Newtons Gravitationsgesetz â aus Formeln wird eine Idee
Newtons Gravitationsgesetz â aus Formeln wird eine Idee
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erfüllen. Er hatte lediglich her<strong>aus</strong>gefunden,<br />
daß beide Gesetze für ein EinKörper-System<br />
gelten, also in <strong>eine</strong>m System, bei dem <strong>eine</strong><br />
bewegte Punktmasse mit <strong>eine</strong>r Inertialkomponente<br />
<strong>eine</strong>m zentralen Kraftfeld <strong>aus</strong>gesetzt<br />
ist. Newton war sich bewußt, daß das Ein-<br />
Körper-System nicht den tatsächlichen Verhältnissen<br />
entspricht, sondern <strong>eine</strong>r idealisierten<br />
Situation, die sich mathematisch<br />
besonders einfach untersuchen läßt. In <strong>eine</strong>m<br />
solchen Ein-Körper-System erscheint beispielsweise<br />
die Erde als Punktmasse und die<br />
Sonne als ein unbewegliches Kraftzentrum.<br />
Was Newton schließlich dazu befähigte,<br />
über das Ein-Körper-System hin<strong>aus</strong>zukommen,<br />
war die konsequente Anwendung s<strong>eine</strong>s<br />
Perihel<br />
P 5<br />
Sonne<br />
„leerer“<br />
Brennpunkt<br />
Aphel<br />
Bild 6: Während des siebzehnten Jahrhunderts berechneten die Astronomen die Planetenpositionen<br />
in der Regel mit Hilfe dieser geometrischen Konstruktion: Man betrachtete <strong>eine</strong>n<br />
Strahl (oder Radiusvektor), der vom „leeren" Brennpunkt der elliptischen Planetenbahn <strong>aus</strong>ging<br />
und gedreht wurde. Dabei entsprachen gleiche Winkel gleichen Zeitabständen. Eine Umdrehung<br />
des Radiusvektors simulierte gleichsam <strong>eine</strong>n Umlauf des Planeten. Die Punkte, an<br />
denen der Radiusvektor die Ellipse zu vorgegebenen aufeinanderfolgenden Zeitpunkten<br />
schneidet, entsprechen aufeinanderfolgenden Planetenpositionen (P 1 , P 2 , P 3 , P 4 , P 5 ). Im Aphel<br />
liegen die Positionen dichter beieinander, als im Perihel, das heißt der Planet bewegt sich im<br />
Perihel schneller. Damit die berechneten Positionen exakt mit den beobachteten übereinstimmten,<br />
mußte man <strong>eine</strong>n Korrekturfaktor anwenden. Dieses Verfahren erlaubt k<strong>eine</strong> so<br />
genaue Bestimmung der Planetenpositionen wie der Flächensatz von Kepler, der damals jedoch<br />
kaum Beachtung fand. Der Flächensatz besagt, daß ein Radiusvektor, der von der Sonne<br />
<strong>aus</strong>geht, in gleichen Zeiten gleiche Flächen überstreicht.<br />
dritten Bewegungsgesetzes: actio gleich<br />
reactio. Dieses Gesetz ist vielleicht das originellste<br />
s<strong>eine</strong>r drei Bewegungsgesetze (die<br />
beiden anderen sind der Trägheitssatz und das<br />
Kraftgesetz). Wie neuartig die Vorstellung<br />
war, die dieses Reaktions-Prinzip <strong>aus</strong>drückt,<br />
mag man daran ablesen, daß es sogar heute<br />
noch vielfach als Gleichgewichtsbedingung<br />
angesehen <strong>wird</strong> und dann nicht korrekt für<br />
<strong>eine</strong> Stoßsituation oder die Wechselwirkung<br />
von Körpern angewendet <strong>wird</strong>.<br />
Aus welchen Überlegungen sich <strong>Newtons</strong><br />
Vorstellungen von actio und reactio entwickelten,<br />
spiegeln die einleitenden Abschnitte<br />
des ersten Buches der Principia. In<br />
der Einleitung zum elften Kapitel erläutert<br />
Newton das so: „Bis jetzt habe ich die Bewegung<br />
solcher Körper <strong>aus</strong>einander gesetzt, welche nach <strong>eine</strong>m unbeweglichen Centrum hingezogen werden, ein Fall, der kaum in der Natur<br />
existiert. Es pflegen nämlich Anziehungen auf Körper stattzufinden, jedoch sind die Wirkungen der ziehenden und der angezogenen<br />
Körper nach dem dritten Gesetze stets wechselseitig und einander gleich, so daß weder der anziehende noch der angezogene Körper ruhen<br />
kann, sondern, wenn ihrer zwei sind, beide sich gleichsam durch wechselseitige Anziehung um den gemeinschaftlichen Schwerpunkt<br />
