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Entwicklung von Handlungskompetenzen durch Videoanalyse

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Julia Kosintir<br />

<strong>Handlungskompetenzen</strong> <strong>durch</strong> <strong>Videoanalyse</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> <strong>von</strong> <strong>Handlungskompetenzen</strong> <strong>durch</strong> <strong>Videoanalyse</strong><br />

1. <strong>Videoanalyse</strong>n in der Lehrerausbildung - eine Einordung<br />

Der Einsatz <strong>von</strong> Videosequenzen für die Selbstbetrachtung und Reflexion des eigenen<br />

Lehrerhandeins kann wichtige Impulse setzen: Verhaltenstendenzen, die sich als für die<br />

intendierte Wirkung problematisch zeigen, können erkannt und falsche Annahmen<br />

über die Realität können korrigiert werden (vgl. Kowalczyk/Zünkler 2011, 14). Die<br />

Anwendung <strong>von</strong> <strong>Videoanalyse</strong>n in der Lehrerausbildung sollte dem Ziel dienen, dass<br />

sich die gefilmten Referendarlinnen in ihrer Handlungsfähigkeit grundsätzlich bestätigt<br />

fühlen, ihren <strong>Entwicklung</strong>sbedarf erkennen und ihre Kompetenzen systematisch<br />

erweitern können.<br />

Verfahren der <strong>Videoanalyse</strong> müssen demnach so angelegt sein, dass sie helfen, die Stärken<br />

der Gefilmten herauszuarbeiten und Gründe für gelingende oder problematische<br />

Situationsverläufe erkennbar werden zu lassen. Die Analyse sollte zudem immer mit<br />

der Frage nach Lösungsansätzen verbunden sein, die die Akteur/innen in den Situationen<br />

möglichst selbst erkennen.<br />

Wesentliche Voraussetzungen für Lernprozesse, die auf Selbstwahrnehmung und Reflexion<br />

in einer Lerngemeinschaft basierten, sind<br />

• ein bewertungsfreier Raum,<br />

• Experimentierfreude und -möglichkeiten,<br />

• Reflexionsbereitschaft sowie die <strong>Entwicklung</strong> zur Fähigkeit der Selbstbetrachtung<br />

eigener Handlung(sentscheidungen) und eine Systematisierung nachträglicher<br />

Selbstreflexion (vgl. Schön 1987), ·<br />

• das Erfassen anstehender <strong>Entwicklung</strong>sschritte,<br />

• ein vertrauensvoller Austausch mit Peers,<br />

• qualifizierte Beratung <strong>durch</strong> erfahrene Lehrkräfte und Ausbilder/innen (vgl. Staub<br />

2005).<br />

Mithilfe des Konzepts der Video(selbst)analyse können Prozesse der Selbsterkenntnis<br />

und der Erweiterung professioneller <strong>Handlungskompetenzen</strong> <strong>durch</strong> die Betrachtung<br />

des eigenen pädagogischen Handelns, <strong>durch</strong> Perspektivenwechsel und <strong>durch</strong> die Unterstützung<br />

<strong>von</strong> Beobachter/innen und Berater/innen gezielt anger«gt werden. Dass die<br />

Analyse <strong>von</strong> Unterricht trotz des Rückbezugs auf Unterrichtstheorien und Qualitätskriterien<br />

immer auch subjektiv ist, wird nicht bestritten, sondern für das Verfahren der<br />

Video(selbst)analyse nutzbar gemacht: Die Vielfalt der Wahrnehmung und Bewertung<br />

einer Unterrichtssequenz <strong>durch</strong> verschiedene Beobachter/innen ist dienlich, um die<br />

Komplexität einer Unterrichtssequenz rasch zu erfassen.<br />

In meinem Beitrag werde ich einführend einige Kontextinformationen zum Einsatz des<br />

Mediums Video geben, bevor ich anschließend das Konzept, die Methoden und die<br />

damit verbundenen <strong>Entwicklung</strong>sziele der Video(selbst)analyse vorstelle. Den Kern<br />

der Methode bildet die Durchführung einer, an den <strong>Entwicklung</strong>sthemen der Teilnehmer/innen<br />

orientierten, kriteriengestützten <strong>Videoanalyse</strong>. Dasgenaue Vorgehen und<br />

das dafür verwendete Instrumentarium werden an ausgewählten Beispielen dargelegt.<br />

Mit verschiedenen Ideen, wie die Video(selbst)analyse in der Lehrerausbildung einge-<br />

52<br />

Seminar 2/2012


H andlungskompetenzen <strong>durch</strong> <strong>Videoanalyse</strong> 1111136<br />

setzt werden kann und wie das Verfahren <strong>von</strong> Referendar/innen aufgenommen wurde,<br />

schließt dieser Beitrag.<br />

2. Vor- und Nachteile <strong>von</strong> Videoaufnahmen<br />

Über die Vor- und Nachteile des Mediums Video ist bereits einiges geschrieben worden<br />

(vgl. Helmke/Helmke 2004, Reusser 2005, Weiser 2005 , Dorlöchter u. a. 2005) . Die<br />

wesentlichen Punkte, die v. a. für die Lehrerausbildung relevant sind, sollen hier noch<br />

einmal zusammengefasst werden.<br />

Vorteile:<br />

1. Dauerhaftigkeit des Materials,<br />

2. mehrmaliges und genaues Betrachten einzelner Sequenzen,<br />

3. Rückmeldungen auf Basis eines gemeinsam betrachteten Materials,<br />

4. Beobachtung und Besprechung unter verschiedenen Fragestellungen auch ohne<br />

Hospitation im Unterricht,<br />

5. Reflexion eigener Unterrichtspraxis mithilfe eines Perspektivenwechsels,<br />

6. Feststellung <strong>von</strong> <strong>Entwicklung</strong>sprozessen <strong>durch</strong> regelmäßiges Filmen eigenen Unterrichts<br />

