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bls_heft2_2008 Kompetenzorientierung.pdf - Studienseminar ...

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Heft 2, Januar <strong>2008</strong>InhaltsverzeichnisVorwort 3Kompetenzorientiertes UnterrichtenGanz auf Kompetenzen orientiert?Prof. Dr. Michael Kämper-van den Boogaart 6Zum Umgang mit dem Kompetenz-Begriff Jörg Kayser 10Rahmen(Lehr)pläne im Wandel der Zeit Harald Mier 17Helfen Rahmenlehrpläne kompetenzorientiert zu unterrichten?Klaus Meister, Jens Kühne 21Des Kaisers neue Kleider? (Geschichte, Sozialkunde, Politikwissenschaften)Karin Rohrlack 25Lernziel: Kompetenzen (Mathematik) Ingrid Stampe 27Die Kunst und die Kompetenzen – die Kompetenzen und die KunstHans-Carl Weber 32Konkrete Utopie? oder Von der (Un)Möglichkeit einer kompetenzorientiertenMusiklehrerausbildung Uwe Kany 35Kompetenzraster als Unterrichtshilfe Verena Jatsch 42Kompetenzerwerb in der Lehrerbildung (BAK-Tagung, Speyer)Roswitha Kneer-Werner 49Vom trägen Wissen zum kompetenten Handeln (BAK-Tagung, Speyer)Hannelore Wücke 55Diagnostizieren, Fördern und Beurteilen. BAK-Fortbildung mit W. BauchBernd Knittel 57ForumQuo vadis? Zur Einstellungssituation der Lehramtsabsolventen im Jahr 2007 61Roswitha Kneer-WernerLehramtsanwärter/in sucht Schule Jens-Uve Wahner 63AufgeschnapptBetrieb Schule ……………………………………………...…… tsp 28.10.2007 65Nicht für das Leben, für die Schule lernen wir ………….…… FAZ 28.10.2007 69Ein ständiges Kommen und Gehen von Lehrern …………… tsp 8.11.2007 72Kultusminister sparen wieder bei Lehrern …………………… tsp 24.11.2007 73Mitteilungen Roswitha Kneer-Werner 751. Bewerbungs- und Vereidigungstermine/ Einführungsseminare2. Stellvertretende Seminarleiter – was ist das?3. Neue Schulpraktische Seminare4. Personalia5. Fachseminarleiter/ Fachseminarleiterin dringend gesucht6. Jour fixeBAK-Beitrittserklärung 79Impressum 2Hrsg.: Bundesarbeitskreis der Seminar- und Fachleiter/innen e.V., Landesgruppe Berlin


ImpressumHerausgeber:Bundesarbeitskreis der Seminar- und Fachleiter/innen e.V.,Landesgruppe Berlin; Bernd Knittel, Wilskistraße 9, 14169 BerlinVerantwortlich für diese Ausgabe:Herbert Böpple, 2. SPS Lichtenberg (S), Harnackstr. 25, 10365 BerlinRoswitha Kneer-Werner, 2. SPS Neukölln (S), Wildhüter Weg 5, 12353 BerlinRedaktionsmitglieder:Jens Kühne, 2. SPS Treptow-Köpenick (S)Klaus Meister, 3. SPS Mitte (L)Ingrid Stampe, 3. SPS Steglitz-Zehlendorf (L)Jens-Uve Wahner, 2. SPS Friedrichshain-Kreuzberg (S)Layout:Thomas Greeske, Rudolf-Virchow-OberschuleHerbert Böpple, 2. SPS Lichtenberg (S)Druck:Ernst Klett Verlag, StuttgartSeite 2


VorwortVorwort… lässt sein blaues Bandwieder flattern durch die Lüfte.Endlich erreicht! Die Drangsalierungdurch die klassische Lernzielorientierungist vorüber! Was Hilbert Meyervor 28 Jahren als Fleischwolf 1 karikierenließ, in dessen Abfallkübel „Kritikfähigkeit“,„Emanzipation“ und „Solidarität“landen, findet mit der <strong>Kompetenzorientierung</strong>ein Ende. Frühling istangesagt, blühende Bildungslandschaften…Aber die Geister scheiden sich: DieEinen hoffen, dass nun in Ausbildungund Unterricht das Erreichen vonLernzielen im Stundenrhythmus beikurzem Verfallsdatum passé und dasZeitalter kumulativen Wissenserwerbsmit Langzeitwirkung eingeläutet ist.Die Anderen vermuten lediglich neueDrangsal – jetzt in Form von kaumfassbaren Kompetenzen.Wir halten es angesichts dieser Kontroverse für vorteilhaft, dass wir das Heil nicht in derVergangenheit zu suchen brauchen. Zumindest nicht in der klassischen Lernzielorientierung,die – man erinnere sich – nicht geschätzt wurde und stets umstritten war. HilbertMeyer äußerte sich 1980 2 eindeutig: „Man kann mit der Bloomschen Lernzieltaxonomiezwar Fehler im methodischen Aufbau von Unterricht nachträglich aufweisen, man kanndamit aber nicht konstruktiv die Lernschritte im Unterricht festlegen!“ (S. 149) Er mutmaßtedamals: „Die Schulverwaltung und die Kultusministerien haben ein Interesse an der Lernzielorientierung,weil sie sich eine größere Transparenz und damit auch Kontrollierbarkeit1 Hilbert Meyer: Leitfaden zur Unterrichtsvorbereitung, Frankfurt am Main, 11. Auflage 1991, S. 150. (1. Aufl.1980).2 Hilbert Meyer veröffentlichte 2007 seinen komplett überarbeiteten „Leitfaden zur Unterrichtsvorbereitung“,und wir hoffen für die kommende Ausgabe auf einen Artikel, der den Wandel von der 1. Auflage 1980 zur 1.Auflage 2007 zum Thema hat.Seite 3


Vorwortvon Richtlinien- und Schulbuchentwicklung, von Lehrerfortbildung und -ausbildung versprechen.“(S. 161/162)Es muss allerdings auch daran erinnert werden, dass man sich zuletzt mit der Lernzielorientierunganfreunden konnte, weil man ihr all das abgerungen hatte, was die Theorie füreine weitgehend erfolgreiche Praxis hergab. Dazu zählte eine von außen kaum wahrgenommenefortschreitende Entwicklung innerhalb der Lehrerausbildung, die sich von derklassischen Bloomschen Lernzieltaxonomie weg bewegte, die die Lernenden und derenLernfortschritte in den Vordergrund stellte und sich in Richtung <strong>Kompetenzorientierung</strong>und Standards begab, ohne die Begriffe konkret zu verwenden, was auf Tagungen undVeranstaltungen „mit Erstaunen“ deutlich geworden ist.Dennoch: Die Chancen, dass man der <strong>Kompetenzorientierung</strong> für die Praxis noch mehrabgewinnen kann, stehen nicht schlecht. Lasst uns ringen! – Dafür müssen alle Befürchtungenund alle Hoffnungen auf den Tisch kommen. Dieses Ziel verfolgen wir mit diesemHeft zum Thema „Kompetenzorientiertes Unterrichten“.Mit den beiden ersten Beiträgen wird durch Prof. Dr. Kämper-van den Boogaart und HerrnKayser von der Senatsverwaltung die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem umstrittenenThema <strong>Kompetenzorientierung</strong> geführt. Im Weiteren werden der Wandel der Rahmenlehrpläne,ihre Schlüsselrolle für ein kompetenzorientiertes Unterrichten und die Auswirkungenauf einzelne Fächer dargestellt und geprüft. Praxisrelevante Tipps für die Nutzungvon Kompetenzrastern und Anregungen aus Vorträgen komplettieren die Beiträge zu diesemThema.Im „Forum“ wird ein erneuter Blick auf die anhaltende Abwanderung der Lehramtsanwärter/innengeworfen und den wachsenden Problemen einer Vielzahl von Seminarleiter/innenbei der Zuweisung von Lehramtsanwärtern an die Schulen auf den Grund gegangen.„Aufgeschnappt“ haben wir u. a. einen Zeitungsartikel Dr. Lühmanns, Schulleiter desHumboldt-Gymnasiums, da seine Kritik an einer vorrangigen Ausrichtung des „BetriebsSchule“ an ökonomischer Effizienz die Haltung vieler Kollegien auf den Punkt bringt. Dazuäußerte sich in der Folge auch Bildungssenator Zöllner in einem Leserbrief; nachzulesenim Tagesspiegel vom 18.11.2007. 3Beim Zeitungsartikel „Ein ständiges Kommen und Gehen von Lehrern“ mussten wir angesichtsunserer Themenstellung einfach auf- und zuschnappen: Schließlich sollten dieRahmenbedingungen einer Schule gewährleisten, dass Kompetenzen bei den Lernendengelegt werden. Da diese nur langfristig erworben werden, ist es notwendig, dass die Lehr-3 http://www.tagesspiegel.de/meinung/leserbriefe/Leserbriefe;art144,2422222Seite 4


Vorwortkräfte kontinuierlich ihre Arbeit ausführen können. Ein mehrfacher Wechsel der Lehrkräfteinnerhalb des Lernprozesses ist mit Sicherheit kontraproduktiv!Den Lesern wünschen wir, dass sie Anregungen und Gefallen finden an der Lektüre dieserArtikel aus Universität, Schule und Lehrerausbildung. Wir freuen uns an der Kontroverse,denn unserer Ansicht nach wäre es zum gegenwärtigen Zeitpunkt eher verdächtig alswünschenswert, wenn wir einstimmig verkünden würden:… ja du bist's!Dich hab ich vernommen!Mit freundlichen GrüßenRoswitha Kneer-WernerHerbert BöppleBerlin, Januar <strong>2008</strong>Seite 5


Kompetenzorientiertes UnterrichtenKompetenzorientiertes UnterrichtenGanz auf Kompetenzen orientiert?Ist man Wissenschaftler mit einem deutschdidaktischen Schwerpunkt, kommt man in diesenMonaten mit Themen wie „Mit der <strong>Kompetenzorientierung</strong> zu einem neuen Deutschunterricht?“gut durch die Lande. Ich jedenfalls habe in mehreren Bundesländern Plenarvorträgevor Lehrerinnen und Lehrern zu diesem Thema gehalten, wobei ich nicht sicherbin, ob die Anfragen zu ebendiesem Thema stärker das Interesse der veranstaltendenFortbildungseinrichtungen oder das der Lehrpersonen reflektierten. Im Rahmen dieserVeranstaltungen, aber auch bei anderen Gelegenheiten habe ich den Eindruck gewonnen,dass der Rede von den Kompetenzen möglicherweise eine Karriere droht, wie sie für vieleHochwertbegriffe charakteristisch ist. Umso frequenter solche Begriffe in Anspruch genommenwerden, um eigene Zielvorstellungen wirkungsvoll und semantisch korrekt in Anschlagzu bringen, desto rascher werden diese Begriffe semantisch ausgehöhlt, auf dieEigenschaft reduziert, Wünschenswertes zu konnotieren. Dies gilt insbesondere, wenn eseine Kluft gibt zwischen dem, was als Stand wissenschaftlicher Erkenntnis gelten kann,und dem, was Politik als Inszenierungsbedarf zum Thema Qualitätssteigerung registriert.Nichts zeigt dies drastischer als die Koexistenz von Klieme-Expertise und KMK-Bildungsstandards. Präparierten Kliemes Experten solche Desiderata heraus, die es erfolgreichzu bearbeiten gälte, um tatsächlich kompetenztheoretisch ausgewiesene Standardszu konstruieren, formulierten die KMK-Kommissionen gleichzeitig Standardsetzungenin einer Manier, die nichts von dem erkennen lässt, was nach Expertenmeinung dieQualität guter Standard-Entwicklung ausmacht. Noch darf man hoffen, dass die Arbeit ander Normierung der Bildungsstandards, die im Rahmen des IQB durch Aufgabenentwicklungund Testungen vorgenommen und die zu weiteren empirischen Einsichten führenwird, Erfolge zeitigen und die ebenso welt- wie wissenschaftsfremden Standards durchpraktikablere ersetzen wird. Auch wenn dies gelingen sollte, wird die Messlatte der Klieme-Expertisekaum erfolgreich anzulegen sein. Was nämlich hier unter dem Aspekt domänenspezifischerSystematik und unter dem Postulat entwicklungsbezogener Kompetenzstufenden Fachdidaktiken als Entwicklungsaufgabe zugewiesen wird, ist als Modellierungsauftragderart anspruchsvoll geraten, dass nicht zu sehen ist, wie eine Umsetzungangesichts der Heterogenität im Unterrichtsfach und angesichts der zunehmenden Distanzzwischen Schulfach und seinen akademisch ausdifferenzierten Gegenstandsdisziplinen zuunseren Lebzeiten gelingen soll.Angesichts ihrer Überforderung reagiert die universitäre Fachdidaktik fraktioniert: Mancheverspüren den alten Charme taxonomischer Architekturen und setzen auf hoch abstrakte,streng formalisierte und mehrdimensionale Kompetenzmodelle in der Hoffnung, jene irgendwanneinmal füllen zu können. Pragmatischer gerät die Kooperation mit den Psy-Seite 6


Kompetenzorientiertes Unterrichtenchometrikern im Kontext des IQB. In der Aufgabenentwicklung lässt sich erfahren, wasnach sozialwissenschaftlichen Gütekriterien an Könnenserwartungen evaluiert werdenkann. Hierzu gehört auch die Erfahrung, dass ein Großteil fachdidaktisch gepflegter Gewissheitenrealiter derart diffus ist, dass man von Operationalisierungen Abstand nehmenmuss. Zu spüren sind hier selbstverständlich auch die Risiken, die von der psychometrischenPräzision ausgehen. In der Aufgabenentwicklung merkt man zum Beispiel, wieleicht man sich unter der Hand von theoretischen Lesekompetenzmodellen, aber auch vonhermeneutischen Praxen verabschiedet, um Items zu generieren, die mit sicheren geschlossenenFormaten operieren. Im schlimmsten Fall werden die Leser dann nach denunwichtigsten, aber eindeutig zu eruierenden Informationen gefragt: Eigennamen, Altersangabenetc. Ich spreche hier bewusst von einem Risiko, denn zwangsläufig ist es nicht,dass der Zug in diese Richtung abfährt.Noch ein weiteres Problem bietet Anlass zur Beschäftigung. Hierbei handelt es sich umeinen Effekt, der angesichts des reinen Output-Modells als unerwünschte Nebenwirkunggelten kann. Sah die Konzentration auf Standardsetzungen eigentlich vor, Fragen des Inputden lokalen Aktanten zu überantworten, zeigt sich nun aus mancherlei Gründen, dassOutput-Definitionen krasse Konsequenzen für die Variabilität des Input (Lernen) haben.Dafür sind zunächst einmal schlechte Gründe verantwortlich: Die vergleichsweise engeTaktung zentraler Lernstandserhebungen führt die Aktanten konzertiert dazu, ein ‚learningto the test’ zu praktizieren. Das Ausmaß, in dem dies geschieht, kann man abschätzen,betrachtet man die Präparationsbroschüren der Schulbuchverlage und die Revisionen derUnterrichtswerke. Ein derartiges ‚learning to the test’ ist nach kompetenztheoretischerSicht in hohem Maße unproduktiv, da das Lernen hier an vergängliche Situationen – ebenTests – gebunden ist, ein Faktum, das die Klieme-Expertise als Herstellung trägen Wissensthematisiert und durch kumulativ curricularisierte Lernprozesse unterbinden will.Übersehen werden bei solcher Standardisierung des Input auch empirische Befunde zuIndikatoren guter Leistungen, beispielsweise die Korrelation zwischen Leseinteresse undorthographischer Kompetenz.Lässt sich ein ‚learning to the test’ als vorübergehende Panikreaktion vielleicht überwinden,gilt dieses kaum für die zweite Problemquelle, die sich am deutlichsten für die SekundarstufeII und das Zentralabitur zeigt. Was hier gemäß EPA als Output-Leistung vonUnterricht gefordert wird, kann als eine Sonderform von Lesekompetenz begriffen und alsliterarische Rezeptionskompetenz bezeichnet werden, wenn unter Rezeption auch eineAnschlusskommunikation zählen darf, die ihrerseits die Herstellung eines Produkts – Erschließung,Erörterung, Gestaltung – impliziert. Wird man über diese Bezeichnung schnellKonsens erzielen, so gerät man in sehr ernsthafte Probleme, wenn man in letztlich normativerZwecksetzung ausführen will, was inhaltlich als literarische Rezeptionskompetenzgelten soll. Bisherige Studien hierzu zeigen, letztlich nicht überraschend, dass die diesbezüglichenLeistungsanforderungen sehr individuell vom spezifischen Emissionsniveau desGegenstands bestimmt werden, mit dem interagiert werden soll. Schlichter formuliert:Seite 7


Kompetenzorientiertes UnterrichtenWelche meiner Kenntnisse und Fähigkeiten (AFB I) zu mobilisieren sind, hängt wesentlichvon dem poetischen Text ab, mit dem (und aus dem) ich etwas machen soll.Gefordert ist also ein flexibler Umgang mit inkorporiertem Wissen und Können. Dass ichVersifikationskenntnisse zum Sonett tunlichst nicht erwähne, wenn ich aufgefordert bin, zueiner dramatischen Szene Stellung zu beziehen, wird (wahrscheinlich) jedem klar sein.Massenhaft anzutreffen ist in Klausuraufsätzen aber die umpassende Artikulation des„passenden“ Epochen-, Gattungs- oder Autorwissens. Eine derart schematisierte Veräußerungspraxisunterscheidet den Laieninterpreten vom Professionellen. Dieser bemüht nurjene Kontexte, die ihm ein interessantes Verständnis des poetischen Textes ermöglichen.Solche Kontexte sind aber angesichts der Vielzahl von Möglichkeiten (und der Vielzahlvon Texten) nicht dergestalt zu deckeln, dass daraus ein schulisch erwerbbares Kontextwissenabzuleiten wäre. Wenn an dem Gebot festgehalten werden soll, das tunlichst nurgetestet werden soll, was im Unterricht gelernt werden kann, hat dieser Umstand zweiKonsequenzen, auf die unlängst auch Clemens Kammler hingewiesen hat. Erstens: DieRichtung der gebotenen Kontextualisierung muss in der Interpretationsvorgabe expliziertwerden. Zweitens: Das am Ende erforderliche Kontextwissen muss für die Lehrendenrechtzeitig als Input definiert werden.Beide Konsequenzen sind übrigens besonders im Interesse jener SchülerInnen, derenBildungsvoraussetzungen sie stärker als andere vom Unterricht abhängig machen. Ziehtman diesen Zusammenhang ins Kalkül, wird vielleicht auch ein weiterer deutlich: Was unterden Zwängen der Standardisierung und des leistungsgerechten Vergleichens irritierendins Bewusstsein gerät, galt in der Sache schon längst. Die holistischen Erwartungen anden Abituraufsatz, an seine Originalität, seine Virtuosität in der Befolgung offener Aufgabenstellungen(„Interpretieren Sie …“) bevorzugt eindeutig jene, die mehr als nur Unterrichtswissenzu investieren in der Lage sind.Auch wenn mir eher daran gelegen ist, die Sicherheit zu zerstören, dass <strong>Kompetenzorientierung</strong>auf ein durchreflektiertes und empirisch gestütztes fachdidaktisches Modell zurückgreifenkann, auch wenn mir unbedingt die Warnung wichtig ist, Lehramtsanwärternicht zu einer semantischen Praxis zu zwingen, die ihnen leicht die Erfahrung eintragenkann, mit den didaktischen Dogmen gleich die gesamte didaktische Reflexion zu meiden,gestatte ich mir zum Schluss einige praxisrelevante Hinweise.Die Auseinandersetzung mit Tests und ihren Kompetenzmodellierungen hat für den Literaturunterrichteiniges deutlich gemacht, was guten Unterricht wahrscheinlich schon immerausmachte.1. Auch wenn man es schlecht operationalisieren kann, spielt das Vorwissen in Verstehensprozesseneine eminente Rolle. Dies muss zwei Konsequenzen haben: GuterUnterricht versichert sich des notwendigen und des vorhandenen Vorwissens, was unteranderem impliziert, dass die Lehrperson gegenüber dem Text ein explizites, ihm alskohärent und adäquat geltendes Verständnis entwickelt und dieses idealiter bis in dieBildung lokaler Inferenzen nach investiertem Vorwissen befragt. Guter Unterricht istSeite 8


Kompetenzorientiertes Unterrichtenzudem bemüht, anknüpffähiges Wissen aufzubauen und später darauf funktional zurückzugreifen.2. Guter Literaturunterricht schiebt die Erwartungen auf ein genuines Leseverstehen(reading literacy) nicht an Sachtexte ab. Neben dem Vorwissen und der performativenFähigkeit zur Kontextualisierung spielt in gelungenen Interpretationen genaues Leseneine exorbitante Rolle, gerade bei poetischen Texten, für die eine stärkere Mitarbeitdes Lesers nahezu konstitutiv ist. Schlechter Deutschunterricht gibt zu früh Impulse zutextglobalen Fragen und hält die Auseinandersetzung mit lokalen Inferenzen oder syntaktischenKonstellationen für unliterarisch. Solcher Deutschunterricht fördert einseitigesTopdown-Verstehen und die Erfahrung, dass wenige eine Geschichte schon deuten,die für viele noch gar keine ist. Literarisches Verstehen zielt im Übrigen nicht darauf,alles zu verstehen, sondern auch zu registrieren, was man gegenwärtig nicht versteht.So bleibt das Spiel des passionierten Lesers geradezu im Gang.3. Ob man wie Heiner Willenberg nach seinen Erfahrungen in DESI dafür plädierensoll, den Lehrer gelegentlich in die Rolle eines Meisterlesers zu setzen, der seinenLeseverstehensprozess artikuliert, mag Ansichtssache bleiben. Gegenüber der nachPISA kleiner gewordenen Opposition gegenüber dem Bild einer instruierenden Lehrpersonwäre auf das Recht der lebensweltlich ja nicht unvertrauten Erwartung zu beharren,dass einer, der es kann, auch einmal langsam vormacht, wie er es kann.4. Kompetenzbasierte Output-Orientierung kann nur dann sinnvoll sein, wenn die erwartetenFähigkeiten auf lange und kumulierende Lernwege zurückgehen. Solange wirnicht über detailliert ausgeführte Kompetenzmodelle mit Teilkompetenzen und Stufungenverfügen, konterkariert die Vorstellung, man könne in einer Unterrichtsstunde eineKompetenz erwerben, den Kompetenzbegriff. Die praktische Phase der Lehramtsausbildungmuss dem Rechnung tragen und noch stärker vom Fokus auf die Einzelstundeablassen und die Perspektive auf längerfristige Unterrichtsplanungen richten.Wissenschaftliche Literatur zum Thema: Abraham, Ulf / Bremerich-Vos, Albert / Frederking, Volker / Wieler, Petra (Hrsg.): Deutschdidaktikund Deutschunterricht nach Pisa. Freiburg i. Brsg.: Fillibach 2003 Kämper-van den Boogaart, Michael (Hrsg.): Deutschunterricht nach der PISA-Studie. Reaktionender Deutschdidaktik. Frankfurt am Main: Peter Lang 2004 Rösch, Heidi (Hrsg.): Kompetenzen im Deutschunterricht. Frankfurt u.a.: Peter Lang 2005 Kammler, Clemens (Hrsg.): Literarische Kompetenzen - Standards im Literaturunterricht.Modelle für die Primar- und Sekundarstufe. Seelze: Kallmeyer 2006 Kämper-van den Boogaart, Michael (Hrsg.): Deutsch-Didaktik. Leitfaden für die SekundarstufeI und II. Berlin: Cornelsen Scriptor, 4. Aufl., 2007 Willenberg, Heiner (Hrsg.): Kompetenzhandbuch für den Deutschunterricht. Baltmannsweiler:Schneider Verlag Hohengehren: 2007Den jüngsten Diskussionsstand soll eine Sondernummer von Didaktik Deutsch dokumentieren,deren Publikation zum Jahresbeginn <strong>2008</strong> projektiert ist.Prof. Dr. Michael Kämper-van den BoogaartHumboldt-Universität BerlinSeite 9


