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DEr FAST-FOOD-TEST - Arge für Obdachlose

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<strong>Arge</strong> für <strong>Obdachlose</strong><br />

Stra enzeitung von Randgruppen und sozial Benachteiligten<br />

Ausgabe 126 ı Oktober 2011 ı 1 Euro bleibt den VerkäuferInnen ı Achten Sie auf den Verkäuferausweis<br />

2 Euro<br />

Der <strong>FAST</strong>-<strong>FOOD</strong>-Test


IMPRESSUM<br />

Internationale Auszeichnung für die Kupfermuckn<br />

»And the best cover 2011 is ... Kupfermuckn Austria, Social benefits body scanner!«<br />

Die Straßenzeitung Kupfermuckn ist ein Angebot zur<br />

Selbsthilfe für Wohnungslose und für Menschen an<br />

oder unter der Armutsgrenze. Unsere Zeitung versteht<br />

sich als Sprachrohr für Randgruppen und deren<br />

Anliegen. Aktiv werden beim Zeitungsverkauf, beim<br />

Schreiben, Zeichnen oder Fotografieren bringt - neben<br />

Zuverdienst - das Gefühl, gemeinsam etwas geschafft<br />

zu haben. Von Wohnungslosigkeit Betroffene<br />

bilden mit Mitarbeitern/innen des Vereins »<strong>Arge</strong> für<br />

<strong>Obdachlose</strong>« in partnerschaftlichem Verhältnis die<br />

Redaktion dieser Zeitung.<br />

Redaktion<br />

Straßenzeitung Kupfermuckn<br />

Marienstraße 11, 4020 Linz, Tel. 0732/770805-13<br />

kupfermuckn@arge-obdachlose.at,<br />

www.kupfermuckn.at<br />

Projektleitung, Koordination, Layout, Fotos:<br />

Heinz Zauner (hz), Chefredakteur<br />

Daniela Warger (dw), Leitung Redaktion<br />

Walter Hartl (wh), Layout, Technik<br />

RedakteurInnen: Angela, Anton, Bertl, Christine,<br />

Claudia, Edi, Erich E., Erich H., Fredl, Gabi, Georg,<br />

Günter, Hans R., Hans H. Julia, Lilli, Manfred, Margit,<br />

Michael, Roman, Sonja;<br />

Freie MitarbeiterInnen: Gerald, Susanne;<br />

Zivildiener: Lorenz Tröbinger (lt)<br />

Titelfoto: Konflozius - Hannes beim Kupfermuckn-<br />

Fastfood-Test 2011<br />

Bankverbindung und Spendenkonto<br />

Kupfermuckn, VKB Bank, BLZ 18600,<br />

Kontonr. 10.635.100<br />

Zeitungsausgabe in Linz, Wels und Steyr<br />

Wohnungslose sowie Menschen die in Armut leben<br />

und ihren Lebensmittelpunkt in Oberösterreich haben,<br />

können sich Montags bis Freitags zwischen 8<br />

und 12 Uhr bei den Ausgabestellen melden und erhalten<br />

einen Verkäuferausweis. 50 Prozent des Verkaufspreises<br />

verbleiben den VerkäuferInnen.<br />

<strong>Arge</strong> für <strong>Obdachlose</strong>,<br />

Marienstraße 11, 4020 Linz, Tel., 0732/770805-19<br />

Soziales Wohnservice Wels, E 37,<br />

Eisenhowerstraße 37, 4600 Wels, Tel. 07242/64930<br />

Verein Wohnen Steyr, B 29,<br />

Hessenplatz 3, 4400 Steyr, Tel. 07252/50 211<br />

Medieninhaber und Herausgeber<br />

Vorstand des Vereines »<strong>Arge</strong> für <strong>Obdachlose</strong>«, Obmann<br />

Mag. Peter Zuber, Marienstraße 11, 4020 Linz,<br />

www.arge-obdachlose.at<br />

International<br />

Die Kupfermuckn ist Mitglied<br />

beim »International Network<br />

of Street Papers« INSP<br />

www.street-papers.com<br />

Das Leitungsteam der Kupfermuckn freut sich über den »Street Paper Award« für die beste Titelseite:<br />

Heinz Zauner, Florian Holter (Zivildiener 2010), Walter Hartl und Daniela Warger (Foto: lt)<br />

Die Linzer Straßenzeitung Kupfermuckn wurde am 22. Juli in Glasgow bei der 16. Konferenz<br />

der »INSP-International Network of Streetpapers« mit dem »Street Paper Award« in der Kategorie<br />

»Best Cover« ausgezeichnet. Gewonnen hat die Titelseite der Septembernummer 2010 mit<br />

dem Titel »Sozialleistungs-Nacktscanner« - Foto: Florian Holter, Layout: Walter Hartl.<br />

»Das Bild zeigt einen halbnackten Mann, der ein Schild mit der Liste seiner Sozialleistungen<br />

hält. Mit diesem Titelbild wird die Österreichische Regierung dafür kritisiert, durch die Schaffung<br />

der Transparenzdatenbank die Privatsphäre der BürgerInnen zu verletzen«, stand in der<br />

Einladung zur Gala »the international Street Paper Awards 2011, Crowne Plaza Hotel, Glasgow,<br />

Scotland«. Die Jury würdigte bei der Verleihung des Preises am 22. Juli 2011 besonders die<br />

Verbindung zwischen dem Foto und dem sozialkritischen Hintergrund.<br />

Chefredakteur Heinz Zauner und der Geschäftsführer des Vereines <strong>Arge</strong> für <strong>Obdachlose</strong><br />

Michael Mooslechner nahmen die internationale Auszeichnung entgegen. »Wir fühlten uns<br />

schon geehrt als unsere Titelseite bei der großen Gala auf der Leinwand als eine von fünf nominierten<br />

Seiten erschien. Als es dann hieß, die weltbeste Titelseite einer Straßenzeitung »and the<br />

best cover 2011 is ... Kupfermuckn Austria, Social benefits body scanner!« waren wir überglücklich«,<br />

freut sich Chefredakteur Heinz Zauner. »Diese Auszeichnung gerade zum 15jährigen<br />

Jubiläum der Kupfermuckn - dem sichtbarsten Teil des Vereines <strong>Arge</strong> für <strong>Obdachlose</strong> - ist<br />

natürlich großartig«, meint Geschäftsführer Michael Mooslechner.<br />

Der Jury gehörte u.a. auch David Burnett, »one of the 100 Most Important People in Photography«<br />

an, der auch für das TIME Magazin in New York arbeitete. Florian Holter, von dem das<br />

prämierte Titelbild stammt, ist Profifotograf und war Zivildiener bei der Kupfermuckn, als das<br />

Bild entstand. Im Internationalen Straßenzeitungsnetzwerk INSP sind 112 Straßenzeitungen aus<br />

40 Ländern organisiert. 200.000 VerkäuferInnen leben weltweit vom Verkauf von Straßenzeitungen<br />

und erreichen insgesamt sechs Millionen LeserInnen.<br />

Die Auszeichung ist eine Momentaufnahme einer langjährigen erfolgreichen Arbeit. Sie gehört<br />

allen am Kupfermuckn-Projekt Beteiligten, vom Redaktionsteam bis zu den 150 VerkäuferInnen,<br />

