Karlheinz Biederbick - Galerie Rose
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Arm, Braunhemden, Exerzieren, Führerbilder.<br />
Mit dem verstörenden Ende entstand<br />
zugleich eine Ahnung von Freiheit.<br />
Der Wegfall von Macht und Autorität<br />
ist aus heutiger Sicht eine ziemlich seltene<br />
Erfahrung. Diese verschaffte mir<br />
ein Sensorium für Machtausübung im<br />
Kleinen wie im Großen.<br />
Zeitungsphotos aus dieser Zeit treffen<br />
in mir auf einen Resonanzboden. Da<br />
will einiges noch einmal heraus. Indem<br />
ich es in meine Gegenwart hole,<br />
spüre ich die Peinlichkeit der Auftritte<br />
mit ihren Machtsymbolen aber<br />
auch die Heiterkeit des Davongekommenen.<br />
Die Karikatur ist das Mittel gegen die<br />
Peinlichkeit. Sie hilft bei der Darstellung<br />
der Hauptfigur z.B. in „Olympiastadion<br />
1936“, bei der Figurierung<br />
des in den Kulturraum aufsteigenden<br />
uniformierten Übels, z.B. „Prag 1941“.<br />
Schon beim „Marsch auf Rom 1922“<br />
spielt die italienische Lust am karnevalesken<br />
Aufzug gut mit. Weniger<br />
spaßig fällt die Figurierung bei<br />
„Moskau 1919“ aus, auch bei bei „Gas<br />
1918“ und „Gruppenbild mit H“.<br />
Mit „H“ oder „Hi“ in den Untertiteln<br />
ist der bewußte Name gemeint, den<br />
es mir widerstrebt hinzuschreiben.<br />
Ebenso geht es mir mit dem Hakenkreuz,<br />
das ich in den entsprechenden<br />
Fahnen weglasse, z.B. in „Wesselsturm<br />
1928“, „Bewegung 1“, „Neugründung<br />
einer Partei 1928“, „Sieg<br />
1940“. Bei letzterem Relief hat einmal<br />
der Besucher einer Ausstellung das<br />
Fehlende ergänzt.<br />
Wir verlassen die Erinnerungsbilder.<br />
Den im nachfolgenden Zeitlauf ostseitig<br />
entstandenen Strukturen konnte<br />
ich aus eigener Kraft ausweichen.<br />
Beim Blick zurück von West nach Ost<br />
und bei der Umsicht West verändert<br />
sich mit dem geringeren zeitlichen<br />
Abstand der Charakter der Vergegenwärtigung,<br />
es ist weniger ein historischer,<br />
eher ein mitfühlender und<br />
kritischer oder befürchtender Blick<br />
auf das Geschehen. Es sind wieder die<br />
Bilder der Zeitungen im Spiel.<br />
Mit diesen ist die Vergegenwärtigung<br />
zugleich ein Heranholen auffälliger<br />
Motive und ihre Übersetzung in<br />
Handlungen am Material.<br />
Es bereitet mir jedesmal einen kleinen<br />
Triumph, die wichtigen und unwichtigen<br />
Akteure – bevor sie ins Relief<br />
kommen – als Würstchen durch die<br />
Finger gleiten zu lassen.<br />
Bei der Kennzeichnung von Personen<br />
durch Mini-Porträts stoße ich allerdings<br />
an Grenzen.<br />
Das vor mir liegende Zeitungsbild als<br />
Pigmentspur auf Papier gibt mir einen<br />
Anblick, so wie Fels und Geröll<br />
einen Anblick gaben: Es ist hier wie<br />
dort ein Niederschlag vielschichtiger<br />
Vorgänge.<br />
Hier sucht sich das Verborgene Projektionsflächen<br />
in Gesichtern, Figuren,<br />
Szenen, Schauplätzen.<br />
Deren nachfühlbare Formzüge bringe<br />
ich in die Koordinaten meiner Tontafel.<br />
Mit den Formen und Strukturen entstehen<br />
Stimmungen, in denen der<br />
bildlose Hintergrund mitschwingt.<br />
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