(z . B . in Videoportfolios),<br />

7. Erarbeitung <strong>von</strong> Handlungsalternativen und Problemlösungen in Gruppen gemeinsam<br />

am Beispiel.<br />

Nachteile:<br />

1. Kamera fixiert nur bestimmte Ausschnitte,<br />

2. Atmosphäre, Raum und Interaktionen können nur unzureichend eingefangen<br />

werden,<br />

3. hoher, teilweise abschreckender technischer Aufwand,<br />

4. evtl. Übernahme kameragerechten Verhaltens <strong>von</strong> den Akteur/innen,<br />

5. evtl. Fixierung auf eigene Schwächen bei der anschließenden Betrachtung,<br />

6. Perspektivenwechsel kann Verunsicherung verursachen.<br />

Für die letzten beiden Punkte möchte ich Beispiele aus meinem Dissertationsprojekt<br />

mit Lehramtsstudierenden ( vgl . Kosinar 2007) geben. Die Reaktionen der Teilnehmer I<br />

innen waren während der Betrachtung ihrer Videos mit Lehrervortragssequenzen ganz<br />

unterschiedlich.<br />

Manche nahmen es mit Humor:<br />

Florian: "Ach, ganz schön anstrengend, mir selber zuzuhören. Aber das ist ja unglaublich.<br />

Wie haben die das ausgehalten Das ist ja voll lahm, ey, das ist ja schrecklich"<br />

(lacht).<br />

Einige waren sehr selbstkritisch und erstaunt:<br />

Karl-Heinz: "Meine Fußstellung ist scheiße: Und es ist zu viel Gestik, ich hätte nicht<br />

gedacht, dass es so viel Gestik ist. Sie ist nicht schlecht, die Gestik, aber es ist, wow."<br />

Andere waren ehrlich schockiert:<br />

. Nadia: "Das ist ja unfassbar, was ich da gemacht habe. Ich hab wirklich fast getanzt.<br />

Und das ist gefährlich, ne, wenn ich irgendwas inhaltlich rüberbringen will, aber da so<br />

einen Kasper mache. Wobei es wirklich unbewusst ist. Ich bin auch nicht der Typ, der<br />

53<br />

Seminar 2/2012


<strong>Handlungskompetenzen</strong> <strong>durch</strong> <strong>Videoanalyse</strong><br />

sich darstellen möchte. Es ist wirklich unbewusst. Aber das ist, das macht mich ja so<br />

traurig. Dass ich das nicht mal gemerkt habe."<br />

Manche wiederum positiv überrascht:<br />

Rahel: "Ich fand es, jetzt wo ich es gesehen habe, ein bisschen zusammenhängender, als<br />

ich es empfunden habe in dem Moment. Ich dachte eigentlich, ich würde jetzt blödes<br />

Zeug reden in dem Moment und hab jetzt gemerkt, es ist ja <strong>durch</strong>aus ein Sinn drin<br />

gewesen."<br />

3. Video(selbst)analyse: Das Konzept<br />

Mit der Video(selbst)analyse 1 sollte ein Verfahren für einen konstruktiven, professionalitätsfördernden<br />

Umgang entwickelt werden, das eine "ungeschminkte Selbstbetrachtung"<br />

erlaubt und <strong>durch</strong> Perspektivenwechsel eine Schärfung der Aufmerksamkeit<br />

für Unterrichtsqualität fördernde Maßnahmen er!!löglicht. Voraussetzung derTeilnehmerlinnen<br />

sind zuallererst ihre Bereitschaft zur Offnung des eigenen Unterrichts<br />

für Beobachter/innen und Kritikfähigkeit, die in der Seminargruppe konstruktiv<br />

genutzt wird. Zur "Vermeidung negativer Selbstbewertungsprozesse, die einer Veränderung<br />

eher hinderlich sind" (Kowalczyk/Zünkler 2011, 15) wurden leitfadengestützte<br />

Verfahrensabläufe sowie Moderationsregeln erarbeitet, die sowohl den Selbstbetrachtungs-<br />

und Reflexionsprozess als auch den gemeinsamen Analyse- und Rückmeldungsprozess<br />

steuern sollten.<br />

Diese Zielvorstellungen führten zur:<br />

• <strong>Entwicklung</strong> eines Instruments zur Erfassung kriteriengeleiteter Beobachtungskategorien,<br />

• <strong>Entwicklung</strong> <strong>von</strong> Leitfäden zur zielgerichteten (Selbst-)Beobachtung und Reflexion,<br />

• <strong>Entwicklung</strong> <strong>von</strong> Moderationsregeln I Klärung der Moderatorenkompetenzen<br />

• Festlegung eines klaren Ablaufs.<br />

Insgesamt besteht das Konzept aus 5 Schritten, die einen an möglichst konkreten Fragestellungen<br />

orientierten Beobachtungs- und Analyseprozess anregen. Das Verfahren<br />

lässt sich für verschiedene Bereiche anwenden: Die individuelle <strong>Entwicklung</strong>, Unterrichts-<br />

und sogar Schulentwicklung, wenn sich z. B. ein Kollegium (oderTeilkollegium)<br />

zur Umsetzung bestimmter Veränderungen in der Unterrichtsgestaltung der Methode<br />

als Analyse- und Kommunikationsmedium bedient.<br />

3.1 Vorstellung des Ablaufs der Video(selbst)analyse<br />

Im Folgenden wird der Ablauf vorgestellt, wie er im Referendariat denkbar wäre. Entsprechend<br />

den Zielgruppen verändern sich die Themen und in Details auch das Verfahren<br />

in den SchrittenA, BundE. Der Kern des Verfahrens, C und D, sollte aberfür eine<br />

effiziente Umsetzung zunächst wie vorgesehen <strong>durch</strong>geführt werden. Ist eine Gruppe<br />

erfahren in der Arbeit mit der Video(selbst)analyse, kann sie individuell und nach ihren<br />

1<br />

Das Verfahren wurde <strong>von</strong> der Autorin entwickelt und in mehreren Test<strong>durch</strong>läufen mit Lehramtsstudierenden,<br />