die unsere Zeitung tagtäglich und bei jedem Wetter in Umlauf bringen.<br />

2 10/2011


Waunst net brav bist, kumst ins Heim<br />

Aufarbeitung von Gewalt und Misshandlung an Kindern in Heimen<br />

Vor ein paar Tagen bekam ich von Wien einen<br />

Anruf. Der Anrufer stellte sich als Hannes<br />

Winkler vor. Ich konnte mit diesem Namen<br />

vorerst nichts anfangen. Doch als er mir sagte,<br />

dass er mit mir im Erziehungsheim Wegscheid<br />

war, konnte ich mich ganz dunkel an ihn erinnern.<br />

Und als er mir den Grund des Anrufes<br />

erklärte, freute ich mich sehr. Denn im Rahmen<br />

einer Lesung unter dem Titel: »Wir waren<br />

doch nur Kinder«, zeigte der ehemalige<br />

Heimzögling und Autor des Buches, Jenö<br />

Alpár Molnár die Prügel und Misshandlungen<br />

früherer Heimkinder auf. Daraufhin gründete<br />

sich eine Institution, die eine Entschädigung<br />

für diese Misshandlungen bezahlt. Und Molner<br />

war es auch, der dieses Treffen organisierte,<br />

zu dem 70 ehemalige Heimzöglinge<br />

kamen. Es war wirklich rührend, nach 48 Jahren<br />

ehemalige Heimgenossen wieder zu treffen.<br />

Jeder erzählte seinen Werdegang und<br />

schön langsam konnte ich mich an mehrere<br />

Heimgenossen erinnern. Es kam aber auch<br />

große Traurigkeit auf, da man wieder an die<br />

vielen Prügel und Misshandlungen erinnert<br />

wurde. Dann folgten die Ansprachen vom<br />

Heimleiter des Heimes Leonstein, wo das<br />

Treffen stattfand, von Molnár selbst. Und da<br />

kam zutage, wie brutal die Erziehung in den<br />

Heimen früher war. Es wurde auch aufgedeckt,<br />

dass die Erzieher, die am brutalsten<br />

waren, vom Land einen Orden erhielten, wozu<br />

sie aber aufgefordert wurden, diesen wieder<br />

zurückzugeben, was auch einige schon taten.<br />

Dann ergriff der zuständige Abteilungsleiter<br />

der Landesregierung Gernot Kitzmüller das<br />

Wort und versicherte uns, dass das Land bereit<br />

ist, für diese brutalen Misshandlungen<br />

eine finanzielle Entschädigung zu zahlen.<br />

Finanziell ist das ja nicht abzugelten, aber<br />

eine Genugtuung ist es doch. Jene Zöglinge,<br />

die anwesend waren, haben ins soziale Leben<br />

wieder zurückgefunden, aber viele sind leider<br />

in das Verbrechermilieu abgeschlittert. Denen<br />

kann man nicht mehr helfen. Anschließend<br />

führte uns der Heimleiter durchs Heim, das<br />

mit früher nicht mehr zu vergleichen ist. Jedes<br />

Kind hat jetzt seinen eigenen Lebensbereich,<br />

kann Besuch empfangen und auch Besuche<br />

tätigen. Gegessen, gespielt und gelernt<br />

wird in Gruppen. So wird das Zusammenleben<br />

gefördert. Anschließend fand ein Gedenkgottesdienst<br />

statt, wo Molnar eine Erinnerungskerze<br />

anzündete. Dann setzten wir uns<br />

noch gemütlich zusammen und jeder erzählte<br />

von seinen Lebenserfahrungen. So ging ein<br />

zwar trauriger, aber doch ein denkwürdiger<br />

Tag zu Ende. Edi<br />

Foto: Erwin und Roman bei einem Besuch im Heim Wegscheid,<br />

in dem sie in den 60er und 70er Jahren Zöglinge waren.<br />

10/2011 3


Mir geht es nicht nur um die Entschädigung,<br />

ich möchte wissen<br />

warum mein Leben so außer<br />

Kontrolle geraten ist.<br />

Ich bin 1963 geboren. Schon mit vier Jahren<br />

galt ich als aggressiv, ich schlug auf meine<br />

Eltern ein, oder schoss mit Steinen. Irgendwie<br />

spürte ich scheinbar, dass meine Eltern mich<br />

nicht wollten und so wurde ich 1970 in das<br />

Kinderheim Isidor gebracht. Auch dort hatte<br />

ich durch mein Verhalten Probleme. Geschlagen<br />

wurde ich nie, aber man musste oft länger<br />

in der Ecke stehen oder Holzscheitl knien,<br />

wenn man aufmüpfig war oder ins Bett machte.<br />

1971 kam ich für ein halbes Jahr wieder nach<br />

Hause und dann kam ich wegen meinem Verhalten<br />

ins Wagner Jauregg. Dort wurde mir<br />

attestiert, dass ich psychisch krank bin. Ich<br />

kam nach Mödling in ein Kinderheim für<br />

schwer erziehbare Kinder. Dort war es schon<br />

hart. Da bekam man als Strafe zum Beispiel<br />

zwei Tag nichts zu essen oder einen Tag nichts<br />

zu trinken. Das wurde auch aufgeschrieben,<br />

und so habe ich sogar Unterlagen, mit denen<br />

ich heute die Misshandlungen nachweisen<br />

kann. Als Strafe wurde ich mit circa elf Jahren<br />

auch öfter abgesondert und in den Besinnungsraum<br />

gebracht. Das war wie eine Zelle<br />

mit einer Klappe in der Tür, durch die man das<br />

Essen bekam. Drinnen war ein Bett ein WC<br />

und ein Waschbecken. Ich war da bis zu einer<br />

Woche drinnen. Tag und Nacht brannte das<br />

Licht. Auch das wurde dokumentiert und kann<br />

ich heute nachweisen. Ende der 70er Jahre<br />

wurde diese Abteilung geschlossen und das<br />

Personal gekündigt. Ich war dort ein halbes<br />

Jahr. Dann kam ich nach Klagenfurt in ein<br />

psychiatrisches Spital zu Dr. Wurst. Dort war<br />

es sehr viel härter als etwa im Wagner Jauregg<br />

in Linz. Als Behandlungsmethode wurde ich<br />

zum Beispiel im Waschraum mit dem Schlauch<br />

zur Beruhigung mit kaltem Wasser abgespritzt.<br />

Dann wurde ich in ein Leintuch gewickelt und<br />

ins Bett gelegt. Dr. Wurst wurde später wegen<br />

verschiedenen unmenschlichen Methoden und<br />

sexuellem Missbrauchs verurteilt und nahm<br />

sich das Leben. Ich war dort ein Jahr. Dann<br />

kam ich wieder nach Hause zu meinen Eltern.<br />

Mit 15 war ich wieder ein halbes Jahr im Jauregg<br />

und mit 17 Jahren nochmals für ein Jahr.<br />

Ich war nervlich total fertig. Mit 17 kam ich<br />

ins Diakoniewerk Gallneukirchen, wo ich bis<br />

zum 22. Lebensjahr blieb. Ich habe in verschiedenen<br />

Werkstätten gearbeitet. Hauptsächlich<br />

in der Tischlerei und Weberei. Dort<br />

wurde ich anständig behandelt. Die Betreuer<br />

haben viel mit uns unternommen. So war ich<br />

sogar zwei Jahre in der Musikschule und lernte<br />

Gitarre spielen. 1984 wurde ich als »geheilt«<br />

4 10/2011


entlassen. Ich hatte keine Behinderungen, wie<br />

die anderen Bewohner. Es war eine Verhaltensauffälligkeit<br />

und ich gebe zu, dass ich auch<br />

später noch mit dem Gesetz in Konflikt kam.<br />

1997 war ich das letzte Mal im Gefängnis.<br />

Seither habe ich es geschafft, ein halbwegs<br />

normales Leben zu führen. Ich suche jetzt um<br />

Entschädigung wegen der Misshandlungen an<br />

und habe die Akten gesammelt. Über einen<br />

Kurs, den ich beim AMS besuche, will die<br />

Betreuerin eine psychische Betreuung organisieren.<br />

Durch die Recherchen kommt alles<br />

wieder hoch, und das tut schon sehr weh. Andererseits<br />

hoffe ich auch darauf, etwas darüber<br />

zu erfahren, warum ich so geworden bin.<br />

Gerhard<br />

Ich habe das Leben dort einfach<br />

nicht mehr ausgehalten, hatte<br />

schon Pläne gefasst, einfach<br />

ab zuhauen.<br />

Ich war in den Jahren 1974 bis1979 im Heim,<br />

weil man meiner Mutter angedroht hatte, dass<br />

ich ihr sonst zwangsweise weggenommen<br />

würde. Wegen meines angeblichen Herzfehlers<br />

wurde ich also ins Heim abgeschoben.<br />

Diese vier Jahre waren die Hölle auf Erden.<br />

Ich wurde teils von »normalen« Frauen, teils<br />

von Nonnen erzogen. Bei dieser »Familie«<br />

kam ich mir vor, als wollte man mich zum<br />

Mönch erziehen. Dabei war es eine moderne<br />

Schikane unter der scheinheiligen Fassade der<br />

Kirche, an der sich bis heute nichts geändert<br />

hat. Im Mai musste ich beispielsweise jeden<br />

Abend zur Andacht und jeden Sonntag in die<br />

Messe. Das Essen musste, ob schmackhaft<br />

oder nicht, gegessen werden, auch wenn es<br />

Stunden dauerte. Die Haare wurden immer<br />

extrem kurz geschnitten, man hatte jedes Mal<br />

das beklemmende Gefühl, eine Glatze zu haben.<br />

Wenn die Kinderdorfmütter der Meinung<br />

waren, dass man Läuse hätte, wurde einem der<br />

Kopf mit einem extrem scharfen und für die<br />

Augen schädlichen Mittel gewaschen. Ich<br />

habe das Leben dort einfach nicht mehr ausgehalten,<br />

hatte schon Pläne gefasst, einfach abzuhauen.<br />

Wenn ich Süßigkeiten bekommen<br />

habe, wurden diese verwahrt und die anderen<br />

in der Gruppe durften auch alle davon essen,<br />

ob es mir passte oder nicht. Bei einem Besuch<br />

meiner Mutter war ich wieder einmal geschoren<br />

wie ein Schaf. Sie war sehr zornig und<br />

drohte mir, mich nicht mehr abzuholen oder<br />

auch nur zu besuchen. Als wäre ich daran<br />

schuld gewesen. Nachdem ich die Pflichtschule<br />

beendet hatte, verließ ich das Heim und<br />

wohnte wieder bei meiner Mutter. Doch mit<br />

der Zeit wusste ich auch nicht mehr, ob das<br />

überhaupt besser war. Heim, Mutter, abhauen<br />

oder mich einfach umbringen Meine Mutter<br />

warf mir immer vor, wie viel der Heimaufenthalt<br />

kostete. Damals waren das, laut Mutter,<br />

50.000 Schilling im Jahr. Sie und mein Bruder<br />

könnten sich durch diese Kosten überhaupt<br />

nichts leisten, das musste ich mir immer anhören.<br />

Komisch war dabei, dass er damals über<br />

die Mitgliedschaft beim Musikverein jedes<br />

Konzert im In- und Ausland mitspielen konnte,<br />

was ja auch nicht billig war. Darüber verlor sie<br />

aber nie ein Wort, immer nur über die Kosten<br />

des Heims. Ich konnte das nicht mehr hören<br />

und warf ihr bei einem Streit vor, dass sie es<br />

war, die mich weggegeben hatte. Als ich mein<br />

eigenes Geld verdiente, sagte ich ihr, dass sie<br />

alles zurück bekäme, wenn sie nur nie wieder<br />

ein Wort darüber verlöre. Bekommen hat sie<br />

nichts von mir, zumindest einmal im Jahr<br />

musste ich es mir weiter anhören. Ich war<br />

nicht gewillt, für die Willkür anderer zu zahlen.<br />

Ich habe auch nach meinem Schulabschluss<br />

1979 dieses Heim nie wieder betreten,<br />

und das ist auch gut, denn ein ehemaliger<br />

Zimmergenosse wurde zum Dauergast im<br />

Häfn. Heinz aus Wels, Drogendealer und Konsument,<br />

hat durch das Heim nichts gelernt. Er<br />

hat einige Male versucht abzuhauen, so wie<br />

fast jeder, der in diesem Heim war. Wäre ich<br />

damals mit ihm gegangen, wäre ich vielleicht<br />

sein Zellengenosse geworden. Walter<br />

Das Jugendamt meinte, ich solle<br />

meine Kinder während meiner<br />

Knastzeit ins Heim geben.<br />

Meine zwei jüngsten Kinder waren während<br />

meiner Haft acht Monate im Heim in der Johannisgasse.<br />

Hätte ich eine andere Möglichkeit<br />

gehabt, hätte ich ihnen diesen Aufenthalt<br />

dort gern erspart. Aber nach meiner Verurteilung<br />

kam jemand vom Jugendamt zu mir in<br />

den Knast, um mir den Vorschlag zu machen,<br />

meine zwei Kinder in der Zeit meiner Haft in<br />

ein Heim zu geben, damit sie weiterhin in<br />

Linz zur Schule gehen konnten. Momentan<br />

war ich geschockt und sagte<br />

kategorisch und bestimmt »nein«. Ich<br />

dachte sofort daran, dass, wenn ich da zustimme,<br />

den Kindern ein Leben im Heim<br />

bevorstehe. Aber ihnen wieder einen Schulwechsel<br />

zuzumuten, war auch nicht das Wahre.<br />

Als ich ihnen meine Zweifel und gemischten<br />

Gefühle bei einer Unterhaltung, wie das Ganze<br />

denn funktionieren soll, erklärte, kamen wir<br />

zu einer guten Lösung für beide Seiten. Erstens<br />

wurde ich davon in Kenntnis gesetzt,<br />

dass die Johannisgasse eher einem Internat<br />

gleicht und Züchtigungen tabu sind<br />

(was mir meine Kinder im Nachhinein bestätigten,<br />

denn beide fühlten sich dort sehr wohl<br />

und vor allem blieben sie zusammen). Außerdem<br />

durften sie jedes Wochenende nach Hause<br />

zu meinen Eltern, und Besuch von ihnen<br />

wurde mir auch regelmäßig zugesagt. Jetzt<br />

war nur mehr die Angst in mir, dass ich sie<br />

nach meiner Entlassung ohne Probleme umgehend<br />

zu mir holen kann. Aber auch das war<br />

kein Problem, es wurde mir versichert, dass<br />

ich sie nach der Entlassung sofort holen kann.<br />

Erst dann sagte ich zu und unterschrieb. Nach<br />

den acht Monaten war es endlich soweit:<br />

Beide Kinder schwärmten regelrecht vom<br />

Aufenthalt dort. Es wurde sehr viel mit ihnen<br />

unternommen. Über Strafen oder sonstige<br />

Maßregelungen fiel kein Wort. Also kurz und<br />

bündig gesagt, zwei Kinder, die nur Gutes<br />

über ihre Heimerfahrung zu erzählen hatten.<br />

Lilli<br />

Ich meldete mich freiwillig zum<br />

Bundesheer, um der Fürsorge und<br />

den brutalen Heimen zu entgehen.<br />

Rückblickend betrachtet kann ich nur sagen,<br />

das Leben in Heimen ist höllisch. Ich wuchs<br />

bei Bauern auf, da mich meine Mutter verschenkte<br />

und ich in die Obhut der Füsorge<br />

kam, was schon Strafe genug ist. Denn der<br />

Bauer wollte in mir einen Knecht heranzüchten.<br />

Aber mir gelang es, in den Steyr-Werken<br />

eine Dreherlehre anzutreten. Da ich keinerlei<br />

Verwandte hatte, brachte mich<br />

die Fürsorge im Lehrlingsheim<br />

Münichholz unter. Das<br />

»11.000 Kinder<br />

befanden sich<br />

Anfang der 70er<br />

Jahre in derartigen<br />

Heimen.«<br />

Prof. M. John<br />

10/2011 5


Das soziale Eck<br />

»Und steckst du bis zum Hals im Dreck,<br />

dann lies dir dieses Eck!«<br />

Opferschutz-Kommission<br />

für ehemalige Heimkinder<br />

Die unabhängige Opferschutzstelle des<br />

Landes Oberösterreich soll ehemaligen<br />

Heimkindern, die in Einrichtungen des<br />

Landes OÖ Opfer von physischer, psychischer<br />

oder sexueller Gewalt geworden<br />

sind, die Möglichkeit geben, sich auszusprechen,<br />

Beratung und Unterstützung<br />

einzuholen sowie Informationen über zuständige<br />

Stellen bzw. Träger zu erhalten.<br />

Die Vertraulichkeit ist zugesichert. Es<br />

wurde vom Land auch ein Soforthilfetopf<br />

eingerichtet, aus dem bei besonders berücksichtigungswürdigen<br />

Fällen möglichst<br />

schnell Therapiekosten übernommen<br />

werden können. Wie bei der Klasnic-<br />

Kommission wird eine Obergrenze an<br />

Entschädigungsleistung von Euro 25.000<br />

angenommen. (PK, 19.4.2001, LH. Dr.<br />

Pühringer, LR. Dr. Kepplinger)<br />

Für Landeseinrichtungen (Wegscheid,<br />

Leonstein, Neuhaus u.a.) sowie landesnahe<br />

Einrichtungen (Heim Edelweiss)<br />

und Verletzung der Aufsichtspflicht (Fürsorge,<br />

Pflegefamilien) ist zuständig:<br />

Kija- Kinder & Jugendanwaltschaft<br />

Unabhängige Opferschutzstelle<br />

Kärntnerstr. 10, 4021 Linz, Tel.<br />

0732/7720-14001, Fax: 0732/7720/14077,<br />

email: kija@ooe.gv.at, www.kija-ooe.at<br />

Für Gleink und andere kirchliche Institutionen<br />

(auch Internate) ist zuständig:<br />

Klasnic Kommission<br />

(kirchliche Kommission)<br />

Bösendorferstr. 4/3/Tür 18, 1010 Wien<br />

Kontakt zur Opferanwaltschaft: Tel.<br />

01/2953838, Mobil: 0664/9807817.<br />

email: office@opferschutz.at,<br />

Neu: Tel. 05/0245 vom Festnetz aus zum<br />

Ortstarif aus ganz Österreich<br />

6 10/2011<br />

ist eine Einrichtung der Steyr- Werke. Dort<br />

ging es noch halbwegs human zu. Es gab zwar<br />

auch Ausgangssperren und Vergünstigungsentzüge,<br />

aber das war gar nichts gegen andere<br />

Heime. Da ich von meiner Lehrlingsentschädigung<br />

leben musste und mit meinen Freunden<br />

nur ab und zu an Vergnügungen teilnehmen<br />

konnte, gab ich die Lehre auf und nahm<br />

eine Hilfsarbeitertätigkeit auf. Daraufhin<br />

steckte mich die Fürsorge ins Lehrlingsheim<br />

Neulust, das von der Pfarre Steyr geführt wird.<br />

Dort ging es schon etwas brutaler zu. Von<br />

Ausgehverbot bis zu Stockhieben reichte das<br />

Strafausmaß. Da es eine kirchliche Institution<br />

ist, ist das nicht verwunderlich. Ich war durch<br />

die harte Bauernarbeit und durch das gute Essen,<br />

schon als 15-Jähriger sehr stark. Eines<br />

Tages waren mir die körperlichen Züchtigungen<br />

zuviel und ich schlug zurück. An nächsten<br />

Tag schon überstellte mich die Fürsorge ins<br />

Erziehungsheim Edelweiss in Pichling, was<br />

unter »Jugendwohlfartsheim« geführt wurde.<br />

Was ein reiner Hohn war. Denn es gab dort<br />

neben Ausgehverbot, Zimmersperre und Strafarbeit<br />

auch Prügelhiebe. Man musste während<br />

der Schläge laut mitzählen. Es gab, je nach<br />

Strafausmaß bis zu 30 Hiebe. Wenn man vor<br />

lauter Schmerzen zu zählen aufhörte, begann<br />

der Erzieher von vorne. So kam man mitunter<br />

auch auf 50 Hiebe oder mehr. Einmal erblickte<br />

mich der Heimleiter in einem Gasthaus. Da<br />

musste ich zur Strafe vor seinem Auto von<br />

Ebelsberg bis Pichling herlaufen. War ich zu<br />

langsam, fuhr er mir einfach in die Waden,<br />

sodass ich zu Boden fiel. Ich kam total blutig<br />

im Heim an. Bis die Verletzungen verheilt<br />

waren, hatte ich Ausgehverbot. Eines Tages<br />

war mir das zuviel. Ich flüchtete. Als mich die<br />

Polizei aufgriff, kam ich ins Erziehungsheim<br />

Wegscheid. Da ging es noch drastischer zu.<br />

Zu den Prügelstrafen, Ausgehverbot und anderen<br />

körperlichen Züchtigungen gab es noch<br />

Glatze schneiden und Dunkelkammer. In diesem<br />

circa 8m 2 großen Raum gab es nur eine<br />

Holzpritsche. Wenn man seine Notdurft verrichten<br />

musste, musste man läuten. Dann bekam<br />

man einen Kübel, wo man hineinmachen<br />

musste. Ebenso lief es ab, wenn man sich waschen<br />

musste. Man durfte das Heim nicht verlassen.<br />

Es gab einen Torwart, der das Tor immer<br />

gut abschloss. Anfangs arbeitete ich in<br />

der Schuhmacherei. Der Erzieher dort war ein<br />

Sadist. Als mir das auch zuviel wurde, meldete<br />

ich mich freiwillig zum Bundesheer, um<br />

der Fürsorge und den brutalen Heimen zu entgehen.<br />

Das war im März. Da ich vom Heer bis<br />

Oktober zurückgestellt wurde, flüchtete ich<br />

wieder und arbeitete am Gastener Bahnhof als<br />

Umlader. Mitte September griff mich die Polizei<br />

auf und brachte mich wieder zurück. Aber<br />

da ich am 1. Oktober einrückte, entkam ich<br />

den Strafsanktionen. Also mit Erziehung hat<br />

ein Erziehungsheim überhaupt nichts zu tun.<br />

Im Gegenteil, man wurde zum Verbrecher herangezüchtet.<br />

Und das unter der Obhut der<br />

damaligen Fürsorge, die solche brutale Behandlungen<br />

befürwortet hatte. Edi<br />

Der Erzieher wurde immer dreister<br />

und er versuchte seine Schützlinge<br />

sexuell zu nötigen.<br />

Die ersten Jahre meines Lebens verbrachte ich<br />

zu Hause bei meiner Mutter. Da sie aber<br />

schwere Alkoholikerin war, ich meinen Vater<br />

nicht kannte und ihre Trinkerei immer schlimmer<br />

wurde, bekam sie Probleme mit dem Jugendamt.<br />

Sie war schlussendlich nicht mehr in<br />

der Lage, sich ausreichend um mich zu kümmern,<br />

worauf ich im Alter von sieben Jahren<br />

in ein Kinderheim kam. Zuerst war ich richtig<br />

glücklich, als ich nach Windpassing/Burgenland<br />

kam. Ich habe mich seit langem wieder<br />

einmal richtig wohl gefühlt auf dem weitläufigen<br />

Areal für 150 bis 200 Kinder. Mit der Zeit<br />

wandelte sich aber auch dort einiges zum<br />

Schlechten. Immer schlimmer wurde die Situation<br />

vor allem mit einem bestimmten Erzieher,<br />

der uns immer mehr zu drangsalieren begann.<br />

Manchmal verlangte er grundlos, die<br />

dreckige Unterwäsche eines anderen anzuziehen<br />

und damit am Gang zu stehen. Das alleine<br />

war schon ziemlich erniedrigend. Wenn er<br />

dann aber auch noch persönlich vorbeikam,<br />

wurde es noch schlimmer. Oft rempelte er sein<br />

Opfer so an, dass es hinfiel, nur um dann zu<br />

fragen, warum man denn hingefallen sei.<br />

Wehe, man versuchte sich zu wehren, dann<br />

setzte es Prügel. Irgendwann fing er dann auch<br />

noch an, Jungs zu betatschen. Da wurde es mir<br />

endgültig zu viel und ich meldete diesen Vorfall<br />

dem Heimleiter. Natürlich glaubte niemand<br />

die »dumme Geschichte«, und mir<br />

wurde gesagt, ich solle mir nichts einbilden.<br />

Das einzige Resultat war eine schlechte Nachrede,<br />

die mir nur noch mehr Ärger bescherte.<br />

Glücklicherweise erzählten auch bald andere<br />

Kinder ihren Eltern von dem Erzieher, der inzwischen<br />

immer dreister wurde und auch<br />

schon versuchte, seine Schützlinge sexuell zu<br />

nötigen. Viele Eltern beschwerten sich in<br />

Form einer Unterschriftensammlung beim<br />

Heimleiter. Endlich war dieser gezwungen zu<br />

handeln. Unser Peiniger wurde fristlos entlassen.<br />

Sein Nachfolger war ein wahrer Glücksgriff<br />

für uns. Anfangs reagierten wir noch reflexartig<br />

mit Angst auf ihn, bis er uns entsetzt<br />

fragte, was denn mit uns los sei. Nach einigen<br />

Gesprächen mit den Betroffenen versicherte<br />

er uns, dass so etwas bei ihm nicht geschehen<br />

würde. So war es Gott sei Dank dann auch.<br />

Erich / Fotos: hz, dw


»Wir waren doch nur Kinder...«<br />

Prof. Michael John untersucht die Vergangenheit in österreichischen Kinderheimen<br />

