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MED-INFO AKTUELL Nr. 1/2006 - Dr. Eick & Partner

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<strong>MED</strong>-<strong>INFO</strong> <strong>AKTUELL</strong> <strong>Nr</strong>. 1/<strong>2006</strong><br />

Informationsdienst der Sozietät <strong>Dr</strong>. <strong>Eick</strong> im Medizinrecht<br />

Schwerpunkt:<br />

„CLINICAL PATHWAYS“<br />

Inhalt:<br />

Seite:<br />

I. Clinical Pathways 1<br />

II. Aus der aktuellen Rechtsprechung 5<br />

III. Tips und Hinweise 8<br />

IV. Für Sie gelesen 9<br />

V. <strong>Eick</strong> intern 9<br />

⌦ REDAKTION und ANFRAGEN<br />

Prof. <strong>Dr</strong>. Karl Otto Bergmann<br />

c/o <strong>Dr</strong>. <strong>Eick</strong> und <strong>Partner</strong><br />

Schützenstr. 10<br />

59071 Hamm<br />

02381/ 988-446<br />

02381/ 88 97 10<br />

E-mail: Hamm@dr-eick.de<br />

Internet: www.dr-eick.de<br />

<strong>MED</strong>-<strong>INFO</strong> <strong>AKTUELL</strong> 1/<strong>2006</strong> Seite 1


<strong>MED</strong>-<strong>INFO</strong> <strong>AKTUELL</strong> <strong>Nr</strong>. 1/<strong>2006</strong><br />

Informationsdienst der Sozietät <strong>Dr</strong>. <strong>Eick</strong> im Medizinrecht<br />

