Newtons Gravitationsgesetz â aus Formeln wird eine Idee
Newtons Gravitationsgesetz â aus Formeln wird eine Idee
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Sonne hingezogen, sondern es gibt nur <strong>eine</strong> Wirkung zwischen ihnen, durch die sie sich wechselseitig annähern.“<br />
Als nächstes folgert Newton, daß „diesem Gesetz zufolge alle Körper einander anziehen müssen“. Selbstbewußt legte Newton s<strong>eine</strong><br />
kühne Schlußfolgerung dar und erläuterte, warum die Anziehungskraft so klein ist, daß man sie nicht beobachten kann. „Möglicherweise<br />
kann man diese Kräfte nur bei den riesigen Körpern der Planeten beobachten.“<br />
Im dritten Buch der Principia, das sich<br />
ebenfalls mit dem System der Welt beschäftigt,<br />
das jedoch sehr mathematisch abgefaßt ist,<br />
behandelt Newton die Gravitation im wesentlichen<br />
auf die gleiche (Weise. Als erstes<br />
diskutierte er den Mondtest, das heißt, er weist<br />
nach, daß die Zentripetalkraft, die die Mondbewegung<br />
um die Erde hervorruft, mit der<br />
Gewichtskraft identisch ist, die der Mond im<br />
Schwerefeld der Erde erfährt, und zeigt, daß<br />
diese Kraft umgekehrt proportional zum<br />
Quadrat des Abstandes ist. Dann erläutert er,<br />
daß die Anziehungskraft der Erde von der<br />
gleichen Art ist wie die Kraft, die die Sonne auf<br />
die Planeten und die Planeten auf ihre Satelliten<br />
<strong>aus</strong>üben. All diese Kräfte nennt er nun Gravitation.<br />
Mit Hilfe des dritten Bewegungsgesetzes<br />
(actio gleich reactio) geht er von der Vorstellung<br />
<strong>eine</strong>r zentralen Anziehungskraft, die<br />
die Sonne auf die Planeten <strong>aus</strong>übt, zum Konzept<br />
<strong>eine</strong>r Wechselwirkung zwischen der Sonne und<br />
den Planeten über. Entsprechendes gilt für die<br />
Kräfte zwischen den Planeten und ihren<br />
Satelliten sowie zwischen den Planeten und den<br />
Satelliten untereinander. Schließlich entwickelt<br />
Newton in <strong>eine</strong>m letzten Schritt die Vorstellung,<br />
daß alle Körper einander wechselseitig<br />
anziehen.<br />
<strong>Newtons</strong> Stil<br />
M<strong>eine</strong> Untersuchung sollte nicht als ein<br />
Versuch verstanden werden, <strong>Newtons</strong> Entdeckung<br />
des <strong>Gravitationsgesetz</strong>es abzuwerten,<br />
sondern ich wollte im Gegenteil die Kreativität<br />
s<strong>eine</strong>s genialen Denkens verständlich machen.<br />
Die genaue Betrachtung läßt <strong>Newtons</strong> erfolgreiche<br />
Art sichtbar werden, den Problemen der<br />
Physik auf den Grund zu gehen; er wendet die<br />
Mathematik auf die physikalische Welt an, wie<br />
sie sich in Experimenten und bei kritischen<br />
Beobachtungen darstellt. Diese Art zu denken,<br />
die ich den <strong>Newtons</strong>chen Stil nennen möchte,<br />
spiegelt sich im deutschen Titel von <strong>Newtons</strong><br />
Hauptwerk wider: Mathematische Prinzipien<br />
der Naturlehre.<br />
Der <strong>Newtons</strong>che Stil beruht auf <strong>eine</strong>m<br />
wechselseitigen Geben und Nehmen zwischen<br />
dem, was man heute als mathematisches Modell<br />
bezeichnen würde, und der physikalischen<br />
Wirklichkeit. So entwickelte Newton s<strong>eine</strong><br />
Vorstellung von der allgem<strong>eine</strong>n Massenanziehung<br />
<strong>aus</strong> <strong>eine</strong>m mathematischen Konzept,<br />
das die Natur vereinfacht wiedergibt und das<br />
den Principia zugrundeliegt: Eine Punktmasse<br />
bewegt sich um ein<br />
Bild 8: Diese Abbildung zeigt <strong>eine</strong> Manuskriptseite von de Motu, die Newton selbst –<br />
vermutlich im November 1684 – geschrieben hat. Diese Seite endet mit <strong>eine</strong>r Bemerkung,<br />
die zeigt, daß Newton zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Vorstellung von <strong>eine</strong>r<br />
allgem<strong>eine</strong>n Gravitation entwickelt hatte. „Daher laufen die Hauptplaneten in Ellipsen<br />
um, die <strong>eine</strong>n Brennpunkt im Zentrum der Sonne haben, und die Radien zur Sonne<br />
überstreichen Flächen, die proportional zu den Zeiten sind, ganz so wie es Kepler behauptet<br />
hat." Die Bemerkung ist falsch. Der Brennpunkt der Planetenbahnen fällt nicht<br />
mit dem Mittelpunkt der Sonne zusammen, sondern mit dem gemeinsamen Massenzentrum<br />
der Sonne und des Planeten, da nicht nur die Sonne alle Planeten, sondern<br />
auch alle Planeten die Sonne anziehen. Später korrigierte Newton s<strong>eine</strong>n Fehler, der<br />
ihm wohl kaum unterlaufen wäre, wenn er bereits damals <strong>eine</strong> universelle Massenanziehung<br />
vermutet hätte.<br />
Spektrum der Wissenschaft, Mai 1981 109