buchsbäumen Figuren in verkleinertem<br />

Maßststab.<br />

Das war der für mich folgenreiche „Aufbruch“<br />

1976-1978 (siehe Bild S. 41).<br />

Diesem Konzept folgend enstand 1979<br />

ein zweites Figurenbild: “Kranzniederlegung“<br />

in den Maßen 232 x 255 x 100 cm,<br />

bei welcher den Toten der vorangegangenen<br />

Katastrophe bei bereits wieder gefüllten<br />

Waffenlagern gedacht wurde. Die<br />

beiden Arbeiten „Aufbruch“ und „Kranzniederlegung“<br />

sind großformatig, mit unterlebensgroßen<br />

Figuren aus Polyester.<br />

Im Anschluß daran folgen drei Szenen<br />

nach Zeitungsbildern, ebenfalls großformatig,<br />

mit etwas stärker übersetzten Figuren<br />

aus Holz:<br />

„Konferenz“ (1980, siehe S. 43), „Fließbandarbeiterinnen“<br />

(1981/82, siehe S. 42)<br />

und „Machtverhältnisse“ (1983, siehe S.<br />

42 unten).<br />

Das hier vorliegende Konzept „Zeitungsbild“<br />

ruhte noch fünfzehn Jahre, bis ich<br />

zur Reliefminiatur in Terracotta kam.<br />

Als Zwischenglied zu den Miniaturen<br />

gibt es ein schon relativ kleines Polyesterrelief<br />

von 1997 in den Maßen 71 x 93 cm<br />

– ein Einzelstück – „Hi“ im Olympiastadion<br />

1936 (erste Fassung siehe Bild S. 40).<br />

39


„Hi im Olympiastadion 1936“.<br />

1. Fassung, 1997, Polyesterrelief, 70 x 93 cm<br />

40


„Aufbruch“:<br />

Kundgebung der deutschen Wissenschaften am 11. Nov. 1933 in Leipzig.<br />

1976–1978, Polyester und Holz, 305 x 305 x 150 cm<br />

41


oben:<br />

Fließbandarbeiterinnen.<br />

1981/82, Holz, 130 x 450 x 50 cm, mit Detailfotos<br />

unten:<br />

Machtverhältnisse. 1983, , Holz, 143 x 271 x 41 cm<br />

rechte Seite oben:<br />

Konferenz. 1980, Holz, 220 x 230 x 96 cm<br />

rechte Seite unten:<br />

Teerarbeiter. 1990, Holz, lebensgroß<br />

42


Noch ein Rückblick<br />

Unter der Zeitschicht der Auseinandersetzung<br />

mit der Figur, in der Zeitphase von<br />

1962 bis 1968 liegen Bemühungen um<br />

die abstrakte Plastik. Es war die Zeit meines<br />

Bildhauerstudiums.<br />

Von der Lehre wie vom Zeitgeist war Informel<br />

angesagt.<br />

Ich betrachtete den Durchgang zur „freien<br />

Form“ als notwendige Reinigung, als<br />

Läuterung vom Wildwuchs des Surrealisnus<br />

und der Karikatur, dem ich mich in<br />

den fünfziger Jahren hingegeben hatte.<br />

Ich fragte nun, was ist Plastizität, was<br />

ist Komposition, was ist überhaupt Form,<br />

die nichts abbildet und zu keinem Ding<br />

gehört.<br />

Die Form hat bei sich einen Charakter,<br />

aus welchem Formungen verstanden werden<br />

können.<br />

Die Plastizität als wesentliche Eigenschaft<br />

der Plastik entsteht aus der Vermittlung<br />

des Kubischen und Sphärischen,<br />

von Würfel und Kugel in einer um ihren<br />

Schwerpunkt schwingenden Masse.<br />

Die Komposition kommt aus der Orientierung<br />

im orthogonalen System, welches<br />

durch ganzzahlige Teilungen und den<br />

Diagonalen der Gesamtfläche und der<br />

Teilflächen immer schon eine haltbare,<br />

„permanente“ Struktur mitbringt. Aus<br />

dieser erhalten die Formzüge des Kunstgebildes<br />

ihre Beziehungen und Verortungen.<br />

Harmonisierungen ergeben sich aus Maßskalen<br />

der Teilschritte und aus wiederkehrenden<br />

Maßen und Formen (Iteration).<br />

Solche Einsichten hatte ich der Beschäftigung<br />

mit der „freien Form“ zu verdanken.<br />

Zu der abstrakten Plastik allerdings fand<br />

ich keinen erfüllenden Zugang. Ich hatte<br />

in diesem Medium keine Botschaft. Aus<br />

der damit verbundenen Krise kam 1968<br />

in Zusammenarbeit mit meiner Frau<br />

Christa der radikale Wechsel zur lebensgroßen,<br />

realistischen Figur.<br />

Zurück zur Gegenwart:<br />

Die hier vorgestellten Reliefminiaturen<br />

enthalten Realismus und Abstraktion. Es<br />

geht um das Konzept für die Formcharaktere<br />

der großen und kleinen Massen und<br />

ihre Anordnung im Format.<br />

Bei den figürlichen „Zeitungsbildern“ haben<br />

wir einen abgekürzten Realismus, in<br />

welchem aus meiner „Unterschicht“ Surrealismus<br />

und Karikatur einsickern.<br />

44


Zeitungsbilder – ein Zyklus<br />

Die unter diesem Titel versammelten Reliefminiaturen<br />

basieren auf der dankenswerten<br />

Vorarbeit der Fotografen und der<br />

Journalisten, welche die Fotos für ihre<br />

Textbeiträge auswählten. Es handelt sich<br />

größtenteils um Bildmaterial aus dem<br />

„Spiegel“ –von den 70er Jahren bis heute–<br />

weshalb ich den Zyklus auch Spiegel-<br />

Bilder nennen könnte.<br />

Einige stammen aus der „Zeit“ und könnten<br />

Zeit-Bilder genannt werden.<br />

Nach den Beiträgen zur jüngeren Zeitgeschichte<br />

versammelt sich ein kleines<br />

„Welttheater“, welches ich plastisch figuriere.<br />

Ermuntert wurde ich zu diesem Unternehmen<br />

durch wenige Zentimeter große<br />

Terracotta-Miniaturen der altgriechischen<br />

Kolonie im heutigen Lipari. Es sind<br />

Schauspielerfiguren aus den großen Theaterstücken<br />

als Grabbeigaben, die jetzt im<br />

dortigen Museum zu Szenen gruppiert<br />