Kompetenzorientiertes UnterrichtenZum Umgang mit dem Kompetenz-BegriffEine persönliche StellungnahmeVorbemerkungPISA – wir haben ein Problem!Ein Problem bedeutet, dass die Beantwortung einer Frage noch lange nicht die Lösung ist,sondern weitere Fragen nach sich zieht. Die Fähigkeit, derartige Probleme zu lösen, istKompetenz. Definitionen für den Kompetenz-Begriff liegen in vielfältiger Form vor. 4Seite 10Kompetenzorientierte Rahmenlehrpläne bilden die curricularen Vorgaben für dieBerliner Schule.Materialien und Informationen zu kompetenzorientierter Unterrichtsgestaltung werdenin zunehmender Weise, z. B. durch Fachbriefe oder Publikationen von Schulbuchverlagen,zur Verfügung gestellt.Die Bildungsstandards für die Lehrerbildung (Bildungswissenschaft) der Kultusministerkonferenzvom 16.12.2004 beschreiben die Maßstäbe für die Kompetenzentwicklungin der Ausbildung von Lehrern. 5Auf diesen Grundlagen könnte eine zielgerichtete Gestaltung, Reflexion und Weiterentwicklungvon kompetenzorientiertem Unterricht bzw. kompetenzorientierter Ausbildungerfolgen. Doch dies geschieht in der Praxis häufig (noch) nicht oder nur widerwillig. Oftmalswird schon bei der Verwendung des Kompetenz-Begriffs nur abgewinkt. Aus Lehrernund Ausbildern, die teilweise die damit verbundenen Taxonomien ablehnen, werden glühendeVerteidiger der Lernzielorientierung. Die geforderte Umstellung auf kompetenzorientierteBildungsarbeit scheint zum Ansatzpunkt für eine Generalkritik an Bildungspolitik,-verwaltung und -wissenschaften zu werden.Warum? Darüber ließe sich umfangreich nachdenken und diskutieren, so z. B. überGefühle und Fakten der sehr hohen Belastung oder gar Überlastung von Lehrernund Ausbildern,wenig Lob für die tägliche Arbeit in Schule und Ausbildung,zahlreiche, teilweise unüberschaubare Neuerungen in Schule und Ausbildung,dabei noch zu wenig flankierende – vor allem erklärende und die Lehrer und Ausbildereinbeziehende – Maßnahmen usw.Diese externen Kritikpunkte – ob gefühlt oder an Tatsachen nachweisbar – haben sichereinen hohen Grad an Berechtigung und müssen nicht zuletzt bei zukünftigem Verwaltungshandelnverstärkt Berücksichtigung finden. Andererseits dürfen diese Bedenken nicht4 Gerade wegen der Vielfalt wurde für den Berliner Vorbereitungsdienst eine praxisnahe Definition (eingebettetin sich schlüssiges Begriffssystem) vorgelegt. S. Kayser, J.: Kompetenzen und Standards im BerlinerVorbereitungsdienst. (Internes Arbeitspapier; Veröffentlichung vorgesehen in: Handbuch Vorbereitungsdienst(geplant <strong>2008</strong>).5 Zur Vereinfachung wird stets nur die männliche Form verwendet. Gemeint sind jeweils die männliche unddie weibliche Form.


Kompetenzorientiertes Unterrichtendazu herangezogen werden, sowohl die <strong>Kompetenzorientierung</strong> als auch deren differenzierteUmsetzung per se abzulehnen.Beide Seiten – Kritiker und Befürworter – des Kompetenz-Gedankens sind aber nach meinerEinschätzung zu einer differenzierten, die jeweils andere Perspektive wahrnehmendenAuseinandersetzung verpflichtet. Und dabei sind – so wie von Kritikern verlangt werdenkann, sich von den genannten, externen Faktoren zu lösen – hier die Befürworter auf andereWeise zum Abschied von lieb gewonnenen Pauschalierungen und vor allem zu umfassendenErläuterungen aufgefordert.Dies beginnt mit der zentralen Feststellung, dass die <strong>Kompetenzorientierung</strong> nicht dieneue bildungspolitische oder didaktisch-methodische „Heilslehre“ darstellt, die alle bisherigenAnsätze in den Schatten stellt. Lehrer, die vor der Umstellung auf <strong>Kompetenzorientierung</strong>gute Lehrer waren, sind es weiterhin. Und viele dieser guten Lehrer haben sicherauch schon kompetenzorientiert unterrichtet, nur ohne dass sie es wussten bzw. wissenmussten.Dadurch wird das grundlegende Missverständnis gestützt, dass die Umstellung auf kompetenzorientierteBildung eine didaktische Änderung darstellt, die auf den Fachebenennach ausführlicher Diskussion noch zurückzunehmen ist. Nein, die Abkehr von der lernziel-,d. h. inputorientierten Bildung war und ist eine – auf wissenschaftlicher Beratung beruhende– politische Lenkungsentscheidung von Bund und Ländern, die derzeit in derSchul- und Ausbildungspraxis wenig bis keinen Raum für andere grundsätzliche Ausrichtungenlässt. Sie findet ihren Niederschlag z. B. im Berliner Schulgesetz und in den Rahmenlehrplänen.ExkursInternationale Bildungsstudien haben um die Jahrtausendwende zu Tage gebracht, dassdas deutsche Bildungswesen Defizite ausweist. Als Antwort darauf ist auf der Grundlagewissenschaftlicher Expertisen von Bildungspolitik und -verwaltung in Bund und Länderneine Umsteuerung einleitet worden, die sich stark vereinfacht so zusammenfassen lässt: Bildung und Qualifikation sollen zukünftig (im Zusammenwirken) auf Entwicklungder Persönlichkeit, Teilhabe an der Gesellschaft und Beschäftigungsfähigkeit (DreiZieldimensionen) 6 zielen. Diese Bildungs- und Qualifikationsziele soll jeder einzelne Bürger durch den Erwerbvon Kompetenzen erreichen können. Allgemein verbindliche Standards sollen eine Vergleichbarkeit der individuellen Bildungsgängesicherstellen und dabei die Grundlage für Evaluationen und Maßnahmender Qualitätsentwicklung bilden.6 s. Bildungs- und Qualifikationsziele von morgen. Vorläufige Leitsätze und Expertenbericht. Hrsg. v. ArbeitsstabForum Bildung der BLK-Kommission. Bonn 2001. S. 7.Seite 11


Kompetenzorientiertes UnterrichtenKritische Stimmen bemängeln, dass mit der Zusammenführung von Bildungs- und QualifikationszielenBildung im direkten Zusammenhang mit wirtschaftlichen Verwertungsinteressengesehen werden würde. Diese Einschätzungen sind nach meiner Ansicht nichtganz von der Hand zu weisen. Es wäre unlauter, einen Zusammenhang zu bestreiten undetwa den Kompetenz-Begriff als wertfrei zu charakterisieren. Doch muss nicht in Schuleund Ausbildung Bildung so gestaltet werden, dass junge Menschen auf das Leben unddamit das Berufsleben – und vor allem sehr unterschiedliche Wirklichkeiten – vorbereitetwerden? Täte sie das nicht, hätte sie ihre Hauptlegitimation verloren. Zudem bedeutetKompetenzerwerb gerade auch die Fähigkeit zu besitzen, wertorientierte Entscheidung zutreffen und – bezogen auf den obigen Vorwurf – ethische Maßstäbe an wirtschaftlichesHandeln anzulegen.Daraus folgt, dass jeweils in den Handlungssituationen Schule, Unterricht und Ausbildungdie Lehrenden gemeinsam mit den Lernenden die Bildung und Qualifikation suchen undentwickeln müssen, die vor allem den Lernenden, aber auch den Lehrenden und der Gesellschaftinsgesamt nützt. Im Mittelpunkt steht dabei der sich bildende Mensch, der individuellwahrgenommen und unterstützt wird, ein Weltverständnis zu entfalten – und zwarausgehend vom Lernen an konkreten Inhalten.Damit ist ebenfalls ein immer wieder kehrendes Missverständnis angesprochen, welchesin den sicher eng beieinander liegenden Auffassungen aufgehoben ist, dass mit der <strong>Kompetenzorientierung</strong>eine Abkehr vom Kenntniserwerb und eine Hinwendung zur reinen,inhaltslosen Methodenschulung stattfinden würden. Dies ist schlicht falsch: Jede Kompetenzstellt gerade die Verbindung zwischen Wissen und Können her, d.h. jede Kompetenzentwicklungbraucht die Vernetzung von Kenntnissen mit methodischem Können, sozialenFähigkeiten, eigenen Erfahrungen usw. 7Das bedeutet z. B. in der Praxis, dass eine „Methodentrainingswoche“ im Sinne der Kompetenzentwicklungerst dann wirksam wird, wenn begleitend oder unmittelbar anschließendfachspezifische, inhaltsbezogene Anwendungen und Einordnungen der geübten Methodenvollzogen werden.Wer also Kompetenzen mit Methoden oder Methodenkompetenzen gleichsetzt, der irrt. Ertut dies auch, weil der Kompetenz-Begriff, wie er in die curricularen Vorschriften implementiertwurde, stets im Kontext von umfassender Bildung und den entsprechenden Standards(d.h. Bildungsstandards) gesehen werden muss. 8Fachübergreifende Schlüsselkompetenzen wie z. B. Methodenkompetenz oder die OECD-Schlüsselkompetenz „acting autonomy“ 9 können erst als Folge der Entwicklung von fach-7 Ein Beispiel für die Darstellung solcher Vernetzungsprozesse findet sich im Beitrag von Ingrid Stampe aufS. 27 ff. Dennoch: Nach wie vor ist Veranschaulichung von kumulativ-vernetzten Kompetenzentwicklungenein Problem.8 Vgl. Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards – Eine Expertise – vorgestellt von E. Bulmahn, K. Wolffund E. Klieme; Berlin 18.02.2003; S. 199 Kompetenz, erfolgreich selbständig handeln zu können.Seite 12


Kompetenzorientiertes Unterrichtenbzw. domänenbezogenen Kompetenzen im Kontext von Bildungsstandards entstehen. Siesind fachübergreifend und allgemeinqualifizierend ausgerichtet.Allerdings müssen auch die Befürworter der <strong>Kompetenzorientierung</strong> einräumen, dass diebegriffliche Abgrenzung des Kompetenz-Begriffs schwierig ist. Dies ist einerseits darin begründet,dass dieser Begriff (wie auch der Standard-Begriff) in vielen Zusammenhängenaußerhalb des Bildungswesens und im Bildungsbereich selbst inzwischen inflationäre,häufig wenig differenzierte und teilweise falsche Verwendung findet. So definiert fast jedeInstitution, die den Anspruch erhebt, im Bildungssektor berücksichtigt zu werden oderselbst Bildungsprozesse zu gestalten, Kompetenzen oder Standards. Dies ist folgerichtig,geschieht jedoch häufig ohne vertiefte theoretische Auseinandersetzung mit dem Kompetenz-Begriffund ebenso häufig nur mit Hilfe der Auflistung von Kompetenzen (z. B. inForm von Grobzielen). Andererseits leisten auch die Berliner Rahmenlehrpläne einen gewissenBeitrag zu dieser Begriffsverwirrung. So werden in einigen Plänen zergliederteKompetenzmodelle verankert, die in der Praxis der Unterrichtsplanung wenig hilfreich sind.Welche Lehrkraft hat bei der Vorbereitung des Unterrichts für zahlreiche Lerngruppen z. B.für ein Schuljahr die Zeit, die „richtige Kompetenzmischung“ aus vielen Einzelkompetenzen(Komponenten) zu finden? Hier könnten wenige, vernetzte und gestufte Kompetenzenhilfreicher sein.In diesem Zusammenhang muss unbedingt darauf verwiesen werden, dass die Rahmenlehrplänein der Regel von Kollegen der Berliner Schule erstellt worden sind, und zwarquasi autodidaktisch ohne wissenschaftliche, umfassende (fach)didaktische Unterstützung.Dennoch bilden diese meines Erachtens qualitativ erstaunlich gelungenen Pläneeine ausgezeichnete Grundlage für ihre Reflexion und Weiterentwicklung. Dazu bedarf eseben der Mitwirkung und konstruktiven Kritik jedes Kollegen. Dies gilt umso mehr, da nachwie vor die theoretische Unterfütterung der praktischen Arbeit durch die Hochschulen verbesserungsbedürftigist. In zahlreichen fachdidaktischen Lehrveranstaltungen wird – nachAuskunft von Lehramtsstudierenden – weiterhin lernzielorientiert ausgebildet (z. B. mitdem Hinweis der Hochschullehrkräfte, dass sich eigentlich nichts geändert hätte, Zielehießen nur jetzt Kompetenzen oder Standards).Solche Vorgehensweise kann nicht im Interesse der Studierenden sein, die einen Anspruchauf eine Ausbildung haben, mit der sie auf die Schulpraxis mit z. B. kompetenzorientiertenLehrplänen und Prüfungsverfahren vorbereitet werden. Darüber hinaus benötigendie Kollegen in Schule und Ausbildung dringend die wissenschaftliche Legitimierungund Begleitung. Vor der Umstellung auf die <strong>Kompetenzorientierung</strong> konnten sich die Praktikerauf bewährte didaktische Konzepte verlassen, diese Sicherheit muss insbesonderedurch Initiierung geeigneter Forschungsvorhaben wiederhergestellt werden. Vor diesemHintergrund verwundert es übrigens nicht, wenn Kollegen gerade aus diesem Grund derEinführung der <strong>Kompetenzorientierung</strong> skeptisch gegenüber standen und stehen. Hierbesteht weiterhin Bedarf an qualifizierten Fortbildungen, die anhand praxisbezogener Materialienvor allem die Kompetenzen bzw. gleichsam die Chancen des kompetenz-Seite 13


Kompetenzorientiertes Unterrichtenorientierten Unterrichts bzw. der kompetenzorientierten Ausbildung verdeutlichen. Diesesollen kurz in der nachfolgenden Übersicht verdeutlicht werden.Charakteristika kompetenzorientierten Unterrichts bzw. Ausbildung: Output-/Outcomeorientierung – Lernen soll adressatenorientiert und anschlussfähigsein. Das meint nicht (einfach) schülerorientiertes Lehren, d. h. an den Interessender Schüler ausgerichtet, sondern ein Lernen, dass die Schüler befähigt, invielfältigen Handlungssituationen in der Schule (outputorientiert) und außerhalbbzw. nach der Schule (outcomeorientiert) Probleme zu lösen. Diagnose und individuelle Förderung/Forderung (Differenzierung) – Lernensoll in der Regel gemeinsam stattfinden, doch dabei sollen die Stärken und Schwächender einzelnen Schüler berücksichtigt werden. Zu ihrer Feststellung wird insbesondereeine pädagogische Diagnostik benötigt. Neue Aufgabenkultur – Aufgaben und Beispiele sind die konkreten Mittel diesenParadigmenwechsel umzusetzen und das Erreichen der Standards zu verifizieren. Lehr- und Unterrichtskompetenz – Professionelle und personale Kompetenzenvon Lehrerinnen und Lehrern rücken verstärkt in den Blickpunkt: Für die beruflicheArbeit sind umfassende fachwissenschaftliche wie auch pädagogische,(fach)didaktische und psychologisch-diagnostische sowie kommunikative und sozialeKompetenzen erforderlich.Kritische Stimmen hierzu fragen meist, was daran neu sei. Neu, sind nicht die einzelnenKomponenten, die kompetenzorientierten Unterricht ausmachen. Neu ist, dass das Zusammenspieldieser Komponenten nun im Zentrum des Unterrichtens und Ausbildens stehen.In der Praxis bedeutet dies z. B., dass ein veränderter Legitimationsdruck für das Unterrichtenund Ausbilden entsteht: Mussten sich bisher oftmals Kollegen, die offene Unterrichtformenmit Raum für selbst gesteuerte Lernprozesse wählten, erklären, so könnenjetzt eher die Kollegen mit der ausschließlich lehrerzentrierten Kenntnisvermittlung in Erklärungszwängegeraten. Dies meint nicht, dass lehrerzentrierter Unterricht automatischschlecht oder tabu ist, nur seine Begründung muss reflektierter und präziser erfolgen –und zwar bezogen auf die intendierte Kompetenzentwicklung der Schüler.Dass für die Gestaltung und Reflexion der <strong>Kompetenzorientierung</strong> und damit zur Stärkungoder Entwicklung der Lehr- und Unterrichtskompetenz Fortbildung notwendig ist, daraufwurde oben schon hingewiesen. Dies meint natürlich in gleicher Weise Fortbildung imSelbststudium sowie mit Hilfe von institutionellen Angeboten. Dies meint aber vor allemFortbildung durch die Kommunikation zwischen den Lehrenden (z. B. in Fachkollegien),auch mit respektiven Eingeständnissen von Kollegen, Kompetenz-Orientierung und ihrbegriffliches Netzwerk noch nicht (ganz) verstanden zu haben. Akzeptiert werden muss injedem Fall, dass der Fortbildungsprozess noch eine längere Zeit braucht.Seite 14


Kompetenzorientiertes UnterrichtenEinen besonderen Schwerpunkt nicht nur in der Fortbildung sondern auch in Aus- undWeiterbildung muss dabei die Entwicklung und Förderung der diagnostischen Kompetenzender Lehrkräfte bilden. Gemeint sind damit die Fähigkeiten, um die Kompetenzentwicklungenvon einzelnen Lernenden und in der Regel heterogenen Lerngruppen einschätzenzu können, um den Fortgang der Entwicklung gestalten zu können. Hiermit wirdein Feld berührt, das sich derzeit noch durch besondere – begriffliche – Ungenauigkeitenund sogar Gefahren auszeichnet. Um diese Zusammenhänge zu beleuchten, erscheint esratsam, etwas näher auf den zweiten Begriff, der repräsentativ für die Umorientierung desBildungswesens steht, einzugehen: die Bildungsstandards.In gewisser Weise sind Standards gesetzte Rahmenbedingungen für Kompetenzentwicklungsprozesse.Sie werden durch „Verwaltungshandeln“ vorgegeben und kommen demtiefen Bedürfnis nach Messbarkeit von Bildung entgegen. Für Schüler, Eltern und Lehrerkönnen sie Segen und Fluch gleichermaßen bedeuten.Konkret beschreiben Bildungsstandards Entwicklungsstände von Kompetenzen, die vondem Lernenden, dem Lehrenden oder der Bildungseinrichtung zu einem bestimmten Zeitpunktmitgebracht oder erreicht werden sollen. D. h. sie bieten überindividuelle und vergleichbareMaßstäbe an, nach denen der jeweilige, individuelle Kompetenzstand evaluiertwerden soll. Damit sind zwei Funktionen verbunden: Ersten geben Bildungsstandards Bildungseinrichtungen(Schulen, Seminaren usw.) eine verbindliche Orientierung, auf diesich Lehrkräfte. Lernende, Eltern u.a. bei der pädagogischen Weiterentwicklung der Bildungseinrichtungbeziehen können. Ausdruck dieser Funktion ist z. B. die Begrenzung aufKerncurricula, um Freiraum für innerschulische Lehrplanung zu schaffen. In ihrer zweitenFunktion sind die Bildungsstandards Grundlage für die Erfassung und Bewertung vonLernergebnissen, z. B. für die Entwicklung von Aufgaben für Lernerfolgskontrollen undPrüfungen (auf der Grundlage von Tests). Nicht verwendet werden sollten diese Standardsaber für Notengebung und Zertifizierung. Bei der Evaluation von individuellen Kompetenzentwicklungenbilden im Zweifelsfall genaue Beschreibungen der erwarteten Kompetenzstände,die auf die Bedingungen in der jeweiligen Lerngruppe abheben (z. B. durchKompetenzstufen oder Kompetenzraster) den geeigneten Maßstab. Der größte Umfangvon Objektivierbarkeit entsteht meines Erachtens durch die Auseinandersetzung mit denSchülern und ihren Möglichkeiten.Eine besondere Gefahr stellt für mich die Tendenz dar, ausschließlich zentral organisierteLeistungsüberprüfungen von Lernenden als Grundlage für die Beurteilung von Bildungsinstitutionenzu verwenden. So ist es höchst erklärungsbedürftig, wenn z. B. Abiturdurchschnittsnotenherangezogen werden, um ein Ranking zwischen Oberschulen zu erzeugen.Oberschulen ohne weitere Indikatoren, wie z. B. soziales Umfeld, Ausstattung usw., einzuschätzen,erscheint mir unseriös und bedient nur den Wunsch nach objektiver Messungvon Prozessen oder Einrichtungen, die nicht objektiv messbar sind. Dabei ist mir klar, dasses einen Wunsch der Öffentlichkeit nach derartigen Verfahren gibt und diesem nicht zuentgehen ist, doch gerade deshalb sollte diesem nicht noch Vorschub geleistet werden.Seite 15


