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Alexander Wandinger, Jana Cerno, Christian Aichner

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mit dreieckigen Nadelstempeln perforiert,<br />

die aneinandergesetzt ein fortlaufendes Band<br />

ergeben. Anders als mit Einzelnieten, die<br />

sich unschwer auch zu gerundeten Linien an-<br />

ordnen lassen, ist mit den starren Nietenbändern<br />

ein frei wählbares Motiv nur eingeschränkt<br />

möglich. Dafür kann auf dem Leder<br />

leichter eine fast geschlossene Oberfläche<br />

aus Zinn geschaffen werden.<br />

Gleichzeitig zu<br />

den genagelten Binden werden vor 1800<br />

auch kunstvoll bestickte und geprägte Gürtel<br />

getragen. Daneben finden sich Mischtech-<br />

niken, die die verschiedenen Verzierungsarten<br />

auf einfallsreiche und bisweilen aufwendige<br />

Weise miteinander kombinieren. Auf manchen<br />

Gurten blitzen sogar – Edelsteinen gleich –<br />

gefaßte Glassteine und bunte Stanniolfolien in<br />

der silberfarbenen Oberfläche auf.<br />

Die schlichte<br />

Innenseite der Riemen ist mit einem Futterleder<br />

versehen, das flächig verleimt und an den<br />

Kanten aufgenäht ist. Bei einzelnen Stücken<br />

ist das Futterleder nur am oberen und unteren<br />

Rand mit einer Naht befestigt und bleibt<br />

zur Schließe hin offen. Auf diese Weise können<br />

zwischen Oberleder und Futter Geld oder<br />

Papiere geschoben werden. Ab etwa 1780 wird<br />

das Futterleder der genagelten Fatschen anstatt<br />

des bis dahin üblichen Leinenfadens mit<br />

schmalen Bändern aus Pergamentleder (Zirm)<br />

aufgenäht, die eine auffällige farbige Ziernaht<br />

ergeben. Die schmalen Lederstreifen sind<br />

meist in Grün gehalten und entsprechen dem<br />

Material, das um 1795 flächig für die Stickerei<br />

auf Gürteln eingesetzt wird. Um den Zirm durch<br />

das dicke Gürtelleder stecken zu können, muß<br />

jedes Loch mit der Ahle vorgestochen werden.<br />

Die Pergamentlederbänder ermöglichen, bedingt<br />

durch Material und Technik, vollkommen<br />

neue Muster. Üblich sind Stickereien in weißer,<br />

grüner, roter und gelber Farbe.<br />

Im östlichen<br />

Bayern kombiniert ein unbekannter Riemer im<br />

ausgehenden 18. Jahrhundert das Pergamentband<br />

mit einem neuen Material – dem in feine<br />

Streifen geschnittenen Kiel von der Schwanzfeder<br />

des Pfaus. Der weiße Federkiel verfügt auch<br />

in geringer Breite noch über eine enorme<br />

Reißfestigkeit und ist wesentlich haltbarer als<br />

die Pergamentbänder. Charakteristisch für<br />

das Pfauenmännchen ist die Schleppe aus sehr<br />

stark verlängerten, 100 bis 150 cm langen<br />

Oberschwanzdeckfedern, die er zu einem prächtigen<br />

Rad aufschlagen kann. Diese Federn,<br />

die in der Mauser abgeworfen werden, eignen<br />

sich am besten zum Sticken.<br />

Der blaue Pfau<br />

stammt ursprünglich aus Indien, Sri Lanka<br />

und Pakistan. Dort lebt er bevorzugt im hügeligen<br />

Gelände des Dschungels. Seine Domesti-<br />

kation im Mittelmeerraum reicht in die Zeit der<br />

Antike zurück. Viele Belege – wie Turnierbilder<br />

oder Wappenbücher – zeigen, daß im Spätmittelalter<br />

die Pfauenfedern häufig Bestandteil<br />

ritterlicher Helmzieren sind. Ob die Federn<br />

damals noch aus dem Orient eingeführt werden<br />

oder bereits Pfauen an den mittelalterlichen<br />

Höfen heimisch sind, ist nicht eindeutig belegt.<br />

Wahrscheinlich finden die exotischen Tiere<br />

mit ihren auffälligen Federn erst in der Folgezeit<br />

