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erste kommunikation - Prentke Romich GmbH

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Laura erzählt Geschichten<br />

Lauras Mutter erzählt<br />

Seit rund 2½ Jahren kann Laura sprechen. Sie<br />

spricht mit ihrem SmallTalker, und es vergeht<br />

kein Tag, an dem sie uns nicht mit einem Wort, einem<br />

Satz oder einer drolligen Idee begeistert. Geschichten<br />

hat sie schon immer geliebt, vermutlich<br />

weil wir ihr von Anfang an sehr viel vorgelesen<br />

haben, und heute hat sie schon eine richtige kleine<br />

Bibliothek beisammen. Aber erst der<br />

Talker hat ihr die große weite Welt<br />

der Worte eröffnet.<br />

Manchmal sticht sie der Hafer und<br />

sie will ein richtig freches Mädchen<br />

sein. Dann sagt sie: „Du alte Waschmaschine,<br />

du!“ Von uns kommt eine<br />

passende Retourkutsche, wie etwa:<br />

„Du alte Stinkesocke, du!“, und<br />

dann geht das Spielchen eine Weile<br />

hin und her. Oder sie kommt auf die<br />

Idee und gibt uns Rechenaufgaben<br />

auf: „Zwei Leute gehen Eis essen.<br />

Neun kommen dazu. Wie viele<br />

sind das?“ Und wehe, man kommt<br />

ihr blöd oder behandelt sie wie ein<br />

Baby oder sie kriegt nicht das, was<br />

sie will. Dann geht man besser in<br />

Deckung: „Wenn du noch einmal<br />

versuchst, mir das Telefon wegzunehmen,<br />

dann sperre ich dich<br />

in den Keller und ich mache kein<br />

Licht. Ich werde meine Spinne auf<br />

dich hetzen.“<br />

Wir haben viel Spaß zusammen, jeden Tag aufs<br />

Neue. Aber es hat eine ganze Weile gedauert, bis<br />

wir begriffen haben, dass dieses Sprechen und<br />

Spielen mit Worten eine „Nebenwirkung“ hat, an<br />

die wir anfangs gar nicht dachten. Uns ging es darum,<br />

Laura Kommunikation zu ermöglichen, ihr<br />

eine Stimme zu geben. Doch nach einiger Zeit –<br />

mit der Lust und dem Interesse an Worten – kam<br />

auch der Ehrgeiz, Lesen und Schreiben zu lernen.<br />

Das fing damit an, dass sie versuchte, Worte auf<br />

der Tastatur zu buchstabieren, die auf ihrem Talker<br />

nicht vorhanden sind bzw. von denen sie nicht<br />

wusste, hinter welchem Bild sie sich verbergen. Zu<br />

Beginn kam sie damit nicht weit, viel mehr als der<br />

Anfangsbuchstabe oder der Buchstabe, der in dem<br />

www.prentke-romich.de<br />

Wort den prägnantesten Laut darstellt, gelang ihr<br />

nicht. Doch mit gemeinsamer Anstrengung kamen<br />

wir in den allermeisten Fällen auf die richtige<br />

Lösung. Dadurch begriff sie, dass sich Wörter<br />

aus Buchstaben zusammensetzen, und dass sie<br />

diese Wörter nicht nur sprechen, sondern auch<br />

schreiben kann. Und da Laura in ihrer Wortwahl<br />

immer komplexer und eloquenter wurde, kam die<br />

Tastatur immer häufiger zum Einsatz.<br />

Irgendwann fiel uns auf, dass Laura versuchte,<br />

Schrift zu entziffern. Die Preisliste an der Wurstbude<br />

etwa, eine Werbetafel oder die Beschriftung<br />

eines Autos. Das Interesse an Worten und Buchstaben<br />

nahm immer mehr zu. Das stellte uns<br />

natürlich vor die Frage, wie wir diesem Wissensdrang<br />

begegnen können, ohne sie zu überfordern<br />

oder ihr die Freude an der Sache zu nehmen. Bei<br />

einem behinderten Kind, das weder sprechen noch<br />

schreiben kann, weil die Muskelkontrolle fehlt,<br />

muss man sich schon etwas einfallen lassen.<br />

Wir haben Tricks entwickelt, um Lauras Leseverständnis<br />

zu trainieren. Wenn wir gemeinsam<br />

einen kleinen Text lesen, folge ich Wort für Wort<br />

mit meinem Finger, ganz langsam natürlich.<br />

25<br />

Und wenn ein Wort kommt, das Laura nicht lesen<br />

kann, schaut sie mich an. Dann zerpflücken<br />

wir das Wort Silbe für Silbe, so lange, bis Laura<br />

es begriffen hat. Ein anderes Spiel kombiniert<br />

Lese- und Schreibübung. Ich zeige Laura einen<br />

Gegenstand, den sie mit ihrem Talker sprechen<br />

muss. Gleichzeitig hat sie die Möglichkeit, das<br />

entsprechende Wort auf ihrem Display zu lesen.<br />

Wenn sie es sich eingeprägt hat, löscht sie es und<br />

schreibt es mit ihrer Tastatur<br />

noch einmal auf. Dank der<br />

Kombination aus Sprache<br />

und Schrift gelingt es Laura<br />

immer besser, Laute und<br />

Buchstaben miteinander in<br />

Zusammenhang zu bringen –<br />

und das ist die Voraussetzung<br />

für das Lesen und Schreiben.<br />

Der Talker ist für uns innerhalb<br />

kürzester Zeit zu einem<br />

multifunktionalen Hilfsmittel<br />

geworden, mit dem Laura<br />

spricht, Faxen macht, Gedichte<br />

aufsagt, Hausaufgaben<br />

macht und speichert, liest<br />

und schreibt, Musik hört,<br />

ihren Frust abbaut (indem<br />

sie die Musik GANZ LAUT<br />

hört ...) und am alltäglichen<br />

Leben in unserer Kleinstadt<br />

teilnimmt. Lauras Talker<br />

wird von Fremden immer<br />

noch neugierig beäugt, aber<br />

alle, die sie kennen, haben ihn als Lauras Stimme<br />

akzeptiert. Und es passiert oft genug, dass Menschen,<br />

denen ich den Talker und seine Bedeutung<br />

für Laura erkläre, Tränen der Rührung kommen.<br />

Dann merke ich wieder, dass das, was für uns<br />

schon längst zur Selbstverständlichkeit geworden<br />

ist, in Wahrheit eine unschätzbare Bereicherung<br />

für unser aller Leben ist.<br />

Ach, da fällt mir noch etwas ein: Laura ist bereits<br />

zum zweiten Mal in Folge zur Klassensprecherin<br />

gewählt worden. Und ich kann Ihnen versichern:<br />

Wer ihren Freund, den Schmusehasen, klaut, wie<br />

neulich, der „kommt in den Keller zu den Spinnen!“<br />

Alexandra Ernst<br />

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