Kompetenzorientiertes UnterrichtenDabei wird die grundsätzliche Notwendigkeit der Evaluation von Bildungseinrichtungenkeinesfalls bestritten.FazitDer Kompetenz-Begriff steht für einen sinnvollen Paradigmenwechsel, bei dem das Lernenan den Bedürfnissen der Lernenden ausgerichtet wird. Er ist gefährdet durch seineunreflektierte und inflationäre begriffliche Verwendung, pauschale Ablehnung aufgrundvon externer und interner Kritik und vor allem durch übertriebene oder falsch ausgerichteteEvaluationen.Beide Seiten – Kritiker und Befürworter – sind nach meiner Auffassung zum Wohle derLernenden verpflichtet, diesen Gefährdungen entgegenzutreten und kompetent (d. h. ihreFähigkeiten nutzend) das Problem zu lösen, wie <strong>Kompetenzorientierung</strong> erfolgreich, nachvollziehbarund anerkannt in Unterricht und Ausbildung zu implementieren ist.Dabei sind die Kritiker gehalten, die Akzeptanz des Kompetenz-Begriffs nicht von denRahmenbedingungen, sondern von der Prüfung seiner inhaltlichen und praktischen Qualitätabhängig zu machen. Das kann für sie heißen, erst einmal weniger zu klagen (z. B.„das haben wir schon immer so gemacht“ oder „was ist denn jetzt anders?“), sondern ehermit einer gewissen Freude Unterricht und Ausbildung in neuer Weise zu probieren undreflektieren sowie entsprechende Ergebnisse weiter zu geben. Dies bedeutet auch, sichnicht abzuschotten oder Schüler bzw. Lehramtsanwärter zu demotivieren (z. B.: „früherwar das besser“, „heute nennt man Lernziele einfach Kompetenzen oder Standards“),sondern sich mit Erprobten und Bewährten, d.h. auch den eigenen Kompetenzen, zu zeigenund in einen Dialog einzutreten. Mit dieser Grundhaltung können sie berechtigter Weiseauch konstante und angemessene Unterstützung durch Politik, Verwaltung und Wissenschafteinfordern.Befürworter sollten in diesen Dialog mit der Anerkennung der Unterrichts- bzw. Ausbildungsleistungder meisten Lehrenden eintreten. Sie sollten akzeptieren, dass die Rahmenbedingungenfür Schule und Ausbildung die Umstellung auf <strong>Kompetenzorientierung</strong>erschwert. Ihnen kommt die Aufgabe zu, die <strong>Kompetenzorientierung</strong> voranzutreiben, dabeidie grundlegenden Zusammenhänge transparent zu machen sowie präzise und sensibleEvaluationsarbeit zu befördern.Beide Seiten würden so „acting autonomy“ nachweisen.NachwortHumboldts Ansatz – kompetenzorientiert?Belege dafür – wie auch Anregungen für die Schaffung einer Bürgergesellschaft, in derlebenslanges Lernen möglich werden könnte – enthält sein Bericht an den König vom Dezember1809: „Es gibt schlechterdings gewisse Kenntnisse, die allgemein sein müssen,Seite 16


Kompetenzorientiertes Unterrichtenund noch mehr eine gewisse Bildung der Gesinnungen und des Charakters, die keinemfehlen darf. Jeder ist offenbar nur dann ein guter Handwerker, Kaufmann, Soldat und Geschäftsmann,wenn er an sich und ohne Hinsicht auf seinen besonderen Beruf ein guter,anständiger, seinem Stande nach aufgeklärter Mensch und Bürger ist. Gibt ihm der Schulunterricht,was hierzu erforderlich ist, so erwirbt er die besondere Fähigkeit seines Berufsnachher sehr leicht und behält immer die Freiheit, wie im Leben so oft geschieht, von einemzum andern überzugehen.“ 10Jörg KayserSenatsverwaltung für Bildung,Wissenschaft und ForschungRahmen(Lehr)pläne im Wandel der ZeitSelbstverständnis und neue AufgabenSpätestens mit der Einführung der staatlichen Schulpflicht hat der Staat es sich auch nichtnehmen lassen, die Unterrichtsinhalte in Form von Fächern und Lehrplänen festzulegen.Die jeweils verwendete Bezeichnungsweise oder pädagogische Terminologie für diesePläne wechselte und zeigte sich als Spiegelbild des jeweiligen Zeitgeistes bzw. der schulundbildungspolitischen Ausrichtung.So pflegte die ehemalige DDR den Begriff der Lehrpläne und brachte damit einen hohenGrad der Verbindlichkeit und z. T. sehr kleinteiligen Vorgaben zum Ausdruck. In den altenBundesländern und dabei vornehmlich im Norden der Bundesrepublik Deutschland sprachman von Rahmenplänen und meinte damit auch eine eher freiraumgebende Rahmenvorgabe,also eingeschränkte Verbindlichkeit unter starker Betonung der sog. PädagogischenFreiheit des einzelnen Lehrers. Das entsprach dem gesellschaftlichen Wandel der Nach-68er-Zeit, dessen Wirkungen sich festsetzten und ohne die Wende von 1989 mit demZwang bzw. der Chance des Zusammenwachsens – gerade in Berlin – sich eventuell weiterverselbständigt hätte. Allerdings gab es auch Bundesländer, die von diesen gesellschaftlichenund schulpolitischen Entwicklungen weitgehend unberührt blieben.In guter politischer Manier ergibt sich aus den Antipoden Rahmenplan und Lehrplan derBegriff Rahmenlehrplan, wie er im neuen Berliner Schulgesetz von 2004 verankert ist.Sowohl die Begrifflichkeit als auch die damit verbundene „Philosophie“ sind kein Zufall,dahinter verbergen sich handfeste, ergebnisorientierte Veränderungen im Hinblick auf Zuständigkeiten,Verantwortlichkeiten, Aufgaben und Zielrichtungen. Dahinter verbergen sichdie folgenden, kurz angedeuteten schul- und bildungspolitischen Leitentscheidungen:10 Entnommen: http://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_von_Humboldt. Zugriff: 2.12.2007, 19.45 Uhr.Seite 17


Kompetenzorientiertes Unterrichten1. Die Pädagogische Freiheit des Lehrers hatte endgültig ausgedient, obwohl es sie inschulrechtlicher Verankerung in Berlin nie gegeben hat, sie war mehr gewerkschaftlichemWunschdenken und einer bestimmten Lehrerrolle entsprungen.Aber nicht nur: Selbst der deutsche „Schulrechtpapst“ Avenarius beschreibt sie (s. Literatur1.) ausführlich, zeigt aber gleichzeitig ihre engen Grenzen auf.2. Mit der Pädagogischen Freiheit war rechtlich und inhaltlich eigentlich nur die PädagogischeVerantwortung des Lehrers gemeint, die unverändert im Berliner Schulgesetz verankertist. Allerdings erfuhr die Pädagogische Verantwortung des einzelnen mit dem neuenSchulgesetz eine Akzentverschiebung bzw. fast Zurückdrängung zugunsten der PädagogischenVerantwortung der Einzelschule. Dies korrespondiert mit der Leitentscheidung füreine selbständige und eigenverantwortliche Schule und hat für Lehrkräfte die Auswirkung,dass weniger ihr individueller Umgang mit dem Rahmenlehrplan gefordert ist, sondern dieAbsprache, Vereinheitlichung, gemeinsame Unsetzung und Erfüllung des Rahmenlehrplans.In der Sprache des Berliner Schulgesetzes ist dies als schulprogrammatischer Auftrag beschrieben,nämlich dass jede Schule in ihrem Schulprogramm ein Handlungskonzept zurUmsetzung der Rahmenlehrpläne festlegen soll.Wohlgemerkt, nicht im kleinteiligen Arbeitsplan der einzelnen Lehrkraft, sondern als gemeinsamesHandlungskonzept pro Jahrgang und Fach! Hier sind ganz wesentlich dieFachschaften – das pädagogische Rückgrat jeder Schule bzw. die Keimzelle von Schulentwicklung– gefordert, insbesondere die Fachbereichsleiter/innen und Vorsitzende(n)von Fachkonferenzen, die im Zentrum der inhaltlichen lehrplanbezogenen Schulentwicklungenstehen. Dies kräftigt ihre Positionen und stärkt ihre Verantwortlichkeit, sie bildeninsbesondere in großen Schulen das so genannte mittlere Management (s. Literatur 2., 3.und 4.).3. Die Rahmenlehrpläne sind heute in der Regel so aufgebaut, dass sie einen Pflichtteilund einen „Kürteil“ enthalten. Die übliche Aufteilung liegt bei 60%:40% und ist als solche inden Rechtsverordnungen für die Schulstufen festgeschrieben. Hier setzt eine Form derRahmenlehrplanumsetzung durch eine Fachschaft an, nämlich die Ausfüllung der „kürteiligen“40%.Dies obliegt nicht der einzelnen Lehrkraft, sondern in erster Linie der Fachschaft.Belegt ist diese Entwicklung mit dem Begriff des schulinternen Curriculums, das heißt bewusstschulinternes und nicht lehrerinternes Curriculum. Hier kann die Schule Akzenteund Schwerpunkte setzen in Abhängigkeit von ihrer pädagogischen Ausrichtung, ihrerSchülerpopulation und den sonstigen Rahmenbedingungen.Darüber hinaus hat sich die Einzelschule gesamtschulische interne Curricula zu geben,die über das einzelne Fach hinausgehen, die Fächerverbindung, das fächerübergreifendeLernen, soziale Ausrichtungen oder besondere klientelbezogene Förderungen festschrei-Seite 18


Kompetenzorientiertes Unterrichtenben. Anregungen sind durch die im Schulgesetz genannten Aufgabengebiete gegeben.Die Schule ist hier stark gefordert, gleichermaßen die einzelne Lehrkraft in ihrem Auftrag,sich einzubringen, sich abzusprechen, also inhaltlich zu kooperieren und teamfähig zusein.Gerade für Schularten oder Kollegien in ausgeprägtem Einzelkämpfertum ist das eine Art„Fata Morgana“, der man am besten durch Augenverschließen entgehen könnte.Dieser Auftrag des gemeinsamen Entwickelns, Handelns und Verantwortens beruht aufnoch einem ganz anderen Aspekt. In der Regel werden Rahmenlehrpläne von denen, diesie umzusetzen haben, mehr oder weniger heftig kritisiert. Das hat auch etwas damit zutun, dass sie von anderen und nicht einem selbst erarbeitet worden sind.Hinsichtlich der schulöffentlichen Schelte gibt es kaum etwas Undankbareres, als in einerLehrplankommission mitzuwirken. Nach innen ist das eine hochinteressante und anspruchsvolleTätigkeit, nach außen nur etwas für „Hartgesottene“.Der schulgesetzliche Auftrag für ein Handlungskonzept zur Umsetzung der Rahmenlehrplänefür den Pflichtteil und für ein schulinternes Curriculum für den Kürteil schwächt dieDauerkritik am Rahmenplan etwas ab und lenkt die Energien auf die schulinterne Rahmenlehrplanarbeit.Bisweilen führt dies aber auch zu Unfrieden in den Fachschaftskollegien, aber so bleibtdas Kritikbegehren partiell im eigenen Hause. Denn, da mache sich niemand etwas vor,am liebsten hätten nicht wenige Lehrkräfte die „Interpretationshoheit“ für den Rahmenlehrplanbis hin zum Selbstentscheid über den Grad der Erfüllung.Aber die Akzeptanz eines höheren Grades an Verbindlichkeit der Rahmenlehrpläne istgewachsen. Diese Haltung wird unterfüttert durch die Vorgabe zentraler Prüfungen undSchulleistungstests. Die Lehrkräfte sind dadurch in eine für sie völlig neue Rolle geschlüpft.Empfanden sie früher die „Interpretationshoheit“ über den Rahmenlehrplan undwaren sie diejenigen, die sehr weitgehend den Maßstab bzw. die Norm z. B. in der Abiturprüfungfestgelegt haben, so haben sie bei zentralen Aufgabenstellungen mit ihren Schülern/innendie von außen gesetzten Normen zu erfüllen.Von der Normsetzung zur Normerfüllung, wenn das kein Paradigmenwechseln ist.Hier liegt nach Auffassung des Verfassers auch der wesentliche Grund für eine Ausweitungdes Zentralabiturs auf alle Fächer. Im Hinblick auf diesen Paradigmenwechsel gehtein Riss durch die Kollegien, Einheitlichkeit im Selbstverständnis und in der Rolle wärehier sehr hilfreich.Die völlig richtigen Leitentscheidungen des Gesetzgebers hinsichtlich der Handlungskonzepteund schulinternen Curricula bzgl. der Rahmenlehrpläne sind administrativ sehr erschwertworden. Rahmenlehrpläne sind mehrfach geändert worden, zum Teil mit oderauch ohne Übergangfristen, in der gymnasialen Oberstufe gab es curriculare Vorgaben miteindeutigem Vorläufigkeitscharakter und dann mit anderen Bundesländern abgestimmteKerncurricula. Dieser Wirrwarr hat die rahmenlehrplanbezogenen EntwicklungsprozesseSeite 19


Kompetenzorientiertes Unterrichtengehemmt, trotzdem mussten sich die Fachschaften mit den Zwischenlösungen beschäftigen.Das hat zu Recht zu Missmut und Verärgerung geführt und – und das ist viel schlimmer -den grundsätzlichen Wechsel im Umgang mit Rahmenlehrplänen und der erforderlichenZusammenarbeit in den Fachbereichen erschwert. An die Motivation der Lehrkräfte ist beidiesem Hin und Her leider nicht gedacht worden.Eine weitere Schwierigkeit bei der Umsetzung der Rahmenlehrpläne liegt in ihrer kompetenzorientiertenAusrichtung. Die Menschen in der Schule, aber auch die den Prozess begleitendenEltern, sind eher Stoffverteilungspläne gewöhnt. Die sind auf den ersten Blickauch handfester. Nun sind auch mit Stoffverteilungsplänen stets übergeordnete Ziele, mankönnte auch sagen erwartete oder zu erzielende Kompetenzen angestrebt worden. DerKompetenzbegriff macht von Inhalten unabhängig und erfordert schülerbezogene inhaltlicheAusrichtungen. Der Kompetenzbegriff zwingt zu exemplarischen Inhalten und Lernen.Die Vertreter der einzelnen Fachrichtungen sehen in erster Linie inhaltliche, stofflicheNotwendigkeiten. Die gesellschaftliche Debatte dagegen orientiert sich mehr an bestimmtenKompetenzen, die die jungen Menschen zu bestimmten Zeitpunkten ihres Bildungsgangeshabe müssen. Würde man den fachlichen Ausprägungen folgen, müsste man übereine Schulzeitverlängerung reden. Die <strong>Kompetenzorientierung</strong> gibt ein Fundament fürSchulzeitverkürzungen, eventuell sogar für eine Abkehr von den von der Kultusministerkonferenzbeschlossenen 265 Jahreswochenstunden.Eine Schule in Selbständigkeit und Eigenverantwortung mit besonderem Profil und pädagogischerAusrichtung auf die sozialen, personellen und sächlichen Rahmenbedingungenerfordert auch intensive schulische Rahmenlehrplanarbeit auf der Grundlage von Bildungsstandardsund <strong>Kompetenzorientierung</strong>. Die Alternative zu dieser dezentralenBildungssteuerung wären die klassischen zentralen Vorgaben in womöglich kleinteiligerAusprägung.Literatur:1. Hermann Avenarius/Hans Heckel, Schulrechtskunde 7. Auflage, Luchterhand Verlag2. Konfluente Leitung: Führung aufteilen und CO – Management praktizieren, Hans GünterRollf, Raabe Verlags GmbH, März 20063. Huy, Q.N. : Ein Loblied auf die mittleren Manager, in: Harvard Businessmanager, H. 22001, Seite 32 - 804. Harald Mier: Mittleres Management: Führungsverantwortung wahrnehmen und dennochdelegieren, Raabe Verlags GmbH SL/SE-2-290606Harald MierSchulleiter, Schadow-GymnasiumSeite 20


Kompetenzorientiertes UnterrichtenHelfen Rahmenlehrpläne kompetenzorientiert zu unterrichten?Auf den ersten Blick mutet diese Frage seltsam an, repräsentieren doch die neuen Rahmenlehrpläneden Paradigmenwechsel der „Out-put-Orientierung“. Rahmenlehrpläne setzenStandards – wie können sie also die Lehrkraft dabei unterstützen, kompetenzorientiertzu unterrichten und in diesem Unterricht Kompetenzen zu entwickeln? Verändern wir zunächstdie Fragestellung: Wie können Lehrende ihre Schülerinnen und Schüler in ihrerindividuellen Kompetenzentwicklung unterstützen?Die Sehnsucht nach HomogenitätLehrende aller Zeitepochen haben das schon immer versucht, sich schon immer bemühtdie Schwachen heranzuführen, sie mitzunehmen und dem einzelnen Lernenden gerechtzu werden. Aber ist uns das hinreichend gelungen? War unser Blick nicht doch zu sehrvom Durchschnitt der Lerngruppe geprägt? Haben wir dabei die mittel- und längerfristigverbindlich anzustrebenden Erträge von Bildungsgängen ausreichend beachtet?„System jagt Fiktion“ – so überschreibt Hans-Jürgen Tillmann einen Artikel (Friedrich Jahres<strong>heft2</strong>2 (2004): Heterogenität, S. 6-9), in dem er die „Sehnsucht nach der homogenenLerngruppe“ (S. 9) und die Folgen für Schüler und Schulleistungen beschreibt. Er konstatierteinen Widerspruch zwischen den „didaktischen Vorstellungen, die man heute in derLiteratur […] lesen kann“ (S. 6), und der Unterrichtsrealität. Dass diese Fiktion – nämliches gäbe eine homogene Lerngruppe, und diese garantiere Unterrichtserfolg und Berufszufriedenheit– sich so hartnäckig in den Schulen festgesetzt hat, erklärt er mit dem Ineinandergreifenvon „institutionellen Vorgaben“ mit der eben beschriebenen „weit verbreitetenLehrermentalität“ (S. 9). Alle, die mit der Ausbildung von Lehramtsanwärtern betraut sind,wissen, dass diese „Mentalität“ bereits Berufsanfängern eigen ist, wenn diese nämlich inder Reflexion einer Unterrichtsstunde den Lernerfolg für die Gesamtlerngruppe an einzelnenSchüleräußerungen festmachen. „ Die Schüler wissen…“, „Die Schüler können…“ –die bunte, vielfältige, multikulturelle Lerngruppe wird gern als erratischer Block wahrgenommen,wenn es um die Einschätzung von Lernerfolgen geht. Diese Haltung ist prinzipiellnachvollziehbar, ermöglicht sie doch Handlungsfähigkeit durch Reduzierung vonKomplexität. Dass diese Reduzierung allerdings verbesserungswürdige Schulleistungennach sich zieht, wissen wir seit den internationalen Vergleichsstudien. Den Lehrern wirddort eine mangelnde Diagnosefähigkeit attestiert; der diagnostische Blick wird durch dieSehnsucht nach der Homogenität, die eine verengte Wahrnehmung bewirkt, getrübt. Mangelndediagnostische Fähigkeiten, das erfahren wir aus dem Buch von Andreas Helmke,haben unmittelbare Auswirkungen auf den Lernerfolg. (Helmke berichtet, dass Lerngruppen,deren Lehrer über gute Fähigkeiten, Unterricht zu strukturieren, aber schlechte Diagnosefähigkeitenverfügten, schlechtere Lernergebnisse aufwiesen als Lerngruppen, derenLehrer schlechte Fähigkeiten, Unterricht zu strukturieren und gute Diagnosefähigkeitenaufwiesen.) Dieser Befund verdeutlicht die Notwendigkeit, Schülerleistungen und Fähigkei-Seite 21


Kompetenzorientiertes Unterrichtenten individuell wahrzunehmen und entsprechende „didaktische Vorstellungen“ in die Realitätumzusetzen.Das Wendejahr 2003Die Wende wurde eingeleitet durch die Expertise „Zur Entwicklung nationaler Bildungstandards“(das sogenannte „Klieme-Gutachten“), die durch eine Expertengruppe unter derLeitung von Ekkehard Klieme erstellt wurde. In diesem Gutachten, das in seinen wesentlichenBestandteilen durch KMK-Beschlüsse Eingang in die Schule gefunden hat, wird demUnterricht die Aufgabe zugewiesen, domänenspezifische Kompetenzen zu entwickeln.Damit wird das Modell der fachunabhängigen „Schlüsselqualifikationen“ abgelöst, da dasLernen sich gegenstandsbezogener als angenommen erwiesen hat. Der Kompetenzaufbausoll in kumulativ-vernetzter Form erfolgen; der Erwerb von fach- bzw. domänenspezifischemdeklarativen und prozeduralen Wissen, miteinander funktional „verwrungen“, sollim Mittelpunkt des Unterrichts stehen. Die Ausrichtung auf Kompetenzen verpflichtet dieUnterrichtsgestaltung auf Differenzierung und Individualisierung, da Kompetenzentwicklungnur individuell denkbar ist. Bildungsstandards beschreiben die fachspezifische Kompetenzentwicklungzu einem bestimmten Zeitpunkt; diese Beschreibung sollte so präzisesein, dass allen Beteiligten klar ist, was zu diesem Zeitpunkt geleistet werden muss. DassUnterricht so (d.h. kompetenzorientiert) gestaltet werden kann, ist nichts Neues; neu istallerdings, dass die Unterrichtenden darauf verpflichtet und die Unterrichtergebnisse überprüftwerden; die Verpflichtung auf Bildungsstandards erhofft sich also eine Steigerung derUnterrichtsqualität.2004 trat in Berlin das neue Schulgesetz in Kraft; obwohl vor dem Klieme-Gutachten entstandenund den Begriff „Kompetenz“ eher „umgangssprachlich“ gebrauchend, sind diezentralen Aussagen des Schulgesetzes zur Unterrichtsgestaltung (z. B. §4 (4)) mit diesem„Gutachten“ kompatibel.Das überzeugende, in sich schlüssige und äußerst lesenswerte „Klieme-Gutachten“, dasgleichsam „skandinavische“ Berliner Schulgesetz bilden einen trefflichen konzeptionellenÜberbau, um im Unterricht inhaltsbezogene, kumulativ- vernetzte Kompetenzentwicklungenzu initiieren; es stellt sich nun die Frage nach der praktischen Umsetzung.Kompetenzorientiertes UnterrichtenGrundlage dafür sind fachdidaktisch fundierte Kompetenzmodelle, die fachspezifischeKernkompetenzen ausweisen, diese in Teilkompetenzen differenzieren und diese wiederumso elementarisieren, dass Niveaustufen und Entwicklungsgänge innerhalb von Zieldimensionenund über sie hinaus ( übergreifende Fähigkeiten wie Denkvermögen, Argumentationsfähigkeit,Problemlösefähigkeit, Darstellungs- und Präsentationsfähigkeit)deutlich werden. Diese Kompetenzmodelle informieren die Lehrkraft darüber, wie sich inKompetenzbereichen fachspezifische Vorstellungen entwickeln (können), damit Fehlvorstellungenidentifiziert und diesen wirksam begegnet werden kann. Auf der GrundlageSeite 22