aufgestellt sind.<br />

Man wird in diese hineingezogen, vergißt<br />

ihre Kleinheit und ist von der unnachahmlichen<br />

Formgebung im Innersten<br />

berührt.<br />

Wie die Landschaften als Fernbilder eine<br />

räumliche Unerreichbarkeit vorgeben, so<br />

ist es bei den Zeitungsbildern die zeitliche<br />

Unerreichbarkeit der meisten Szenen,<br />

die mich zur Vergegenwärtigung anregt.<br />

Es sind die Bilder, die etwas Vergangenes,<br />

Versunkenes zeigen oder eben von<br />

gestern sind, die eine Erzählhaltung, ein<br />

Nachfühlen auslösen.<br />

Als Vorlage für die „Zeitungsbilder“<br />

kommen mir solche Fotos entgegen, die<br />

öffentliche politische Inszenierungen aus<br />

dem engeren europäischen Raum zeigen,<br />

wie Ehrungen und Begrüßungen, Gespräche,<br />

Sitzungen, Konferenzen, Tagungen,<br />

Anhörungen, Kundgebungen, Tribunale<br />

sowie Kranzniederlegungen, Abschreitungen,<br />

Aufmärsche, Paraden.<br />

Schreckensbilder, die ja schon von den<br />

Journalisten sparsam verwendet werden,<br />

sind für mich ganz und gar undarstellbar,<br />

sie lassen mich verstummen.<br />

Die Bilder müssen einen „lebbaren“ Anblick<br />

geben, Raum für Satire und Spiel in<br />

Form und Szene.<br />

Die Sprachlosigkeit gegenüber dem Entsetzlichen<br />

ist im Grunde nicht aufhebbar.<br />

Die Motive greife ich eher zufällig auf,<br />

ohne an eine historische Erzählung zu<br />

denken, die ja auch ohne die Schreckensbilder<br />

unvollständig wäre. Gleichwohl<br />

lassen sich die Reliefs im Nachhinein in<br />

eine Reihenfolge bringen. Das gilt besonders<br />

für einen Zeitraum unserer jüngeren<br />

Geschichte.<br />

Das beginnt um 1900 eher sporadisch mit<br />

einzelnen, pittoresken Szenen: Wilhelm<br />

zwo bei der Hunnenrede, beim Kaisermanöver,<br />

im Adlon, mit Krupp in Essen, auf<br />

Korfu („Größe zu Größe“); Kanonen bei<br />

Krupp, Schlachtschiffe in Fernost, Pioniere<br />

der Luftfahrt.<br />

In der Folgezeit zwischen 1917 und 1947<br />

wird die Reihenfolge dichter.<br />

Ich wurde in diesen Zeitraum hineingeboren<br />

und habe dessen Ende einigermassen<br />

bewußt erlebt.<br />

Anfangs hatte ich das Minenspiel der<br />

Uniformhosen in Augenhöhe und wuchs<br />

in die ganze damit verbundene Szenerie<br />

hinein: Fahnenapelle mit erhobenem<br />

45


Arm, Braunhemden, Exerzieren, Führerbilder.<br />

Mit dem verstörenden Ende entstand<br />

zugleich eine Ahnung von Freiheit.<br />

Der Wegfall von Macht und Autorität<br />

ist aus heutiger Sicht eine ziemlich seltene<br />

Erfahrung. Diese verschaffte mir<br />

ein Sensorium für Machtausübung im<br />

Kleinen wie im Großen.<br />

Zeitungsphotos aus dieser Zeit treffen<br />

in mir auf einen Resonanzboden. Da<br />

will einiges noch einmal heraus. Indem<br />

ich es in meine Gegenwart hole,<br />

spüre ich die Peinlichkeit der Auftritte<br />

mit ihren Machtsymbolen aber<br />

auch die Heiterkeit des Davongekommenen.<br />

Die Karikatur ist das Mittel gegen die<br />

Peinlichkeit. Sie hilft bei der Darstellung<br />

der Hauptfigur z.B. in „Olympiastadion<br />

1936“, bei der Figurierung<br />

des in den Kulturraum aufsteigenden<br />

uniformierten Übels, z.B. „Prag 1941“.<br />

Schon beim „Marsch auf Rom 1922“<br />

spielt die italienische Lust am karnevalesken<br />

Aufzug gut mit. Weniger<br />

spaßig fällt die Figurierung bei<br />

„Moskau 1919“ aus, auch bei bei „Gas<br />

1918“ und „Gruppenbild mit H“.<br />

Mit „H“ oder „Hi“ in den Untertiteln<br />

ist der bewußte Name gemeint, den<br />

es mir widerstrebt hinzuschreiben.<br />

Ebenso geht es mir mit dem Hakenkreuz,<br />

das ich in den entsprechenden<br />

Fahnen weglasse, z.B. in „Wesselsturm<br />

1928“, „Bewegung 1“, „Neugründung<br />

einer Partei 1928“, „Sieg<br />

1940“. Bei letzterem Relief hat einmal<br />

der Besucher einer Ausstellung das<br />

Fehlende ergänzt.<br />

Wir verlassen die Erinnerungsbilder.<br />

Den im nachfolgenden Zeitlauf ostseitig<br />

entstandenen Strukturen konnte<br />

ich aus eigener Kraft ausweichen.<br />

Beim Blick zurück von West nach Ost<br />

und bei der Umsicht West verändert<br />

sich mit dem geringeren zeitlichen<br />

Abstand der Charakter der Vergegenwärtigung,<br />

es ist weniger ein historischer,<br />

eher ein mitfühlender und<br />

kritischer oder befürchtender Blick<br />

auf das Geschehen. Es sind wieder die<br />

Bilder der Zeitungen im Spiel.<br />

Mit diesen ist die Vergegenwärtigung<br />

zugleich ein Heranholen auffälliger<br />

Motive und ihre Übersetzung in<br />

Handlungen am Material.<br />

Es bereitet mir jedesmal einen kleinen<br />

Triumph, die wichtigen und unwichtigen<br />

Akteure – bevor sie ins Relief<br />

kommen – als Würstchen durch die<br />

Finger gleiten zu lassen.<br />

Bei der Kennzeichnung von Personen<br />

durch Mini-Porträts stoße ich allerdings<br />

an Grenzen.<br />

Das vor mir liegende Zeitungsbild als<br />

Pigmentspur auf Papier gibt mir einen<br />

Anblick, so wie Fels und Geröll<br />