»Als die Bimmelbahn mit mir in die Welt<br />

hinausfuhr, dabei noch einmal stampfend<br />

und schnaufend am Kinderheim vorbei<br />

und ich die versammelten Schwestern und<br />

eine Kinderschar sah, die mir nachwinkten,<br />

da konnte ich mir doch ein paar Tränen<br />

nicht verkneifen...«, schrieb Jenö Alpár<br />

Molnár seine Erinnerung an das Jahr 1961<br />

in seinem Buch »Wir waren doch nur Kinder<br />

- Geschichte einer geraubten Kindheit.«<br />

In das Kinderheim Leonstein lud er 50<br />

Jahre später Zöglinge oberösterreichischer<br />

Kinderheime ein, um über ihre Erinnerungen<br />

und die traumatischen Erlebnisse zu<br />

reden. Die Kupfermuckn befasst sich noch<br />

einmal mit dem Thema, um die Opfer der<br />

»schwarzen Pädagogik« zu ermutigen, sich<br />

an die Opferschutzstellen zu wenden.<br />

»Anfang der 70er Jahre waren in Österreich<br />

11.000 Kinder in Heimen untergebracht, da<br />

sind aber Internate nicht mitgerechnet!« Schon<br />

im Jahr 2006 hatte der Historiker Michael<br />

John mit seiner Ausstellung im Linzer Kinderheim<br />

Wegscheid für Aufsehen gesorgt, als er<br />

die Erziehungsmethoden und den heute unvorstellbaren<br />

Umgang mit Kindern aufzeigte.<br />

Die Ausstellung verschwand schnell wieder<br />

im Archiv, sie war aber sicher ein wichtiger<br />

Beitrag dazu, dass es heute die Opferschutzstellen<br />

des Landes OÖ und der Kirche (Klasnic-Kommission)<br />

gibt« (siehe Kasten Seite 6).<br />

Derzeit untersuchen Michael John und sein<br />

Kollege Dieter Binder von der Universität<br />

Graz den Themenbereich Heimerziehung in<br />

Oberösterreich nach 1945 insgesamt. Wer<br />

kann sich an die Opferschutzstellen wenden,<br />

die eine gesonderte Einrichtung darstellen<br />

»Bisher haben sich rund 90 Personen an die<br />

Opferschutzstelle des Landes gewandt. Betroffen<br />

sind Heime in denen sich Minderjährige<br />

befanden. Aber es gibt auch Betroffene,<br />

die bei Pflegeltern untergebracht waren. Dort<br />

geht es um die Vernachlässigung der Aufsichtspflicht<br />

des Landes, also nachweisbare<br />

Vergehen der Fürsorge. Es gab da etwa den<br />

Fall, dass ein Mädchen in den 1960er Jahren<br />

eine Vergewaltigung durch den Pflegevater<br />

der Jugendfürsorge mitteilte und diese nicht<br />

aktiv wurde, auch dann nicht sofort, als das<br />

Kind mit zwölf Jahren schwanger war«, berichtet<br />

John.<br />

»Besinnungsräume waren oft Zellen<br />

mit einer Türklappe, Fäkalienkübel<br />

und Matratze, in denen Kinder<br />

abgesondert wurden.«<br />

Bestürzt zeigte sich der Historiker beim Gespräch<br />

mit sechs Betroffenen im Alter von 32<br />

bis 80 Jahren über ihre Erlebnisse in Kinderheimen.<br />

Eine Frage betraf die sogenannten<br />

Besinnungsräume. Das waren oft Zellen mit<br />

einer Türklappe, Fäkalienkübel und Matratze,<br />

in denen Kinder oft bis zu einer Woche abgesondert<br />

wurden. In den 1990er Jahren wurden<br />

Besinnungsräume durch einen Verfassungsgerichtsbescheid<br />

untersagt. In Linz wurde von<br />

einem »Besinnungsraum« erzählt, in dem man<br />

eigentlich nicht aufrecht stehen konnte. Von<br />

den Jugendlichen wurde er »Hundskugel« genannt.<br />

»Sogenannte Chill-Out-Räume sind<br />

heute üblicher Weise nur in psychiatrischen<br />

Anstalten unter ärztlicher Leitung zulässig«,<br />

berichtet John. Eine Praktik war auch mehrtägige<br />

Essens- und Trinkreduktion. Dazu meint<br />

John: »Weniger Essen gilt nicht als Gewalt.<br />

Weitgehender Essensentzug, wie etwa in Kaiser-Ebersdorf,<br />

womöglich über Tage hinweg,<br />

ist als Folter laut der Menschenrechts-Kinderkonvention<br />

anzusehen.« Aus dem Erziehungsheim<br />

Gleink wurde berichtet, dass es die Erziehungsmethode<br />

gab, Bettnässern das Gesicht<br />

in das uringetränkte Leintuch zu pressen.<br />

»Auch dies ist ein Beispiel für psychische<br />

Gewalt und Demütigung.« Mit 14 Jahren kamen<br />

die Zöglinge meist vom Kinderheim<br />

Gleink bei Steyr nach Wegscheid in Linz.<br />

»Die Kinder wurden mit Handschellen von<br />

der Polizei überstellt. Da waren auch Waisen<br />

dabei, die nur deswegen im Heim waren, weil<br />

sie keine Eltern hatten«, berichtet John.<br />

Wie läuft ein Entschädigungsverfahren ab<br />

»Die Entschädigung ist Landessache und es<br />

wurde ein Sonderbudgetposten zur Verfügung<br />

gestellt. Es gibt bislang keine Antragsfrist,<br />

also können sich Betroffene weiterhin melden.<br />

Wird ein Vorfall gemeldet, so hat die<br />

Landeskommission die Pflicht der Recherche<br />

und nicht der oder die Betroffene. Ein Problem<br />

ist, dass Misshandlungen meist nicht dokumentiert<br />

wurden und die Gefahr einer Ablehnung<br />

mangels Beweisen droht. Zur Aufarbeitung<br />

der traumatischen Erlebnisse konnte<br />

man bislang zehn Therapiestunden sofort finanziert<br />

bekommen. Bei der Opferschutzstelle<br />

gibt es ein persönliches Gespräch, das aufgezeichnet<br />

wird. Die Kommission entscheidet<br />

dann über die Zuständigkeit und über die Entschädigung.<br />

Es werden in Oberösterreich<br />

622.000 Euro an mehr als 50 Personen ausbezahlt«,<br />

berichtet Michael John, ȟber die genauen<br />

Details, die sich von Monat zu Monat<br />

ändern, weiß die Kinder- und Jugendanwaltschaft<br />

Bescheid, die für den Problembereich<br />

auch zuständig ist.«<br />

Einen Teil der Erlebnisse, die beim Gespräch<br />

mit Prof. John zur Sprache kamen, können Sie<br />

in dieser Ausgabe lesen. Foto+Text: hz<br />

10/2011 7


Vom Kellerloch bis zum Heustadl<br />

Dietmar Koschier wurde für einen Tag zum Kupfermucknverkäufer<br />

In den urigen, gemütlichen Redaktionsräumen<br />

der Kupfermuckn erhalte ich von den Mitarbeitern<br />

Heinz und Daniela eine Einführung in<br />

das Projekt sowie in grundlegende Benimmregeln,<br />

etwa Respektabstand zu seinen Kollegen<br />

einzuhalten oder zumindest die andere Straßenseite.<br />

Fixe Standplätze gibt’s nämlich nur<br />

bei begründeten Ausnahmen oder sehr lange<br />

etabliertem Gewohnheitsrecht. Ebenfalls darf<br />

ich keine Subunternehmer anheuern, die meinen<br />

Stapel Zeitungen für mich verkaufen.<br />

Zum Abschluss lerne ich noch die Bedeutung<br />

des Wortes »Kupfermuckn«: Vagabundenslang<br />

für alle möglichen Arten von Schlafplätzen,<br />

vom Kellerabteil bis zum Heuschober.<br />

Danach geht’s los, damit ich mal am eigenen<br />

Leib erfahre, was es heißt, Straßenzeitungsverkäufer<br />

zu sein.<br />

»Ham Sie ka Oabeid Nau, daun<br />

schau da um ane!«<br />

Anfangs ist mir etwas mulmig zumute auf<br />

meinem Standplatz am Taubenmarkt. Immerhin<br />

befinde ich mich in einer exponierten Lage<br />

der Öffentlichkeit gegenüber und deklariere<br />

mich aufgrund meiner Kupfermuckn-Montur<br />

als arm oder zumindest armutsgefährdet. Mit<br />

einem Mal fällt mir deutlicher auf, wie sehr<br />

fast alles rund um mich – Plakate, Annoncen,<br />

Auslagen, etc. – an die obersten Pflichten eines<br />

Bürgers der Konsumgesellschaft erinnert:<br />

kaufen und Geld ausgeben. Bedürfnisse werden<br />

künstlich geweckt und wollen mit Kapital<br />

befriedigt werden. Nachdem ich darüber offensichtlich<br />

nicht verfüge, bin ich unattraktiv<br />

geworden für den Markt. Entgegen dem alten<br />

Sprichwort lautet der unterschwellige Tenor in<br />

unserer Gesellschaft nämlich sehr wohl »Armut<br />

schändet!« Erst nach einer gewissen Eingewöhnungsphase<br />

entspanne ich mich allmählich.<br />

Ich beobachte die Passanten und nehme<br />

beruhigt zur Kenntnis, dass sie mich weder<br />

wie einen Exoten anglotzen noch mit Verachtung<br />

auf mich herabblicken. Die meisten interessieren<br />

sich ohnehin eher für die Waren in<br />

den Schaufenstern. Wobei einige Herrschaften<br />

schon auch klarzumachen versuchen, wem<br />

welche Stellung innerhalb der sozialen Hackordnung<br />

zukommt. Denn während ich friedfertig<br />

einfach dastehe, folgen manche eiligen<br />

Schrittes - vor allem ein Paketzusteller hat es<br />

in dieser Hinsicht besonders eilig – stur ihrer<br />

Marschrichtung und wenn ich nicht der Klügere<br />

wäre, würden sie wohl glatt in mich reinlaufen.<br />

Unaufmerksamkeit oder Absicht<br />

Dann kommt eine ältere Dame auf mich zu,<br />

holt ihre Geldbörse hervor und kramt darin<br />

herum. Währenddessen plaudern wir ein bisschen<br />

und obwohl sie behauptet, dass man »eh<br />

kaum zum Zeitungslesen kommt«, habe ich<br />

8 10/2011


dank ihr mein allererstes Exemplar unters<br />

Volk gebracht! Eine Weile später merke ich,<br />

wie ein älterer Herr seitlich an mich heranschleicht.<br />

Ich wende mich ihm zu. »Entschuidigung,<br />

ham Sie ka Oabeid Nau, daun schau<br />

da um ane!« fährt er mich an und macht sich<br />

mitsamt seinem Einkaufstrolley aus dem<br />

Staub. Ich bin belustigt, gleichzeitig aber auch<br />

empört und überlege, ob ich ihm nachlaufen<br />

und zur Rede stellen soll, was er sich denn<br />

einbilde, diese Rotzpipn. Doch ich drücke ein<br />

Auge zu und lasse ihn sanktionslos ziehen -<br />

wo er sich doch so nett entschuldigt hat…<br />

»Du gehörst hier nicht her, du<br />

darfst hier nicht sein.«<br />

Außerdem verstehe ich den armen Tropf sogar<br />

irgendwie. In unserem vorherrschenden Wertekatalog<br />

ermisst sich der Wert eines Menschen<br />

in erster Linie eben anhand wirtschaftlicher<br />

Gewinnschöpfung, und für so ein System<br />

stelle ich in meinem Aufzug ganz sicher einen<br />

Makel dar. Doch eigentlich ist mir das ganz<br />

recht. Denn wenn wir unser Geld, das auf<br />

Konten und Sparbüchern geparkt ist und mit<br />

dem munter spekuliert wird, alle auf einmal<br />

abheben wollten, kämen wir dahinter, dass es<br />

gar nicht da ist - es existiert bloß als abstrakte<br />

Zahlenfolge auf Kontoauszügen und Computerterminals,<br />

und trotzdem tun wir so, als wäre<br />

es das Allerwichtigste, wichtiger als die Umwelt,<br />

wichtiger als die Gesundheit, wichtiger<br />

als wir selbst. Mit so einem wahnwitzigen<br />

System voller Buchhaltungstricks und Bilanzfälschungen<br />

will ich nicht kooperieren und<br />

stelle mich gern an dessen Rand. Während ich<br />

solchen Gedanken nachhänge, nähert sich mir<br />

eine Polizistin. Aufgrund ihrer dunklen Sonnenbrille<br />

wirkt sie sehr streng und obwohl ich<br />

mir keines Vergehens bewusst bin, kriecht unwillkürlich<br />

ein vages Schuldgefühl meinen<br />

Rücken hinauf. Womöglich stellt ja meine<br />

bloße Anwesenheit einen Affront dar für die<br />

Reichen und Erfolgreichen Ich rechne damit,<br />

dass sie mich im nächsten Moment verscheucht,<br />

denn das bekommen Menschen am<br />

Rande der Gesellschaft bestimmt oftmals vermittelt:<br />

»Du gehörst da nicht her, du darfst<br />

hier nicht sein!« – aber die Polizistin interessiert<br />

sich dann doch bloß für die Grußpostkarten<br />

auf einem Ständer hinter mir.Ungefähr im<br />

½-Stundentakt bringe ich meine Zeitungen an<br />

den Mann bzw. an die Frau. Abgesehen von<br />

einem Herren mittleren Alters, einem Jugendlichen,<br />

einem von seiner Großmutter dazu animierten<br />

Bub sowie zwei jungen Frauen, sind<br />

es hauptsächlich reifere Damen, die mir jeweils<br />

ein Exemplar abkaufen. Manche Leute<br />

geben gar mehr her als den Verkaufspreis, und<br />

eine Dame gibt mir zwei Euro, will jedoch<br />

keine Zeitung, denn die habe sie nämlich<br />

schon. Auffällig ist, dass die Leute, die auf<br />

mich zukommen um mir ein Exemplar abzunehmen,<br />

überaus freundlich und zuvorkommend<br />

sind; fast so als würde ich ihnen einen<br />

Gefallen tun. Und wer weiß, vielleicht ist das<br />

ja auch so Der allgegenwärtige Wahn der<br />

Profitmaximierung degradiert die Menschen<br />

zu Kostenfaktoren und Budgetbelastungen,<br />

Stress und Hektik machen krank, sodass sich<br />

viele mit Aufputschmitteln und Schmerztabletten<br />

mehr schlecht als recht über Wasser<br />

halten; da mag der Anblick von jemandem,<br />

der bei diesem idiotischen Getriebe nicht mitmacht<br />

und einen gewissen Ruhe- und Gegenpol<br />

verkörpert, für viele ein Quäntchen Trost<br />

