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Alexander Wandinger, Jana Cerno, Christian Aichner

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echten Seite mit dem Bügel als tiefstem Punkt<br />

bis unter die Hüfte reicht. Die Ketten ohne Bügel<br />

hängen vorne mittig über Rock und Schürze<br />

hinab. Der Verschluß der Kette ist in beiden<br />

Fällen vorne zu sehen. Eine Öse oder ein kleiner<br />

Bügel markiert das eine Ende der Kette, ein<br />

Haken das andere. Der Gürtel selbst besteht aus<br />

schlichten Ösenketten und unterschiedlich<br />

gestalteten, gegossenen, getriebenen oder<br />

gedrückten Kettengliedern. Die Oberfläche der<br />

Kettenglieder ist häufig auch in abstrakten<br />

Mustern punziert, ziseliert, graviert oder geflächelt.<br />

Als Material dient versilbertes oder<br />

vergoldetes Messing, sehr selten auch massives<br />

Silber. Bei einigen Stücken sind farbige Glassteine<br />

in die Kettenglieder gefaßt.<br />

Die hier be-<br />

schriebene Form hat sich im 17. Jahrhundert<br />

entwickelt und basiert ihrerseits auf älteren<br />

Vorbildern, die mindestens bis ins 16. Jahrhundert<br />

zurückverfolgt werden können. Gürtel<br />

dieser Art sind bis ca. 1800 in der bürgerlichen<br />

Frauenkleidung nachweisbar und neben den<br />

Halsketten oder dem Miedergeschnür ein<br />

Bestandteil des Schmucks vermögender Frauen.<br />

Nach dem Aufkommen der hoch taillierten<br />

Empiremode um 1800 hat der Frauengürtel in<br />

der städtischen Mode keine Bedeutung mehr,<br />

bleibt aber im bäuerlichen Umfeld als Brautkette<br />

erhalten. Eine klare Trennlinie zwischen bäuer-<br />

lichen und bürgerlichen Frauengürteln ist<br />

schwer zu ziehen, weil sich beide in ihrer Ge-<br />

staltung nicht grundlegend unterscheiden.<br />

Nur wenige Stücke sind aufgrund ihrer aufwendigen<br />

Verarbeitung mit Gewißheit der<br />

städtischen Schicht zuzuordnen; sicher zur<br />

26<br />

bäuerlichen Welt dagegen gehören Ketten,<br />

die ihrer Machart nach eindeutig aus der zweiten<br />

Hälfte des 19. Jahrhunderts stammen.<br />

Es läßt sich bei vielen historischen Originalen<br />

nicht mehr feststellen, ob es sich ganz<br />

allgemein um Frauengürtel handelt – oder um<br />

spezielle Brautgürtel, die das erste und vielleicht<br />

einzige Mal zur Hochzeit angelegt wurden.<br />

Die Problematik der Zuordnung sei beispielhaft<br />

am jüdischen Brautgürtel, dem Schiwlanot,<br />

illustriert: Diese kunstvoll gefertigten silbernen<br />

Gürtel gelten als rituelle Objekte, die bei der<br />

jüdischen Hochzeitszeremonie von der Braut ge-<br />

tragen wurden. Die Braut, als Kalla bezeich-<br />

net, und der Bräutigam, der Chatan, standen<br />

gemeinsam unter dem Trau-Baldachin, der das<br />

Brautgemach verkörperte. Ebenso wie der<br />

Ring, den der Bräutigam der Braut an den rechten<br />

Zeigefinger steckte, symbolisierte der<br />

Gürtel die Verbindung der beiden Ehepartner.<br />

Neben Brautgürteln aus gut dokumentierten<br />

Judaica-Sammlungen, die authentische Ritualgegenstände<br />

darstellen, werden allerdings<br />

auch Frauengürtel dem jüdischen Kulturkreis<br />

zugeordnet, die in Wirklichkeit eindeutig<br />

Bestandteil der allgemeinen bürgerlichen Mode<br />

im 19. Jahrhundert waren. Daraus ergeben<br />

sich zwei Schlußfolgerungen. Erstens: es handelt<br />

sich, der anders lautenden Zuschreibung zum<br />

Trotz, wahrscheinlich nicht um genuin jüdische<br />

Brautgürtel. Zweitens haben jüdische Frauen –<br />

der Mode ihrer Zeit folgend – vermutlich<br />

die gleichen Schmuckgürtel getragen wie andere<br />

