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Alexander Wandinger, Jana Cerno, Christian Aichner

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Handwerkern des 18. Jahrhunderts benutzt<br />

wurden. Den künstlerisch begabten Riemern<br />

standen Einblattdrucke und in seltenen<br />

Fällen illustrierte Bücher zur Verfügung.<br />

Dem Zeitgeschmack entsprechend kursierten<br />

in dieser Bilderwelt auch viele Zeichen aus der<br />

Alchemie und wurden kopiert. Gleichzeitig<br />

lebten Reste des Bildungsmonopols der Kirche<br />

im 18. Jahrhundert fort. Fromme Sprüche<br />

und teils gänzlich zusammenhangslose Buchstaben<br />

erweckten in einer nicht vollständig<br />

alphabetisierten Welt überdies den Eindruck,<br />

man könne lesen und schreiben.<br />

Selbst wenn<br />

sie aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang<br />

gerissen sind, war den religiösen und alchemistischen<br />

Zeichen wohl eine Art Restmagie zu<br />

eigen. Am Übergang vom 18. zum 19. Jahr-<br />

hundert, als die moderne Chemie im nüchternen<br />

Geist eines Lavoisier und seiner Nachfolger<br />

die Alchemie ablöst, verändert sich zugleich die<br />

geheimnisvolle Bilderwelt auf den Gürteln.<br />

Viele Symbole werden weiterhin benutzt, aber in<br />

spürbar anderer Art und Weise. Sie wirken<br />

beliebiger und in zunehmendem Maß als dekorative<br />

Versatzstücke.<br />

Befremdlich erscheint<br />

das alles nur auf den ersten Blick. Wir kennen<br />

ähnliche Phänomene auch aus unserer Zeit.<br />

In ein und demselben Haus geben sich das<br />

Kruzifix an der Wand, die maskottchenhafte<br />

Buddhastatue auf dem Fensterbrett und<br />

der pseudoindianische Traumfänger über dem<br />

Bett ein synkretistisches Stelldichein. Und<br />

ausgerechnet »auf der Gürtellinie« kommt es<br />

sogar dann zu einer Verschmelzung von<br />

Zeichen aus unterschiedlichen Kulturen, wenn<br />

der Gürtel selbst durch Abwesenheit glänzt:<br />

Die umgangssprachlich als Arschgeweih<br />

bezeichnete und ursprünglich meist ornamental<br />

gestaltete Tätowierung oberhalb des Steiß-<br />

beins, die in den neunziger Jahren des vorigen<br />

Jahrhunderts in Mode kam, wird im neuen<br />

Jahrtausend ohne tiefere Sinnfrage mit chinesischen<br />

Schriftzeichen und sich windenden<br />

Drachen kombiniert. Neben ihrer modischen<br />

oder schmückenden Funktion entfalten<br />

derlei Zeichen und Symbole einen latenten<br />

Schutzzauber. Das gilt selbst in einem so<br />

prestigeträchtigen Bereich wie dem der Automarken<br />

– beispielsweise für den Mercedes-<br />

stern, die Emmy des Rolls Royce, den Jaguar<br />

auf der Haube der gleichnamigen Nobelkarosse<br />

oder den Dreizack im Kühlergrill des Maseratis.<br />

Inwieweit ein kleines grünes Krokodil am<br />

Poloshirt noch magische Kräfte ausstrahlt, sei<br />

dahingestellt.<br />

Bis in die Zeit um 1800 ist die<br />

Tierwelt auf den Riemen noch überschaubar –<br />

dafür begegnet uns auf den Männergürteln<br />

des 19. Jahrhunderts ein wahres Bestiarium:<br />

Löwe, Adler, Taube (Heiliger Geist) und andere<br />

Vögel, Hirsch und Hindin, Steinbock und<br />

Gams, Roß, Hund, Fuchs und Hase, Osterlamm,<br />

Stier und Ochs, um nur einige zu nennen.<br />

Die aufrecht stehenden Löwen fungieren jetzt<br />

eher als heraldische Begleitung des bayerischen<br />

Wappens, während springende Hirsche un-<br />

bändige männliche Kraft und Dynamik zeigen.<br />

Löwe und Hirsch gemeinsam ist das oft in<br />

roter Farbe deutlich abgesetzte Geschlechtsteil.<br />

