Predigt über 1.Johannes 4, 16b ff - St. Jacobi
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<strong>Predigt</strong>en von Hauptpastorin<br />
Pröpstin Kirsten Fehrs<br />
<strong>Predigt</strong> zu 1. Johannes 4, <strong>16b</strong> <strong>ff</strong><br />
Gottesdienst am 1. Sonntag nach Trinitatis<br />
26. Juni 2010<br />
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen<br />
Geistes sei in uns lebendig. Amen<br />
Liebe Gemeinde!<br />
Diese Anrede heute ganz bewusst und also noch einmal:<br />
Liebe Gemeinde!<br />
Der <strong>Predigt</strong>text legt es nahe: es geht um die Liebe. Auch in dieser Gemeinde, die sich wie selten<br />
zuvor im Umbruch befindet. In dieser Gemeinde Jesu Christi, in der wir einander schätzen und<br />
mögen, uns Ho<strong>ff</strong>nung zusingen und zusprechen, Segenswünsche großzügig verteilen (für die<br />
meinen danke ich mindestens 150 von Ihnen und Euch!). In dieser Gemeinde, in der wir uns<br />
auch kritisieren – klar, das können wir auch ganz gut -, in der wir Trauer mittragen und Trost<br />
schenken, in der wir füreinander beten und miteinander beraten - etwa nachher bei der Ge-<br />
meindeversammlung - , wie es weiter geht mit der lieben Gemeinde.<br />
So viele in meinem pröpstlichen Bezirk und hier in <strong>St</strong>. <strong>Jacobi</strong> haben mich in den letzten Tagen<br />
und Wochen voller Liebe begleitet, obwohl es die bekannten zwei Seelen in der Brust gab. Auch<br />
ja bei mir. Und immer wieder, wellenartig und unvermutet <strong>über</strong>kam mich das Gefühl von tiefer<br />
Zuneigung zu dieser Gemeinde. Es ist, was es ist, sagt die Liebe: eine innige Bindung, ein zu<br />
euch gehören und sich nicht trennen mögen, ein Zusammenstimmen mit dieser wunderbaren<br />
Kirche und viel mehr noch mit den Menschen hier, die diese Kirche zu dieser Kirche machen. Es<br />
war bei mir vor fünf Jahren Liebe auf den ersten Blick – und so ist es geblieben. Bis heute. Und<br />
sie wird bleiben, diese Liebe, ich bin sicher.<br />
Liebe rührt ans Innerste und deshalb manchmal zu Tränen. Nicht weil sie sentimental wäre.<br />
Sondern weil sie ein tiefes, echtes Gefühl ist, das man nicht erzwingen kann. Liebe ist da oder<br />
nicht da. Sie ist wahr. Oder sie ist keine Liebe. Deshalb kann wahrer Glaube nicht auskommen<br />
ohne sie. Liebe <strong>über</strong>fällt einen unkontrolliert, auch wenn es gar nicht zu passen scheint. Ob alt<br />
Hauptkirche <strong>St</strong>. <strong>Jacobi</strong> - Jakobikirchhof 22 - 20095 Hamburg<br />
Tel: 040 30 37 37 0 - Fax: 040 30 37 37 10 - Mail: info@jacobus.de<br />
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zu jung, schräg zu gerade, gleich zu gleich: Liebe ist eine Macht, die macht, dass du lebst –<br />
lustvoll und energisch anderen zugewandt.<br />
Kein Wunder, dass die Liebe dauernd das Wort ergreift. 14x mal allein hören wir das Wort im<br />
<strong>Predigt</strong>text. Auf sie kommt es an im Leben. Sie ist der Lebenspuls. All you need is love, sangen<br />
schon die Beatles. Alles, was du brauchst, ist Liebe. Sie schwingt in deinen Gedanken und tanzt<br />
in deinen Beinen. Sie befreit zu Sinn und Sinnlichkeit und umarmt, was in uns zittert. Der<br />
Mensch vergeht ohne dieses zärtliche Gefühl. Ohne die Berührung von Fingerspitzen. Ohne den<br />
Blick der Anerkennung. Ohne das Augenzwinkern der anderen, das einen so ungeahnt glücklich<br />
macht. Der Mensch vergeht, wenn er nicht lieben darf. Und so meldet sich die Liebe dauernd zu<br />
Wort. Kaum ein Lied im Radio, kaum ein Film, ein Buch, ein Gedicht, das nicht sie zum Thema<br />
hätte. Weil sie da ist. Oder weil sie leider gerade nicht da ist.<br />
Hier nun setzt unser <strong>Predigt</strong>text ein mit großem Akkord. „Gott ist die Liebe und wer in der Lie-<br />
be bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ Gott ist da. Als große Liebe in der Welt. Sie<br />
bleibt, unerschütterlich. Höher als alle Vernunft. Nicht wegzudenken, nur hinein zu fühlen.<br />