I. „Clinical Pathways“<br />

Im Krankenhausmanagement wird immer<br />

mehr von klinischen Behandlungspfaden<br />

oder „clinical pathways“ als Instrument<br />

guter und gleichzeitig wirtschaftlich tragbarer<br />

Krankenhausleistung gesprochen.<br />

Was sind clinical pathways Wie sind sie<br />

aus rechtlicher Sicht einzuordnen<br />

Mit der Einführung der Fallpauschalenhonorierung<br />

nach den DRG-System sind die<br />

Klinikträger aufgefordert, Diagnostik und<br />

Therapie bei Patienten mit spezifischen<br />

Symptomen, Diagnosen oder Therapien zu<br />

standardisieren. Denn bei gleicher Vergütung<br />

pro Fall müssen sich Krankenhäuser<br />

über Kosten und Qualität messen lassen<br />

können. Wie schwierig dies ist, kann nur<br />

ermessen, wer den Klinikalltag kennt. Das<br />

Instrument der klinischen Behandlungspfade<br />

gibt es in den englischsprachigen<br />

Ländern seit über 30 Jahren, die medizinrechtliche<br />

Literatur in Deutschland beschäftigt<br />

sich erst jüngst mit diesem Phänomen<br />

(vgl. Oberender (Hrsg.) Clinical<br />

Pathways, Stuttgart 2005; Kahla-Witzsch,<br />

Geisinger, Clinical Pathways in der Krankenhauspraxis,<br />

Stuttgart, 2004. Bereits<br />

vorher Dykes, Wheeler (Hrsg.), Critical<br />

Pathways - Interdisziplinäre Versorgungspfade,<br />

DRG-Management-Instrumente,<br />

Bern 2002).<br />

Entscheidungen über den Ressourceneinsatz,<br />

also die Effizienz der ärztlichen Leistung<br />

bestimmen den Leistungsprozess und<br />

damit das qualitative Ergebnis. Klinische<br />

Behandlungspfade sind also in erster Linie<br />

ein betriebswirtschaftliches Instrument<br />

eines einzelnen Krankenhausträgers auf<br />

freiwilliger Basis, im Wege der Prozessstandardisierung<br />

eine bessere Grundlage<br />

für die zeitliche Koordination der Prozesse<br />

und der Resourcen in der Klinik zu haben.<br />

Insofern unterscheiden sich die klinischen<br />

Behandlungspfade als in erster Linie betriebswirtschaftliches<br />

Instrument auf freiwilliger<br />

Basis von den Richtlinien und<br />

Leitlinien in der Medizin. Deshalb sei ein<br />

kurzer Überblick zur rechtlichen Einordnung<br />

von Clinical Pathways gestattet.<br />

Auch wenn in der medizinischen Literatur<br />

die folgenden Begriffe vielfach synonym<br />

verwendet werden, bemühen sich insbesondere<br />

die ärztliche Zentralstelle für Qualitätssicherung,<br />

die Leitlinien-Konferenz<br />

der AWMF und das Deutsche Leitlinien<br />

Clearing-Verfahren, die Begriffe zu trennen,<br />

da die Unterschiede nicht nur schematischer<br />

Natur sind.<br />

1.)<br />

Richtlinien sind Regelungen des Handelns<br />

oder Unterlassens, die von einer rechtlich<br />

legitimierten Institution konsentiert,<br />

schriftlich fixiert und veröffentlicht werden,<br />

für den Rechtsraum dieser Institution<br />

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verbindlich sind und deren Nichtbeachtung<br />

definierte Sanktionen nach sich zieht.<br />

Richtlinien räumen dem einzelnen Arzt nur<br />

einen geringen Ermessensspielraum ein.<br />

2.)<br />

Leitlinien sind systematisch entwickelte<br />

Entscheidungshilfen über angemessene<br />

Vorgehensweisen bei speziellen diagnostischen<br />

und therapeutischen Problemstellungen.<br />

Sie stellen den in einem definierten<br />

transparent gemachten Vorgehen erzielten<br />

Konsens mehrerer Experten aus unterschiedlichen<br />

Fachbereichen und Arbeitsgruppen<br />

zu bestimmten ärztlichen Vorgehensweisen<br />

dar und werden regelmäßig<br />

aktualisiert. Sie lassen dem Arzt einen Entscheidungsspielraum<br />

und beschreiben<br />

Handlungskorridore, von denen in begründeten<br />

Einzelfällen auch abgewichen werden<br />

kann.<br />

3.)<br />

Versorgungspfade (Clinical/Critical Pathways,<br />

Patientenpfade, Behandlungspfade)<br />

sind Versorgungspläne, welche die optimale<br />

Abfolge der wichtigsten Interventionen<br />

bei der Versorgung eines Patienten mit<br />

einer bestimmten Diagnose oder einer Behandlung<br />

als dokumentierte Pläne des klinischen<br />

Managements festlegen, in denen<br />

die entscheidenden Behandlungsschritte<br />

identifiziert und entlang einer Zeitachse<br />

sequentiert werden. Sie werden meist im<br />

interdisziplinären Team entwickelt. Versorgungspfade<br />

setzen also da an, wo Leitlinien<br />

aufhören.<br />

vgl. zu allem: Standards und Richtlinien in<br />

Behandlungspfaden: Standardisierbarkeit<br />

ärztlicher Leistungen, Ollenschläger/<br />

Kirchner, in Oberender, Clinical Pathways,<br />

Stuttgart 2005, S. 118 ff.<br />

Haben wir so den Versorgungspfad/Behandlungspfad<br />

(„Clinical Pathways“)<br />

eingeordnet – zu Leitlinien und<br />

Richtlinien wäre noch viel zu sagen –, ergeben<br />

sich gleichzeitig viele Fragen nach<br />

den Vorteilen und Nachteilen einer solchen<br />

Umsetzungslösung von Leitlinien für das<br />

einzelne Krankenhaus unter Berücksichtigung<br />

der betriebswirtschaftlichen Aspekte<br />

speziell dieses Krankenhauses. Steigern<br />

Clinical Pathways die Transparenz im<br />

Krankenhaus durch Beschreibung von Leistungen,<br />

Qualität und Kosten Bilden sie<br />

eine Informationsbasis für die Prozessoptimierung<br />

im Krankenhaus Können sie<br />

Vorbildfunktion für unerfahrene Ärzte und<br />

Pflegekräfte entwickeln, können sie unter<br />

Umständen sogar eine Nachweisfunktion<br />

bei Arzthaftungsfragen entwickeln (Oberender,<br />

S. 23). Können bestehende Behandlungspfade<br />

die ärztliche Therapiefreiheit<br />

einschränken Können sie die Weiterentwicklung<br />

des ärztlichen Standards gefährden<br />

Leisten sie einer Defensivmedizin<br />

Vorschub Können sie unter Umständen<br />

sogar zu einer negativen Risikoselektion<br />

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und einem Abschieben des Patienten in<br />