einen Anblick gaben: Es ist hier wie<br />

dort ein Niederschlag vielschichtiger<br />

Vorgänge.<br />

Hier sucht sich das Verborgene Projektionsflächen<br />

in Gesichtern, Figuren,<br />

Szenen, Schauplätzen.<br />

Deren nachfühlbare Formzüge bringe<br />

ich in die Koordinaten meiner Tontafel.<br />

Mit den Formen und Strukturen entstehen<br />

Stimmungen, in denen der<br />

bildlose Hintergrund mitschwingt.<br />

46


Zeitungsbilder:<br />

1900 – 1914


„Die Hunnenrede“<br />

Wilhelm II in Bremerhaven 1900 vor der Abreise des<br />

deutschen Militärkorps nach China, er fordert dazu auf,<br />

bei der Niederschlagung des Boxeraufstandes wie die<br />

Hunnen vorzugehen.<br />

48


Kaisermanöver 1900<br />

49


Port Arthur 1904 (zwei Fassungen)<br />

50


Japanische Offiziere beobachten die<br />

Selbstversenkung der russischen Flotte<br />

1904<br />

51


Krupp 1904<br />

52


oben: Wilhelm II. mit Gefolge im Adlon 1907<br />

unten: Wilhelm II. auf Korfu 1911 (Größe zu Größe)<br />

53


Wilhelm II. mit Krupp in Essen 1912<br />

(Besichtigung einer Arbeitersiedlung)<br />

54


Pioniere der Luftfahrt 1909


Pioniere der Luftfahrt 1909:<br />

Luftsprung und panischer Schrecken<br />

56


Pioniere der Luftfahrt 1909:<br />

Vor dem Katapultstart<br />

57


Pioniere der Luftfahrt 1909:<br />

Startvorbereitung der „Fliegenden Kathedrale“<br />

58


Pioniere der Luftfahrt 1909:<br />

oben: Notwasserung im Kanal<br />

unten: Beobachteter Ausstieg<br />

59


Luftfahrtausstellung Paris 1909, I<br />

60


Luftfahrtausstellung Paris 1909, II<br />

61


Flugzeugbau 1914<br />

62


Krieg und Revolution


Revolutionäre „bürgerlich“ 1909<br />

64


oben: August 1914<br />

unten: Skagerrak 1916<br />

65


Gruppenbild mit „Hi“ 1918 (links vorne)<br />

66


Gas: erblindete englische Soldaten 1918<br />

67


Revolutionäre,<br />

Petrograd am Smolny 1917<br />

68


Revolutionsrat,<br />

Petrograd im Smolny 1917<br />

69


Brest-Litowsk 3.3.1918<br />

Ankunft der sowjetrussische Delegation zum Abschluß des<br />

Diktatfriedens mit Deutschland: Finnland, Baltikum, Polen,<br />

Ukraine u.a. wurden von Russland abgetrennt, wurde<br />

November 1918 außer Kraft gesetzt.<br />

70


Moskau 1919<br />

71


Ebert am Brandenburger Tor 1918:<br />

„Kein Feind hat euch überwunden!“<br />

72


Reichswehr, Berlin 1919<br />

73


Spartakuskämpfer auf dem Brandenburger Tor 1919<br />

74


Zwischen den Kriegen


Marsch auf Rom 1922, I und II<br />

76


Besuch in Ragusa 1929:<br />

König Alexander I. von Jugoslawien mit Königin Maria<br />

(Alexander I. wurde am 9.10.1934 in Marseille zusammen<br />

mit dem französischen Außenminister Barthou von einem<br />

makedonischen Terroristen erschossen.)<br />

77


Neugründung der NSDAP am 27.2.1925, die nach<br />

dem Hitlerputsch Nov. ’23 verboten worden war.<br />

(Mitgliederzahlen 1925: 27.000, 1929: 150.000,<br />

1933: 1,4 Mio, 1945: 8,5 Mio)<br />

78


oben: Berlin, Alexanderplatz 1926<br />

unten: Ebert und Wirth vor dem Reichstag<br />

79


Aufruhr, Berlin 1929<br />

linke Seite oben: Kapp-Putsch, Berlin 1920<br />

linke Seite unten: Wallstreet 1929<br />

81


Majakowski rezitiert Gedichte vor Rotarmisten, 1928<br />

linke Seite oben: „Wählt Sozialdemokraten“, Sozi-Jugend 1930<br />

linke Seite unten: KP-Jugend an der Saar 1934<br />

83


Wessel-Sturm, Nürnberg 1928<br />

84


Römischer Aufzug<br />

Die Witwe Horst Wessels bei Mussolini<br />

85


Thälmann in Moskau 1934<br />

rechte Seite oben: Bewegung I 1932<br />

rechte Seite unten: Bewegung II 1932<br />

„Hi“ mit Röhm, im Hintergrund Goebbels<br />

(Röhm ab 1931 Stabschef der SA, „Hi“ ließ ihn<br />

am 1.7.34 erschießen – Entmachtung der SA)<br />

86


Kabinettspolitiker 1933<br />

88


Abgang 1934<br />

89


Bad in der Menge<br />

90


„Hi“ im Olympiastadion 1936<br />

91


Balance I<br />

Der französische Außenminister Barthou (Mitte) bei Marschall<br />

Pilsudski mit dem polnischen Außenminister Beck (rechts) 1934<br />

rechte Seite oben: Balance II<br />

Beck mit Familie bei Göring auf Karinhall 1934<br />

rechte Seite unten: Balance III<br />

Beck, Lipski mit Neurath 1935 in Berlin<br />

(Beck, polnischer Außenminister, Lipski, polnischer Botschafter,<br />

Neurath, deutscher Außenminister)<br />

92


Trauerzug für Pilsudski 1935 mit Göring<br />

94


Beim Münchner Abkommen am 29.9.1938<br />

von links: Ribbentrop, Chamberlain, „Hi“, Daladier,<br />

auf dem Sofa rechts der britische Botschafter Henderson<br />

mit Keitel (Chef des Oberkommandos der Wehrmacht)<br />

95


Flugzeugbau 1938<br />

96


Zweiter Weltkrieg


Warschau 1939, I und II<br />

98


oben: Sieg 1940 (2. Fassung)<br />

unten: Molotow in Berlin 1940<br />

99


Narvik 1940, I<br />

100


Narvik 1940, II<br />

101


Prag 1941<br />

102


Vormarsch 1941, I und II<br />

103


Pearl Harbour 1941, I<br />

104


Pearl Harbour 1941, II<br />

105


oben: Über Kreta 1941<br />

unten: An der Führermaschine<br />

106


oben: Verwundetentransport 1942<br />

unten: Auf dem Gran Sasso 1943: Befreiung Mussolinis mit einer Fieseler Storch<br />

