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Polyarthrose der Fingergelenke

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diplomfortbildung<br />

Dr. Thomas Karonitsch 1<br />

<strong>Polyarthrose</strong> <strong>der</strong> <strong>Fingergelenke</strong><br />

Sorgfältige Differenzialdiagnose ist Voraussetzung für die richtige Therapiewahl.<br />

Die Fingerpolyarthrose (FPA), nach dem<br />

englischen Sprachgebrauch vielleicht<br />

richtiger als „Osteoarthritis“ bezeichnet,<br />

stellt im fortgeschrittenen Alter eine <strong>der</strong><br />

Hauptursachen für Schmerz und Behin<strong>der</strong>ung<br />

im Bereich <strong>der</strong> Hände dar. Früher<br />

herrschte die Ansicht vor, dass diese<br />

Gelenkerkrankung eine Konsequenz des<br />

Alterungsprozesses sei. Heute ist bekannt,<br />

dass die Krankheit aufgrund des<br />

Zusammenspiels vieler Faktoren entsteht.<br />

Da es zurzeit keine spezifischen<br />

Laborparameter für diese Erkrankung<br />

gibt und die Klinik oft nicht mit dem<br />

Schweregrad <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong><br />

Bildgebung korreliert, sind Diagnose<br />

und Therapie <strong>der</strong> Fingerpolyarthrose im<br />

klinischen Alltag eine beson<strong>der</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ung.<br />