bedeuten und auch eine Hoffnung, dass man<br />

auch anders leben kann. Um die Mittagszeit<br />

beginnt der Geruch von Leberkässemmeln<br />

und anderem to-go-Food mich zu umwehen.<br />

Eine hübsche, adrette Frau tritt aus dem Eingang<br />

einer Anwaltskanzlei. Ich hätte absolut<br />

nichts dagegen, ihr die Mittagspause mit einem<br />

Stelldichein zu verschönen, aber ich bin<br />

natürlich völlig Luft für sie. Vermutlich wäre<br />

die Sache anders, wenn ich mit Anzug und<br />

Aktenkoffer dastehen würde - Kleider machen<br />

eben Leute. Nach einigen Stunden unter gleißender<br />

Sonne ziehe ich mich ein Stückchen in<br />

den schattigen Bereich einer Hauseinfahrt zurück.<br />

Ich fühle mich jetzt zwar weniger exponiert,<br />

dafür geht der Verkauf nur mehr schleppend<br />

vor sich. Der Promotionsstand der Krone<br />

hat jedenfalls deutlich mehr Zulauf. Vielleicht<br />

sollte ich meine Zeitungen auch gratis verteilen,<br />

reißerische Schlagzeilen hinausposaunen<br />

und Energy-Drinks dazugeben! Wenigstens<br />

werde ich dank der Dudel-Musik aus einem<br />

benachbarten Schuhgeschäft halbwegs unterhalten.<br />

»Im ½-Stundentakt bringe ich<br />

meine Zeitungen an den Mann<br />

bzw. an die Frau.«<br />

Nach gut zwei Stunden beendet eine Dame<br />

aus der Steiermark meine Durststrecke als<br />

Kupfermuckn-Verkäufer. Sie gibt das Geld<br />

aus, das ihr Mann verdient, sagt sie lachend.<br />

Ich gebe ihr Grüße mit auf den Weg für die<br />

»grüne Mark«. Kurz darauf nimmt mir eine<br />

andere Dame mein vorletztes Exemplar ab.<br />

Wir unterhalten uns ein wenig. Sie kenne die<br />

Situation, meint sie, deshalb kaufe sie regelmäßig<br />

so eine Kupfermuckn. Bloß Bettler, die<br />

mit irgendwelchen Schmähs oder der Mitleidsmasche<br />

daherkämen, die mag sie nicht.<br />

Mit meinem letzten Exemplar drehe ich eine<br />

Runde über den Hauptplatz und trage es dabei<br />

wie ein Werbeplakat vor mich her. Wie es<br />

scheint, werde ich es trotzdem nicht los. Bis<br />

mir ein Bekannter über den Weg läuft, der mir<br />

ohnehin noch einen geringen Betrag schuldet.<br />

Ich dränge ihm mein letztes Exemplar auf und<br />

erkläre uns für quitt.<br />

Was ziehe ich danach für ein Resümee Nun,<br />

ich habe dutzende Straßenbahnzüge an mir<br />

vorüberziehen sehen und hunderte Passanten.<br />

Für die Zukunft nehme ich mir jedenfalls vor,<br />

jeden Monat jemandem eine Ausgabe abzukaufen,<br />

da ich nunmehr eine Ahnung davon<br />

habe, was ihre Verkäufer mitmachen. Denn<br />

auch wenn ich nur für kurze Zeit in die Rolle<br />

eines Kupfermucknverkäufers geschlüpft bin,<br />

fand ich es äußerst interessant, unsere Gesellschaft<br />

mal von diesem Blickwinkel aus wahrzunehmen.<br />

Es gibt einen Witz aus der jüdischen<br />

Weisheitsliteratur, an den ich tagsüber<br />

denken musste, weil dieser meiner Meinung<br />

nach die Sache pointiert auf den Punkt bringt:<br />

Der arme Schlucker möchte zum Rabbi. Man<br />

sagt ihm, dass gerade ein vornehmer Herr<br />

drinnen sei, darum müsse er sich noch ein<br />

wenig gedulden. Also wartet der arme Schlucker;<br />

eine halbe Stunde, eine Stunde, geschlagene<br />

zwei Stunden. Endlich lässt man ihn vor,<br />

aber der Rabbi steckt ihm bloß eine Münze zu<br />

und meint: »So, das hätten wir dann wieder!«<br />

Daraufhin der arme Schlucker: »Rabbi, was<br />

soll das Für den reichen Mann nimmst du dir<br />

zwei Stunden Zeit, und mich fertigst du in<br />

zwei Sekunden ab« Darauf antwortet der<br />

Rabbi: »Na ja, weiß du, mit dem reichen Mann<br />

musste ich erst zwei Stunden reden um zu erfahren,<br />

dass er in Wirklichkeit ein armer Kerl<br />

ist – bei dir sehe ich das auf den ersten<br />

Blick…!« Foto: hz, Text: Dietmar Koschier<br />

Früher suchte ich Erleuchtung in außergewöhnlichen<br />

Ereignissen, in der Annahme,<br />

der Groschen müsse fallen in<br />

tibetischen Bergklöstern oder dergleichen.<br />

Mit der Reife der Jahre erkannte<br />

ich, dass sich die sogenannte Erleuchtung<br />

im normalen, alltäglichen Leben<br />

vollzieht und das Große oft im Kleinen<br />

sichtbar wird. Seither richte ich mein<br />

Augenmerk auf unterschätzte Phänomene<br />

des Alltags, die meist so selbstverständlich<br />

erscheinen, dass sie uns<br />

kaum weiter auffallen und versuche,<br />

diese mit den Stilmitteln der Reportage<br />

etwas zu würdigen und zu beleuchten:<br />

traditionelle Familienbetriebe, die sich<br />

gegen Handelsketten und Shoppingcenter<br />

behaupten, Öffi-Kontrolleure, Kritzeleien<br />

auf öffentlichen Toiletten – oder<br />

eben Straßenzeitungsverkäufer…!<br />

10/2011 9


Trödlerladen: Erweiterung im Geschäft Bischofstraße 7<br />

Unter dem Motto »Wiederverwerten statt wegwerfen« konnten im<br />

Jahr 2010 im Trödlerladen der <strong>Arge</strong> für <strong>Obdachlose</strong> 172 Menschen<br />

in Wohnungsnöten im Rahmen eines Altwarenhandels beschäftigt<br />

werden. Die bei den durchgeführten Wohnungsräumungen anfallenden<br />

Altwaren werden fachgerecht recycled. Dabei finden sich<br />

immer wieder Raritäten. Diese werden seit Jahren im Geschäft in<br />

der Bischofstraße angeboten. Dank des<br />

Engagements der MitarbeiterInnen und<br />

der großen Nachfrage, wird der Trödlerladen<br />

die Verkaufsfläche heuer verdoppeln.<br />

Rechtzeitig für Ihre Weihnachtseinkäufe<br />

werden die Räumlichkeiten<br />

mit einem erweiterten Angebot<br />

ab Mitte November wieder eröffnet.<br />

Begonnen hat der Verkauf von Antikwaren<br />

vor Jahrzenten im Keller der Karmelitenkirche.<br />

1993 konnte der Trödlerladen die<br />

Verkaufsräume vom Fahrradzentrum B 7<br />

in der Bischofstraße 7 übernehmen. Die<br />

Einrichtung ist in die Jahre gekommen und<br />

der bauliche Zustand ist schlecht. Durch<br />

das Angebot, das Nachbarlokal zusätzlich<br />

anmieten zu können, entschloss sich der<br />

Trödlerladen zu einer umfassenden Erweiterung und Sanierung der<br />

Räumlichkeiten. »Das zweihundert Jahre alte Gebäude bietet einen<br />

wunderbaren Rahmen für restaurierte Möbel, Geschirr, Bücher und diverse<br />

Raritäten auf einer erweiterten Verkaufsfläche von 250 m 2 «, freut<br />

sich Mathias Öhler, der das Geschäft betreut. »Wir sind dankbar für die<br />

positive Resonanz in den vergangenen Jahren und hoffen, unsere KundInnen<br />

im neuen Geschäft wieder begrüßen<br />

zu dürfen.«<br />

»Das vorrangige Ziel dieser Geschäftserweiterung<br />

ist es, noch mehr attraktive Beschäftigungsmöglichkeiten<br />

für wohnungslose<br />

Menschen anbieten zu können. Jeden<br />

Freitag bei der Arbeitsvergabe ist die Nachfrage<br />

nach Beschäftigung im Trödlerladen<br />

fast doppelt so groß als wir derzeit anbieten<br />

können. Auch die Auftragslage für Wohnungsräumungen<br />

ist sehr gut. Durch die<br />

Ausweitung der Verkaufsfläche können in<br />

allen Bereichen zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten<br />

geschaffen werden«, meint<br />

Geschäftsführer Michael Mooslechner.<br />

➜ Das gesamte Angebot des Trödlerladens<br />

finden Sie auf Seite 23.<br />

10 10/2011


Bosna oder Burger<br />

Kupfermuckntest im »Fast-Food-Eldorado« rund um den Linzer Taubenmarkt<br />

Dem Kalorienbewusstsein der heutigen Zeit zum Trotz testeten die<br />

Kupfermuckn-Redakteure einige Fastfoodgerichte rund um den<br />

Taubenmarkt. Fazit: Auch Fast Food, zu Deutsch »Schnelles Essen«,<br />

kann schmecken. Burger, Pizza, Kebab oder Leberkäse sind<br />

trotz teils hohem Fettgehalt und der vielen Kalorien ab und zu ganz<br />

passable Menüs für zwischendurch. Einige davon liegen aber<br />

schwer im Magen, von anderen wiederum wird man zu wenig satt.<br />

Die Kupfermuckn testete u.a. das Preis-Leistungsverhältnis sowie<br />

die persönliche Einschätzung, wie gesund man das jeweilige Junkfood<br />

empfindet. Die Bewertungen sind rein subjektiv. Geschmeckt<br />

hat es allen Testpersonen, weil sie sich ihr »Lieblings-Fast-Food«<br />

selbst aussuchen konnten.<br />

Am Taubenmarkt im Zentrum von Linz befindet sich, wie in anderen<br />

Stadtzentren auch, das El Dorado der »Fast-Food-Esser«. Beim Test<br />

von sieben verschiedenen Speisen mussten wir nur circa 200 Meter<br />

weit gehen. Der Brennwert einer Leberkässemmel reicht, laut einem<br />

Artikel im Profil, für 40 Minuten Stiegensteigen oder einen halbstündigen<br />

Dauerlauf. Da wir den Test in einem Gastgarten am Hauptplatz<br />

beschlossen, blieb den Testern noch ausreichend Energie für den Rest<br />

des Tages. »Die drei wichtigsten Fragen der Menschheit - Woher kommen<br />

wir Wohin gehen wir Was gibt es zum Mittagessen« (Josef<br />

Hader) - gelten nicht mehr. Befragt nach ihrer Hauptmahlzeit nannte<br />

vor 15 Jahren die Mehrzahl der Österreicher das Mittagessen. Heute ist<br />

es das Abendessen und zu Mittag gibt es eben einen Imbiss zwischendurch.<br />

Laut Profil geben die Österreicher jährlich 1,5 Milliarden Euro<br />

für die schnelle Verpflegung aus. »Die Schnellgastronomie samt Takeaway-Service<br />

ist das am stärksten wachsende Gestronomiesegment«,<br />

so Thomas Wolf vom Fachverband der Gastronomie der WKO. Wie der<br />

Test zeigt, ist das »Fast Food Angebot« sehr international. Den kleinen<br />

Unterschied beim Angebot und der Qualität gibt es noch bei Würstelständen.<br />

Da kann man noch die Frage stellen: Wo gibt es die beste<br />

Bosna Bei »McDonalds« oder »Nordsee« hingegen gibt es weltweit<br />

genormte Rezepte. Darüber hinaus gibt es eine einzigartige, regionale<br />

Fast-Food Erfindung - die Käsekrainer, die Franz Thalhammer 1971 in<br />

der kleinen Fleischerei Schuh in Buchkirchen bei Wels kreierte. In den<br />

letzten Jahren hat sich daraus in Linz eine neue Würstelstandspezialität<br />

entwickelt der »Kafka«. Das ist eine Bosna mit einer Käsekrainer statt<br />

Bratwürsteln: Nicht gerade ein Trend hin zu »Slow-Food« - schmeckt<br />

aber ausgezeichnet. (Quellen: Profil, 22.9.2007, Wikipedia)<br />

Alle Fotos: Konflozius<br />

Der Masochist<br />

Auch mir schon längst ist wohl bekannt,<br />

ich esse meist ohne Verstand.<br />

Zuviel, zu oft und viel zu fett,<br />

manch einer findet das sehr nett.<br />

Denn viel Geld lässt sich heute machen,<br />

mit den schnellen Essenssachen.<br />

So wie die Made frisst den Speck,<br />

esse ich den Fastfooddreck.<br />

Mit hundert Kilo oder mehr,<br />

fällt mir der Sport dann etwas schwer.<br />

Ich bin fett und kugelrund,<br />

sag, ist der Big Mac ungesund<br />

Oder gar die Apfeltasche,<br />

die ich danach so gerne nasche<br />

Doch wie dem auch sei,<br />

es ist mir längst schon einerlei.<br />

Auch morgen komm ich wieder her,<br />

und mach mir selbst mein Leben schwer.<br />

Denn ich bin ein Masochist,<br />

der täglich bei McDonalds frisst.<br />

I`m fett`n it! Hannes<br />

Bosna - Würstelstand Auginger,<br />

Taubenmarkt (Erich)<br />

»Host an Hunger, host an Durst - geh zum Auinger auf a<br />

Wurst. Beim Würstelstand hot ma immer a Ansproch, beim<br />

McDonalds daneben is ois sehr anonym.« Die Bosna ist eine<br />

regionale Spezialität in Salzburg und Linz und wurde 1949<br />

von einem Bulgaren als würzige Abwandlung des Hot-Dog<br />

erfunden. Wobei sich der Name vom Begriff »bosnisch«<br />

ableitet wegen der dortigen stark gewürzten Küche.<br />

Preis: 2,80 Note 2<br />

sättigend Note 1<br />

gesund Note 3<br />

10/2011 11


Pizza mit Salami (Günter)<br />

Die Version der heutigen Pizza wurde im 18. Jahrhundert in<br />

Italien populär. Die ursprüngliche Version des Fladenbrotes<br />

oder Flammkuchen ist aber tausende Jahre alt. Fladenbrote<br />

wurden früher, noch bevor das eigentliche Brot gebacken<br />

wurde, in die Brotöfen eingeschossen. Auch heute kommt<br />

die beste Pizza noch immer aus dem Steinofen.<br />

Preis: 2,50 (viertel) Note 2<br />

sättigend Note 1<br />

gesund Note 3<br />

Burger - McDonalds, Taubenmarkt (Claudia)<br />

»I bin gern beim Meki. Die Burger schmecken mir. Aber wissen tut man es eh,<br />

dass Fast Food nicht gerade gesund ist.«<br />

Der Inbegriff für »Fast Food« - viel geliebt aber auch gehasst wegen des drohenden<br />

