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50MENSCHLICHES<br />
Der Vebl<strong>en</strong>-Effekt<br />
Thorstein Vebl<strong>en</strong> (1857-1929)<br />
Bettmann/Corbis<br />
Alan Downing<br />
Was macht die Schweizer Uhr<strong>en</strong>industrie so<br />
erfolgreich Von Uhr<strong>en</strong>zeitschrift<strong>en</strong> wird man ehrfurchtsvoll<br />
zu hör<strong>en</strong> bekomm<strong>en</strong>, es sei das kreative<br />
G<strong>en</strong>ie, die Weitsicht und vor allem die<br />
Leid<strong>en</strong>schaft der Mark<strong>en</strong>manager.<br />
Einem schärfer<strong>en</strong> Blick wird auffall<strong>en</strong>, dass die<br />
Hauptstütze der Industrie, die Herstellung von<br />
Luxusuhr<strong>en</strong>, im Grunde ein Schweizer Monopol<br />
darstellt, und es schwierig ist, kein<strong>en</strong> Erfolg zu<br />
hab<strong>en</strong>, wo die Konkurr<strong>en</strong>z fehlt.<br />
Wirtschaftstheoretiker, und jeder erfolgreiche<br />
Mark<strong>en</strong>manager, wiss<strong>en</strong> zudem, dass der grösste<br />
Trumpf dieser Industrie die besondere Beschaff<strong>en</strong>heit<br />
ihres Produktes ist. Die Schweizer Luxusuhr ist<br />
nämlich das perfekte Beispiel für ein Vebl<strong>en</strong>-<br />
Produkt: eine Ware, die d<strong>en</strong> gängig<strong>en</strong> wirtschaftlich<strong>en</strong><br />
Regeln zu Angebot, Nachfrage und Preis trotzt.<br />
Bei einem Vebl<strong>en</strong>-Produkt steigt die Nachfrage mit<br />
dem Preis und würde bei niedrigem Preis zusamm<strong>en</strong>brech<strong>en</strong>.<br />
Neoklassische Ökonom<strong>en</strong> würd<strong>en</strong><br />
sag<strong>en</strong>, dass sich der Markt irrational verhält – und<br />
tatsächlich ein<strong>en</strong> höher<strong>en</strong> Preis verlangt. Ein solches<br />
Verhalt<strong>en</strong> mag irrational sein, doch trifft es mit<br />
solcher Zuverlässigkeit ein, dass die Produktemanager<br />
darin das eherne Gesetz bei der<br />
Vermarktung von Luxusmark<strong>en</strong> seh<strong>en</strong>. Die Kunst<br />
des erfolgreich<strong>en</strong> Uhr<strong>en</strong>marketings besteht nun<br />
darin, das Produkt in j<strong>en</strong><strong>en</strong> Bereich wunderbarer<br />
Irrationalität zu befördern, wo der hohe Preis über<br />
die Attraktivität <strong>en</strong>tscheidet und die Gewinnmarg<strong>en</strong><br />
beliebig fett sind.<br />
Vebl<strong>en</strong> stellt d<strong>en</strong> Luxus bloss. Der Vebl<strong>en</strong>-Effekt<br />
ist nach dem brillant<strong>en</strong> amerikanisch<strong>en</strong> Ökonom<strong>en</strong><br />
und Querd<strong>en</strong>ker Thorstein Vebl<strong>en</strong> (1857-1929)<br />
b<strong>en</strong>annt, dess<strong>en</strong> bekanntestes Werk «Die Theorie<br />
der fein<strong>en</strong> Leute» von 1899 zur heimlich<strong>en</strong> Bibel<br />
des Luxusmarketings geword<strong>en</strong> ist*.<br />
Heimlich deshalb, weil das Buch subversiv ist.<br />
Die Blossstellung der Exzesse von Amerikas<br />
Oberschicht im gold<strong>en</strong><strong>en</strong> Zeitalter des Kapitalismus<br />
war eine schall<strong>en</strong>de Ohrfeige für Grossindustrielle wie<br />