Zu den ursächlichen Faktoren <strong>der</strong> FPA gehören<br />

die lokale Entzündungsreaktion,<br />

die Wirkung mechanischer Kräfte sowie<br />

die biochemischen Prozesse aufgrund genetischer<br />

Prädisposition. Wichtig ist zudem<br />

die Unterscheidung zwischen idiopathischer<br />

und sekundärer Arthrose (z. B.<br />

Hämochromatose). Außerdem muss bei<br />

Fingergelenkschmerzen eine entzündliche<br />

Ursache ausgeschlossen werden, wie<br />

zum Beispiel die chronische Polyarthritis<br />

o<strong>der</strong> die Psoriasis-Arthropathie. Denn die<br />

Therapien dieser Erkrankungen unterscheiden<br />

sich erheblich.<br />

Viele Risikofaktoren führen zur<br />

Erkrankung <strong>der</strong> <strong>Fingergelenke</strong><br />

Prinzipiell haben Frauen ein höheres Risiko<br />

als Männer, an <strong>der</strong> Fingerpolyarthrose<br />

zu erkranken. Der Beginn dieser Erkrankung<br />

vor dem 40. Lebensjahr ist sehr<br />

selten. Sollte dennoch eine FPA davor auftreten,<br />

muss an eine sekundäre Arthrose<br />

(z. B. Hämochromatose) gedacht werden.<br />

Das Befallmuster bei Hämochromatose-<br />

Arthropathie betrifft typischerweise die<br />

MCP-Gelenke zwei und drei. Nach dem<br />

Alter von 40 Jahren steigt die Inzidenz vor<br />

allem bei Frauen stark an. Somit stellt das<br />

1<br />

Klinische Abteilung für Rheumatologie, Klinik für<br />

Innere Medizin III, Medizinische Universität Wien<br />

höhere Alter den Hauptrisikofaktor für<br />

diese Erkrankung dar. Dass vor allem<br />

Frauen in mittleren Jahren betroffen sind,<br />

könnte ein Hinweis für den Einfluss <strong>der</strong><br />

Sexualhormone sein – hier ist insbeson<strong>der</strong>e<br />

Östrogenmangel zu nennen. Der wissenschaftliche<br />

Beweis konnte bisher jedoch<br />

nicht erbracht werden, da in Studien<br />

zur Hormonersatztherapie kein erniedrigtes<br />

Risiko für die FPA gefunden werden<br />

konnte. Interessant in diesem Zusammenhang<br />

ist auch, dass die Inzidenz und Prävalenz<br />

<strong>der</strong> FPA vor dem 40. Lebensjahr bei<br />

Männern höher ist als bei Frauen.<br />

Ein weiterer Risikofaktor für die Fingerpolyarthrose<br />

sind Tätigkeiten und/o<strong>der</strong><br />

Berufe, bei denen viele und vor allem kräftige<br />

Handgriffe gemacht werden müssen<br />

(wie beispielsweise Koch o<strong>der</strong> Zahnarzt).<br />

Auch eine positive Familienanamnese,<br />

Übergewicht, Gelenkstraumata und eine<br />

höhere Knochendichte konnten als wesentliche<br />

Risikofaktoren identifiziert werden.<br />

Die FPA selbst ist an<strong>der</strong>erseits selbst<br />

ein Risikofaktor für das Entstehen arthrotischer<br />

Verän<strong>der</strong>ungen im Bereich <strong>der</strong><br />

Knie, <strong>der</strong> Hüften und weiteren Gelenken.<br />

Wenn nicht nur die <strong>Fingergelenke</strong>, son<strong>der</strong>n<br />

weitere Gelenke von <strong>der</strong> Krankheit<br />

betroffen sind, besteht eine sogenannte<br />

generalisierte Arthrose.<br />

Leitsymptom Schmerz<br />

Meist suchen FPA-Patienten ihren Arzt<br />

aufgrund ihrer Schmerzsymptome auf.<br />

Der Schmerz ist somit eines <strong>der</strong> Hauptsymptome<br />

<strong>der</strong> Fingerpolyarthrose. Typischerweise<br />

nimmt <strong>der</strong> Schmerz unter Belastung<br />

zu. Wobei aber anzumerken ist,<br />

dass die Schmerzintensität einer großen<br />

interindividuellen Variabilität unterworfen<br />

ist, und sie nicht mit <strong>der</strong> Schwere <strong>der</strong><br />

Verän<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Bildgebung korreliert.<br />

So gibt es Patienten, die zwar radiologisch<br />

und klinisch, im Sinne von „knöchernen<br />

Schwellungen“, ausgeprägte<br />

Zeichen einer FPA haben, jedoch vollkommen<br />

schmerzfrei sind, und umgekehrt.<br />

Steifigkeit in den Gelenken<br />

Tabelle 1<br />

Klinische Manifestation <strong>der</strong> Fingerpolyarthrose (FPA)<br />

Krankheitsbeginn<br />

Typische betroffene Gelenke<br />

Symptome<br />

Gelenksuntersuchung<br />

Skelettröntgen<br />

Prognose<br />

Nach dem 40. Lebensjahr<br />

Ein weiteres Leitsymptom ist die Steifigkeit<br />

<strong>der</strong> Gelenke am Morgen und nach Bewegungsinaktivität.<br />

Für die Diagnose ist<br />

wichtig, dass die Morgensteifigkeit bei <strong>der</strong><br />

FPA, an<strong>der</strong>s als bei chronisch entzündlichen<br />

Gelenkserkrankungen, wie zum Beispiel<br />

<strong>der</strong> chronischen Polyarthritis, meist<br />

nicht länger als einige Minuten andauert.<br />

Interessanterweise sind die Symptome <strong>der</strong><br />

Arthrose aber auch stark vom jeweils vorherrschenden<br />

Wetter abhängig, sodass bei<br />

kaltem und regnerischem Wetter (Herbst<br />

und Frühling) Patienten unter dieser Er-<br />

Proximale und distale Interphalangealgelenke (PIP und DIP),<br />

Metakarpophalangealgelenk II und III (MCP II und III), Daumengrundgelenk<br />

(Sattelgelenk)<br />

Schmerz, Steifigkeit<br />

„knöcherne“ Schwellung, eingeschränkte Beweglichkeit, Gelenkfehlstellungen,<br />

Druckschmerzhaftigkeit<br />

Gelenkspaltverschmälerung, subchondrale Sklerose, Osteophyten,<br />

subchondrale Zysten<br />

Sehr variabel, generell langsam progredient<br />

6 4/2009 © Springer-Verlag<br />

rheuma plus


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Foto: Wikipedia commons<br />