Untergangs regionaler Esskultur. Das erste McDonalds-Restaurant<br />

wurde am 15. Mai 1940 von den Brüdern Richard und Maurice McDonalds<br />

(»Dick & Mac«) in San Bernardino, Kalifornien eröffnet und bald auf eine<br />

rationelle Art der Hamburger-Zubereitung und Selbstbedienung umgestellt.<br />

Preis: 1,50 Note 1<br />

sättigend Note 3<br />

gesund Note 4<br />

Garnelen-Baguette, Nordsee (Christine)<br />

»Es muss nicht immer Fleisch sein. Ich habe eine Zeit lang in Japan gelebt,<br />

wo hauptsächlich Fisch gegessen wird.«<br />

1896 gründeten Reeder aus Bremen die Marke »Nordsee«, um den Fisch<br />

auch im Binnenland zu verkaufen. Daraus entstand schließlich eine riesige<br />

Fast-Food Kette.<br />

Preis: 3,49 Note 4<br />

sättigend Note 2<br />

gesund Note 2<br />

12 10/2011


Leberkassemmerl - Firma Lehner (Hannes)<br />

Eine ordentliche Leberkässemmel deckt den Kalorienbedarf für einen<br />

ganzen Tag. Was drinnen ist, sieht man eh nicht, schmeckt aber<br />

traumhaft.<br />

Enthalten sind weder Käse und selten Leber. »Käse« kommt von der<br />

Kastenform in der die ursprünglich bayerische Spezialität gebacken<br />

wird. Die Zutaten sind gepökeltes, grob entsehntes Rindfleisch, fettreiches<br />