Krankenhäuser höherer Versorgungsstufe<br />

führen Alle diese Fragen zu beantworten,<br />

würde den Rahmen dieses Beitrages<br />

sprengen und von den rechtlichen Überlegungen<br />

ablenken. Alle bisherigen auch in<br />

der Praxis konzeptionellen Instrumente<br />

sind nach den Worten ihrer Verfasser Instrumente<br />

zur Qualitätssicherung (Tiemann,<br />

Clinical Pathways, Instrumente zur<br />

Qualitätssicherung, in Führen und Wirtschaften<br />

1996, 454 ff.; Schmidt/Heuser,<br />

Weiterentwicklung der Fallpauschalen zu<br />

Patientenbehandlungsleitlinien, Führen<br />

und Wirtschaften 1994, 173 ff.). Sie verfolgen<br />

gemeinsam das Ziel, die optimale<br />

Behandlung von Patienten transparent zu<br />

machen und die Zufälligkeit medizinischer<br />

Leistungserbringung so weit wie möglich<br />

in planbare und koordinierte Behandlungsabläufe<br />

zu überführen (vgl. auch Bräu,<br />

fallorientiertes Prozessmanagement im<br />

Krankenhaus, Bayreuth 2001).<br />

Einigkeit besteht aber darüber, dass Qualitätsschwankungen<br />

hinsichtlich Prozessdurchführung,<br />

Leistungsergebnis und Patientenzufriedenheit<br />

auch bei größtmöglicher<br />

Standardisierung nie zu vermeiden<br />

sind. Einigkeit besteht auch darüber, dass<br />

Umfang und Ablauf der Leistungsprozesse<br />

Patienten individuell variieren. Die größten<br />

und gewichtigsten Gefahren werden aber<br />

in der Einschränkung der Therapiefreiheit<br />

gesehen (eingehend Loß/Nagel, Ärztliches<br />

Handeln im Spannungsfeld zwischen Leitlinien<br />

und Therapiefreiheit, in Oberender<br />

S. 158 ff.). Gleich ob angestellter oder niedergelassener<br />

Arzt, der Arztberuf ist seinem<br />

inneren Wesen nach ein freier Beruf<br />

(§ 1 Abs. 2 DÄO). Einschränkungen der<br />

Therapiefreiheit bestehen nur insoweit, als<br />

die Therapiewahl in der gesetzlichen<br />

Krankenversicherung das Wirtschaftlichkeitsgebot<br />

zu berücksichtigen hat, da der<br />

Versicherte lediglich Anspruch auf ausreichende,<br />

zweckmäßige und das Maß des<br />

Notwendigen nicht überschreitende Leistungen<br />

hat. Es darf nicht verkannt werden,<br />

dass klinische Behandlungspfade den Freiraum<br />

ärztlichen Ermessens in einem weiteren<br />

Umfange einschränken, ohne die Besonderheit<br />

des jeweiligen Krankheitsfalles,<br />

insbesondere auch die Eigenheiten und den<br />

Willen des Patienten berücksichtigen zu<br />

können. Es darf auch nicht verkannt werden,<br />

dass gerade in Fächern mit rapiden<br />

wissenschaftlichen Fortschritten entwickelte<br />

Behandlungspfade veraltet und standardwidrig<br />

sein können, somit eine weitere<br />

Haftungsgefahr heraufbeschwören können.<br />

Schließlich besteht die Gefahr, dass es in<br />

klinischen Behandlungspfaden zu einer<br />

Vermischung des ärztlichen Standards,<br />

also des Medical Practice mit gesundheitsökonomischen<br />

Zielen kommt.<br />

Die Thematik der „Behandlungspfade“<br />