Abb. 1: Aktivierte Heberden-Arthrose des Zeigefingers rechts.<br />

Foto: Privat<br />

krankung mehr leiden, als in <strong>der</strong> warmen<br />

Jahreszeit.<br />

Typisch für die Fingerpolyarthrose ist<br />

das Befallmuster an den Gelenken, das<br />

meist auch eine Symmetrie <strong>der</strong> Hände<br />

zeigt. Zu den betroffenen Gelenken zählen<br />

die proximalen (PIP) und distalen (DIP)<br />

Interphalangealgelenke, sowie des Carpometacarpophalangealgelenks<br />

des Daumens<br />

(CMCI, Rhizarthrose). Wesentlich<br />

„Auf die Abgrenzung zu<br />

entzündlich rheumatischen<br />

Erkrankungen ist zu achten.“<br />

Dr. Thomas Karonitsch<br />

Klinische Abteilung für Rheumatologie, Klinik für<br />

Innere Medizin III, Medizinische Universität Wien<br />

seltener sind auch die Metacarpophalangealgelenke<br />

(MCP) von Zeige- und Mittelfinger<br />

betroffen, wobei die dominante<br />

Hand meist stärker betroffen ist (siehe<br />

Tab. 1, Seite 6).<br />

Bei <strong>der</strong> klinischen Untersuchung/Betastung<br />

<strong>der</strong> erkrankten Gelenke findet<br />

man typischerweise „knöcherne“ Schwellungen.<br />

Diese sind das sichtbare/tastbare<br />

Korrelat des sogenannten osteophytären<br />

Anbaus im Rahmen des pathophysiologischen<br />

Umbaus des Knochens bei <strong>der</strong> Fingerpolyarthrose.<br />

Je nach Lokalisation dieses<br />

Tastbefundes wird im Bereich <strong>der</strong> DIP<br />

von Heberden- und im Bereich <strong>der</strong> PIP<br />

von Bouchardknoten gesprochen (siehe<br />

Abb. 1). Bei <strong>der</strong> etwas aggressiver verlaufenden<br />

erosiven FPA ist zusätzlich zu den<br />

„knöchernen“ Schwellungen auch oft eine<br />

weichere „synovitische“ Komponente im<br />

Bereich <strong>der</strong> betroffenen Gelenke tastbar.<br />

Diagnosekriterien<br />

Eine Hilfestellung bei <strong>der</strong> Diagnose <strong>der</strong><br />

FPA sind die Klassifikationskriterien <strong>der</strong><br />

Amerikanischen Gesellschaft für Rheumatologie<br />

(American College of Rheumatology,<br />

ACR). Folgende Kriterien müssen<br />

demnach für die Diagnose einer Fingerpolyarthrose<br />

erfüllt sein:<br />

Schmerzen in <strong>der</strong> Hand und drei bis<br />

vier <strong>der</strong> folgenden Kriterien:<br />

■ ■<br />

■ ■<br />

■ ■<br />

■ ■<br />

Harte Schwellung von zwei o<strong>der</strong> mehr<br />

<strong>der</strong> folgenden zehn Gelenke: zweites<br />

und drittes distales Interphalangealgelenk<br />

(DIP), das zweite und dritte proximale<br />

interphalangeale, und das erste<br />

carpo metacarpale Gelenk bei<strong>der</strong> Hände.<br />

Harte Schwellung von zwei o<strong>der</strong> mehr<br />

DIP-Gelenken.<br />

Weniger als drei „weich“ geschwollene<br />

MCP-Gelenke.<br />

Deformation von mehr als einem aus<br />

den zehn <strong>der</strong> folgenden Gelenken: das<br />

zweite und dritte distale interphalangeale<br />

Gelenk (DIP), das zweite und<br />

dritte proximale interphalangeale und<br />

das erste carpometacarpale Gelenk<br />

bei<strong>der</strong> Hände.<br />

Die Sensitivität dieser Klassifikationskriterien<br />

liegt bei 94 Prozent, die Spezifität<br />

bei 87 Prozent.<br />

Skelettröntgen weiterhin<br />

Goldstandard<br />

Trotz neuerer bildgeben<strong>der</strong> Verfahren<br />

stellt das Skelettröntgen <strong>der</strong> Hände immer<br />

noch den Goldstandard hinsichtlich <strong>der</strong><br />

weiteren Diagnose und Differenzialdiagnose<br />

<strong>der</strong> FPA dar (siehe Abb. 2, Seite 8).<br />

Typische radiologische Verän<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>der</strong> FPA sind: knöcherne Proliferationen<br />