Kompetenzorientiertes Unterrichteneines so entfalteten Kompetenzmodells können in Rahmenlehrplänen Standards definiertwerden; diese bilden dann die Basis für die Konkretisierungen, die die Lehrkraft für ihreheterogene Lerngruppe für Unterrichtseinheiten und -stunden vornimmt. Zentral für dieUnterrichtsplanung sind also die Rahmenlehrpläne, sollten doch die Standards die Zielpunkteder fachspezifischen Kompetenzentwicklung kohärent abbilden – abgestimmt vonder Schuleingangsstufe bis zum Abitur. Der Rahmenlehrplan hat also eine wichtige Orientierungsfunktionfür die praktische Gestaltung des Unterrichts. Erfüllen die Berliner Rahmenlehrplänediese Ansprüche? Helfen Sie den Lehrenden kompetenzorientierten Unterrichtzu konzipieren?Ein Blick in die Rahmenlehrpläne der Berliner GrundschuleDie Rahmenlehrpläne für die Grundschule zeichnen sich – im Gegensatz zur Oberschule– durch eine einheitliche Struktur aus, was prinzipiell sehr zu begrüßen ist. Allerdings sindsie begrifflich nur horizontal abgestimmt und lassen vertikal die Passung an die verwendetenKompetenzmodelle der Rahmenlehrpläne für die Oberschule vermissen. Obwohl anverschiedenen Stellen deutlich wird, dass der Erwerb von Kompetenzen stets an Inhaltengebunden ist, werden im Einleitungsteil aller Pläne die inhalts- bzw. fachübergreifendenSchlüsselkompetenzen(Sach-, Methoden-, Sozial-, Personalkompetenzen) favorisiert undjeweils für die Fächer konkretisiert. Eine weitere Ausdifferenzierung erfahren sie durch dieVorgabe von Standards und von Anforderungen, die an (zum Teil wenig präzisierte undsehr allgemein formulierte) Inhalte gebunden werden. Allerdings enthalten die einzelnenFächer eine für den Leser nur schwer erschließbare Stufung der anzustrebenden Kompetenzentwicklungbezogen auf die jeweiligen Zieldimensionen innerhalb eines Faches bzw.innerhalb der Themengebiete. Dies muss der Unterrichtende selbst konstruieren, was nurdem fachkundigen und erfahrenen Lehrer gelingt. Damit wächst die Gefahr, dass kumulativeAufbauprozesse zur Entwicklung fachspezifischer Kompetenzen innerhalb der Zieldimensionenund ihrer Progression sowie Niveaustufung nicht präzise erfasst und in entsprechendaufeinander aufbauende Lernprozesse umgesetzt werden. Im Unterricht werdenhäufig „Vermischungen“ der Entwicklung von Schlüsselkompetenzen praktiziert, dieso allgemein, bereichsunspezifisch und ohne nachhaltige Aufgabenkonstruktion realisiertwerden, dass weder dem Lernenden noch dem Beobachter transparent wird, welche Fähigkeiteneigentlich genau entwickelt werden sollen und welchen spezifischen Beitrag siezur Kompetenzentwicklung innerhalb von Sequenzen und Unterrichtseinheiten leisten sollen.Ob die in Arbeit befindlichen oder noch zu entwickelnden schulinternen Curricula hierzuHilfen anbieten können, muss in der derzeitigen Schulsituation offen bleiben.Ein Blick in die Rahmenlehrpläne der Berliner OberschuleDass es keine Eingangsstandards für die 7. Klassen gibt, verwundert nicht angesichts derTatsache, dass die Kompetenzbegriffe in den Rahmenlehrplänen von Grund- und Ober-Seite 23


Kompetenzorientiertes Unterrichtenschule verschieden sind. Dafür kann man eine weitgehende Übereinstimmung der Vorgabenfür die Sekundarstufe I und II feststellen, wobei die 11. Klasse, die ja bald Geschichtesein wird, stiefmütterlich behandelt wird.Dass die Qualität der Rahmenlehrpläne hinsichtlich der einzelnen Fächer so unterschiedlichist, kann man den „Rahmenplanmachern“ nicht anlasten – hier spiegelt sich wider,dass es nur in wenigen Fächern gründlich erarbeitete und ausdifferenzierte Kompetenzmodellegibt. Zwei Beispiele mögen das verdeutlichen:Lehrkräfte, die Mathematik unterrichten, sind zu beneiden: Hier findet sich ein fachdidaktischfundiertes Kompetenzmodell, das inhalts- und prozessbezogene Kompetenzen unterscheidetund differenzierte Standards aufweist; hier findet die Lehrkraft eine sinnvolleOrientierung für die kompetenzorientierte Unterrichtsgestaltung.Ganz anders das Fach Latein: Der alt-ehrwürdigen Mutter der modernen Fremdsprachenhat man deren Kompetenzmodell übergestülpt, was angesichts der Tatsache, dass diealte Sprache und die modernen Fremdsprachen recht unterschiedliche Bildungsziele haben,doch verwundert. So kann man vieles über das Sprechen lesen; das Wort „Übersetzung“kommt im Sek-I-Rahmenlehrplan nicht vor; immerhin findet sich der Begriff „Übersetzungskompetenz“im Sek-II-Rahmenlehrplan; in diesem Zusammenhang erfährt derLeser dann allerdings, dass die Übersetzung die entscheidende Fachleistung ist …Insgesamt kann man für alle Schulstufen feststellen, dass die Rahmenlehrpläne in Hinblickauf oben formulierten Anspruch noch eher Baustelle als Orientierung sind – typischeSymptome einer Umbruchszeit. Es wäre also wünschenswert, die jeweils verwendetenStrukturen und Begriffsapparate abzustimmen und an einem domänenspezifischen Kompetenzmodellauszurichten, das auf der Grundlage der KMK-Standards die für die Fächerje spezifischen Zieldimensionen in einem Grundmodell so darstellt, dass ein kumulativvernetzterAufbau der notwendigen Lernaufgaben und ihrer möglichen Niveaustufungdeutlicher wird. Ergebnis könnten dann konzeptionell und begrifflich abgestimmte Rahmenlehrplänesein, die einem domänenspezifischen Grundkompetenzmodell folgen unddie die fachspezifischen Entwicklungslinien und Zieldimensionen aufeinander aufbauendund niveaugestuft darstellen. So würden sie den Lehrenden in der Tat dazu verhelfen,Mindeststandards und notwendige Lernoperationen zumindest präziser zu identifizieren,Lernstandsdiagnosen zielführender durchzuführen und die Kompetenzentwicklung derLernenden systematischer zu unterstützen. Es wird aber auch dann die Aufgabe des Lehrendenbleiben zu bestimmen, welche Kompetenzen an welchen Inhalten mit welchenLernoperationen erworben werden können: Dazu bedarf es der Vergewisserung des Sinngehaltsvon Kompetenzbereichen/Bildungsstandards und der in konkreten Inhalten verstecktenPotenziale für eben diese angestrebten Befähigungen. Auch hier versteckt sichein Paradigmenwechsel. Handelt es sich bei inhaltsorientierter und bildungstheoretischerAusrichtung von Lehrplänen noch mehr um relative Freiheit und Unbestimmtheit von Lernzielen,so geht es in der <strong>Kompetenzorientierung</strong> mehr um die Eignung und passende Gestaltungvon Lernwegen bei klarer Vorgabe von domänenspezifischen Bildungsstandards.Seite 24


Kompetenzorientiertes UnterrichtenFazitRahmenlehrpläne machen noch keinen Unterricht – es sind zu allen Zeiten die Lehrenden,die unter bestimmten Bedingungen Unterricht machen, also konzipieren und realisieren,und die Lernenden, die für Ihre Lernprozesse Verantwortung übernehmen müssen. Natürlichmuss sich Unterricht entwickeln und verändern. Es wäre jedoch fatal, „neuen“ Unterrichtgegen „altes“ Lehren und Lernen zu profilieren. Wenn neue Rahmenlehrpläne dazubeitragen könnten, bereits vorhandene Elemente, Verfahren und Prozesse an den Schulenzu stärken und vorhandene Hindernisse und Schwächen zu vermindern, wäre schonGutes geleistet.Rahmenlehrpläne sind dabei nicht mehr – aber auch nicht weniger! – als ein Steuerungsinstrumentfür die Qualität schulischer Bildung. An der Effektivität dieser Steuerungsfunktionsind sie zu messen. Hierzu bedarf es auf Seiten der Verwaltung der präzisen Abstimmungdieser Steuerungselemente und einer zielführenden Implementierung der neuenRLP insbesondere mit fachbezogenen Fortbildungsangeboten für Fachleiter und Fachkonferenzen.Auf Seiten der Lehrkräfte sollte erkannt werden, dass RLP sehr wohl Hilfen fürdie Planung und Gestaltung kumulativer Lernprozesse und fachbezogener Lernstandsanalysengeben können und verbindliche Vorgaben zur Erreichung von Standards für dieEtappen schulischer Bildungsgänge machen, an denen die Unterrichtsarbeit maßgeblichauszurichten ist.Klaus MeisterLeiter des 3. Schulpraktischen Seminars Mitte (L)Jens KühneLeiter des 2. Schulpraktischen Seminars Treptow-Köpenick (S)Des Kaisers neue Kleider?Seit Beginn der Diskussion um die Einführung der neuen Rahmenlehrpläne, die nicht unwesentlichdurch den Bologna-Prozess initiiert bzw. vorangetrieben wurde, gibt es überallin den Kollegien Diskussionen und Versuche unterschiedlicher Exegesen des BegriffsKompetenz.Im Zentrum der Auseinandersetzungen mit den Rahmenlehrplänen steht der Versuch, dieKompetenzen fachspezifisch zu definieren und für die in der täglichen Praxis stehendenLehrkräfte für den Unterricht umsetzbar zu machen.Für die Gesellschaftswissenschaften Geschichte, Sozialkunde und Politikwissenschaftfinden sich in den Rahmenlehrplänen die Methoden-, die Deutungs- und Analysekompetenzsowie die Urteils- und Orientierungskompetenz, die alle den Schülern den Er-Seite 25


Kompetenzorientiertes Unterrichtenwerb von Narrativität „als Ausdruck eines angewandten, reflektierenden und urteilendenGeschichtsbewusstseins“ 11 ermöglichen sollen.Hört man sich unter Kollegen um, so ergeben Gespräche über die Methoden-, DeutungsundAnalysekompetenz ein Grundverständnis, das darauf zurückzuführen ist, dass sichhier Aspekte finden, die ein Geschichtslehrer selbstverständlich immer in seinem Unterrichtpraktiziert hat, ohne es bis anhin mit den entsprechenden Begriffen belegt zu haben.Auch das Üben, ein Urteil begründet zu formulieren, ist seit jeher jedem Geschichts- undPolitikwissenschaftslehrer geläufig. Zieht man allerdings die Erläuterungen des Rahmenlehrplanshinzu, ergeben sich für viele Kollegen doch mehr Unklarheiten als klärende, fürdie Unterrichtsarbeit hilfreiche Angaben. Vereinzelt werden Teilaspekte der Urteilsbildung– z. B. die Differenzierung von Sach- und Werturteil – für die Vermittlung und Transparenzderselben als hilfreich gesehen.Die <strong>Kompetenzorientierung</strong> wird als „lernendenzentriert“ der als „lehrendenzentriert“ gekennzeichnetenLernzielorientierung gegenübergestellt, wodurch der Eindruck erwecktwird, die zuvor praktizierte Lernzielorientierung habe die Fähigkeiten und Kenntnisse derSchüler nicht berücksichtigt. Soll die jetzige Kompetenz- und damit Outputorientierungdies nun endlich in den Blick rücken? Nicht selten führt dieser Aspekt gerade bei seit Jahrenmit großem Engagement in der Praxis stehenden Lehrkräften zu Unverständnis bzw.Verunsicherung. Die Zielorientierung, deren unterstellte mangelnde Zweckmäßigkeit nichtempirisch untersucht wurde, u. a. mit der Argumentation abzuschaffen, sie sei lehrendenzentriert,ist wissenschaftlich nicht haltbar. Auch für eine Zielorientierung hat jede Lehrkraftin ihrer Ausbildung gelernt, die Lerngruppe differenziert zu analysieren und den Unterrichtin Abstimmung mit dem Rahmenplan an der Lerngruppe orientiert zu gestalten.Interessant wäre es, der Frage nachzugehen, ob die mittels der Fokussierung der Kompetenzeneingeführte Outputorientierung zu einer der einzelnen Schülerpersönlichkeit nichtgerecht werdenden, vorrangig der Wirtschaft dienenden Ökonomisierung der Bildungsinhalteführen könnte. 12Viele Lehrer sind bereit, sich auf Neues einzulassen, halten aber zum einen in Klassen miteiner Klassengröße von 32 und mehr Schülern die Ermöglichung des individuellen Kompetenzerwerbsfür problematisch, zum anderen erschließt sich ihnen in Teilen auch nichtder Nutzen für die Schüler selbst.Schaut man sich unter den Lehrern um, die man seit Jahren als engagierte Lehrer undPädagogen in ihrer täglichen Arbeit erleben kann und deren echtes Anliegen ist, die Schülerein Stück auf ihrem Lebensweg zu begleiten und ihnen für ihr weiteres Leben einenTeil ihres Rüstzeugs mitzugeben, bleibt es fraglich, ob durch die Auflagen der neuenRahmenlehrpläne „endlich bessere Lehrer“ geschaffen werden können.11 vgl. RLP für die Sek. I, Berlin 2006, S. 1312 Sehr zu empfehlen ist zu diesem und weiteren Aspekten der aktuellen Diskussion das Buch von JochenKrautz, Ware Bildung, München 2006Seite 26


Kompetenzorientiertes UnterrichtenFragt man die Referendare nach dem Verständnis und der Praktikabilität des kompetenzorientiertenUnterricht, ergibt sich ein ähnliches Bild wie bei den fertig ausgebildeten Lehrkräften:Methoden-, Deutungs- und Analysekompetenz werden für einigermaßen praktikabelgehalten, die Umsetzung der Urteils- und Orientierungskompetenz hingegen wird fürschwierig befunden. Als positiv erachtet ein Teil der Referendare die Möglichkeit, denSchülern mittels der <strong>Kompetenzorientierung</strong> Lernstrategien und damit ein bewusstes Lernenzu ermöglichen.Durch die Outputorientierung ist möglicherweise die gewünschte Überprüfbarkeit von Ergebnissengegeben. Von „möglicherweise“ ist hier deshalb zu sprechen, weil letztendlichweiterhin Unschärfen in der grundsätzlichen Definition der Kompetenzen sowie bei derenAbstufung bestehen.Gewiss bleibt trotz und auch mit aller <strong>Kompetenzorientierung</strong>, dass für einen guten Lehrerund Pädagogen seine eigene Bildung, und zwar im umfänglichen Sinne verstanden, unabdingbarist. Hierzu gehören fundierte Sachkenntnisse in seinem Fachgebiet, aber auchüber das Lernen, das Bedürfnis und die Fähigkeit, dieses Wissen jüngeren Menschen zuvermitteln, sowie Herzensbildung und das Bewusstsein, für die Schüler ein Vorbild alsMensch zu sein.Karin RohrlackFachbereichsleiterin und -seminarleiterinfür Geschichte, Sozialkunde und PolitikwissenschaftenErich-Hoepner-GymnasiumLernziel: KompetenzenEine Gegenüberstellung der Berliner Rahmen(lehr)pläne MathematikProzessbezogene mathematische KompetenzbereicheIm neuen Rahmenlehrplan sind in Anlehnung an die Bildungsstandards „prozessbezogenemathematische Kompetenzbereiche“ formuliert, die auch als allgemeine mathematischeKompetenzen bezeichnet werden: Argumentieren Probleme lösen Modellieren Darstellungen verwenden Mit symbolischen, formalen und technischen Elementen der Mathematik umgehen KommunizierenSeite 27


Kompetenzorientiertes UnterrichtenDie sich ergebenden Kombinationen aus prozessbezogenen und inhaltsbezogenen Kompetenzbereichensowie den Anforderungsbereichen veranschaulicht die folgende Graphik– diese zu interpretieren, erfordert vom Leser die Kompetenz „Darstellungen verwenden“!Kompetenzwürfel MathematikGraphik aus H. Meyer, S. 150Die inhaltsbezogenen mathematischenKompetenzbereiche werden in denBildungsstandards und im Rahmenlehrplandurch Leitideen beschrieben.In der Literatur zur Fachdidaktik Mathematik wurden lange vor PISA und TIMSS Ziele desMathematikunterrichts beschrieben, die wie bei Winter den Bezug zu den im neuen Rahmenlehrplanformulierten prozessbezogenen Kompetenzen deutlich werden lassen (vgl.Wittmann, S. 41). Mathematikunterricht hatte, sofern er diese Ziele und die fachdidaktischenForderungen berücksichtigte, schon immer die Kompetenzentwicklung der Schülerim Blick. Dies spiegelte sich in den Rahmenplänen und Formulierungen der Lernziele allerdingsnur in Teilen wider. Am Beispiel der prozessbezogenen Kompetenz „Darstellungenverwenden“ soll dies exemplarisch aufgezeigt werden.Dass dieser Kompetenzbereich eine wichtige und übergeordnete Rolle spielen sollte, machenfolgende Aussagen deutlich, die wiederum lange vor TIMSS und PISA gemacht wurden:„Zusammenfassend ist also eine Vernachlässigung der darstellenden und mitteilendenAspekte von Mathematik im Alltag zu konstatieren, eine unzureichende Einübung inund Reflexion von Mathematik als Kommunikationsmedium.“... „Eine Graphik spricht nurscheinbar für sich selbst; ihre sachgemäße Entschlüsselung, das Verstehen ihrer "Botschaft"ist in hohem Maße an vorausgegangene Lernprozesse gebunden.“(Heymann, 1996, S. 141)Seite 28


Kompetenzorientiertes UnterrichtenUnd Fischer/Malle schreiben 1985: „Wir möchten in diesem Kapitel einige Argumente füreine Betonung des Darstellens und Interpretierens vorbringen und entsprechende Vorschlägefür den Unterricht machen.“ (Fischer/Malle, S. 221) Dort findet man auch genausolche Darstellungen, die deutsche Schüler bei PISA und TIMSS nicht angemessen lesenund interpretieren konnten, weil sie offensichtlich im Mathematikunterricht zu selten odergar nicht als geeignete Aufgabenstellungen eingesetzt wurden. (S. 233 ff.)Die Kompetenz „Darstellungen verwenden“„Zu dieser Kompetenz gehört sowohl das eigenständige Erzeugen von Darstellungen mathematischerGegenstände als auch das verständige Umgehen mit bereits vorgegebenenRepräsentationen. Dabei sind neben grafischen Darstellungsformen wie etwa Diagrammen, Abbildungen, Fotos, Skizzen realer Sachverhalte, statistischen Schaubildern,Graphen auch andere Darstellungsmöglichkeiten von Bedeutung, wie z. B. Formeln, sprachliche Darstellungen, Handlungen/Gesten, Programme (in einer Programmiersprache).Aus dem bloßen Vorhandensein einer dieser Darstellungen lässt sich noch nicht folgern,dass die Kompetenz Darstellungen verwenden eine Rolle spielt. So dienen beispielsweiseAbbildungen nicht zwangsläufig als Träger mathematischer Informationen, sondern könnenauch eine bloß illustrierende oder motivierende Funktion erfüllen. Zudem ist man inder Mathematik immer gezwungen, auf Darstellungen als Vermittler ihrer Inhalte zurückzugreifen,z. B. wenn es um Darlegungen (Kompetenz Kommunizieren) geht. Erst wenngefordert wird, dass man sich für die Bearbeitung einer Aufgabe aktiv mit Darstellungenmathematischer Inhalte auseinandersetzen muss, werden die folgenden Fähigkeiten relevant: Erstellen oder Verändern einer Darstellung, Interpretieren oder Bewerten einer gegebenen Darstellung, Wechseln zwischen verschiedenen Darstellungsformen.Der mit diesen Fähigkeiten einhergehende kognitive Anspruch kann durch die folgendenAnforderungsbereiche näher beschrieben werden:Anforderungsbereich I: Standarddarstellungen von mathematischen Objekten und Situationenanfertigen und nutzen.Anforderungsbereich II: Gegebene Darstellungen verständig interpretieren oder verändern;zwischen zwei Darstellungen wechseln.Anforderungsbereich III: Unvertraute Darstellungen verstehen und verwenden; eigeneDarstellungsformen problemadäquat entwickeln; verschiedene Formen der Darstellungzweckgerichtet beurteilen.“ (Blum u. a., S. 43/44)Seite 29


Kompetenzorientiertes UnterrichtenAlter Rahmenplan MathematikKlasse 7/8, Niveau II (S. 17/37)LernzieleKlasse 7:Zuordnungen, Proportionalität,AntiproportionalitätDen Eingangsgrößen die Ausgangsgrößezuordnen und dieseZuordnungen darstellen können.Die kennzeichnenden Eigenschaftender proportionalen undantiproportionalen Zuordnungwissen.An Beispielen entscheiden können,welche Art der Zuordnungvorliegt.Anwendungsaufgaben rechnerischund in geeigneten Fällenauch graphisch lösen können.Klasse 8: FunktionenEine Zuordnung auf Eindeutigkeitüberprüfen können.Den Begriff Definitionsmengekennen und Definitionsmengenangeben können.Funktionsgraphen mit Hilfe vonWertetabellen zeichnen können.Die Graphen von linearen Funktionenohne Wertetabelle zeichnenund Funktionsgleichungenzu vorgegebenen Geraden angebenkönnen.Neuer Rahmenlehrplan MathematikJahrgangsstufen 7/8 (S. 18/21)Prozessbezogene StandardsDarstellungen verwendenDie Schülerinnen und Schüler- interpretieren verschiedene mathematischeDarstellungen (verbale, numerische, graphischeund symbolische),- wählen je nach Situation und Zweck geeigneteDarstellungsformen aus oder übersetzen zwischenihnen,- erkennen Beziehungen zwischen Darstellungenund reflektieren Unterschiede zwischenihnen.Inhaltsbezogene Standards (Ende der Klasse 8)Leitidee funktionaler ZusammenhangDie Schülerinnen und Schüler- beschreiben, interpretieren und berechnenproportionale und antiproportionale Zusammenhängein Alltagssituationen,- verwenden für proportionale bzw. antiproportionaleZusammenhänge unterschiedliche Darstellungsformen,- nutzen die Prozentrechnung- lösen lineare Gleichungen und Gleichungssystemedurch systematisches Probieren, rechnerischund graphisch,- geben zu Graphen linearer bzw. stückweise linearerFunktionen mögliche Sachsituationenan,- beschreiben Sachsituationen durch lineareGleichungen und Gleichungssysteme.____________________________________________- beschreiben lineare Zusammenhänge undstellen diese sprachlich, tabellarisch oder graphischsowie ggf. als Term dar,- beschreiben Veränderungen von Größen mitlinearen Funktionen,- wenden lineare Funktionen bei der Beschreibungund Bearbeitung von Sachzusammenhängenan,- bestimmen Merkmale linearer Funktionen undstellen Beziehungen zwischen Funktionstermund Graphen her,- untersuchen die Lösbarkeit linearer Gleichungenund Gleichungssysteme.____________________________________________- beschreiben lineare Zusammenhänge durchFunktionsgleichungen,- lösen lineare Ungleichungen und nutzen Intervallezur Beschreibung von Lösungsmengen.Seite 30