wird also möglicherweise zukünftig von<br />

haftungsrechtlicher Relevanz sein.<br />

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II.<br />

Aus der aktuellen Rechtsprechung<br />

Wird zum Transport eines infolge ärztlichen<br />

Fehlverhaltens schwerstbehinderten<br />

Kindes von den Eltern ein Fahrzeug<br />

angeschafft, sind die Anschaffungskosten<br />

als Mehrbedarf gemäß § 843 Abs. 1<br />

BGB grundsätzlich erstattungsfähig.<br />

LG Trier, Urteil vom 15.6.2005 – 4 O<br />

421/03 -<br />

Die Entscheidung beschäftigt sich mit der<br />

Erstattungsfähigkeit von Anschaffungskosten<br />

für ein behindertengerechtes<br />

Kraftfahrzeug, und zwar durch den<br />

schädigenden Arzt.<br />

Der Kläger ist durch ärztliches Fehlverhalten<br />

des Beklagten körperlich und geistig<br />

schwerstbehindert. Infolge einer schweren<br />

Hirnschädigung leidet er unter einer ausgeprägten<br />

Zerebral-Parese und ist bei allen<br />

Verrichtungen des täglichen Lebens auf<br />

fremde Hilfe angewiesen.<br />

In einem im Jahre 2000 abgeschlossenen<br />

Teilvergleich verpflichtete sich der hinter<br />

dem Beklagten stehende Haftpflichtversicherer,<br />

sich an den Anschaffungskosten<br />

eines behindertengerechten Kraftfahrzeuges<br />

mit 15.000,00 DM zu beteiligen. Die<br />

Eltern des Klägers hatten zunächst einen<br />

gebrauchten Pkw erworben, veräußerten<br />

den Pkw jedoch im April 2003 und erwarben<br />

anstelle dieses Fahrzeugs einen Kleinbus<br />

zum Kaufpreis von 36.000,00 €. An<br />

diesem Fahrzeuge beteiligte sich die Haftpflichtversicherung<br />

des Beklagten mit<br />

10.000,00 € und begründete die Teilzahlung<br />

damit, dass der Kauf eines derartigen<br />

Fahrzeugs behindertenbedingt nicht erforderlich<br />

gewesen sei. Klageweise machte<br />

der Kläger nun den Restkaufpreis gegenüber<br />

dem beklagten Arzt selbst geltend.<br />

Das LG Trier nahm eine Zahlungsverpflichtung<br />

des schädigenden Arztes an. Die<br />

Ersatzpflicht ergebe sich aus dem Gesichtspunkt<br />

der vermehrten Bedürfnisse<br />

gemäß § 843 Abs. 1 BGB. Die Kosten für<br />

ein Fahrzeug, mit dem die aufgrund der<br />

Schwerstbehinderung des Klägers erforderlichen<br />

Transporte zu Ärzten, Ergotherapeuten,<br />

Krankengymnasten usw. durchgeführt<br />

werden, sei Vermögensschaden<br />

gemäß § 843 Abs. 1 2. Alt. BGB. Der Begriff<br />

der „Vermehrung der Bedürfnisse“<br />

erfasse die verletzungsbedingten Mehraufwendungen,<br />

die den Zweck haben,<br />

Nachteile auszugleichen oder zu vermeiden,<br />

die dem Verletzten infolge der dauernden<br />

Beeinträchtigung seines körperlichen<br />

und geistigen Wohlbefindens entstehen.<br />

Es müsse sich dabei um Mehraufwendungen<br />

handeln, die dauernd und regelmäßig<br />

erforderlich sind und nicht der Herstel-<br />

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lung der Gesundheit dienen, wie dies z.B:<br />