J.P. Morgan, Cornelius Vanderbilt, John D. Rockefeller<br />
oder Andrew Carnegie. In einer schonungslos<strong>en</strong><br />
Demontage der psychologisch<strong>en</strong> und soziologisch<strong>en</strong><br />
Motive der Konsumwut beschreibt Vebl<strong>en</strong> eine von<br />
der Verschw<strong>en</strong>dung geprägte Welt, die der unser<strong>en</strong><br />
verblüff<strong>en</strong>d ähnlich ist. Seine Analyse des m<strong>en</strong>schlich<strong>en</strong><br />
Drangs, mehr auszugeb<strong>en</strong>, als man sich leist<strong>en</strong><br />
kann, für Dinge, die man nicht braucht, verwandelt<br />
die süss<strong>en</strong> Märch<strong>en</strong> und glanzvoll<strong>en</strong> Leg<strong>en</strong>d<strong>en</strong>, die<br />
das Luxusmarketing auftischt, in eine unappetitliche<br />
Erzählung über die Gier. Das Buch schlug bei seinem<br />
Erschein<strong>en</strong> wie eine Bombe ein.<br />
* Thorstein Vebl<strong>en</strong>, «Theorie der fein<strong>en</strong> Leute», Fischer Tasch<strong>en</strong>buch<br />
Verlag, 2007. 384 Seit<strong>en</strong>.<br />
50<br />
| watch around Nr. 005 Sommer 2008
MENSCHLICHESM<br />
Nguy<strong>en</strong>/Fotolia.com – Vic<strong>en</strong>t Cantó/iSotckphoto<br />
Über alles geliebter Luxus: Diamant und Kaviar.<br />
Der Statusdrang. Vebl<strong>en</strong> stellt die These auf, dass<br />
das Wirtschaftsleb<strong>en</strong> von einem mächtig<strong>en</strong> m<strong>en</strong>schlich<strong>en</strong><br />
Antrieb bestimmt wird, der fast eb<strong>en</strong>so<br />
grundleg<strong>en</strong>d ist wie der Selbsterhaltungstrieb. Er<br />
nannte es das «Nachahmungsbedürfnis» – d<strong>en</strong><br />
unersättlich<strong>en</strong> m<strong>en</strong>schlich<strong>en</strong> Geltungsdrang. Es<br />
sei «die stärkste und dauerhafteste der m<strong>en</strong>schlich<strong>en</strong><br />
Antriebskräfte» und seit der Steinzeit fest in<br />
der m<strong>en</strong>schlich<strong>en</strong> Psyche verankert.<br />
Vor Urzeit<strong>en</strong> lebt<strong>en</strong> wir in bedürfnisarm<strong>en</strong> Gemeinschaft<strong>en</strong>,<br />
argum<strong>en</strong>tiert Vebl<strong>en</strong>, und stellt<strong>en</strong> Dinge<br />
zum direkt<strong>en</strong> Gebrauch und aus «reiner Neugier»<br />
her. Die reine Neugier war aber schon der Apfel in<br />
diesem Gart<strong>en</strong> Ed<strong>en</strong>, d<strong>en</strong>n sie führte zu Erfindung<strong>en</strong>,<br />
zu einem Überangebot von Gütern und letztlich zur<br />
Verbannung aus dem Paradies.<br />
Mit einem Überangebot, das man stehl<strong>en</strong> konnte,<br />
trat eine neue Kultur in Erscheinung – der M<strong>en</strong>sch<br />
als Räuber. Sie gipfelte im europäisch<strong>en</strong> oder japanisch<strong>en</strong><br />
Feudalwes<strong>en</strong>, von Vebl<strong>en</strong> das Zeitalter der<br />
«höher<strong>en</strong> Barbarei» g<strong>en</strong>annt, in dem Tüchtigkeit<br />
bei der Jagd und im Kampf und Pot<strong>en</strong>z am meist<strong>en</strong><br />
galt<strong>en</strong>, währ<strong>en</strong>d nützliche Arbeit zum Zeich<strong>en</strong> der<br />
Unterleg<strong>en</strong>heit wurde.<br />