Kompetenzorientiertes UnterrichtenGemeinsamkeiten und Unterschiede Die Lernziele der linken Spalte finden sich in den „inhaltsbezogenen Standards“ derrechten Spalte wieder. Die „inhaltsbezogenen Standards“ berücksichtigen darüber hinaus Beziehungen, Anwendung,Umkehrung, verschiedene Darstellungsebenen und die Vernetzung mit anderenInhalten. Die „prozessbezogenen Kompetenzen“, die an diesem Inhalt erworben werden können,sind im alten Rahmenplan nicht formuliert. Die die prozessbezogene Kompetenz „Darstellungen verwenden“ kennzeichnendenFähigkeiten gehen weit über das hinaus, was in den Lernzielen nur ansatzweise gelesenwerden kann, z. B. interpretieren, bewerten und reflektieren.Es wird deutlich, dass durch die Festlegung von Kompetenzbereichen und Standards derBlickwinkel auf Ziele des Lernens im Mathematikunterricht und auf den Lernprozess selbsterheblich erweitert wurde. Dabei haben, wie oben schon erwähnt, im Idealfall viele dieserAspekte auch vorher schon guten Mathematikunterricht gekennzeichnet.Kompetenzbereiche in anderen FächernIm Moment wird die Strukturierung von Kompetenzbereichen für den Mathematikunterrichthäufig als Beispiel bzw. Modell verwendet, da dort die Entwicklung in der Fachdidaktikdeutlich weiter vorangeschritten ist als in anderen Fächern. Für andere Fächer wird dieFestlegung und Zuordnung zu prozessbezogenen bzw. allgemeinen und inhaltsbezogenenKompetenzbereichen jedoch oft als nicht möglich bzw. nicht sinnvoll eingeschätzt. Meyerschreibt hingegen dazu: „Was für mathematische Kompetenz- und Aufgabenbeschreibungengilt, gilt analog für alle anderen Unterrichtsfächer. Auch dort lassen sich Kompetenzbereicheund fachspezifische Aufgabenstellungen miteinander kreuzen.“S. 150)(Meyer, H.,Literatur Blum, Drüke-Noe, Hartung, Köller: Bildungsstandards Mathematik: konkret, Berlin 2006 Fischer/Malle: Mensch und Mathematik, Zürich 1985 Heymann, H. W.: Allgemeinbildung und Mathematik, Weinheim und Basel 1996 KMK: Bildungsstandards im Fach Mathematik für den Mittleren Schulabschluss, 2003 Meyer, H.: Leitfaden Unterrichtsvorbereitung, Berlin 2007Senator für Schulwesen: Rahmenpläne für Unterricht und Erziehung in der Berliner Schule(Gymnasium), Mathematik, Niveau II, Berlin 1987 Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport: Rahmenlehrplan für die Sekundarstufe I,Mathematik, Jahrgangsstufen 7/8, Berlin 2006 Wittmann, E.: Grundfragen des Mathematikunterrichts, Braunschweig 1978Ingrid StampeLeiterin des 3. Schulpraktischen Seminars Steglitz-Zehlendorf (L)Seite 31


Kompetenzorientiertes UnterrichtenDie Kunst und die Kompetenzen – die Kompetenzen und die KunstKompetenzen, Kompetenzentwicklung, Standards – wie in anderen Fächern auch, ist imFach Bildende Kunst die bundesweite Diskussion keineswegs abgeschlossen, ob überhauptund wenn ja inwieweit auch in den künstlerischen Fächern Standards beschriebenwerden können und sollen, ob sich Basis- oder Kernkompetenzen akzentuieren lassenund inwieweit diese ergänzt werden müssen, etwa im Sinne von Pflicht und Kür; mit anderenWorten: worin das „Eigentliche“ zeitgemäßen Kunstunterrichts zu sehen sei.Erst dann ließe sich nämlich der „Beitrag des Faches Bildende Kunst zur Kompetenzentwicklung“auf fachlich solider Grundlage ermitteln.In der Fachdiskussion der letzten Jahre hat sich als konsensfähig der Begriff „Bildkompetenz“als Kernkompetenz herausgeschält, nachdem vorher von Bildsprachenkompetenzdie Rede war (was mir treffender schien, aber natürlich immer eine Frage der Definitionist), in diesem Rahmen und teilweise darüber hinaus geht es um Gestaltungskompetenzund eine Vielzahl von „Unterkompetenzen“; letztlich lässt sich fast jeder Begriff zu einerentsprechenden „Kompetenz“ erklären (bis hin zum „Rasenkompetenzteam“ der Fußballweltmeisterschaftdes vorigen Jahres).Wie formulieren dies nun die Rahmenlehrpläne Bildende Kunst für die SekundarstufenI und II?Im Rahmenlehrplan für die Sekundarstufe I heißt die Kernkompetenz „ästhetischkünstlerischeKompetenz“, im Rahmenlehrplan für die Sekundarstufe II ist es die „Bildkompetenz“.Der Blick in die Pläne zeigt, dass es sich hier nicht nur um unterschiedlicheBegrifflichkeiten, sondern um in wichtigen Teilen differente Fachkonzeptionen handelt.Diese Einwände wurden seinerzeit in die Diskussion der Entwurfsfassungen von vielenSeiten eingebracht – leider ohne Erfolg, die Kontroversen waren in der Kürze der zur Verfügungstehenden Zeit offensichtlich nicht auszuräumen. Also haben wir es jetzt bis aufweiteres mit zwei Rahmenlehrplänen zu tun, deren begrenzte konzeptionelle Schnittmengedie Entwicklung einer schlüssigen und kumulativen Gesamtplanung über die beidenSekundarstufen hinweg nicht gerade erleichtert.Das ist bedauerlich, denn eine allgemeine Umorientierung des Kunstunterrichts hin zur<strong>Kompetenzorientierung</strong> entsprechend den neuen gesetzlichen Vorgaben wäre dringenderforderlich (auch wenn von „Stofforientierung“ der alten Rahmenpläne bei näherer Betrachtungkaum die Rede sein kann – deren Offenheit im Bereich der Unterrichtsinhaltewar ja gerade zu Zeiten fester Stoff-Verteilungspläne häufiger Kritikpunkt).Als positive Entwicklung sei deswegen ausdrücklich hervorgehoben:Die deutliche Orientierung an der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen (auch wenn diesnicht unbedingt zu übertriebener Individualisierung und Psychologisierung führenmüsste),Seite 32


Kompetenzorientiertes Unterrichtendie besondere Betonung der zeitgenössischen Kunst (auch wenn dies nicht unbedingtzu einseitiger Bevorzugung zu Lasten historischer Kontexte führen müsste),die deutliche Einbeziehung aktueller künstlerischer Strategien (auch wenn dies nichtunbedingt zur Vernachlässigung eines basalen Gestaltungsrepertoires führen müsste),die Betonung offener Aufgabenstellungen (die allerdings einer soliden Basis bedürfen),die Notwendigkeit einer veränderten Einschätzungs- und Bewertungspraxis im Sinneeiner Förderung der individuellen Kompetenzentwicklung,die thematische Verknüpfung mehrerer Gegenstandsbereiche in den Kursen der gymnasialenOberstufe,ganz allgemein die Formulierung von Standards und Kompetenzen (auch wenn dieseiner stärkeren Konkretisierung bedürfte).Wie sieht nun die Situation in den Schulen aus?Auf die seit Jahrzehnten bestehende Aufgabe, auf der Basis von Rahmenlehrplänen inden Fachkonferenzen schulinterne Fachcurricula zu entwickeln, haben die Fachkollegiensehr unterschiedlich reagiert:Rahmenlehrpläne, insbesondere bei Neueinführung, werden als ein Instrument derInnovation begriffen und in entsprechende Unterrichtskonzepte umgesetzt.Nur die notwendigsten Kompromisse werden eingegangen.Die Unterrichtspraxis bleibt unberührt von jeglichen Vorgaben oder fachlichen Diskussionenüber Jahre oder Jahrzehnte unverändert.Ähnliche Verhaltensmuster (ich bin mir der gröblichen Vereinfachung bewusst) sind auchin der heutigen Situation anzutreffen, wie zahlreiche Rückmeldungen von Referendarenaus den unterschiedlichsten Ausbildungsschulen sowie eigene Eindrücke nahe legen:Einige Fachbereiche Bildende Kunst haben bereits differenzierte Stufenpläne entwickelt,mehrheitlich für die Sekundarstufe I, weniger häufig für die Sek II.An anderen Schulen gibt es eher weitmaschige Vereinbarungen.Etliche Schulen waren bislang nicht in der Lage – vielleicht aus nachvollziehbarenGründen – gemeinsame Absprachen zu treffen.Die bereits vorliegenden schulinternen Fachcurricula orientieren sich nur in einigen Fällenvorrangig an den Entscheidungsfeldern des Rahmenlehrplans Sekundarstufe I, häufig findensich Mischformen, die eine eigenständige Vernetzung wichtiger Dimensionen erkennenlassen, teilweise aber auch bekannten (und eigentlich überholten Stoff-) Strickmusternfolgen.Welche Hilfestellung kann in dieser Situation die Arbeit in den Fachseminarengeben?Natürlich ist auch die Einstellung der Fachseminarleiterinnen und Fachseminarleiter in SachenRahmenlehrplan nicht einheitlich. Allen gemeinsam ist aber das Bemühen, die Referendarebei der Konzeption kompetenzorientierten Unterrichts zu unterstützen. Dabei er-Seite 33


Kompetenzorientiertes Unterrichtengeben sich – mehr oder weniger ausgeprägt oder auch gar nicht je nach fachdidaktischerPräferenz – auch bei einigen Ausbildern konzeptionelle und begriffliche Schwierigkeitenmit den neuen Rahmenlehrplänen, die es für die Arbeit in den Fachseminaren aber produktivzu wenden gilt. Auch der Blick über die Grenzen des Faches hinweg kann hier zumehr Klarheit führen, zumindest aber Anregungen geben.In der Anfangsphase des Referendariats liegt der Schwerpunkt – zumal wenn aus demStand bis zu 10 Stunden selbständigen Unterrichts zu erteilen sind – vielfach in ersterLinie auf der Vorbereitung und Durchführung von Unterricht, der von den Lerngruppen alsfachlich sinnvoll empfunden wird. Das fällt häufig dann nicht leicht, wenn sich das Studiumauf die Entwicklung der individuellen künstlerischen Kompetenz konzentriert hat und dasBerufsfeld Schule erst recht spät in den Blick geraten ist, wobei es natürlich individuelleUnterschiede je nach Interessenlage oder Studienort gibt. Grundsätzlich ändern könntesich dies mit den zukünftigen Absolventen des Master-Studienganges Bildende Kunst,was aber abzuwarten bleibt. Jedenfalls gibt es Ansätze, eine Berufsfeld bezogene Zusammenarbeitzwischen erster und zweiter Phase zu verabreden.Bei der Beratung bei Unterrichtsbesuchen sowie bei der gemeinsamen Arbeit im Fachseminarsollte aber so früh wie möglich der Blick auf den Lernprozess des einzelnenSchülers gelenkt werden, damit Möglichkeiten einer gezielten und individuellen Kompetenzförderungim Bereich der Produktion, Rezeption und Reflexion zunehmend stärkereAufmerksamkeit erfahren.Nach meinem Verständnis geht es hierbei nicht um „kompetenzorientierte Unterrichtsentwürfe“als eine neue Textsorte, sondern um die Frage, wie auf der Folie verbindlicherStandards pädagogisch sinnvoll und fachlich vertretbar ein Unterricht konzipiert und realisiertwerden kann, der zur Kompetenzentwicklung im künstlerischen Bereich einen tatsächlichenBeitrag leisten kann – was sich dann natürlich auch in einer angemessenenForm der Verschriftlichung wiederfinden müsste.Dem hohen Anspruch, wie ihn der Fachbrief Kunst Nr. 2 vom 21. September 2005 rechtunbescheiden formuliert, wollen wir uns natürlich gerecht zu werden bemühen: „Der neueRahmenlehrplan Kunst für die Sekundarstufe I begreift Kunst als eine besondere Erkenntnis-und Kommunikationsweise in einer Gesellschaft und Kultur. Damit bekommt das FachKunst eine neue Funktion im Zusammenhang mit Allgemeinbildung.“Dann müsste man ja eigentlich den Stundenanteil der künstlerischen Fächer endlich wiedererhöhen ...Hans-Carl WeberHauptamtlicher Fachseminarleiter Bildende Kunst (S)Seite 34


Kompetenzorientiertes UnterrichtenKonkrete Utopie?oderVon der (Un)Möglichkeit einerkompetenzorientierten Musiklehrerausbildung„Natürlich ist auch bei der Aneignung des Unterrichtsstoffes (sowohl bei der Aneignungjeglichen Wissens überhaupt als auch bei der Beherrschung der Wissenschaft) entscheidend,welchen Platz die Erkenntnis im Leben des Menschen einnimmt, ob sie für ihn tatsächlichein Teil seines Lebens ist oder nur eine äußere, von außen aufgezwungene Bedingung.‚Die Wissenschaft’, schrieb Herzen, ‚muss man durchleben, will man sie sichnicht formal aneignen.’ Will man sich den Stoff nicht formal aneignen, darf man auch beimLernen den Unterricht nicht ‚absitzen’, sondern muss ihn durchleben. Der Unterricht mussfür den Schüler Lebensbedeutsamkeit erhalten“ (LEONTJEW, S. 281).Kompetenzen sind „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitivenFähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenenmotivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um dieProblemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zukönnen“ (WEINERT, S. 27f.).„In unserer Internatsschule im Harz hatten wir bis zu einem bestimmten Tag (als 11. Klasse)den üblichen Musikunterricht mit der üblichen Mischung aus Langeweile und Renitenzgehabt, wobei unsere Haltung zum Musiklehrer durch die Variante mitleidiger Belustigunggeprägt war. An diesem Tage nun hörten wir, als wir die Aula, in der der Unterricht stattfand,schon verlassen hatten, vom Flur her Klavierspiel, das offensichtlich von unseremLehrer stammte. Wir gingen in die ... Aula zurück, setzten uns leise in die letzte Reihe undhörten zu. Der Musiklehrer spielte ... in überzeugender Weise alle vier Balladen von Chopin.Als er geendet hatte und wir – diesmal nicht höhnisch, sondern eher zaghaft verlegen– Beifall klatschten, blickte er erstaunt hoch: Ach, ihr seid ja noch da. – In der nächstenMusikstunde sagten wir zu ihm, wir hätten ja keine Ahnung gehabt, dass er so Klavierspielen könne, das sei schön gewesen, und er solle doch wieder was spielen. Er spielte,und wir kamen darüber ins Gespräch. Von da an hatten wir keinen Musikunterricht mehr,erfuhren aber viel Wichtiges und Eindrucksvolles über Musik. Für mich kann ich sagen,dass dadurch mein Verhältnis zur Musik bis heute wesentlich mitbestimmt wurde“(HOLZKAMP, S. 495).„Domänen sind Gegenstandsbereiche (z. B. Inhaltsbereiche von Fächern oder Lernbereichen),in denen die Lernentwicklung stattfinden soll und zu identifizieren ist. [...] Kompetenzentwicklungist der kumulative Ausbau der Fähigkeit, domänenspezifische Anforderungenund Probleme bewältigen bzw. lösen zu können“ (KAYSER, S. 15 ff.)Seite 35


Kompetenzorientiertes Unterrichten„Es sind die Erziehungswissenschaftler, die von der Bildungspolitik um Rat gefragt werden,und keineswegs die Fachleute (d.h. die Fachdidaktiker mit Hilfe der Fachwissenschaftler).Sie sind um guten und schnellen Rat auch nicht verlegen, sind sie doch nichtbelastet von den komplizierten und den jeden Unterricht entscheidenden Fragen, wieKompetenzen, Standards und Kerncurricula in fachlicher Hinsicht oder gar in Rücksichtauf menschlich-individuelle Situationen aussehen könnten. Nicht behindert von Überlegungenzu inhaltlichen Details und Interpretationen, können sie unbekümmert in die Terminologie-Weltder Ökonomie eintauchen, angefangen mit dem schönen Unwort ‚Standard’,angewandt auf menschliches Verhalten und Handeln. Die erziehungswissenschaftlich-ökonomischformulierten und bildungspolitisch sanktionierten formalen Grundlagengeben die Kriterien für die fachlich (erst noch zu erörternden) Kompetenzen und Standardsvor, sozusagen zum Ausfüllen in die noch inhaltsleeren Felder“ (RICHTER, S. 14).„Der Begriff „Realsozialismus“ bringt dabei zum Ausdruck, dass die entsprechenden Staatensich auf die Ideen des Sozialismus und Kommunismus beriefen und sich als derenVerwirklichung verstanden, dass hierbei jedoch Idee und Realität nicht immer deckungsgleichwaren“ (WIKIPEDIA).Wie der hoffentlich geneigte Leser möglicherweise noch nicht erahnen konnte, geht es indiesem Artikel um die <strong>Kompetenzorientierung</strong> in der Musiklehrerausbildung. Es wird dabeihilfreich sein zu unterscheiden zwischen der- <strong>Kompetenzorientierung</strong>, der- real existierenden <strong>Kompetenzorientierung</strong> und der- <strong>Kompetenzorientierung</strong>svorspiegelung.1. <strong>Kompetenzorientierung</strong><strong>Kompetenzorientierung</strong> in der Musiklehrerausbildung wie in der Lehrerausbildung überhauptkann nicht losgelöst von der <strong>Kompetenzorientierung</strong> des Unterrichts betrachtet werden.Besteht keine Vorstellung darüber, welcher Art die Lernprozesse im kompetenzorientiertenUnterricht beschaffen sein sollen, so lassen sich die passenden Lehrprozesse nichtbeschreiben. Lassen sich die passenden Lehrprozesse nicht beschreiben, so ist es unmöglichzu bestimmen, wie der Erwerb der Fähigkeiten zum Gestalten solcher Lehr-Lern-Prozesse aussehen soll. Für das Fach Musik bestehen bislang höchstens ansatzweiseVorstellungen darüber, welcher Art die Lernprozesse im kompetenzorientierten Unterrichtbeschaffen sein sollen. Lediglich in speziellen Teilbereichen („Audiation“ nach Gordon,YAMAHA-Methodik sowie andere Ansätze der Instrumentalpädagogik mit Gruppen, darunterauch das berühmte Orffsche Schulwerk) existieren bislang ausgearbeitete Konzeptionen.Kennzeichen einer Kompetenz sind nach Weinert- die Individualität,- die Dauerhaftigkeit („Fähigkeit und Fertigkeit“),Seite 36


Kompetenzorientiertes Unterrichten- die Anwendbarkeit in variablen Situationen,- die Motivation zu ihrer Anwendung,- der Willen zu ihrer Anwendung („volitional“),- ihre soziale Einbettung.Kompetenzen sind, kurz, das, was wir als Lehrer schon immer erreichen wollten, aber niein den Maße erreicht haben, wie wir uns das gewünscht hätten. Dass Weinert in seinemvielfach in der Literatur verwendeten Zitat Kompetenzen auf kognitive Fähigkeiten undFertigkeiten eingeschränkt hat, ist vielfach, und m.E. zu Recht, überlesen worden. Nichtnur Musiklehrer müssten sonst gegen diese Verengung vehement protestieren.<strong>Kompetenzorientierung</strong> des Unterrichts muss demnach bedeuten,a) den unterrichtlichen Freiraum zu erhalten, an der Ausbildung von Kompetenzenwirklich arbeiten zu können, befreit von möglicherweise hinderlichen ministeriellenbzw. lehrplanmäßigen Vorgaben,b) die schulischen Bedingungen zu erhalten, an der Ausbildung von Kompetenzenwirklich arbeiten zu können,c) das nötige Know-how zu erhalten, das in der bisherigen Lehrerausbildung möglicherweisegefehlt hat.a) Den nötigen Freiraum haben uns im Fach Musik die neuen Rahmenlehrpläne zumindestdeutlich erweitert. Die Kompetenzbereiche sind übersichtlich, die Progression derausgewiesenen Standards ist klar erkennbar, die Themen und Inhalte sind variabel genugformuliert, um nicht „durch die Hintertür“ wieder blanke Stoffsammlungen als„heimlicher Lehrplan“ einzuführen. Der Parforce-Ritt durch Epochen, Stile, Komponistenbiographien,das Leben der Beatles und von Jimi Hendrix sowie die Stromschnellender Moldau sind entfallen.b) Im Zuge der Verkürzung des gymnasialen Bildungsgangs und der Einführung des neuenFaches Ethik ist die Stundentafel im Fach Musik deutlich gekürzt worden; in derJahrgangsstufe 10 am Gymnasium ist der Pflichtunterricht im Fach Musik entfallen.An den Grundschulen wird der größte Teil des Musikunterrichts nur noch fachfremd erteilt,an den weiterführenden Schulen ist Musik Mangelfach.Sensomotorische und psychomotorische Lernprozesse wie solche im Musikunterrichtbenötigen ein Vielfaches an Zeit von überwiegend kognitiven Lernprozessen.c) Das LISUM als zentrale Fortbildungsinstitution ist aufgelöst worden. Im Zuge der Regionalisierungder Fortbildung sind bislang für das Fach Musik nur wenige Multiplikatorenbenannt worden. Die Multiplikatoren erhalten zwar eine Schulung im Multiplizieren,aber nicht sehr viel, was sie multiplizieren könnten.<strong>Kompetenzorientierung</strong> (siehe a) im Musikunterricht könnte ein solcher Segen sein: Wegmit dem Durchhecheln verschiedenen für mehr oder weniger wertvoll erachteten Bildungsgutsnach dem Doppelseitenprinzip der meisten Schulbücher für das Fach Musik,stattdessen die Möglichkeit des längeren und intensiven Verweilens in bestimmten Arbeitsphasen.Am Ende könnte ein „musikalisierter“ Schüler stehen. Das Fach Musik wird inSeite 37