107


108


oben:<br />

Nationalkomitee Freies Deutschland<br />

unten:<br />

Stalingrad<br />

linke Seite oben: Transport russischer Kriegsgefangener 1941<br />

linke Seite unten: „Hi“ mit seinen Generälen<br />

109


Ein Fototermin Teheran 1943<br />

rechte seite oben: Vormarsch in Ostpreußen 1945<br />

rechte Seite unten: Die letzten Verteidiger Königsbergs 1945<br />

110


111


Flucht I<br />

112


Flucht II<br />

113


Normandie 1944, I<br />

114


Normandie 1944, II<br />

115


Seelower Höhen 1945<br />

116


Berlin 1945<br />

117


Köln 1945<br />

118


Duisburger Hafen mit versenkten Schiffen 1945<br />

119


Potsdam 1945<br />

120


Zug nach West<br />

121


Flucht III<br />

122


Nachkriegszeit


Tribunal I<br />

124


Tribunal II<br />

125


Die Unterschrift<br />

126


Kranzniederlegung I und II<br />

127


Kranzniederlegung III<br />

128


Kranzniederlegung IV<br />

129


An der Gedenkstätte Görden<br />

130


Trauerzug in Moskau<br />

131


Komponistenkongreß mit Schostakowitsch 1968<br />

132


Schauprozeß<br />

133


Mai-Parade in Moskau am Lenin-Mausoleum 1980<br />

rechte Seite oben: Mai-Parade in Moskau 1981<br />

rechte Seite unten: Aufzug der Rakentenwerfer<br />

134


135


Ohio-Klasse 1981<br />

136


13. August 1961<br />

137


„Regen“<br />

138


oben: Staatsbesuch in Angola 1979<br />

unten: 40. Jahrestag<br />

139


Ehrung I<br />

140


Begrüßung I<br />

141


Ehrung II<br />

142


Begrüßung II<br />

143


Spannung<br />

144


„Machtverhältnisse“ Okt. 1977<br />

Zu den Mitgliedern der trilateralen Kommission, die<br />

im Nato-Saal des Kanzleramts tagte, sprach Carters<br />

Sicherheitsberater Brzezinski. Er hatte die Kommission<br />

gegründet.<br />

145


Kopfstudie<br />

146


Fließbandarbeiterinnen 1971<br />

147


Unter Freunden im Elysée-Palast 1979<br />

148


oben: Am AKW Grohnde 1977<br />

unten: Berlin 1968<br />

149


Priesterweihe im Petersdom<br />

150


Der Pontifex Johannes Paul II auf den Philippinen 1983.<br />

151


oben: Prozession zur Madonna von Guadaloupe Mexiko 1979<br />

unten: US-Truppen auf Haiti 1934<br />

152


Phototermin mit Puppe und Rebellendarstellern 1954 in Guatemala.<br />

Die Puppe stellt den demokratisch gewählten Präsidenten Jacob<br />

Abrenz dar. Dieser ließ an landlose Bauern ungenutztes Agrarland<br />

der United Fruit Company verteilen. Das rief die USA auf den Plan,<br />

deren Entscheidungsträger, wie Eisenhower, die Brüder Dulles u.a. finanziell<br />