Wie man zur Oberschicht gehört. «Um bei d<strong>en</strong><br />
M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> Anseh<strong>en</strong> zu erlang<strong>en</strong> und zu behalt<strong>en</strong>,<br />
g<strong>en</strong>ügt es nicht, Reichtum oder Macht einfach zu<br />
besitz<strong>en</strong>. Der Reichtum oder die Macht müss<strong>en</strong><br />
51<br />
watch around Nr. 005 Sommer 2008 |
MENSCHLICHESM<br />
zur Schau gestellt werd<strong>en</strong>, erst dadurch gelangt<br />
man zu Anseh<strong>en</strong>», erklärt Vebl<strong>en</strong>.<br />
Und damit von Feindesschädeln auf Stammestotems<br />
und prunk<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Wapp<strong>en</strong> zu d<strong>en</strong> zivilisierter<strong>en</strong><br />
Zeit<strong>en</strong>, in d<strong>en</strong><strong>en</strong> Vebl<strong>en</strong> vor einem Jahrhundert<br />
sein Buch schrieb. In dieser Epoche des ungezügelt<strong>en</strong><br />
Kapitalismus war der Räuber immer noch<br />
da; demonstrativer Konsum zeugte von gelung<strong>en</strong><strong>en</strong><br />
Gaunerei<strong>en</strong>, und der « neidvolle Vergleich »<br />
(die Taxierung von Einzeln<strong>en</strong> nach ihrem Wert)<br />
tr<strong>en</strong>nte stärker d<strong>en</strong>n je zwisch<strong>en</strong> noblem Nichtstun<br />
und vulgärer gewerbsmässiger Betätigung.<br />
Vebl<strong>en</strong> zeigt zwei klassische Möglichkeit<strong>en</strong> auf,<br />
zur Oberschicht seiner – und unserer – Zeit zu<br />
gehör<strong>en</strong>: demonstrative Musse und demonstrativ<strong>en</strong><br />
Konsum. Die Oberschicht « erhebt die<br />
Gewohnheit, vollkomm<strong>en</strong> nutzlos zu sein, zum ultimativ<strong>en</strong><br />
Leb<strong>en</strong>szweck», erklärt Vebl<strong>en</strong>. Je nützlicher<br />
man sich betätigt, desto mehr Sozialprestige<br />
verspielt man, und gleichzeitig wird der unproduktive<br />
Konsum von Gütern salonfähig und zur<br />
Voraussetzung m<strong>en</strong>schlicher Würde: «Jeder Kauf,<br />
der zum Anseh<strong>en</strong> des Konsum<strong>en</strong>t<strong>en</strong> beiträgt,<br />
muss etwas Überflüssigem gelt<strong>en</strong>… Um achtbar<br />
zu sein, muss er verschw<strong>en</strong>derisch sein… Mit dem<br />
Konsum des rein Leb<strong>en</strong>snotw<strong>en</strong>dig<strong>en</strong> ist kein<br />
Staat zu mach<strong>en</strong>.»<br />
Vebl<strong>en</strong>s Konsumlogik gilt für alle: «Keine Gesellschaftsschicht,<br />
nicht einmal die Allerärmst<strong>en</strong>, verzichtet<br />
ganz auf die Gewohnheit des demonstrativ<strong>en</strong><br />
Konsums.»<br />
Die wundersame Ankunft des Quarzes. Vor dem<br />
Hintergrund von Vebl<strong>en</strong>s Wirtschaftstheorie war<br />
die elektronische Revolution der siebziger Jahre,<br />
die Quarzuhr<strong>en</strong> für alle und der mechanisch<strong>en</strong><br />
Uhrmacherei fast d<strong>en</strong> Untergang brachte, das<br />
Beste, was der Schweizer Uhr<strong>en</strong>industrie passier<strong>en</strong><br />
konnte. Die funktionell unterleg<strong>en</strong>e mechanische<br />
Uhr hatte nur noch Symbolwert und wurde<br />
zum Luxus – worauf ihr materieller Wert in die<br />