(Osteophyten) am Gelenkrand, asymmet-<br />

rheuma plus © Springer-Verlag<br />

4/2009 7


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Abb. 2: Röntgenbild von Fingergelenkarthrosen<br />

(in den Endgelenken Heberden-Arthrose, in<br />

Mittelgelenken Bouchard-Arthrose genannt).<br />

Links im roten Kasten ein unauffälliges Bild.<br />

rische Gelenkspaltverschmälerung (=<br />

Knorpelverlust) sowie die subchondrale<br />

Sklerose. Bei länger andauerndem Krankheitsverlauf<br />

kann es auch noch zum Auftreten<br />

von subchondralen Zysten kommen.<br />

Bei <strong>der</strong> aggressiven Verlaufsform <strong>der</strong><br />

FPA (erosive FPA), finden sich zusätzlich<br />

Knochenerosionen. Sie sind aber verschieden<br />

von den Erosionen bei entzündlich,<br />

rheumatischen Gelenk erkrankungen<br />

wie <strong>der</strong> chronischen Polyarthritis o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Psoriasis-Arthritis (PsoA).<br />

Neuere bildgebende Verfahren, hier<br />

insbeson<strong>der</strong>s die Magnetresonanz, können<br />

zwar bereits Verän<strong>der</strong>ungen am Knorpel<br />

und Knochen vor dem Skelettröntgen<br />

erkennen und somit zu einer schnelleren<br />

Diagnose <strong>der</strong> FPA führen, sind aber hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> Dokumentation des Krankheitsverlaufs<br />