drehen. Sind mehr Körper vorhanden (welche entweder durch <strong>eine</strong>n einzigen angezogen werden oder einander wechselseitig anziehen, so<br />
müssen diese sich so bewegen, daß ihr gemeinschaftlicher Schwerpunkt entweder ruhet oder sich gleichförmig längs <strong>eine</strong>r geraden Linie<br />
beweget. Aus diesem Grunde fahre ich fort, die Bewegung von Körpern zu erklären, welche sich wechselseitig anziehen, indem ich die<br />
Centri-petalkräfte als Anziehungen betrachte, obgleich sie vielleicht, wenn wir uns der Sprache der Physik bedienen wollen, richtiger<br />
Anstösse genannt werden müßten. Wir befinden uns nämlich jetzt auf dem Gebiete der Mathematik und wir bedienen uns deshalb, indem<br />
wir physikalische Streitigkeiten fahren lassen, der uns vertrauten Benennung, damit wir von mathematischen Lesern um so leichter<br />
verstanden werden.“<br />
Wenn die Sonne an der Erde zieht, so muß die Erde — wie Newton erkannte — ihrerseits mit <strong>eine</strong>r Kraft gleicher Größe an der Sonne<br />
ziehen. In <strong>eine</strong>m solchen Zwei-Körper-System bewegt sich die Erde nicht auf <strong>eine</strong>r einfachen Bahn um die Sonne, sondern Erde und<br />
Sonne bewegen sich um ihr gemeinsames Gravitationszentrum. Aus dem Gesetz von actio gleich reactio folgt weiterhin, daß jeder Planet<br />
beides ist, das Zentrum <strong>eine</strong>r Anziehungskraft und zugleich ein angezogener Körper. Daher zieht ein Planet nicht nur die Sonne an,<br />
sondern auch jeden anderen Planeten, und er <strong>wird</strong> selbst nicht nur von der Sonne angezogen, sondern auch von allen anderen Planeten. Mit<br />
diesen Überlegungen hat Newton den entscheidenden Schritt von der Wechselwirkung in <strong>eine</strong>m Zwei-Körper-System zur Wechselwirkung<br />
in <strong>eine</strong>m Vielkörper-System vollzogen.<br />
Im Dezember 1684 schloß Newton die überarbeitete Fassung von de Motu ab und beschrieb darin die Planetenbewegung auf dem<br />
Hintergrund der Wechselwirkungen in <strong>eine</strong>m Vielkörper-System. Anders als in dem ursprünglichen Entwurf zieht Newton nunmehr den<br />
Schluß, daß „sich die Planeten weder genau auf Ellipsen bewegen, noch zweimal in der gleichen Umlaufbahn umlaufen". Und weiter: ,,Es<br />
gibt so viele Umlaufbahnen für <strong>eine</strong>n Planeten, wie viele Male er umläuft – ganz so wie bei der Mondbewegung. Und die Umlaufbahn<br />
jedes Planeten hängt von den Bewegungen aller Planeten ab, ganz zu schweigen von den Wirkungen, die sie alle wechselseitig aufeinander<br />
<strong>aus</strong>üben." Dann schrieb er: „Es würde, wenn ich mich nicht irre, die Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens übersteigen, all<br />
diese Ursachen der Bewegung zugleich zu berücksichtigen und diese Bewegungen durch genaue Gesetze zu beschreiben, die praktisch<br />
durchführbare Berechnungen erlauben.“<br />
Es gibt k<strong>eine</strong> Dokumente, die belegen, wie Newton in den Wochen zwischen der Niederschrift des ersten Entwurfs von de Motu und der<br />
revidierten Fassung zu der Erkenntnis gelangte, daß alle Planeten einander wechselseitig anziehen. Doch ist die oben zitierte Passage von<br />
den „Wirkungen, die sie (die Planeten) alle wechselseitig aufeinander <strong>aus</strong>üben" im lateinischen Originaltext: „Eorum omnium actiones in<br />
se invicem“ unmißverständlich. Eine Konsequenz der wechselseitigen Anziehung ist, daß die drei Keplerschen Gesetze in der<br />
physikalischen Welt nicht exakt gelten. Sie sind vielmehr nur im Rahmen <strong>eine</strong>s mathematischen Modells wahr, bei dem man vor<strong>aus</strong>setzt,<br />
daß die bewegten Punktmassen nicht aufeinander wirken, sondern unabhängig voneinander entweder um ein Kraftzentrum oder um <strong>eine</strong>n<br />
ruhenden, sie anziehenden Körper kreisen. Newton unterscheidet zwischen dem „Gebiete<br />
P 4<br />
P 3<br />
P 2<br />
P 1<br />
Spektrum der Wissenschaft, Mai 1981 107