Höhe schoss. Der Preis der elektronisch<strong>en</strong><br />
Innovation tauchte hingeg<strong>en</strong> und wurde zur geringgeschätzt<strong>en</strong>,<br />
industriell produziert<strong>en</strong> Mass<strong>en</strong>ware.<br />
Nach Vebl<strong>en</strong> ist « Fortschritt ein Phänom<strong>en</strong> der<br />
unter<strong>en</strong> Schicht<strong>en</strong> und deshalb vulgär.»<br />
Es ist fast schon unheimlich, wie gut die heutige<br />
Luxusuhr Vebl<strong>en</strong>s Thes<strong>en</strong> aus dem spät<strong>en</strong><br />
19. Jahrhundert illustriert. Je w<strong>en</strong>iger nützlich und<br />
modern eine Komplikation ist, desto teurer ist sie<br />
zwangsläufig: die Minut<strong>en</strong>repetition, überflüssig bei<br />
dem heute omnipräs<strong>en</strong>t<strong>en</strong> Licht, und das Tourbillon,<br />
bei einer Armbanduhr nutzlos.<br />
Auch mit ihrem transpar<strong>en</strong>t<strong>en</strong> Gehäusebod<strong>en</strong> seit<br />
d<strong>en</strong> 1980er Jahr<strong>en</strong> veranschaulicht die Luxusuhr<br />
eine These von Vebl<strong>en</strong>: «dass nämlich sichtbar<br />
viel Aufwand betrieb<strong>en</strong> word<strong>en</strong> ist, was d<strong>en</strong> hoh<strong>en</strong><br />
Preis rechtfertig<strong>en</strong> soll.»<br />
Von nobler Nutzlosigkeit ist in der Werbung für<br />
Luxusuhr<strong>en</strong> vielleicht w<strong>en</strong>iger die Rede, aber von<br />
Handarbeit unbedingt, d<strong>en</strong>n so kann man sich der<br />
viel<strong>en</strong> Zeit rühm<strong>en</strong>, die an eb<strong>en</strong>so kunstvolle wie<br />
überflüssige Veredelung<strong>en</strong> verschw<strong>en</strong>det wurde:<br />
«Die Ehr<strong>en</strong>zeich<strong>en</strong> der Handarbeit sind gewisse<br />
Unvollkomm<strong>en</strong>heit<strong>en</strong> und Unregelmässigkeit<strong>en</strong><br />
bei der Ausführung des Designs…»<br />
Dafür braucht es aber ein<strong>en</strong> geschult<strong>en</strong> Blick :<br />
« Die Würdigung der nobl<strong>en</strong> Unvollkomm<strong>en</strong>heit,<br />
der handgemachte Güter in d<strong>en</strong> Aug<strong>en</strong> kultivierter<br />
Leute ihr<strong>en</strong> unnachahmlich<strong>en</strong> Wert und Charme<br />
verdank<strong>en</strong>, ist eine Sache des Urteilsvermög<strong>en</strong>s.<br />
Es braucht Übung dazu und die Entwicklung der<br />
richtig<strong>en</strong> D<strong>en</strong>kweise. Maschinelle Produkte werd<strong>en</strong><br />
hingeg<strong>en</strong> gerade weg<strong>en</strong> ihrer ausgesproch<strong>en</strong><strong>en</strong><br />
Perfektion von der unkultiviert<strong>en</strong> Masse bewundert<br />
und vorgezog<strong>en</strong>, der an d<strong>en</strong> Finess<strong>en</strong> elegant<strong>en</strong><br />
Konsums w<strong>en</strong>ig liegt.»<br />
Die Manipulation des Geschmacks. In Sach<strong>en</strong><br />
Urteilsvermög<strong>en</strong> beschreibt Vebl<strong>en</strong>, wie der Kult<br />
der fein<strong>en</strong> Leute unser<strong>en</strong> Geschmack und d<strong>en</strong><br />
Sinn dafür, was schön und edel ist, prägt. « Ein<br />
Artikel, der dem nobl<strong>en</strong> Zweck des demonstrativ<strong>en</strong><br />