Schweinefleisch, Speck etc.<br />

Preis: 1,90 Note 1<br />

sättigend Note 1<br />

gesund Note 4<br />

Döner Kebab - Schmidtorgasse (Michael)<br />

»Ein Kebab ist wirklich ein sättigendes Mittagessen mit Salat,<br />

Tomaten und guter Soße. I steh drauf, ess aber auch gerne eine<br />

Bosna.« »Wir türkische Einwanderer sind erfinderisch, wenn es<br />

ums ökonomische Überleben geht. Und der Döner ist eine<br />

Überlebensstrategie«, lautete die Devise für eine günstige Essgelegenheit<br />

für die Gastarbeiter, die damals nur für wenige<br />

Jahre hier bleiben wollten. 1973 entstanden erste Stände in Berlin<br />

und breiteten sich schnell im deutschsprachigen Raum aus.<br />

Preis: 3.50 Note 1<br />

sättigend Note 1<br />

gesund Note 2<br />

Nudel mit Ente und Gemüse - Nudelbox<br />

(Markus)<br />

»Mir taugt die Wokküche total. Das Gemüse bleibt knackiger,<br />

in Österreich wird es aber leider etwas »letschert« gekocht.«<br />

In der ostasiatischen Küche werden Speisen typischerweise<br />

außerordentlich heiß, aber sehr kurz gebraten,<br />

auf Pfannen mit hohem offenem Feuer (Wok) zubereitet. Sie<br />

sind deshalb meist oberflächlich geröstet und innerlich gegart.<br />

Preis: 4,50 Note 3<br />

sättigend Note 1<br />

gesund Note 1<br />

10/2011 13


»Ich kam heim und hatte nichts«<br />

Aus dem Leben der Weltenbummlerin Christine<br />

Japan, Sumatra, Indien. Nur drei Stationen<br />

von vielen, die die Weltenbummlerin<br />

Christine im Laufe ihres bewegten Lebens<br />

entdeckt hat, bevor sie hier in Linz ankam.<br />

Dabei begann ihr Leben eher idyllisch in<br />

einem kleinen Ort in Schleswig-Holstein.<br />

Ihr Vater hatte ihre Mutter im Krieg kennengelernt,<br />

und gemeinsam eröffneten sie danach<br />

ein kleines Fotogeschäft. Christine kam 1950<br />

als mittleres von drei Kindern zur Welt und<br />

erlebte in ihrem Heimatort eine idyllische<br />

Kindheit am Lande. »Wie viele Menschen<br />

nach dem Krieg, hatten wir sehr wenig, aber<br />

wir bekamen sehr viel Liebe«, meint Christine<br />

rückblickend. Doch 1962 konnte ihre<br />

Mutter, eine gebürtige Gosauerin, ihr Heimweh<br />

nicht mehr zügeln und die ganze Familie<br />

zog um nach Gmunden. »Es war klasse! Ich<br />

sah das erste Mal die Berge und hab mich<br />

sofort in Österreich verliebt.« Es sollte nicht<br />

das letzte Land bleiben, in das sich Christine<br />

verliebte. Doch zuerst besuchte sie in Gmunden<br />

die Hauptschule und machte dann ihren<br />

Lehrabschluss als Fotografin im elterlichen<br />

Betrieb. Mit 16 traf sie in Walter, einen Freund<br />

ihres Bruders, ihre erste, große Liebe mit dem<br />

sie vier Jahre später nach Wien zog. Dort verbrachten<br />

sie vier Jahre. Doch eine weitere<br />

Bekanntschaft aus Gmunden sollte sie bald<br />

noch viel weiter weg führen. Ein paar Jahre<br />

zuvor trafen Christine und Walter in Gmunden<br />

auf Mikiu, einen jungen Japaner, der sich<br />

in das Lehrmädchen des elterlichen Fotogeschäfts<br />

verliebt hatte. Der Heirat und dem<br />

Umzug der Beiden folgten mehrmalige Einla-<br />

dungen an Christine und Walter, sie doch mal<br />

dort zu besuchen. 1974 war es dann soweit.<br />

Nach einigen abenteuerlichen Monaten in Island,<br />

wo sie einen Bauernhof bewirtschafteten<br />

und das Geld für Japan sparten, fuhren sie<br />

noch einmal nach Gmunden, verabschiedeten<br />

sich von Christines Eltern und machten sich<br />

im Oktober 1974, mittels der Transibirischen<br />

Eisenbahn, kurz »Transsib«, auf den Weg<br />

nach Japan.<br />

Auf nach Japan!<br />

Anfangs schliefen sie bei Mikiu und seinen<br />

Eltern zu Hause. Doch das ging nicht lange<br />

gut. »Seine Eltern waren schon entsetzt über<br />

seine Heirat mit einer Europäerin und entzogen<br />

ihm sogar das Familienschwert. Über uns<br />

14 10/2011


als zusätzlichen Familienzuwachs waren sie<br />

dann auch nicht grad glücklich und wir suchten<br />

uns nach drei Wochen eine neue Bleibe«,<br />

berichtet Christine über den Anfang ihres unsteten<br />

Lebens in Japan. Die ersten drei Monate<br />

residierten sie in Jugendherbergen, die<br />

sie allerdings alle drei Tage wechseln mussten.<br />

»Eines Tages musste Walter sogar seine<br />

Kamera verkaufen, damit wir wieder Geld<br />

hatten«, erzählt Christine über diese entbehrungsreiche<br />

Zeit, die sie im Nachhinein allerdings<br />

nicht als schlecht empfindet. »Wir waren<br />

einfach abenteuerlustig und es war auch<br />

sehr interessant.«<br />

Quer durch die halbe Welt<br />

Als sie endlich eine Wohnung fanden, spendierte<br />

ihnen die Heilsarmee einen großen Teil<br />

der Wohnungseinrichtung. Als »native<br />

speaker« arbeitete Christine als deutsche<br />

Sprachlehrerin, und sie konnten sich einiges<br />

an Geld zusammensparen, mit dem sie einen<br />

längeren Trip durch Südostasien finanzierten.<br />

Thailand, Sumatra und Burma waren nur einige<br />

Stationen davon. In Japan allerdings bekamen<br />

sie immer nur ein Visum für sechs<br />

Monate. Das bedeutete, dass sie alle sechs<br />

Monate mit dem Schiff nach Südkorea fuhren,<br />

dort ein paar Tage blieben, um dann erneut<br />

ein Visum zu beantragen, um wieder in<br />

ihre neue Heimat Japan einreisen zu dürfen.<br />

Doch in der Beziehung kriselte es schon seit<br />

längerem, und aus persönlichen Gründen erfolgte<br />

1976 eine vorübergehende Trennung.<br />

In einem sogenannten »Freak-Bus«, eine kostengünstige<br />

Möglichkeit für EuropäerInnen,<br />

die aus Indien wieder auf den heimischen<br />

Kontinent gelangen wollten, kam sie über Afghanistan,<br />

Kabul und Saloniki um hundert<br />

Dollar wieder nach Gmunden. In Gmunden<br />

versuchten ihre Eltern sie zwar zum Bleiben<br />

zu überreden, doch ungeachtet aller Differenzen<br />

trieb es Christine wieder zu Walter und so<br />

machte sie sich 1977 aufs Neue auf, um allein<br />

mit der Transsib nach Japan zu gelangen. Allein<br />

die Beziehung war nicht mehr zu retten<br />

und 1978 erfolgte die Trennung. »Ich war<br />

damals gerade mit meiner Tochter schwanger<br />

und wahrscheinlich war es die Schwangerschaft,<br />

die mir die Kraft zur Trennung gab«,<br />

berichtet sie über einen neuen Lebensabschnitt,<br />

der wieder einmal mit vielen Reisen<br />

verbunden war.<br />

Beginn der Angstzustände<br />

Sie zog mit ihrer sechs Monate alten Tochter<br />

nach Südkorea, wo sie eine schottische Nonne<br />

kennenlernte, die in einem buddhistischen<br />

Kloster wohnte. Einen Monat wohnte sie dort<br />

in einem Dorf. Zu Essen bekamen sie und<br />

ihre Tochter im Kloster. Danach fuhr sie zurück<br />

nach Japan, arbeitete dort tagsüber als<br />

Model an einer Kunsthochschule und abends<br />

als Serviererin in einer Bar. 1978, während<br />

sie im Ausland war, starb ihr Vater zu Hause<br />

an einem Herzinfarkt. Doch erfuhr sie erst<br />

viel später von diesem, für sie tragischen,<br />

Todesfall. Nebst dieser schrecklichen Nachricht<br />

war die Beziehung nun definitiv in die<br />

Brüche gegangen und Christine litt immer<br />

mehr an Angstzuständen. So entschloss sie<br />

sich, Japan bis auf weiteres zu verlassen und<br />

wieder nach Gmunden zurückzukehren. Dort<br />

wurden sie und ihre inzwischen zweijährige<br />

Tochter liebevoll von ihrer Mutter aufgenommen.<br />

Doch hatte bei Christine inzwischen<br />

eine Änderung stattgefunden, mit der sie jahrelang<br />

zu kämpfen haben würde. Sie hatte<br />

Angstzustände und konnte sich nicht mehr<br />

konzentrieren. Ihre Mutter, die einen plötzlichen<br />

Kulturschock vermutete, riet ihr zur<br />

Rückkehr nach Japan. Also flog sie ein letztes<br />

Mal zurück, nur um nach drei Wochen festzustellen,<br />

dass sie endgültig von hier weg<br />

musste. »Nach sechs Jahren stand ich da und<br />

hatte nichts als meine Tochter und eine Reisetasche.<br />

Also flog ich zurück nach Frankfurt<br />

und wohnte eine Zeit bei meinem Bruder in<br />

Ostfriesland«, berichtet Christine heute. Dann<br />

ging es wieder zu ihrer Mutter nach Ohlsdorf,<br />

wo sie ihren ersten psychotischen Schub<br />

hatte. Acht Monate wohnte sie dort. Acht Monate,<br />

in denen sie nur ein paar Worte sprechen<br />

konnte und sich zurückzog. »Ich hatte kein<br />

Geld, ich hatte nichts. Meine Mutter wusste<br />

nicht, wie sie mir helfen sollte, aber sie war<br />

immer für mich da.«<br />

Wendepunkte<br />

Dann der Umschwung. Nach langem konnte<br />

Christine einmal weinen. Über die Trennung<br />

und alles Sonstige, was sie belastete. Doch<br />

nun schlug das Pendel in die andere Richtung<br />

aus. Sie konnte wieder leben, aber nun exzessiv.<br />

Sie schlug über die Stränge und verlor<br />

sich fast in verschiedenen Schüben ihrer damaligen<br />

manischen Depression. 1989 war es<br />

soweit, dass sie sogar das Sorgerecht für ihre<br />

beiden Kinder verlor. Inzwischen gab es nämlich<br />

auch einen dreijährigen Sohn aus einer<br />

kurzen Beziehung. Die Kinder kamen zu<br />

Pflegeeltern. Sie selbst übersiedelte wieder<br />

nach Ostfriesland wo sie als Zimmermädchen<br />

arbeitete. Ihren Kummer und ihre Probleme<br />

versuchte sie in Alkohol zu ertränken. Doch<br />

dann kam der erst Schritt zur Wende. Christine,<br />

die schon immer einen Hang zum Spirituellen<br />

hatte, wurde von einer christlichen<br />

Freundin dazu überredet sich in Behandlung<br />

zu begeben. Ein Jahr verbrachte sie in einer<br />

Klinik in Emden die sie mit 40 verließ. »Ich<br />

kam raus und hatte nichts. Alles Futschikato.<br />

Doch in all den Jahren hat meine Familie immer<br />

zu mir gehalten und mir geholfen«, meint<br />

sie heute. Allerdings hatte sie noch einen steinigen<br />

Weg vor sich. Sie hatte Schuldgefühle<br />

wegen der Kinder und begann zu trinken. Innerhalb<br />

von zehn Jahren kämpfte sie siebenmal<br />

mittels verschiedener Therapien dagegen<br />

an, was schlussendlich auch zu einem Erfolg<br />

führte. Doch erstmal fuhr sie nach dem Aufenthalt<br />

in der Psychiatrie nach Gmunden zu<br />

ihrer Mutter und übersiedelte dann nach Hallstatt<br />

wo sie als Fotografin im Salzbergwerk,<br />

aber auch als Zimmermädchen und Küchenhilfe<br />

arbeitete. Ihre Kinder durfte sie vorerst<br />

jeden Monat nur für drei Stunden sehen, was<br />

sie heute als Tortur ansieht. »Ich hasste Linz<br />

damals, denn Linz bedeutete für mich meine<br />

Kinder nur kurz sehen zu dürfen und dann<br />

wieder nach Hause fahren zu müssen.« Dass<br />

sie heute zu vielem eine entspanntere Einstellung<br />

hat, verdankt sie auch einer freien Christengemeinde.<br />

Schon in Ischl vermittelte ihr<br />

ein Baptist, dass es im Glauben um Verzeihen<br />

geht. Auch sich selbst. Dadurch lernte sie sich<br />

selbst ihre Fehler im Leben, ihren Selbsthass<br />

und vieles mehr zu verzeihen. Schrittweise<br />

näherte sie sich dieser Lebensanschauung und<br />

lebte dann auch fünf Monate auf dem Adelsmaierhof<br />

in Wartberg an der Krems. Einem<br />

Hof mit christlichem Hintergrund der Menschen<br />

mit persönlichen Problemen Hilfe anbietet.<br />

Sonnenaufgang und Ruhe im Glauben<br />

Dort hatte sie auch intensive Gespräche mit<br />

einem Seelsorger aus Kirchdorf, der ihr trotz<br />

allem dazu riet, nach Linz zu ziehen. »Irgendwie<br />

hatte er ja auch recht. Ich hatte ein wunderbares<br />

Leben im Salzkammergut. Aber<br />

meine Mutter war vor drei Jahren gestorben<br />

und seitdem war ich hier einsam. Es gab eigentlich<br />

nichts mehr, was mich hier hielt. Außerdem<br />

vermisste ich meine Kinder, die ja<br />

beide in der Nähe von Linz wohnten.« Also<br />

packte sie erneut ihre sieben Sachen und<br />

wurde in Linz sesshaft. Durch den Sozialverein<br />

»Pro mente« und »Exit« fand sie anfangs<br />

eine Übergangswohnung. Frau Isabella<br />

Schmidt und Frau Lydia Wizany von der »<strong>Arge</strong>-Sie«<br />

halfen ihr dann bei der Suche nach<br />

einem permanenten Wohnsitz. Inzwischen<br />

genießt sie jeden Tag den Ausblick aus ihrer<br />

Wohnung und freut sich über jeden Sonnenaufgang.<br />

Sonntags besucht sie öfters eine<br />

freie christliche Gemeinde in Urfahr und hat<br />

auch sonst durch ihren Glauben ihre Ruhe<br />

gefunden. Foto+Text: Gabi<br />

10/2011 15


Der Teufel hat viele Namen ...<br />

Suchtkranke über ihre Erfolge und Herausforderungen<br />

»Während des Entzugs hatte ich<br />

Heimweh und Depressionen«<br />

Mit 16 hatte alles begonnen. Ich wohnte in der<br />

schönen großen Stadt Odessa, wo man mit<br />

Geld wirklich viel Spaß haben konnte. Diese<br />

Stadt liegt am Schwarzen Meer in der Ukraine<br />

und hat mehr als eine Million Einwohner. Vor<br />

allem die Frauen dort sind super schön. Mit 16<br />

hatte ich genügend Geld. Das musste ausgegeben<br />

werden. Ich bin ein Mensch, der Geld<br />

nicht auf die Seite legt und spart. Jeden Tag<br />

fuhr ich mit dem Taxi herum, speiste in den<br />

teuersten Restaurants, trank alles Mögliche –<br />

Bier, B52 und Tequilla-Boom. Fast immer<br />

trank ich im Kreise meiner Freunde. Die Rechnungen<br />

bezahlte immer ich. Nachts hing ich in<br />

teuren Nacht-Clubs von Odessa herum. Normalerweise<br />

hätte ich mit 16 da noch gar nicht<br />

rein dürfen, aber mit Geld ist eben auch in<br />

Odessa beinahe alles möglich. Sehr viel Geld<br />

gab ich damals für Frauen aus. Oftmals besuchte<br />

ich edle Nutten. Dann begann ich zu<br />

kiffen. Es machte Anfangs Spaß. Eines Tages<br />

saß ich mit meinem sechs Jahre älteren Bruder<br />

im Auto, als mir eine große Summe Geld aus<br />

16 10/2011<br />

der Tasche fiel. Mein Bruder meinte, wir<br />

könnten für dieses Geld Heroin kaufen und es<br />

mal ausprobieren. Er hatte bereits Erfahrung<br />

mit dieser Droge gemacht. Und so kaufte ich<br />

mir das Zeug. Dann aber war ich ziemlich<br />

schnell ganz schlimm drauf. Irgendwann<br />

dachte ich an den Ausstieg. Ich machte in<br />

Deutschland eine stationäre Therapie. Während<br />

des Entzugs hatte ich starkes Heimweh<br />

und Depressionen. Ich vermisste meine<br />

Freunde, die Partys und die große schöne<br />

Stadt. Es war schrecklich und langweilig. Danach<br />

aber wurde ich schnell wieder rückfällig.<br />

Ich konsumierte in Deutschland weiterhin Heroin.<br />

Der soziale Abstieg war vorprogrammiert:<br />

Bald schon konnte ich die Rechnungen<br />

nicht mehr bezahlen. Nun lasten circa 5.000<br />

Euro Schulden auf mir. Mir geht es schlecht.<br />

Jetzt bin ich 22 Jahre alt. Gott sei Dank habe<br />

ich noch eine Freundin. Wir lieben einander<br />

über alles. Sie hat nichts mit Drogen zu tun.<br />

Sonst würde es ja auch gar nicht funktionieren.<br />

Ich sehe sehr gut aus, bin 1.90 m groß.<br />

Niemand würde vermuten, dass ich überhaupt<br />

mit Drogen zu tun habe. Auch das Geldproblem<br />

sieht man mir nicht an, da ich nur Markenklamotten<br />

trage. Das bin ich aus der Ukra-<br />

ine gewöhnt. Ab und zu fahre ich mit Leihautos<br />

durch die Gegend, zur Zeit mit einem<br />

neuen Opel Tigra Cabrio. Nach außen hin<br />

sieht alles super aus. In Wirklichkeit aber bin<br />

ich nervlich am Ende. Ihnen allen möchte ich<br />

nur sagen: Finger weg vom Heroin! Es zerstört<br />

jedes Leben! Man kann sich davor nur<br />

retten, wenn man die Finger davon lässt! Und<br />

ich möchte endlich wieder ein normales Leben<br />

führen. Berni<br />

»Seit dem Tod meines Freundes im<br />

Drogenersatzprogramm«<br />

Als ich jung war, wurde mir die ländliche Umgebung<br />

in Oberösterreich bald zu klein. Ich<br />

wollte die große weite Welt sehen und zog<br />

nach Wien. Gemeinsam mit 30 anderen jungen<br />

Menschen packte ich meine Sachen und<br />

stürzte mich ins Abenteuer. Am Anfang war<br />

alles noch ziemlich harmlos. Ein bisschen<br />

Gras rauchen, hin und wieder einmal eine<br />

Nase Koks beim Fortgehen. Nur blieb es nicht<br />

dabei. Es wurde immer schlimmer. Innerhalb<br />

kürzester Zeit konsumierten wir bereits harte<br />

Drogen: Von Heroin über Kokain bis zu diversen<br />

Medikamenten wurde alles genommen. Es<br />

schien mir, nach einer gewissen Zeit, wie ein<br />

vorgegebener Weg, der uns alle direkt in die<br />

Versenkung führte. Zuletzt konsumierten zwei<br />

Drittel meines Freundeskreises Heroin. Das<br />

Unheil nahm somit zu jener Zeit seinen Lauf.<br />

Einer meiner besten Freunde war total von<br />

Schlaftabletten begeistert, um nicht zu sagen<br />

abhängig. Wir dachten uns alle vorerst nichts<br />

dabei, da wir ja alle selbst genug mit unserem<br />

eigenen Leben zu tun hatten. Es war ein Tag<br />

wie jeder andere. Wir trafen uns in einer unserer<br />

Wohnungen. Zuvor gingen wir noch schnell<br />

zum Karlsplatz, wo wir das Nötigste besorgten.<br />

Ein paar Leute kamen zu uns auf Besuch<br />

und schon ging die Party los. Wir feierten,<br />

hatten Spaß und dachten uns nichts dabei, als<br />

einer meinte, er sei müde und würde nun<br />

schlafen gehen. Wir saßen herum und legten<br />

uns einige Stunden später schlafen. Keiner<br />

von uns bemerkte, was in dieser Nacht im<br />

Nebenzimmer geschah. Als einer meiner


Freunde am nächsten Tag dieses Zimmer betrat,<br />

in welchem Nik schlief, hörten wir einen<br />

lauten verzweifelten Schrei durch die Wohnung<br />

hallen. Wir waren sofort wach und rannten<br />

zu Nik ins Zimmer. Diesen Anblick werde<br />

ich nie vergessen. Wir alarmierten die Rettung<br />

und leisteten erste Hilfe. Der Notarzt traf sofort<br />

ein, kurz darauf auch die Polizei. Leider<br />

war es zu spät. Nik konnte nicht mehr geholfen<br />

werden. Nach einem längeren Gespräch<br />

mit der Polizei erfuhren wir, was wirklich passiert<br />

war. Nik hatte einen epileptischen Anfall.<br />

In Folge dessen biss er sich ein Stück von seiner<br />

Zunge ab. Er blutete so stark, dass er aufgrund<br />

dessen an seinem Blut erstickte. Dieser<br />

Vorfall leitete in mir einen Umdenkprozess<br />

ein. Ich beendete meine Drogenkarriere. Seit<br />

mehr als zwei Jahren bin ich seither in einer<br />

Substitutions-Behandlung. Einmal pro Monat<br />

muss man zu einem speziellen Arzt, der die<br />

Einstellung auf eine bestimmte Ersatzsubstanz<br />

vornimmt. Ungefähr alle drei Monate<br />

wird man zum Drogentest geschickt. Dann<br />

braucht man nur mehr eine Apotheke in der<br />

Nähe finden, die einen aufnimmt. Hat man das<br />

geschafft, muss man sich jeden Tag dort einfinden,<br />

um das Medikament einzunehmen.<br />

Das Vorgehen in der Apotheke ist für mich<br />

persönlich das Schlimmste am Umgang mit<br />

Substitutionspatienten. Man muss warten.<br />

Wenn man an der Reihe ist, erhält man das<br />

Medikament und muss es vor den Augen der<br />

Apotheker und den anderen Kunden einnehmen<br />

und den Erhalt quittieren. Die anderen<br />

Kunden wundern sich meist über die spezielle<br />

Behandlung der Substitutionspatienten und<br />

beobachten, was man tut. Ich finde, man sollte<br />

seine Medikamente in einem eigenen Raum,<br />

der von den normalen Kunden abgetrennt ist,<br />

erhalten und einnehmen dürfen. In anderen<br />

europäischen Ländern ist dieses Vorgehen<br />

schon lange üblich. Ich finde es gut und richtig,<br />

dass man gewisse Verpflichtungen und<br />

Auflagen hat. Man darf zum Beispiel im Jahr<br />

nur um zehn Tage Urlaub mit Mitgabe des<br />

Substitols ansuchen. Das finde ich viel zu wenig.<br />

Außerdem muss man sogar das Kennzeichen<br />

des Kraftfahrzeugs, mit dem man in Urlaub<br />

fährt, angeben. Ich hoffe, dass man irgendwann<br />

umdenkt und die Substitutionspatienten<br />

nicht mehr als Verbrecher sieht, sondern<br />

als erkrankte Personen, die sie zweifelsohne<br />

sind. Stefan<br />

»Mein Heroinkonsum steigerte<br />

sich, dann war ich abhängig.«<br />

Meine Drogensucht fing »klein« an. Gelegentlicher<br />

Konsum hiervon und öfters davon.<br />

Den Konsum hatte ich Anfangs weitestgehend<br />

unter Kontrolle. Ich machte mir nicht wirklich<br />

Sorgen. Gelegentliche Ausflüge nach Wien<br />

boten mir die Möglichkeit, nicht nur günstig<br />

sondern auch zu meiner Bereicherung Drogen<br />

zu besorgen. Auf diese Weise steigerte sich<br />

auch mein Heroin Konsum. Nach einer gewissen<br />

Zeit war ich abhängig. Ich musste mindestens<br />

zwei Mal in der Woche nach Wien, damit<br />

ich mir meine Sucht leisten konnte. Da die<br />

Geschäfte nicht immer gut liefen, verlor ich<br />

immer mehr Geld. Ich dachte nicht ans Aufhören,<br />

sondern überlegte, wie ich es mir weiter<br />

finanzieren konnte. Dabei kamen mir meine<br />

Ersparnisse zu Hilfe. Ein ganzes Jahr lang ließ<br />

ich es mir so richtig gut gehen und lebte auf<br />

großem Fuß. Eines Tages besuchte mich ein<br />

alter Freund, den ich seit der Schule nicht<br />

mehr gesehen hatte und war überrascht, dass<br />

er dieselben Probleme wie ich mit der Sucht<br />

hatte. Er war es schließlich, der mich zu einer<br />

Alternative brachte. Der Teufel hat bekanntlich<br />

viele Namen und in diesem Fall hieß er<br />

»Substitol«. Wir schlossen uns zusammen. Ich<br />

war erstaunt, wie viel Geld sich damit machen<br />

ließ. Es ging »aufwärts«. Wir mussten nur<br />

einmal im Monat nach Wien und die restliche<br />

Zeit vertrieben wir uns im Sommer mit sinnlosen<br />

Einkäufen. An einem schönen Tag waren<br />

wir wieder einmal in der Plus City beschäftigt,<br />

als mir beim Heimweg an der Bushaltestelle<br />

eine schöne Frau ins Auge stach. Ich winkte<br />

ihr zu, und sie zurück, und dann verschwand<br />

sie in der Unterführung. Ich schrie ihr nach.<br />

Wir verabredeten uns, und ich freute mich wie<br />

ein kleines Kind darauf. Um meine Abhängigkeit<br />

zu verstecken, spritzte ich mir nur eine<br />

geringe Dosis. Eine normale Tages-Dosis war<br />

im meinem Fall 400mg Substitol, aber an diesem<br />

Tag nur 100mg. Es funktionierte gerade<br />

so weit, dass ich keine Entzugserscheinungen<br />

und einen klaren Kopf hatte. Ich wusste nicht,<br />

was mich dazu trieb, aber ich erzählte ihr alles<br />

über mein Konsumverhalten, angefangen von<br />

Cannabis bis zum Substitol. Ich war verwundert,<br />

dass sie mich immer noch interessant<br />

fand. Wir trafen uns weiterhin und sie gab mir<br />

das Gefühl, nicht alleine zu sein. Heute sagt<br />

sie, meine Ehrlichkeit habe sie beeindruckt.<br />

Andere Faktoren, wie die ständige Gefahr erwischt<br />

zu werden, Verlust von Körpergewicht<br />

und mein letzter noch lebender Verwandter<br />

gaben mir Anlass, Schluss zu machen mit den<br />

Drogen. Da ich nicht in ein Drogenersatz-<br />

Programm wollte, musste ich mir etwas einfallen<br />

lassen, und das war Entwöhnung. Ich<br />

fing an, mich selber herab zu setzen in 20er<br />

Schritten pro Woche. Als ich bei 150mg angekommen<br />

war, ging dies nicht mehr so leicht<br />

und so machte ich mit 10er Schritten weiter.<br />

Inzwischen verlor ich meine Wohnung und<br />

wohnte bei meinem Onkel. Meine Freundin<br />

stand immer noch zu mir und machte mir Mut,<br />

weiter zu machen. Als ich dann bei 10mg pro<br />

Tag angekommen war, bat ich meinen Onkel,<br />

mich bei sich einzusperren, um auch die letzte<br />

Sucht loszuwerden, was nicht leicht war. Ich<br />

schwitzte wie ein Schwein, hatte heftige Stimmungsschwankungen<br />

und konnte vier Tage<br />

nicht schlafen. Aber es hatte sich gelohnt. Ich<br />

war frei. Wenn ich heute auf diese Zeit zurückblicke,<br />

bereue ich es nicht, diese Erfahrungen<br />

gemacht zu haben. Ich versuche mein<br />

Leben in den Griff zu bekommen. Zum Abschluss<br />

muss ich sagen, es gibt drei Wege,<br />

klug zu handeln: Nachdenken ist der edelste,<br />

Nachahmen der leichteste, aber Erfahrung der<br />

bitterste. Markus / Foto: hz<br />

10/2011 17


Von sterilen Spritzen und Ersatzdrogen<br />

Expertinnen des Substanz-Teams skizzieren die aktuelle Situation der Drogenpolitik<br />

auf den Markt, von denen man nicht weiß,<br />

was sie mit dem Körper machen«, warnt Hörschläger.<br />

Mangel an Ärzten und Plätzen<br />

Das Substanzteam: (Von links nach rechts) Bianca Jagosch, Georg Berndorfer, Irene Hörschläger,<br />

Isabella Grogger, Isolde Waltenberger, Olaf Beyer, Claudia Bernreiter (Foto: Substanz)<br />

