Mit dem Wandel der Vorstellungen von Zentrifugal- und Zentripetalkräften rückte die grundlegende Rolle des zentralen Körpers in <strong>eine</strong>m Planetensystem stärker in den Blickpunkt. Das Konzept der Zentrifugalkraft war auf das kreisende Objekt zugeschnitten, dessen Bemühen, das Zentrum zu fliehen, nicht von den Eigenschaften des zentralen Körpers abzuhängen schien. Die Vorstellung von <strong>eine</strong>r Zentripetalkraft ist dagegen eng mit dem zentralen Körper verknüpft, denn der Körper ist demnach als Ursache dafür anzusehen, daß das kreisende Objekt zum Zentrum gelenkt oder, was mathematisch betrachtet dasselbe ist, von ihm angezogen <strong>wird</strong>. Die Wechselbeziehung zwischen <strong>eine</strong>m zentralen (anziehenden) Körper und <strong>eine</strong>m umlaufenden (angezogenen) Objekt ist offensichtlich gerade das Problem, das in jeder Gravitationstheorie <strong>eine</strong> fundamentale Rolle spielt. Hookes Methode, Bewegungen längs gekrümmter Bahnen zu beschreiben, ist <strong>eine</strong> vergleichsweise einfache Anwendung des cartesianischen Trägheitsprinzips. Es mag daher überraschen, daß Newton noch 1679 auf diese Zusammenhänge hingewiesen werden mußte, obwohl er das Trägheitsprinzip bereits zwanzig Jahre zuvor weitgehend akzeptiert hatte. Doch war Newton (wie Descartes und Huygens) von der Vorstellung beherrscht, daß Objekte dem Zentrum, das sie umkreisen, <strong>aus</strong>weichen, und konnte daher die Auswirkungen des Trägheitsprinzips nicht überblicken. <strong>Newtons</strong> Briefwechsel mit Hooke In <strong>eine</strong>m Brief vom 24. November 1679 schlug Hooke Newton vor, in <strong>eine</strong>r privaten „philosophischen“ Korrespondenz über wissenschaftliche Probleme zu diskutieren, mit denen sie sich gerade beschäftigten. Sechs Jahre zuvor hatten beide über <strong>Newtons</strong> Experimente und Theorien zur Dispersion des Lichtes in <strong>eine</strong>m Prisma und zur Entstehung der Farben öffentlich gestritten. Hooke war <strong>eine</strong>r der vielen Forscher, die <strong>Newtons</strong> Optik ablehnten. Die Tatsache, daß er s<strong>eine</strong> Arbeit verteidigen mußte, brachte Newton so sehr <strong>aus</strong> der Ruhe, daß er schwor, die „Philosophie“ (gemeint war die Physik) aufzugeben, weil sie so „zänkisch wie ein Weib“ sei, daß ein Mann, der jemals etwas mit ihr zu tun gehabt habe, den Rest s<strong>eine</strong>s Lebens darauf verwenden müsse, s<strong>eine</strong> Meinung zu verteidigen. Hooke, der inzwischen Sekretär der Royal Society in London geworden war, wandte sich ungeachtet der früheren Auseinandersetzungen in freundlichem und wohlwollendem Ton an Newton. Er ermunterte Newton, zu den vorgetragenen Hypothesen und Meinungen Stellung zu nehmen und insbesondere auch über die Planetenbewegungen zu diskutieren, die sich nach Meinung Hookes <strong>aus</strong> <strong>eine</strong>r „direkten tangentialen Bewegung und <strong>eine</strong>r anziehenden Bewegung in Richtung des Zentralkörpers" zusammensetzen. Dieser Brief war offensichtlich für Newton der erste Hinweis darauf, daß sich Bewegungen längs gekrümmter Bahnen in <strong>eine</strong> Inertialkom-ponente und <strong>eine</strong> Zentripetalkomponente zerlegen lassen. Es ist unklar, inwieweit Newton den Ansatz Hookes damals verstanden hat, denn er beschrieb die Kreisbewegung auch später noch häufig als Folge <strong>eine</strong>r Zentrifugalkraft. In s<strong>eine</strong>m Brief vom 24. November 1679 äußerte Hooke die Vermutung, daß die Zentripetalkraft, die <strong>eine</strong>n Planeten zur Sonne hinzieht, dem Quadrat des Abstandes umgekehrt proportional sei. An diesem Punkt kam Hooke jedoch nicht weiter, denn er konnte die Bedeutung s<strong>eine</strong>r eigenen tiefen Einsicht nicht erkennen und daher nicht den entscheidenden Schritt von der intuitiven Vorahnung und Vermutung zur exakten Wissenschaft vollziehen. Hooke fehlte das mathematische Genie <strong>Newtons</strong>, und überdies konnte er die Tragweite des Keplerschen Flächensatzes für die Planetenbewegungen nicht richtig einschätzen. Der Flächensatz besagt, daß der Radiusvektor, der die Sonne und den Planeten verbindet, in gleichen Zeitabschnitten gleiche Flächen überstreicht. Dieser Zusammenhang bildete die Grundlage für <strong>Newtons</strong> Berechnungen, <strong>aus</strong> denen er