Kompetenzorientiertes Unterrichtender Oberstufe nicht mehr reihenweise abgewählt, sondern die Schüler entdecken, dass siewichtige Bereiche ihrer Interessen (Musik und Musikhören gehört nach Allensbach zu denwichtigsten Freizeitbeschäftigungen von Schülern) am besten mit Musikunterricht verfolgenkönnten. Gegen muffige Bildungskanon-Verfechter wie die „Bildungsoffensive durchNeuorientierung des Musikunterrichts“ der Konrad-Adenauer-Stiftung, ZEIT-Serien undBestseller-Autoren, die suggerieren, dass es Wissen gebe, „das man einfach habenmuss“, steht ein Musikunterricht, „der seinen Auftrag in der individuellen Förderung zum‚Spielen im Netz musikalischen Handelns’ sieht – als einen ganz und gar unverzichtbarenBeitrag zu einer Menschenbildung des Einzelnen, der ja nur als Einzelner das eigene Lebengestalten und der Gesellschaft nützlich sein kann. Es gibt auch keinen Grund dafür,dass alle das Gleiche können sollen“ (RICHTER, S. 22).Dagegen steht – zumindest zurzeit noch – die real existierende <strong>Kompetenzorientierung</strong>.2. Die real existierende <strong>Kompetenzorientierung</strong>Die real existierende <strong>Kompetenzorientierung</strong> (die, nur um Missverständnisse zu vermeiden,nach Ansicht des Verfassers immerhin noch deutlich besser ist als gar keine <strong>Kompetenzorientierung</strong>)ist zunächst gekennzeichnet durch einen enormen Zeitdruck. Unter demDruck, in möglichst kurzer Zeit kompetenzorientierte Lehrpläne vorlegen zu können, wurdeim Fach Musik (der Verfasser bezieht sich hier insbesondere auf die Lehrpläne der LänderBaden-Württemberg, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und natürlich Berlin, mit denen ersich intensiver beschäftigt hat) durchgängig auf einen „Klassiker“ zurück gegriffen, DankmarVenus’ „Unterweisung im Musikhören“ von 1969. Seine dort grundgelegten „Umgangsweisenmit Musik“ (Produktion von Musik, Reproduktion von Musik, Rezeption vonMusik, Transposition von Musik, Reflexion über Musik“; VENUS S. 27f.) lassen sich unschwerin den jeweils formulierten Kompetenzbereichen wiedererkennen. Dabei scheintmir offensichtlich zu sein, dass es sich bei der an Venus angelegten Definition von Kompetenzbereichenum einen Notbehelf handelt: Venus katalogisiert phänomenologisch, quasi„von außen“, mögliche Umgangsweisen von Musik. Diese Umgangsweisen sind nicht automatischdie „Domänen“ im Sinne kompetenzorientierten Unterrichts. Und erst recht nichtlässt sich aus einer Aufzählung, was es denn alles für Möglichkeiten im Umgang mit Musikgibt, folgern, alle diese Möglichkeiten seien unterschiedslos gleichermaßen im Unterrichterstrebenswert. Was hatte Christoph Richter den meinungsführenden Erziehungswissenschaftlernvorgeworfen? Sie seien „nicht belastet von den komplizierten und den jedenUnterricht entscheidenden Fragen, wie Kompetenzen, Standards und Kerncurricula infachlicher Hinsicht oder gar in Rücksicht auf menschlich-individuelle Situationen aussehenkönnten“ (s.o.). Lehrplankommissionen lösen nun kurzerhand in einem nur wenige Monatedauernden, dazu noch nebenamtlich betriebenen Arbeitsprozess fachdidaktische Probleme,mit deren Bearbeitung die Fachdidaktiken an den Universitäten noch nicht einmal richtigangefangen haben. Die Ergebnisse – das sei hier noch einmal für das Fach Musik aus-Seite 38


Kompetenzorientiertes Unterrichtendrücklich betont – sind noch die besten, die unter den gegebenen Umständen möglich waren,aber eben nicht die bestmöglichen.Nun sind Lehrpläne nur in den seltensten Fällen auf dem Berg Sinai entstanden, und einegewisse Vorläufigkeit wohnt ihnen allemal inne. In Verbindung mit einem Verkündungsprozessder Lehrpläne, der in Berlin trotz des engagierten Einsatzes vieler Kolleginnenund Kollegen völlig zu Unrecht den Namen „Implementierung“ erhalten hat, der gleichzeitigenVerkürzung der Stundentafel im Fach Musik und dem Alleinlassen der Lehrerinnenund Lehrer durch die Streichung des Fortbildungsangebots wird aber ein Prozess in Kaufgenommen, der unheilvoll verlaufen könnte, die <strong>Kompetenzorientierung</strong>svorspiegelung.3. Die <strong>Kompetenzorientierung</strong>svorspiegelungUnter <strong>Kompetenzorientierung</strong>svorspiegelung verstehe ich einen Prozess, der die eigentliche<strong>Kompetenzorientierung</strong> des Musikunterrichts dadurch unterläuft, dass er altbekannteund tatsächlich oder vermeintlich bewährte Stoffverteilungspläne, Inhaltskataloge durchgeringfügige sprachliche Änderungen oder durch Einfügung in die vom LISUM zum Downloadangebotenen tabellarischen Darstellungen nun als angeblich kompetenzorientierteschulische Fachpläne im Rahmen des schulinternen Curriculums verkauft. Werden dieseFachpläne dann noch mit einigen nichtssagenden Hinweisen auf die Entwicklungsvorhabendes Schulprogramms garniert und mit den Schlüsselkompetenzen vor dem Hintergrunddes erweiterten Lernbegriffs (Sachkompetenz, Methodenkompetenz, Sozialkompetenz,Selbstkompetenz) verquirlt, die eigentlich nichts mit Kompetenzen im Rahmen vonBildungsstandards zu tun haben, so entsteht die wenig erquickliche Masse, bei der sichnicht wenige Fachkonferenzen fragen, wie diese ihnen dabei helfen soll, die musikalischeBildung der Schülerinnen und Schüler zu verbessern.Ich verurteile solche Vorgehensweisen nicht, sie sind eine Art Notwehr, sich gegen Anforderungenzu wenden, mit denen sich Lehrerinnen und Lehrer allein gelassen fühlen undderen Sinn sie desto weniger überzeugt, je missionarischer ihnen die <strong>Kompetenzorientierung</strong>des Unterrichts gepredigt wird. Dabei wird anscheinend die Bandbreite möglicherReaktionen zwischen „Das haben wir doch schon immer so gemacht!“ bis „Was sollen wirdenn noch alles machen?“ völlig ausgeschöpft. Die große Gefahr dieses Prozesses bestehtin der Diskreditierung eines wertvollen und wichtigen Ansatzes. Anstatt als Hilfe undUnterstützung wird <strong>Kompetenzorientierung</strong> als Bedrohung von Lehrerinnen und Lehrernempfunden. Lehrerinnen und Lehrer machen den gleichen Unterricht wie früher, nur mitvielleicht noch schlechterem Gewissen und wachsendem Ärger darüber, dass ihren Nötenund Bedürfnissen nicht genügend Rechnung getragen wird.4. <strong>Kompetenzorientierung</strong> in der MusiklehrerausbildungLehrerausbildung beinhaltet stets ein utopisches Moment. Es geht ja nicht nur darum,künftige Lehrerinnen und Lehrer auf die Anforderungen ihres Berufs optimal vorzubereiten,sondern, gleichgültig ob ausgesprochen oder unausgesprochen, durch die frisch ausgebil-Seite 39


Kompetenzorientiertes Unterrichtendeten Lehrerinnen und Lehrer auch den Unterricht und vielleicht sogar das System Schulezum Positiven hin zu verändern. Dieses Spannungsverhältnis nicht nur zwischen den individuellenVorstellungen und Wünschen eines jungen Lehrers oder einer jungen Lehrerinund der erlebten Unterrichtswirklichkeit, sondern auch die Diskrepanz zwischen den durchdie Ausbildung vermittelten Ansprüchen an „guten“ Unterricht und der täglich in Hospitationenerlebten Unterrichtspraxis ist wahrlich nicht neu, wird aber durch die in den Kollegiennoch nicht angekommene <strong>Kompetenzorientierung</strong> weiter verschärft.Aber die <strong>Kompetenzorientierung</strong> nicht nur des Musikunterrichts, sondern auch der Musiklehrerausbildungist unverzichtbar. Wie könnte der drohenden „Verschärfung“ begegnetwerden? Wichtigste Prämisse scheint mir zu sein, dass die <strong>Kompetenzorientierung</strong> für dieLehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter nicht als neue, zusätzliche Bedrohung,sondern als Hilfe für die Ausbildung erfahren wird. Wenn Handlungsfähigkeit, gemessenan professionellen Standards, erstes Ziel der schulpraktischen Ausbildung sein soll (vgl.Gemeinsame Erklärung der KMK und der Vorsitzenden der Bildungs- und Lehrerverbändeaus dem Jahr 2000), dann muss <strong>Kompetenzorientierung</strong> das Erreichen von Handlungsfähigkeitunterstützen.Viele Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter im Fach Musik werden gepeinigt vonVorstellungen einer angeblich „runden“ Stunde. Sie ängstigt die als enorm empfundeneDiskrepanz zwischen dem musikalischen Stand, den sie an der Musikhochschule kennengelernthaben, und dem musikalischen Entwicklungsstand der Schülerinnen und Schüler.Sie gehen eigenartigerweise überwiegend davon aus, dass ihr Fach von den Schülerinnenund Schülern abgelehnt werden könnte – vielleicht weil sie sich in ihrer eigenen Schulbiographieals „Ausnahme“ in der Klasse gesehen haben. Hier überall kann <strong>Kompetenzorientierung</strong>ansetzen.Sie macht Mut dazu, Schülern Zeit für längere musikpraktische Arbeitsphasen zu geben.Eine bestimmte Abfolge von Phasen im Unterricht kann als „Ritual“ sehr hilfreich sein, einedidaktisch bzw. lernpsychologisch zu begründende „Stundenfigur“ gibt es nicht – die stundenlangeSuche nach der mehrfarbigen Porträt von Johann Sebastian Bach als Folie zumEinstieg kann entfallen. Schüler haben musikalische Bedürfnisse, die nicht „trickreich“ eingesetztwerden müssen, um ihnen ungeliebte Inhalte des Musikunterrichts zu verabreichen,wie man ein Kleinkind unter vielerlei Ablenkungsmanövern mit Brei füttert. Lehramtsanwärterinnenund Lehramtsanwärter trauen sich, den Schülerinnen und Schülernlohnende Handlungsziele zu stellen, „Komponieren“ oder „Improvisieren“ z. B., die ihnenden Erwerb von musiktheoretischem Wissen als erstrebenswert, weil unverzichtbar, erscheinenlassen.Was mein Alptraum als Ausbilder wäre: Die Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärterwerden allein gelassen in ihren immensen täglichen Problemen, eine Stunde halbwegssinnvoll durchzuführen und sie unbeschadet zu überstehen. Langatmig wird in den Ausbildungsveranstaltungenüber die <strong>Kompetenzorientierung</strong> des Unterrichts gearbeitet – mitSeite 40


Kompetenzorientiertes Unterrichtender Konsequenz, dass die Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter ihren Unterricht„irgendwie“ planen und dann nachträglich versuchen, noch „ein bisschen <strong>Kompetenzorientierung</strong>“hineinzubringen oder sich wenigstens in ihrem schriftlichen Unterrichtsentwurfforsch über „Violinschlüsselnotenlesekompetenz“ oder „Tastenfindungskompetenz“ zuverbreiten. Ähnliche Probleme gab es auch schon beim lernzielorientierten Unterricht:Allen Beteuerungen der Literatur und der Ausbilder zum Trotz planten Referendare ihrenUnterricht „irgendwie“, um dann anschließend noch „Lernziele“ zu formulieren. Was alsunverzichtbare Planungsgrundlage gedacht war, nämlich die Zielorientierung, erwies sichbestenfalls als nachträgliche „Checkliste“, schlimmstenfalls als überflüssiger Ballast.Was gehörte noch zu diesem Alptraum? Ausbilder hängen sich in der Beratung und Beurteilungan äußeren Merkmalen vermeintlich guten kompetenzorientierten Unterrichts auf(„Gab es verschiedenfarbige Arbeitsbögen für die unterschiedlichen Lernniveaus?“ „Gabes etwa Frontalunterricht?“), ohne in Geduld mit den Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärternzusammen die tatsächlichen bzw. vermuteten Lern- und Arbeitsprozessezu analysieren. (Ist etwa eine stets streng frontale Chorprobe kein kompetenzorientierterUnterricht? Immerhin können alle Schüler hinterher ihren Part und behalten ihn bis nächsteWoche – nicht jeder Unterricht kann das von sich sagen.)Und was wäre mein Traum als Ausbilder? Dass es gelingen könnte, über die <strong>Kompetenzorientierung</strong>den Anfängern eine wirkliche Hilfe bei der Planung und Durchführung vonUnterricht entwickeln zu können. (Dabei ist es für mich sehr die Frage, ob schon zum jetzigenZeitpunkt über die Form eines kompetenzorientierten Unterrichtsentwurfs tragfähigdiskutiert werden kann.) Traumhaft wäre es jedenfalls, wenn Schülerinnen und Schülerüber wirklich kompetenzorientierten Musikunterricht sagen würden: „Von da an hattenwir keinen Musikunterricht mehr, erfuhren aber viel Wichtiges und Eindrucksvolles überMusik.“Literaturverzeichnis: HOLZKAMP, K.: Lernen. Subjektwissenschaftliche Grundlegung. Frankfurt (Main)/ New York1995 KAYSER, Jörg: Handbuch Vorbereitungsdienst (i. Vorb.), in Anlehnung an: Bulmahn/ Wolff/Klieme (Hg.), Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards. Eine Expertise. Berlin 2003. S. 15 LEONTJEW, A. N.: Psychologische Fragen der Bewusstheit des Lernprozesses. In: ders., Tätigkeit,Bewusstsein, Persönlichkeit, Köln 1982, S. 223 - 282 RICHTER, Chr.: Auf der Suche nach Bildungsstandards und Kompetenzformulierungen imFach Musik. In: Diskussion Musikpädagogik 27, III/2005, S. 14 - 23 VENUS, D.: Unterweisung im Musikhören. Verbesserte Neuausgabe. Wilhelmshaven 1984 WEINERT, F. E.: Vergleichende Leistungsmessung in Schulen – eine umstrittene Selbstverständlichkeit.In: ders. (Hg.), Leistungsmessungen in Schulen. Weinheim/Basel 2001, S. 17-31 WIKIPEDIA: http://de.wikipedia.org/wiki/Realsozialismus (Download am 25.10.2007)Uwe KanyFachseminarleiter und Koordinator für Musik (S)Seite 41


Kompetenzorientiertes UnterrichtenKompetenzraster als UnterrichtshilfeIm Rahmen der Examensarbeit zum zweiten Staatsexamen habe ich ein Kompetenzrasterim Fach Chemie zum Kompetenzbereich Erkenntnisgewinnung entwickelt. Dieses soll hiervorgestellt werden. Zunächst wird erklärt, was ein Kompetenzraster ist. Anschließend werdendie Überlegungen zur Konstruktion und die Möglichkeiten des Einsatzes dargelegt.Der Kompetenzbereich Erkenntnisgewinnung ist ein besonders wichtiger Bereich in derReihe der laut Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK 2005) zu fördernden prozessbezogenenKompetenzbereiche. Dies spiegelt sich auch in der PISA (Programme for InternationalStudent Assessment) zugrunde liegenden Definition naturwissenschaftlicherGrundbildung wider:„Naturwissenschaftliche Grundbildung (Scientific Literacy) ist die Fähigkeit, naturwissenschaftlichesWissen anzuwenden, naturwissenschaftliche Fragen zu erkennen und ausBelegen Schlussfolgerungen zu ziehen, um Entscheidungen zu verstehen und zu treffen,die die natürliche Welt und die durch menschliches Handeln an ihr vorgenommenen Veränderungenbetreffen“ (Baumert 2001, S. 197 - 198).Bei der Vorstellung des Kompetenzstufenmodells von PISA wird deutlich, dass der KompetenzbereichKommunikation Kompetenzen in anderen Bereichen voraussetzt.„Bestimmte Prozesse beginnen erst auf höheren Stufen der Skala zur naturwissenschaftlichenGrundbildung. So setzt zum Beispiel das Kommunizieren naturwissenschaftlicherArgumente voraus, dass die Schülerinnen und Schüler über naturwissenschaftliche Argumenteoder Beschreibungskategorien verfügen. Naturwissenschaftliche Argumentationenin der erforderlichen Qualität können daher nicht auf niedrigeren Kompetenzstufen erwartetwerden“ (Baumert 2001).Unter diesem Gesichtspunkt ist es sinnvoll, zunächst den Schwerpunkt auf die Erkenntnisgewinnungals prozessbezogenen Kompetenzbereich neben dem inhaltsbezogenenKompetenzbereich Fachwissen zu legen und anschließend die Kompetenzbereiche Kommunikationund Bewerten ausführlicher zu fördern.An dieser Stelle sei erwähnt, dass mir bewusst ist, dass mein Kompetenzraster keinemempirisch abgesicherten Kompetenzmodell entsprungen, sondern von mir nach bestemWissen und Gewissen konstruiert worden ist.In den neuen Rahmenlehrplänen für Berlin steht, dass die Standards einen Bezugspunktfür die Unterrichtsgestaltung, für das Entwickeln von Konzepten zur individuellen Förderungder Schüler sowie für ergebnisorientierte Beratungsgespräche bilden. Sie sollen denLernenden zunehmend als Referenzsystem für die Bewusstmachung, Gestaltung und Bewertungvon Lernprozessen und Lernergebnissen dienen (vgl. SenBJS 2006, S. 5 - 6).Ich entnehme daraus Folgendes:Wir als Lehrkräfte sind aufgefordert, Konzepte zur individuellen Kompetenzförderung derSchüler zu entwickeln. Wir können den Schülern zu Beginn ihrer Schullaufbahn (an derSeite 42


Kompetenzorientiertes UnterrichtenOberschule) das Ziel bekannt geben, aber wir müssen den Schülern in ergebnisorientiertenBeratungsgesprächen - sehr wahrscheinlich häufig - mitteilen, dass sie auf dem Wegzum Ziel sind, es aber noch nicht erreicht haben.Aus Punkt zwei ergibt sich ein Dilemma. Auch wenn Schüler und Lehrer ihr Ziel kennen,ist es schwierig, sie auf dem Weg dahin nicht zu demotivieren, weil das Ziel zu weit entferntist. Daher ist es sinnvoll, einzelne Etappen festzulegen, deren Erreichen Zwischenzielist und „gefeiert“ werden kann. Meines Erachtens ist ein Kompetenzraster ein geeignetesMittel, um dieses Dilemma zu beseitigen und Punkt eins zu erfüllen.Was sind Kompetenzraster?Kompetenzraster sind Tabellen, in deren Vertikalen zentrale inhaltliche Kriterien für Leistungeneines bestimmten Bereichs (z. B. Arbeitsverhalten, Fachgebiet, Kompetenzbereich,methodische Beiträge: Vorträge, Präsentationen) aufgeführt sind („Was?“) und in derenHorizontalen zu jedem dieser Kriterien drei bis sechs Kompetenzstufen („Wie gut?“) definiertwerden. Ein Schema zur Grundkonstruktion eines Kompetenzrasters ist in Abb. 1angegeben.BereichWas?Wie gut?IndikatorenAbbildung 1:Schema eines KompetenzrastersZu jedem Kriterium und der zugehörigen Kompetenzstufe wird ein genau bestimmtes undausformuliertes beobachtbares Verhalten (Indikator) eingetragen, welches beschreibt, waszu leisten ist, wenn man in dem jeweiligen Kriterium die entsprechende Stufe erreichenmöchte (vgl. Merziger und Schnack 2005, Müller 2004, Schrempf 2002, Hagener 2007).So ausgearbeitet, können Kompetenzraster zur Einschätzung von unterschiedlichen Bereichendes Unterrichts oder als Mittel zur Rückmeldung von Schülerleistungen eingesetztwerden.Der Begriff Kompetenzraster wird nicht ausschließlich benutzt. Es finden sich in der Literaturauch noch andere Bezeichnungen, z. B. Rubrics (weit verbreitet im englischsprachigenBildungsraum), Qualitätsraster (Schrempf 2002), Raster (Schneider 2001) und Kompetenzmatrix(Klinger 2005). Die Grundkonstruktion ist jedoch gleich (ausschließlich derKompetenzmatrix bei Klinger 2005). Abweichungen treten bei der Art der Kriterien und derAnzahl der Stufen auf.Wie wurde das Kompetenzraster konstruiert?Für die Überlegungen, welche Kriterien den Kompetenzbereich Erkenntnisgewinnung bestimmen,waren die Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss der Kultusministerkonferenz(KMK 2005) entscheidend. Dies hat den Vorteil, dass das Kompetenzraster(Fortsetzung, siehe S. 46)Seite 43


