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Bewegte Klassenzimmer - Mayenfels

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Altersgerechtes Lernen<br />

Interview mit der Rudolf Steiner Kinder-<br />

gärtnerin Jacqueline Walter<br />

In der staatlichen Bildungspolitik<br />

herrscht im Augenblick die Ansicht vor, dass es<br />

notwendig sei, die Primarstufe in den Kindergarten<br />

vorzuverlegen, damit die Kinder möglichst früh<br />

lesen und schreiben lernen. In den Rudolf Steiner<br />

Schulen kann man genau die gegenläufige Tendenz<br />

beobachten. Horizonte hat die langjährige<br />

Rudolf Steiner Kindergärtnerin Jacqueline Walter<br />

gefragt, warum dies so ist und was sich hinter dem<br />

Schlagwort Basalstufe* verbirgt.<br />

Frau Walter, was verbirgt sich hinter dem<br />

Schlagwort „Basalstufe“?<br />

Jacqueline Walter: Die Basalstufe macht sich<br />

zur Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Kindern ein<br />

altersgerechter und harmonischer Übergang<br />

vom Kindergarten als Lebens- und Spielraum zur<br />

Schule als zielorientierter Lern- und Erlebnisraum<br />

möglich wird. In den vergangenen 10 Jahren können<br />

wir beobachten, wie dramatisch die Defizite<br />

in den feinmotorischen, motorischen, sprachlichen,<br />

emotionalen und sozialen Fähigkeiten von<br />

Kindern zunehmen. Zahlreiche Neurophysiologen,<br />

Mediziner, Sozialwissenschafter, Psychologen<br />

und Pädagogen, fordern deshalb, dass neben der<br />

intellektuellen Förderung und derjenigen der Elementarerlebnisse<br />

mindestens gleichgewichtig eine<br />

emotionale und soziale Bildung Platz haben sollte.<br />

Auch das will die Basalstufe.<br />

Wie lernen vier- bis siebenjährige Kinder?<br />

Jacqueline Walter: Das Lernprinzip für vier- bis<br />

siebenjährige Kinder heisst Nachahmung. Dazu<br />

gehört das nachahmungswerte tätige Vorbild,<br />

7<br />

sowie die bewusste Ermöglichung eines auch<br />

zeitlich möglichst grossen Freiraums für Eigenaktivität,<br />

also des freien, schöpferischen Spielens, das<br />

die Basalsinne und auch folgende Schlüsselqualifikationen<br />

fördert, wie etwa Einfühlung, Solidarität,<br />

Durchstehvermögen, Konfliktfähigkeit, Kooperation,<br />

Hilfsbereitschaft, motorische und seelische<br />

Geschicklichkeit, Kreativität, Fingerspitzengefühl,<br />

sowie Bindungs- und Lernwillen.<br />

Soll der Kindergarten dann einfach in die ersten<br />

zwei Schuljahre verlängert werden?<br />

Jacqueline Walter: Nein, die Schule soll nicht die<br />

Methodik des Kindergartens übernehmen, aber<br />

bestimmte Elemente davon, wie etwa das Spielen<br />

als Ur-Kulturtechnik. Wir wollen eine bewusst<br />

geförderte weitere Entwicklung der Basissinne<br />

– nämlich Tastsinn, Lebenssinn, Eigenbewegungssinn,<br />

Gleichgewichtssinn - und ihre Nachreifung<br />

als wichtige Grundlagen der kognitiven Fähigkeiten,<br />

um diese auch auf der Schulstufe weiter zu<br />

entwickeln.<br />

Inwieweit nimmt das Modell des bewegten <strong>Klassenzimmer</strong>s<br />

die Anliegen der Basalstufe auf?<br />

Jacqueline Walter: Für Kinder in der Unterstufe ist<br />

es wichtig, eine feste Bindungs- und Beziehungserfahrung<br />

als Grundlage für eine sichere emotionale<br />

Entwicklung und Sozialfähigkeit zu machen.<br />

Deswegen begleitet die Klassenlehrerin, der Klassenlehrer<br />

im bewegten <strong>Klassenzimmer</strong> die Klasse<br />

möglichst den ganzen Morgen. Ebenso wichtig<br />

scheint mir die Pflege eines rhythmisch gegliederten<br />

Morgenablaufes von sinnvoll sich abwechselnden<br />

Tätigkeiten des Lernens und Konzentrierens<br />

und wieder Loslassens im Spiel, der Bewegung,<br />

aber auch der Ruhe, die Pflege der Poesie, Fantasie,<br />

Formenzeichnens, Eurythmie, Musisches,<br />

Bildliches, sinnvolle und lebensbezogene, sowie<br />

künstlerische Tätigkeiten, Handarbeiten – alles<br />

aus dem Lernplan, wie ihn Rudolf Steiner für die<br />

1. und 2 . Klasse konzipiert hat. Dem kommt das<br />

flexible Mobiliar des bewegten <strong>Klassenzimmer</strong>s<br />

sehr entgegen.<br />

Wie stehen Sie zum Projekt des bewegten <strong>Klassenzimmer</strong>s?<br />

Jacqueline Walter: Mich überzeugt dieses Konzept<br />

sehr und spricht mich an, weil es zum einen für<br />

die Lehrperson zum Eingehen auf die Klasse viel<br />

Freiraum lässt und die Kreativität anspornt und<br />

zum andern es einen guten Übergang vom Kindergarten<br />

in die Schule und beste Grundlagen für<br />

eine gesunde Entwicklung ermöglicht.<br />

Vielen Dank, Frau Walter, für dieses Gespräch.<br />

*Von der KIKOM durch Dr. Peter Heusser wissenschaftlich<br />

begleitetes Projekt von Thomas Marti an<br />

der Rudolf Steiner Schule Melchenbühl in Bern.<br />

Zur Person von Jacqueline Walter:<br />

Seit 21 Jahren als Kindergärtnerin im Rudolf<br />

Steiner Kindergarten Rheinfelden tätig, mehrjährige<br />

Erfahrung in Spielgruppen und Eltern-<br />

Kind-Gruppen, Dozentin am Rudolf Steiner<br />

Kindergartenseminar Bern, Kuratoriumsmitglied<br />

der Internationalen Vereinigung der Waldorfkindergärten,<br />

unter anderem in der seit 2 Jahren<br />

bestehenden regionalen „Basis-Basal-Salutogenese-<br />

Arbeitsgruppe mittätig.

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