bei Heilungskosten der Fall sei.<br />

Die Entscheidung befindet sich im Einklang<br />

mit der bisherigen Rechtsprechung<br />

zu verletzungsbedingten Mehraufwendungen<br />

im Sinne des § 843 Abs. 1 BGB, wonach<br />

beispielsweise auch die Anschaffung<br />

eines Rollstuhls (BGH NJW 182, 757), der<br />

Ausbau eines der Behinderung angepassten<br />

Eigenheimes (OLG Stuttgart, VersR 1998,<br />

366) und die Anschaffungskosten eines<br />

Kraftfahrzeugs, wenn dadurch der Verletzte<br />

in die Lage versetzt wird, seinen Arbeitsplatz<br />

aufzusuchen (OLG München,<br />

VersR 1984, 245), erstattungsfähig sind.<br />

Bemerkenswert ist, dass das LG Trier einen<br />

über den geschlossenen Teilvergleich<br />

mit der Versicherung hinausgehenden Ersatzanspruch<br />

des geschädigten Kindes gegen<br />

den Arzt postuliert hat.<br />

Zu den Grenzen der Durchführung des<br />

selbständigen Beweisverfahrens im<br />

Arzthaftungsprozess<br />

Thür. OLG, Beschl. v. 19.12.2005<br />

– 4 W 503/05 -<br />

Nach der Rechtsprechung des BGH ist<br />

anerkannt, dass in Arzthaftungssachen das<br />

selbständige Beweisverfahren gemäß § 485<br />

Abs. 2 ZPO grundsätzlich statthaft ist<br />

(BGHZ 153, 302). In der Rechtsprechung<br />

der Obergerichte besteht jedoch Einigkeit<br />

(OLG Nürnberg, OLGR Nürnberg 2001,<br />

273; OLG Köln, OLGR Köln 2002, 264,<br />

OLGR Köln 2000, 234; KG, NJW-RR<br />

1999, 1369), dass ein selbständiges Beweisverfahren<br />

unzulässig ist, wenn es allein<br />

der Ausforschung dient, um damit erst<br />

die Voraussetzungen für eine Klage zu<br />

schaffen und die Grundlagen für einen<br />

beweiserheblichen Tatsachenvortrag zu<br />

gewinnen. Auch in dem zugrunde liegenden<br />

Fall hat das Thüringer Oberlandesgericht<br />

die sofortige Beschwerde gegen den<br />

die Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens<br />

versagenden Beschluss des<br />

LG Erfurt als unbegründet zurückgewiesen.<br />

Zulässigkeitsvoraussetzung für einen<br />

Antrag auf Durchführung des selbständigen<br />

Beweisverfahrens sei, dass der Antragsteller<br />

eine bestimmte Tatsachenbehauptung<br />

aufstelle oder einen festzustellenden<br />

Zustand bezeichne. Das bedeute für<br />

das Arzthaftungsverfahren, dass der Antragsteller<br />

unter Bezeichnung gewisser<br />

Anhaltspunkte die Behauptung eines ärztlichen<br />

Behandlungsfehlers aufstellen müsse<br />

und das selbständige Beweisverfahren<br />

der Klärung dieses behaupteten Behandlungsfehlers<br />

diene. Da sich der umfangreiche<br />

Fragenkatalog der Antragstellerin jedoch<br />

auf die gesamte Behandlung ihres<br />

verstorbenen Ehemannes, namentlich auf<br />

die Dokumentation, die Medikation, die<br />

sonstige ärztliche Betreuung und die Nahrungsgabe<br />

beziehe, sei eine Ausforschung<br />

eines möglichen Behandlungsfehlers anzunehmen.<br />

Ohne die nähere Eingrenzung<br />

eines angenommenen Behandlungsfehlers,<br />

der für den Tod des Ehemannes kausal<br />

geworden sein könnte, sei der Antrag unzulässig.<br />

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bei dem Arzt entwickelt hat. Der Senat<br />