Konsums di<strong>en</strong>t», erklärt er, «ist gleichzeitig auch<br />
ein schönes Objekt.» Geschmack ist nach Vebl<strong>en</strong><br />
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| watch around Nr. 005 Sommer 2008<br />
Lubnevskiy/Fotolia.com
ENSCHLICHESMEN<br />
Patek Philippe Museum<br />
definiert als «unser Sinn für Kostbares, der sich als<br />
Sinn für das Schöne ausgibt.»<br />
Das erklärt, warum die diesjährige Mode schön<br />
und die letztjährige, obwohl doch auch einmal<br />
schön, inzwisch<strong>en</strong> hässlich ist. Modisch zu sein ist<br />
edel, weil man dadurch so praktisch und effizi<strong>en</strong>t<br />
auffall<strong>en</strong>d konsumier<strong>en</strong> kann.<br />
Vebl<strong>en</strong>s ästhetische Regeln lass<strong>en</strong> sich mit verblüff<strong>en</strong>der<br />
prophetischer G<strong>en</strong>auigkeit auf die heutige<br />
Luxusuhr anw<strong>en</strong>d<strong>en</strong> : « Güter, die Anspruch<br />
auf Schönheit erheb<strong>en</strong> und als schöne Objekte<br />
di<strong>en</strong><strong>en</strong>, sind von beträchtlicher Raffinesse und soll<strong>en</strong><br />
d<strong>en</strong> Betrachter in Staun<strong>en</strong> versetz<strong>en</strong> – ihn mit<br />
Neb<strong>en</strong>sächlichkeit<strong>en</strong> und Raun<strong>en</strong> von G<strong>en</strong>ialität<br />
beeindruck<strong>en</strong> – und zugleich davon zeug<strong>en</strong>, dass<br />
für sie viel mehr Arbeit aufgew<strong>en</strong>det wurde, als für<br />
ihr<strong>en</strong> off<strong>en</strong>sichtlich<strong>en</strong> ökonomisch<strong>en</strong> Zweck nötig<br />
gewes<strong>en</strong> wäre.»<br />
In seinem prämiert<strong>en</strong> Aufsatz «Verschw<strong>en</strong>dung ist<br />
gut» von 1999 argum<strong>en</strong>tiert der Evolutionspsychologe<br />
Geoffrey Miller, dass Versuche, die Konsumwut<br />
einzudämm<strong>en</strong>, selbstzerstörerisch sein könnt<strong>en</strong>:<br />
«Sollte ein Staat beschliess<strong>en</strong>, d<strong>en</strong> demonstrativ<strong>en</strong><br />
Konsum auszurott<strong>en</strong>, würd<strong>en</strong> die Leute vielleicht<br />
bloss jünger heirat<strong>en</strong> und mehr Nachwuchs<br />
produzier<strong>en</strong>. Würd<strong>en</strong> wir d<strong>en</strong> demonstrativ<strong>en</strong><br />
Konsum abschaff<strong>en</strong>…, würde damit auch das, was<br />
wir als kulturelle Errung<strong>en</strong>schaft<strong>en</strong> betracht<strong>en</strong>,<br />
grösst<strong>en</strong>teils zerstört. Die evolutionäre Uhr würde<br />
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watch around Nr. 005 Sommer 2008 |
MENSCHLICHESM<br />
Les Cœurs – « chinesisches » Uhr<strong>en</strong>paar als Herzanhänger<br />
mit Viertelstund<strong>en</strong>repetition. Figur<strong>en</strong> und<br />
Musik könn<strong>en</strong> stündlich oder nach Belieb<strong>en</strong> in Gang<br />
gesetzt werd<strong>en</strong> – Piguet& Meylan, G<strong>en</strong>f – Emaillierung<br />
wohl von Jean-Abraham Lissignol, G<strong>en</strong>f – um 1820.<br />
ein paar Million<strong>en</strong> Jahre zurückgedreht beim<br />