in größerem Ausmaß Eingang in die herrschaftlichen<br />

Volieren und Gärten der barocken<br />

Adelshäuser. Im 19. Jahrhundert erweitert<br />

sich der Lebensraum der standorttreuen Vögel<br />

auf die großbäuerlichen Höfe Niederbayerns<br />

und Oberösterreichs. Woher der erste Federkielsticker<br />

seine Federn bezog, können wir nur<br />

vermuten, unbekannt war das Material um 1795<br />

jedenfalls nicht.<br />

Wird der Federkiel anfangs<br />

noch sparsam verwendet, ersetzt er für kostbare,<br />

repräsentative Gurte seit ca. 1810 die Metall-<br />

nieten fast gänzlich und verdrängt die Stickerei in<br />

Pergament weitgehend. Die ersten Fatschen, die<br />

ausschließlich mit Federkiel bestickt sind,<br />

lassen sich aufgrund ihrer Fundorte und der<br />

Namenszüge auf vielen Gurten eindeutig dem<br />

Gebiet zwischen dem oberbayerischen<br />

Chiemgau und dem niederbayerischen Rottal<br />

zuordnen.<br />

Daß der Riemergeselle Joachim<br />

Schuster ausgerechnet aus dieser Gegend<br />

stammt, ist bemerkenswert. Auf dem Schutz-<br />

umschlag seines Büchleins bezeichnet er<br />

sich selbst als Pfauenfederarbeiter. Wenn er<br />

die Kielstickerei in seinem Elternhaus erlernt<br />

hat, dann spricht alles dafür, daß sein Vater,<br />

der Riemermeister Jakob Schuster, zu den<br />

allerersten Federkielstickern in Bayern gehörte.<br />

Joachim Schuster besitzt eine Qualifikation,<br />

die ihn aus der großen Schar seiner Berufskollegen<br />

heraushebt. Die Kunst, mit gespaltenen<br />

Federkielen auf Leder zu sticken, steht zwischen<br />

1810 und 1870 bei einem relativ kleinen Kreis<br />

spezialisierter Handwerker in voller Blüte. Neben<br />

Schmuckgürteln werden besonders hochwertige<br />

Etuis, Brieftaschen, Beutel und andere Accessoires<br />

bestickt. Es handelt sich bei diesen<br />

Gegenständen um außergewöhnliche Luxusartikel,<br />

die sich ausschließlich vermögende<br />

Personen leisten konnten.<br />

Wo, wann und zu<br />

welchem Zweck die Technik des Federkiel-<br />

stickens sonst noch ausgeübt wurde, ist historisch<br />

ungeklärt. Es existieren einige wenige<br />

Vergleichsstücke orientalischer Provenienz,<br />

darunter zwei mit Federkiel und Roßhaar be-<br />

stickte Lederschatullen. Vielleicht gab es zur<br />

Zeit der Türkenkriege im 18. Jahrhundert<br />

einen kulturellen Austausch, der die Fertigkeit der<br />

Stickerei mit Pfauenfederkiel bei uns einführte.<br />

Die Technik kann sich aber auch ohne orientalische<br />

Vorbilder entwickelt und etabliert haben.<br />

In ihrer Anfangszeit besticht die Federkielstickerei<br />

durch ihre bisweilen naive,<br />

dabei aber eindringlich plakative Darstellungsweise.<br />

Für die großräumigen Muster werden<br />

relativ breite Fäden in großflächigen Bildern<br />

verarbeitet. Im Laufe der Zeit entwickeln viele<br />

Riemer dann eine schier unglaubliche hand-<br />

werkliche Perfektion, die sich in der filigranen<br />

Sticktechnik und einem sicheren Gefühl für<br />

Harmonie und Spannung manifestiert.<br />

Ihre Dynamik, die Feinheit der Kielfäden und<br />

die engstmöglich aneinandergesetzten Stiche<br />

erzeugen bei manchen Mustern den Eindruck<br />

flirrender Bewegung. Einige Riemer kombinie-<br />

ren den Federkiel mit Lahn (ein flach aus-<br />

gewalzter Metalldraht), Pailletten und textilen<br />

Fäden. Sie entwickeln so eigene Mischtechniken,<br />

die ihren Erzeugnissen einen individuellen<br />

und werkstattypischen Charakter verleihen.<br />

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