Referendar/innen und Unterrichtsentwicklungsmoderator linnen des LISin Bremen überprüft, evaluiert<br />

und verbessert. Mit der Unterstützung Letzterer wurde ein Leitfaden für Ausbilder/innen zusammengestellt<br />

(s. Literaturverzeichnis).<br />

54<br />

Seminar 2/2012


•<br />

<strong>Handlungskompetenzen</strong> <strong>durch</strong> <strong>Videoanalyse</strong> 1111141'<br />

zeitlichen Bedingungen entscheiden, ob eine Reduktion einzelner Schritte möglich und<br />

sinnvoll ist.<br />

AVorbesprechunq.<br />

E Festlegung weiterer<br />

Schritte<br />

/<br />

J<br />

------------- -..<br />

l<br />

B Filma~tion im.<br />

Unterricht<br />

\<br />

.r ·-------------··-....<br />

I . .<br />

I Video(sel~st)Analyse i<br />

,-·-----_____ .,:____"""'<br />

c<br />

Selbstbeobachtungs­<br />

Reflexion<br />

Abb. 1<br />

A. Vorbesprechung im Studienseminar<br />

Das Verfahren wird in der Seminargruppe vorgestellt und das Interesse bzw. der Bedarf<br />

in Bezug auf die Bearbeitung inhaltlicher Themenschwerpunkte und Fragestellungen<br />

werden geklärt. 2 Mit einer Festlegung <strong>von</strong> Präferenzthemen werden zugleich erste<br />

Beobachtungskategorien, nach denen später die Analyse vorgenommen wird, erarbeitet:<br />

Unter welchen Beobachtungsschwerpunkte sollen die Videos später analysiert<br />

werden<br />

Hierwird bereits deutlich: Hat die Gruppe ein gemeinsames Anliegen Wo sind implizite<br />

Bedürfnisse und Fragen versteckt, die erst im Gespräch hervorgeholt werden<br />

Ein Beispiel soll die Auswahl einer Beobachtungskategorie verdeutlichen: Der Referendar<br />

Lutz stellt fest, dass einige seiner Schüler/innen seinen Arbeitsanweisungen<br />

nicht nachkommen und seine Ermahnungen nicht ernst nehmen. Er fühlt sich zunehmend<br />

in seiner Lehrerrolle verunsichert und möchte verstehen, was "schief läuft". Als<br />

Vorschlag kommt aus der Seminargruppe, seine körpersprachlichen Signale näher in<br />

den Blick zu nehmen und auf die Formulierungen zu achten, die Lutz verwendet. Lutz<br />

entscheidet sich für das Beobachtungsthema "Autorität/Standing" mit den Unterkategorien<br />

"Präsenz" und "Durchsetzungsfähigkeit". Als Kriterien hierfür werden "Raum-<br />

2<br />

Sofern Bedenken einzelner Seminarteilnehmerlinnen vorhanden sind und sich niemand für eine <strong>Videoanalyse</strong><br />

zur Verfügung stellt, gibt es die Möglichkeit, erst einmal fremdes Videomaterial zu analysieren (in<br />

einzelnen Fällen war das der Unterricht des Ausbilders).<br />

55<br />

Seminar 2/2012<br />

, ,


''"131'<br />

<strong>Handlungskompetenzen</strong> <strong>durch</strong> <strong>Videoanalyse</strong><br />

verhalten bzw. Nähe-Distanz zu den Schüler/innen" und "Körpersprache" und zum<br />

anderen "Stimme" und "Formulierung <strong>von</strong> Arbeitsaufträgen" festgelegt.<br />

Themenvorschläge sollten, auch wenn sie zu Beginn festgelegt wurden, immer wieder<br />

neu abgesprochen werden und sich am jeweils aktuellen Bedarf der Teilnehmer/innen<br />

orientieren. Es ist möglich, zusätzlich Themen des Ausbildungscurriculums, z. B. die<br />

Umsetzung kooperativer Lernformen, als gemeinsames Analysethema in einem passenden<br />

Zeitraum auszuwählen (vgl. Varianten des Einsatzes).<br />

In der Vorbereitungsphase werden weiterhin die Beteiligungen festgelegt: Wer lässt sich<br />

filmen Wer filmt Wer hospitiert Hierfür wird teilweise eine längere Planungszeit<br />

benötigt .<br />

B. Filmen einer Unterrichtssequenz<br />

Vor dem Filmtermin bedarf es der Organisation in der Schule und des Equipments<br />

(Video-Kamera, Stativ, Absprache mit der Schulleitung 3 und ggf. mit den Eltern). Eine<br />

Unterrichtsstunde bzw. -sequenz wird, falls die Kapazität dafür vorhanden ist, <strong>von</strong> Mitreferendar/innen<br />

oder <strong>von</strong> der Seminarleitung hospitiert und gefilmt. Manche Teilnehmer/innen<br />

helfen sich mit einem Stativ und lassen die Kamera einfach laufen. In Einzelfällen<br />

hat ein älterer Schüler oder ein Schulkollege gefilmt. An dieser Stelle entscheidet<br />

sich die Qualität der Videos, die für die Bearbeitung wesentlich ist. Es muss also Sorge<br />

dafür getragen werden, dass <strong>von</strong> der technischen Seite her (Bildschärfe, "ruhige<br />

Hand") und <strong>von</strong> der Festlegung des Ausschnitts (Wechsel zwischen Portraitausschnitt<br />

Lehrer/in und Interaktionspartner linnen) eine gute Aufnahme gewährleistet ist.<br />

Waren Seminarmitglieder im Unterricht anwesend, erfolgt im Anschluss an den Filmtermin<br />

kein inhaltlich fundiertes Feedback zum Unterricht, da dieser zunächst auf der<br />