Exakte Zahlen über Suchtkranke in Linz<br />

gibt es nicht. »Die Szene spielt sich eher im<br />

privaten Bereich ab«, so Bianca Jagosch,<br />

eine Sozialarbeiterin von Substanz. Eine<br />

»fixe Gruppe« sei zwar bekannt, neue Leute<br />

über Streetwork zu finden aber relativ<br />

schwierig. Trotz dieser »unsichtbaren«<br />

Szene sprechen die Zahlen im aktuellen<br />

Drogen- und Suchtbericht eine deutliche<br />

Sprache: Im Jahr 2010 wurden circa<br />

150.000 Nadeln getauscht bzw. verkauft.<br />

»In den letzten zehn Jahren hat sich der Spritzentausch<br />

in Linz rasant entwickelt. Dies lässt<br />

aber nicht unbedingt auf mehr Suchtkranke<br />

schließen. Wir vermuten auch, dass unser Bekanntheitsgrad<br />

gestiegen ist«, interpretiert<br />

Irene Hörschläger, ebenfalls Sozialarbeiterin<br />

von Substanz, die steigende Entwicklung.<br />

Ziemlich ungewiss ist die Zahl der Menschen<br />

in Linz, die von illegalen Drogen abhängig<br />

sind. Laut einer groben Schätzung der Landesdrogenkoordination<br />

kann man von circa<br />

tausend Betroffenen ausgehen.<br />

Schadensminderung und Sicherheit<br />

Im Sinne der »harm-reduction«, auf Deutsch<br />

»Schadensminderung«, erfolgen im Verein<br />

Substanz Spritzentausch und Gesundheitsberatung.<br />

Alles vertraulich, kostenlos und unbürokratisch.<br />

»Es geht primär nicht um Abstinenz,<br />

sondern darum, unmittelbare gesundheitliche<br />

Schäden für unsere KlientInnen zu<br />

reduzieren und ihr Überleben zu sichern«, betont<br />

Jagosch. Die Sicherheit stehe an oberster<br />

Stelle. Der Spritzentausch, bei dem gebrauchte<br />

Konsumutensilien durch sterile ersetzt werden,<br />

sei eine wichtige präventive Maßnahme,<br />

wodurch die Ansteckung mit HIV, Hepatitis<br />

oder anderen Krankheiten verhindert werden<br />

soll.<br />

Drogen als Badesalz oder Düngemittel<br />

Anlass zu verstärkter Sorge geben dem Substanz-Team<br />

die Produktion und der Konsum<br />

synthetischer Drogen. Besonders bedenklich<br />

seien »Reserach Chemicals«. Hierbei handle<br />

es sich um chemisch hergestellte Drogen, die<br />

als »Badesalze« oder »Düngemittel« deklariert<br />

und als angeblich legale Alternative zu<br />

herkömmlichen illegalen Drogen angeboten<br />

würden. Diese chemischen Verbindungen<br />

seien nicht ausreichend erforscht, weshalb<br />

über ihre psychoaktive Wirkung aber auch<br />

über mögliche Risiken von Überdosierungen<br />

wenig bekannt ist. »Mitunter können sich daraus<br />

unkalkulierbare Gesundheitsgefahren ergeben.<br />

Es kommen immer wieder neue Stoffe<br />

Positiv sehen die beiden Expertinnen die<br />

Möglichkeit eines Drogenersatzprogrammes<br />

für ihre KlientInnen. Ein Suchtkranker wird<br />

über eine Drogenambulanz oder einen substituierenden<br />

Arzt in das Substitutionsprogramm<br />

aufgenommen. Dadurch, so Jagosch, können<br />

die Betroffenen gesundheitlich und sozial stabilisiert<br />

und vom Beschaffungsdruck für illegale<br />

Suchtgifte befreit werden. Die Sozialarbeiterin<br />

beklagt jedoch, dass es viel zu wenig<br />

substituierende Ärzte in Linz gebe. »Der niederschwellige<br />

Zugang zu Ersatzdrogen ist seit<br />

der Novellierung des Suchtmittelgesetztes im<br />

Jahr 2007 schwieriger geworden«, kritisieren<br />

die Sozialarbeiterinnen. Ärzte, die in der Substitutionstherapie<br />

tätig sein wollen, müssen<br />

seither nämlich eine Basisausbildung und regelmäßige<br />

Weiterbildungen absolvieren. Nach<br />

Einführung der neuen Regelungen hätten sich<br />

deshalb viele, in der Substitutionstherapie tätige<br />

Ärzte zum Ausstieg entschlossen. Seither<br />

herrscht ein Mangel an ärztlicher Versorgung.<br />

Die Lage ist ernst. Lange Wartezeiten für einen<br />

Entzug im Wagner-Jauregg Krankenhaus<br />

und stationäre Entwöhnungstherapien können<br />

zudem enervierend sein. Problematisch sei darüber<br />

hinaus der Zugang zu Therapieeinrichtungen<br />

in anderen Bundesländern. Es gebe nur<br />

ein bestimmtes Kontingent an Plätzen. Die<br />

Finanzierung eines Aufenthaltes bei »Walkabout«<br />

in Graz etwa sei zur Gänze gestrichen<br />

worden. In Oberösterreich gibt es zwar den<br />

»Erlenhof« als stationäre Einrichtung, doch<br />

dieses Konzept würde nicht für jeden passen.<br />

Worin sehen die beiden Expertinnen nun dringendsten<br />

Handlungsbedarf »Was hier in Linz<br />

fehlt, ist ein eigenes Haus mit Ärzten und geschultem<br />

Personal vor Ort, wo man individuell<br />

reagieren kann, Zeit für die Probleme der<br />

Leute hat und sie nicht einfach von A nach B<br />

schickt«, konstatiert Jagosch. Ihre Kollegin<br />

Hörschläger wünscht sich darüber hinaus einen<br />

einfacheren Zugang zum Substitutionsprogramm<br />

und zu Therapiestationen auch außerhalb<br />

von Oberösterreich. (dw)<br />

18 10/2011


Bis zu 120 Euro pro Tag für Drogen ausgegeben<br />

Rene, regelmäßiger Stammkunde beim Substanz, möchte neue Wege einschlagen<br />

Im hellen und freundlich gestalteten Ambiente<br />

der Einrichtung »Substanz« finden<br />

Suchtkranke einen respektvollen Umgang<br />

und Hilfe in einem geschützten Rahmen.<br />

Die Einrichtung ist stark frequentiert, das<br />

Publikum bunt gemischt, das Angebot vielfältig.<br />

Rene, (27) aus Linz, ist regelmäßiger<br />

Stammkunde beim Substanz. Schonungslos<br />

offen spricht er über seine Suchtkarriere.<br />

Auf den ersten Blick schaut Rene gar nicht<br />

aus wie jemand, der harte Drogen konsumiert.<br />

Erst auf den zweiten Blick entdeckt man Einstichstellen<br />

in seinen Armbeugen. »Es gibt für<br />

mich nur zwei Möglichkeiten. Entweder zurück<br />

in die Hölle, oder vorwärts ins Leben«,<br />

ist sich der gebürtige Linzer sehr wohl bewusst.<br />

Rene ist auf einem guten Weg. Seit<br />

kurzem ist er »auf Substi« (Substitol), auch<br />

seinen Drogenkonsum konnte er stark reduzieren.<br />

Rückblickend betrachtet hat der 27-<br />

Jährige aber eine typische Suchtkarriere hinter<br />

sich: Mit zwanzig bereits der Griff zu harten<br />

Drogen, zuvor zahlreiche Alkoholabstürze. Er<br />

wollte eigenständig leben, gelandet ist er in<br />

der »Waggonie« (Notschlafplatz für <strong>Obdachlose</strong><br />

in Zugabteilen). »So frei wie ein Vogel«<br />

wollte er sein und merkte zu spät, wie tief er<br />

bereits in der Ausweglosigkeit steckte.<br />

»Zuhause« im Substanz<br />

In seiner Verzweiflung suchte er nach professioneller<br />

Hilfe, die er bei den SozialarbeiterInnen<br />

des Substanz fand. »Im Substanz fühle ich<br />

mich wie Zuhause«, sagt Rene. Hier könne er<br />

»einfach sein« und finde einen »guten Austausch<br />

mit seinen Kollegen«. Einen »besonders<br />

guten Draht« habe er zu seiner Betreuerin<br />

Berni (Claudia Bernreiter), die ihm bei sämtlichen<br />

Problemen zur Seite steht. Und wenn er<br />

kein Geld mehr hat, könne er im Verein Substanz<br />

bei Arbeitsprojekten etwas dazu verdienen.<br />

»Meistens helfe ich mit beim Kochen,<br />

räume den Spritzenautomat ein oder fülle die<br />

Spritzen-Sets mit Pumpen, sterilen Nadeln,<br />

Alkohol- und Trockentupfer.« Rene nutzt aber<br />

auch andere Substanz-Angebote wie etwa<br />

Wäsche waschen oder duschen. Vor allem<br />

aber schätzt er den Gratistausch von sterilen<br />

Spritzen und Nadeln: »Das ist die sicherste<br />

Variante. Ich möchte mich nicht mit einer<br />

Krankheit infizieren. Und ich verachte Junkies,<br />

die ihre Spritzen einfach in Parks oder in<br />

öffentlichen WCs liegen lassen.«<br />

Heroin, Trips und Schwammerl<br />

Der gebürtige Linzer erzählt von seinem ersten<br />

Kontakt mit dem Gift: »Ich habe Heroin<br />

nicht gespritzt, nur gezogen, also durch die<br />

Nase eingenommen.« Vor Heroin habe er immer<br />

großen Respekt gehabt. Deshalb habe er<br />

auch ziemlich schell andere Substanzen ausprobiert:<br />

Morphium, Substitol, Mundidol,<br />

Vendal und andere. Die Liste ist lang. Auch<br />

vor synthetischen Pillen wie Speed habe er<br />

keine Angst, ebensowenig vor den »narrischen<br />

Schwammerln«. Von den wirklich harten Substanzen<br />

will er aber die Finger lassen. In den<br />

letzten Jahren hat Rene nämlich sechs Freunde<br />

in Verbindung mit harten Drogen verloren.<br />

Am Schlimmsten war das jüngste Opfer -<br />

seine langjährige Freundin, die sich in ihrer<br />

Verzweiflung freiwillig das Leben genommen<br />

hat. »Das wirft mich nun komplett aus der<br />

Bahn«, so Rene. »Der Schock sitzt mir in den<br />

Knochen. Ich habe sie zwar nicht mehr geliebt,<br />

aber ich hatte sie verdammt gern.«<br />

Therapieabbruch beim Erlenhof<br />

In seiner schlimmsten Phase vor zwei Jahren<br />

gab er 80 bis 120 Euro täglich für Drogen aus.<br />

Beim »Erlenhof« wollte er voriges Jahr eine<br />

stationäre Therapie beginnen. Daraus wurde<br />

aber nichts. Rene war nicht bereit, sich auf das<br />

Programm einzulassen. Er brauche eben viel<br />

Freiraum und Selbstbestimmung. Das habe<br />

ihm dort gefehlt. Außerdem wollte er seine<br />

Ex-Freundin sehen. Seinen Beziehungswunsch<br />

konnte er aber schnell wieder auf Eis<br />

legen. »Wenn beide suchtkrank sind, ist das<br />

Scheitern vorprogrammiert«, weiß er nun aus<br />

Erfahrung.<br />

Dämonische Tattoos auf Schweinshäuten<br />

Trotz seiner schwierigen Vergangenheit kultiviert<br />

Rene sein kreatives Talent: Seine musikalische<br />

Heimat ist der Rap. Einige erfolgreiche<br />

Auftritte hatte er bereits in Linz. Vor Publikum<br />

brachte Rene ganz persönliche Texte,<br />

die hauptsächlich Beziehungsprobleme und<br />

seinen harten Alltag thematisieren zum besten.<br />

Renes zweites Hobby: Tattoos zeichnen.<br />

»Dämonen« sind seine Lieblingsmotive. »Ich<br />

hatte immer schon einen Faible für Horrorfilme<br />

und dubiose Gestalten«, meint er mit<br />

verschmitztem Lächeln. Inspirationen bekomme<br />

er aus Tattooheften. Irgendwann<br />

möchte er professioneller Tätowierer werden,<br />

mit eigenem Studio. Er übt fleißig auf<br />

Schweinshaut-Resten aus dem Schlachthof.<br />

Diese seien deshalb so gut geeignet, weil sie<br />

der Menschenhaut am ähnlichsten sind. Einmal<br />

im Monat meldet er sich beim Gesundheitsamt.<br />

Dort wird kontrolliert, ob er neue<br />

Einstiche hat. Auch seine Urinproben werden<br />

geprüft. Rene zeigt sich kooperativ, denn er<br />

hofft auf einen baldigen fixen Job. »Ich verbringe<br />

die Tage in Parks. Das kostet Geld.«<br />

»Raus aus der Sucht und endlich leben«, das<br />

ist zurzeit sein primäres Ziel. Foto+Text: dw<br />

Verein Substanz<br />

Untere Donaulände 10, 4020 Linz<br />

E-Mail: team@substanz<br />

Telefon: 0732 / 772778<br />

Mobil: 0699 / 10172313<br />

Öffnungszeiten Cafe:<br />

Montag bis Donnerstag 11 - 14 Uhr<br />

Freitag 15 - 18 Uhr<br />

10/2011 19


Die Pioniere der Wohnungslosenhilfe ...<br />

Die Geschichte der Wohnungslosenhilfe im Interview mit den Gründern der <strong>Arge</strong> für <strong>Obdachlose</strong><br />