Ob es sich dabei um reine Konvention oder<br />

eindeutig zur Schau getragene maskuline Potenz<br />

handelt – oder womöglich beides –, bleibt<br />

damals wie heute dem Urteil der Betrachter<br />

überlassen.<br />

Weiter ins Ungewisse führt uns<br />

der Versuch einer Deutung der Spiralen,<br />

Granatäpfel, Tulpen und Lebensbäume, die auf<br />

Gürteln dargestellt sind. Allzu bedeutungsschwere<br />

Interpretationen erscheinen nicht an-<br />

gebracht, und so mancher vermeintliche<br />

Lebensbaum erweist sich bei näherem Hinsehen<br />

als stilisierte barocke Blumenvase von überwiegend<br />

dekorativem Charakter. Der Granatapfel<br />

und die Tulpe deuten auf einen größeren kulturhistorischen<br />

Zusammenhang hin. Seit dem<br />

Mittelalter hat der Orient unseren Lebensraum<br />

stilistisch mit diesen und anderen Symbolen<br />

geprägt. Symbole sind – vor allem nach der<br />

Wanderung von einer Kultur in die andere –<br />

polyvalent. Es ist deshalb schwierig, ihre jeweils<br />

zutreffende Bedeutung zu erkennen. Der<br />

samengefüllte Granatapfel steht für die göttliche<br />

Liebe und Barmherzigkeit ebenso wie für die<br />

menschliche Zuneigung und Fruchtbarkeit. Die<br />

Tulpe begegnet uns dichterisch überhöht als<br />

Tulipan in barocken Sonetten, und ihre Zwie-<br />

beln waren einst von allerhöchstem Wert.<br />

Ob dies hingegen einem Rottaler Bauern in<br />

Niederbay ern um 1800 ebenfalls bekannt war,<br />

ist die Frage. Auf seiner Prachtfatsche sah<br />

der gemeine Landmann jedenfalls lieber exo-<br />

tische Symbole als einen Krautkopf oder gar ein<br />

profanes Hausschwein. Im Gegensatz zur Sau,<br />

die nur einmal auf dem Ranzen eines Vieh-<br />

händlers erscheint, sind Rösser – auch in<br />

Kombination mit Wägen – schon auf frühesten<br />

Gürteln häufig vertreten. Sie stehen vor allem<br />

für einen stolzen, reichen Bauernstand und<br />

können als berufsspezifische Abbildung gelten.<br />

Neben den vermögenden Bauern zeigen<br />

um 1760/70 vor allem Schmiede, Müller, Metz-<br />

ger und Schiffmeister ihren Berufsstand<br />

auf den Gurten. Bei der Suche nach geeigneten<br />

Darstellungsweisen entstanden Bilder mit<br />

hohem Wiedererkennungswert, die noch nach<br />

Jahrhunderten verständlich sind. Diese Signets<br />

sind graphische Meisterleistungen, die nur<br />

mit Zeichen und ohne erklärende Worte alles<br />

sagen, was zu sagen ist. Dabei wird zum<br />

Beispiel das unmittelbare Handwerkszeug eines<br />

Metzgers wie Messer und Hacke mit dem<br />

vieldeutigen Stierkopf verbunden. Anker, Ruder-<br />

blatt und Haken kennzeichnen den Schiff-<br />

meister, und das Mühlrad mit der Haue den<br />

Müller. Während Rechen, Sense und Schaufel<br />

auf den Bauern hinweisen, bilden zwei<br />

gekreuzte Sensenblätter das schlichte Marken-<br />

zeichen für einen Hammerherrn. Um 1830<br />

kommen die Zeichen weiterer Berufsstände wie<br />

Brauer, Zimmerer und Schreiner mit ihren<br />

berufstypischen Werkzeugen hinzu. Äußerst<br />

selten – und nur auf einen kurzen Zeitraum<br />

um 1810 beschränkt – sind Gürtel, auf denen,<br />

wiederum berufsspezifisch, bewegte Szenen<br />

phantasievoll illustriert werden.<br />

Den Raum<br />

zwischen den bedeutungstragenden Symbolen,<br />

Signets, Jahreszahlen und Monogrammen<br />

füllen ornamentale Elemente aus. Die sich<br />

wiederholenden Muster haben hauptsächlich<br />

dekorative Funktion. Dabei akzentuieren,<br />

gliedern und rahmen sie die Darstellungen,<br />

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