Innenwahrnehmungsebene <strong>von</strong> den gefilmten Akteur/innen reflektiert und schriftlich<br />

dokumentiert werden soll. Es ist also wichtig, dass keine Beeinflussung <strong>durch</strong> Fremdwahrnehmung<br />

geschieht, sondern die Gefilmten die erlebte Situation, z. B. mithilfe des<br />

im nächsten Schritt beschriebenen Verfahrens, auf der Basis der Selbstwahrnehmung<br />

ihres eigenen Handeins und Erlebensund der Reaktionen ihrer Interaktionspartner/<br />

innen rekonstruieren.<br />

C. Selbstbeobachtungs-Reflexion und Auswahl der Sequenz<br />

Nach der gefilmten Situation werden Selbstbeobachtungs-Reflexionen <strong>von</strong> den<br />

Gefilmten verfasst, die den Perspektivenwechsel <strong>von</strong> der Innenwahrnehmung zur<br />

Außenwahrnehmung begleiten sollen. Diese Form der Schreibreflexion hat sich<br />

bewährt und sollte <strong>von</strong> der Seminarleitung eingefordert werden. Allein die Verbalisierung<br />

<strong>von</strong> Gedanken und Schlüsselmomenten in ausgewählten Sequenzen und die<br />

Selbstbeobachtung der eigenen Verhaltensweisen erleichtern die Wahrnehmung <strong>von</strong><br />

Unterschieden in der Außenwirkung, die später über das Video zu beobachten ist (vgl.<br />

"reflection-in-action" und "reflection-on-action", Schön 1987)<br />

3<br />

Aus rechtlichen Gründen braucht es eine vorherige Absprache mit der Schulleitung mit dem Hinweis, dass<br />

das Material nur für Ausbildungszwecke gesammelt wird.<br />

56<br />

Seminar 2/2012


<strong>Handlungskompetenzen</strong> <strong>durch</strong> <strong>Videoanalyse</strong><br />

liiiiijH<br />

Leitfaden zur Selbstbeobachtungs-Reflexion<br />

1. Warum habe ich diese Fragestellung gewählt, was bedeutet das Thema für mich<br />

(Gab es konkrete Anlässe für die Auswahl) Welche <strong>Entwicklung</strong>schancen sehe ich in<br />

dem Thema, welche Erkenntnisse erhoffe ich mir<br />

2. Wie war mein Gefühl/meine Vorbereitung/meine Beziehung zur Gruppe am Tag der<br />

Videoaufnahme<br />

3. Wie ist die Situation abgelaufen Mein Verhalten/das der Anderen<br />

4. Was habe ich gezielt zum guten Gelingen eingesetzt (z. B. bestimmte Methoden/nonverbales<br />

Verhalten/Medien etc.)<br />

5. Wie schätze ich im Nachhinein den Erfolg/die Bewältigung der Situation ein<br />

6. Welche Kritik/welches Lob habe ich für mich Was würde ich genauso wiederholen,<br />

was will ich noch verbessern<br />

Nach der Selbstbeobachtungs-Reflexion wird der später in der Gruppe zu analysierende<br />

Videoausschnitt ausgewählt. Entweder sucht die gefilmte Person selbst den Ausschnitt<br />

( ca. 3-5 Minuten aus) oder übergibt das Material mit Hinweis auf bedeutungsvolle<br />

Sequenzen an die Seminarleitung. Diese sucht den Ausschnitt aus und stellt die<br />

Analysebögen (s . u.) entsprechend den ausgewählten Beobachtungskriterien zusammen.<br />

Wenn möglich, macht die Seminarleitung eine Voranalyse entlang der Kategorien,<br />

um sich dann während des Seminars auf die Moderatorenrolle konzentrieren zu<br />

können.<br />

Sofern sich der Referendar bzw. die Referendarin ihr Video schon angeschaut hat, ist es<br />

sinnvoll, die ersten Eindrücke beim Perspektivenwechsel zu notieren.<br />

D. Die Videoselbstanalyse in der Seminargruppe<br />

.!·<br />

. ,.<br />

Zu Beginn des Treffens werden die Beobachtungskriterien in Erinnerung gerufen und<br />

Indikatoren für deren Ausprägung formuliert. Hierfür kann das Thema im Vorfeld<br />

(nach der Festlegung <strong>von</strong> Themep., die für die Teilnehmer/innen relevant sind) <strong>von</strong><br />

Kleingruppen literaturgestützt aufbereitet werden, sodass es zunächst einen theoretischen<br />

Input gibt und die Gruppe auf dieser Grundlage die Kriterien und Indikatoren<br />

festlegt 4 .<br />

Schritt 1: <strong>Videoanalyse</strong> nach subjektiver Empfmdung<br />

Die gefilmte Person gibt Kontextinformationen zur Unterrichtssequenz (Lerngruppe,<br />

Thema, Phase, vorangegangene Vorfälle). Anschließend wird der Videoausschnitt<br />

(max. 5 Min.) zum ersten Mal angeschaut. Die Teilnehmerlinnen und die gefilmte Person<br />

verfassen anschließend einen Text, in dem der unmittelbare erste Eindruck festgehalten<br />

wird. Es hat sich bewährt, dass die Fremdbeobachterlinnen ihre Beobachtungen<br />

in einer Briefform verfassen, da hier<strong>durch</strong> wertschätzende Formulierungen gefördert<br />

werden.<br />

4<br />

Ein solches Vorgehen hat sich in einem Masterseminar mit Lehramtsstudierenden bewährt. Die Seminarzeit<br />

umfasste pro Sitzung drei Zeitstunden.<br />

57<br />

Seminar 2/2012


'"''*''<br />

Aufgabe: Bitte schreiben Sie an die gefilmte Referendarin bzw. den gefilmten Referendar<br />

<strong>Handlungskompetenzen</strong> <strong>durch</strong> <strong>Videoanalyse</strong><br />

einen Brief, in dem Sie ihr/ihm mitteilen, was Sie beim Betrachtet der Unterrichtssequenz<br />

empfunden haben, was Sie wahrgenommen haben und welche Gedanken Ihnen<br />

<strong>durch</strong> den Kopf gingen.<br />

LiebeLena/Lieber Hans, als ich deinen Unterrichtsausschnitt gesehen habe, ...<br />