Versuch, wieder wie ein Australopithecus zu leb<strong>en</strong>:<br />
als Primat<strong>en</strong> mit kleinem Hirn, tödlich gelangweilt<br />
und belagert von Babies.»<br />
Heute sind Vebl<strong>en</strong>s Vorstellung<strong>en</strong> von einer<br />
Wirtschaft, die m<strong>en</strong>schlich<strong>en</strong> Urtrieb<strong>en</strong> und verborg<strong>en</strong><strong>en</strong><br />
Impuls<strong>en</strong> gehorcht, wieder populär als<br />
Reaktion auf neoklassische Wirtschaftstheori<strong>en</strong>,<br />
die dazu neig<strong>en</strong>, das rationale Marktverhalt<strong>en</strong> auf<br />
mathematische Formeln zu reduzier<strong>en</strong>.<br />
Ein Ende der demonstrativ<strong>en</strong> Verschw<strong>en</strong>dung in<br />
Sicht Nach Vebl<strong>en</strong> ist die Konsumlust nicht auszurott<strong>en</strong>,<br />
und es gibt ständig neue Oberschicht<strong>en</strong>. Im<br />
Geg<strong>en</strong>satz zu d<strong>en</strong> Marxist<strong>en</strong> seiner Zeit glaubte er<br />
nicht daran, dass die Arbeiter uns stürz<strong>en</strong> woll<strong>en</strong>;<br />
er wusste, dass sie bloss so sein woll<strong>en</strong> wie wir.<br />
Für wie nobel und selbstlos wir unsere Ideale auch<br />
halt<strong>en</strong> mög<strong>en</strong>, wiss<strong>en</strong> wir doch, dass auch wir allfällig<strong>en</strong><br />
Reichtum und Musse aus Prestiged<strong>en</strong>k<strong>en</strong><br />
zur Schau stell<strong>en</strong> würd<strong>en</strong>. Schon Adam Smith, der<br />
Vater der modern<strong>en</strong> Wirtschaftslehre, bemerkte ein<br />
Jahrhundert vor Vebl<strong>en</strong>: «Bei d<strong>en</strong> meist<strong>en</strong> reich<strong>en</strong><br />
Leut<strong>en</strong> di<strong>en</strong>t der Reichtum vor allem dazu, ihn vorzuzeig<strong>en</strong>.»<br />
(Der Wohlstand der Nation<strong>en</strong>, 1776)<br />
Vebl<strong>en</strong>s Einfluss auf die Uhr<strong>en</strong>industrie.<br />
Vebl<strong>en</strong>s rationale Erklärung der irrational<strong>en</strong><br />
Antriebe unser Konsumwirtschaft fand erstmals<br />
Anfang der 1990er Jahre dank Doz<strong>en</strong>t<strong>en</strong> wie<br />
Professor Michel Gutsatz, der an der ESSEC<br />
Business School ein Master’s Programm für<br />
Internationales Luxusmanagem<strong>en</strong>t leitete, Eingang<br />
in die Schweizer Uhr<strong>en</strong>industrie. Er wurde Berater<br />
der Richemont Gruppe, nachdem der südafrikanische<br />
Industrielle Johann Rupert das dem Tabak<br />
vergleichbare Suchtpot<strong>en</strong>tial des Luxus <strong>en</strong>tdeckt<br />
und das Unternehm<strong>en</strong> übernomm<strong>en</strong> hatte. Gutsatz<br />
ist überzeugt, dass die Mark<strong>en</strong>manager von morg<strong>en</strong><br />
nicht an der «Theorie der fein<strong>en</strong> Leute» vorbeikomm<strong>en</strong><br />
werd<strong>en</strong>. « Erfolgreiche Mark<strong>en</strong> erfüll<strong>en</strong><br />
die symbolisch<strong>en</strong> Bedürfnisse der Konsum<strong>en</strong>t<strong>en</strong>,<br />
und ihr stärkstes Bedürfnis ist immer noch das<br />
nach Prestige», sagt er.<br />
Als überzeugte Vebl<strong>en</strong>-Schüler übertrug<strong>en</strong> Alain<br />