vermögende Bürgerinnen auch. Um weiteren<br />

Spekulationen Raum zu geben, ist in diesem<br />

Buch zu guter Letzt ein Frauengürtel abgebildet,<br />

der aus einer jüdischen Familie Salzburgs<br />

stammt – in seiner Form dagegen auffällig an<br />

orientalische Vorbilder erinnert.<br />

Die Genese<br />

der Frauengürtel erscheint auch sonst sehr<br />

komplex. Während die Entwicklung der Männergürtel,<br />

die dieses Buch vergegenwärtigt,<br />

erst vor rund 250 Jahren begann, können<br />

Schmuckgürtel für Frauen auf eine ungleich län-<br />

gere Geschichte zurückblicken. Abgesehen<br />

davon unterscheiden sich die meisten Frauengürtel<br />

in einem wesentlichen Punkt von<br />

den Männergürteln: Sie werden mit separaten<br />

Anhängern kombiniert. Die Sitte, Besteckköcher<br />

und eingehängte Riemen, die mit Schlüssel,<br />

Messer und Feuerstahl kombiniert sind,<br />

am Gürtel zu tragen, geht auf uralte Vorbilder<br />

zurück.<br />

Gebrauchsgegenstände des täglichen<br />

Lebens – Spinnwirtel, kleine Werkzeuge sowie<br />

Beutel und Amulette – werden seit Jahrtausen-<br />

den am Gürtel mitgeführt. Gürtelgehänge,<br />

die heute noch gebräuchlich sind, wie Messer,<br />

Feuerschläger und Schlüssel, sind durch<br />

Grabungsfunde aus dem frühen Mittelalter gut<br />

belegt. In dieser Zeit – und wohl auch davor –<br />

bilden sie einen typischen Bestandteil der Tracht<br />

von Frauen und Mädchen. Noch im 16. Jahrhundert<br />

hingen unter anderem Kämme, Toilettenbestecke,<br />

Scheren, Schlüssel und mehrteilige<br />

Beutel am Gürtel der Frauen. Auch Männer<br />

pflegten bis in diese Zeit Taschen und Waffen<br />

am Riemen zu befestigen. Von den bürgerlichen<br />

Frauen wurde diese Sitte bis um 1800 weitergeführt,<br />

im ländlichen Umfeld auch länger.<br />

In der Tracht der bäuerlichen Gesellschaft<br />

haben sich Gürtelanhänger nur sehr eingeschränkt<br />

bis in die Gegenwart erhalten. Im<br />

Gegensatz zu den Brautgürteln aus Südtirol,<br />

die in der Regel mit Besteckköchern überliefert<br />

sind, werden an den bayerischen Brautketten<br />

ausnahmslos Seidenschleifen angebracht.<br />

Einiges spricht dafür, daß hier die Besteckköcher<br />

im ländlichen Umfeld auch im 19. Jahrhundert<br />

bereits weitgehend fehlten. Das liegt unter<br />

Umständen daran, daß die Brautketten aus der<br />

bürgerlichen Mode schon ohne Anhänger<br />

übernommen wurden, oder die Frauen das<br />

Mitführen von eigenem Eßbesteck als unmodern<br />

empfanden. Dagegen sind zum Beispiel die<br />

Rottaler Frauengürtel und die schmalen Riemen<br />

der Bregenzer Wälderinnen mit den Verschlüs-<br />

sen in Silberfiligran auch in der Vergangen-<br />

heit ohne zusätzliches Besteck in Gebrauch.<br />

Ihnen fehlt dementsprechend jede Vorrichtung<br />

zum Einhängen der Anhänger.<br />

Ganz anders<br />

verhält es sich mit den mehrteiligen Gürtel-<br />

gehängen, die bis heute in Teilen Südtirols und<br />

Kärntens verbreitet sind. Sie sind entweder<br />

Teil eines Gürtels oder werden als eigenständiges<br />

Accessoire im Rockbund eingehängt.<br />

Die Lederriemen sind gleich den Männergürteln<br />

mit Federkiel, Nieten und Mischtechniken verziert,<br />

oder geflochten. An den Riemen hängen<br />

neben Besteckköchern mit Messer, Gabel<br />

und Wetzstahl auch Einzelmesser, Feuerschläger<br />

und Schlüssel.<br />

Diese Anhänger werden gerne<br />

als zutiefst symbolträchtig eingeschätzt.<br />

Die Schlüssel gelten dann als Insignien für die<br />

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