»Es hat ja damals in Linz für <strong>Obdachlose</strong><br />

nichts gegeben...«, berichten Peter Zuber,<br />

Karl Merighi und Franz Fath, die in den<br />

letzten Jahrzehnten als Vorstände den Verein<br />

<strong>Arge</strong> für <strong>Obdachlose</strong> aufgebaut haben.<br />

Heuer gaben sie die Leitung des Vereines,<br />

in dem im letzten Jahr über 1.000 Menschen<br />

in Wohnungsnot Hilfe fanden, an die<br />

nächste Generation weiter. Begonnen hatte<br />

alles 1973 mit der Arbeitsgemeinschaft für<br />

Nichtsesshafte. Das Interview mit der Kupfermuckn<br />

erzählt die Geschichte der Entwicklung<br />

der Wohnungslosenhilfe in Oberösterreich.<br />

1973 wurde Karl Merighi, damals Leiter der<br />

Erziehungshilfe am Magistrat Linz, in die<br />

<strong>Arge</strong> zu einer Diskussion eingeladen. »Die<br />

Frage war: Warum die <strong>Obdachlose</strong>n immer<br />

jünger werden Ja und diese Frage stellen wir<br />

uns heute 38 Jahre später noch immer«, lacht<br />

20 10/2011<br />

Karl. Beim Gespräch mit dabei waren damals<br />

die Caritas, die Diakonie, die Methodisten und<br />

die Heilsarmee. Helmut Nausner von den Methodisten<br />

hatte die Initiative zur Gründung<br />

dieser Arbeitsgemeinschaft ergriffen. Anlass<br />

war, dass ihm ein Herr Gebitz, ein <strong>Obdachlose</strong>r<br />

den er damals am Bahnhof traf, sagte, es<br />

gehöre endlich etwas für <strong>Obdachlose</strong> gemacht.<br />

»Frage 1973: Warum die <strong>Obdachlose</strong>n<br />

immer jünger werden Ja<br />

und diese Frage stellen wir uns<br />

heute noch immer.« Karl Merighi<br />

Als erste Sozialeinrichtung kam um das Jahr<br />

1968 übrigens die Heilsarmee nach Linz und<br />

betrieb vorerst in der Coulinstraße ein <strong>Obdachlose</strong>nheim,<br />

das dann später in die alte<br />

Gebietskrankenkasse in der Betlehemstraße<br />

37 übersiedelte. Dieses Haus gab schließlich<br />

dem heutigen städtischen Sozialverein B 37<br />

den Namen. Begonnen hat die <strong>Arge</strong> 1973 mit<br />

einer Beratungsstelle und einem Mitarbeiter<br />

der bei der Servitas einer Organisation des<br />

Weltkirchenrates angestellt war. So kam auch<br />

Franz Fath der Leiter der Servitas zur <strong>Arge</strong>.<br />

Als es kein Personal mehr gab, leitete Fath<br />

1975 gemeinsam mit dem Gefängnisseelsorger<br />

Adi Völkl in der Scharizerstraße 5 die<br />

Beratungsstelle. Das war auch die Zeit als die<br />

Sozialarbeit nach Linz kam, denn 1974 verließen<br />

die ersten SozialarbeiterInnen die neue<br />

Sozialakademie am Riesenhof. Bis dahin gab<br />

es dort nur eine Fürsorgerinnenausbildung. Zu<br />

der Zeit kam auch die Bewährungshilfe nach<br />

Linz. »Da mussten wir in der Erziehungshilfe<br />

die schlimmen Jugendlichen endlich nicht<br />

mehr einsperren lassen«, meint Karl Merighi.<br />

Als Karl dann 1982 in Pension ging, wurde er<br />

gleich von Peter Paar, dem Geschäftsführer


der <strong>Arge</strong>, mit den Worten angesprochen »Geld<br />

gibt es in der <strong>Arge</strong> keines aber Arbeit genug«,<br />

und seitdem ist Karl ehrenamtlich in der Beratung<br />

tätig und kommt auch heute noch an zwei<br />

Tagen in der Woche ins Projekt »Wieder Wohnen«<br />

- mobile Wohnbetreuung für Männer.<br />

Unter Sozialminister Alfred Dallinger konnten<br />

dann Sozialeinrichtungen ab 1983 endlich<br />

besser finanziert werden und so wurde der<br />

Trödlerladen als Beschäftigungsprojekt gegründet.<br />

Für die Subventionen brauchte man<br />

einen Verein. So kam Peter Zuber damals über<br />

die Stadtcaritas gemeinsam mit Karl Merighi<br />

in den <strong>Arge</strong> Vorstand. Gleich darauf wurde die<br />

mobile Wohnbetreuung entwickelt. »Vorher<br />

haben wir den <strong>Obdachlose</strong>n einfach eine Wohnung<br />

besorgt und ein Jahr später standen sie<br />

oft wieder als <strong>Obdachlose</strong> da. So entstand<br />

dann die Idee, die KlientInnen in Übergangswohnungen<br />

zu betreuen«, berichtet Karl Merighi.<br />

Im Laufe der Jahre stellte sich auch heraus,<br />

dass es besser ist, einen eigenen Zugang<br />

für Frauen zu schaffen, die heutige »<strong>Arge</strong><br />

Sie«.<br />

»Die <strong>Obdachlose</strong>n fühlten sich in<br />

der Beratungsstelle so wohl, dass<br />

sie sitzen blieben. So entstand die<br />

erste Wärmestube.« Peter Zuber<br />

Als dann die Beratungsstelle in die Dametzstraße<br />

zog, gab es einen großen Warteraum.<br />

»Die <strong>Obdachlose</strong>n fühlten sich dort so wohl<br />

und blieben einfach sitzen«, erzählt Peter Zuber<br />

»und das war der Start zur ersten Wärmestube<br />

in Linz.« »Es gab ja damals wirklich<br />

nichts wo die <strong>Obdachlose</strong>n sich hätten aufhalten<br />

können«, erzählt Franz Fath, der zu dieser<br />

Zeit den Bahnhofssozialdienst betrieb. Als<br />

Leiter der Stadtcaritas gründete Peter Zuber<br />

1988 in der Starhembergstraße den »kleinen<br />

Mittagstisch« der Caritas. Schließlich wurde<br />

dann auch in der <strong>Arge</strong> Wärmestube irgendwann<br />

begonnen, ab und zu eine Mahlzeit zu<br />

kochen und als die <strong>Arge</strong> in die Marienstraße<br />

zog, gab es auch ein Bad und viele Aktivitäten,<br />

die mit den Besuchern unternommen wurden.<br />

Ende der 80er Jahre verließ die Heilsarmee<br />

Linz und zum Betrieb des Wohnheimes in<br />

der Betlehemstraße wurde der Verein B37 gegründet.<br />

Bald darauf wurde in der Waldeggstraße<br />

38 die Notschlafstelle vom B37 und die<br />

Caritas Wärmestube eröffnet. In den nächsten<br />

Jahren kamen noch das Of(f)´nstüberl der Diakonie<br />

und das Vinzenzstüberl der Barmherzigen<br />

Schwestern dazu. Als dann die Idee geboren<br />

wurde, eine Straßenzeitung zu machen<br />

und es schon genug Wärmestuben gab, wurde<br />

die Wärmestube der <strong>Arge</strong> durch die Straßenzeitung<br />

Kupfermuckn abgelöst.<br />

»Ohne Meldezettel geht nichts.<br />

Wenn du nicht gemeldet bist, dann<br />

ist niemand für dich zuständig.«<br />

Franz Fath<br />

»Als Aktivität mit den <strong>Obdachlose</strong>n gab es<br />

damals Malwerkstätten und irgendwann einmal<br />

eine Schreibwerkstatt mit dem Schriftsteller<br />

Peter Mitterndorfer.«, erzählt Peter Zuber.<br />

»Ich habe damals von meinen beruflichen<br />

Reisen einige Straßenzeitungen aus Deutschland<br />

mitgebracht und so entstand im Oktober<br />

1996 die erste Ausgabe der Straßenzeitung<br />

Kupfermuckn.« Wobei die Öffentlichkeitsarbeit<br />

schon seit Gründung der <strong>Arge</strong> eine sehr<br />

wichtige Aufgabe darstellte, um Verständnis<br />

für Wohnungslose zu schaffen und die Gründung<br />

von Wohnungsloseneinrichtungen zu<br />

unterstützen. Vor der Kupfermuckn gab es die<br />

vierteljährlichen <strong>Arge</strong>-Nachrichten. Im Gründungsjahr<br />

des Vereines 1983 machte sich die<br />

<strong>Arge</strong> auch in den Medien gegen eine Verschärfung<br />

des Polizeistrafrechtes stark, bei<br />

dem Obdachlosigkeit im sogenannten »Vagabundenparagraphen«<br />

wieder unter Strafe gestellt<br />

werden sollte.<br />

»Ohne Meldezettel geht nichts, er ist auch<br />

heute noch das wichtigste Dokument. Wenn<br />

du nicht gemeldet bist, dann ist niemand für<br />

dich zuständig. Wir haben ja auch bei der Stadt<br />

Linz damals angefragt, wie viele <strong>Obdachlose</strong><br />

es gibt. Sie hatten nur sieben oder acht in der<br />

Statistik«, erzählt Fanz Fath aus den frühen<br />

Jahren der <strong>Arge</strong>. Durch eine Änderung des<br />

Meldegesetzes können sich nun schon seit<br />

vielen Jahren <strong>Obdachlose</strong> bei der <strong>Arge</strong> polizeilich<br />

anmelden, auch wenn sie nicht bei uns<br />

wohnen. Derzeit sind es circa 75 übers Jahr<br />

die so endlich auch bei den Ämtern existieren<br />

und um Unterstützung ansuchen können. Die<br />

jüngste Pioniertat der <strong>Arge</strong> war im Jahr 2003<br />

das Pilotprojekt REWO-Delogierungsprävention<br />

im Mühlviertel, bei der mit einer Halbtagsstelle<br />

Personen im ländlichen Raum bei<br />

Wohnproblemen unterstützt wurden. Daraus<br />

entstand dann das Netzwerk der Delogierungspräventionsstellen<br />

in allen Regionen<br />

Oberösterreichs. »Es war damals ein Problem,<br />

dass so viele <strong>Obdachlose</strong> aus dem Mühlviertel<br />

nach Linz kamen und so war es besser hinzugehen<br />

und gleich dort zu helfen«, so die drei<br />

Vorstände.<br />

»Dass wir heute viele langjährige MitarbeiterInnen<br />

haben (über 20), und dass es kaum<br />

Krankenstände und keine Burn-Out-Fälle gibt,<br />

spricht für die Qualität der <strong>Arge</strong> für <strong>Obdachlose</strong>.<br />

Darauf können wir schon auch ein wenig<br />

stolz sein«, resummiert Peter Zuber. (hz)<br />

Von oben: Peter Zuber, Franz Fath und Karl Merighi<br />

Vielen Dank für Eure stets ehrenamtliche Arbeit und herzliche<br />

Glückwünsche an Franz Fath zum 80. und an Karl<br />

Merighi zum 90. Geburtstag in diesem Jahr. Fotos: dw, wh<br />

10/2011 21


Dank an Schwester Benildis -<br />

die gute Seele der <strong>Obdachlose</strong>n<br />

Tage des Offenen Ateliers<br />

Caritas Hartlauerhof Asten<br />

Sa.15. + So.16. Oktober 2011<br />

10:00 – 18:00 Uhr<br />

Der Caritas Hartlauerhof Asten ist eine Einrichtung für<br />

wohnungslose Männer. In der »Werkstatt für handwerklich<br />

kreative Produkte« schaffen die Bewohner des Hartlauerhofs<br />

außergewöhnliche Objekte zwischen Kunst<br />

und Gebrauch, zu besichtigen und zu erwerben in Werkstatt<br />

und Schauraum im Hartlauerhof. Für Kaffee und<br />

hausgemachte Kuchen ist gesorgt!<br />

Programm:<br />

„...mid gmischdn gfüh“<br />

Autorenlesung So.16. Oktober 2011, 15:00 Uhr<br />

Reinhold Imböck, Koch und Dichter aus Weißkirchen<br />

a. d. Traun, liest aus seinem eben erschienenen Gedichtband<br />

„a koa schmoarn – bugschtobmgressdl mid<br />

gmischdn gfüü“ - Mit musikalischer Umrahmung<br />

Wo:<br />

Caritas Hartlauerhof Asten –<br />

Einrichtung für wohnungslose Männer<br />

4481 Asten, Bahnhofstraße 29 (neben Lagerhaus)<br />

07224 65863/2820 - hartlauerhof.asten@caritas-linz.at<br />

Als ich vor mehr als 13 Jahren nach Linz kam und auf der Straße stand,<br />

entdeckte ich aus meiner Not heraus das Vinzenzstüberl. Am Anfang<br />

war ich etwas skeptisch, da dies von Klosterschwestern geführt wird<br />

und ich von solchen Mitmenschen bis dahin wenig bis keine Ahnung<br />

hatte. Als ich meine Skepsis überwunden hatte, ging ich dorthin, läutete<br />

und war überrascht, wie freundlich ich empfangen wurde. Mit Dir,<br />

Schwester Benildis als Chefin hatte ich kein Problem. Du hast das Stüberl<br />

zu dem gemacht, was es heute ist und vor allem wunderbar aufgebaut.<br />

Durch Dich gibt es dort so manche Sachen, die es in anderen<br />

Einrichtungen nie gab und wahrscheinlich niemals geben wird.<br />

Zu Weihnachten gingst Du sogar mit den BesucherInnen in die Weihnachtsmette.<br />

Auch hattest Du ein offenes Ohr für die Probleme und<br />

Sorgen mancher, die zu Dir kamen. Alle, die Hunger hatten, Kleidung<br />

oder ärztliche Versorgung brauchten, nahmst du zu euch auf. Danken<br />

möchte ich Dir, dass ich durch dich finanziell halbwegs gut über die<br />

Runde kommen konnte. Als Du mich eines Tages fragtest, ob ich bei<br />

Dir putzen wolle, sagte ich sofort zu. Später half ich dann auch beim<br />

Essenausgeben, Geschirrabwaschen und beim Essenholen aus der Küche<br />

mit.<br />

Als ich 2008 an Krebs erkrankte, konnte ich leider nicht mehr im Vinzenzstüberl<br />

arbeiten. Doch vergessen hattest Du mich nicht und schicktest<br />

mir sogar einen Brief mit aufmunternden Worten. Als ich heuer im<br />

Sommer hörte, dass Du, liebe Benildis, krankheitshalber aufhörst, war<br />

ich im ersten Moment schockiert. Ich wünsche Dir ein angenehmes<br />

weiteres Leben. Deine Bemühungen sollen Dir auf Deinem weiteren<br />

Lebensweg helfen! Sonja<br />

22 10/2011


Bezahlte Anzeigen<br />

UNABHÄNGIG IST,<br />

WER EIGENE WEGE<br />

GEHT.<br />

Information<br />

GERLINDE<br />

KALTENBRUNNER<br />

Profibergsteigerin<br />

Redaktionssitzung<br />

Mit Ihrer Spende für die Kupfermuckn<br />

schaffen Sie ein kleines Stück Unabhängigkeit:<br />

Kontonummer 10.635.100, BLZ 18600.<br />

www.vkb-bank.at<br />

Mittwoch, 13 Uhr, Marienstr. 11 in Linz<br />

Wir sind gastfreundlich! Wer mitarbeiten will, kommt einfach!<br />

Aber nicht jeder kann sofort Redakteur werden. Erst<br />

nach einem Monat Mittun als Gast, kann eine Aufnahme in die<br />

Redaktion beantragt werden.<br />

Kupfermuckn-Abo!<br />

Die Kupfermuckn ist eine Straßenzeitung und soll daher auch<br />

auf der Straße verkauft werden, damit die Straßenverkäufer<br />

und -verkäuferinnen etwas davon haben.Wer keine Möglichkeit<br />

hat, die Kupfermuckn auf der Straße zu erwerben, kann<br />

ein Abo bestellen. Tel.: 0732/77 08 05-13 (Montag bis Freitag:<br />

9-12 Uhr)<br />

Die nächste Ausgabe<br />

der Kupfermuckn gibt’s ab 2. November 2011 bei Ihrem/Ihrer<br />

Kupfermuckn-VerkäuferIn.<br />

Verkäuferausweis<br />

Kupfermuckn-Verkäuferausweis-Erkennungszeichen: Grün/<br />

schwarz, Farbfoto mit kleinem Stempel und eine Bestätigung<br />

der Stadt Linz auf der Rückseite.<br />

Wohnungsräumungen - Auftragsannahme<br />

Mo. bis Fr. 8-10 Uhr, Tel. 66 51 30<br />

Verkauf und Dauerflohmarkt<br />

Trödlerladen, Lager Goethestraße 93, Linz<br />

Öffnungszeiten: Di und Do. 10-17 Uhr,<br />

Tel. 66 51 30<br />

Raritäten und Schmuckstücke<br />

im Geschäft in der Bischofsstraße 7<br />

Öffnungszeiten: Mo., Di., 10-16 Uhr,<br />

Mi, Do. und Fr. 10-18 Uhr,<br />

Samstag 10-13 Uhr,<br />

Tel. 78 19 86<br />

Radio Kupfermuckn<br />

Jeden vierten Mittwoch im Monat, 19 Uhr auf Radio FRO,<br />

105,0 MHz - Wiederholung Donnerstag 14 Uhr.<br />

Wanderung von Ansfelden nach St. Florian<br />

Treffpunkt: Do 13. Oktober, 10 nach 10 Uhr im Busbahnhof,<br />

Linie 1 (Welser). Wanderung entlang des Anton Bruckner<br />

Sinfoniewanderweges. Gehzeit: Zweieinhalb Stunden. Geplante<br />

Rückkunft via ÖBB-Postbus: 15:25 Uhr. Anmeldung<br />

(für Kupfermuckn-LeserInnen): Tel. 770805-13 oder kupfermuckn@arge-obdachlose.at.<br />

Nur bei Schönwetter!<br />

Spendenkonto<br />

Kupfermuckn, VKB Bank, BLZ 18600,<br />

Kontonr. 10.635.100<br />

10/2011 23


Kupfermucknkalender 2012<br />

Im Jahr 2012 sagt die Kupfermuckn Danke für die<br />

15-jährige Treue unserer LeserInnen. Und »Danke«<br />

sagt man am besten mit Blumen. Kaktus und Rose<br />

auf der Titelseite symbolisieren die verschiedenen<br />

Seiten, die das Leben spielt. Die Fotos stammen von<br />

Heidi Rafezeder, das Layout von Christina Canaval<br />

Der Kupfermucknkalender kostet 5 Euro. 2,50 verbleiben<br />

den VerkäuferInnen, die sich so im Winter<br />

ihr Weihnachtsgeld dazuverdienen können.

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