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18 in der Tat „Die Würde des Menschen ist unantastbar — nicht nur die des starken, knackig gesunden Arbeitsfähigen.“ Mit diesen Worten hat Pfarrer Dr. Wolfgang Gern, Vorsitzender der Evangelischen Obdachlosenhilfe und des Diakonischen Werkes in Hessen und Nassau (DWHN), die Gäste auf der Bundestagung des Fachverbandes Tagung Recht auf Hilfe und Eigenständigkeit E V ANGELISCHE O BDACHLOSENHILFE WARNT AUF B UNDESTAGUNG VOR A USHÖHLUNG DES S OZIALSTAATES in Dresden begrüßt. Rund 350 Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet waren dort zusammengekommen, um vom 4. bis 6. November unter dem Motto „Recht auf Hilfe und Eigenständigkeit“ unterschiedliche Themen der Wohnungslosenhilfe zu diskutieren. Die Palette reichte von „Änderungen im Sozialhilferecht seit 2000“ 4 02
4 02 Recht auf Hilfe und Eigenständigkeit über „Wohnungslosigkeit bei Frauen“ bis hin zur „Privatisierung des öffentlichen Raumes.“ Die Mahnung des Bundesvorsitzenden zu Beginn der Tagung zielte auf die aktuelle Sozialstaatsdiskussion. Angesichts der schlechten wirtschaftlichen Konjunktur und steigender Arbeitslosigkeit führe sie in eine fatale Richtung. So beklagt die Evangelische Obdachlosenhilfe, dass das politische Programm „Fördern und Fordern“ zunehmend dazu diene, Mittel im Sozialhaushalt einzusparen, anstatt die Schwächsten der Gesellschaft aufzufangen. Zahl der Wohnungslosen steigt Der Verband hat gute Gründe für seine Warnung: Zum ersten Mal seit Jahren steigt die Zahl der Wohnungslosen in Deutschland wieder an. In Ballungsregionen wie München, Stuttgart, Frankfurt und dem Ruhrgebiet hätten Beratungsstellen rund 30 Prozent mehr Hilfesuchende gezählt. In den Jahren zuvor war dagegen die Zahl der Menschen, die in Notunterkünften, Asylen, in Wohnheimen oder auf der Straße leben müssen, kontinuierlich gesunken. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe schätzte ihre Zahl im Jahr 1999 auf rund 440.000, im Jahr 2001 nur noch auf 360.000 Menschen. Hinzu kommen rund 100.000 Aussiedler. Oft sind sie nach ihrer Ankunft in der Bundesrepublik in Übergangseinrichtungen untergebracht. Für diesen Zeitraum gelten sie ebenfalls als obdachlos. Als Grund für die steigende Wohnungslosigkeit nennt die Evangelische Obdachlosenhilfe die Verfestigung der Langzeitarbeitslosigkeit und die somit gestiegene Sozialhilfebedürftigkeit der Menschen. Zwar sollen die Sozialämter laut Bundessozialhilfegesetz bei drohender Wohnungslosigkeit Mietzahlungen übernehmen. „Aus Unwissenheit oder Unwillen“, so Geschäftsführer Thomas Poreski, lehnen viele Sachbearbeiter eine Mietschuldenübernahme jedoch ab. Dabei ist es in Teilen der Bundesrepublik inzwischen unmöglich, in preiswerte, kleine Wohnungen auszuweichen. Die öffentliche Hand investiert weniger in den sozialen Wohnungsbau, Mietbindungen laufen aus. In der Folge steigen die Mieten auf marktübliches Niveau. „Viele Sozialämter haben ihre Hilfesätze den gestiegenen Mieten aber nicht angepasst“, sagte Ulrich Arnold, stellvertretender Vorsitzender der Evangelischen Obdachosenhilfe und Geschäftsführer des Diakonischen Werks (DW) Freiburg. So finanziere das Freiburger Sozialamt nur Wohnungen, die nicht mehr als fünf Euro pro Quadratmeter kosten. Die billigsten Mieten würden mittlerweile aber bei 5,75 Euro liegen. „Im Moment bereiten wir Menschen auf ein selbständiges Wohnen vor, um sie anschließend wieder auf die Straße schicken zu müssen“, klagt Arnold. „Statt Menschen in Not die Rückkehr in ein normales Leben zu ermöglichen, werden humane und soziale Belange einem kurzfristigen Kosten- kalkül geopfert“, kritisiert der Bundesvorsitzende Dr. Wolfgang Gern. Dabei gibt es Auswege aus dem Kreislauf von Arbeitslosigkeit, Verschuldung, Suchtkrankheit und Wohnungslosigkeit — und die können sich obendrein wirtschaftlich rechnen. Ein Beispiel sind „Die Ambulanten Dienste“ zur Vermeidung von Wohnungsverlust, die auf der Tagung vorgestellt wurden. Dabei handelt es sich um eine Kooperation zwischen Sozialamt, der Berliner Wohnungsbaugesellschaft GESOBAU als Vermieter und der „Gemeinnützigen Gesellschaft zur Betreuung Wohnungsloser und sozial Schwacher (GeBeWo)“, die die Interessen der Mieter vertritt. Rat statt Räumung Die Partnerschaft basiert auf festen Regeln: Hat sich ein Mieter verschuldet, reicht der Vermieter nach Kündigung der Wohnung keine Räumungsklage ein, sondern beauftragt die „Ambulanten Dienste“. Deren Sozialarbeiter besuchen den säumigen Mieter umgehend in dessen Wohnung. Sofern der Betroffene kooperieren will, erarbeiten sie ein Konzept zur Entschuldung und nehmen Kontakt zum Sozialamt auf. Das Sozialamt wiederum übernimmt die Mietschulden und leistet wenn nötig weiterführende Hilfe. Der Vermieter kommt für die ersten zehn Betreuungsstunden der Sozialarbeiter auf. Dafür erhält er nach spätestens sechs Wochen Bescheid, ob die Schuldenregulierung erfolgreich verlaufen wird. Ist das der Fall, verpflichtet er sich zur Weitervermietung. Wenn nicht, reicht der Vermieter Räumungsklage ein. 19
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