führt wörtlich aus:<br />

1. Ein niedergelassener Gynäkologe,<br />

der bei einer 57-jährigen Patientin<br />

ohne besondere Risikofaktoren im Jahre<br />

2000 keine Mammographie zur Krebsvorsorge<br />

im zweijährigen Intervall veranlasst,<br />

handelt (noch) nicht fehlerhaft.<br />

2. Ein (unterstellt) fehlerhaftes Unterlassen<br />

einer Mammographie zur<br />

Krebsvorsorge führt nicht zu einer Beweislastumkehr<br />

nach den Grundsätzen<br />

der Verletzung der Befunderhebungsund<br />

–sicherungspflicht, wenn keine<br />

Symptome für eine Erkrankung vorliegen.<br />

OLG Hamm, Urt. v. 31.08.2005 – 3 U<br />

277/04<br />

Das Urteil beschäftigt sich mit der interessanten<br />

Frage, wann eine Standardmethode<br />

den Charakter als Standard verliert und zu<br />

einem Behandlungsfehler wird. Beispielhaft<br />

wird in diesem Urteil die Mammographie<br />

vorgestellt. Der Sachverständige hat<br />

das Unterlassen einer Mammographie bei<br />

einer 57-jährigen Patientin ohne besondere<br />

Risikofaktoren im Jahre 2000 als Behandlungsfehler<br />

bewertet. Hier hat der Senat<br />

die Auffassung des Sachverständigen nicht<br />

geteilt und weist darauf hin, dass der Sachverständige<br />

bei seiner Beurteilung den<br />

Maßstab zugrundegelegt hat, der sich erst<br />

später nach der Vorstellung der Klägerin<br />

„Ein Behandlungsfehler setzt voraus, dass<br />

der Arzt in der Behandlungssituation nicht<br />

das Verhalten zeigte, welches nach dem<br />

anerkannten und gesicherten Stand der<br />

medizinischen Wissenschaft von ihm erwartet<br />

werden musste. Dies ist dann nicht<br />

mehr der Fall, wenn sich die vorgenommeine<br />

Behandlung angesichts des Wissensstandes<br />

in Praxis, Forschung und Lehre<br />

als nicht mehr vertretbar darstellt. Allein<br />

das Vorhandensein neuerer wissenschaftlicher<br />

Erkenntnisse führt hingegen noch<br />

nicht zwangsläufig dazu, eine bestimmte<br />

Behandlungsmethode als überholt und<br />

nicht mehr vertretbar anzusehen. Vielmehr<br />

ist eine Unterschreitung des zu fordernden<br />

Qualitätsstandards erst dann gegeben,<br />

wenn die Vorzugswürdigkeit der neuen<br />

Methode im wesentlichen unumstritten<br />

ist“. Der Senat stellt im konkreten Fall<br />

darauf ab, dass aus dem Positionspapier<br />

des Bundesamtes für Strahlenschutz aus<br />

dem Jahre 2002 noch hervorgeht, dass<br />

selbst zu diesem Zeitpunkt noch eine Diskussion<br />

über den Nutzen der Mammographie<br />

im Hinblick auf das damit verbundene<br />

Strahlenrisiko stattfand und die Aussagekraft<br />

der Studien, die den Nutzen der<br />

Mammographie belegt hat, von verschiedenen<br />

Wissenschaftlern in Zweifel gezogen<br />

wurde. Die Kassenärztliche Vereinigung<br />

Westfalen-Lippe teilte in einem<br />

Rundschreiben aus Oktober 2002 noch mit,<br />

dass nach einer Auskunft des Bundesministeriums<br />

für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit<br />

allein das Alter der Frau<br />

nicht ausreiche, um eine Mammographie<br />

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zu rechtfertigen. Der Senat weist ferner<br />