Bearbeitungszeit 5 Minuten<br />

Diese Art der <strong>Videoanalyse</strong> erlaubt den Teilnehmer/innen spontan ihre unmittelbaren<br />

subjektiven Eindrücke zu verbalisieren und zu verarbeiten. Würde man sofort mit einer<br />

kriteriengeleiteten fokussierten Analyse beginnen, hätten es die Beobachter/innen<br />

schwerer, sich darauf zu konzentrieren. Zudem lernen sie hierüber, Bewertungen oder<br />

Interpretationen als Ich-Botschaften zu formulieren. Die Seminarleitung fordert einige<br />

Teilnehmer/innen auf, ihre Briefe vorzulesen. Es entsteht ein Puzzle an Eindrücken<br />

und Gefühlen, die <strong>durch</strong>aus divergent sein können.<br />

Beispiel aus einem Workshop mit Seminarleiter linnen: Brief an Renate<br />

"Liebe Renate, du bist eine freundliche Lehrerin, ich empfinde dich aber als sehr hektisch<br />

. Erst dachte ich: die will aber überkorrekt sein, aber dann habe ich überlegt, ob du<br />

vielleicht auch sehr unsicher bist. Deine Lernenden waren erstaunlich ruhig, obwohl du<br />

lange für die Organisation gebraucht hast ... "<br />

"Liebe Renate, als ich gesehen habe, wie du diese verpackten Sachen zurechtgestellt<br />

hast, wurde ich ganz neugierig und gespannt, was wohl heute kommt[ .. . ]. Deine Vorbereitungen,<br />

alles zurecht zu legen, hat mir gezeigt, dass du wohl für dich sorgst und<br />

Arbeitsordnung schaffst, bevor es losgeht."<br />

Liebe Renate, als ich Ihren Unterrichtsausschnitt gesehen habe, bin ich selbst eher unruhig,<br />

um nicht zu sagen, nervös geworden, und das geht bei mir normalerweise nicht so<br />

schnell. Ich habe mich gefragt: um was geht's da überhaupt Was will sie ... "<br />

2. Schritt: Analyse der einzelnen Sequenzen nach den Beobachtungskriterien<br />

Im nächsten Schritt lernen die Beobachter/innen Beobachtungen phänomenologisch<br />

zu beschreiben, sodass jede Wertung und Deutung auf der Basis tatsächlichen<br />

beobachtbarer Handlungen und Interaktionen begründet ist. Das verhindert eine rein<br />

subjektiv-biographisch geprägte Interpretation vom Standort des Betrachters aus, die<br />

der gefilmten Person zur <strong>Entwicklung</strong> <strong>von</strong> Handlungsoptionen wenig dienlich ist.<br />

In der Regel wird ein Video nach 3-4 Kriterien analysiert. Die zuvor abgesprochenen<br />

und theoretisch aufbereiteten Beobachtungskriterien werden auf die Teilnehmerinnen<br />

verteilt, so dass jede/r nur einen Beobachtungsfokus in der nun folgenden Sequenzanalyse<br />

hat. Für die Protokollierung der Beobachtungen werden Beobachtungsbögen<br />

(s. u.) ausgeteilt. Die gefilmte Person sucht sich entweder ein Thema aus oder notiert<br />

sich spontane Einfälle nach jeder Sequenz. Die <strong>Videoanalyse</strong> folgt in der Regel Minutensequenzen<br />

(in Einzelfällen bieten sich Handlungsverläufe an). Im Anschluss an jede<br />

geschaute Sequenz notieren sich die Beobachter/innen, was sie gesehen haben, wobei<br />

ihnen die Indikatoren als Anhaltspunkte dienen sollen.<br />

1.1<br />

58<br />

Seminar 2/2012


<strong>Handlungskompetenzen</strong> <strong>durch</strong> <strong>Videoanalyse</strong><br />

Kriterium: Konsequentes Handeln Situation: Name des/der Referentln:<br />

Sequenz<br />

1.<br />

2.<br />

3.<br />

4.<br />

Resümee:<br />

Wurde nicht versucht zu erreichen/wurde erreicht <strong>durch</strong><br />

(Indikatoren: z. B. Erfüllen und konsequentes Durchhalten <strong>von</strong> Ankündigungen,<br />

klare Disziplinierung, klare Regeln mit vorhersehbaren Verläufen etc. (z. B. Intonation,<br />

die Klarheit zeigt; "Ich habe euch gewarnt und jetzt ... "; "Ich habe es<br />

angekündigt und nun .. . ", zielgerichtetes Körperverhalten etc.)<br />

3. Schritt: Besprechung in Teams -Zusammenfassung der Beobachtungen<br />

Nach der Protokollierung zur letzten Sequenz tauschen sich die Teilnehmer/innen, die<br />

die gleichen Beobachtungskriterien hatten, in Kleingruppen aus (ca. 10-15 Minuten)<br />

und erstellen eine Zusammenfassung, die sie im Resümeefeld notieren. Dieses Vorgehen<br />

führt die Beobachtungen der unterschiedlichen Beobachter/innen zusammen, was<br />

Wiederholungen bei der anschließenden Rückmelderunde verhindert und eine straffe<br />

und zielführende Diskussion ermöglicht.<br />

4. Schritt: Auswertung der Beobachtungen und Rückmeldung<br />

an den/ die Gefilmtein<br />

Bei der Besprechung in der Seminargruppe, dem nächsten Schritt in der Analyse , stehen<br />

die Kriterien im Mittelpunkt. Es wird, wie oben erwähnt, phänomenologisch<br />

beschrieben, d. h. alle Behauptungen müssen an beobachtbaren Signalen begründet<br />

sein. Z.B.: "Du hast in der 4. Sequenz drei Mal den gleichen Schüler ermahnt" oder<br />

"deine Gestik ist in der ersten Sequenz sehr zurückhaltend und wird dann im Laufe der<br />

Sequenzen größer." Ebenso werden Beobachtungen über Schülerreaktionen zurückgemeldet:<br />