Dominique Perrin und Franco Cologni, die erfolgreichst<strong>en</strong><br />
Unternehmer der Gruppe, seine Theorie<br />
auf Cartier und bracht<strong>en</strong> ein ökonomisches<br />
Wunder zustande: Luxus für die Masse.<br />
Heute ist es verblüff<strong>en</strong>d, in welchem Mass die<br />
Schweizer Uhr<strong>en</strong>industrie Vebl<strong>en</strong>s ökonomische<br />
Ansicht<strong>en</strong> bestätigt. Als Uhr<strong>en</strong> bloss nützlich war<strong>en</strong>,<br />
hatt<strong>en</strong> Uhrmacher ungefähr so viel Glamour wie<br />
Klempner. Aber seit sie zweckfrei und hingebungsvoll<br />
Kant<strong>en</strong> anglier<strong>en</strong> und Tourbillons adjustier<strong>en</strong>,<br />
ist ihr Metier geadelt word<strong>en</strong>.<br />
Die am teuerst<strong>en</strong> gehandelt<strong>en</strong> Uhr<strong>en</strong> sind so hoffnungslos<br />
kompliziert, dass sie womöglich gar nicht<br />
54<br />
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ENSCHLICHESMEN<br />
funktionier<strong>en</strong>, was ihr<strong>en</strong> Wert noch steigern<br />
müsste, weil sie ja dann völlig unnütz wär<strong>en</strong>.<br />
Es gibt ein Prestigegefälle zwisch<strong>en</strong> der Marke<br />
einerseits und dem anonym<strong>en</strong> Fournisseur andererseits,<br />
und die Mark<strong>en</strong> tun alles, um sich vom Odium<br />
der industriell<strong>en</strong> Produktion zu distanzier<strong>en</strong>. Alles<br />
stammt in str<strong>en</strong>g limitierter Auflage aus der Hand<br />
von Meistern ihres Fachs, die natürlich in einer<br />
Manufaktur tätig sind und nicht in einer Fabrik.<br />
Die Manager leg<strong>en</strong> Wert darauf, an berühmt<strong>en</strong><br />
Ort<strong>en</strong> mit Berühmtheit<strong>en</strong> fotografiert zu werd<strong>en</strong>, die<br />
durch ihr<strong>en</strong> unbekümmert<strong>en</strong> Konsum oder mit ihrem<br />
stilvoll ausschweif<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Leb<strong>en</strong>swandel auffall<strong>en</strong>.<br />
Die Lektion aus dem Jahr 1932. Als echtes<br />
Vebl<strong>en</strong>-Produkt schraubt die Schweizer Luxusuhr<br />
ihre Attraktivität mit dem Preis in die Höhe und ist<br />
eine wahre Geldmaschine. Allerdings kann ein solches<br />
Wunder nur von Dauer sein, w<strong>en</strong>n es ein<strong>en</strong><br />
Kons<strong>en</strong>s über d<strong>en</strong> Preis und das Angebot gibt – ein<br />
Kartell. Ohne Kartell hätt<strong>en</strong> Diamant<strong>en</strong> kein<strong>en</strong><br />
Wert, und Luxusuhr<strong>en</strong> auch nicht.<br />
Die Schweizer Uhr<strong>en</strong>industrie hat ihre Lehr<strong>en</strong> gezog<strong>en</strong><br />
aus der Gross<strong>en</strong> Depression der früh<strong>en</strong><br />
1930er Jahre, als sie sich in einer Abwärtsspirale<br />
von Preisdumping, Entlassung von 40000 Arbeitern<br />
und Verschleuderung von Inv<strong>en</strong>tar, Anlag<strong>en</strong> und<br />
Technologie ins Ausland beinahe selbst zerstörte.<br />
Dieses Ereignis brannte sich im Gedächtnis der<br />
Uhr<strong>en</strong>industrie und der gesamt<strong>en</strong> Schweizer<br />