darauf hin, dass das Unterbleiben einer<br />

Mammographie ohne Vorliegen von Auffälligkeiten<br />

bisher nicht als Behandlungsfehler<br />

gewertet worden war (OLG Stuttgart,<br />

VersR 1994, 1306; OLG Hamburg,<br />

328, für das Jahr 1999). Die Ausführungen<br />

des Sachverständigen ergeben nach Auffassung<br />

des Senats keinen Anhaltspunkt,<br />

warum für das Jahr 2000 bereits eine andere<br />

Bewertung gerechtfertigt sein sollte.<br />

Die Entscheidung ist immerhin bemerkenswert,<br />

da das Gericht einem, wie es<br />

selbst formuliert, renommierten Sachverständigen<br />

nicht folgt und eigene rechtliche<br />

Erwägungen zum Zeitpunkt einer Standardänderung<br />

macht.<br />

III. Tips und Hinweise:<br />

1. Das Gesundheitsmodernisierungsgesetz<br />

(GMG) besteht mehr als 1 Jahr.<br />

Wenn man eine Bilanz der Wirkung dieses<br />

Gesetzes ziehen will, lässt sich erkennen,<br />

dass die angestrebte finanzielle Konsolidierung<br />

der gesetzlichen Krankenversicherung<br />

vorzeitig und vorerst eingetreten ist.<br />

Von den neuen Möglichkeiten im Leistungs-Beitrags-<br />

und Vertragsrecht machen<br />

viele Anbieter im Gesundheitswesen Gebrauch.<br />

Eine Reihe medizinischer Versorgungszentren<br />

ist gegründet, integrierte<br />

Versorgungsverträge sind geschlossen<br />

worden. Der Arzneimittelbereich ist noch<br />

nicht konsolidiert. Daher sind weitere Reformen<br />

im Gesundheitswesen unausweichlich.<br />

Die große Reform steht noch aus.<br />

2. Am 10. Mai <strong>2006</strong> findet in Berlin<br />

das Frühjahrsforum <strong>2006</strong> der Gesellschaft<br />

Deutscher Krankenhaustag (GDK) zum<br />

Thema „Krankenhaus und Wettbewerb“<br />

statt. Einzelheiten können erfragt werden<br />

unter info@deutscher-krankenhaustag.de.<br />

3. Die Entwicklung der Krankenhauslandschaft<br />

und Investitionsfinanzierung in<br />

den Bundesländern ist in einem instruktiven<br />

Beitrag von Mörsch, in Arzt und Krankenhaus<br />

<strong>2006</strong>, 85 ff., mit verschiedenen<br />

Grafiken plastisch geschildert. Danach ist<br />

die Anzahl der Krankenhäuser zwischen<br />

den Jahren 1991 und 2004 von 2.411 auf<br />

2.166 und damit um rd. 10 % gesunken.<br />

Die Anzahl der aufgestellten Betten fiel im<br />

gleichen Zeitraum von 665.565 auf<br />

531.333 und damit sogar um 20 %. Die<br />

Bettendichte sank sogar um 23 %. Die<br />

Zahl der Behandlungsfälle stieg demgegenüber<br />

im betrachteten Zeitraum um 15<br />

%.<br />

Die Zahl der Krankenhäuser in öffentlicher<br />

Trägerschaft ging deutlich zurück. Betrug<br />

der Anteil 1991 noch 46 %, waren es im<br />

Jahre 2004 nur noch 36 %. Der Anteil der<br />

privaten Krankenhäuser stieg in demselben<br />

Zeitraum von 15 auf 26 %. Der Anteil der<br />

frei gemeinnützigen Krankenhäuser blieb<br />

weitgehend konstant.<br />

Der deutliche Rückgang der KHG-<br />

Fördermittel schlägt sich in der Krankenhausinvestitionsquote<br />

nieder. Die Investitionsquote<br />

sank von 11,1 auf 5,1 %.<br />

<strong>MED</strong>-<strong>INFO</strong> <strong>AKTUELL</strong> 1/<strong>2006</strong> Seite 8