Kompetenzorientiertes UnterrichtenKriterium Stufe 1 Stufe 2FragestellungUntersuchungsmethodez. B.ExperimentDatensammlung (experimentell,Literaturrecherche,Umfragen)Das Experiment - einewichtige Untersuchungsmethodeinder NaturwissenschaftChemieVermutungenaufstellenIch kann vorgegebene begründeteErgebnisvorhersagen nachvollziehen.Ich brauche eine genaue Versuchsbeschreibung(Geräte, Chemikalien,Versuchsaufbau), um ein Experimentsicher durchführen zu können.Beim Umgang mit den Experimentiergerätenbin ich unsicher.Planung/Durchführung(passend zu einer Fragestellung)BeobachtungIch kann zu einem Thema aus demAlltag vorgegebene Fragestellungennachvollziehen und erkenne, dasssie durch chemische Kenntnisse undUntersuchungsmethoden zu beantwortensind.Ich kann vorgegebene, mir bekannteUntersuchungsmethoden zu einerFragestellung/Vermutung unter Anleitunganwenden.Ich kann zu einem Thema aus demAlltag mit Hilfe einfache Fragestellungenentwickeln, die durch chemischeKenntnisse und Untersuchungsmethodenzu beantworten sind.Ich kann die Frage oder Idee erkennen,die in einer bestimmten Untersuchunggeprüft wurde (oder geprüftwerden könnte).Bei der Auswahl einer geeignetenUntersuchungsmethode zu einerFragestellung/Vermutung benötigeich Hilfe. Die Anwendung fällt mirmeist leicht.Ich beachte beim Experimentieren Sicherheits- und Umweltaspekte.Ich kann alles genau beobachten undDaten erheben.Ich kann Vermutungen aufstellen, beider Begründung benötige ich Hilfe.Ich benötige keine Versuchsaufbauskizze,wenn die VersuchsvorschriftGeräte und Chemikalienvorgibt und in Worten beschriebenist, was zu tun ist. Beim sicherenUmgang mit Experimentiergerätenbenötige ich Hilfestellung.Ich kann sehr genau beobachten,wenn man mir sagt, worauf zu achtenist.AuswertungModelle(räumliche oder mentale)z.B. Molekülmodelle,Atommodelle, PSE,StrukturformelnIch kann Schlussfolgerungen vonanderen nachvollziehen.Ich kenne ein paar Modelle und weiß,dass Modelle idealisierte oder generalisierteDarstellungen eines existierendenoder gedachten Objekts sind.Ich kann ein neues Modell anwenden,wenn es mir ausführlich an Beispielenerklärt wird.Ich kann aus Daten die richtigenSchlüsse ziehen, wenn mir geholfenwird. Ich kann zwischen Folgerungund Beobachtung unterscheiden.Alltagswissen anwenden bereitet mirkeine Probleme.Bei der Wahl eines geeigneten Modellszur Beantwortung einer Fragestellungbenötige ich Hilfe.Um die Idealisierung und Generalisierungeines für mich neuen Modellsnachvollziehen zu können, benötigeich Hilfe.Ich verstehe die Grenzen in der Aussagefähigkeiteines Modells, wennman es mir an Beispielen erklärt.Seite 44


Kompetenzorientiertes UnterrichtenStufe 3 Stufe 4Ich kann zu einem Thema, das mich interessiert, selbstständigeinfache Fragestellungen entwickeln, die durchchemische Kenntnisse und Untersuchungsmethoden zubeantworten sind.Ich kann zu einem Thema komplexe Fragestellungenselbstständig entwickeln, die unterNutzung fachwissenschaftlicher Erkenntnisseund Untersuchungsmethoden derChemie zu beantworten sind.Ich kann zur Beantwortung einer einfachen Fragestellungbzw. zur Überprüfung einer Vermutung geeigneteUntersuchungsmethoden auswählen und anwenden.Ich kann zur Beantwortung schwieriger Fragestellungenbzw. zur Überprüfung vonVermutungen selbstständig geeignete Untersuchungsmethodenauswählen und sicheranwenden.Ich beachte beim Experimentieren Sicherheits- und Umweltaspekte.Manchmal gelingt es mir, begründete Vermutungenselbstständig aufzustellen.Bei der selbstständigen Planung eines Experimentsbrauche ich Hilfe.Zu einer Versuchsvorschrift, in der nur die Vorgehensweisebeschrieben ist, kann ich die benötigtenGeräte und Chemikalien selbstständig wählen. Der Umgangmit Experimentiergeräten fällt mir leicht.Bei der Beobachtung von Experimenten weiß ich, woraufich achten muss. Manchmal stelle ich bei der Auswertungfest, dass ich mehr beobachtet habe als notwendig.Aus alternativen Schlussfolgerungen kann ich diejenigenauswählen, die zum Datenmaterial passen.Das notwendige Faktenwissen, wenn es kein Alltagswissenist, muss ich häufig aus anderen Quellen heranziehen.Ich weiß aber, wo ich nachgucken muss.Das Anwenden des Faktenwissens fällt mir leicht.Ich kann zur Beantwortung einer Fragestellung ein geeignetesModell auswählen.Die Idealisierungen und Generalisierung eines für michneuen Modells kann ich mir aus dem Zusammenhangselbst erklären.Die Grenzen in der Aussagefähigkeit erkenne ich nachmehrmaligem Anwenden des Modells.Das Aufstellen von begründeten Vermutungenfällt mir leicht.Die Planung eines Experiments (inkl. Geräteund Chemikalien) gelingt mir selbstständig.Der sichere Umgang mit Experimentiergerätenist kein Problem für mich.Ich kann mich bei der Versuchsbeobachtungauf die für die Fragestellung notwendigenund relevanten Daten beschränken.Ich kann aus Daten die richtigen Schlüsseziehen und die Vertrauenswürdigkeit derDaten abschätzen.Das dazu notwendige Faktenwissen kannich aus dem Gedächtnis abrufen und sicheranwenden.Ich kann die Wahl eines Modells zur Beantwortungeiner Fragestellung kritisch reflektieren,weil ich die jeweiligen Grenzen in derAussagefähigkeit des Modells kenne.Ein neues Modell kann ich mir aus dem Zusammenhangselbst erklären.Ich kann selbstständig einfache Modelleentwickeln.Seite 45


Kompetenzorientiertes Unterrichten(Fortsetzung, von S. 43)lehrplanvalid ist, und dies führte zu folgenden vier Kriterien: Fragestellung, Untersuchungsmethode,Experiment (mit vier Unterkriterien), Modelle.Nachdem die Kriterien für den Kompetenzbereich Erkenntnisgewinnung festgelegt waren,war es notwendig, die Indikatorformulierungen zu erstellen. Ich habe mich für vier Kompetenzstufenentschieden, weil mir eine exakte, trennscharfe Formulierung von Indikatorenfür weitere Stufen nicht möglich war. Die höchste Stufe (Stufe 4) des Kompetenzrastersentspricht den Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss des KompetenzbereichsErkenntnisgewinnung.Nach dieser Entscheidung war die Herausforderung, abgestufte Kompetenzformulierungenzu konzipieren, die den drei anderen Stufen zugeordnet werden können. Dafür wurdenfolgende Quellen zu Hilfe genommen: Klieme (2003), Baumert (2001), die Vereinbarungüber Bildungsstandards im Fach Chemie (KMK 2005) und Müller (2003b, 2004,2006).Klieme (2003, S. 74-78) unterscheidet zwischen Kompetenzniveaus, die einen Vergleichvon entwickelten Kompetenzen innerhalb einer bestimmten Alters- oder Jahrgangskohorte13 – so, wie es bei TIMSS (Third International Mathematic and Science Study) und PISAfestgelegt wurde – ermöglichen, und Kompetenzstufen als Entwicklungsstufen, die alsSchritte beim Erwerb von Kompetenzen interpretiert werden können.Er stellt fest, dass zurzeit keine Kompetenzmodelle existieren, welche die Entwicklung vonKompetenzen über die Jahrgangsstufen hinweg beschreiben können. Er als Leiter der Arbeitseinheit„Bildungsqualität und Evaluation“ am Deutschen Institut für Internationale PädagogischeForschung (DIPF) legt besonderen Wert darauf, dass Kompetenzmodelle empirischgeprüft werden, um Erwartungen präzise und realistisch ansetzen zu können(Klieme 2004, S. 13; 2003, S. 74 - 78). In diesem Sinne sind die bei PISA formuliertenKompetenzstufen als Kompetenzniveaus nach Klieme zu verstehen.Trotzdem habe ich mich an diesen Kompetenzstufen orientiert, um Anregungen für dieFormulierungen der Indikatoren zu erhalten.Im Rahmen von PISA wurde eine „Zusammenstellung von abgestuften Fähigkeitsanforderungenerarbeitet, die eine theoretisch gehaltvolle und kohärente 14 Unterscheidung vonfünf Kompetenzstufen der naturwissenschaftlichen Grundbildung im Sinne der PISA-Testsgestattet“ (Baumert 2001, S. 203). Die Kompetenzstufen werden durch Fähigkeiten beschrieben,die vier Aspekten naturwissenschaftlicher Grundbildung zugeordnet sind.Es fiel auf, dass die Konstrukteure der Stufen bei PISA einen Unterschied machen, obman mit Alltagswissen oder naturwissenschaftlichem Fachwissen kompetent umgehenkann. Der erste Fall wird niedriger eingestuft als der zweite. Diese Aspekte spielen bei derAbstufung im Kriterium „Fragestellung“ des Kompetenzrasters eine Rolle.13 Kohorte = ausgewählte Gruppe von Personen14 kohärent = zusammenhängendSeite 46


Kompetenzorientiertes UnterrichtenIm Beschluss der Kultusministerkonferenz zu den Bildungsstandards (KMK 2005) werdenFormulierungen angeboten, die als charakterisierende Kriterien zur Einordnung von Aufgabenin einen der Anforderungsbereiche – anlehnend an die Anforderungsbereiche derEinheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung – gedacht sind. Es wird auchdort darauf hingewiesen, dass noch keine empirisch abgesicherten Kompetenzstufenmodellevorliegen und die Anforderungsbereiche keine Ausprägungen oder Niveaustufen einerKompetenz sind.Man stellte fest, dass, um die entsprechende Aufgabe lösen zu können, mit größer werdenderNummer des Anforderungsbereichs die Komplexität der Sachverhalte, die Reflexionsfähigkeitund der Grad der Selbstständigkeit zunehmen. Letztendlich wurden die imInternet veröffentlichte Sammlung aller Kompetenzraster des Instituts Beatenberg (Müller2006, auszugsweise auch 2004) zurate gezogen. Bei diesen Beispielen nehmen mit derHöhe der Stufe ebenfalls der Grad der Selbstständigkeit und die Komplexität der Sachverhaltezu, der Bezug zum Alltagswissen nimmt ab, das heißt der fachwissenschaftliche Gehaltwächst.Außerdem sind das wesentlichste Merkmal der Kompetenzraster bei Müller (2003a, b,2004, 2006) präzise „Ich-kann-Formulierungen“. Jeder Schüler soll das Gefühl bekommen,etwas zu können, er soll an sich und seine Fähigkeiten glauben. Er erhält ein Bild vondem, was man können könnte, und nicht von dem, was man nicht können kann.Ich habe nach dieser Recherche den Entschluss gefasst, dass in dem Kompetenzrasterzur Erkenntnisgewinnung mit ansteigender Stufe der Grad der Selbstständigkeit, die Reflexionsfähigkeitder Schüler, die Komplexität der Anforderungen und der fachwissenschaftlicheBezug der Inhalte (im Gegensatz zum Alltagswissen) zunehmen. Dies ist nocheinmal in einem Schema (Abbildung 2) verdeutlicht.Der nächste Schritt nach der Erstellung eines solchen Kompetenzrasters ist die Zusammenstellungvon Aufgaben, die den einzelnen Indikatorformulierungen zugeordnet werdenkönnen, sodass die Schüler auch an konkreten Beispielen erfahren, welche Handlungendie abstrakten Formulierungen des Rasters umfassen. Dies wird im Institut Beatenberg inder Schweiz (Müller 2003a, b, 2004, 2006) und auch in der Max Brauer Schule in Hamburg(Hagener 2007) erfolgreich umgesetzt.Wie kann man Kompetenzraster in der Schule einsetzen?Die Einsatzmöglichkeiten von Kompetenzrastern sind vielseitig. Das Kompetenzraster istein geeignetes Mittel, um den Schülern Leistungsanforderungen und Leistungsbewertungentransparent zu machen.Es hat sich gezeigt, dass das Kompetenzraster als Beurteilungsinstrument die Einschätzungvon Kompetenzniveaus erleichtert und die Beurteilungsgerechtigkeit erhöht. DieKonstruktion und Verwendung des Kompetenzrasters fördert die Diagnosefähigkeit desLehrers, da er einen kompetenzorientierten Bewertungsmaßstab zur Hand hat, den er sogarin die Hände der Schüler geben kann. Damit erhalten die Lehrkraft und der SchülerSeite 47


Kompetenzorientiertes Unterrichteneine Diskussionsgrundlage für ergebnisorientierte Beratungsgespräche. Dies wiederumleistet einen Beitrag zur individuellen Kompetenzförderung des Schülers.Stufe 1 Stufe 2 Stufe 3 Stufe 4KriterienSelbstständigkeitKomplexität der AnforderungenReflexionsfähigkeitFachwissenschaftlicher BezugAbbildung 2:Schema zum Kompetenzraster Erkenntnisgewinnung – Bereiche, derenAbstufung zur Formulierung der jeweiligen Indikatoren beitragenDie Schüler können die Einschätzung des Lehrers mithilfe der detailliert formulierten Leistungsanforderungennachvollziehen. Diskussionen aufgrund möglicher Abweichungen beider Selbsteinschätzung des Schülers von der Fremdeinschätzung des Lehrers könnensachlich auf der Basis der formulierten Indikatoren des Kompetenzrasters geführt werden.Kompetenzraster fördern bei den Schülern die Fähigkeit, ihre Stärken und Schwächenrealistisch einzuschätzen.Ein langfristiger Einsatz des Kompetenzrasters bietet den Schülerinnen und Schülern dieGelegenheit, die an sie gestellten Anforderungen zu verinnerlichen, dieses Wissen in diePlanung ihres Lernprozesses einzubeziehen und somit ihre Kompetenzentwicklung bewusstund eigenständig zu steuern.Aufgrund der intensiven Auseinandersetzung mit den an die Schüler zu stellenden Kompetenzanforderungenwurde mir sehr deutlich, wie man Unterricht gestalten muss, damit dieSchüler Gelegenheit haben, diese Anforderungen zu erfüllen und somit Kompetenzen zuentwickeln. In diesem Sinne beeinflusst die Arbeit mit einem Kompetenzraster den LehrundLernprozess wesentlich und führt zur Qualitätsverbesserung des Unterrichts.Ich könnte mir vorstellen, dass man mit der Konstruktion eines solchen Rasters zu allenKompetenzbereichen in einem Fachbereich, gemeinsam mit Kollegen, einen sinnvollenBeitrag zum schulinternen Curriculum leisten kann.Literatur Baumert, J., u. a.; Deutsches PISA-Konsortium (Hrsg.): PISA 2000 – Basiskompetenzen vonSchülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich; Leske + Budrich; Opladen 2001 Hagener, T.: Kompetenzraster – Checklisten – Wochenpläne Individualisierung und Selbstregulationim Jahrgang 5 einführen; In: PÄDAGOGIK, Heft 07-08/2007, S. 12-17 Klieme, E., u. a.; Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.): Zur Entwicklung nationalerBildungsstandards – Eine Expertise; Berlin 2003 Klieme, E.: Was sind Kompetenzen und wie lassen sie sich messen?; In: PÄDAGOGIK, Heft06/2004, S. 10-13Seite 48


Kompetenzorientiertes UnterrichtenKlinger, U.: Mit Bildungsstandards Unterrichts- und Schulqualität entwickeln. Eine Curriculumwerkstattfür Fachkonferenzen, Steuergruppen und Schulleitungen; in: Friedrich Jahres<strong>heft2</strong>005; Erhard Friedrich Verlag, 02.2005; S. 130-143KMK; Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der BundesrepublikDeutschland (Hrsg.): Beschlüsse der Kultusministerkonferenz, Bildungsstandards im FachChemie für den Mittleren Schulabschluss (Jahrgangsstufe 10), Beschluss vom 16.12.2004;Luchterhand; München, Neuwied 2005Merziger, P., Schnack, J.: Feedback-Methoden zur Förderung der Leistungsentwicklung: Kompetenzraster;In: Feedback-Methoden. Erprobte Konzepte, evaluierte Erfahrungen; 2. Auflage;Beltz Verlag; Weinheim und Basel 2005Müller, A. (2003a): Das Lernen ist eine Dauerbaustelle; Spirit of learning, Februar 2003; Veröffentlichtim Internet unter: http://www.learningfactory.ch/downloads/Müller, A. (2003b): Jeder Schritt ein Fort-Schritt; Spirit of learning, Februar 2003; Veröffentlichtim Internet unter: http://www.learningfactory.ch/downloads/Müller, A.: Erziehungsziel: Selbstbeobachtung und Selbstbewertung – Mit KompetenzrasternLernen und Leistung transparent machen; In: PÄDAGOGIK, Heft 09/2004, S. 25-29Müller, A. (2006, Internet): Veröffentlichung aller Kompetenzraster des Instituts Beatenbergim Internet unter: http://www.institut-beatenberg.ch/lernjobs oderhttp://www.institut-beatenberg.ch/lernjobs/alle_kompetenzraster_2004-ohne-name.<strong>pdf</strong>Schneider, G., North, B., Koch, L.; Europäisches Sprachenportfolio; Schulverlag Blmv, Bern2001Schrempf, R.: Rubrics – Ein Instrument zur Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung inUnterricht und Schule; In: PÄDAGOGIK, Heft 09/2002, S. 40-43SenBJS; Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport (Hrsg.): Rahmenlehrplan für dieSekundarstufe I, Chemie Klasse 7 bis 10; 1. Auflage, Berlin 2006Verena JatschLehrerin an der Sartre-Oberschule (Gymnasium)Kompetenzerwerb in der LehrerbildungIch möchte an dieser Stelle versuchen eine Zusammenfassung der grundlegenden Ausführungenzweier Referenten des 41. Seminartags des BAK, Herrn Professor Helmke,Universität Landau, und Herrn Leisen, Leiter des <strong>Studienseminar</strong>s Koblenz, zu geben. Diebeiden Vorträge wurden auf der diesjährigen Tagung in Speyer im September 2007 gehalten.Ich habe diese beiden Vorträge ausgewählt, da sie deutlich machen, wie eng Schuleund Ausbildung heute miteinander verwoben sind bzw. sein sollten. (Ich verweise in diesemZusammenhang auch auf Heft 1 unserer Schriftenreihe.)Herr Professor Helmke stellte seinen Vortrag unter die zentrale – fast provokante – Frage:Sind Standards eine Bremse oder ein Motor für die Unterrichtsqualität?Zur Beantwortung dieser Fragestellung geht er von drei Ansätzen in der Forschung zurUnterrichtsqualität aus:1. dem Ansatz der Personenorientierung‣ Identifikation von Merkmalen der Professionalität von Lehrpersonen (berufsrelevanteKompetenzen)Seite 49


Kompetenzorientiertes Unterrichten‣ Berücksichtigung der vier Kompetenzbereiche der KMK: Unterrichten, Erziehen,Beurteilen, Innovieren‣ die vier Schlüsselkompetenzen für ein erfolgreiches Unterrichten nach Weinert:Fachkompetenz – Didaktische Kompetenz – Diagnostische Kompetenz und Klassenführungskompetenz‣ schul- und unterrichtsrelevante Werte, Ziele und Orientierungen, subjektive und intuitiveTheorien zu wichtigen Konzepten des Lehrens und Lernens, Bereitschaft zurSelbstreflexion2. dem Ansatz der Wirkungsorientierung‣ Bestimmung der Qualität durch die Wirkungen des Unterrichts (Effekte, Output),wobei die Wirksamkeit natürlich stark von den Schülern abhängt, z. B. ob und wiedie Erwartungen der Lehrkraft und die unterrichtlichen Maßnahmen seitens derSchüler wahrgenommen werden, wie diese sie interpretieren und zu welchen Prozessensie auf Schülerseite führen.‣ Gegenstand ist das Erreichen zentraler Bildungsziele, insbesondere der Kompetenzerwerb3. dem Ansatz der Prozessorientierung‣ Bestimmung der Qualität durch Merkmale der Lehr- und Lern-Prozesse‣ fach- und methodenübergreifende Merkmale der UnterrichtsqualitätSchwerpunkt des Vortrages war dann der Ansatz der Prozessorientierung. Daher stellteProfessor Helmke die zehn wichtigsten fachübergreifenden Merkmale erfolgreichen Unterrichtsdar und verglich sie mit denen von H. Meyer. Die nachfolgende Tabelle zeigt deutlichdie vielen Gemeinsamkeiten der beiden Autoren hinsichtlich der Kriterien für gutenUnterricht.HELMKE• Klassenführung und Zeitnutzung• Lernförderliches Unterrichtsklima• Klarheit und Strukturiertheit• Angemessene Methodenvariation• Konsolidierung, Transfer• Schülerorientierung• Wirkungs- und <strong>Kompetenzorientierung</strong> *• Vielfältige Motivierung*• Schüleraktivierung*• Umgang mit heterogenen Lernvoraussetzungen*MEYER• Hoher Anteil echter Lernzeit• Lernförderliches Klima• Klare Strukturierung von Unterricht• Methodenvielfalt• Inhaltliche Klarheit• Intelligentes Üben• Individuelles Fördern• Sinnstiftendes Kommunizieren*• Transparente Leistungserwartungen*• Vorbereitete Umgebung*In den mit Sternchen gekennzeichneten Punkten treten nach Meinung des ReferentenAbweichungen auf. Ich bin nicht dieser Auffassung, da z. B. „individuelles Fördern“ auchSeite 50


Kompetenzorientiertes Unterrichtenim Punkt „Umgang mit heterogenen Lernvoraussetzungen“ enthalten ist bzw. „sinnstiftendesKommunizieren“ ebenfalls zu einer „Schüleraktivierung“ führen kann.Helmke kommt schließlich zu dem Ergebnis, dass Unterrichtsqualität anhand dreierKlassen von Standards erfasst werden kann:• den Professionalitätsstandards,die die berufsrelevanten Kompetenzen von Lehrpersonen als Ergebnis derLehrerausbildung beschreiben,• der Produkt-Standards,die Schülerkompetenzen, die zu bestimmten Zeitpunkten als Ergebnis desUnterrichts erwartet werden (Bildungsstandards) und• den Prozess-Standards,die Qualitätsbereiche und Indikatoren des Unterrichts als Quasi-Standardsbeschreiben.Da bei der externen Evaluation häufig die Qualität von Unterricht bemängelt worden ist,spielt die Prozessorientierung sowohl für die externe Evaluation von Schule als auch fürdie Lehrerausbildung selbst eine immer wichtigere Rolle.Um die Qualität von Unterricht zu erfassen, kann die Videografie – unterstützt durch Beobachtungsbögen– ein nützliches Instrument sein. Videos sind hilfreich sowohl zur Evaluationeigenen (Selbstreflexion) als auch fremden Unterrichts. Sie sollten daher viel häufigerim Rahmen der Lehrerausbildung aber auch der gemeinsamen Reflexion innerhalb desKollegiums einer Schule eingesetzt werden. So kann ein autorisierter Austausch von Videoausschnittendes eigenen Unterrichts erfolgen, der eine Auswertung aus gelassenerDistanz und aus verschiedenen Perspektiven ermöglicht. Er kann so eine Basis für einekollegiale Unterrichtsreflexion sein, da durch unterschiedliche Beobachter gleiche oder/und unterschiedliche Beobachtungen des gleichen Unterrichtsauschnitts verschiedeneBeurteilungen hervorrufen können.Der Einsatz von Videografien erfordert jedoch eine solide Wissensbasis über Grundfragenvon Unterrichtsqualität. Ebenso müssen Videografien in eine schulinterne Kooperationeingebettet sein und sind nur einen Mosaikstein in einer Unterrichtsanalyse. Sie sind einWerkzeug und nicht schon per se gut.Um nun die eingangs gestellte Frage zu beantworten, ob Prozess-Standards ein Motoroder eine Bremse der Unterrichtsentwicklung sind, zeigte Professor Helmke die Gefahren,aber auch die Chancen auf:Als Gefahren benannte er:‣ Missbrauch für die Personen-Beurteilung‣ Überschätzung der AussagekraftSeite 51