Wirtschaft tief ein: «Nie mehr ein Wettbewerb über<br />
d<strong>en</strong> Preis. Verkauft sich dein Produkt nicht, dann<br />
s<strong>en</strong>ke d<strong>en</strong> Preis nicht, sondern verdopple ihn.»<br />
Das Schweizer Uhr<strong>en</strong>kartell, das 1932 d<strong>en</strong><br />
Niedergang aufhalt<strong>en</strong> sollte, liess sich bis 1976<br />
vom Statut horloger leit<strong>en</strong>. Seitdem ist die<br />
Uhr<strong>en</strong>industrie «zur Wahrung der gemeinsam<strong>en</strong><br />
Interess<strong>en</strong>» in der Fédération horlogère zusamm<strong>en</strong>geschloss<strong>en</strong>,<br />
die 95% der Branche vertritt.<br />
Die Schweizer Uhr<strong>en</strong>industrie scheint demnach<br />
auf einem solid<strong>en</strong> Fundam<strong>en</strong>t zu steh<strong>en</strong> : Das<br />
Produkt mit Suchtpot<strong>en</strong>tial, das Monopol und die<br />
Verschonung vom Preiskampf garantier<strong>en</strong> im<br />
Wes<strong>en</strong>tlich<strong>en</strong> ihr<strong>en</strong> Erfolg, unabhängig davon, wie<br />
kreativ die Mark<strong>en</strong>verantwortlich<strong>en</strong> sind.<br />
Und es könnte noch besser komm<strong>en</strong>. Überall in<br />
der globalisiert<strong>en</strong> Wirtschaft tauch<strong>en</strong> von Russland<br />
bis Kasachstan, von China und Mexiko bis zu<br />
Indi<strong>en</strong> erstklassige neureiche Konsum<strong>en</strong>t<strong>en</strong> auf.<br />
Die Distribution liegt weitgeh<strong>en</strong>d in d<strong>en</strong> Händ<strong>en</strong><br />
von mächtig<strong>en</strong> Unternehm<strong>en</strong>sgrupp<strong>en</strong>, die ihre<br />
Gewinne abgesichert hab<strong>en</strong>. Und als freundliches<br />
Symbol der heutzutage w<strong>en</strong>iger aggressiv<strong>en</strong><br />
Werte der Oberschicht kommt die Luxusuhr auch<br />
von Umwelt- und M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>rechtsaktivist<strong>en</strong> nicht<br />
unter Druck.<br />
Zudem hat die Uhr, die man mit d<strong>en</strong> gross<strong>en</strong><br />
Epoch<strong>en</strong> unserer Zivilisation wie R<strong>en</strong>aissance,<br />
Aufklärung, Zeitalter der Entdeckung<strong>en</strong> und<br />
Industrielle Revolution in Verbindung bringt, ein <strong>en</strong>ormes<br />
kulturelles Prestige. Der Besitz einer Uhr kündet<br />
vom M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> als Mass aller Dinge: der Zeit, der<br />
Kunst… und selbst der Wirtschaft. Und so ist die<br />
Luxusuhr nicht nur ein Symbol der Überleg<strong>en</strong>heit,<br />
sondern man kann an ihr, w<strong>en</strong>n man sich darauf versteht,<br />
sogar die Werte der Epoche exakt ables<strong>en</strong>. •<br />
Patek Philippe Museum<br />
Pistol<strong>en</strong>uhr mit Singvogel<br />
Objektuhr in Form einer zweiläufig<strong>en</strong> Steinschlosspistole<br />
für d<strong>en</strong> chinesisch<strong>en</strong> Markt – Werk No 236, gestempelt<br />
«F R» – Frères Rochat (ca. zwisch<strong>en</strong> 1800 und 1835<br />
tätig) – G<strong>en</strong>f, um 1815 – Gold, Email, Perl<strong>en</strong>, Achat – Inv.<br />
S-107.<br />
55<br />
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