und auch als Routinemaßnahme<br />

zur Diagnose noch zu aufwändig<br />

und kostenintensiv.<br />

Unterschiede zwischen FPA, CP<br />

und PsoA<br />

Foto: Praxis Dr. Lengerke, Wikipedia<br />

Differenzialdiagnostisch bei Fingergelenkschmerzen<br />

ist es vor allem wichtig,<br />

immer auch an eine entzündlich, rheumatische<br />

Erkrankungen wie die Psoriasis-<br />

Arthritis (PsoA) o<strong>der</strong> die chronische Polyarthritis<br />

(CP) zu denken, da es infolge<br />

dieser Diagnosen an<strong>der</strong>er Therapiekonzepte<br />

als bei <strong>der</strong> FPA bedarf (siehe Tab. 2,<br />

Seite 8). Auch eine Abgrenzung zu sekundären<br />

Arthrose-Formen, wie z. B. <strong>der</strong> Hämochromatose<br />

ist wichtig. Stellt sich ein<br />

Patient mit Fingergelenkschmerzen vor, so<br />

sollte zunächst eine genaue Anamnese, im<br />

Detail eine Schmerz-, Familien- und <strong>der</strong>matologische<br />

Anamnese erhoben werden.<br />

So ist eine Morgensteifigkeit von wenigen<br />

Minuten eher für die FPA, als für entzündliche<br />

Gelenkerkrankungen, wo sie mehrere<br />

Stunden andauern kann, typisch. Die<br />

Hautanamnese wie<strong>der</strong>um kann zielführend<br />

hinsichtlich <strong>der</strong> Diagnose einer PsoA<br />

sein. Als nächstes folgt ein Fingergelenkstatus.<br />

Im hierbei erhobenen Gelenkbefallmuster<br />

unterscheidet sich zum Beispiel<br />

die FPA von <strong>der</strong> chronischen<br />

Polyarthritis.<br />

Während bei <strong>der</strong> FPA die distalen, proximalen<br />

Interphalangealgelenke (DIP,<br />

PIP) und das CMCI-Gelenk hauptsächlich<br />

betroffen sind, sind es bei <strong>der</strong> chronischen<br />

Polyarthritis hauptsächlich die MCP-, PIPund<br />

Handgelenke.<br />

Augenmerk auf die Art <strong>der</strong><br />

Gelenkschwellung<br />

Komplizierter erscheint die Unterscheidung<br />

zwischen <strong>der</strong> FPA und PsoA,<br />

wenn man sich nur auf das Gelenkbefallmuster<br />

konzentriert, da bei <strong>der</strong> PsoA auch<br />

die DIP-Gelenke betroffen sein können.<br />

Hier kann, abgesehen von <strong>der</strong> genauen<br />

Inspektion <strong>der</strong> Haut, die Art <strong>der</strong> Gelenkschwellung<br />

weiterhelfen. So findet man<br />

bei <strong>der</strong> Arthrose harte, „knöcherne“<br />

Schwellungen (Heberden-, Bouchardknoten;<br />

„nodale FPA“), während man bei <strong>der</strong><br />

CP und PsoA teigig weiche „synovitische<br />

Schwellungen“ im Bereich <strong>der</strong> betroffenen<br />

Gelenke findet. Weitere Unterschiede<br />

zwischen <strong>der</strong> FPA und den entzündlich,<br />

rheumatischen Erkrankungen finden sich<br />

im Labor. So sind bei <strong>der</strong> FPA, abgesehen<br />

von <strong>der</strong> „erosiven“ FPA, die Entzündungsparameter<br />

meist nicht erhöht. Sind bei <strong>der</strong><br />

CP serologisch-immunologische Marker<br />

wie Rheumafaktor o<strong>der</strong> anti-CCP-Antikörper<br />

meist auffällig, so findet man bei <strong>der</strong><br />

FPA diese Marker nur in einer Häufigkeit<br />

vergleichbar mit <strong>der</strong> gesunden Normalbevölkerung.<br />

Bei Verdacht auf eine sekundäre<br />

FPA kann ein erhöhtes Ferritin als<br />

Ausdruck einer Hämochromatose hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> Diagnose zielführend sein.<br />

Zur endgültigen Diagnose ist aber auf alle<br />

Fälle die Anfertigung von Skelettröntgenaufnahmen<br />

wichtig.<br />

Therapiekonzepte<br />

Die Behandlung <strong>der</strong> Fingerpolyarthrose<br />

ist aufgrund mehrerer Faktoren eine beson<strong>der</strong>e<br />

Herausfor<strong>der</strong>ung: Einerseits besteht<br />

nur eine sehr vage Beziehung zwischen<br />

den radiologischen Verän<strong>der</strong>ungen<br />

und den klinisch fassbaren krankheitsspezifischen<br />

Verän<strong>der</strong>ungen (Gelenkdeformitäten)<br />

und den vom Patienten beschriebenen<br />

Beschwerden. An<strong>der</strong>erseits gibt es<br />

<strong>der</strong>zeit lei<strong>der</strong> keine krankheitsspezifische<br />

Therapie, die zu einer deutlichen Vermin<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Progression o<strong>der</strong> sogar zu einer<br />

Heilung führen könnte. Ein genaues<br />

Abwägen zwischen potenziellen Nebenwirkungen<br />

auf <strong>der</strong> einen, und dem Nutzen<br />

für den Patienten auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite<br />