und familiär mit der United Fruit verbunden waren. Die CIA<br />

organisierte einen Putsch gegen den als Kommunisten verleumdeten<br />

Abrenz, der ins Ausland fliehen mußte.<br />

153


Börse<br />

154


„Erstklassige Arbeit“: Nixon mit Kissinger 1972<br />

155


Ezer Weizman (1993–2000 Präsident Israels) vor<br />

seiner Avia S 199, einer umgebauten Messerschmidt<br />

109 (Restbestand aus Görings Luftwaffe). Er flog eine<br />

der vier verfügbaren Maschinen in einem Einsatz am<br />

29.5.1948 gegen eine vorrückende ägyptische Militärkolonne:<br />

Wende im Palästinakrieg.<br />

156


oben: Vormarsch am Suezkanal im 6-Tage-Krieg 1967<br />

unten: Israel im Sinai<br />

157


Reihung orientalisch<br />

158


„Einmarsch“ der Marokkaner in die Westsahara 1975<br />

159


Kairo Heluan 1978<br />

160


Eine Kommission der OAU bei der Arbeit<br />

161


Volkshochöfen in China 1965<br />

162


Tschou En-Lai mit Kissinger 1972.<br />

Es gab Bankette in Hangtschou, Shanghai, Peking<br />

163


Nixon mit Mao 1972<br />

164


Nixon bei Tschou En-Lai 1972<br />

165


Reisebilder<br />

166


Stromboli


168


Stromboli, Westküste I – IV<br />

169


Stromboli, Westküste V und VI<br />

170


Stromboli, Westküste VII und VIII<br />

171


Küste bei Ginostra I und II<br />

172


Küste bei Ginostra III und IV<br />

173


174


Sciara del fuoco<br />

linke Seite: Küste bei Ginostra V und VI<br />

175


Stromboli Westseite I (Ginostra)<br />

176


Stromboli Westseite II (Ginostra)<br />

177


Westseite des Stromboli I und II<br />

178


Der alte Friedhof von Ginostra I und II<br />

179


Lazzaro I<br />

180


Lazzaro II<br />

181


Der Hafen von Ginostra I und II<br />

182


Der Hafen von Ginostra III<br />

183


Der Hafen von Ginostra IV<br />

184


Der Hafen von Ginostra V<br />

185


Der Hafen von Ginostra VI<br />

186


Stromboli Strand I<br />

187


Stromboli Strand II<br />

188


Stromboli Strand III<br />

189


Stromboli Strand IV<br />

190


Stromboli Strand V<br />

191


Stromboli Strand VI<br />

rechte Seite: Panarea I und II<br />

192


193


Panarea III<br />

194


Panarea IV<br />

195


Lipari I<br />

196


Lipari II. Gipfelregion mit Vulcano im Hintergrund<br />

197


Vulcano I und II<br />

198


Napoli, Hafen


Napoli Hafen I<br />

200


Napoli Hafen II<br />

201


Napoli Hafen III<br />

202


Napoli Hafen IV<br />

203


204


Napoli Hafen V – VIII<br />

205


Napoli Hafen IX und X<br />

206


Napoli Hafen XI<br />

207


Napoli Hafen XII<br />

208


Napoli Hafen XIII<br />

209


Landschaft bei Olevano I<br />

210


Landschaft bei Olevano II<br />

211


Ischia, Monte Pietra del Acqua<br />

212


Umbrien, Blick ins Tibertal<br />

213


Ansicht bei Olevano<br />

214


Rom, Vorstadt<br />

Rom, vor der Stadt


Rom, Vorstadt I<br />

216


Rom, Vorstadt II<br />

217


Rom, Vorstadt III<br />

rechte Seite: Rom, Vorstadt IV und V<br />

218


219


Rom, Kleinindustrie in der Vorstadt I<br />

rechte Seite: Rom, Kleinindustrie in der Vorstadt II und III<br />

220


221


Rom, Stadtrand I<br />

rechte Seite: Rom, Stadtrand II und III<br />

222


223


Rom, Stadtrand IV<br />

224


Rom, Stadtrand V<br />

225


226


Die gelbe Fabrik<br />

linke Seite oben: Die weiße Fabrik<br />

linke Seite unten: Die rote Fabrik<br />

227


Rom, vor der Stadt I<br />

228


Rom, vor der Stadt II<br />

229


Rom, vor der Stadt, Autowerkstatt<br />

rechte Seite oben: Rom, vor der Stadt, Autoschrott I<br />

rechte Seite unten: Rom, vor der Stadt, Autoschrott II<br />

230


231


Kiesgrube<br />

232


Stadtmotive


Berlin, am Westhafen I<br />

234


Berlin, am Westhafen II<br />

235


Essen, am Bahnhof I<br />

236


Straßenecke in Berlin<br />

237


Essen, am Bahnhof II<br />

238


Essen, am Bahnhof III<br />

239


Berlin, im Tiergarten<br />

240


Exkurse<br />

1. Projektion<br />

2. Motiv – Gestalt<br />

3. Momentaufnahme und Zeitgefühl<br />

4. Der Formkreis<br />

5. Eine Analyse<br />

241


Projektion<br />

Projektion ist das Hineinsehen von Bekanntem in<br />

irreguläre Strukturen.<br />

In dieser Fähigkeit zur Projektion zeigt sich eine uralte<br />

Ausstattung, die unseren Vorfahren die Überlebenschancen<br />

verbesserte, indem sie durch probeweises<br />

Hineinsehen vorgebildeter Muster in irreguläre<br />

Strukturen den Feind, das Jagdbare oder Begehrte<br />

rechtzeitig erkennbar machte.<br />

Die vorgebildeten Muster enthalten in einer zweiten<br />

Ebene magische Kombinationen, in denen das<br />

Anblicken steckt. Der volle Mond wird zum Mondgesicht.<br />

Wenn er aber manchmal am späten Abend<br />

durch die Wolken jagt, entsteht eine Prozession böse<br />

blickender Wesen.<br />

Unsere Vorfahren sahen mit dieser Fähigkeit zur<br />

Früherkennung überall Fratzen, Wesen, Geister,<br />

von welchen sie sich belästigt fühlten. Um diesem<br />

Mißstand etwas entgegenzusetzen, übertrugen sie<br />

diese zwanghaften Bilder z.B. schnitzend und malend<br />

auf ein begreifbares Stück Holz, womit sie diese<br />

entschärften, bannten.<br />

Es bietet sich ein Erklärungsmodell für die Entstehung<br />

von Kunst. Unter diesem Aspekt ist Kunst das,<br />

was entlastet.<br />

In der Kinderzeichnung werden diese Mechanismen<br />

spielerisch nachvollzogen und lebendig gemacht.<br />

Es ist nun allerdings ratsam, sich im gegenwärtigen<br />

Bemühen hiervon möglichst fern zu halten oder<br />

sparsam damit umzugehen.<br />

Zwei Punkte im Rund lasse ich manchmal durchgehen.<br />

Hierzu Ausschnitte aus zwei Reliefs: „Revolutionäre<br />

1917“ (S. 68) und Gesichter heimkehrender<br />

Frontsoldaten aus „Kein Feind hat Euch überwunden“<br />

(S. 72).<br />

242


243


Motiv – Gestalt<br />

Bei der Umsicht trifft die Wahrnehmung auf gespeicherte<br />

Formkombinationen, die als Dinggestalt<br />

augenblicklich verfügbar sind und uns den Halt geben.<br />

Das Gleiche gilt für die Wahrnehmung eines<br />

Lebewesens, besonders eines Menschen, den wir<br />

als wesentlichen Formzusammenhang erleben. Wir<br />

nennen dies die natürliche Gestalterfahrung.<br />

Bei der bildlichen Darstellung bleibt es allerdings<br />

nicht bei der Aufzählung und Aneinanderreihung<br />

solcher Formen. Es melden sich „unsachliche“ Zusammenhänge.<br />

Bei der „Nachfrage“ zeigt sich, daß bestimmte Formen<br />

in ihrer Guppierung Bindekräfte entwickeln.<br />

Das Produkt der sich bindenden Teile ist das Motiv.<br />

Es melden sich die gleichen Bindekräfte wie bei der<br />

natürlichen Gestalterfahrung, die nun allerdings<br />

eine „sublimierte“ Gestalterfahrung auslösen. Die<br />

Motive haften nicht einfach an den Dingen und Lebewesen,<br />