Doch – 14 mal gesagt, tausendmal gehört, immer wieder besungen – erleben wir sie auch? Wie<br />
erfahren wir diese Liebe? Wenn man sich im Grunde nur allein fühlt. Wenn das zerreißende<br />
Sehnen schmerzt, wenn das Herz durch lauter Alltäglichkeit verzagt und die Ho<strong>ff</strong>nung auf sie<br />
so furchtbar leise geworden ist?<br />
Ich möchte Ihnen dazu eine kleine Szene aus einem der schönsten Liebesfilme beschreiben: Der<br />
englische Patient. Da sieht man 1943 eine Krankenschwester gemeinsam mit einem Soldaten,<br />
der sie heimlich liebt, in einer verfallenen, dunklen Kirche stehen. Das Licht ihrer Fackel lässt<br />
erahnen, dass die Wände von oben bis unten voller wunderschöner Freskenmalerei sind. Liebes-<br />
bilder von Gott inmitten des tobenden Krieges und der Verfallenheit. So gern möchte sie all<br />
diese Bilder sehen, sie trinken. Ihr Sehnen rührt ihn. Kurzerhand knüpft er eine Schlinge in ein<br />
Seil, das wie eine Art Flaschenzug mitten im Raum hängt. So entsteht eine Schaukel, in die er<br />
sie behutsam setzt – und dann beginnt er mit aller Kraft, das Seil hochzuziehen, so dass sie be-<br />
ginnt durch den Raum zu schwingen. Immer nah heran an die gemalten Wände. Bei jedem<br />
Schwingen erscheint ein neues Bild von Gottes Erbarmen. Sie schaut es an, schwingt zurück,<br />
entdeckt ein neues. Sie fängt an sich zu freuen, jauchzt vor lauter Ausgelassenheit. Und plötz-<br />
lich ist der dunkle Raum gefüllt mit bunten Bildern von Gott und den Menschen, mit Lachen,<br />
mit Liebe, mit Begehren.<br />
- 2 -<br />
Diese Szene erzählt unseren <strong>Predigt</strong>text. Denn es sind Menschen, die uns etwas gelehrt haben<br />
von der Liebe. Eltern, Großeltern, die beste Freundin. Der Partner. Das Enkelkind. Der verliebte<br />
Soldat. Sie haben uns etwas gelehrt von der Kostbarkeit der Gemeinschaft und deshalb auch<br />
von der Liebe Gottes. Sie haben uns Vertrauen gelehrt, indem sie uns sanft in eine Schaukel<br />
gesetzt haben, die uns durch die Dunkelheit trägt. Damit in uns die Vielfalt aufscheint, mit der<br />
Gott uns gescha<strong>ff</strong>en hat. Sie haben in uns zum Schwingen gebracht, dass es eine Kraft gibt, die
leibt, auch wenn wir sie nicht sehen können. Es sind Menschen, die uns gelehrt haben, liebes-<br />
fähig zu sein. Zu streicheln, statt um uns zu schlagen. Zu ermutigen statt zu ängstigen. Gott<br />
und Liebe, menschliche Liebe, also erotische Liebe, Geschwisterliebe, Gemeindeliebe, unsere Lie-<br />
be und Gott gehören untrennbar zusammen, sagt der Johannesbrief dazu.<br />
Mit einer aufregenden Konsequenz, die sich gleich anschließt: „Wenn jemand spricht: Ich liebe<br />
Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er<br />
sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht?“ Der erste Johannesbrief strotzt vor Gegen-<br />
satzpaaren, liebe Gemeinde. Er argumentiert mit dem Gegenteil. Das liegt daran, dass die jo-<br />
hanneische Gemeinde im 1. Jahrhundert nach Christus schwer zu kämpfen hat mit Einseitigkeit.<br />
Mit Menschen, die verbohrt sind. Die ganz bewusst im Dunkeln lassen, was es in Wahrheit noch<br />
gibt außer der einen, eigenen Sicht auf Kirche. Was es noch gibt an Vielfalt von Dasein, Mög-<br />
lichkeiten, Farben im Glaubensleben. Sie legen sich auf ein Bild fest und spalten das andere ab.<br />
Und die Liebe, sie, die das Widersprüchliche vereint, hat es schwer zu bleiben.<br />
Und Gott auch.<br />
Wer seinen Bruder, seine Schwester hasst, kann Gott nicht lieben, sagt unser Text. Und wenn<br />
wir nun von der Liebe etwas wissen, wissen wir wirklich, was Hass ist? Haben wir Hass an uns<br />
schon irgendwann einmal erlebt? Ich meine abgesehen davon, dass man als Kind dem leiblichen<br />
Bruder manchmal sonst wohin gewünscht hätte. Erinnern wir ein so zerstörerisches Gefühl, das<br />
viel mehr umfasst als empörte, verzweifelte Wut?<br />
Vor kurzem ist ein Bildband herausgekommen mit Fotographien von Jugendlichen, die in Ban-<br />
den organisiert sind und restlos alles an Kriminalität aufzubieten haben, was man sich vorstel-<br />