Z .B .: "Der ermahnte Schüler hat sich nach der Zurechtweisung nicht mehr<br />

beteiligt und aus dem Fenster geschaut" oder "es wurde unruhiger und lauter in den<br />

Sequenzen 3 bis 5".<br />

Unter Hinzunahme der Selbsteinschätzung der Gefilmten können diese beobachteten<br />

Phänomene auf ihre Ursachen untersucht und Wirkungszusammenhänge diskutiert<br />

werden. Auch hierbei ist wieder die subjektive Formulierung gefragt, die der Moderator<br />

konsequent anregen sollte. Z . B. "Ich kann mir vorstellen, dass deine vielen Gesten<br />

und Bewegungen vom Inhalt abgelenkt haben und die Schüler/innen deshalb unruhiger<br />

wurden" oder "aus eigener Erfahrung weiß ich, wie verletzt Schüler/innen reagieren<br />

können, wenn man sie mehrmals vor der Klasse ermahnt." Auf diese Weise zu kommunizieren,<br />

lässt der gefilmten Person den Raum die Kommentare der anderen als Anregungen<br />

zu verstehen und nicht als Kritik oder Weisungen.<br />

59<br />

Seminar 2/2012<br />

,'t'


<strong>Handlungskompetenzen</strong> <strong>durch</strong> <strong>Videoanalyse</strong><br />

Nach den auf der deskriptiven Ebene angesiedelten Rückmeldungen versucht die<br />

Seminargruppe mit Unterstützung der Seminarleitung Muster und Strukturen auszumachen,<br />

die sich in den Handlungen in allen Beobachtungskriterien zeigen. Das kann<br />

erkennbar widersprüchliches Verhalten sein, z. B. Inkongruenz <strong>von</strong> Körpersprache und<br />

Verbalsprache, ein Wechselspiel <strong>von</strong> Kontakt und Kontaktabbruch, Unsicherheiten in<br />

der Lehrerrolle o. Ä .<br />

E . Festlegung weiterer Schritte<br />

Am Schluss hat die/ der Gefilmte die Aufgabe, die Beobachtungen und Meinungen<br />

zusammenzufassen und <strong>Entwicklung</strong>sthemen herauszuarbeiten. Er oder sie formuliert<br />

eine erste Zielstellung, bei deren Konkretisierung die Gruppe helfen kann. Die Arbeit<br />

an <strong>Entwicklung</strong>saufgaben ist bindend und wird nach einer vorher festgelegten Zeitspanne<br />

erneut im Seminar bearbeitet. Das kann entweder <strong>durch</strong> einen Bericht, der sich<br />

auf eventuelle Veränderungen und <strong>Entwicklung</strong>en bezieht, oder <strong>durch</strong> eine erneute<br />

Video( selbst )analyse vorgenommen werden.<br />

Hinweise zu Moderation und Kommunikationsverläufen<br />

In einer Gruppenanalysesituation ist eine gute Moderation Kernfaktor für das Gelingen<br />

der Sitzung und den Lernerfolg, der damit angestrebt wird.<br />

Dabei steht einmal das Bewusstsein für die Subjektivität <strong>von</strong> Wahrnehmungen aller<br />

Teilnehmerlinnen im Vordergrund. Dieser wird Rechnung getragen, indem alle Kommentare<br />

als Ich-Botschaften formuliert sind und das eigene Empfinden ausgedrückt<br />

wird. Z .B .: "Ich empfinde deine Gestik als angenehm/unangenehm, weil .. . "oder<br />

"Mir geht es beim Betrachten dieser Sequenz nicht so gut, weil ... " oder "mir kommt es<br />

hier so vor als ob . .. " . Diese Art der Formulierungen ist nach dem ersten Betrachten<br />

des Gesamtausschnitts vom Moderator konsequent einzufordern, da es sich hierbei<br />

noch nicht um eine kriteriengeleitete Analyse handelt. Es muss allen Beteiligten klar<br />

sein, dass sie hier auf der Grundlage ihrer subjektiven Empfindungen <strong>von</strong> Handlungsund<br />

Interaktionsprozessen argumentieren. Während der kriteriengeleiteten Sequenzanalyse<br />

ist es wichtig, dass die Modenitor/innen auf die Beschreibung <strong>von</strong> beobachtbaren<br />

Indikatoren, die als Begründung für bestimmte Wirkungen herangezogen werden,<br />

bestehen.<br />

4. <strong>Entwicklung</strong>s- und Lernmöglichkeiten <strong>durch</strong> das Verfahren der<br />

Video(selbst)analyse - eine Zusammenfassung<br />

Lernmöglichkeiten für Referendarinnen und Referendare<br />

Die Video(selbst)analyse ermöglicht den Gefilmten einen Perspektivenwechsel auf<br />

drei Ebenen: Innenwahrnehmung, Außenwahrnehmung und Fremdwahrnehmung.<br />

Durch die oftmals zeitliche Verzögerung zwischen Aktion und <strong>Videoanalyse</strong> erhält die<br />

Situation einen anderen Stellenwert: die eigene emotionale Involviertheit ist geringer<br />

(vgl. Weiser 2005) und demnach die Distanzierungsfähigkeit zum eigenen H andeln größer,<br />

als in einer direkten Nachbesprechung wie sie nach den Unterrichtsbesuchen <strong>durch</strong><br />

die Seminarleiterlinnen üblich ist.<br />

60<br />

Seminar 2/2012


<strong>Handlungskompetenzen</strong> <strong>durch</strong> <strong>Videoanalyse</strong><br />

Die Referendar/innen lernen, ihr inneres Erleben mit der äußeren Handlungsbeobachtung<br />

zu vergleichen. Die Dokumentation des unmittelbaren Eindrucks aus ihrem<br />

Unterricht mithilfe der Selbstbeobachtungs-Reflexion ist ein wesentliches Mittel für<br />

die Gegenüberstellung. Führen sie diesen Zweischritt häufiger <strong>durch</strong>, wird ihre Selbstwahrnehmung<br />

zuverlässiger. Es ~ntsteht ein erhöhte~ Kontrollempfinden, das gerade<br />

bei Berufseinsteigerlinnen zur stärker reflexiv-distanzierten Haltung und damit zu<br />