sie sind übergreifend oder untergreifend,<br />

detailliert. Wenn sie umgreifend sind, werden sie<br />

zur Gestalt, zur Kunstfigur oder Bildgestalt. Motive<br />

und Gestalten sind nicht einfach da. Sie umschliessen<br />

die Formen, binden und trennen sie.<br />

Das geschieht in zeitlicher Folge, im Werden und<br />

Vergehen. Sie haben eine Zeitdimension beim Erfassen<br />

wie beim Hervorbringen, wobei sie sich<br />

herausbilden, sich im Bildfeld und Stück umlagern<br />

und verlieren. Auch sind sie in gewissen Grenzen<br />

variabel. Der Bildner und Musiker schlägt Wellen in<br />

die Bindekräfte der Teile, wenn er am Werk ist. Der<br />

Betrachter ist manchmal auf hoher See.<br />

Die Motive verschmelzen sich reibend und überlagernd<br />

zur Bildgestalt. Die Reibung, wenn und wie<br />

sie gesehen wird, gibt dem Gebilde seinen Gehalt,<br />

seine flüchtige, schmerzende Tiefe.<br />

Die Getsalterfahrung verlangt Betrachtungszeit. Aus<br />

der traditionellen Sicht des Malers oder Bildhauers<br />

muß der Betrachter frei über seine Betrachtungszeit<br />

verfügen können.<br />

Die Gestalt, um die es in der Bildenden Kunst geht,<br />

ist die sich allmählich im Sehfeld abzeichnende Einheit<br />

von Formzügen, die nun allerdings plötzlich als<br />

„Wesen“ aus der Tiefe auf uns zukommt und dabei<br />

die Zeiterfahrung diskontinuierlich macht. In dieser<br />

Widersprüchlichkeit verdrängt das „Jetzt“ die Erwartung.<br />

Es stellt sich etwas ein, ergreift uns. Zwingen<br />

kann man es allerdings nicht.<br />

Der wesenhafte Formzusammenhang wird ins Ding<br />

oder als Ding gebracht, als Zeichnung, Bild, Relief,<br />

Plastik.<br />

Der Formzusammenhang trifft uns, kommt auf uns<br />

zu, geht nach innen zu den magischen Kombinationen<br />

und den gespeicherten, empfundenen Bildern,<br />

den Zeichen und den Proportionen.<br />

Der Formzusammenhang ist nachwirkend, kann in<br />

Erinnerung bleiben, wie eine Melodie.<br />

Motive und Gestalten haben einen Bezug zur Fläche.<br />

Erst mit dem Abstand dieser zum Betrachter<br />

kann das Wesen aus der Tiefe kommen. Das bindet<br />

den Zeichner an seinen Platz in der Landschaft und<br />

den Betrachter vor dem Blatt. Das Flächige ist kein<br />

Mangel, sondern eine notwendige Voraussetzung.<br />

Selbst die Vollplastik hat flächige Bezüge durch ihre<br />

Hauptansichten. Das Relief bringt seine Projektionsebene<br />

mit, es ist in diesem Sinne entgegenkommend.<br />

Die leichte Variabilität der Blickrichtung aktualisiert<br />

dabei die Gegenüberstellung.<br />

244


Momentaufnahme und Zeitgefühl<br />

Die Momentaufnahme, in deren Dienst auch die Polyesterfiguren<br />

stehen, ist ein Hammerschlag gegen<br />

den riesigen, im Dunklen vorbeitreibenden Schiffskörper,<br />

genannt Wirklichkeit –<br />

ein Schuß gegen die Oberfläche, ein Schnappschuß,<br />

der den Zeitpunkt aufschnappt, in welchem die Zeit<br />

gegen Null geht, zwischen der Vergangenheit, wo<br />

sie nicht mehr ist und der Zukunft, wo sie noch<br />

nicht ist. Es ist die Aufhebung der Zeit – die Moment-Aufnahme.<br />

Von dieser machen wir hier und überall ausgiebig<br />

Gebrauch, weil sie die Oberfläche bietet, an welcher<br />

das Hirn, der einsame Rechner in seiner Knochenkapsel<br />

zur Selbstfindung und Kommunikation seine<br />

Projektionen anbringt. Die Momentaufnahme bringt<br />

die Rücknahme der Dimensionen auf Zeitpunkt und<br />

Oberfläche, sie hilft gegen das Unaufhaltsame und<br />

Ortlose. Allerdings ist sie ein mit der Mechanik und<br />

Elektronik verbundenes Protokoll, welches im offenen<br />

Widerspruch zu unserem Zeitgefühl steht.<br />

Wir leben in Erinnerung und Erwartung, haben ein<br />

Gefühl für Verläufe, Takt, Geschwindigkeit.<br />

Aus den Erfahrungen, die wir mit unserem Körper<br />

machen, aus seinen Funktionen und Bewegungen<br />

erschließen sich naturhafte Prozesse in ihrer Bindung<br />

an Raum und Zeit, weshalb wir uns wenn vielleicht<br />

auch nur leichtsinnigerweise naturverbunden<br />

fühlen. Wir fühlen uns dazugehörig und sind ausgerüstet<br />

zu zeichnen, zu tanzen und zu musizieren.<br />

Zeit- und Raumgefühl tragen die Handlung am Material,<br />

das Linienziehen und Kneten.<br />

Die Aktionen gehen ins Offene und Freie und hinterlassen<br />

Spuren, die bleiben und sichtbar sind.<br />

Das haben sie mit der Momentaufnahme gemeinsam.<br />

Die Handlungsspuren als Festgestelltes treten<br />

in der hier verhandelten Frage in Symbiose mit der<br />

Momentaufnahme. Im Verfolgen der Spur erschließt<br />

sich Zeit und Emotion der Aktion. Symbiose bedeutet<br />

hier, daß die Formen in der Momentaufnahme,<br />

im Foto so verfolgt werden, als seien sie Handlungsspuren.<br />

Das Vertiefen in das Foto gibt der gefrorenen<br />

Sekunde Zeit zurück, Betrachtungszeit. Mit dieser<br />

begegnen Motive, passiert Gestaltfindung.<br />

Die Provokation mit der „gefrorenen Sekunde“<br />

knüpft hier an.<br />

245


Der Formkreis – Zahl und Geometrie<br />

Obwohl jeder seine eigenen Seherfahrungen machen<br />

muß, liegt diesen eine alle Sehenden verbindendes<br />

Wirkungsprinzip zu Grunde. Wir sind mit einem<br />

Formsinn ausgestattet, der die Wahrnehmung eines<br />

Formcharakters und Formzusammenhangs erlaubt.<br />

Dies ermöglicht es dem Bildhauer, sein Formgefühl<br />

und Formdenken zu Ausdruck zu bringen.<br />

Der Formsinn ist mit dem Farbsinn vergleichbar.<br />

Wir empfinden Formen wie die Farben als Qualität,<br />

durch welche eine gegebene Form oder Farbe ihren<br />

Charakter erhält. Das Formempfinden bezieht sich<br />

auf „reine“ geometrische Formen. Es besteht eine<br />

gewisse Entsprechung zum Farbempfinden, das sich<br />

auf definierte Wellenlängen des Lichtes bezieht, oder<br />

zu der Wahrnehmung von Tonintervallen mit einfachen,<br />

ganzzahligen Schwingungsverhältnissen.<br />

Die reinen unableitbaren Inhalte unserer Formanschauung<br />

sind die Grundfiguren und Grundkörper.<br />

Diese sind nicht Substrate aus langen<br />

Erfahrungen,sondern „a priori“ verfügbar.<br />

Die Formen lassen sich in Analogie zum Farbkreis<br />

oder Quintenzirkel in einem Kreis anordnen. Dieser<br />

Formkreis wird von den sechs Grundkörpern gebildet,<br />

wie die untenstehende Abbildung zeigt.<br />

Die Grundkörper ergeben in ihrer flächigen Projektion<br />

die drei Grundfiguren Kreis, Quadrat und Drei-<br />

246


eck, die im Inneren unsrer Kreisdarstellung liegen.<br />

Die Grundkörper sind mit den Grundfiguren über<br />

Projektionen und Bewegungsarten verknüpft. Die<br />