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IV. Für Sie gelesen<br />

1. Wever, Fahrlässigkeit und Vertrauen<br />

im Rahmen der arbeitsteiligen<br />

Medizin, Hamburg 2005<br />

ISSN 1861-1508<br />

Die Dissertation unserer neuen in Hamm<br />

tätigen Kollegin untersucht die Voraussetzungen<br />

der ärztlichen fahrlässigen Strafbarkeit<br />

im deutschen Recht und im angloamerischen<br />

Rechtskreis und erörtert Möglichkeiten<br />

einer Haftungsbegrenzung. Kern<br />

der Arbeit ist die Frage, ob die Haftung für<br />

ärztliche Fahrlässigkeit in sinnvoller Art<br />

und Weise begrenzt werden kann. Mit eingehender<br />

Darstellung der Probleme der<br />

arbeitsteiligen Medizin und des Vertrauensgrundsatzes<br />

in der arbeitsteiligen Medizin<br />

kommt die Verfasserin zu einem interessanten<br />

Vorschlag zur Umsetzung der<br />

Entkriminalisierung leichter ärztlicher<br />

Fahrlässigkeit durch Empfehlung einer<br />

Richtlinie im Strafverfahren.<br />

2. Steffen, Formen der Arzthaftung<br />

in interdisziplinär tätigen Gesundheitseinrichtungen,<br />

Medizinrecht <strong>2006</strong>, S. 75 ff.<br />

Der ehemalige Vorsitzende des Arzthaftungssenates<br />

des Bundesgerichtshofes beschäftigt<br />

sich in einem instruktiven Aufsatz<br />

mit den Formen der Arzthaftung in<br />

interdisziplinär tätigen Gesundheitseinrichtungen,<br />

insbesondere also der Haftung bei<br />

interdisziplinärer Zusammenarbeit von<br />

Ärzten mit anderen Heilberufen unter dem<br />

Dach von Gesundheitseinrichtungen oder<br />

unter dem Dach einer juristischen Person.<br />

Er kommt zu dem Ergebnis, gleichgültig in<br />

welcher Rechtsform die interdisziplinäre<br />

Zusammenarbeit von Ärzten mit Nichtärzten<br />

erfolgt, für den Patienten wir die<br />

Haftungslage bei einer Schädigung durch<br />

eine fehlerhafte Behandlung nicht verkürzt,<br />

sondern die Haftung wir verstärkt, je<br />

enger die Tätigkeitsfelder rechtlich zusammengebunden<br />

sind.<br />

3. Zeitschrift für ärztliche Fortbildung<br />

und Qualität im Gesundheitswesen<br />

100. Jahrgang <strong>2006</strong>, Heft 1<br />

In ihrem 100. Jahrgang beschäftigt sich die<br />

renommierte Zeitschrift in ihrem ersten<br />

Heft speziell mit den Auswirkungen des<br />

GMG auf ambulante Versorgungsformen,<br />

auf die Qualität in der Medizin aus der<br />

Sicht der Institutionen und mit dem Problem<br />

der Gefährdung des Facharztes in<br />

freier Praxis. Beiträge von namhaften Medizinrechtlern<br />

wie Jansen, Dierks, Köhler<br />

und Luxenburger beleuchten verschiedene<br />

Facetten der neuen Versorgungsformen in<br />

der vertragsärztlichen Versorgung.<br />

V. <strong>Eick</strong> intern<br />

Unser Seniorpartner Prof. <strong>Dr</strong>. Bergmann<br />

referierte beim 52. Zahnärztetag Westfalen-Lippe,<br />

der unter dem Motto „Ästhetik<br />

und Implantologie – Therapie oder Luxus“<br />

stand, in einem Gutachterseminar<br />

<strong>MED</strong>-<strong>INFO</strong> <strong>AKTUELL</strong> 1/<strong>2006</strong> Seite 9


<strong>MED</strong>-<strong>INFO</strong> <strong>AKTUELL</strong> <strong>Nr</strong>. 1/<strong>2006</strong><br />

Informationsdienst der Sozietät <strong>Dr</strong>. <strong>Eick</strong> im Medizinrecht<br />

zum Thema Richtlinien und Leitlinien im<br />

Zahnarzthaftungsprozess.<br />

Am 06. Mai <strong>2006</strong> wird Prof. <strong>Dr</strong>. Bergmann<br />

im Rahmen der Weiterbildung zum Transfusionsmediziner<br />

bei der Ärztekammer<br />

Westfalen-Lippe die rechtlichen Aspekte<br />

der klinischen Transfusionsmedizin vortragen.<br />

Herr Rechtsanwalt <strong>Dr</strong>. Alberts wird am<br />

13. Mai <strong>2006</strong> beim Frühjahrskongress der<br />

niedergelassenen Orthopäden in Hamm<br />

über medizinrechtliche Fragen „Rund ums<br />

Knie“ sprechen.<br />

Aufgrund zahlreicher Bitten unserer<br />

Mandantschaft sind wir dazu übergegangen,<br />

Med-Info aktuell als E-Mail zu<br />

verschicken. Mit der <strong>Nr</strong>. 1/<strong>2006</strong> stellen<br />

wir Ihnen erstmals ausschließlich per<br />

E-Mail unsere vierteljährliche Information<br />

zur Verfügung. Wir bitten nochmals<br />

um Übersendung Ihrer E-Mail-<br />

Adressen.<br />

Wir weisen darauf hin, dass jedes bis<br />

jetzt erschienene „Med-Info aktuell“ wie<br />

auch alle zukünftigen bei uns auf der<br />

Homepage unter „Aktuelles“, dort unter<br />

„Infodienst“, zum Ausdruck jederzeit<br />

bereitstehen.<br />

Vorschau auf<br />

<strong>MED</strong>-<strong>INFO</strong> <strong>AKTUELL</strong> 2/<strong>2006</strong><br />

„Risikomanagement und<br />

Qualitätssicherung in der<br />

Orthopädie durch die<br />

Rechtsprechung“<br />

<strong>MED</strong>-<strong>INFO</strong> <strong>AKTUELL</strong> 1/<strong>2006</strong> Seite 10

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