Gelassenheit i~nerhalb problematischer Situationen führen kann. Diese Sicherheit bietet<br />

eine größere Wahrscheinlichkeit für Kompetenzentwicklung, als es bei einer geringeren<br />

Selbstwahrnehmung und Distanzierung der Fall ist.<br />

Darüber hinaus loten die Gefilmten ihr Selbstbild im Kontakt mit der Fremdwahrnehmung<br />

<strong>durch</strong> die Beobachterlinnen aus. Bei einer Übereinstimmung, so Weiser (2005,<br />

32), erfahren sie eine Bestätigung ihrer Selbsteinschätzung und erleben Authentizität,<br />

was sie, wie oben beschrieben, selbstbewusster im wahren Sinne des Wortes werden<br />

lässt. Bei Diskrepanzen kann es zur Abkehr vom eigenen Selbstbild oder aber zur<br />

Erweiterung der Selbstsicht auf das eigene Handeln und dessen Wirkungen kommen.<br />

In solchen Fällen ist die Unterstützung der Seminarleitung besonders bedeutsam.<br />

Einsatz in der Seminararbeit<br />

Nachdem viel über das konkrete Verfahren berichtet wurde, sollen einige Überlegungen<br />

zum Einsatz in der Seminararbeit, darunter Anregungen <strong>von</strong> Seminarleiterlinnen<br />

aus einem Workshop im LI in Harnburg (20i2), vorgestellt werden. Generell besteht<br />

Einigkeit darin, dass die Themen der Video(selbst)analyse individuellen Fragestellungen<br />

und Anliegen der Referendar/innen entsprechen müssen, wenn sie wirksam für<br />

ihre Professionalisierung sein sollen. Dennoch kann es verschiedene Formen der Einbettung<br />

geben, die den jeweiligen zeitlichen Möglichkeiten angepasst sind.<br />

Bei der ersten Variante steht die Video(selbst)analyse außerhalb des Seminars. Sie wird<br />

lediglich als ein die Unterrichtsbesuche unterstützendes Medium zur Nachbesprechung<br />

und Reflexion über bedeutungsvolle Unterrichtssequenzen genutzt. Das können Beratungen<br />

<strong>durch</strong> die Seminarleitungen; aber auch <strong>durch</strong> Mentor/innen sein. Das Verfahren<br />

wird hierfür gewöhnlich stark reduziert. Bei diesem Verfahren fließen Erfahrungen und<br />

Erkenntnisse der Referendar/innen <strong>durch</strong> ihre Selbstanalyse in die Seminararbeit mit<br />

ein, es sind zunächst keine gemeinsamen Analysen vorgesehen, wenngleich das Material<br />

zur Veranschaulichung bestimmter Themen im Seminar eingesetzt werden kann.<br />

Umgekehrt werden die Teilnehmer/innen <strong>durch</strong> Seminarthemen angeregt, bestimmte<br />

Beobachtungskategorien im videografierten, hospitierten Unterricht zu fokussieren.<br />

Die zweite Vaiiante verknüpft die Video(selbst)analyse und die Seminararbeit unmittelbar<br />

miteinander in einem reziproken Verhältnis: Themen aus dem Seminar werden<br />

systematisch theoretisch aufbereitet und anschließend in mehreren Videos <strong>von</strong> Referendar/innen<br />

beobachtet und analysiert. Damit dient die theoretische Vorbereitung der<br />

Kategoriensetzung, die einen empirischen Zugang zu Seminarthemen ermöglicht.<br />

Umgekehrt können Beobachtungen aus der Video(selbst)analyse und Fragen, die sich<br />

in der videogestützten Unterrichtsbeobachtung ergeben, zur thematischen Gestaltung<br />

<strong>von</strong> Seminarsitzungen dienen. Hier werden die Themen aus Unterrichtssequenzen<br />

anschließend am theoretischen Material aufbereitet und vertieft. Ergebnisse bzw. Produkte<br />

dieses Zusammenspiels könnten in das Portfolio,in Staatsexamensarbeiten o . ä.<br />

Prüfungsleistungen eingearbeitet werden.<br />

61<br />

Seminar 2/2012


l iiii\Jii<br />

<strong>Handlungskompetenzen</strong> <strong>durch</strong> <strong>Videoanalyse</strong><br />

Die dritte Variante dient v. a. der individuellen Bearbeitung <strong>von</strong> Anliegen und Themen<br />

nach dem hier ausführlich darstellten Verfahren der Video(selbst)analyse in Seminargruppen.<br />

Voraussetzung hierfür sind regelmäßige und häufige Seminarsitzungen in<br />

einem zeitlichen Umfang, der den zunächst aufwändigen, dann aber sehr effektiven<br />

Einsatz der Methode erlaubt.<br />

Rückmeldungen <strong>von</strong> Teilnehmer/innen:<br />

Zwar erfolgte bisher noch keine breite systematische Evaluation der diversen Gruppen,<br />

die mit Video(selbst)analyse gearbeitet haben. Die Befragungen, die <strong>durch</strong>geführt<br />

wurden, weisen aber auf die hohe Akzeptanz des Mediums Video, insbesondere auf den<br />

Nutzen derVideo(selbst)analyse hin. Ich beschränke mich im Folgenden aufAussagen<br />

einer kleinen Gruppe <strong>von</strong> Referendar/innen aus Bremen (N = 6) .<br />

Das Medium Video zur Selbstüberprüfung wurde <strong>von</strong> den Befragten als "sehr gute<br />

Methode bezüglich Selbstüberprüfung", als "wunderbare Möglichkeit sich zu beobachten,<br />

die eigene Wirkung zu sehen" bezeichnet. Diese Selbstbetrachtung ermögliche<br />

unabhängiger als <strong>durch</strong> Rückmeldungen <strong>von</strong> Seiten der Ausbilder/innen, sich eine<br />