<strong>der</strong> <strong>der</strong>zeit vorhandenen, hauptsächlich<br />

symptomatisch wirkenden Therapieformen,<br />

ist daher beson<strong>der</strong>s angezeigt.<br />

Nichtpharmakologische<br />

Behandlungsformen<br />

Die nichtpharmakologischen Therapien<br />

sind ein wichtiger Bestandteil des Behandlungskonzepts<br />

<strong>der</strong> Fingerpolyarthrose.<br />

Dazu gehören muskelkräftigende Übungen<br />

und die Bewegungsschulung, ebenso<br />

wie ergotherapeutische Maßnahmen, hier<br />

sei zum Beispiel <strong>der</strong> Gelenkschutz gennannt<br />

sowie die Hilfsmittelberatung und<br />

-anpassung. Weiters wichtig sind lokale<br />

physikalisch-therapeutische Maßnahmen<br />

wie die Ultraschall- und Wärmetherapie<br />

(z. B. Paraffinbä<strong>der</strong>). Diese Therapien sind<br />

vor allem zur Vorbereitung von speziellen<br />

Fingerübungsprogrammen sinnvoll.<br />

Bei <strong>der</strong> Rhizarthrose sind Schienen<br />

und Orthesen zur Vermeidung und Korrektur<br />

einer Lateraldeviation und einer<br />

Tabelle 2<br />

Differenzialdiagnose: rheumatoide Arthritis versus Arthrose<br />

Gelenkbefallmuster Hand<br />

CP<br />

Praktisch nie distal interphalangeal<br />

FPA<br />

Typischerwiese proximal und<br />

distal interphalangeal sowie<br />

carpometacarpal I<br />

Gelenkscharakteristik<br />

Weiche „synovitische“<br />

Schwellung<br />

Harte „knöcherne“ Schwellung<br />

Labor Erhöhte Akutphase Normale Akutphase<br />

Rheumafaktor, anti-CCP<br />

Assoziation mit schwererer<br />

Verlaufsform<br />

Keine Assoziation<br />

8 4/2009 © Springer-Verlag<br />

rheuma plus


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Beugedeformität empfehlenswert (siehe<br />

auch: Wenn <strong>der</strong> Alltag schmerzt, Seite 26).<br />

Dazu ist anzumerken, dass Schienen, die<br />

sowohl das Daumengrundgelenk als auch<br />

das Handgelenk mit einbeziehen, günstiger<br />

sind als solche, die nur das Daumengrundgelenk<br />

umfassen.<br />

Pharmakologische Behandlungsformen<br />

Literatur<br />

EULAR evidence-based recommendations<br />

for the diagnosis of hand osteoarthritis: report of<br />

a task force of ESCISIT. Zhang W, Doherty M,<br />

Leeb BF, Alekseeva L, Arden NK, Bijlsma JW,<br />

Dincer F, Dziedzic K, Hauselmann HJ, Kaklamanis<br />

P, Kloppenburg M, Lohman<strong>der</strong> LS, Maheu E,<br />

Martin-Mola E, Pavelka K, Punzi L, Reiter S,<br />

Smolen J, Verbruggen G, Watt I, Zimmermann-<br />

Gorska I; ESCISIT. Ann Rheum Dis. 2009<br />

Jan;68(1):8-17. Epub 2008 Feb 4. Review.<br />

EULAR evidence based recommendations<br />

for the management of hand osteoarthritis: report<br />

of a Task Force of the EULAR Standing<br />

Committee for International Clinical Studies Including<br />

Therapeutics (ESCISIT).<br />

Zhang W, Doherty M, Leeb BF, Alekseeva L,<br />

Arden NK, Bijlsma JW, Dinçer F, Dziedzic K,<br />

Häuselmann HJ, Herrero-Beaumont G, Kaklamanis<br />

P, Lohman<strong>der</strong> S, Maheu E, Martín-Mola E,<br />

Pavelka K, Punzi L, Reiter S, Sautner J, Smolen<br />

J, Verbruggen G, Zimmermann-Górska I.<br />

Ann Rheum Dis. 2007 Mar;66(3):377-88.<br />

Epub 2006 Oct 17.<br />

The American College of Rheumatology criteria<br />

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Appelrouth D, Bloch D, Borenstein D, Brandt K,<br />