Bewegungsarten sind: Rotation, Vorschub und Zuspitzung.<br />

Über die Rücknahme der dritten Dimension,<br />

die Projektion und unterschiedliche Bewegungsarten<br />

gelangt man schrittweise zu den einzelnen<br />

Grundkörpern im Kreis. Die Hauptkörper Kugel,<br />

Würfel und Tetraeder sind charakterlich eindeutig.<br />

Sie beziehen sich jeweils auf eine Grundfigur über<br />

eine Bewegungsart. Die Nebenkörper Zylinder, Kegel<br />

und Prisma sind doppeldeutig.<br />

Über die unterschiedlichen Bewegungsarten regulieren<br />

die Grundkörper die emotionale Beziehung<br />

zu den sichtbaren Formen, das Nachfühlen und das<br />

funktionale Verständnis.<br />

Das schlechthin Runde, vertreten durch die Kugel,<br />

ist positiv besetzt. Es ist mobil und drehbar, korrespondiert<br />

mit der umkreisenden, umfassenden, umhüllenden<br />

Geste, mit der Frucht, dem lebensspendenden<br />

und Lebendigen.<br />

Der Kubus, der hergeschobene, gesetzte Block ist<br />

gründend und bauend, tektonisch , ruhig, stabil.<br />

Der Zylinder stützt, steht und rollt. Tetraeder, dazu<br />

Pyramide und Prisma sind die unter Spannung in<br />

sich zugespitzten Setzungen.<br />

Als abstrakte Form ist die Kugel Sphäre, sie korrespondiert<br />

mit Blase und Himmelskörper, der Kubus<br />

ist koordinierender Raum, die Formen der Zuspitzung<br />

zielen auf den imaginären Punkt, das etwaige<br />

Nichts.<br />

Bei der Wahrnehmung der konkreten Dinge werden<br />

Kombinationen der Grundformen und ihre Ableitungen<br />

wirksam. Dieses augenblickliche und selbstverständliche<br />

Geschehen wird übrigens vom Kubismus<br />

hinterfragt. Auch bei der Umsicht z.B. in der<br />

Landschaft entstehen vor diesem Hintergrund vielschichtige<br />

Eindrücke. Wir empfinden das Gerundete<br />

eines Hügels, einer Laubmasse, einer Kumuluswolke,<br />

einer Kuppel, daneben das Spitze eines Daches,<br />

Berggipfels, Segels, vielleicht einer Zypresse, das Zylindrische<br />

von Kesseln, Schloten und Türmen, das<br />

Kubische von Gebäuden, Gerüsten, Felsen.<br />

In diesen nacherzählbaren Formmischungen meldet<br />

sich bei den Gelegenheiten, um die es hier geht,<br />

etwas Unausgesprochenes. Es sind die Bindekräfte<br />

zwischen unterschiedlichen, dingübergreifenden<br />

und detaillierten Formzügen, die mit einer flächigen<br />

Sicht wirksam werden.<br />

Die Projektionen des Formkreises erscheinen jetzt in<br />

einem anderen Licht. Sie decken die Planimetrie auf.<br />

Die Grundfiguren Kreis, Dreieck, Quadrat(Viereck)<br />

fungieren jetzt als Bezirk, Konstellation und Areal.<br />

Die Bindekräfte, die zur Erfahrung neuer Einheiten,<br />

der Motive und schließlich zur Gestaltfindung führen,<br />

enstehen in der Geometrie der Fläche, in den<br />

Konstellationen, in Bezirken, in den Arealen. Sie wirken<br />

in Verdichtungen und Schwerpunkten, in denen<br />

Verwandtschaften und Kontraste, Richtungen, Größen<br />

und Iterationen eine ursächliche Rolle spielen<br />

und sie entstehen schließlich aus der Verortung in<br />

den vorgegebenen Koordinaten eines Formats.<br />

Solche Koordinaten entstehen bevorzugt bei der<br />

ganzzahligen Teilung der Seiten des Formats und<br />

beim Einbringen von Quadratbeziehungen. Diese<br />

haben eine stabilisierende Wirkung.<br />

Im einfachsten Fall sind es die Quadrate der Schmalseiten<br />

oder der halbierten Seiten.<br />

Harmonisierung ergibt sich aus Maßwiederholungen<br />

und Skalen, aus den damit verbundenen Proportionen.<br />

Merkwürdig ist hierbei die von dem Mathematiker<br />

Fibonacci im 13.Jh. entwickelte Zahlenreihe, nach<br />

welcher sich die Maßverhältnisse von Bildelementen<br />

bestimmen lassen.<br />

Sie beginnt mit dem Schritt 1 - 2. Jedes Glied ist danach<br />

die Summe der beiden vorausgehenden Zahlen.<br />

Damit haben wir eine Wiederholung des Rechenschritts:<br />

1 2 3 5 8 13 21 34 …<br />

247


Die Reihe endet im Unendlichen bei einem Verhältnis<br />

von 1 : 1,618…<br />

Es ist der Goldene Schnitt.<br />

Dieser enthält eine aus der Geometrie stammende<br />

irrationale Zahl.<br />

Sie entsteht bei der Zehnteilung des Kreises, aus welcher<br />

der Fünfstern gewonnen werden kann, das Pentagramm,<br />

welches bekanntlich Luzifer Pein bereitet.<br />

Die Harmonisierung durch Zahl und Maß fundiert<br />

Bildsprache - in gewisser Analogie zur Tonsprache.<br />

Beim Verstehen dieser Sprachen, beim Empfinden<br />

von Dissonanz und Harmonie geht das Gehirn zählend<br />

und messend vor, auch wenn dies nicht zum<br />

Bewußtsein kommt.<br />

Mit dieser Ausstattung gehen wir ins Offene, in die<br />

Formulierung. Dabei will die aus den Bewegungsarten<br />

des Formkreises kommende Form frei sein, suggestiv,<br />

schweifend oder bauend. Gleichzeitig aber<br />

folgt sie den Seheindrücken, sie wird bezeichnend,<br />

mimetisch.<br />

Im Durchgang bei der Herstellung eines Reliefs muß<br />

die Gewichtung jeweils gefunden werden.<br />

Das Ergebnis beleuchtet den Inhalt.<br />

248


Eine Analyse<br />

Um die Wirkung von Zahl und Geometrie im Bild<br />

zu belegen, nehme ich jetzt nachträglich eine Analyse<br />

von einem meiner Reliefs vor. Solche Analysen<br />

habe ich bisher an einigen russischer Ikonen durchgeführt.<br />

Das ausgewählte Relief „Hi im Olympiastadion<br />

1936“ hat die Maße a = 18 cm, b = 26 cm.<br />

Zur Analyse werden die Bildelemente in die Permanente<br />

Struktur des Formats eingetragen.<br />

Über dieser Verortung entwickelt sich die Geometrie<br />

und Proportionierung.<br />

Die Analyse ist durchaus hilfreich beim Sehen, sie<br />

berührt allerdings nicht dasjenige, was im Bild unausgesprochen<br />

bleiben muß.<br />

Das dem Relief zugeschriebene Format a:b=18x26cm<br />

enthält Fibonacci-Beziehungen:<br />

b/2=13 cm, b-a=8 cm, 2a-b=10 cm, 10/2=5 cm.<br />

Zufällig folgt die Skala dem Zentimetermaß, weshalb<br />

wir bequem nachmessen können.<br />

Die hier vorliegenden Darstellungen sind im Maßstab<br />

1 : 2 verkleinert.<br />

Die Vertikale bei b/2 und die Horizontale bei a/2<br />

sind bei Turm und Treppe spürbar und greifen leicht<br />

in die Anordnung der Figuren ein. Die Figurengruppe<br />

liegt unter a/2 und endet an der Quadratseite<br />

mit a/2 der unteren rechten Ecke. Dieses Quadrat<br />

ist „leer“, es enthält nur Treppenelemente. Das entsprechende<br />

Quadrat in der linken oberen Ecke ist<br />

ebenfalls „leer“, es enthält fast nur Himmel. Die beiden<br />

Quadrate sind Teil der „Permanenten Struktur“,<br />

wie sie sich durch Einzeichnen der Quadrate mit a<br />

ins Format, links- und rechtsbündig entwickeln läßt<br />