"eigene Meinung [zu] bilden" und "Änderungen zu verfolgen". Die Video(selbst)analyse<br />

"sorgt für Transparenz" und ermöglicht "eine bessere Reflexion als nur über<br />

Worte" und ergibt ein "subjektiv-objektives Bild <strong>von</strong> der Situation". Obwohl sie so<br />

umfangreich ist, wird sie als "einfach <strong>durch</strong>führbar" bezeichnet und entlastet <strong>durch</strong> die<br />

Anwesenheit einer "Kamera" anstelle eines Besuchers. Zudem wird den "Rückmeldungen<br />

der vielen Beobachter eine ganz andere Qualität" zugesprochen, da die<br />

Akteur/innen die Situation, über die geredet wird, selbst sehen können. "Man hospitiert<br />

quasi im eigenen Unterricht" .<br />

Gefragt nach den Anregungen aus der Video( selbst )analyse-Sitzung werden die "vielen<br />

positiven Aspekte" hervorgehoben, die die Kolleg/innen benannt haben, und es wird<br />

auf die Anregungen <strong>durch</strong> die Videos der anderen hingewiesen. Die Erkenntnis, wo<br />

Veränderungswürdiges liegt, kann <strong>von</strong> den Befragten verbalisiert werden, da die Anregungen<br />

für die Gefilmten greifbar wurden: "Gar keine Zwischenrufe mehr akzeptieren",<br />

"Umgang der anderen Kolleg/innen mit Disziplinproblemen", "Mehr Zeit lassen<br />

für das Selber-denken-lassen der SUS", "klare Ansagen machen, sowohl inhaltlich als<br />

auch bei Störungen", "weniger reden, mehr Schüleraktion".<br />

Der Wunsch, dieses Verfahren auch in der späteren Berufstätigkeit zu wiederholen,<br />

wird mehrfach ausgesprochen. Auch wenn der "zeitliche Aufwand für Nachbesprechungen"<br />

<strong>durch</strong> das Videoverfahren "deutlich ansteigen" würde, sehen die Referendar/<br />

innen einen Mehrwert, wenn das Medium im Gruppenanalyseverfahren hinzugenommen<br />

wird.<br />

Abschließend kann festgehalten werden, dass es wünschenswert wäre, wenn Ausbilder/<br />

innen nach Gelegenheiten Ausschau hielten, um <strong>Videoanalyse</strong>n als zusätzliche Reflexionsquelle<br />

im Rahmen ihrer Seminararbeit und für Unterrichtsnachbesprechungen einzusetzen.<br />

Eine Zeitersparnis, die dann videogestützten Beratungen zu Gute kommt,<br />

kann <strong>durch</strong> die Verringerung <strong>von</strong> Hospitationen vor Ort in den Ausbildungsschulen<br />

bewirkt werden. Zudem kann eine stärkere Verbindung <strong>von</strong> Pflichtthemen und deren<br />

Auftreten im Ausbildungsunterricht zur Verknüpfung <strong>von</strong> Theorie und Praxis beitragen.<br />

62<br />

Seminar 2/2012


<strong>Handlungskompetenzen</strong> <strong>durch</strong> <strong>Videoanalyse</strong> 1111136<br />

Aus Forschersicht wäre es erstrebenswert, eine größer angelegte Befragung unter Referendar/innen<br />

vorzunehmen, um nachhaltige Lerneffekte und Auswirkungen auf die<br />

<strong>Entwicklung</strong> <strong>von</strong> <strong>Handlungskompetenzen</strong> überprüfen zu können.<br />

Literatur<br />

Dorlöchter, Heinz/Krüger, Ulrich/Stiller, Edwin/Wiebusch, Dieter: Schau in den Spiegel. Unterrichtsvideos<br />

im Vorbereitungsdienst. In: Journal für Lehrerinnenbildung. H . 2., Innsbruck: Studien Verlag 2005,<br />

s. 31-35.<br />

Helmke, Andreas & Helmke, Tuyet: Videogestützte Unterrichtsreflexion. In: Seminar H. 4, 2004, S. 48-66.<br />

Kosin::ir, Julia: Video(selbst)Analyse: Konzept, Methode und Instrument zur Selbstüberprüfung, Unterrichts-<br />

und Schulentwicklung. 2008.<br />

URL: http: I /www.koerperkompetenzen. de/JK_ Videoselbstanalyse-Leitfaden. pdf<br />

(Zugriff am 14.05.2012]<br />

Kosin:h, Julia: Selbststärkung im Lehrberuf. Individuelle und kontextuelle Bedingungen für die Anwendung<br />

körperbasierteT Selbstregulation. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren 2007.<br />

Kowalczyk, Walter/Zünkler, Kirsten: Lehrer, die (keine) Schwierigkeiten machen. Wie man sein eigenes<br />

"Störungsverhalten" kontrollieren kann. In: PÄDAGOGIK, H. 11,2011, S. 12-15.<br />

Reusser, Kurt: Situiertes Lernen mit Unterrichtsvideos. Unterrichtsvideografie als Medium des situierten<br />

beruflichen Lernens. In: Journal für Lehrerinnenbildung. H . 2., Innsbruck: Studien Verlag 2005,<br />

S. 8-18.<br />

Schön, Donald: Educating the Reflective Practitioner. San Francisco: J ossey-Bass 1987.<br />

Weiser, Bernhard: Vom Skilltraining zum Videoportfolio. In: Journal für Lehrerinnenbildung. H. 2., Innsbruck:<br />

Studien Verlag 2005 , S. 36-43.<br />

Dr. Julia Kosinar<br />

Wissenschaftliche Assistentin an der Universität Bremen im Fachbereich Erziehungswissenschaften,<br />

Lehreraus- und Fortbildung in den Bereichen: Ganzheitliche Stressprävention,<br />

Körperkompetenzen und <strong>Videoanalyse</strong>. Aktuelles Forschungsprojekt:<br />

Professionalisierung im Referendariat<br />

jkosinar@uni-bremen. de, www.koerperkompetenz~n. de<br />

63<br />

Seminar 2/2012

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