Forum Nr. 35.2 - Gymnasium Altenholz
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68 IRRLICHTER FORUM 35<br />
… bin ich immer mit einem Atlas ins Bett<br />
gegangen und habe die Welt auswendig<br />
gelernt. Einige afrikanische Namen haben<br />
sich mir unauslöschlich eingeprägt; darunter<br />
die Worte 'Pandamatenga', 'Malawi',<br />
'Namib' und 'Linyanti'. 'Namib' deswegen,<br />
weil die Buchstaben untereinander geschrieben<br />
waren. Sah für mich aufregend<br />
aus, ich erinnere mich genau. Die Namib,<br />
das habe ich erst später gelernt, ist ein<br />
recht schmaler, in Nord-Süd-Richtung verlaufender<br />
Wüstenstreifen an der Atlantikküste<br />
im Südwesten Afrikas (etwa 80 km<br />
breit): zu schmal, um den Namen im Atlas<br />
waagerecht zu schreiben. Interessant,<br />
sagte ich mir damals, da musst du unbedingt<br />
hin, wenn du groß bist. Diesen<br />
Wunsch habe ich mir nun schon mehr als<br />
zwanzigmal erfüllt …<br />
Oder 'Linyanti'! Hört man bei diesem geheimnisvollen<br />
Klang nicht das tiefste<br />
Afrika Seit Jahrzehnten möchte ich den<br />
Linyanti (einen Flussabschnitt im Grenzgebiet<br />
von Namibia und Botswana) aufsuchen<br />
– jetzt habe ich es geschafft. Es ist<br />
mühsam, dorthin zu kommen, sehr mühsam,<br />
aber Kindheitsträumen muss man<br />
folgen. Ich bin von der südlichen Grenze<br />
von Botswana durch die Kalahari nach<br />
Norden gefahren; drei Tage habe ich gebraucht<br />
bis Maun, einem Städtchen am<br />
Ende des Okavangodeltas. Als ich vor 20<br />
Jahren zum ersten Mal dorthin kam (nach<br />
quälender Fahrt auf damals grauenhaften<br />
Schotterpisten, ein Schlagloch reihte sich<br />
ans andere), gab es ein einziges Stück<br />
asphaltierter Straße innerhalb des Orts,<br />
drei Kilometer lang vielleicht. Heute ist<br />
der Ort die Provinzhauptstadt und pulsiert<br />
vor Leben. Man kann von dort schöne<br />
Ausflüge machen, z.B. Rundflüge über<br />
das Okavangodelta oder mehrtägige Mokoro-Touren.<br />
Ein Mekoro (Mekoro ist Singular,<br />
Mokoro Plural) ist ein Einbaum, in<br />
dem man ganz stille sitzen muss, sonst<br />
kippt man um. Mit einem solchen Boot<br />
lautlos durch Lagunen und Papyruswälder<br />
zu gleiten, gehört zum Schönsten, was<br />
man in Afrika erleben kann. Man muss<br />
eben nur Hippos und Krokodilen ausweichen.<br />
Der Okavango, der aufregendste Fluss der<br />
Welt, mündet nicht ins Meer, sondern versickert<br />
in einem riesigen Binnendelta im<br />
Sand der Kalahari. Was am Ende des Deltas<br />
an Wasser noch übrig ist, sammelt sich<br />
nördlich von Maun im sog. Thamalakane.<br />
Das Wasser (es kommt aus Angola) erreicht<br />
Maun zuerst als Rinnsal, dann<br />
schwillt es innerhalb weniger Tage zu<br />
Als ich ein kleiner Junge war …<br />
einem breiten Fluss an. Und wenn es als<br />
Rinnsal kommt, kann man drüberhüpfen.<br />
Ich habe mir vorgestellt, ich wäre noch der<br />
kleine Junge von damals, und bin drübergesprungen.<br />
Wer von euch hat schon jemals<br />
den 'Okavango' mit einem Satz<br />
übersprungen Hausaufgabe für die<br />
nächsten Sommerferien!<br />
Ich fahre weiter. Von Maun geht's nach<br />
Norden in den<br />
Chobe Nationalpark,<br />
Richtung<br />
Savuti.<br />
Der Savuti ist<br />
Teil eines natürlichen<br />