len kann. Allein diese Aufnahmen anzuschauen, braucht Kondition! Man erkennt in den Gesich-<br />
tern zweierlei. Einmal, wie hässlich Hass ist. Das hat nichts mit der Physiognomie der Jugendli-<br />
chen zu tun, sondern mit dem inneren Frösteln, den der Blick ihrer eiskalter Augen in einem<br />
zurück lässt. Wie viel Gewalt muss ein junger Mensch gesehen und erlebt haben, um so verzerrt<br />
in die Welt zu schauen! Das andere, was man auf den Fotos sieht, ist die Anstrengung, so voller<br />
Hass zu sein und zu bleiben. Denn Hass negiert alles was lebt, auch in einem selbst. Diese Leb-<br />
losigkeit muss furchtbar sein, wenn trotzdem ein Herz in einem schlägt. Der Hass legt einen<br />
fest auf die eine Sicht und gebiert abgründige Kälte gegen<strong>über</strong> Andersdenkenen. Er gebiert Lü-<br />
ge. Abgründe. Spaltungen. Fundamentalismus.<br />
- 3 -<br />
Solch ein Hass, liebe Gemeinde, ist vermutlich allen hier fremd. Wie den meisten Menschen, -<br />
welcher Couleur auch immer - , die Liebe erlebt haben, durch wen auch immer. Doch es gibt<br />
Hass, wir wissen es. Es gibt Terrorakte, Gewaltexzesse, Folterknechte. Was also tun mit dem<br />
Hass in der Welt? Uns ist dazu in unserem Text ein wichtiges Wort mitgegeben: Furcht ist nicht<br />
in der Liebe. In Gottes Namen, heißt das, dürfen wir uns nicht einschüchtern lassen von Hass-<br />
bildern und Hassrednern. Es bleibt zu sagen, klar und positioniert: Wer den Bruder hasst, kann<br />
Gott nicht lieben. Und umgekehrt: Wer Gott liebt, kann den Bruder oder die Schwester nicht<br />
hassen. Selbst wenn sie einem Schmerz bereiten. Beeindruckt hat mich dazu der Bericht <strong>über</strong>
- 4 -<br />
die Eltern eines palästinensischen Jungen, der auf der <strong>St</strong>raße von einem Juden erschossen wor-<br />
den war. Sie hatten die Größe, seine Organe zur Spende freizugeben. Und dies ausdrücklich<br />
auch für jüdische Kinder. Sie haben gelebt, was die Liebe Gottes bedeutet – für alle Menschen.<br />
Und auch sie haben gegen gehalten gegen abgründige Gewalt, Rassenwahn und Zwangseutha-<br />
nasie: die vier Märtyrer in Lübeck, derer an diesem Wochenende gedacht wird. 1943 werden sie<br />
hingerichtet, weil sie gemeinsam dem Hass die <strong>St</strong>irn bieten und dabei bleiben: Gott ist die Lie-<br />
be. Kein Mensch darf einem anderen diese Liebe nehmen. Und sie selbst bleiben getragen von<br />
dieser Liebe. Entgegen aller Feindseligkeit, die sie erleben. Nicht umsonst sind bis heute Katho-<br />
liken wie Protestanten zutiefst berührt von ihren <strong>Predigt</strong>en und Abschiedsbriefen. Und dieses<br />
echte Gefühl, das sie auslösen, ja knapp 70 Jahre später noch, ist ein besonderes Erbe. Denn<br />
Ökumene wird sich vor allem da ereignen, wo echte Emotion das Herz bewegt, so dass man<br />
wahrhaftig der Liebe glaubt. Wie es Pastor <strong>St</strong>ellbring in seinem Abschiedsbrief kurz vor der<br />
Hinrichtung an seine Frau und seine Kindern in folgende Worte fasst: „Ich habe nun bald mein<br />
Ziel erreicht, Ihr aber bleibt nun zurück und habt noch alles Kämpfen und Ringen vor euch. Und<br />
ich kann euch nicht mehr helfen, wie ich es so liebend gern getan hätte. Aber glaubt mir, Gott<br />
weiß besser als wir, was gut ist… Ich danke euch für alle Liebe, die ihr mir gezeigt, alle Freude,<br />
die Ihr mir gemacht, alle Geduld, die ihr mit mir getragen habt… Wie oft habe ich in den ver-<br />
gangenen Monaten gedacht: wie wunderbar schön kann euer Leben werden, wenn Ihr einander<br />
ergänzt. Haltet, ich bitte euch, die Gemeinschaft heilig.“<br />
Die Gemeinschaft. Nicht die Einseitigkeit. So ist Gott Liebe, die bleibt. Auch in unserer Gemein-<br />
de. Möge uns der barmherzige Gott in dieser Liebe zusammen halten und ermutigen, neue Ho-<br />
rizonte auszumessen. Er sei in uns als weiter Raum und großes Herz. So dass wir ohne Furcht<br />
der Liebe pflegen, anderen zum Segen. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft,<br />
bewahrt unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, menschgewordene Liebe Gottes. Amen