Brown C, Cooke TD, Daniel W, Gray R, et al. Arthritis<br />

Rheum. 1990 Nov;33(11):1601-10<br />

Generell sind bei <strong>der</strong> Fingerpolyarthrose<br />

mit milden bis mo<strong>der</strong>aten Schmerzen topische<br />

Therapien gegenüber systemischen<br />

Therapien aufgrund <strong>der</strong> deutlich geringeren<br />

Nebenwirkungen zu bevorzugen.<br />

Hierzu konnte die Effektivität von topischen<br />

NSAR hinsichtlich <strong>der</strong> Schmerzkontrolle<br />

bei FPA in einer Subgruppenanalyse<br />

eines systematischen Reviews gezeigt<br />

werden. Das Risiko gastrointestinaler Nebenwirkungen<br />

ist natürlich deutlich geringer<br />

als bei einer systemischen Anwendung<br />

von NSAR. Außerdem kann eine Therapie<br />

mit lokaler Anwendung von Capsaicin versucht<br />

werden. Das Ergebnis von zwei<br />

randomisierten Studien wies darauf hin,<br />

dass Capsaicin Placebo hinsichtlich einer<br />

klinischen Besserung überlegen war.<br />

Bei einer notwendigen systemischen<br />

Schmerztherapie ist <strong>der</strong> Wirkstoff Paracetamol<br />

(bis zu vier Gramm pro Tag), aufgrund<br />

des deutlich besseren Nebenwirkungsprofils<br />

gegenüber NSAR, zu<br />

bevorzugen. Eine Hepatotoxizität ist in<br />

den empfohlenen therapeutischen Dosierungen<br />

nicht zu erwarten. Eine Hepatotoxizität<br />

bei gleichzeitigem Alkoholgenuss<br />

ist zu beachten. Das Risiko<br />

gastrointestinaler und renaler Nebenwirkungen<br />

ist unter Paracetamol in den empohlenen<br />

Dosierungen gering. Auch kardiovaskuläre<br />

und zerebrovaskuläre<br />

Nebenwirkungen, die bei NSAR auftreten<br />

können, wurden für Paracetamol bislang<br />

nicht beschrieben.<br />

Ist jedoch <strong>der</strong> Behandlungserfolg mit<br />

Paracetamol und topischen NSAR unbefriedigend,<br />

kann auf systemische NSAR,<br />

die laut Studien Paracetamol hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> analgetischen Wirkung überlegen<br />

sind, zurückgegriffen werden. Die Dosis<br />

sollte jedoch so niedrig wie möglich und<br />

die Therapiedauer so kurz wie notwendig<br />

gewählt werden. Wichtig in diesem Zusammenhang<br />

ist, dass das Risiko für gastrointestinale<br />

Nebenwirkungen von NSAR<br />

einerseits abhängig von <strong>der</strong> Dosis ist und<br />

an<strong>der</strong>erseits mit steigendem Alter <strong>der</strong> Patienten<br />