s<strong>eine</strong> Himmelsmechanik entwickelte. Am 28. November schrieb Newton an Hooke, er habe – soweit er sich erinnere – erstmals in dessen Brief vom 24. November etwas von der Hypothese erfahren, daß sich die Bewegungen der Planeten <strong>aus</strong> <strong>eine</strong>r direkten Bewegung in Richtung der Tangente zur Kurve und <strong>eine</strong>r anziehenden Bewegung in Richtung Sonne zusammensetze. Nachdem Newton zugegeben hatte, daß Hookes Überlegungen neu für ihn waren, wechselte er sofort das Thema und stellte die Frage, wie sich die Erdrotation auf ein freifallendes Objekt <strong>aus</strong>wirkt und auf welcher Bahn sich ein solches Objekt bewegen würde, wenn es die rotierende Erde durchqueren könnte. Newton zog den falschen Schluß, daß die Bahnkurve <strong>eine</strong> Spirale sei. In s<strong>eine</strong>m Antwortbrief vom 9. Dezember geht Hooke auf <strong>Newtons</strong> Irrtum ein und erklärt, daß der Weg „<strong>eine</strong>r Ellipse ähneln würde". Hooke wartete darauf, daß Newton auf das Problem der Planetenbewegung eingehen würde und schnitt das Thema erneut an: Er vermute, schrieb er, daß die genaue Beschreibung <strong>eine</strong>s Objektes, das durch die Erde falle, und s<strong>eine</strong> eigene Beschreibung der Planetenbewegung das gleiche Problem zum Gegenstand hätten, nämlich „konzentrische Bewegungen, die <strong>aus</strong> <strong>eine</strong>r direkten Bewegung und <strong>eine</strong>r anziehenden auf das Zentrum hin zusammengesetzt sind“. Am 13. Dezember 1679 antwortete Newton vorsichtig auf Hookes Korrektur, ging aber nicht auf den Vorschlag zur Beschreibung der Kreisbewegungen ein. Hooke gab nicht auf. In <strong>eine</strong>m Brief vom 6. Januar 1680 (Bild 4) kam er auf s<strong>eine</strong> Thesen über die Kreisbewegungen zurück und wiederholte s<strong>eine</strong> Vermutung, daß die anziehende Zentripetalkraft umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstandes vom Zentrum ist. Aus dieser Vermutung zog Hooke den falschen Schluß, daß die Geschwindigkeit des umlaufenden Körpers umgekehrt proportional zu s<strong>eine</strong>r Entfernung vom Zentrum sei. In Wirklichkeit gilt dies nur, wenn sich der Planet im Aphel oder im Perihel befindet (Bild 5). Dann behauptete er, daß s<strong>eine</strong> Analyse „alle Erscheinungen des Himmels verständlich und korrekt wiedergibt“. Newton antwortete nicht. Am 17. Januar schickte Hooke <strong>eine</strong>n kurzen ergänzenden Brief, in dem er schrieb: „Jetzt bleibt zu klären, welche Eigenschaften <strong>eine</strong> gekrümmte Bahnkurve (die nicht kreisförmig oder konzentrisch sein muß) haben würde, wenn sie durch <strong>eine</strong> zentrale anziehende Kraft hervorgerufen <strong>wird</strong>, die die Geschwindigkeiten von der Tangentiallinie oder der geradlinigen Bewegung abweichen läßt und zwar in <strong>eine</strong>r doppelten Beziehung zum Kehrwert des Abstandes.“ Mit anderen Worten: Angenommen <strong>eine</strong> Bild 2 (nächste Seite): Diese Zeichnung des Sonnensystems stammt von William Whiston, dem Nachfolger <strong>Newtons</strong> an der Universität von Cambridge, und wurde 1724 m <strong>eine</strong>r kurzen Abhandlung veröffentlicht. Neben den Bahnen der Planeten und der Monde des Jupiter und Satarn hat Whiston auch die Kometenbahnen dargestellt. Newton hatte gezeigt, daß die Bahnen von Kometen entweder wie die der Planeten elliptisch oder aber parabolisch sind, und daß auch für die Bewegungen der Kometen der Keplersche Flächensatz gilt: Der Vektor von der Sonne zum Planeten oder Kometen überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen. Der Text unter der Zeichnung ist ein Ausschnitt <strong>aus</strong> Whistons Übersetzung der Principia (in der Fassung von 1713) und gibt <strong>eine</strong>n Auszug <strong>aus</strong> den allgem<strong>eine</strong>ren Bemerkungen <strong>Newtons</strong> wieder, mit denen er die Principia abschloß. Newton preist darin das vollendete System der Natur und s<strong>eine</strong>n Schöpfer. Der erste Satz dieses Textes drückt dies bereits deutlich <strong>aus</strong>. Er lautet übersetzt: „Dieses einfache und schöne System der Planeten und Kometen konnte nur durch das Einwirken und Herrschen <strong>eine</strong>s klugen und mächtigen Wesens entstehen." 102 Spektrum der Wissenschaft, Mai 1981
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