Kompetenzorientiertes Unterrichten‣ Gefahr der Missinterpretation bei Ignorierung des Kontextes (Unterrichtsverlauf und-ergebnis als „Coproduktion“)Er sieht darin aber auch folgende Chancen:‣ Eröffnung ungewohnter und fruchtbarer Vergleichsmöglichkeiten‣ Grundlagen für eine wissenschaftlich fundierte Selbstreflexion und Diagnose deseigenen Unterrichts‣ Potenzial videobasierter Unterrichtsanalyse und -reflexion für die ProfessionalisierungDie Professionalitätsstandards, die berufsrelevante Kompetenzen von Lehrpersonen alsErgebnis der Lehrerausbildung beschreiben, rückte Leisen in den Vordergrund seiner Ausführungen.Die Professionalität des Lehrers bestehe darin, dass dieser ein Experte fürLehr-, Lern-, Erziehungs- und Bildungsprozesse sei.Um unterrichtliche und schulische Situationen (Standardsituationen) erfolgreich (d. h. passend)zu bewältigen, müssen die Lehrpersonen unbedingt über Kompetenzen (und derenPerformanz) verfügen. Standards repräsentieren notwendige Wissens- und Könnensbestände,durch die sich das professionelle Handeln in unterrichtlichen und schulischen Situationenvon dem eines Laien unterscheidet. Ob Standards erfüllt sind, muss sich in derPlanung für konkrete Situationen und im Handeln in konkreten Situationen zeigen.Bildlich ausgedrückt wird die Professionalität des Fachlehrers im Sinne eines Experten fürdie Gestaltung von Vermittlungs-, Lern- und Bildungsprozessen von und über das Fachvon Säulen der Kompetenzen, nämlich den Standards getragen.Seite 52


Kompetenzorientiertes UnterrichtenNach Leisen sind die acht Standards:Standard 1:Standard 2:Standard 3:Standard 4:Standard 5:Standard 6:Standard 7:Standard 8:Über anschlussfähiges Fachwissen verfügenÜber Erkenntnis- und Arbeitsmethoden des Faches verfügenÜber anschlussfähiges fachdidaktisches Wissen verfügenFachliches Lernen planen und gestaltenDie Komplexität unterrichtlicher Situationen bewältigenDie Nachhaltigkeit von Lernen fördernÜber Diagnose- und Evaluationsverfahren verfügenSich in der Rolle als Fachlehrer bzw. Fachlehrerin entwickelnSomit wird deutlich, dass die Lehrerausbildung vom Ende her gedacht werden muss: Wassollen die Lehramtsanwärter/innen am Ende der Ausbildung können, um als Experten fürdie oben beschriebenen Prozesse gelten zu können, um sowohl die unterrichtlichen alsauch die schulischen Situationen erfolgreich bewältigen zu können?Wie werden sie auf diese Situationen vorbereitet?Betrachtet man sowohl die konzeptionelle als auch die praktische Ebene, so lässt sich dieschulpraktische Ausbildung, die den Lehramtsanwärter zum Experten für Lehr-, Lern-, Bildungs-und Erziehungsprozesse ausbilden soll, in den folgenden zwei Abbildungen zusammenfassen.Seite 53


Kompetenzorientiertes UnterrichtenUm die verschiedenen Kompetenzen zu fördern, müssen auch in der LehrerausbildungStandards festgelegt und vor allem sowohl in den Seminaren als auch bei und nach Unterrichtsbesuchen,d. h. bei der Unterrichtsanalyse, kommuniziert werden. Viele Bundesländerhaben bereits Standards für die Fachseminare und für die Allgemeinen Seminare entwickeltoder sie sind auf dem Weg dahin, in Berlin haben wir gerade einen ersten Schritt indiese Richtung gemacht.Ich danke Herrn Leisen, dass er seine Power Point Präsentation zur Verfügung gestellthat.Roswitha Kneer-WernerLeiterin des 2. Schulpraktischen Seminars Neukölln (S)Seite 54


Kompetenzorientiertes UnterrichtenVom trägen Wissen zum kompetenten HandelnVortrag von Diethelm WahlAuf der BAK-Tagung 2007 in Speyer hielt Diethelm Wahl, Professor für Psychologie undErwachsenenbildung an der PH Weingarten, einen – interaktiven – Vortrag zu dem obengenannten Thema. Er leitete ihn mit drei Fragestellungen ein.1. Wie gelangt der angehende Lehrer zu einer raschen Handlungsfähigkeit, die ihm ermöglicht,in Situationen des Unterrichts schnell zu reagieren und sich dabei noch von pädagogischenÜberlegungen leiten zu lassen?Anlass dazu waren Ergebnisse einer Untersuchung zu handlungsleitenden Strukturen undProzessen bezogen auf Fallstudien: Bei Abiturienten, (Lehramts)Studierenden, Prüfungskandidatenund Lehrern nach zwei- bis zehnjähriger Praxis ließ sich kein signifikanter Unterschiedin der Handlungsfähigkeit konstatieren. Selbst 14-Jährige unterschieden sichnicht bedeutsam. Daraus leitet er die Fragestellung ab: „Wie gelangt man vom Wissenzum Handeln?“. Offensichtlich verfügen Lehrer über reflexive und über prototypischehandlungssteuernde Theorien, nutzen dieses Wissen allerdings kaum in problemorientiertenSituationen.Diese Frage lässt sich auf allen Ebenen stellen u. zw. vom Schüler über den LAA bis zumerfahrenen Lehrer. Daraus resultierten Untersuchungen zu den handlungssteuernden subjektivenTheorien von Lehrern mit dem Ergebnis, dass diese Theorien sich als sehr stabilerwiesen. Diese Stabilität zeigte sich auch beim alltäglichen Planungshandeln, sodass eskein didaktisches Studium vermag, hier signifikanten Einfluss zu nehmen. Konsequenz istfür Wahl und seine Mitarbeiter, Ausbildung effizienter zu gestalten, damit sie Einfluss aufdie Anwendung der handlungssteuernden Theorien nehmen kann.Wichtig ist hierfür das Bewusstmachen von Handlungsroutinen durch systematisches Erfassender handlungssteuernden Gedanken und Gefühle sowie eine enge – auch zeitliche– Verknüpfung von Wissenserwerb und Handeln, wie er es in seiner interaktiven Vorlesungin Speyer demonstriert.2. Die Antwort auf die Frage, die wie vielfache Zeit der langsamste Lerner in einer Gruppeim Verhältnis zum schnellsten benötigt, lautet: die neunfache. Daraus lässt sich die Forderungnach Differenzierung ableiten wie auch die, z. B. einen Vortrag systematisch zu unterbrechenund interessante Aufgaben einzuschieben.3. Wenn sich Studenten unmittelbar nach der Vorlesung nur noch an 40 % des Gehörtenerinnern und sowieso die Konzentration bei einem Vortrag spätestens nach 20 Minuten sonachlässt, dass nur noch 50 % den Zuhörer erreichen, müssen daraus Schlüsse für dieSeminararbeit wie für den Unterricht abgeleitet werden.Seite 55


Kompetenzorientiertes UnterrichtenIn seinem Vortrag zeigt Wahl, welche Schritte erforderlich sind, um die bisherigen handlungssteuerndenStrukturen bearbeitbar zu machen, um „neues Handeln in Gang zu bringen“.Einen kleinen Überblick gibt seine Grafik im Hand-out:Drei zentrale Lernschritte in einerLernumgebung, die selbstgesteuertes Lernen abverlangt,jedoch Orientierung bietet:2. Verändern handlungssteuernder Strukturendurch Entwickeln neuer Problemlösungen:„Kleines Sandwich“Advance OrganizerAktivierende Lernmethoden (z. B. WELL)Kognitive Landkarten1. Handlungssteuernde Prozesseund Strukturen bearbeitbarmachen:SelbstreflexionenWechsel der PerspektivenPädagogischer DoppeldeckerSzene-Stopp-ReaktionSelbstbeobachtungenWeingartener-Auffassungs-LegetechnikWALFeedback (Tandemperson, Supervision)3. Neues Handeln in Gang bringen:„Inneres Bild“ der neuen Handlung entwickelnHandlung planenHandlungen simulieren (z. B. Micro-Teaching)Vorgeplantes AgierenFlankieren durch Vorsatzbildunginneres Sprechenund kollegiale Praxisberatung(„Großes Sandwich“)Hand-out, S. 9Exemplarisch erläutert Wahl die Vorgehensweise, wie ein verändertes Verhalten unterNutzung des neuen Wissens angeleitet werden kann.Wie sich aus der Grafik ablesen lässt, verwendet er dazu vielfältige Verfahren, die nichtalle neu sind, aber in einer anregenden Lernumgebung die Lehramtsanwärter aktivierenund dabei ihren Fokus auf das Wesentliche lenken. Details sind auf seiner Homepagewahl@ph-weingarten.de oder in seinem letzten Buch zu erfahren.Wahl, D.: (2006): Lernumgebungen erfolgreich gestalten. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.Hannelore WückeHauptamtliche Fachseminarleiterin Deutsch (L)Seite 56


Diagnostizieren, Fördern und BeurteilenBAK-Fortbildung mit Werner BauchKompetenzorientiertes Unterrichten„Wenn die Gedanken groß sind, dürfen die Schritte klein sein“ (Hartmut v. Hentig).Unter diesem Motto hat Werner Bauch (webau@onlinehome.de) am 1.Oktober eine Fortbildungüber „<strong>Kompetenzorientierung</strong> in der Lehrerbildung – Diagnostizieren, Fördern undBeurteilen“ angeboten, die von der Landesgruppe Berlin des BAK organisiert wurde. WernerBauch ist Ausbilder für das Fach Deutsch, verantwortlich für die Module „Diagnostizieren-Fördern-Beurteilen“im <strong>Studienseminar</strong> für Gymnasien in Marburg und zugleich in derFortbildung für Ausbilderinnen und Ausbilder tätig. Er arbeitet an der inhaltlichen Ausgestaltungder modularisierten Lehrerausbildung in Hessen mit und hat in diesem Zusammenhangeinen Online Fortbildungskurs zum Thema „Diagnose, Förderung und Beurteilungim kompetenzorientierten Unterricht“ entwickelt.Lernen versteht er als einen aktiven, selbstgesteuerten Prozess.Im Mittelpunkt erfolgreicher Lernprozesse steht die individuelle Auseinandersetzung mitden Inhalten und Methoden. Hierfür sind kollektive Lernprozesse wenig geeignet. Lernenmuss jede Person selbst. Diesen Prozess kann ihr kein didaktisch noch so geschickt aufbereiteterUnterricht abnehmen, er kann ihn aber unterstützen oder sogar herausfordern.Im Mittelpunkt des Unterrichts stehen nicht mehr zentral das Lernen in einem gemeinsamenLerntempo und auch nicht mehr das gemeinsame Problemlösen. Vielmehr soll dasaktive, selbstgesteuerte, kompetenzorientierte Lernen im Vordergrund stehen, das allerdingswesentlich in sozialen Zusammenhängen stattfindet.„Dabei versteht man unter Kompetenzen die bei Individuen verfügbaren oder durch sieerlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen,sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften undFähigkeiten um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvollnutzen zu können.“ 15Lernende verfügen also in dem Maße über Kompetenzen, wie siezur Bewältigung einer Situation vorhandene Fähigkeiten nutzen,dabei auf vorhandenes Wissen zurückgreifen und sich benötigtes Wissen beschaffen,die zentralen Zusammenhänge eines Lerngebietes verstanden haben,bei ihren Handlungen auf verfügbare Fertigkeiten zurückgreifen,ihre bisher gesammelten Erfahrungen in ihre Handlungen mit einbeziehen.In der Ausbildung für kompetenzorientierten Unterricht geht es also darum, die Fähigkeitzu entwickeln, Lernstände und -prozesse vor dem Hintergrund fachbezogener Kompetenzmodelleund mit Blick auf überfachliche Kompetenzen diagnostizieren sowie gemein-15 Weinert, F (Hg).: Leistungsmessungen in Schulen. Weinheim, Basel 2001, S. 27fSeite 57


Kompetenzorientiertes Unterrichtensame und individuelle Lernwege fachdidaktisch sowie lernpsychologisch begründet fördernund personen-, gruppen- und standardbezogen bewerten und beurteilen zu KÖN-NEN.Auf der (idealtypischen) höchsten Niveaustufe der Diagnosefähigkeit verfügt die Lehrkraftüber ein breites Spektrum an Diagnoseverfahren zur Erfassung von Lernständen und-prozessen (auch bei Lernhindernissen und Begabungen). Sie nutzt psychologische Entwicklungs-und fachbezogene Kompetenzerwerbsmodelle, beachtet typische Fehlerquellen,bezieht die Lernenden funktional ein und reflektiert die eigene Rolle im Prozess.Auf der höchsten Niveaustufe des Kompetenzbereichs Fördern organisiert die LehrkraftUnterricht als Förderkreislauf, orientiert sich an den Grundprinzipien des selbstständigenLernens; nutzt Verfahren zur Dokumentation von Lernprozessen, trifft konkrete Lernvereinbarungenfördert die Lernenden dabei systemisch und dialogisch und geht lernförderlichmit Fehlern um.Auf der höchsten Stufe des Kompetenzbereichs Beurteilen und Bewerten verfügt die Lehrkraftüber kompetenzspezifische Kriterien und Verfahren; sie kann ergebnis- und prozessbezogenLeistung ermitteln und förderorientiert wertschätzend rückmelden; sie beziehtSchülerinnen und Schüler alters- und sachangemessen ein und zeigt fundierte Kompetenzim Lernförder- und Beratungsgespräch. Dabei beurteilt sie kriterienbezogen und informiertdie Lerngruppen sowie Erziehungsberechtigte rechtlich korrekt; unterscheidet Beurteilungund Bewertung sowie Defizite und Stärken.Der Kompetenzbereich Unterrichten wird in der modularisierten hessischen Lehrerausbildungkumulativ entwickelt. Zunächst werden Lernprozesse in den Unterrichtsfächern beobachtetund nach schulformbezogenen Prinzipien unter Anleitung gestaltet, bevor Lernprozessein den Unterrichtsfächern von den Auszubildenden „eigenständig und transparent“initiiert werden. In der weiteren Ausbildung werden Lernprozesse in den Unterrichtsfächern„individualisiert und ganzheitlich“ gestaltet. Am Schluss der Ausbildung sollen„Lernprozesse in den Unterrichtsfächern professionell nach schulformbezogenen Prinzipien,nach Prinzipien der inneren Differenzierung und individuellen Förderung fachübergreifend“vorbereitet und durchgeführt werden KÖNNEN.(Pflichtmodule zum Kompetenzbereich Unterrichten)Die genannten Kompetenzen können in den Modulen an spezifischen Lernaufgaben entwickeltwerden.Das folgende Schema, das der Präsentation von Herrn Bauch entnommen wurde, veranschaulichtdas Konzept.Seite 58


Kompetenzorientiertes UnterrichtenIn dem folgenden konkreten Aufgabenbeispiel werden die konsequente Anwendungsorientierungund die gebotene Theorie-Praxisverknüpfung der Arbeit in den Modulen deutlich.Beispiel: Lernstände erfassen, Entwicklung fördern mit komplexen LernaufgabenSituation: Sie möchten nach den Herbstferien in Ihrer Klasse 9 (18J / 9M), die Sie seitBeginn des Schuljahres kennen, … (UE Kurzgeschichte / „Im Spiegel“)Aufgabe: Sie finden hier eine Auswahl an Möglichkeiten, die Unterrichtsreihe zu beginnen.Prüfen Sie, ob Ihrer Ansicht nach gut geeignete darunter sind, wählen Sie eine aus,die Ihren Vorstellungen am meisten entspricht und begründen Sie Ihre Wahl. Welcher Beginnerscheint Ihnen am wenigsten geeignet? Warum?Ich steige unmittelbar ein, lasse also die Geschichte vorlesen, Verständnisfragen stellenund dann erst mal den Inhalt zusammenfassen.Ich frage die Klasse, welche KG sie schon kennen, was sie darüber wissen.Ich lege eine Liste mit meinen Lehrabsichten für die UE samt Datum der Klassenarbeitvor und erkläre, was und wie wir es machen wollen.Ich nenne in der letzten Stunde vor den Ferien das Thema und gebe die Aufgabe, sichbis zur nächsten über Kurzgeschichten im Internet zu informieren.Ich lese sie zweimal vor, lasse die Geschichte weiter schreiben (20´) und spreche dannmit der Klasse über die Begründung ihrer Fortsetzungen.Seite 59


Kompetenzorientiertes UnterrichtenDie Ergebnisse lassen sich so zusammenfassen: Kumulierendes Lernen ist ein Schlüsselbegriff der <strong>Kompetenzorientierung</strong>. Es geht umden Aufbau intelligenten, vernetzten Wissens, das in vielen Anwendungssituationenverfügbar ist. Kompetenzen können beispielhaft in Ausbildung und Unterricht an komplexen, aberauch lernstandsgemäß begrenzten Lernaufgaben entwickelt werden Lernstände und -prozesse werden vor dem Hintergrund fachbezogener Kompetenzmodelleund mit Blick auf überfachliche Kompetenzen diagnostiziert. Die Individualität des Lernprozesses wird konsequent berücksichtigt. Individuelle Lernwege werden lernpsychologisch begründet gefördert. Kompetenzorientierter Unterricht sowie kompetenzorientierte Ausbildung zeichnen sichdurch eine klare Ausweisung zu erreichender Abschlusskompetenzen in Kernbereichenaus. Konstruktion und Instruktion, fremdgesteuerte Wissensvermittlung und selbstgesteuerterWissensaufbau lassen sich im Prozess der Anbahnung selbstgesteuerten Lernenssinnvoll integrieren.In der die dreistündige Veranstaltung abschließenden Aussprache wurde das Problem derGefahr der Überforderung der Lehrenden und Lernenden deutlich angesprochen. Dass dieklassischen Lernziele nicht mit den Kompetenzen gleich gesetzt werden dürfen und dieLehramtsanwärter einen Anspruch auf eine gemeinsame Sprache der Ausbilder haben,die widerspruchsfrei zu den Vorgaben des Schulgesetzes, der aktuellen Lerntheorie undder Rahmenlehrpläne passt, wurde hervorgehoben.Auch der Verwunderung, dass in Deutschland an 16 Baustellen an der neuen Schule gebautwird, ohne das die Bauherren, Architekten und Arbeiter kooperieren und voneinanderlernen, wurde Ausdruck gegeben.Der Tag wurde beendet mit dem Satz: „ Wenn die Gedanken groß sind, dürfen die Schritteklein sein.“Bernd Knittel,Sprecher der Landesgruppe Berlin des BAKPS: Sie finden auch in diesem Heft eine Beitrittserklärung. Ihre Mitgliedschaft und Ihr Beitrag machenerst Veranstaltungen wie die hier vorgestellte möglich.Seite 60


ForumForumQuo vadis?Zur Einstellungssituation der Lehramtsabsolventen im Jahr 2007Um das Thema unserer letzten Broschüre weiter zu verfolgen, habe ich bei den SchulpraktischenSeminaren (L und S) des Landes Berlin nachgefragt, ob die Lehramtsanwärter,die im Jahr 2007 ihre Ausbildung erfolgreich beendet haben, eine Anstellung in Berlinoder außerhalb gefunden haben. Dabei wollte ich auch untersuchen, ob eine Aussagedarüber möglich ist, in welche Bundesländer die jungen Leute schwerpunktmäßig „abgewandert"sind. Von den zurzeit 27 allgemein bildenden Schulpraktischen Seminaren imLand Berlin haben aus der Lehrerlaufbahn und Studienratslaufbahn 25 geantwortet – einherzliches Dankeschön an die Kolleginnen und Kollegen.In der folgenden Tabelle sind die Ergebnisse der Umfrage zusammengefasst. Anschließendversuche ich die Ergebnisse bezogen auf die Lehrer- und die Studienratslaufbahnmiteinander zu vergleichen.Zahl Einstellung keine unbekanntder in außerhalb Ein- oderLAA Berlin Berlins stellung WirtschaftStudienratslaufbahn259 90 110 31 28Lehrerlaufbahn123 75 18 17 13beide Laufbahnen zusammen382 165 128 48 41Die Befragung ergab, dass 382 Lehramtsanwärter erfolgreich das 2. Staatsexamen bestandenhaben; zwei Seminare hatten im Jahr 2007 keinen Prüfungsdurchgang. Von den382 Lehramtsanwärtern gehörten 123 der Lehrerlaufbahn und 259 der Studienratslaufbahnan.Auch wenn der Verbleib von gut 11% der Absolventen beider Laufbahnen unbekannt ist,bzw. diese in Betrieben der Wirtschaft bzw. den Universitäten und Hochschulen eine Anstellunggefunden haben, geben die Zahlen doch ein relativ deutliches Bild über denVerbleib der in Berlin ausgebildeten Lehramtsanwärter beider Laufbahnen, die im Jahre2007 ihre Zeugnisse zum Ende Januar bzw. im August entgegen nehmen konnten.(Hinweis: die Absolventen des derzeitigen Prüfungsdurchganges – September bis Dezember2007 – werden die Zeugnisse erst Ende Januar <strong>2008</strong> erhalten. Sie stehen daherfür Einstellungen erst nach diesem Termin zur Verfügung und sind daher nicht berücksichtigtworden.)Seite 61

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