Kanals<br />
zwischen<br />
zwei Flußsystemen,<br />
der<br />
manchmal<br />
Wasser führt.<br />
Vor Jahrzehnten<br />
ist er ausgetrocknet,<br />
aber das sagt<br />
nichts, irgendwann<br />
kommt<br />
das Wasser<br />
wieder – spätestens,<br />
wenn<br />
die Erdkruste darunter wieder in Bewegung<br />
gerät. Dort liegt ein Camp; man<br />
muss etwa 140 km durch Tiefsand fahren.<br />
Wenn man die Piste sieht, rutscht einem<br />
das Herz in die Hosentasche. Ein normaler<br />
Pkw käme keine drei Meter weit. Man<br />
braucht viel Bodenfreiheit und Vierradantrieb,<br />
viele müssen auch den Reifendruck<br />
verringern, um die Auflagefläche der Reifen<br />
zu vergrößern. Trotzdem ist das Fahren<br />
recht entspannt. Ich schalte<br />
Geländeuntersetzung und Vierradantrieb<br />
ein, arretiere die Vorderradnaben (alles<br />
noch von Hand – anders als bei den neumodischen<br />
Autos, bei denen alles elektronisch<br />
zugeht. Mein Landrover ist Baujahr<br />
1963!), lege den 2. Gang ein und gebe<br />
Gas, nicht zuviel. Das Lenkrad berühre ich<br />
kaum, der Wagen sucht sich den Weg in<br />
den ausgefahrenen Sandrinnen selbst, lenken<br />
darf man nur sparsam. Ich bin noch<br />
nie im Sand steckengeblieben (ein Landrover<br />
bleibt nicht stecken!). Aber es dauert<br />
ewig. Für 100 km brauche ich mindestens<br />
fünf bis sechs Stunden. Und der Spritverbrauch!<br />
200 Liter in zwei Tanks haben<br />
grade bis zur nächsten Tankstelle (in Kasane)<br />
ausgereicht.<br />
Savuti Camp ist, wie alle staatlichen<br />
Camps in Botswana, nicht eingezäunt.<br />
Wer nachts raus muss, läuft Gefahr, als<br />
Gerippe wiederzukommen: Ich habe<br />
Löwen durchs Camp laufen sehen, einmal<br />
auch eine Tüpfelhyäne. Und die Löwen<br />
von Savuti gelten als aggressiv. Es sind die<br />
einzigen Löwen Afrikas, die selbst Elefanten<br />
angreifen und tatsächlich erlegen –<br />
und dich, der du das gerade liest, ganz besonders<br />
gerne!<br />
Vorsicht Wildwechsel! Warzenschweine<br />
Das nächste Ziel bringt mich einem anderen<br />
Kindheitstraum näher. Von Savuti<br />
biege ich nach Nordwesten ab, abseits der<br />
üblichen Transitroute, ebenfalls Tiefsand,<br />
quer zu Sanddünen. Es sind nur etwa 40<br />
km, nicht viel, aber fast drei Stunden<br />
Fahrt, Kampf mit dem Sand – und mit von<br />
Elefanten umgelegten, quer zur Piste liegenden<br />
Bäumen. Man ist erschöpft, wenn<br />
man ankommt. Aber dann! Ich kampiere<br />
unter Bäumen an der Uferböschung, unten<br />
fließt ganz langsam der Linyanti! Es ist<br />
geschafft! Davon habe ich seit mehr als<br />
einem halben Jahrhundert geträumt! Es ist<br />
das tiefste Afrika, das ich mir vorstellen<br />
kann. Im Umkreis von -zig Kilometern<br />
nicht ein einziger Mensch, nur ich, der<br />
Duft der Wildnis, nachts ein aufregendes<br />
Konzert der Tierwelt: Hippos, Hyänen,<br />
Elefanten vor allem, Schakale, Löwen –<br />
und bestimmt tausend Vögel.<br />
Ein weiterer Traum, den ich als Junge geträumt<br />
habe, ist wahr geworden. Einer ist<br />
noch übrig.… Bald.<br />
Und welchen Traum hast du<br />
Wolff-Rüdiger Heinz<br />
PS: Wer meinen alten Landrover bei Google<br />
Earth von oben ansehen möchte, fliege<br />
die folgenden Koordinaten an:<br />
S 25° 51' 52.10'' O 25° 37' 55.01"