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Heft 4 / 2013 - Tierschutz: Pro Tier

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Serie <strong>Tier</strong>e und Geschichte<br />

«Als wäre es ein Mensch gewesen» – die<br />

Mensch-Hund-Beziehung in der Vormoderne<br />

«Anno 1530 wart mines fatters hont in der nacht, da er vur der tur uff der<br />

gadern lach, erstochen. … Disser hont war genant Canis, war weis von<br />

farben, nit fast hoich, war ein wonderlich getreu beist, war min fatter<br />

hinzauch, dar ran er mit, und alle nachparn hatten ir kurzweil mit im;<br />

er war einmail … verloren worden und quam widder; wan er gern in war,<br />

sprank er uff die gadder und clapperden wie ein mensch. Es dede mir wol<br />

so leide, das disser hont erstochen war, als were es ein mensch gewest …»<br />

(Hermann von Weinsberg)<br />

Von Dr. Aline Steinbrecher, Konstanz<br />

Diese Textpassage zum Tod des<br />

Hundes seines Vaters stammt<br />

aus den 2500 Seiten Tagebücher<br />

des Kaufmanns und Ratsherren<br />

Hermann von Weinsberg, die<br />

er von 1517 bis 1597 führte. Dort<br />

gibt der Kölner detaillierte Auskünfte<br />

über seine Person, seine Umwelt<br />

und auch über seine Beziehung zu<br />

<strong>Tier</strong>en. Den Namen hatte Canis wohl<br />

der Liebe seines Besitzers zu lateinischen<br />

Texten zu verdanken. Er war,<br />

obwohl er übersetzt ja einfach Hund<br />

bedeutet, individuell für ihn gefunden<br />

worden, denn weitere Hunde<br />

der Familie Weinsberg trugen andere<br />

Namen. Weiter gibt diese Quelle<br />

Auskunft über den gelebten Alltag<br />

einer Hund-Mensch-Beziehung im<br />

16. Jahrhundert (etwa dass der Hund<br />

an die Türe klopfte, um Einlass zu bekommen)<br />

und auch über die affektive<br />

Hinwendung der Familie zu Canis.<br />

Um der Trauer und dem Entsetzen<br />

über die Ermordung von Canis Ausdruck<br />

zu verleihen, zieht Weinsberg<br />

zweimal den Vergleich mit dem Menschen<br />

heran. Es scheint, wie wenn er<br />

seine tiefen Gefühle nur ausdrücken<br />

konnte, indem er den Hund zum Menschen<br />

machte und damit deutlich<br />

machte, in welch enger Beziehung<br />

die Familie zu Canis stand.<br />

Das schon Jahrtausende währende<br />

Mensch-Hund-Verhältnis (vgl. dazu<br />

auch Artikel 1 der Serie, <strong>Pro</strong><strong>Tier</strong>-Ausgabe<br />

2/<strong>2013</strong>) ist durch zahlreiche,<br />

individuelle Mensch-Hund-Beziehungen<br />

geprägt. In der frühen Neuzeit<br />

(also der Zeit von 1500 – 1800)<br />

wird die Popularität der Hunde augenscheinlich.<br />

Der Hund ist, um es<br />

in der zeitgenössischen Sprache zu<br />

sagen, das beliebteste «Lusttier».<br />

Wandel vom Nutzzum<br />

Haustier<br />

Foto: zvg<br />

In Zedlers Universallexikon ist am<br />

Ende des 18. Jahrhunderts unter<br />

dem Eintrag Hund zu lesen: «Ist ein<br />

zahmes fleischfressendes Thier,<br />

welches zu Lust und Nutzen auf mancherley<br />

Weise dienet. Recht wundersam<br />

ist zu ersehen, wie unter allen<br />

Thieren, welche von dem grossen<br />

Gott erschaffen worden, die Hunde<br />

einzig und allein bey den Menschen<br />

wohnen, und sich zu deren Dienst<br />

willig gebrauchen lassen wovon<br />

und wegen ihrer besonderen Treue,<br />

Wachsamkeit, Gehorsam und Liebe<br />

zu den Menschen unzählige Exempel<br />

angeführt werden können».<br />

Dass Hunde die geheizten Räume<br />

mit ihren Haltern teilten, ist gewiss<br />

kein spezifisch frühneuzeitliches Phänomen.<br />

Die Formulierung, dass die<br />

«Hunde einzig und allein bey den<br />

Menschen wohnen», verweist aber<br />

auf eine im 18. Jahrhundert langsam<br />

vollzogene Ausdifferenzierung<br />

der <strong>Tier</strong>haltung in Nutz- und Haustiere.<br />

Der Hund ist aber vorerst noch<br />

beides: Er ist zwar das beliebteste<br />

frühneuzeitliche Haustier, wird aber<br />

in zahlreichen Bereichen auch als<br />

Nutztier eingesetzt.<br />

Die praktischen Funktionen des<br />

Hundes gehen weit über die uns<br />

bekannten Funktionen des Jagdhundes<br />

oder Wachthundes hinaus.<br />

Die Hunde ziehen Wagen, Schlitten<br />

oder Pflüge. Weiter agierten Hunde<br />

als «Bratspiessdreher» und kamen<br />

in Treträdern zur Butterproduktion<br />

zum Einsatz. Zudem wurden sie von<br />

Metzgern, Medizinern und Anatomen<br />

als Aasfresser eingesetzt, woran<br />

sie sicher mehr Gefallen gefunden<br />

haben.<br />

■<br />

Porträt Dr. A. Steinbrecher<br />

Dr. Aline Steinbrecher gilt als «Pionierin»<br />

auf dem Gebiet der <strong>Tier</strong>geschichte.<br />

Sie arbeitete und forschte<br />

an den Universitäten Zürich, Basel,<br />

Freiburg, Münster und London und<br />

ist zurzeit am Zukunftskolleg in<br />

Kons tanz tätig.<br />

Ihr Forschungsprojekt beschäftigt<br />

sich mit der Kulturgeschichte der<br />

Mensch-Hund-Beziehung im städtischen<br />

deutschsprachigen Raum in<br />

der Zeit von 1650 bis 1850. Sie ist<br />

Mutter dreier Kinder und hat selbst<br />

Hund und Katz zu Hause.<br />

22 <strong>Pro</strong><strong>Tier</strong> 4/13

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