(siehe Bild S. 250). Die Diagonalen dieser Quadrate<br />

ergeben in der Bildmitte ein auf der Spitze stehendes<br />

Quadrat, dessen Diagonalen das Maß b-a=8 cm haben.<br />

Das unter der horizontalen Diagonale liegende<br />

Quadrat mit Seitenlänge 8 cm ist das Areal für die<br />

am weitesten vorgeschrittene Figurengruppe.<br />

Zusammen bildet die Figurengruppe einen von links<br />

nach rechts absinkenden „Fleck“.<br />

Das Herabschreiten wird als Sinkbewegung von<br />

den beiden großen Schrägen an Zuschauertribüne<br />

und Treppe begleitet. Die untere Schräge der Treppe<br />

kommt aus der unteren rechten Bildecke, weicht<br />

sich absenkend von der Bilddiagonale ab, sie geht<br />

durch den weisenden Arm des Offiziers (rechts) bis<br />

zum Punkt A auf der Mittelvertikalen des linken<br />

Quadrats mit a. Mit dieser bildet sich ein Dreieck,<br />

das die „Hauptfigur“ einschließt.<br />

Die obere Schräge (Tribüne) steigt von der Höhe<br />

10 cm vom rechten Bildrand an. An ihrem Ende B<br />

kommt man mit dem rechten Winkel zum Punkt C<br />

-10 cm (von links am unteren Bildrand). Die Vertikale<br />

an diesem Punkt bezieht sich auf die Hauptfigur<br />

und die Turmseite.<br />

Damit haben wir einen Teil der mit dem Diktator<br />

verbundenen Konstellation (rote Linien in Bild S.<br />

251). Des weiteren geht eine Schräge von Punkt D<br />

am Turmrand entlang zu Punkt E links. Von dort<br />

fällt eine Schräge zu Punkt F am rechten Bildrand,<br />

deren Abwärtsbewegung die figurative Masse folgt.<br />

Die von F ausgehende markierte Horizontale zeigt<br />

wiederum auf „Hi“ und wird von seinem angehobenen<br />

Unterarm aufgegriffen. Die Abwärtsbewegung<br />

vollführt auch die Gruppe der drei Areale mit Seitenlänge<br />

8 cm (in Bild S. 251 blau markiert):<br />

x = der leere Himmel, y = Areal mit „Hi“ als Zentralfigur,<br />

z = Abschluß der Figurengruppe.<br />

Um den Punkt A läßt sich ein Kreis mit r=8 cm<br />

ziehen. Aus diesem Bezirk kommt der Schwall der<br />

Figuren.<br />

Die Maße 5, 8, 13 cm tauchen an verschiedenen<br />

Bildelementen auf, dazu u.a. 6 cm = a/3 bei den<br />

vorderen Figuren mit „Hi“.<br />

Die halbierten Maße lassen sich an der vorliegenden<br />

Reproduktion nachmessen.<br />

Soweit die Andeutungen zur Komposition dieses<br />

Reliefs. Sie behandeln dasjenige, was man beim Machen<br />

im Blick hat.<br />

249


Arbeitsblatt im Maßstab 1:2 verkleinert<br />

250


Die permanente Struktur des Formats 26 : 18 = 13 : 9<br />

e = 2 e = 1<br />

251


<strong>Karlheinz</strong> <strong>Biederbick</strong><br />

1934 in Magdeburg geboren<br />

Schulbesuch in Jena und Zella-Mehlis<br />

1955 – 62 Chemiestudium in Heidelberg (Diplom)<br />

nebenbei Druckgrafik und Karikaturen<br />

1962 – 68 Studium der Bildhauerei an der<br />

Hochschule für Bildende Künste Berlin<br />

bei Bernhard Heiliger<br />

1968 Eheschließung mit der Bildhauerin<br />

Christa Tewes<br />

Publikation eines Lehrbuchs über<br />

Kunststoff-Chemie und -Technik<br />

erste Plastiken aus glasfaserverstärktem<br />

Polyesterharz (GFK)<br />

Entwicklung von neuen<br />

Abformtechniken<br />

Lehrauftrag für Kunststoff-Technik an<br />

der Berliner Hochschule der Künste<br />

seit 1970 Ausführung realistischer, lebensgroßer<br />

Figuren aus GFK<br />

1973 – 99 Professur für Bildhauerei an der<br />

Berliner Hochschule der Künste<br />

1975 Geburt der Tochter Margherita<br />

1976 Eintritt in die Gruppe ZEBRA<br />

seit 1976 Gruppenbilder im reliefnahen Raum<br />

seit 1980 Gruppenbilder in Holz<br />

diverse Ausstellungsbeteiligungen im<br />

In- und Ausland<br />

Mitglied des Deutschen Künstlerbundes<br />

Mitglied des Künstlersonderbundes in<br />

Deutschland<br />

1984 Arbeit über das Plastische Denken in der<br />

römischen Antike: „Spaziergänge durch<br />

die Antikensammlungen in Rom“<br />

Studienaufenthalte bevorzugt in Italien<br />

Arbeiten über Bildgeometrie<br />

Ausführung von Plastiken für den<br />

Öffentlichen Raum<br />

seit 1985 Holzminiaturen<br />

seit 1998 Reliefminiaturen in Terracotta:<br />

Landschaften und figürliche Szenen<br />

2005 19 Reliefs für die Sammlung Würth<br />

<strong>Karlheinz</strong> <strong>Biederbick</strong> lebt in Berlin und<br />

Bahnitz (Havelland).<br />

252


Inhaltsverzeichnis<br />

Einleitung:<br />

Bildteil:<br />

5 Reliefminiaturen in Terracotta<br />

8 Urszene. Masse und Geometrie<br />

9 Zeichnungen aus der „wasserdichten Kapsel“<br />

12 Gegenstandslosigkeit, Konstellation<br />

13 Zeichnungen von der Westküste des Stromboli<br />

17 Linien und Leitbilder<br />

18 Reisebilder – Fernbilder – Innenbilder<br />

18 Stromboli, Zeichnungen<br />

22 Die Stille…<br />

22 Zeichnungen Stromboli, Strand<br />

24 Napoli, Hafen<br />

25 Napoli, Hafen, 2002, Terracotta (Detail)<br />

26 Stoff, Licht und Leere<br />

27 Autoschrott II, 2008, Terracotta (Detail)<br />

28 Erdlandung<br />

28 Holzminiaturen<br />

30 Polyester-Realismus…<br />

die „gefrorene Sekunde“<br />

31 Liegendes Paar, 1971/72, Polyester<br />

32 Arbeiter mit Preßlufthammer,<br />

1970/72, Polyester<br />

33 Mann auf Badewanne, 1971, Polyester<br />

34 Eishockey, 1974, Polyester<br />

35 Mann auf Treppe, 1975/76, Polyester<br />

37 Fallschirmspringer, 1973, Polyester<br />

38 Kranzniederlegung, 1979, Polyester<br />

39 Zeitungsbilder – Puppentheater<br />

40 „Hi“ im Olympiastadion, 1. Fassung,<br />

1997, Polyester<br />

41 Aufbruch, 1976-1978, Polyester und Holz<br />

42 Fließbandarbeiterinnen, 1981/82, Holz<br />

Machtverhältnisse, 1983, Holz<br />

43 Konferenz, 1980. Teerarbeiter, 1990, Holz<br />

44 Noch ein Rückblick<br />

45 Zeitungsbilder – ein Zyklus<br />

Reliefminiaturen 1998–2008<br />

Die Größe der Reliefs variiert um das Format<br />

DIN A 5, zwischen 15 x 18 und 18 x 26 cm.<br />

Der Abbildungsmaßstab liegt also zwischen<br />

halber Größe und nur geringer Verkleinerung.<br />

Einige Reliefs sind nahezu originalgroß<br />

abgebildet.<br />

Zeitungsbilder<br />

47 1900–1914<br />

55 Pioniere der Luftfahrt 1909<br />

63 Krieg und Revolution<br />

75 Zwischen den Kriegen<br />

97 Zweiter Weltkrieg<br />

123 Nachkriegszeit<br />

Reisebilder<br />

166 Stromboli<br />

199 Napoli, Hafen<br />

215 Rom, Vorstadt<br />

Rom, vor der Stadt<br />

233 Stadtmotive<br />

Exkurse:<br />

242 Projektion<br />

244 Motiv – Gestalt<br />

245 Momentaufnahme und Zeitgefühl<br />

246 Der Formkreis – Zahl und Geometrie<br />

249 Eine Analyse<br />

252 Biographische Daten<br />

253

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