zunimmt. Hinzugefügt sei noch,<br />

dass die Wirksamkeit und die Toxizität<br />

verschiedener NSAR eine große interindividuelle<br />

Variabilität aufweisen.<br />

Bei Patienten mit erhöhtem gastrointestinalem<br />

Blutungsrisiko, wie etwa bei Patienten<br />

unter Antikoagulation o<strong>der</strong> unter Kortisontherapie<br />

vor allem im höheren Alter,<br />

sollte auf eine adäquate Gastroprotektion<br />

geachtet werden. Zu diesem Zweck kann<br />

sowohl ein Protonenpumpenhemmer als<br />

auch Misoprostol verschrieben werden.<br />

COX-2-Hemmer können in manchen<br />

Fällen als Alternative zur Kombination aus<br />

traditionellem NSAR und Gastroprotektion<br />

eingesetzt werden. So konnte gezeigt werden,<br />

dass das Risiko einer gastrointestinalen<br />

Nebenwirkung unter COX-2-Hemmern <strong>der</strong><br />

von Paracetamol ähnlich ist. Zudem ist die<br />

analgetische Wirkung von COX-2-Hemmern<br />

<strong>der</strong> von traditionellen NSAR gleichwertig.<br />

Aufgrund <strong>der</strong> kürzlich beschriebenen<br />

kardiovaskulären Nebenwirkung sind<br />

bei Patienten mit entsprechenden Risikofaktoren<br />

nichtselektive NSAR mit Vorsicht<br />

anzuwenden, COX-2-Hemmer gelten sogar<br />

als kontraindiziert.<br />

Symptomatic Slow Acting Drugs for<br />

Osteoarthritis (SYSADOA)<br />

Eine weitere Medikamentengruppe, die in<br />

<strong>der</strong> Behandlung <strong>der</strong> Arthrose eingesetzt<br />

wird, sind die sogenannten „symptomatic<br />

slow acting drugs for osteoarthritis“ (SYS-<br />

ADOAs). Dazu zählen: Glucosamin, Chondroitinsulfat<br />

und Diacerhein. Glucosamin<br />

und Chondroitinsulfat zeichnen sich dadurch<br />

aus, dass sie im Gegensatz zu Diacerhein<br />

(Diarrhö) keine Nebenwirkungen<br />

haben. Die Datenlage zur Wirksamkeit<br />

dieser Substanzen ist aber, beson<strong>der</strong>s in<br />

Hinblick auf die Therapie <strong>der</strong> FPA, als kontroversiell<br />

zu bezeichnen. So wurde beschrieben,<br />

dass diese Medikamente lei<strong>der</strong><br />

nicht den erhofften knorpelaufbauenden<br />

Effekt besitzen. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite<br />

konnte aber ein symptomatischer Effekt<br />

bei <strong>der</strong> Schmerzreduktion gezeigt werden.<br />

Und eine Studie fand sogar heraus, dass es<br />

unter Chondroitinpolysulfat zu einer Vermin<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> radiologischen Progredienz<br />

<strong>der</strong> FPA kam. Für Diacerhein gibt es<br />

bis dato keine FPA-spezifischen Untersuchungen.<br />

Eine analgetische Wirkung ist jedoch<br />

bei Patienten mit Hüft- und Kniegelenkarthrose<br />

beschrieben.<br />

Chirurgischer Eingriff und intraartikuläre<br />

langwirksame Steroide<br />

Eine intraartikuläre Applikation von Kortikoiden<br />

kann nach Ausschöpfung aller<br />

bisher beschriebenen konservativen Therapieoptionen<br />

für punktierbare (z. B. Trapeziometakarpal-)<br />

Gelenke überlegt werden.<br />

Gleichermaßen sollten operative<br />

Maßnahmen bei Patienten mit wie<strong>der</strong>kehrenden<br />

Schmerzen und Funktionseinschränkungen<br />

(vor allem bei <strong>der</strong> Daumengrundgelenkarthrose)<br />

erwogen werden.<br />

Zusammenfassung<br />

Die Fingerpolyarthrose ist eine nicht zu<br />

unterschätzende Erkrankung, die zu<br />

erheb lichen Behin<strong>der</strong>ungen und Einschränkung<br />

<strong>der</strong> Lebensqualität führen<br />

kann. Ist die Diagnose gestellt, ist gemeinsam<br />

mit dem Patienten ein therapeutisches<br />

Konzept zu erstellen. In diesem haben<br />

sowohl nichtpharmakologische<br />

(Funktionstraining, Übungen, ...) als auch<br />

pharmakologische Therapieformen eine<br />

große Bedeutung. Ziel sollte es sein, die<br />

Symptome <strong>der</strong> Patientinnen und Patienten<br />

zu verringern und die Funktion <strong>der</strong><br />

Gelenke zu erhalten o<strong>der</strong> bei fortgeschrittenen<br />

Formen <strong>der</strong> Fingerpolyarthrose sogar<br />

zu verbessern.<br />

•<br />

Kontakt:<br />

Dr. Thomas Karonitsch<br />

Klinische Abteilung für Rheumatologie, Klinik für Innere<br />

Medizin III, Medizinische Universität Wien<br />

thomas.karonitsch@meduniwien.ac.at<br />

Lecture Board:<br />

Prim. Dr. Burkhard F. Leeb, Stockerau<br />

Prim. Dr. Ernst Wagner, Baden<br />

Dr. Hans Walek, Wien<br />

Redaktion<br />

Inge Smolek<br />

SpringerMedizin.at<br />

Weitere Informationen unter:<br />

www.SpringerMedizin.at/fortbildung<br />

rheuma plus © Springer-Verlag<br />

4/2009 9

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